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Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 330/19
vom
27. August 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:270819B4STR330.19.0
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. August 2019 gemäß § 44 Satz 1, § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 7. Februar 2019 gewährt; damit ist der Beschluss des Landgerichts Hagen vom 15. Mai 2019 gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 7. Februar 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch und
b) soweit von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger, an eine andere Jugendstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungs- und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Darüber hinaus begehrt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Dem Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 28. Juni 2019 zu entsprechen. Damit ist der gemäß § 346 Abs. 1 StPO ergangene Verwerfungsbeschluss des Landgerichts Hagen vom 15. Mai 2019 gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. April 2019 – 4 StR 41/19, NStZ 2019, 460; vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; vom 11. Januar 2016 – 1 StR 435/15, wistra 2016, 163, 164).

II.


3
1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte sei bei Tat 2 vom beendeten Versuch des Mordes nicht strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StGB), begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
a) Für die Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch und damit für das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts kommt es darauf an, ob der Täter nach der letzten seinerseits konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227, NStZ 1993, 433). Macht der Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellung über die Folgen seines Tuns oder ist ihm der Erfolg gleichgültig, ist ein beendeter Versuch anzunehmen (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306, NJW 1995, 974; vom 16. April 2015 – 3 StR 645/14, NStZ 2015, 509 mwN; und vom 7. Februar 2018 – 2 StR 171/17, NStZ-RR 2018, 137).
5
b) Nach diesen Maßstäben liegt ein beendeter Versuch vor. Zwar sind die Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten nach dem Messerstich in den Oberkörper des Zeugen R. lückenhaft. Der Senat entnimmt aber dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass dem Angeklagten der Eintritt des Todes des Zeugen jedenfalls gleichgültig war. Denn er flüchtete sofort nach dem Messerstich und überließ den Geschädigten seinem Schicksal. Der Schluss des Landgerichts, dass sich in diesem Verhalten eine „Gleichgültigkeit gegenüber dem Rechtsgut Leben“ offenbarte, ist auf der Grundlage der zu dem Messerstich getroffenen Feststellungen im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.
6
2. Demgegenüber hat die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB keinen Bestand.
7
a) Das Landgericht hat bereits die Frage des Bestehens eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht tragfähig begründet. Das Urteil weist insoweit Widersprüche auf.
8
aa) Für die Annahme eines Hanges ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 18. Juli 2019 – 4 StR 80/19, NStZ-RR 2019, 275; vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12; vom 10. September 1997, 2 StR 416/97; vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18; jeweils mwN). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12; vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198).
9
bb) Das Landgericht hat festgestellt, dass der zur Tatzeit 20 Jahre alte Angeklagte im Alter von 13 oder 14 Jahren erstmals Haschisch konsumierte. Zunächst rauchte er ein bis zwei Joints pro Woche. Später steigerte er den Konsum auf ein bis drei Gramm pro Tag. Vor den verfahrensgegenständlichen Taten nahm er täglich bis zu fünf Gramm Haschisch an Werk- und bis zu 15 Gramm an Wochenendtagen zu sich. Im Alter von 14 oder 15 Jahren begann er zudem, Alkohol zu trinken. Erst konsumierte er eine halbe Flasche Whiskey. In den letzten Monaten vor den Taten trank er bis zu einer Flasche hochprozentiger Spirituosen pro Tag. Dadurch verzeichnete er eine deutliche Toleranzentwicklung. Ab dem 15. oder 16. Lebensjahr nahm er außerdem auf Partys bis zu fünf Tabletten Ecstasy zu sich. Andere Betäubungsmittel – etwa Amphetamin – konsumierte er nur vorübergehend. Die Kombination aus Haschisch, Alkohol und Ecstasy steigerte einerseits seine positiven Gefühle und verstärkte andererseits negative Empfindungen wie Gereiztheit und Aggressivität.
10
Trotz des festgestellten Konsumverhaltens hat das Landgericht das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 StGB verneint. Zwar spreche die Dauer und Anzahl der konsumierten Betäubungsmittel für einen Hang. Der Angeklagte pflege aber einen kontrollierten, teilweise kritischen Umgang mit den Rauschmitteln. Er könne den Konsum zielgerichtet steuern und sich von ihm distanzieren, wenn ihm das aus Gründen der Lebensführung notwendig erscheine. So konsumiere er an Werktagen weniger Haschisch als am Wochenende, damit er noch arbeitsfähig bleibe. Außerdem habe er den Konsum von Amphetamin und anderen Betäubungsmitteln aufgegeben, weil er geistige Schäden befürchtete. Der Rauschmittelkonsum stelle daher für ihn keine Handlungsmaxime auf.
11
Diese zur Ablehnung des Hanges im Sinne von § 64 StGB herangezogene Begründung steht bereits in einem unaufgelösten Widerspruch zu den an anderer Stelle des Urteils wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. G. , der ein Abhängigkeitssyndrom des Angeklagten von Alkohol (ICD-10 F 10.21), Cannabinoiden (ICD-10 F 12.21) und Psychostimulantien (ICD-10 F 15.21) diagnostiziert hat. Das Landgericht ist den Ausführungen des Sachverständigen bei der Bewertung der Schuldfähigkeit gefolgt. Zudem hat es bei der Prüfung der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Angeklagte nicht „von seinerim Jugendlichenalter entstandenen Abhängigkeit von Alkohol, Cannabinoiden und Psychostimulantien“ distanziert habe. Mit einem vom Landgericht angenommenen kontrollierten Konsumverhalten des Angeklagten lassen sich diese Ausführungen zu einem fortbestehenden Abhängigkeitssyndrom nicht in Einklang bringen.
12
Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, ob das Landgericht vor diesem Hintergrund zudem dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit eine zu große indizielle Bedeutung beigemessen hat.
13
b) Die Strafkammer ist außerdem von einem zu engen Verständnis des symptomatischen Zusammenhangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen.

14
aa) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt bereits vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – 1 StR 320/17, juris Rn. 42; Beschlüsse vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 11; und vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 f.). Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12; vom 30. September 2003 – 4 StR 382/03; vom 25. Mai 2011 – 4 StR 24/11; und vom 25. Oktober 2011 – 4 StR 416/11).
15
bb) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Taten des Angeklagten nicht auf seinem Rauschmittelkonsum beruhen, sondern ihre „Wurzel in der Persönlichkeitsdisposition“ des Angeklagten fanden. Gleichwohl hat es dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zu Gute gehalten, dass er die Taten im Zustand „alkohol- und betäubungsmittelbedingter Enthemmung“ beging. Es hat mithin eine Mitursächlichkeit der Mischintoxikation für die Tatbegehung angenommen. Dass neben dem Einfluss der Betäubungsmittel und anderen Rauschmitteln weitere Umstände wie die „Persönlichkeitsdisposition“ des Angeklagten, eine „unangemessene Verarbeitung von Negativerlebnissen aus der Jugendzeit“, das „Gefühl der Zurückweisung und gekränkter Ehre“ und das „Wiederaufleben gewaltgeprägter Geschehnisse aus der Vergangenheit“ eine Rolle für die Tatbegehung gespielt haben, schließt den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstaten nicht aus.
16
c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neu verhandelt und entschieden werden.
17
3. Die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG wegen des dort vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung die Aufhebung des an sich rechtsfehlerfrei begründeten Strafausspruchs nach sich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14; vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 314/15, StV 2016, 734; vom 6. Juli 2018 – 1 StR 261/18, StV 2019, 259; vom 8. November 2018 – 1 StR 482/18, NStZ-RR 2019, 74; jeweils mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Feilcke
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War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Ist die Revision verspätet eingelegt oder sind die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 vorgeschriebenen Form angebracht worden, so hat das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Beschwerdeführer kann binnen einer Woche nach Zustellung des Beschlusses auf die Entscheidung des Revisionsgerichts antragen. In diesem Falle sind die Akten an das Revisionsgericht einzusenden; die Vollstreckung des Urteils wird jedoch hierdurch nicht gehemmt. Die Vorschrift des § 35a gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 41/19
vom
23. April 2019
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen Angriffs auf den Seeverkehr
ECLI:DE:BGH:2019:230419B4STR41.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. April 2019 gemäß § 44 Satz 1, § 154a Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 sowie analog § 354 Abs. 1 StPO
beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 22. Oktober 2018 gewährt; damit ist der Beschluss des Landgerichts Zweibrücken vom 4. Januar 2019 gegenstandslos. 2. Auf die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird
a) das Verfahren auf den Vorwurf des Angriffs auf den Seeverkehr beschränkt;
b) der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Angriffs auf den Seeverkehr schuldig ist;
c) der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 78.756 € dahin ergänzt, dass die Einziehung als Gesamtschuldner angeordnet wird. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Angriffs auf den Seeverkehr in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte eine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision eingelegt und die Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist beantragt. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Das Rechtsmittel führt zu einer Beschränkung der Strafverfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO sowie zu der aus dem Tenor ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und der Einziehungsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 1. Februar 2019 zu entsprechen. Damit ist der gemäß § 346 Abs. 1 StPO erfolgte Verwerfungsbeschluss des Landgerichts Zweibrücken vom 4. Januar 2019 gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; vom 11. Januar 2016 – 1 StR 435/15, wistra 2016, 163, 164).
3
2. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat die Strafverfolgung aus prozessökonomischen Gründen auf den Angriff auf den Seeverkehr beschränkt (§ 154a Abs. 2 StPO).
4
a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die somalische Staatsangehörigkeit. Er war Mitglied einer Gruppe von Piraten, die am 10. Mai 2012 den unter griechischer Flagge fahrenden Öltanker MT S. ininternationalen Gewässern mit Sturmgewehren enterten und die philippinischen, rumänischen und indischen Besatzungsmitglieder überwältigten. Die Piraten brachten das Schiff vor die Küste von Somalia und hielten es dort ca. zehn Monate fest. Nachdem die Reederei ein Lösegeld von 13 Millionen US-Dollar gezahlt hatte, gaben sie das Schiff und die Besatzung frei. Der Anführer der Piraten teilte das Lösegeld unter den Tatbeteiligten auf. Der Angeklagte erhielt als Mitglied der Angriffsmannschaft eine Entlohnung von 100.000 US-Dollar (78.756 €). Nach der Tat reiste er nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Er wurde in K. festgenommen.
5
b) Die Verfahrensbeschränkung erfolgt, weil die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf die tateinheitlich verwirklichten Delikte des erpresserischen Menschenraubs und der besonders schweren räuberischen Erpressung zweifelhaft ist und der Verurteilung des Angeklagten insoweit ein Verfahrenshindernis entgegenstehen kann.
6
aa) Der Anwendungsbereich des § 6 Nr. 3 StGB ist nach seinem Wortlaut auf Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr begrenzt. Eine Annexkompetenz lässt sich in der vorliegenden Fallkonstellation für die tateinheitlichen Delikte nicht herleiten, weil die hierfür erforderliche enge tatbestandliche Verknüpfung mit dem Angriff auf den Seeverkehr nicht besteht (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 71; Beschluss vom 17. Mai 1991 – 2 StR 183/90, NJW 1991, 3104; Urteil vom 22. Januar 1986 – 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 2 f.).
7
bb) Die Anwendung des deutschen Strafrechts kann auch nicht auf § 6 Nr. 9 StGB gestützt werden. Die hierfür erforderliche völkerrechtliche Verfolgungspflicht lässt sich weder dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799) noch dem Überein- kommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt vom 10. März 1988 (BGBl. 1990 II S. 496) entnehmen (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 19. Oktober 2012 – 603 KLs 17/10, juris Rn. 817; LKStGB /Werle/Jeßberger, 12. Aufl., Vor §§ 3 ff. Rn. 96; KNP-StGB/Böse, 5. Aufl., § 6 Rn. 18; Kolb/Neumann/Salomon, ZaöRV 2011, 191, 221; Salomon, DRiZ 2012, 307, 310).
8
cc) Zwar ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Bezug auf den Heimatstaat des Angeklagten vorliegen. Abgesehen davon, dass es sich bei Somalia – wie das Landgericht festgestellt hat – um einen sog. „failed state“ handelt, weil das dortige Justizsystem zusammengebrochen ist, ist eine Auslieferung in diesen Staat schon deshalb nicht möglich, weil mit diesem Staat kein Auslieferungsverkehr stattfindet (vgl. RIVAST Anhang II – Länderteil).
9
Ungeklärt ist aber bislang, ob eine Auslieferung des Angeklagten in einen anderen ausländischen Staat, namentlich die Heimatstaaten der geschädigten Besatzungsmitglieder und der Reederei, in Betracht gekommen wäre. Nach dem in der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB enthaltenen Prinzip der „stell- vertretenden Strafrechtspflege“ gilt das deutsche Strafrecht für die Tat eines Ausländers im Ausland dann, wenn der in der Bundesrepublik betroffene Täter andernfalls ohne Strafe bliebe, weil die ausländische Strafrechtspflege nicht wirksam werden kann. Das Prinzip folgt aus dem Interesse daran, dass ein ausländischer Straftäter durch Eintritt in den Staat, der ihn ergreift, aber nicht ausliefert oder ausliefern kann, einer gerechten Verfolgung nicht entgeht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 1985 – 2 StR 368/85, NStZ 1985, 545 mwN). Dieses Prinzip ist lediglich eine subsidiäre Ergänzung der Strafgewalt anderer Staaten (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2001 – 1 StR 171/01, NJW 2001, 3717, 3718 mwN; Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Rn. 818, 824). Die deutsche Strafgewalt soll bei Auslandstaten dann an die Stelle des an sich zur Verfolgung berufenen ausländischen Staates treten, wenn dieser die Tat nicht verfolgen kann oder will (vgl. Scholten, NStZ 1994, 266, 268). Hier ist jedoch bislang ungeklärt, ob der Angeklagte etwa an einen Heimatstaat eines geschädigten Besatzungsmitglieds ausgeliefert werden könnte, der aufgrund des passiven Personalitätsprinzips zur Verfolgung des Täters berufen ist (vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Rn. 813, 818, 824, 828 ff., 840; Schmitz in FS-Grünwald, S. 635; Heine, Die Möglichkeiten und Grenzen der Übernahme von Verfahren im Rahmen der stellvertretenden Strafrechtspflege, S. 98 f.).
10
3. Die Verfahrensbeschränkung hat die aus dem Tenor ersichtliche Änderung des Schuldspruchs zur Folge. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat im verbleibenden Umfang beim Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
11
Der Strafausspruch kann trotz der Schuldspruchänderung bestehen bleiben. Das Landgericht hat der Strafzumessung den Strafrahmen des § 316c StGB zugrunde gelegt. Nicht strafschärfend berücksichtigt hat es, dass der Angeklagte durch die Tat mehrere Straftatbestände verwirklicht hat. Die lange Festhaltedauer der Besatzungsmitglieder und die Zahlung des hohen Lösegeldes durften als verschuldete Auswirkungen der Tat im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB strafschärfende Berücksichtigung finden. Angesichts dieser Umstände kann der Senat sicher ausschließen, dass die Schuldspruchänderung Einfluss auf die Strafe gehabt hätte.
12
4. Allerdings bedarf die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen der Ergänzung um eine gesamtschuldnerische Haftung. Der An- geklagte und der Anführer der Piraten hatten Mitverfügungsgewalt über die 100.000 US-Dollar (78.756 €), die der Angeklagte aus dem vereinnahmten Lösegeld als Entlohnung für die Tat erhielt. Beide haften für diesen Betrag als Gesamtschuldner, was im Urteil ausdrücklich anzuordnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Oktober 2018 – 3 StR 251/18, wistra 2019, 150; Beschluss vom 2. April 2019 – 3 StR 24/19).
13
5. Der geringe Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (vgl. § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Quentin
Feilcke Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 447/16
vom
24. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:240117B3STR447.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 24. Januar 2017 beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 30. Mai 2016 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte. 2. Mit der Wiedereinsetzung ist der Beschluss des Landgerichts Duisburg vom 19. September 2016, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.

Gründe:


1
1. Der mit Schriftsatz vom 27. September 2016 hilfsweise gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist zulässig, insbesondere bedurfte es keines weiteren Vortrags zum Wegfall des Hindernisses oder einer Glaubhaftmachung der Tatsachen, die für die Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags von Bedeutung sind (§ 45 Abs. 2 StPO). Das ergibt sich aus Folgendem :
2
Dem Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt B. , war auf seinen Antrag von dem Vertreter des zuständigen Vorsitzenden Richters am Landgericht eine Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision bis zum 15. September 2016 gewährt worden. Diese Fristverlängerung war indes unbeachtlich, weil die gesetzliche Handlungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängert werden kann; eine gleichwohl gewährte Verlängerung ist wirkungslos (allg. Meinung , vgl. etwa LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl., vor § 42 Rn. 4; LR/Franke , StPO, 26. Aufl., § 345 Rn. 1 mwN; Eb. Schmidt, StPO, Teil II, vor § 42 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 345 Rn. 2). Damit lief die Revisionsbegründungsfrist hier am 8. August 2016 ab, die am 22. August 2016 eingegangene Revisionsbegründung war verspätet.
3
Allerdings begründet die aufgrund eines gerichtlichen Versehens gleichwohl gewährte Fristverlängerung ein für den Angeklagten unverschuldetes Hindernis , die Frist zu wahren (vgl. LR/Graalmann-Scheerer aaO). Dieses dauerte bis zur Verwerfung der Revision durch den Beschluss des Landgerichts vom 19. September 2016 fort; erst durch diesen wurde dem Angeklagten die durch die verspätete Anbringung der Revisionsbegründung verursachte Unzulässigkeit seines Rechtsmittels zur Kenntnis gebracht.
4
Es ergibt sich nichts anderes daraus, dass der Vorsitzende Richter nach Urlaubsrückkehr am 12. August 2016 - also nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - dem Verteidiger mit formlosem Schreiben mitteilte, dass die Revisionsbegründungsfrist nicht verlängert werden könne. Denn in diesem Schreiben verhielt er sich nicht zu der gleichwohl gewährten Fristverlängerung durch seinen Vertreter, die ihm - wiederum versehentlich - unbekannt war. Damit wurde aber der durch das Gericht verursachte Irrtum über den Fristablauf, der hier den Wiedereinsetzungsgrund darstellt, nicht hinreichend ausgeräumt; dazu hätte es vielmehr eines Hinweises auf die Unwirksamkeit der gewährten Fristverlängerung bedurft, gegebenenfalls verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags (vgl. zu Belehrungspflichten in Fällen, in denen der Wiedereinsetzungsgrund aus einem gerichtlichen Fehler resultiert, BVerfG, Beschluss vom 21. März 2005 - 2 BvR 975/03, NStZ-RR 2005, 238, 239 mwN). Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der "Rechtsschein" der unzulässigen Verlängerung durch das an den rechtskundigen Verteidiger gerichtete Schreiben beseitigt wurde und dieser nicht weiter hätte belehrt werden müssen: Denn damit würde dem Angeklagten zu seinen Lasten zugerechnet, dass die Rechtskenntnisse seines Verteidigers nicht besser waren als die des zur Vertretung des Vorsitzenden eingesetzten Richters am Landgericht.
5
Kam es für die Kenntnis des Angeklagten von der Fristversäumnis mithin entscheidend auf den Beschluss des Landgerichts vom 19. September 2016 an, der seinem Verteidiger am 26. September 2016 zugestellt wurde, war sein Wiedereinsetzungsantrag vom Folgetag offenkundig innerhalb der einwöchigen Wiedereinsetzungsfrist aus § 45 Abs. 1 StPO. Die versäumte Handlung ist bereits nachgeholt worden (§ 45 Abs. 2 StPO): Die Revisionsbegründung ging am 22. August 2016 bei Gericht ein und befindet sich bei den Akten.
6
2. Da der Angeklagte nach alledem ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten, war ihm auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO). Dadurch ist der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts Duisburg vom 19. September 2016 gegenstandslos (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2016 - 1 StR 435/15, wistra 2016, 163, 164).
7
3. Nachdem der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 8. November 2016 noch keinen Sachantrag zur Revision des Angeklagten gestellt hat, sind ihm die Akten zur entsprechenden Antragstellung zurückzugeben.
Becker Gericke Tiemann
Berg Hoch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 435/15
vom
11. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
hier: Wiedereinsetzungsgesuch
ECLI:DE:BGH:2016:110116B1STR435.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO am 11. Januar 2016 beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 18. Mai 2015 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. 2. Der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 30. Juli 2015, mit dem es die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen hat, ist gegenstandslos.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt.
2
Gegen dieses Urteil hat er Revision eingelegt und begehrt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Begründung der Revision. Auf seinen Antrag hin war ihm gemäß § 44 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung zu gewähren.
3
1. Dem Wiedereinsetzungsantrag liegt folgendes Geschehen zugrunde:
4
Der Angeklagte hatte durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Revision gegen das Urteil des Landgerichts vom 18. Mai 2015 eingelegt. Dieses wurde dem Verteidiger am 26. Juni 2015 zugestellt. Nachdem bis zum Fristablauf am Montag, den 27. Juli 2015 keine Rechtsmittelbegründung bei dem Landgericht eingegangen war, verwarf dieses die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO mit Beschluss vom 30. Juli 2015.
5
Die Zustellung dieses Beschlusses an den Verteidiger erfolgte am 6. August 2015. Mit Schriftsatz vom selben Tage beantragte dieser für den Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete zugleich die Revision mit der Verletzung materiellen Rechts. In diesem Schriftsatz legte der Verteidiger u.a. dar, dass er am 13. Juli 2015, also noch während des Laufs der Rechtsmittelbegründungsfrist, den Angeklagten darüber unterrichtet hatte, keine Verfahrensbeanstandungen gefunden zu haben und der Bundesgerichtshof nunmehr aufgrund der materiell-rechtlichen Rüge das Urteil überprüfen müsse. Dabei habe er, der Verteidiger, übersehen, entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten und wie es seinem Antrag entsprochen hätte, das Rechtsmittel nicht sogleich mit der Einlegung mit der Verletzung materiellen Rechts begründet zu haben. Sein Fehler sei ihm erst durch die Zustellung des Verwerfungsbeschlusses aufgefallen. Den Angeklagten habe er noch am selben Tage davon unterrichtet. Dieser habe ihn mit dem Wiedereinsetzungsgesuch beauftragt.
6
2. Die Wiedereinsetzung war auf den zulässig erhobenen Antrag (§ 45 StPO) zu gewähren, weil der Angeklagte nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen ohne sein Verschulden (§ 44 Satz 1 StPO) daran gehindert war, die Revision innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO zu begründen.
7
Das Verschulden seines Verteidigers an der Fristversäumnis ist dem Angeklagten nicht zuzurechnen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 44 Rn. 18 mwN). Nachdem der mit der Begründung des Rechtsmittels beauftragte Verteidiger den Angeklagten unterrichtet hatte, der Bundesgerichtshof habe auf die (vermeintlich) bereits erhobene Sachrüge das Urteil in materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, durfte er auf das Vorliegen einer fristgemäß erfolgten Rechtsmittelbegründung durch seinen Verteidiger vertrauen. Zu einer Überwachung seines Verteidigers ist ein Angeklagter grundsätzlich nicht verpflichtet (BGH, Beschluss vom 23. Februar 1989 – 4 StR 67/89, BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 6). Anhaltspunkte dafür, dass er sich auf die weitere ordnungsgemäße Behandlung des Rechtsmittels durch seinen Verteidiger nicht hätte verlassen dürfen, sind nicht ersichtlich.
8
3. Durch die Wiedereinsetzung ist der gemäß § 346 Abs. 1 StPO erfolgte Verwerfungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 30. Juli 2015 gegenstandslos.
Raum Graf Cirener Radtke Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 4 5 / 1 4
vom
16. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. April
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 21. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, ausgenommen die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen; diese bleiben aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und deren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung der Angeklagten auch wegen versuchten Mordes. Das Landgericht habe zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt der Angeklagten vom Versuch eines Tötungsdelikts angenommen (§ 24 Abs. 1 StGB). Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen suchte die alkoholisierte Angeklagte - Blutalkoholkonzentration 2,61 ‰ - den mit ihr bekannten Nebenkläger in dessen Wohnung auf. Neben ihm auf der Couch sitzend rief sie nach kurzer Zeit ohne erkennbaren Anlass in dessen Richtung: "Du Kinderficker", zog ein in der Jackentasche verdeckt mitgeführtes Küchenmesser hervor und stieß es dem überraschten Nebenkläger in Tötungsabsicht so in die linke Halsseite, dass die Gesichtsschlagader durchtrennt wurde. Während sich der Nebenkläger die spritzende Halswunde zuhielt, stach die Angeklagte erneut zu und traf dabei dessen erhobenen linken Arm. Dem Nebenkläger gelang es darauf zunächst, die rechte Hand der Angeklagten, in der diese das Messer hielt, zu ergreifen und festzuhalten. Die Angeklagte nahm das Messer jedoch in ihre freie linke Hand und versetzte dem Nebenkläger einen dritten Stich in die Herzgegend, der aber am Brustbein abprallte. Darauf fiel der Nebenkläger zu Boden und blieb dort liegen. Der Angeklagten rief er zu: "Dann mach mich doch richtig tot!".
3
Aus dieser Äußerung und aus dem Umstand, dass sich der Blutverlust aus der Halswunde infolge des Abdrückens verringerte, schloss die Angeklagte, dass sie den Nebenkläger entgegen ihrer Absicht noch nicht lebensgefährlich verletzt hatte. Sie wollte die Tat nun nicht mehr weiter ausführen, verließ die Wohnung, ohne sich weiter um den am Boden Liegenden zu kümmern, und begab sich zu der in der Nähe wohnenden Zeugin B., der sie erklärte: "Ich wollte das Schwein abschlachten".
4
Der Nebenkläger befand sich infolge des Blutverlusts und einer beginnenden Verlegung der Atemwege durch Einblutungen in das Halsgewebe in akuter Lebensgefahr. Er konnte einen Wohnungsnachbarn auf sich aufmerksam machen und wurde durch eine Notoperation gerettet.

5
2. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte sei mit strafbefreiender Wirkung vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 StGB), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
a) Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt führt, dann vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist. Ein Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen nicht nur dann anzunehmen , wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält, sondern auch dann, wenn er sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht, weil ihm ein Tod des Opfers gleichgültig ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; vom 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14, NStZ 2014, 507, 509).
7
b) Danach entbehrt bereits die Feststellung des Landgerichts, die Angeklagte sei beim Verlassen der Wohnung davon ausgegangen, sie habe den Nebenkläger entgegen ihrer ursprünglichen Absicht noch nicht lebensgefährlich verletzt, einer dies tragenden lückenlosen und widerspruchsfreien Würdigung der Beweise. Das Landgericht hat auch festgestellt, dass die Angeklagte den in der Wohnung der Zeugin B. anwesenden Zeugen M. jedenfalls nach dessen polizeilicher Aussage aufforderte, er solle zum Nebenkläger gehen um zu sehen , ob sie diesem "den Hals durchgeschnitten" habe. Soweit es hieraus bei der Würdigung der Beweise "allenfalls" den Schluss ziehen will, dass "die Angeklagte im Unklaren darüber war, welche Folgen ihre Stiche für den Nebenkläger gehabt hatten", steht dies gerade im Widerspruch zur Annahme eines inneren Vorstellungsbilds der Angeklagten, noch nicht alles getan zu haben, was zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist.
8
c) Hinzu kommt, dass das Landgericht bei der Prüfung, ob der angenommene Versuch eines Tötungsdelikts im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB beendet war, unzureichende rechtliche Maßstäbe angelegt hat; auch deshalb hat es die Beweise nur lückenhaft gewürdigt und ist so zu unvollständigen Feststellungen gelangt.
9
Das Landgericht hat nur geprüft, ob die Angeklagte den Tod des Nebenklägers für möglich hielt. Dem Landgericht ist deshalb aus dem Blick geraten, dass wesentliche im Urteil festgestellte Beweisanzeichen auch dafür sprechen können, dass sich die Angeklagte, als sie die Wohnung verließ, keine Vorstellungen über die Folgen ihres Handelns machte, weil ihr das weitere Schicksal des Nebenklägers gleichgültig blieb. Dies gilt nicht nur für die oben beschriebene Aufforderung an den Zeugen M.. So bezeichnete die Angeklagte den Nebenkläger gegenüber der Zeugin B. auch unmittelbar nach der Tat als "Schwein"; auf deren Nachfrage, ob mit dem Nebenkläger etwas Schlimmes passiert sei, antwortete sie: "Ich weiß es nicht". Ein weiteres Indiz hierfür kann sich aus der bei der Prüfung des Rücktrittshorizonts insgesamt außer Acht gelassenen erheblichen Alkoholisierung der Angeklagten zur Tatzeit ergeben.
10
3. Die Feststellungen zum objektiven Tathergang werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
11
4. Soweit das Landgericht die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hat (§ 64 StGB), weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat ebenso wie die Annahme der Gefahr neuer erheblicher rechtswidriger Taten einer dies tragenden Beweiswürdigung bedarf.
Becker RiBGH Hubert befindet sich Schäfer im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 171/17
vom
7. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:070218U2STR171.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Zeng, Dr. Grube, Schmidt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a.d. Lahn vom 27. Dezember 2016 wird verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat ihr die Fahrerlaubnis entzogen, ihren Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihr vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde anlässlich von Erdarbeiten im Frühjahr 2015 bekannt, dass der tatsächliche Grenzverlauf zwischen dem Grundstück der Angeklagten und dem benachbarten Grundstück der Zeugin S. nicht den katasterrechtlichen Vorgaben entsprach. Die Pflasterung auf dem Grundstück der Angeklagten überschritt den katastermäßigen Grenzverlauf um etwa 30 cm in Richtung des Grundstücks von S. . Nachdem das Amt für Bodenmanagement der zuständigen Gemeinde den Überbau bestätigt hatte, forderte S. , die mit der Angeklagten seit mehreren Jahren in Streitigkeiten lebte, den Rückbau, setzte Fristen und kündigte an, den Überbau selbst zu beseitigen. Im Gegenzug verbat sich die Angeklagte ein Betreten ihres Grundstücks. Ende April 2016 beauftragte S. den Nebenkläger , den Rückbau vorzunehmen. Der Nebenkläger führte die Arbeiten am Tattag aus, wobei er teilweise mit einem Teil der Gummikette eines Minibaggers die Pflasterfläche des Grundstücks der Angeklagten befuhr. Als der Nebenkläger den Minibagger wieder auf den Anhänger seines Fahrzeugs verladen hatte, bog die Angeklagte, die zuvor von ihren beiden Söhnen telefonisch über die Rückbauarbeiten informiert worden war, mit ihrem Fahrzeug in die von ihr bewohnte Straße ein.
3
Der Nebenkläger bemerkte das Fahrzeug der Angeklagten und trat einen Schritt auf den gepflasterten Weg zur Haustür des von der Angeklagten bewohnten Hauses, um dieser die problemlose Durchfahrt auf der an dieser Stelle durch parkende Fahrzeuge verengten Straße zu ermöglichen. Die Angeklagte entschloss sich in diesem Moment aus Wut über den Rückbau, den Nebenkläger mit ihrem Fahrzeug anzufahren. Sie steuerte zielgerichtet mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h auf den Nebenkläger zu, wobei sie davon ausging, dass sie diesen erheblich verletzen werde. Gleichzeitig nahm sie billigend in Kauf, dass diese Verletzungen tödlich sein könnten. Sein Ableben war ihr gleichgültig. Ferner erkannte sie, dass der Nebenkläger davon ausging, dass sie mit ihrem Fahrzeug dem Straßenverlauf folgen werde und dieser nicht damit rechnete, dass sie ihn anfahren wolle. Diesen Umstand wollte sie ausnutzen.
4
Als die Angeklagte noch circa acht bis neun Meter vom Nebenkläger entfernt war, erkannte dieser, dass die Angeklagte das Fahrzeug auf ihn lenkte. Er wich einen Schritt nach rechts aus, so dass er von dem Fahrzeug allenfalls gestreift und aus dem Gleichgewicht gebracht wurde.
5
Die Angeklagte, die bei dem Fahrmanöver gegen einen an der Grundstücksgrenze stehenden Baum geprallt war, wollte ihr Ziel, den Nebenkläger anzufahren, wobei sie dessen tödliche Verletzungen jedenfalls in Kauf nahm, weiterverfolgen. Sie setzte ihr Fahrzeug bis auf die Straße zurück, legte den Vorwärtsgang ein und fuhr erneut zielgerichtet auf den Nebenkläger zu. Dieser versuchte nochmals auszuweichen. Die Angeklagte folgte der Ausweichbewegung und nahm den Nebenkläger auf der Motorhaube auf. Mit dem Nebenkläger auf der Motorhaube fuhr sie über die Pflasterfläche vor ihrem Haus und sodann einen hinter der Pflasterfläche liegenden Abhang hinunter. Am Fuße des Abhangs rutschte der Nebenkläger von der Motorhaube und gelangte unterhalb des Fahrzeugs vor den linken Radkasten. Das Fahrzeug schob den Nebenkläger vor sich her, wobei der Nebenkläger im linken Radkasten eingeklemmt wurde. Es entstand eine sechs Meter lange tiefe Schürfspur. Durch den in die Wiese eintretenden Körper des Nebenklägers wurde das mit einem Automatikgetriebe ausgestattete Fahrzeug der Angeklagten schließlich bis zum Stillstand abgebremst, ohne dass die Angeklagte die Bremse betätigt hatte. Die Angeklagte wusste nicht, ob der Nebenkläger verstorben oder gegebenenfalls tödlich verletzt war. Sie machte sich insoweit keine Vorstellungen.
6
Noch bevor sie aussteigen konnte, stand der ebenfalls an den Rückbauarbeiten beteiligte Zeuge M. neben ihrem Fahrzeug und beschimpfte sie als „Mörderin“. In diesem Moment kam der ältere Sohn der Angeklagten mit zwei Beilen in der Hand aus dem Haus und lief auf M. zu. Es kam zu einem Gerangel, in dessen Folge M. durch ein Beil am Hals verletzt wurde. Währenddessen war auch die Angeklagte ausgestiegen. Sie trat an ihren Sohn heran und bat ihn, die Beile loszulassen und ins Haus zu gehen. Inzwischen war auch der jüngere Sohn der Angeklagten aus dem Haus gekommen und hatte auf Aufforderung von M. das Fahrzeug zwei Meter nach hinten gefahren. M. erkannte die erheblichen Verletzungen des Nebenklägers, wählte den Notruf und meldete den Vorfall. Sodann wandte er sich wieder dem Nebenkläger zu.
7
Der Nebenkläger hatte einen siebenfachen Beckentrümmerbruch, eine Fraktur des oberen Schambeinastes, zahlreiche Prellungen, Hautrötungen, teilweise Hautablösungen sowie eine Verstauchung des Handgelenks erlitten. Durch einen glücklichen Zufall war es zu keiner Verletzung von inneren Blutgefäßen gekommen, so dass die Verletzungen nicht tödlich waren.
8
In diesem Moment näherte sich auch die Angeklagte dem Nebenkläger. M. verhinderte die Annäherung, weil er befürchtete, die Angeklagte könne dem Nebenkläger weiter schaden. Er schrie die Angeklagte an, sie solle sich entfernen, und trat zwischen die Angeklagte und den Nebenkläger. Es kam zu einer körperlichen Berührung, möglicherweise einem Schubsen. Nunmehr kam der Zeuge B. hinzu. Aufgrund der Schreierei waren auch die beiden Söhne der Angeklagten wieder aus dem Haus gekommen. Der ältere Sohn trug eine Axt, der jüngere Sohn einen Baseballschläger. Auf Aufforderung der Angeklagten kehrten beide ins Haus zurück. B. bot derweil an, einen Krankenwagen zu rufen und erhielt von M. die Antwort, ein Krankenwagen sei bereits unterwegs.
9
Der Angeklagten wurde nunmehr bewusst, welche Konsequenzen ihr Handeln haben könne. Sie erklärte, sie habe den Nebenkläger aus Versehen angefahren. Sie entschloss sich schließlich, ins Haus zu gehen. M. versorgte den Nebenkläger mit einer Decke, rief erneut bei der Notrufzentrale an und wiederholte seine Bitte um Übersendung eines Rettungswagens bzw. Notarztes. Im Haus tätigte die Angeklagte von ihrem Festnetz drei Anrufe, wobei die Reihenfolge nicht festgestellt werden konnte. Sie rief die Erzieherin ihres jüngsten Sohnes, ihren Rechtsanwalt sowie die Notrufzentrale an. Dieser teilte sie mit, es sei schon ein Notruf abgesetzt worden, sie wolle gleichwohl sichergehen und nochmals mitteilen, dass ein Mann angefahren worden sei und ein Rettungswagen und Notarzt erforderlich seien. Ihr war bekannt, dass M. bereits mit der Leitstelle gesprochen und ein Rettungswagen bzw. Notarzt angefordert waren. Während die Angeklagte im Haus war, trafen Rettungswagen und Notarzt ein.

II.


10
Die Revision der Angeklagten ist unbegründet.
11
1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ist rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf allein die Frage eines strafbefreienden Rücktritts. Das Landgericht ist von einem beendeten Versuch ausgegangen und hat einen strafbefreienden Rücktritt der Angeklagten mangels ernsthaften Bemühens um die Erfolgsabwendung verneint. Dies hält rechtlicher Prüfung stand.
12
a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Tötungsversuch beendet war.
13
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Macht der Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellung über die Folgen seines Tuns oder ist ihm der Erfolg gleichgültig, ist ein beendeter Versuch anzunehmen (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306; BGH, Urteil vom 16. April 2015 – 3 StR 645/14, NStZ 2015, 509 mwN).
14
bb) Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht zutreffend einen beendeten Versuch angenommen. Denn nach den rechtsfehlerfreienFeststellungen wusste die Angeklagte, nachdem ihr Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, nicht, ob der unter das Fahrzeug geratene Nebenkläger verstorben oder gegebenenfalls tödlich verletzt war. Sie hatte bemerkt, dass der Nebenkläger von der Motorhaube gerutscht und über eine Strecke von mehreren Metern unter ihr rund 1600 Kilogramm schweres Fahrzeug geraten war. Ob der Nebenkläger verstorben oder jedenfalls tödlich verletzt war, war ihr in diesem Moment gleichgültig.
15
cc) Entgegen der Ansicht der Revision war die Strafkammer auch nicht gehalten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Angeklagte möglicherweise nach dem Verlassen des Fahrzeugs von ihrem Tötungsvorsatz Abstand genommen hat. Denn eine in engen Grenzen mögliche Korrektur ihres Rücktrittshorizontes (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226) scheitert bereits daran, dass der Angeklagten zu diesem Zeitpunkt auch nach ihrer Vorstellung die weitere Tatvollendung (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1 StR 254/04, NStZ 2005, 151) nicht mehr möglich war. Der Nebenkläger war nämlich durch M. hinreichend geschützt. Für die Angeklagte war damit die maßgebliche Zeitspanne, ob aus ihrer Sicht ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorlag, abgelaufen (vgl. Senat, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 176; Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, aaO).
16
b) Die weitere Annahme des Landgerichts, ein strafbefreiender Rücktritt der Angeklagten scheitere an ihrem fehlenden ernsthaften Bemühen, den Erfolgseintritt zu verhindern, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
17
aa) Bleibt – wie hier – der Erfolg ohne Zutun des Täters aus, kommt ein strafbefreiender Rücktritt nur in Betracht, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Danach ist für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch erforderlich,dass der Täter das Rettungsmittel einsetzt, das er selbst für am besten geeignet hält, um die Tatvollendung zu verhindern (Senat, Beschluss vom 4. August 2011 – 2 StR 219/11, NStZ 2012, 28, 29; BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 – 3 StR 78/10, NStZ-RR 2010, 276, 277). Er muss nach seiner Vorstellung eine neue Kausalkette in Gang setzen, die für die Nichtvollendung zumindest mitursächlich wird (BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 – 3 StR 78/10, NStZ-RR 2010, 276, 277; Urteil vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07, NStZ 2008, 508, 509; Urteil vom 22. August 1985 – 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 301). Der Täter muss alles, was in seiner Kraft steht und was nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, unternehmen. Stehen Menschenleben auf dem Spiel, sind hohe Anforderungen zu stellen. In diesem Fall muss sich der Täter um die bestmögliche Maßnahme für die Erfolgsabwendung bemühen (Senat, Beschluss vom 4. August 2011 – 2 StR 219/11, aaO; BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 – 3 StR 78/10, aaO; Urteil vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07, aaO; Beschluss vom 3. Februar 1999 – 5 StR 645/98, NStZ-RR 2000, 41, 42; Beschluss vom 22. August 1985 – 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 301 f.).
18
bb) Nach diesen Maßstäben scheitert ein strafbefreiender Rücktritt der Angeklagten unter mehreren Gesichtspunkten.
19
(1) Obwohl nach der Vorstellung der Angeklagten ein Menschenleben auf dem Spiel stand, hat sie nicht die bestmögliche Rettungsmöglichkeit ergriffen. Denn dies wäre jedenfalls ein ihr möglicher zeitnaher Notruf gewesen, wie ihn der Zeuge M. getätigt und der Zeuge B. angeboten hat. Dies gilt umso mehr, als der Nebenkläger offensichtlich schwer verletzt worden war. Die Angeklagte hat ihre Bemühungen jedoch auf einen nachträglichen und nochmaligen Anruf bei der Notrufzentrale beschränkt, ohne ihrerseits nach dem Nebenkläger zu sehen oder sich zu vergewissern, dass dem Nebenkläger die notwendigen Sofortmaßnahmen durch den Zeugen M. zu Teil wurden. Stattdessen ist sie bis zum Eintreffen des Notarztes im Haus verblieben.
20
(2) Der Notruf der Angeklagten setzte nach ihrem Vorstellungsbild auch keine neue Kausalkette zur Rettung des Nebenklägers in Gang. Denn sie wusste , dass der Zeuge M. bereits die Notrufzentrale verständigt hatte. Sie wollte lediglich sichergehen, dass ärztliche Hilfe unterwegs ist. Die Urteilsfeststellungen bieten demgegenüber keinen Ansatz für die Annahme, dass die Angeklagte die Vorstellung gehabt haben könnte, die Rettungschancen des Nebenklägers durch ihren Anruf zu steigern.
21
2. Der Strafausspruch sowie die angeordnete Maßregel weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aus.
Schäfer Krehl Zeng
Grube Schmidt

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 80/19
vom
18. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:180719U4STR80.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2019, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke, als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 18. September 2018 im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz verbotener tragbarer Gegenstände, einer halbautomatischen Schusswaffe, von Schusswaffen, einer vollautomatischen Schusswaffe sowie von Patronenmunition, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln, wegen ungenehmigten Erwerbs der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Schusswaffe, einer vollautomatischen Schusswaffe, einer Schusswaffe, eines wesentlichen Teils einer Schusswaffe, eines Schalldämpfers, verbotener tragbarer Gegenstände sowie von Patronenmunition und in Tateinheit mit Verschaffen von Falschgeld sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in acht Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre und neun Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind.
2
Mit ihrer auf diesen Beschwerdepunkt beschränkten Revision, die auf zwei Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützt ist und vom Generalbundesanwalt vertreten wird, wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.
3
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Einer Erörterung der Verfahrensbeschwerden bedarf es daher nicht.

I.


4
1. Nach den Feststellungen mietete der Angeklagte ab Ende 2016 unter Verwendung falscher Personalien eine Vielzahl von Wohnungen an, um dort zur Befriedigung seines Eigenkonsums und zur gewinnbringenden Veräußerung Cannabis anzubauen, bereits abgeerntete Cannabispflanzen zu lagern und deren Verkauf abzuwickeln. Anfang des Jahres 2018 erwarb der Angeklagte zudem unter anderem eine Reihe von Waffen nebst Munition sowie mehrere falsche 20 und 50 Euro-Scheine in der Absicht, diese als echt in Verkehr zu bringen.
5
Bei polizeilichen Durchsuchungen am 27. Februar 2018 wurden in zwei Wohnungen jeweils professionell eingerichtete Cannabisplantagen vorgefunden. Während in einer Wohnung teils gelagert, teils noch nicht abgeerntet 13,8 Kilogramm Cannabis mit einem THC-Gehalt von mindestens 1.169 Gramm vorhanden waren, war in der zweiten Wohnung mit dem Anbau noch nicht begonnen worden. Die für die Pflanzung erforderlichen Cannabispflanzen, die der Angeklagte bei einem Lieferanten in Österreich bestellt hatte, waren ihm per Post von W. nach Deutschland zugeschickt worden, konnten vom Angeklagten aber infolge seiner Festnahme nicht mehr entgegengenommen werden. In einer weiteren Wohnung lagerten gut 3,4 Kilogramm Cannabis mit einem Wirkstoffanteil von 423,22 Gramm THC. Der Angeklagte verwahrte ferner in einer von ihm ebenfalls unter Aliaspersonalien angemieteten Garage insgesamt 601,29 Gramm zum Verkauf bestimmten Cannabis mit einem THC-Gehalt von 76,9 Gramm, ein Butterflymesser sowie ein doppelseitig angeschliffenes Springmesser, die beide jeweils zur Absicherung seiner Drogengeschäfte dienten , und mehrere Schusswaffen nebst Munition, darunter eine funktionsfähige Maschinenpistole. In einer weiteren angemieteten Garage fanden sich verschiedene Waffen, Waffenteile und Munition, unter anderem drei Schusswaffen, zwei Handgranaten sowie jeweils zwei weitere Handgranatenkörper und Originalzünder von Handgranaten. Des Weiteren wurde bei den Durchsuchungen an unterschiedlichen Stellen das vom Angeklagten Anfang des Jahres 2018 erworbene Falschgeld – 22 unechte 50 Euro- und neun unechte 20 Euro-Noten – aufgefunden. Schließlich befuhr der Angeklagte im Zeitraum vom 27. September 2017 bis 22. Januar 2018 in acht Fällen mit verschiedenen Kraftfahrzeugen öffentliche Straßen, obwohl er – wie er wusste – nicht im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war.
6
Der Angeklagte, der im Alter von 14 Jahren mit dem Marihuanakonsum begonnen hatte, rauchte etwa ab dem 17. Lebensjahr regelmäßig bis zu 3 Gramm Marihuana pro Tag. Ende Dezember 2015 verringerte er nach der Geburt seines Sohnes den Konsum und nahm in der Folgezeit täglich ca. 1 bis 1,5 Gramm Marihuana zu sich. Bei dieser Menge verspürte er regelmäßig einen vermehrten Suchtdruck. Nach seiner Inhaftierung litt er infolge der Abstinenz zunächst an Schlaflosigkeit und Gereiztheit.
7
2. Die Strafkammer ist – sachverständig beraten – auf der Grundlage der als glaubhaft erachteten Angaben des Angeklagten zu seinem Konsumverhalten von einer Cannabisabhängigkeit des Angeklagten (ICD-10: F12.2) ausgegangen und hat einen Hang zum übermäßigen Cannabiskonsum im Sinne des § 64 StGB bejaht. Weil nach Auffassung des Landgerichts auch die anderen Unterbringungsvoraussetzungen vorliegen, hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter teilweisem Vorwegvollzug der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Maßregelanordnung nach § 64 StGB beschränkt.
9
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsmittelangriff wegen der sich aus der Zweispurigkeit des strafrechtlichen Rechtsfolgensystems ergebenden prinzipiellen Unabhängigkeit von Strafe und Maßregel innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs grundsätzlich auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB beschränkt werden , sofern nicht im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92; BGHSt 38, 362). Für den Ausnahmefall eines vom Tatrichter im konkreten Fall hergestellten inneren Zusammenhangs zwischen Maßregelan- ordnung und anderen Entscheidungsteilen bieten die Gründe des angefochtenen Urteils indes keinen Anhalt.

III.


10
Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB. Denn die Strafkammer hat die Annahme eines Hangs des Angeklagten, Cannabis im Übermaß zu konsumieren, im Rahmen der Beweiswürdigung nicht tragfähig begründet.
11
1. Für einen Hang gemäß § 64 StGB ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung , immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113; vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12, RuP 2013, 34 f.). Letzteres ist der Fall bei der Begehung von zur Befriedigung des eigenen Drogenkonsums dienenden Beschaffungstaten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. September 2018 – 4 StR 276/18, StV 2019, 261; vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15 Rn. 5; Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15 aaO; vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12 aaO; vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271). Ebenso wenig ist für einen Hang erforderlich, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2016 – 4 StR 408/16 Rn. 6; vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15 aaO; vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8).
12
2. Die Strafkammer ist zwar im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen , dass die Feststellung einer zu Beschaffungsdelikten führenden psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB trägt, ohne dass es auf den Grad oder die Ausprägung der Abhängigkeit im Einzelnen näher ankommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. September 2013 – 1 StR 456/13 Rn. 7; vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1; Urteil vom 31. Oktober 2001 – 2 StR 296/01, NStZ 2002, 142; van Gemmeren in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 64 Rn. 23; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 45). Die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts, die der Annahme einer Cannabisabhängigkeit des Angeklagten zugrunde liegen, halten aber unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f.; Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 337 Rn. 26 ff. mwN) einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie erweisen sich als lückenhaft.
13
Das Landgericht hat sich den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, die auf der Grundlage der Angaben des Angeklagten zu seinem Konsumverhalten eine Cannabisabhängigkeit nach ICD10: F12.2 festgestellt hat. Der gutachterlichen Bewertung liegt unter anderem die Schilderung des Angeklagten zugrunde, Cannabis regelmäßig in täglichen Mengen von ca. 1 bis 1,5 Gramm konsumiert zu haben. Diese Konsumangaben des Angeklagten hat die Strafkammer trotz der Ergebnisse der chemischtoxikologischen Untersuchung einer dem Angeklagten abgenommenen Haarprobe als glaubhaft erachtet. Ausweislich der in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Gutachten hat die chemisch-toxikologische Untersuchung der 6,5 cm langen Haarprobe des Angeklagten für den Zeitraum von sechs bis sieben Monaten vor der Probenentnahme lediglich eine vergleichsweise niedrige THC-Konzentration von 0,02 ng/mg ergeben. Die Abbauprodukte Hydroxy-THC und THC-Carbonsäure hätten nicht nachgewiesen werden können. Durch diesen Befund werde zwar der häufige Kontakt mit Haschisch oder Marihuana, nicht aber ein aktiver Konsum von Cannabis mit der erforderlichen Sicherheit belegt. Zur rechtsmedizinischen Bewertung des Ergebnisses der chemischtoxikologischen Untersuchung hat die hierzu gehörte Sachverständige dargelegt , dass bei einem regelmäßigen Cannabiskonsum in dem vom Angeklagten behaupteten Umfang in seinen Haaren eine höhere THC-Konzentration als tatsächlich ermittelt hätte festgestellt werden müssen.
14
Diese gutachterliche Einschätzung der rechtsmedizinischen Sachverständigen steht, was den Cannabiskonsum des Angeklagten in den Monaten vor der Abnahme der Haarprobe betrifft, den Konsumangaben des Angeklagten diametral entgegen und ist mit deren Bewertung als glaubhaft nicht in Einklang zu bringen. Die Strafkammer hat die Unvereinbarkeit der mitgeteilten Beweisergebnisse in ihren weiteren Ausführungen zur Beweiswürdigung nicht nachvollziehbar ausgeräumt. Soweit sie in diesem Zusammenhang Erwägungen zu dem indiziell für einen längerfristigen Drogenkonsum sprechenden persönlichen Werdegang des Angeklagten anstellt, sind diese schon denkgesetzlich nicht geeignet, den Gegensatz zwischen den widersprechenden Beweisergebnissen zum Umfang des Cannabiskonsums des Angeklagten in den Monaten vor seiner Festnahme auszuräumen.
15
3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB sowie die hieran anknüpfende Entscheidung über den teilweisen Vorwegvollzug der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe haben daher keinen Bestand.
Quentin Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 311/12
vom
21. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. August 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten L. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 10. April 2012, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in 30 Fällen, wobei es in acht Fällen beim Versuch blieb, sowie wegen Diebstahls, Computerbetrugs und versuchter Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg , als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
3
1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte ab dem 13. Lebensjahr Cannabis und steigerte seinen Konsum bis zu einem täglichen Bedarf von 2 Gramm im Alter von 14 Jahren. Ab dem 16. Lebensjahr kamen am Wochenende ca. 2 Gramm Amphetamin hinzu, wobei er die jeweilige Dosis nasal zu sich nahm. Den aus Anlass seiner ersten Inhaftierung im Jahre 2006 unterbrochenen Amphetaminkonsum setzte er unmittelbar nach der Haftentlassung wieder fort. Nach weiteren Verurteilungen sowie einer nachträglich gebildeten Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren trat der Angeklagte am 22. Juni 2007, nachdem die Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt worden war, eine Drogentherapie im Rahmen des § 35 BtMG an. Nach Bewährungswiderruf befand er sich von November 2008 bis Dezember 2009 in Strafhaft. Ab Beginn des Jahres 2010 schnupfte und rauchte der Angeklagte auch Kokain, wobei eine Menge von 1 Gramm für zwei bis drei Tage ausreichte. Daneben konsumierte er Kokain zusammen mit den MitangeklagtenS. und O. sowie dem ehemaligen Mitangeklagten R. . Nach erneuter Inhaftierung im Jahre 2010 wurde der Angeklagte am 7. September 2010 zur Durchführung einer weiteren Drogentherapie nach § 35 BtMG aus der Haft entlassen. Bereits eine Woche später brach er die Therapie jedoch ab und kaufte sich von dem Übergangsgeld der JVA Marihuana, um Joints zu rauchen (UA S. 9 RS).
4
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verneint, da weder eine psychische Abhängigkeit, gravierende Entzugserscheinungen, eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten oder eine Drogendepravation noch eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit sowie der Arbeit- oder Leistungsfähigkeit vorlägen. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten und einer „womöglich vorgelegenen Cannabisabhängigkeit“ sei ebenfalls nicht ersichtlich.
5
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne von § 64 StGB sowie des erforderlichen symptomatischen Zusammenhangs zwischen den abgeurteilten Taten und dem Hang ausgegangen ist.
6
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr., vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8, und vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198, 199; BGH, Beschluss vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (Senatsbeschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmit- telkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (Senatsbeschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198). Für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB kommt es auch nicht darauf an, dass der Angeklagte die Taten im Zustand zumindest verminderter Schuldfähigkeit begangen hat (Senatsbeschluss vom 30. September 2003 – 4 StR 382/03, NStZ-RR 2004, 78, 79).
7
Danach drängt sich hier das Vorliegen eines Hanges schon angesichts des festgestellten Konsumverhaltens des Angeklagten und der beiden (abgebrochenen ) Drogentherapien aus den Jahren 2007 und 2010 auf. Demgegenüber hat das Landgericht seine Auffassung, dass eine psychische Abhängigkeit zu verneinen sei, nicht näher begründet. Es hat außerdem davon abgesehen, den Inhalt der Ausführungen des Sachverständigen hierzu mitzuteilen.
8
b) Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des Angeklagten liegt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – ausgesprochen nahe. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. September 2003 – 4 StR 382/03, NStZ-RR 2004, 78, vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309, und vom 25. Oktober 2011 – 4 StR 416/11). So liegt es hier. Denn der berufs- und arbeitslose Angeklagte hat seinen beträchtlichen Drogenkonsum ganz überwiegend durch die gewerbsmäßige Begehung von Einbruchsdiebstählen finanziert (UA S. 12 RS). Damit liegt nahe, dass der Drogenkonsum des Angeklagten die abgeurteilten Taten mit ausgelöst hat.
9
c) Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregel jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB). Der Angeklagte ist noch vergleichsweise jung. Die in den Jahren 2007 und 2010 (abgebrochenen) Therapieversuche stehen § 64 StGB nicht zwingend entgegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Januar 1997 – 4 StR 628/96, und vom 10. April 1997 – 4 StR 130/97, beide bei Detter, NStZ 1997, 476, 480).
10
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB zu beachten haben.
11
3. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
12
4. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
13
5. Eine Erstreckung der Entscheidung (§ 357 StPO) auf die nicht Revision führenden Mitangeklagten kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 173/12; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 357 Rn. 15 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 166/18
vom
17. Mai 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßiger Geldfälschung
ECLI:DE:BGH:2018:170518B3STR166.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 17. Mai 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 6. Dezember 2017, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) soweit eine Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen wendet er sich mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechts- mittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen stellte der Angeklagte im Zeitraum von Ende 2016 bis zum 7. Juni 2017 mehr als 1.440 Falsifikate von 50-€-Scheinen her, um sie über das "Darknet" an bösgläubige Abnehmer zu verkaufen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ihm kam es darauf an, den Abnehmern ein Inverkehrbringen des Falschgeldes als echt zu ermöglichen. Tatsächlich veräußerte er in jedenfalls fünf Fällen für insgesamt rund 500 € mindestens 122 gefälschte Scheine.
3
2. Die aufgrund der allgemeinen Sachbeschwerde gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
3. Der Strafausspruch hat hingegen keinen Bestand.
5
Die Strafkammer hat im Rahmen der Strafrahmenwahl und der konkreten Strafbemessung jeweils zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, die "Qualität" der von ihm erstellten Falsifikate sei "jedenfalls so gut" gewesen, dass diese "zur Täuschung im alltäglichen Barverkehr geeignet" gewesen seien (UA S. 33). Das begegnet im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Falsches, mithin nachgemachtes oder verfälschtes Geld im Sinne des § 146 Abs. 1 StGB liegt dann vor, wenn es den Anschein gültigen Geldes erweckt, also seiner Beschaffenheit nach geeignet ist, einen arglosen Empfänger im gewöhnlichen Zahlungsverkehr zu täuschen, selbst wenn der Täter dafür im Einzelfall auf günstige äußere Umstände (schlechte Beleuchtung, hektische Situation usw.) angewiesen sein sollte (vgl. BGH, Urteile vom 17. März 1970 - 1 StR 491/69, BGHSt 23, 229, 231; vom 8. Juni 1994 - 3 StR 280/93, juris Rn. 10; vom 7. Februar 1995 - 1 StR 681/94, NJW 1995, 1844 f.; Beschluss vom 28. Januar 2003 - 3 StR 472/02, NStZ 2003, 368, 369; MüKoStGB/Erb, 3. Aufl., § 146 Rn. 17).
6
Die Ausführungen zur Strafzumessung lassen daher besorgen, dass die Strafkammer insoweit die Tatbestandsverwirklichung zuungunsten des Angeklagten gewichtet hat.
7
4. Auch die Entscheidung, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, erweist sich als rechtsfehlerhaft.
8
a) Die sachverständig beratene Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte spätestens seit Ende 2016 amphetaminabhängig (ICD-10 F15.2) ist, wobei es jedenfalls seit Februar 2017 zu akuten Intoxikationszuständen (ICD-10 F15.0) kam. Nachdem sich der Angeklagte zweimal von Sozialleistungen 80 bis 100 Gramm Amphetamin beschafft hatte, konsumierte er dieses wiederholt über zwei bis drei Tage hinweg, bis sich leichte Halluzinationen einstellten. Er hielt sich mit dem Rauschgift über mindestens 48 Stunden wach, schlief dann am Schreibtisch ein und setzte den Konsum nach dem Aufwachen fort. Körperpflege, Tagesstruktur, Haushaltsführung sowie soziale Kontakte hielt er aufrecht. Nach seiner Inhaftierung in dieser Sache zeigten sich Entzugserscheinungen in Form von Kopfschmerzen, einem Pfeifen in den Ohren und Schlafstörungen.
9
Ihre Entscheidung, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht anzuordnen, hat die Strafkammer damit begründet, dass er nicht den Hang habe, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und zwischen der abgeurteilten Tat und dem Amphetaminkonsum kein symptomatischer Zusammenhang bestehe. Der Angeklagte sei "aufgrund seiner Abhängigkeit nicht sozial gefährdet oder gefährlich" gewesen. "Es lägen keine Anhaltspunkte für eine körperliche oder psychi- sche Verwahrlosung … vor". Ebenso fehlten "Anzeichen für eine Persön- lichkeitsstörung oder gar für eine (schwere) Persönlichkeitsdepravation" (UA S. 39). Selbst wenn ein Hang bestünde, habe die abgeurteilte Tat hierfür keinen Symptomcharakter. Sie stehe in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Amphetaminabhängigkeit. Es handele sich nicht um einen Fall indirekter Beschaffungskriminalität. Der Amphetaminkonsum habe es dem Angeklagten lediglich ermöglicht, seine Leistungsfähigkeit zur Organisation der Geschäfte im Internet länger aufrechtzuerhalten (vgl. UA S. 39 f.).
10
b) Diese Darlegungen stoßen auf durchgreifende rechtliche Bedenken.
11
aa) Soweit die Strafkammer einen Hang des Angeklagten verneint hat, wird schon nicht hinreichend deutlich, ob sie zutreffende rechtliche Maßstäbe angelegt hat. Darüber hinaus hat sie eine betäubungsmittelbedingte soziale Gefährlichkeit mit nicht tragfähiger Begründung abgelehnt; die diesbezüglichen Erwägungen lassen sich nicht ohne weiteres mit den Ausführungen zur Strafzumessung vereinbaren.
12
Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210; vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10; Beschlüsse vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 415/15, juris Rn. 7; vom 12. Januar 2017 - 1 StR 587/16, juris Rn. 9). Wenngleich erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs haben und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hangs aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199; vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15, juris Rn. 6; vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216; vom 12. April 2012 - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271). Er setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 2009 - 5 StR 586/08, NStZ-RR 2009, 137; vom 20. Februar 2018 - 3 StR 645/17, juris Rn. 8).
13
Nach diesen rechtlichen Maßstäben liegt ein Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln aufgrund seiner - ausdrücklich festgestellten - mit körperlichen Beschwerden während des Entzugs infolge der Inhaftierung einhergehenden Betäubungsmittelabhängigkeit nahe. Auf eine Verwahrlosung oder Persönlichkeitsdepravation kommt es hierfür nicht an. Soweit die Strafkammer die soziale Gefährlichkeit des Angeklagten verneint hat, hat sie nicht in den Blick genommen, dass sie im Rahmen der Strafzumessung als zu seinen Gunsten für die Strafe bestimmenden Grund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) angenommen hat, der Angeklagte sei im Tatzeitraum durch den regel- mäßigen Amphetaminkonsum "zumindest enthemmt" gewesen (UA S. 32). Jedenfalls dieses betäubungsmittelbedingte Absinken der Hemmschwelle für die Deliktsbegehung deutet ohne weiteres auf eine solche Gefährlichkeit hin, zumal außerdem in Betracht kommt, dass die durch das Amphetamin bewirkte Steigerung der Leistungsfähigkeit Einfluss auf das Ausmaß der Tat hatte.
14
bb) Bei der Beurteilung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der abgeurteilten Tat hat die Strafkammer zwar die zutreffenden Prüfungsmaßstäbe angelegt, diese jedoch - namentlich mit Blick auf die Erwägungen zur Strafzumessung - nicht rechtsfehlerfrei angewendet.
15
Im Hinblick darauf, dass die Anlasstat bereits dann Symptomwert für den Hang hat, wenn dieser neben anderen Ursachen zu ihr beigetragen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1996 - 2 StR 470/96, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1; vom 13. September 2011 - 3 StR 277/11, juris Rn. 8; MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 40), liegt es nahe, dass das betäubungsmittelbedingte Absinken der Hemmschwelle für die Deliktsbegehung den symptomatischen Zusammenhang zu begründen vermag. Ohne nähere Erläuterung scheinen die Ausführungen zur Strafzumessung und zur Maßregel nach § 64 StGB widersprüchlich.
16
Hinzu kommt, dass es für den Symptomwert der Tat bereits ausreichend sein kann, wenn der Hang lediglich (negativen) Einfluss auf deren Qualität und Intensität hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1996 - 2 StR 470/96, aaO; Urteile vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 351/16, juris Rn. 28; vom 22. Juni 2017 - 1 StR 652/16, juris Rn. 20; MüKoStGB/van Gemmeren, aaO). Da in Betracht kommt, dass die durch das Amphetamin bewirkte Steigerung der Leistungsfähigkeit Einfluss auf das Ausmaß der abgeurteilten Tat hatte, hätte dies ebenfalls der Erörterung bedurft.
17
c) Auch über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5; Beschluss vom 11. Juli 2013 - 3 StR 193/13, juris Rn. 6). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 358 Rn. 23 mwN).
18
5. Der Senat hat auch die Feststellungen zum Strafausspruch und zur unterbliebenen Maßregelanordnung aufgehoben, um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht neue widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Becker Spaniol Berg
Hoch Leplow

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 318/07
vom
6. September 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. September 2007
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 16. März 2007, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben, soweit eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Die Nachprüfung zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, hält das Urteil rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte seit seinem 13. Lebensjahr regelmäßig in erheblichen Mengen Alkohol. Seit dem 15. Lebensjahr nimmt er Drogen zu sich, anfangs nahm er täglich Cannabis und bis zu 13 LSD-Trips, später bis zu 20 Ecstasy-Tabletten. Nach seiner Haftentlassung im März 2003 begann er, zwei bis drei Gramm "Crystal", ein Methamphetamin, täglich zu konsumieren. Auch vor der Tat am 16. August 2006, die er gemeinsam mit Anderen zum Nachteil seines Drogenlieferanten beging, hatte er Cannabis und erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen leidet der vielfach u.a. einschlägig vorbestrafte Angeklagte an einer Polytoxikomanie.
4
Entgegen der Auffassung des Sachverständigen hat das Landgericht gleichwohl einen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel, nämlich Alkohol und Drogen, im Übermaß zu sich zu nehmen, mit der Begründung verneint, der Alkohol- und Drogenmissbrauch habe beim Angeklagten noch nicht zu einer Persönlichkeitsdepravation geführt.
5
Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH NStZ 2005, 210). Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass hierdurch seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 103; 2003, 106), oder bei Vorliegen von Beschaffungskriminalität (vgl. BGH NStZ 2005, 210). Für die Annahme eines Hanges ist indes nicht erforderlich, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist. Zwar hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in vereinzelten Entscheidungen, denen das Landgericht ersichtlich gefolgt ist, diese Auffassung vertreten (vgl. etwa BGH NStZ 2005, 626; 2004, 494). Jedoch ist der 1. Strafsenat nunmehr in seiner Entscheidung vom 25. Juli 2007 - 1 StR 332/07 - von dieser Rechtsprechung abgerückt und hat klargestellt, dass ein Hang im Sinne des § 64 StGB eine Depravation nicht voraussetzt, vielmehr dem Fehlen wie dem Vorliegen einer Persönlichkeitsdepravation lediglich indizielle Bedeutung für einen Hang zukommen kann (so auch Senatsbeschluss vom 11. Januar 2007 - 4 StR 516/06).
6
Danach liegt hier die Annahme eines Hanges schon in Anbetracht der festgestellten Menge und Häufigkeit des Alkohol- und Rauschmittelkonsums nahe, zumal beim Angeklagten bereits suchtbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen eingetreten sind und nach den bisherigen Feststellungen die von der Strafkammer angenommene Strukturierung des Tagesablaufs des Angeklagten, der noch nie einer geregelten Beschäftigung nachging, allenfalls im Ansatz zu erkennen ist.
7
2. Die Frage der Unterbringung nach § 64 StGB bedarf deshalb auf der Grundlage der §§ 64, 67 StGB n.F. neuer Prüfung und Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO n.F.).
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 311/12
vom
21. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. August 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten L. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 10. April 2012, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in 30 Fällen, wobei es in acht Fällen beim Versuch blieb, sowie wegen Diebstahls, Computerbetrugs und versuchter Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg , als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
3
1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte ab dem 13. Lebensjahr Cannabis und steigerte seinen Konsum bis zu einem täglichen Bedarf von 2 Gramm im Alter von 14 Jahren. Ab dem 16. Lebensjahr kamen am Wochenende ca. 2 Gramm Amphetamin hinzu, wobei er die jeweilige Dosis nasal zu sich nahm. Den aus Anlass seiner ersten Inhaftierung im Jahre 2006 unterbrochenen Amphetaminkonsum setzte er unmittelbar nach der Haftentlassung wieder fort. Nach weiteren Verurteilungen sowie einer nachträglich gebildeten Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren trat der Angeklagte am 22. Juni 2007, nachdem die Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt worden war, eine Drogentherapie im Rahmen des § 35 BtMG an. Nach Bewährungswiderruf befand er sich von November 2008 bis Dezember 2009 in Strafhaft. Ab Beginn des Jahres 2010 schnupfte und rauchte der Angeklagte auch Kokain, wobei eine Menge von 1 Gramm für zwei bis drei Tage ausreichte. Daneben konsumierte er Kokain zusammen mit den MitangeklagtenS. und O. sowie dem ehemaligen Mitangeklagten R. . Nach erneuter Inhaftierung im Jahre 2010 wurde der Angeklagte am 7. September 2010 zur Durchführung einer weiteren Drogentherapie nach § 35 BtMG aus der Haft entlassen. Bereits eine Woche später brach er die Therapie jedoch ab und kaufte sich von dem Übergangsgeld der JVA Marihuana, um Joints zu rauchen (UA S. 9 RS).
4
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verneint, da weder eine psychische Abhängigkeit, gravierende Entzugserscheinungen, eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten oder eine Drogendepravation noch eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit sowie der Arbeit- oder Leistungsfähigkeit vorlägen. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten und einer „womöglich vorgelegenen Cannabisabhängigkeit“ sei ebenfalls nicht ersichtlich.
5
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne von § 64 StGB sowie des erforderlichen symptomatischen Zusammenhangs zwischen den abgeurteilten Taten und dem Hang ausgegangen ist.
6
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr., vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8, und vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198, 199; BGH, Beschluss vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (Senatsbeschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmit- telkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (Senatsbeschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198). Für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB kommt es auch nicht darauf an, dass der Angeklagte die Taten im Zustand zumindest verminderter Schuldfähigkeit begangen hat (Senatsbeschluss vom 30. September 2003 – 4 StR 382/03, NStZ-RR 2004, 78, 79).
7
Danach drängt sich hier das Vorliegen eines Hanges schon angesichts des festgestellten Konsumverhaltens des Angeklagten und der beiden (abgebrochenen ) Drogentherapien aus den Jahren 2007 und 2010 auf. Demgegenüber hat das Landgericht seine Auffassung, dass eine psychische Abhängigkeit zu verneinen sei, nicht näher begründet. Es hat außerdem davon abgesehen, den Inhalt der Ausführungen des Sachverständigen hierzu mitzuteilen.
8
b) Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des Angeklagten liegt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – ausgesprochen nahe. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. September 2003 – 4 StR 382/03, NStZ-RR 2004, 78, vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309, und vom 25. Oktober 2011 – 4 StR 416/11). So liegt es hier. Denn der berufs- und arbeitslose Angeklagte hat seinen beträchtlichen Drogenkonsum ganz überwiegend durch die gewerbsmäßige Begehung von Einbruchsdiebstählen finanziert (UA S. 12 RS). Damit liegt nahe, dass der Drogenkonsum des Angeklagten die abgeurteilten Taten mit ausgelöst hat.
9
c) Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregel jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB). Der Angeklagte ist noch vergleichsweise jung. Die in den Jahren 2007 und 2010 (abgebrochenen) Therapieversuche stehen § 64 StGB nicht zwingend entgegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Januar 1997 – 4 StR 628/96, und vom 10. April 1997 – 4 StR 130/97, beide bei Detter, NStZ 1997, 476, 480).
10
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB zu beachten haben.
11
3. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
12
4. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
13
5. Eine Erstreckung der Entscheidung (§ 357 StPO) auf die nicht Revision führenden Mitangeklagten kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 173/12; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 357 Rn. 15 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 56/08
vom
1. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 1. April 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Oktober 2007 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner eine isolierte Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg , als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
3
1. Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte bereits seit seinem 16. Lebensjahr in großen Mengen Alkohol. Ab Anfang des Jahres 2007, mithin auch während des Tatzeitraums, hatte er zwei- oder dreimal wöchentlich einen Vollrausch. Insbesondere an den Wochenenden trank er acht bis zehn halbe Liter Bier und bis zu einer Flasche Wodka täglich. Mit 17 Jahren begann er zusätzlich Haschisch zu rauchen und ab dem 20. Lebensjahr zeitweise täglich Kokain zu schnupfen. Bei Begehung sämtlicher Taten war der Angeklagte alkoholisiert und stand teilweise zusätzlich unter erheblichem Drogeneinfluss. Während des ca. 1 ½ Stunden dauernden Raubgeschehens zum Nachteil der Nebenklägerin trank der Angeklagte mindestens vier Flaschen Bier. Bei Begehung der letzten Tat, bei der es anlässlich seiner Festnahme zu Widerstandsund Körperverletzungshandlungen kam, wies der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration von über 2 ‰ auf. Der wegen Körperverletzungsdelikten vorgeahndete Angeklagte weiß, dass er unter Alkoholeinfluss zu aggressivem Verhalten neigt. Bei drei der fünf ausgeurteilten Taten hat das Landgericht nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte infolge einer akuten Alkohol- bzw. Drogenintoxikation im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert steuerungsfähig war.
4
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen einen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel, nämlich Alkohol und Drogen, im Übermaß zu sich zu nehmen, "noch nicht" anzunehmen vermocht. Zwar lie- ge beim Angeklagten ein problematischer Umgang mit Suchtmitteln vor, eine erhebliche Beeinträchtigung der Arbeits-, Gesundheits- und Leistungsfähigkeit im Sinne einer schweren süchtigen Fehlhaltung könne bei ihm jedoch noch nicht festgestellt werden.
5
2. Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
6
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210). Insoweit kann auch dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen erheblich beeinträchtigt ist, indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus.
7
Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier schon angesichts der getroffenen Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten auf. Aber auch die festgestellte Neigung des Angeklagten, unter Alkoholeinfluss Aggressionshandlungen zu begehen, deutet auf eine abhängigkeitsbedingte soziale Gefährdung und Gefährlichkeit des Angeklagten hin, zumal dieser in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsde- likten verurteilt worden ist. Der Bejahung eines Hanges steht demgegenüber nicht entgegen, dass der Angeklagte nach seiner Inhaftierung körperliche Entzugserscheinungen nicht aufwies, mithin eine körperliche Abhängigkeit (noch) nicht festgestellt werden konnte. Ebenso wenig ist für die Annahme eines Hanges - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - erforderlich, dass bei dem Täter infolge der Rauschmittelabhängigkeit bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2007, 697; BGH NStZ-RR 2008, 8).
8
Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des Angeklagten liegt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nahe mit Blick auf dessen Neigung, nach übermäßigem Rauschmittelkonsum Aggressionshandlungen - wie sie hier mit Ausnahme der Trunkenheitsfahrt durchweg vorliegen - zu begehen. Anhaltspunkte dafür, dass eine stationäre Therapie bei dem vergleichsweise jungen und bislang noch nicht behandelten Angeklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB), oder dass andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen, ergeben die bisherigen Feststellungen nicht.
9
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB n.F. zu beachten haben.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

42
2. Diese Ablehnung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Tat begegnet durchgreifenden Bedenken. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB kommt in Betracht, wenn es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, die der Täter im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht. Dabei ist die erste Alternative nur ein Unterfall der zweiten, so dass diese den Oberbegriff darstellt. In beiden Fällen muss zwischen der Tat und dem Hang ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 28. August 2013 – 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 311/12
vom
21. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. August 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten L. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 10. April 2012, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in 30 Fällen, wobei es in acht Fällen beim Versuch blieb, sowie wegen Diebstahls, Computerbetrugs und versuchter Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg , als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
3
1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte ab dem 13. Lebensjahr Cannabis und steigerte seinen Konsum bis zu einem täglichen Bedarf von 2 Gramm im Alter von 14 Jahren. Ab dem 16. Lebensjahr kamen am Wochenende ca. 2 Gramm Amphetamin hinzu, wobei er die jeweilige Dosis nasal zu sich nahm. Den aus Anlass seiner ersten Inhaftierung im Jahre 2006 unterbrochenen Amphetaminkonsum setzte er unmittelbar nach der Haftentlassung wieder fort. Nach weiteren Verurteilungen sowie einer nachträglich gebildeten Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren trat der Angeklagte am 22. Juni 2007, nachdem die Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt worden war, eine Drogentherapie im Rahmen des § 35 BtMG an. Nach Bewährungswiderruf befand er sich von November 2008 bis Dezember 2009 in Strafhaft. Ab Beginn des Jahres 2010 schnupfte und rauchte der Angeklagte auch Kokain, wobei eine Menge von 1 Gramm für zwei bis drei Tage ausreichte. Daneben konsumierte er Kokain zusammen mit den MitangeklagtenS. und O. sowie dem ehemaligen Mitangeklagten R. . Nach erneuter Inhaftierung im Jahre 2010 wurde der Angeklagte am 7. September 2010 zur Durchführung einer weiteren Drogentherapie nach § 35 BtMG aus der Haft entlassen. Bereits eine Woche später brach er die Therapie jedoch ab und kaufte sich von dem Übergangsgeld der JVA Marihuana, um Joints zu rauchen (UA S. 9 RS).
4
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verneint, da weder eine psychische Abhängigkeit, gravierende Entzugserscheinungen, eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten oder eine Drogendepravation noch eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit sowie der Arbeit- oder Leistungsfähigkeit vorlägen. Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten und einer „womöglich vorgelegenen Cannabisabhängigkeit“ sei ebenfalls nicht ersichtlich.
5
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne von § 64 StGB sowie des erforderlichen symptomatischen Zusammenhangs zwischen den abgeurteilten Taten und dem Hang ausgegangen ist.
6
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr., vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8, und vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198, 199; BGH, Beschluss vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (Senatsbeschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmit- telkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (Senatsbeschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198). Für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB kommt es auch nicht darauf an, dass der Angeklagte die Taten im Zustand zumindest verminderter Schuldfähigkeit begangen hat (Senatsbeschluss vom 30. September 2003 – 4 StR 382/03, NStZ-RR 2004, 78, 79).
7
Danach drängt sich hier das Vorliegen eines Hanges schon angesichts des festgestellten Konsumverhaltens des Angeklagten und der beiden (abgebrochenen ) Drogentherapien aus den Jahren 2007 und 2010 auf. Demgegenüber hat das Landgericht seine Auffassung, dass eine psychische Abhängigkeit zu verneinen sei, nicht näher begründet. Es hat außerdem davon abgesehen, den Inhalt der Ausführungen des Sachverständigen hierzu mitzuteilen.
8
b) Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des Angeklagten liegt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – ausgesprochen nahe. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. September 2003 – 4 StR 382/03, NStZ-RR 2004, 78, vom 25. Mai 2011 – 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309, und vom 25. Oktober 2011 – 4 StR 416/11). So liegt es hier. Denn der berufs- und arbeitslose Angeklagte hat seinen beträchtlichen Drogenkonsum ganz überwiegend durch die gewerbsmäßige Begehung von Einbruchsdiebstählen finanziert (UA S. 12 RS). Damit liegt nahe, dass der Drogenkonsum des Angeklagten die abgeurteilten Taten mit ausgelöst hat.
9
c) Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregel jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB). Der Angeklagte ist noch vergleichsweise jung. Die in den Jahren 2007 und 2010 (abgebrochenen) Therapieversuche stehen § 64 StGB nicht zwingend entgegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Januar 1997 – 4 StR 628/96, und vom 10. April 1997 – 4 StR 130/97, beide bei Detter, NStZ 1997, 476, 480).
10
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB zu beachten haben.
11
3. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
12
4. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
13
5. Eine Erstreckung der Entscheidung (§ 357 StPO) auf die nicht Revision führenden Mitangeklagten kommt nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 173/12; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 357 Rn. 15 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 382/03
vom
30. September 2003
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. September 2003 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. Juni 2003 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, soweit das Landgericht von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur zum unterbliebenen Maßregelausspruch nach § 64 StGB Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben. Dagegen hat das Urteil keinen Bestand, soweit das Landgericht von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB abgesehen hat.
Nach den Feststellungen war der Angeklagte langjährig opiatabhängig. Dabei finanzierte er seinen Drogenkonsum, indem er selbst mit Drogen handelte bzw. anderen Dealern Kunden vermittelte und hierfür Heroin erhielt. Im Jahre 2000 wurde er deshalb wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 74 Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der jetzigen Verurteilung liegen zwei Überfälle zugrunde, die der Angeklagte innerhalb von sechs Tagen jeweils unter Einsatz eines Springmessers einmal auf eine Tankstelle und im weiteren Fall auf einen Supermarkt verübte, wobei er in beiden Fällen im Verlauf des Tages außer Alkohol auch Heroin konsumiert hatte. Im Anschluß an die Taten kaufte sich der Angeklagte von dem erbeuteten Geld jeweils erneut Heroin.
Das - sachverständig beratene - Landgericht hat rechtsfehlerfrei eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beim Angeklagten in beiden Fällen ausgeschlossen, aber zu Recht einen Hang zum übermäßigen Konsum von Opiaten im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB bejaht. Hierzu hat es sich aber die Auffassung des psychiatrischen Sachverständigen zu eigen gemacht, daß zwischen den Taten und dem Hang des Angeklagten kein symptomatischer Zusammenhang bestehe; die Taten gingen nicht auf den Hang zurück, sondern seien dem Angeklagten nach dessen eigener Einschätzung "wesensfremd", zumal er seinen Drogenkonsum zuvor nie durch entsprechende Eigentums- oder Vermögensdelikte, sondern immer durch eigenen Drogenhandel finanziert habe.
Diese Begründung trägt das Absehen von einer Maßregelanordnung nach § 64 Abs. 1 StGB nicht. Richtig ist zwar, daß es für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht darauf ankommt, daß der Angeklagte die Taten im Zustand zumindest verminderter Schuldfähigkeit begangen hat (st. Rspr.; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 64 Rdn. 3 und 8 m.N.). Ebenso hat das Landgericht zu Recht angenommen, daß zwischen den abgeurteilten Taten und dem Hang im Sinne des § 64 StGB ein symptomatischer Zusammenhang bestehen muß. Bei seiner Bewertung ist es jedoch von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis dieser Voraussetzung ausgegangen. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, daß der Hang die alleinige Ursache für die Anlaßtaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, daß der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGH NStZ 2000, 25 f.; BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1; Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 2000 - 4 StR 377/00 - und vom 16. Juli 2002 - 4 StR 179/02). Daß in diesem Sinne die hier abgeurteilten Taten ihre Ursache auch in der Opiatabhängigkeit des Angeklagten haben, versteht sich von selbst und wird zudem noch dadurch unterstrichen, daß der Angeklagte jeweils im Anschluß an die Taten das erbeutete Geld auch zum Erwerb von weiterem Heroin einsetzte. Daß er zuvor vergleichbare Taten noch nicht begangen, sondern die Betäubungsmittel auf andere - allerdings ebenfalls strafbare - Weise finanziert hat, beseitigt den symptomatischen Zusammenhang nicht.
Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils, soweit eine Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Die zugrundeliegenden Feststellun- gen können jedoch bestehen bleiben, weil sie von der rechtlich fehlerhaften Bewertung durch das Landgericht unberührt sind. Es ist auch nicht ersichtlich, daß es bei dem Angeklagten an der erforderlichen konkreten Erfolgsaussicht der Unterbringung mangelt (BVerfGE 91, 1 ff.). Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, daß ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittel ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
Tepperwien Maatz Kuckein

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 416/11
vom
25. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. Oktober 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Januar 2011, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen begegnet die Begründung, mit der das Landgericht von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abgesehen hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom 19. August 2011 folgendes ausgeführt: "Das sachverständig beratene Landgericht hat einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsum im Sinne des § 64 StGB bejaht, jedoch gemeint, es fehle an einem symptomatischen Zusammenhang mit der Straftat. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Tat aufgrund der Alkohol- und Drogenabhängigkeit begangen worden wäre, der Rausch also gewissermaßen den Anreiz für die Tat gegeben hätte. Davon sei nicht auszugehen. Ursache für den Tatentschluss sei die Wut des Angeklagten auf den Nebenkläger gewesen, die der Mitangeklagte K. für seine Zwecke ausgenutzt habe, wobei ihm die alkohol- und drogenbedingte Enthemmung des Angeklagten lediglich zugute gekommen sei (UA S. 27). Diese Begründung trägt das Absehen von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht. Sie lässt besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis von dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und der Anlasstat des Täters ausgegangen ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGHR StGB § 64 Zusammenhang , symptomatischer 5 m.w.N.; vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11 - Rn. 7). So liegt es hier. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt des Tatenschlusses und der Tatbegehung unter Alkoholund Drogeneinfluss gestanden hat. Die Suchtmittelbeeinflussung hatte nach Überzeugung der Kammer den Tatenschluss des Angeklagten begünstigt. Der Grad seiner Alkoholisierung bei Begehung der Tat führte im Zusammenwirken mit dem zusätzlichen Drogenkonsum zur Annahme verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB (UA S. 16 f., 27). Dass die alkohol- und drogenbedingte Beeinflussung sowohl den Entschluss als auch die Ausführung der Gewalttätigkeiten mit beeinflusst hat, liegt demnach auf der Hand. Bestärkt wird dies zudem durch das unkontrollierte und wahllose Einschlagen und -treten auf den Nebenkläger (UA S. 15). Damit ist der erforderliche (symptomatische) Zusammenhang in dem Sinne dargetan, dass der Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten die Tat mit ausgelöst hat, mag als zusätzlicher Tatauslöser auch die aus einer vorangegangenen Begebenheit resultierende Wut des Angeklagten auf den Nebenkläger hinzugekommen sein. Nach den bisherigen Urteilsfeststellungen ist weder die Gefahr zukünftiger hangbedingter erheblicher Straftaten noch - angesichts der Methadonsubstitution und der in Aussicht stehenden Therapiemaßnahme (UA S. 12) - eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Therapie auszuschließen. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGHSt 37, 5, 7; BGH NStZ-RR 2009, 59). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.). Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Angesichts der erheblichen Vorstrafen, des Bewährungsbruchs und des gesamten Tatbildes ist auszuschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte."
4
Dem tritt der Senat bei.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer RiBGH Bender befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 509/14
vom
25. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2014 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 16. Juli 2014 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der zweifelsfrei alkoholkranke Angeklagte hat im Zustand alkoholbedingt verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB eine schwere Gewalttat begangen. Vor diesem Hintergrund ist die Wer- tung der Jugendkammer nicht verständlich, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten aufgrund des Hangs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr nämlich in aller Regel allein durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat hinreichend belegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1988 – 2 StR 200/88, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; vom 20. Janu- ar 2004 – 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204, 205). Dass der mehrfach vorbelastete Angeklagte bislang nicht gerade durch Gewalttaten aufgefallen ist, steht der Annahme seiner Gefährlichkeit mithin genauso wenig entgegen wie dessen Selbsteinschätzung, er könne sich seine Aggressivität nicht erklären. Da Beeinflussungssituationen auch in Zukunft eintreten können, trägt auch die Überlegung der Jugendkammer nicht, der Mittäter des Angeklagten sei die „treibende Kraft“ gewesen.
3
Der Frage der Gefährlichkeit des Angeklagten muss deshalb nochmals nachgegangen werden. Dabei wird die Entwicklung des Angeklagten seit der nunmehr schon geraume Zeit zurückliegenden Tat sorgfältiger darzulegen und zu würdigen sein als im angefochtenen Urteil geschehen.
4
2. Bereits wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist der Strafausspruch aufzuheben. Insoweit hätten jedoch auch für sich genommen Bedenken bestanden. Ausweislich der Feststellungen (UA S. 4) hat der Angeklagte die im angefochtenen Urteil bei der Prüfung der schädlichen Neigungen (UA S. 26) sowie bei der Bemessung der Jugendstrafe (UA S. 28) in Ansatz gebrachten Hafterfahrungen erst nach der verfahrensgegenständlichen Tat gemacht. Gleiches gilt für die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe, sofern sich die in den Urteilsgründen angesprochene „Erzwingungshaft“ (UA S. 26) hierauf beziehen sollte. Davon bleibt unberührt, dass die vier Verurteilungen des Angeklagten wegen nach der erlittenen Untersuchungshaft und während des laufenden Verfahrens begangener Straftaten nach allgemeinen Regeln zu berücksichtigen sein werden.
5
3. In Bezug auf die zahlreichen Verurteilungen des Angeklagten zu Geldstrafen wird sich die neu entscheidende Jugendkammer ausdrücklich dazu zu verhalten haben, ob insoweit Erledigung eingetreten ist (vgl. § 105 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 JGG).
Sander Schneider Dölp
König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 314/15
vom
27. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Oktober 2015
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 19. März 2015, soweit es ihn betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung zweier Urteile des Amtsgerichts Krefeld zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Während die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten zum Schuldspruch keinen Erfolg hat, kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt. Dies führt gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG auch zur Aufhebung des Strafausspruchs.
2
1. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des Hangs, des symptomatischen Zusammenhangs sowie der Gefährlichkeit für gegeben erachtet. Demgegenüber hat es - dem Sachverständigen folgend - die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) verneint und dies vor allem mit dem fehlenden Schulabschluss des Angeklagten, dem frühen Beginn seiner sozialen Auffälligkeiten , insbesondere seines Suchtmittelgebrauchs, sowie mit seiner Impulsivität , Aggressivität und Reizbarkeit begründet.
3
Dies hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn diese Kriterien werden teilweise durch die Feststellungen nicht belegt, teilweise sind sie für sich nicht geeignet, gegen die konkrete Aussicht zu sprechen, der - therapiewillige - Angeklagte könnte durch den Vollzug der Maßregel geheilt und jedenfalls über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall bewahrt werden, so dass zu erwarten steht, dass bei erfolgreichem Verlauf der Therapie seine Gefährlichkeit aufgehoben oder deutlich herabgesetzt werden wird (vgl. zu diesen Maßstäben BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 3 StR 513/12, BGHR StGB § 64 Satz 2 Erfolgsaussicht 1). Im Einzelnen:
4
a) Allein ein fehlender Schulabschluss spricht nicht für eine intellektuelle Behinderung, die wegen ihrer Schwere dazu führen könnte, dass der Angeklagte in einer Entziehungsanstalt nicht behandelbar wäre (vgl. BGH aaO; MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 64 Rn. 68).
5
b) Darüber hinaus ist zwar von dem zu Therapierenden ein gewisses Maß an Introspektionsfähigkeit sowie Kränkungs- und Frustrationstoleranz zu fordern (vgl. Dannhorn, NStZ 2012, 414, 417). Dass es daran dem Angeklagten mangelt, wird aber durch die Feststellungen zu dessen persönlichen Werdegang nicht belegt. Den Urteilsgründen ist insoweit nur zu entnehmen, dass im Jahre 2010 ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 45 Abs. 2 JGG eingestellt worden und dass es zwischen dem Angeklagten und seinem Vater - wegen seines Drogenkonsums (!) - zu massiven, teils sogar gewalttätigen Streitigkeiten gekommen war. Auch die verfahrensgegenständlichen Straftaten, die im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen zwei Personengruppen begangen wurden, belegen keine den Angeklagten von anderen Gewalttätern unterscheidende höhere Aggressivität oder Reizbarkeit. Die Maßregel des § 64 StGB steht aber auch Gewalttätern offen.
6
c) Schließlich kommt es unter dem Aspekt der Verfestigung eines Konsumverhaltens weniger auf dessen Beginn als auf dessen Dauer an. Ein sechs Jahre andauernder Suchtmittelgebrauch vermag für sich betrachtet das Verdikt der Unbehandelbarkeit nicht zu begründen. Dies gilt umso mehr, als das Urteil keine Feststellung dahin enthält, dass sich der Angeklagte zuvor bereits einmal einer Therapie unterzogen hätte.
7
2. Die fehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG die Aufhebung auch des Strafausspruchs nach sich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2014 - 5 StR 509/14, juris Rn. 4).
Dieser ist jedoch auch für sich genommen nicht bedenkenfrei. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts unter Ziffer 2 und 3 der Antragsschrift vom 24. August 2015.
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 261/18
vom
6. Juli 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:060718B1STR261.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 6. Juli 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Januar 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderweitigen Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es am Morgen des 28. August 2016 an der S-Bahn-Haltestelle T. zwischen dem alkoholbedingt enthemmten Angeklagten und dem Nebenkläger zuerst zu einer verbalen und anschließend zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Ausgangspunkt hierfür war, dass der Angeklagte den zunächst auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig befindlichen Nebenkläger provoziert und beleidigt hatte. Nachdem der Nebenkläger deswegen die Gleise überquert und dem Angeklagten zwei Schläge ins Gesicht versetzt hatte, dann aber bei dem anschließenden Gerangel zu Boden gegangen war, versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger, der sich mit einem Arm am Boden abstützte, vier kraftvolle Fußtritte gegen den Kopf- und Gesichtsbereich. Nach dem dritten Tritt sackte der Nebenkläger bewusstlos nach hinten zusammen und blieb regungslos mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen. Nach einem weiteren Fußtritt ließ der Angeklagte von dem Nebenkläger ab, ohne sich weiter um dessen Wohlergehen zu kümmern, und begab sich zu der inzwischen eingefahrenen S-Bahn.

II.

3
Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass die Fußtritte des Angeklagten aus Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt sein könnten. Auch die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte sei nicht strafbefreiend vom beendeten Versuch des Totschlags zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StGB), wird von den Feststellungen getragen.

III.

4
Demgegenüber hält die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
1. Das Landgericht geht – gestützt auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen – davon aus, dass ein Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen , zum Zeitpunkt der Tat nicht vorgelegen habe. Zwar habe der Sachverständige beim Angeklagten einen multiplen Substanzabusus diagnostiziert, bei dem ein langjähriger und regelmäßiger Cannabisabusus und in den letzten Monaten vor der Tat auch ein Alkoholabusus im Mittelpunkt gestanden hätten. Daneben habe der Angeklagte gelegentlich auch andere stimulierende oder psychodelische Substanzen eingenommen. Eine etablierte Abhängigkeitserkrankung liege jedoch noch nicht vor. Insbesondere hätten sich weder in Bezug auf Cannabis noch auf Alkohol, die beide häufiger konsumiert worden seien, konkrete und belastbare Anhaltspunkte für einen Suchtdruck oder stärkere Entzugserscheinungen ergeben. Der Konsum von Drogen und Alkohol sei zwar in den Monaten vor der Tat durch dissoziale Verläufe im Umfeld und Leben des Angeklagten begünstigt worden. Ein Hang im Sinne des § 64 StGB, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, sei gleichwohl nicht sicher festzustellen. Weder aus den Angaben des Angeklagten selbst noch aus denen von Zeugen habe sich ergeben, dass sich das Leben des Angeklagten in den Monaten vor der Tat wesentlich um Drogen und Alkohol gedreht habe. Den Konsum von Alkohol habe der Angeklagte kontrollieren können. Er habe auch Tage und Abende ohne oder mit deutlich weniger Alkohol als am Abend und in der Nacht vor der verfahrensgegenständlichen Tat verbringen können, so dass nicht von einer den Angeklagten treibenden oder beherrschenden Neigung, Alkohol im Übermaß zu konsumieren, ausgegangen werden könne. Da der Angeklagte vor der Tat kein Cannabis zu sich genommen habe, bei der Tat auch nicht unter Entzugserscheinungen gelitten habe und die Tatausführung auch nicht in sonstiger Weise durch den regelmäßigen und langjährigen Konsum von Cannabis begünstigt worden sei, habe es zudem jedenfalls an einem symptomatischen Zusammenhang mit der verfahrensgegenständlichen Tat gefehlt (UA S. 98).
6
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
7
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte , auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2017 – 1 StR 415/17 Rn. 10, NStZ-RR 2018, 105 [nur redaktioneller Leitsatz] und vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15 Rn. 7; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3StR 386/13 Rn. 10, NStZ-RR 2014, 271 [nur redaktioneller Leitsatz]). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit , Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103, 104). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18 Rn. 12; vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15 Rn. 7; vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15 Rn. 6 und vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199). Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hanges nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 – 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216 und vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271). Er setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 2018 – 3 StR 166/18 Rn. 12; vom 20. Februar 2018 – 3 StR 645/17 Rn. 8, NStZ-RR 2018, 140 [nur redaktioneller Leitsatz]; vom 7. Januar 2009 – 5 StR 586/08, NStZ-RR 2009, 137 und vom 20. Februar 2018 – 3 StR 645/17 Rn. 8, NStZ-RR 2018, 140 [nur redaktioneller Leitsatz]).
8
b) Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben drängt sich das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB hier schon angesichts des festgestellten multiplen Substanzabusus (UA S. 27, 97) auf, welcher deutlich auf eine den Angeklagten treibende Neigung hindeutet, Alkohol und Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren. In dessen Mittelpunkt stand nach den Urteilsfeststellungen in den Monaten vor der Tat verstärkt ein Alkoholabusus; daneben nahm der Angeklagte neben seinem regelmäßigen Cannabiskonsum auch noch andere stimulierende oder psychodelische Substanzen ein. Angesichts dieses Konsumverhaltens erscheint der Angeklagte ersichtlich sozial gefährdet und auch gefährlich. So geht das Landgericht selbst davon aus, dass der Konsum von Drogen und Alkohol in den Monaten vor der Tat durch dissoziale Verläufe im Umfeld und Leben des Angeklagten begünstigt worden sei (UA S. 98). Auch bei der Tat selbst war der bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten vorbestrafte Angeklagte erheblich alkoholisiert und enthemmt. Zwar hält das Landgericht die von dem Angeklagten in der Hauptverhandlung angegebenen Trinkmengen, die zu einer Blutalkoholkonzentration von 4,9 Promille geführt hätten (UA S. 55), nicht für glaubhaft. Es hält jedoch die von dem Angeklagten bei seiner körperlichen Untersuchung gemachten Angaben, auf deren Grundlage der rechtsmedizinische Sachverständige für den Tatzeitpunkt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,46 Promille errechnet hat, für nachvollziehbar.
9
Schließlich steht auch der vom Landgericht angeführte Umstand, der Angeklagte „habe auch Tage und Abende ohne oder mit deutlich weniger Alko- hol als am Abend und in der Nacht vor der hier gegenständlichen Tat verbrin- gen“ können (UA S. 98), der Annahme einer eingewurzelten Neigung, Alkohol im Übermaß zu konsumieren, nicht entgegen. Dies belegt allenfalls, dass der Angeklagte kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, was jedoch einen Hang nicht ausschließt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2017 – 1 StR 415/17 Rn. 11, NStZ-RR 2018, 105 [nur redaktioneller Leitsatz] und vom 14. Juni 2016 – 1 StR 219/16, BGHR StGB § 64 Hang 4; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10, NStZ-RR 2014, 271 [nur redaktioneller Leitsatz]). Denn es kann genügen, was hier angesichts des für den Angeklagten festgestellten Rauschmittelkonsums naheliegt, dass der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Mai 2018 – 3 StR166/18 Rn. 12; vom 20. Februar 2018 – 3 StR 645/17 Rn. 8, NStZ-RR 2018, 140 [nur redaktioneller Leitsatz] und vom 7. Januar 2009 – 5 StR 586/08, NStZ-RR 2009, 137).
10
3. Im Hinblick auf den vom Landgericht festgestellten multiplen Substanzabusus des Angeklagten hält angesichts der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit die Annahme des Landgerichts, es fehle auch mit Blick auf den regelmäßigen Cannabiskonsum des Angeklagten an einem symptomatischen Zusammenhang mit der verfahrensgegenständlichen Tat, ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

IV.

11
Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – neu verhandelt und entschieden werden.
12
Die fehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG wegen des dort vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 314/15, StV 2016, 734 f.; vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14 Rn. 4 und vom 12. März 2012 – 3 StR 42/12 Rn. 2).
Raum Jäger Bellay Cirener Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 482/18
vom
8. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:081118B1STR482.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 8. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 9. Mai 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen eines verbotenen Gegenstands, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Führen eines verbotenen Gegenstands , wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Diebstahls und Unterschlagung sowie unerlaubten Führens verbotener Gegenstände zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Die gegen das Urteil mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen gemäß Ziffer 1 der Urteilsgründe traf sich der zur Tatzeit jugendliche Angeklagte, der seit seinem 16. Geburtstag regelmäßig Alkohol zu sich nahm – zuletzt täglich bis zu sechs Flaschen Bier, gelegentlich aber auch Whisky – und etwa zwei- bis viermal pro Woche Speed konsumierte, am Abend des 31. Oktober 2017 mit anderen Jugendlichen und konsumierte mit diesen nicht unerhebliche Mengen an Bier. Nachdem es bereits kurz nach Eintreffen des Angeklagten zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen diesem und dem zur Tatzeit 13-jährigen Geschädigten H. gekommen war, versetzte der inzwischen stark angetrunkene, aber nicht betrunkene Angeklagte (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit mindestens 2,44 Promille) dem Geschädigten etwa eine Stunde später ohne Vorwarnung unter Einsatz eines Schlagrings mehrere Schläge gegen die linke Gesichtshälfte, wodurch dieser eine blutende Platzwunde an der Schläfe und ein leichtes Hämatom an der Hand erlitt. Kurz später, nachdem sich der Angeklagte nach Eingreifen Dritter zunächst außer Sichtweite des Geschädigten entfernt hatte, dann aber wegen provozierender Ausrufe des Geschädigten zurückgekehrt war, kam es zu einer weiteren tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten, die vom Angeklagten durch erneute Schläge mit dem Schlagring in das Gesicht des Geschädigten eröffnet wurde und in deren Verlauf der Angeklagte dem Geschädigten mit einem Springmesser mit spitz zulaufender Klinge mit einer Länge von 9 cm und einer Breite von 2,7 cm drei tiefe Stiche in den Hals- und Rückenbereich versetzte.
5
b) Die Jugendkammer hat – sachverständig beraten – das Vorliegen eines Hangs zum übermäßigen Konsum alkoholischer Getränke angenommen. Soweit sie allerdings ausführt, der Angeklagte habe die Taten weder im Rausch begangen noch liege eine Hangtat im Sinne des § 64 StGB vor, weil es an einem symptomatischen Zusammenhang fehle, begegnet dies durchgreifenden Bedenken.
6
Ein solcher Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 – 1 StR 320/17, juris Rn. 42; Beschlüsse vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 11 und vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 f.).
7
Der symptomatische Zusammenhang liegt vorliegend bei den vom Angeklagten am 31. Oktober 2017 begangenen Gewalttaten (Tat Ziffer 1 der Urteilsgründe ) schon in Anbetracht der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit, dessen hierdurch eingetretener Enthemmung und des durch einen vergleichsweise nichtigen Anlass ausgelösten Gewaltexzesses gegenüber dem Geschädigten nahe.
8
Soweit das Landgericht ausführt, dass das Tatgeschehen „nur“ bzw. „vor allem“ Ausdruck und Folge des Geltungsdrangs des Angeklagten sei, was sich vor allem darin zeige, dass der Angeklagte die bei den Taten verwendeten Waffen eingepackt habe, als er noch nüchtern gewesen sei und weder geplant noch damit gerechnet habe, diese später gegen eine andere Person einzusetzen , lässt sich hiermit ein symptomatischer Zusammenhang nicht verneinen.
Der Umstand legt vielmehr nahe, dass sich der Angeklagte erst nach dem erheblichen Alkoholkonsum zu diesen Taten entschlossen hat. Dass neben dem Alkoholeinfluss auch ein besonderer Geltungsdrang und eine Affinität des Angeklagten zu Waffen eine Rolle für die Tatbegehung gespielt haben mögen, schließt das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs nicht aus, weil hierfür Mitursächlichkeit genügt (BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 2018 – 2 StR 549/17, juris Rn. 2; vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17, juris Rn. 11 und vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15; NStZ-RR 2016, 113 f.).
9
c) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dabei wird das Landgericht insbesondere in den Blick zu nehmen haben, welchen Einfluss gerade die Alkoholisierung des Angeklagten auf die am 31. Oktober 2017 begangenen Gewalttaten gehabt hat.
10
2. Bereits wegen des sich aus § 5 Abs. 3 JGG ergebenden sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben (BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2018 – 1 StR 261/18, juris Rn. 12; vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 314/15, StV 2016, 734 f. und vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14, juris Rn. 4).
11
Die diesbezüglichen Feststellungen sind aufzuheben, um dem neuen Tatgericht auf einer widerspruchsfreien Tatsachengrundlage eine in sich stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen. Das Landgericht hat damit auch Gelegenheit, sich mit der Frage des Vorliegens einer alkoholbedingt verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten am 31. Oktober 2017 nochmals vertieft auseinander zu setzen. Hierzu besteht im Hinblick auf die „Alkoholgewöhnung“ beim Angeklagten Anlass, weil der noch sehr junge Angeklagte erst etwa zehn Monate vor der Tat mit einem regelmäßigen , sich erst noch steigernden Alkoholkonsum begonnen hat. Auch das am Tatabend vom Angeklagten gezeigte Leistungsverhalten wird insoweit erneut in den Blick zu nehmen sein. Dass der Angeklagte die Taten am 31. Oktober 2017 im Zustand aufgehobener Schuldfähigkeit begangen haben könnte, schließt der Senat allerdings in Anbetracht der festgestellten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit einerseits und des Leistungsverhaltens des Angeklagten bei Begehung der Taten im Fall gemäß Ziffer 1 der Urteilsgründe andererseits aus.
Raum Jäger Bär
Hohoff Pernice