Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Jan. 2006 - 1 StR 466/05

bei uns veröffentlicht am12.01.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 466/05
vom
12. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
hier: Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 GVG
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2006 beschlossen
:
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Die Beweiskraft des Protokolls im Sinne von § 274 StPO ist für
das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgrund einer
Protokollberichtigung hinsichtlich einer vom Angeklagten
zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Ungunsten des Angeklagten
die maßgebliche Tatsachengrundlage entfällt.
Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an entgegenstehender
Rechtsprechung festgehalten wird.

Gründe:


I.

1
Landgericht Das München I hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte während eines Streits über die Abgrenzung reservierter Sitzbereiche in einem Oktoberfestzelt dem Geschädigten Z. mit einem 1,3 Kilogramm schweren gläsernen Bierkrug zweimal wuchtig auf den Hinterkopf und einmal in den Bereich des Nackens. Der Geschädigte wurde erheblich verletzt. Die Schläge wa- ren darüber hinaus geeignet, das Leben des Geschädigten in Gefahr zu bringen.
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Revision Die rügt die Verletzung materiellen Rechts und erhebt eine Formalrüge.
3
Der Senat möchte die Revision des Angeklagten verwerfen, sieht sich daran jedoch - was die Verfahrensrüge anbelangt - durch die Rechtsprechung der anderen Senate gehindert.

II.

4
1. Die Revision rügt mit ihrer am 5. Juli 2005 beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung die Nichtverlesung des Anklagesatzes - Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO.
5
Die fertig gestellte Sitzungsniederschrift enthielt zunächst keinen Hinweis auf die Verlesung des Anklagesatzes. Unter dem 18. August 2005 ergänzten der Strafkammervorsitzende und die Urkundsbeamtin die Sitzungsniederschrift hinsichtlich des ersten Verhandlungstages in einer eigenen Niederschrift dahingehend , dass nach den Worten „Der Vorsitzende stellte weiter fest, dass die Staatsanwaltschaft München I gegen den Angeklagten am 20.01.05 Anklage zum Schwurgericht des LG München I erhoben hat, die mit Eröffnungsbeschluss der Kammer vom 18.02.05 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde,“ der Satz angefügt wurde: „Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz“.
6
Auch in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft wird unter Vorlage entsprechender dienstlicher Äußerungen von Verfahrensbeteiligten vorgetragen, dass der Anklagesatz in Wirklichkeit verlesen wurde. Er löste, wie sich der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erinnerte, Unmutsäußerungen im Publikum aus, da die Anklage auf den Vorwurf des versuchten Totschlags gerichtet war. Selbst der Verteidiger in der Hauptverhandlung, der die Revision nicht selbst begründet hat, stellte in seiner Stellungnahme die Verlesung nicht in Abrede, wenn er schreibt: „An den entsprechenden Verfahrensabschnitt kann ich mich nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklageschrift stellt einen Routinevorgang dar. Allerdings vermute ich, dass ich mich hieran erinnern könnte, wenn die Anklageschrift nicht verlesen worden wäre, weil dies einen ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber nicht zu einer konkreten Erinnerung. Aufgrund dieses Rückschlusses erscheint es mir aber durchaus möglich, dass die Erinnerung der Urkundsperson zutreffend ist.“ Die Urkundsbeamtin verwies auf einen bei der Fertigung der Protokollreinschrift übersehenen Übertragungsfehler aus der teilweise stenografischen Aufzeichnung während der Hauptverhandlung, in der der Hinweis auf die Verlesung des Anklagesatzes noch enthalten war. Das entsprechende Blatt der vorläufigen Aufzeichnungen hatte die Protokollführerin ihrer dienstlichen Erklärung beigefügt.
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2. Nach der bisherigen, ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (seit BGHSt 2, 125 [126], zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. unten) muss die Protokollberichtigung unberücksichtigt bleiben, da sie der Revisionsbegründung des Angeklagten zu dessen Nachteil die Tatsachengrundlage entzieht.
8
Ebenso wenig können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs übereinstimmende Erklärungen der Urkundspersonen den Inhalt des Protokolls in Einzelpunkten zum Nachteil des Angeklagten in Frage stellen (BGHSt 8, 283; 10, 342 [343]; 13, 53 [59]; 22, 278 [280]; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 3, 6, 8, 11, 29; BGH NStZ 1983, 375; 1986, 39 [40]; 1992, 4; 1993, 94; 2000, 214; 2003, 218; 2005, 281 [282]; BGH StV 1986, 287 [288]; 2002, 183, 530; 2004, 297; BGH, Beschluss vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01 -; Beschluss vom 11. August 2004 - 3 StR 202/04 -). Sie dürfen nicht einmal zur Auslegung bestimmter Formulierungen im Protokoll herangezogen werden (BGHSt 13 [59]). Ob - und in welchen Fallkonstellationen - distanzierende Erklärungen der - oder einer der - Urkundspersonen dem Protokoll generell die formelle Beweiskraft entziehen und damit grundsätzlich den Weg zum Freibeweisverfahren eröffnen (BGHSt 4, 364 [365]; BGH NStZ 1988, 85; Engelhardt in Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 274 Rdn. 6) oder nicht (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 3; BGH NStZ 2005, 281 [282]), kann hier dahinstehen (vgl. BGHR StPO Beweiskraft 13; offen gelassen in BGH NStZ 2002, 270 [272]; so weit sie zugunsten des Angeklagten wirken vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8, 13, 28; BGH NStZ 1988, 85; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 274 Rdn. 49 m.w.N.).
9
Die Voraussetzungen für eine Ergänzung des Protokolls im Freibeweisverfahren liegen auch sonst nicht vor. Die - noch nicht ergänzte - Sitzungsniederschrift ist eindeutig, sie leidet - für sich betrachtet - nicht an offensichtlichen Mängeln, ist weder unklar, erkennbar lückenhaft oder widersprüchlich (zum Wegfall der Beweiskraft bei entsprechenden Mängeln vgl. RGSt 63, 408 [410]; BGHSt 16, 306 [308]; 17, 220 [221]; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 12, 16, 24, 25, 27; BGH NJW 1976, 977; NStZ 2000, 49; NStZ-RR 2000, 293; StV 1999, 639; 2004, 297; JR 1961, 508; Gollwitzer in Löwe /Rosenberg StPO 25. Aufl. § 274 Rdn. 23 ff.).
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Gemäß der - negativen - Beweiskraft (§ 274 StPO) des Protokolls in seiner ursprünglichen, unvollständigen Fassung stünde im vorliegenden Fall der Rechtsverstoß somit fest.
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Der Senat vermag in einem Fall wie dem vorliegenden auch nicht auszuschließen , dass das Urteil auf dem Rechtsverstoß, der Nichtverlesung des Anklagesatzes beruht (zur Bedeutung der Verlesung des Anklagesatzes vgl. G. Schäfer, Gedanken zur Beweiskraft des tatrichterlichen Protokolls unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, Seite 707 [724]).
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3. Der Senat ist allerdings der Ansicht, dass - entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - die formelle Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO auch hinsichtlich eines berichtigten Protokolls uneingeschränkt gilt, also auch dann, wenn einer zuvor vom Angeklagten erhobenen Rüge der Boden entzogen wird.

III.


13
Die Strafprozessordnung besagt weder in den §§ 271 bis 274 StPO noch an anderer Stelle, etwas zur Zulässigkeit der Protokollberichtigung (im Gegensatz zu § 164 ZPO) oder zur - relativen - Unbeachtlichkeit der Beweiskraft einer Protokollberichtigung für das Revisionsgericht.
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a) Die Zulässigkeit der - unbefristeten - Protokollberichtigung wurde im Grundsatz vom Reichsgericht (noch offen gelassen in RGSt 2, 76 [77]) alsbald anerkannt: „Denn im allgemeinen wird es als eine Berufspflicht des Urkundsbeamten anzusehen sein, Fehler der Beurkundung, von denen er sich nachträglich überzeugt hat, behufs der Verhütung von Rechtsverletzungen zur Anzeige zu bringen. Der Berücksichtigung einer solchen Anzeige, welche ein Audienzprotokoll betrifft, steht die Vorschrift in § 274 StPO, welche gegen den die Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls nur den Nachweis der Fälschung zulässt, nach Ansicht des Senats nicht entgegen. Denn diese Vorschrift schließt gegenüber den Bekundungen des Audienzprotokolls nur den Gegenbeweis aus; eine Berichtigung oder Ergänzung des Audienzprotokolls durch übereinstimmende Erklärung des Vorsitzenden und des Gerichtsschreibers enthält jedoch einen Widerruf der früheren Beurkundung und entzieht derselben, soweit der Widerruf reicht, die Beweiskraft, sodass es eines Gegenbeweises nicht mehr bedarf“ (RGSt 19, 367 [370]; entspr RGSt 57, 394 [396]). „Dass ein Protokoll von den Urkundspersonen berichtigt (ergänzt) werden kann, ist unbestritten. Es muss sogar als Pflicht der Urkundsbeamten bezeichnet werden, erkannte Fehler der Beurkundung richtig zu stellen, um mögliche Rechtsnachteile Dritter zu verhüten“ (OGHSt 1, 277 [278]). Davon geht auch der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus (seit BGHSt 1, 259 und BGHSt 2, 125; 10, 145).
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b) Der Grundsatz, dass eine Protokollberichtigung einer zugunsten des Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge nicht den Boden entziehen darf („Rügeverkümmerung“ ), findet sich - aufbauend auf der Rechtsprechung der preußischen Obergerichte (vgl. RGSt 43, 1 [10]) - schon zu Beginn der Reichsgerichtsrechtsprechung (RGSt 2, 76 [77]) und bleibt ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts bis zum Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 11. Juli 1936 (RGSt 70, 241). Auch wenn diese Entscheidung sachliche Abwägungen enthält, darf sie nach Auffassung des Senats allerdings im Hinblick auf andere, im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Gedankengut stehende Formulierungen keine weitere Beachtung mehr finden. Grundlegend war der Beschluss der Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts vom 13. Oktober 1909 (RGSt 43, 1). Dieser Rechtsprechung (vgl. auch RGSt 56, 29; 59, 429 [431]) folgten dann nach dem Krieg verschiedene Obergerichte (vgl. - Oberster Gerichtshof für die Britische Zone - OGHSt 1, 277 [279] m.w.N.) und schließlich der Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 2, 125; 10, 342 [343]; 12, 270 [271]; 22, 278 [280]; 34, 11 [12]; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11, 13; BGH NStZ 1984, 521; 1995, 200 [201]; StV 2002, 183; JZ 1952, 281). Der Grundsatz, wonach eine Protokollberichtigung einer Verfahrensrüge des Angeklagten nicht die Grundlage entziehen darf, wurde früher auch übertragen auf Änderungen in einem noch nicht fertig gestellten - unterschriebenen - Protokoll, die nach Eingang der Revisionsbegründung am Protokollentwurf vorgenommen wurden (BGHSt 10, 145 [147 f.]; 12, 270 [271 f.]). Nach Einführung des § 273 Abs. 4 StPO (Urteilszustellung erst nach Protokollfertigstellung) durch das StPÄG 1984 ist das nicht mehr tragfähig (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 26).
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In diesen Fällen, in denen die Protokollberichtigung für das Revisionsgericht nicht beachtlich ist, führt das dazu, dass Sachverhalte, die aufgrund der formellen Rechtskraft des - unberichtigten - Protokolls als unwiderlegbar vermutet werden, der wahren Rechtslage nicht zu entsprechen brauchen (RGSt 43, 1 [6]; BGHSt 26, 281 [283]; 36, 354 [358]). Abzustellen ist in diesen Fällen somit auf einen fiktiven Sachverhalt.
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Anfänglich stellte sich noch die Frage, ob das Verbot, einer zugunsten des Angeklagten erhobenen Rüge die Grundlage zu entziehen, dann doch - insoweit - schon eine Protokollberichtigung verbietet. So zu Beginn noch das Reichsgericht (RGSt 2, 76; 19, 323 [324]). Später wird nicht mehr klar unterschieden , verwischt sich die Terminologie, auch in den grundlegenden Ent- scheidungen RGSt 43, 1 und BGHSt 2, 125 (vgl. auch RGSt 59, 429 [431]). Dort wird zwar in den Leitsätzen auf die Nichtberücksichtigung einer Berichtigung abgestellt, während in den Begründungen dann von der Unzulässigkeit bereits der Protokollberichtigung die Rede ist (RGSt 43, 1 [6]; BGHSt 2, 125 [127 f.]). Heute ist anerkannt, dass das Protokoll auch in diesen Fällen - sofern die Urkundspersonen übereinstimmend einen Fehler erkannt haben - zu berichtigen ist (vgl. BGHSt 10, 342 [343]; 12, 270 [271 f.]; 34, 11; BGHR StPO 274, Beweiskraft 8, 13; BGH JZ 1952, 281; BGH NStZ 1992, 49; so auch schon OGHSt 1, 278). Denn der Sitzungsniederschrift kann über das Revisionsverfahren hinaus Bedeutung zukommen (etwa in einem Strafverfahren zur Frage, ob eine Vereidigung stattgefunden hat oder nicht), wenn auch nicht mit der formellen Beweiskraft des § 274 StPO.
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Eine Protokollberichtigung ist immer zu berücksichtigen, wenn sie zugunsten des Angeklagten wirkt (BGHSt 1, 259 [261 f.]) oder wenn sie - bei einem einheitlichen Vorgang - teilweise zugunsten, teilweise zu Ungunsten einer Rüge vorgenommen worden ist (RGSt 56, 29; BGH aaO). Zeitliche Grenzen für die Protokollberichtigung gibt es nicht.
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c) Folgende Argumente werden für die Rechtsprechung, wonach eine Protokollberichtigung einer Rüge nicht den Boden zum Nachteil des Angeklagten entziehen darf, vorgetragen: - Mit dem Eingang der Revisionsbegründungsschrift erwerbe der Beschwerdeführer ein prozessuales Recht auf Beibehaltung der Grundlage seiner Rüge für die Revisionsinstanz, zumal er selbst praktisch keine Möglichkeit habe, die Berichtigung des Protokolls zu erzwingen (BGHSt 2, 125 [126]; RGSt 43, 1 [9]; 59, 429 [431]). Da der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Verfahrensrüge nur das Protokoll in der vorliegenden Form verwerten dürfe, müsse ihm das Recht zustehen, sich nachträglichen Änderungen zu seinen Lasten zu widersetzen (OGHSt 1, 277 [280]), müsse er gegen eine nachträgliche Beseitigung des Mangels durch Protokollberichtigung gesichert sein (BGHSt 2, 125 [127]). - Der Gesetzgeber habe mit § 274 StPO eine Norm geschaffen, die der Zweckmäßigkeit den Vorrang vor der absoluten Wahrheit einräume (BGHSt 2, 125 [128]; 26, 281 [283]; Tepperwien in Festschrift für Meyer-Goßner S. 595 [603 f.]). Der Gesetzgeber habe die mögliche Ausnutzung einer prozessrechtlich zulässigen Befugnis zu wahrheitswidrigen Zwecken gesehen und in Kauf genommen (RGSt 43, 1 [6]; OGHSt 1, 277 [282]). Die Neugestaltung des § 274 StPO sei eine Sache des Gesetzgebers (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01; OGHSt 1, 277 [280]). - Mit zunehmender Zeit lasse das Erinnerungsvermögen (der Urkundspersonen ) nach. Die Gefahr fehlerhafter Berichtigungen sei nicht auszuschließen (RGSt 43, 1 [5]; OGHSt 1, 277 [281]; BGHSt 2, 125 [128]). - Bei uneingeschränkter Berücksichtigung nachträglicher Änderungen bestehe die Gefahr, dass die Sitzungsniederschrift nicht mehr mit äußerster Sorgfalt abgefasst wird.
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d) Die Rechtsprechung, wonach eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge des Angeklagten nicht zu seinen Ungunsten die Grundlage entziehen darf, fand auch Kritik.
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Anders als das Reichsgericht judizierte schon das Reichsmilitärgericht (RMG 9, 35 - Urteil vom 24. Juni 1905 -; entsprechend RMG 15, 282). Der Auffassung des Reichsmilitärgerichts wollte sich der II. Strafsenat des Reichsgerichts anschließen. Dies führte zu der oben genannten Entscheidung der Vereinigten Senate vom 13. Oktober 1909 (RGSt 43, 1), die allerdings die bisherige Rechtsprechung des Reichsgerichts festschrieb. Ernst Beling kritisierte dies heftig und äußerte seinerzeit die Hoffnung, im „wissenschaftlichen Kampf zwischen Reichsgericht und Reichsmilitärgericht“ werde es im Laufe der Zeit gelingen , die Auffassung des Reichsgerichts zu ändern (vgl. Beling, Rechtsprechung des Reichsmilitärgerichts vom 6. Oktober 1902 bis 19. April 1912, in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Band 38, 1917, Seite 612 [632 ff.]).
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Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs finden sich Vorbehalte :
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Ob eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge die Grundlage entziehen darf, wird vom Senat offen gelassen in BGH NJW 1982, 1057, sowie vom 5. Strafsenat in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22 (Berichtigung des Namens einer Dolmetscherin bei offensichtlicher Namensverwechslung ist zulässig; vgl. auch BGH NStZ-RR 1997, 73). Kritisch der 2. Strafsenat in BGHSt 36, 354 [358]: „Sachverhalte, die auf Grund der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift unwiderlegbar zu vermuten sind, brauchen der wahren Sachlage nicht zu entsprechen (vgl. RGSt 43, 1 [6]; BGHSt 26, 281 [283]). Das ist eine bedenkliche Konsequenz der Vorschrift des § 274 StPO, von der Eb. Schmidt (Lehrkomm. StPO II § 188 Erl. 13) sagt, sie sei ‚ziemlich außergewöhnlich ’. … Die Regelung, die § 274 trifft, beruht allein auf pragmatischen Erwägungen... . Diese Erwägungen widerstreiten dem grundsätzlich auch für das Revisionsgericht geltenden Gebot, die wahre Sachlage zu erforschen, wenn prozessual erhebliche Tatsachen (von Amts wegen oder weil sie Gegenstand einer Verfahrensrüge sind) der Klärung bedürfen“.
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Zuletzt sprachen sich definitiv - in obiter dicta - für eine Änderung der Rechsprechung zur Berücksichtigung einer Protokollberichtigung trotz Rügeverlust der 2. Strafsenat (BGH NStZ 2005, 281 [282] - nach Zweifeln in BGH NStZ 2002, 270 [272] und BGH NJW 2001, 3794 [3796]) - und der 1. Strafsenat (Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 1 StR 386/05 -) aus.
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In der Literatur äußerte sich zuletzt kritisch G. Schäfer, Gedanken zur Beweiskraft des tatrichterlichen Protokolls unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, Seite 707 [717 f.]. (So auch Detter , Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten , StraFo 2004, 329. Demgegenüber - für die bisherige Rechtsprechung - Tepperwien in Festschrift für Meyer-Goßner, Die unwahre Verfahrensrüge - unzeitgemäßer Sieg der Form? S. 595, 603 f.).

IV.

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Der Senat ist unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (BGH NStZ 1984, 521 - 1 StR 344/84; BGHSt 34, 11 [12] [- 1 StR 643/85 - nicht tragend ]; BGH NStZ 1995, 200 [201] [1 StR 641/94 - nicht tragend]) der Auffassung , dass die formelle Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO uneingeschränkt gilt, auch dann, wenn eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge zum Nachteil des Angeklagten die Tatsachengrundlage entzieht.
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Dem steht - soweit ersichtlich - jedenfalls folgende Rechtsprechung der anderen Senate entgegen:
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2. Strafsenat: BGHSt 10, 145 [147] (2 StR 34/57)
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3. Strafsenat: BGHSt 2, 125 (3 StR 575/51); BGH JZ 1952 (3 StR 106/51); BGH Beschluss vom 9. Januar 1985 - 3 StR 514/85; BGH NStE Nr. 7 zu § 344 StPO (3 StR 63/88); BGH StV 2002, 183 (3 StR 175/01); BGH 1, 259 (3 StR 106/51 - nicht tragend); BGHR StPO § 274 Beweiskraft 11 (3 StR 338/91 - nicht tragend), 13 (3 StR 63/92 - nicht tragend)
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4. Strafsenat: BGHSt 12, 270 (4 StR 408/58 - nicht tragend) BGH NStZ 2002, 218 (4 StR 249/01 - wohl inzident - nicht tragend -
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5. Strafsenat: BGHSt 10, 342 [343] (5 StR 197/57); BGH NStZ 1993, 51 [52] (5 StR 126/92) - wohl inzident - nicht tragend -; (Beschluss vom 3. Dezember 2003 - 5 StR 462/03 - inzident - nicht tragend - [insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2004, 451])
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Ausgangspunkt für die Anfrage des Senats ist Folgendes:
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Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet. Dies hält der Senat für entscheidend.
34
Dieses Argument erhält dadurch zusätzliches Gewicht, dass das Bundesverfassungsgericht in letzter Zeit mehrfach „unmissverständlich“ darauf hingewiesen hat, die durch eine Revisionsentscheidung bedingte zusätzliche Verfahrensdauer sei bei der Berechnung der Überlänge eines Verfahrens zwar nicht stets, aber immer dann zu berücksichtigen, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat (BVerfG NJW 2003, 2897 [2898]; BVerfGK 2, 239 [251] und zuletzt BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Dezember 2005 - 2 BvR 1984/05 - Absatz Nr. 65). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht für den Fall der Aufhebung eines Urteils wegen eines der Justiz anzulastenden Verfah- rensfehlers von einer Einbeziehung des infolge der Durchführung des Revisionsverfahrens verstrichenen Zeitraums aus (vgl. EGMR NJW 2002, 2856 [2857 Abs. 41]).
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Vor diesem Hintergrund der Wahrheitspflicht verstärkt durch das Verbot der - u.U. im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unangemessenen (abzustellen ist auf das Gesamtverfahren) - Verfahrensverzögerung und des Gebots der Beschleunigung des Verfahrens insbesondere in Haftsachen ist es nicht mehr akzeptabel, Urteile aufgrund eines fiktiven Sachverhalts wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben, der nach dem Inhalt des - berichtigten - Protokolls tatsächlich nicht vorliegt.
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Demgegenüber sind die für die bisherige, letztlich von einem - nach Meinung des Senats nicht gerechtfertigten - Misstrauen in die Redlichkeit der Urkundspersonen getragenen Rechtsprechung vorgebrachten Gründe nicht genügend tragfähig. - Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung werde ein besonderes prozessuales Recht auf Nichtberücksichtigung einer Protokollberichtigung begründet, findet im Gesetz keine Stütze. „Ein prozessuales Recht der Prozessbeteiligten, dass etwas nicht Geschehenes beurkundet oder etwas Geschehenes nicht beurkundet wird, gibt es nicht“ (so schon RMG 9, 35 [42]). Der Revisionsführer kann zwar die Berichtigung eines Protokolls nicht erzwingen. Er kann eine Änderung aber anregen. Deckt sich dies mit der Erinnerung der Urkundspersonen, wobei diese zur Unterstützung der Erinnerung auch auf Aufzeichnungen anderer zurückgreifen dürfen, wird dies zur Protokollberichtigung führen, auch zugunsten des Angeklagten zur Untermauerung einer sonst aussichtslosen Verfahrensrüge (vgl. BGH StV 1988, 45).
- Der Grundsatz, wonach einer erhobenen Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung nicht die Grundlage zum Nachteil des Angeklagten entzogen werden darf, beruht auf Rechtsprechung und kann durch Rechtsprechung geändert werden, eines Gesetzes bedarf es nicht. Dem vor einer Neuausrichtung einer Rechtsprechung in Betracht zu ziehende Wert der Beständigkeit der Rechtsordnung kommt hier geringeres Gewicht zu, da sich an der Pflicht der Instanzgerichte, dem tatsächlichen Ablauf entsprechende Protokolle zu fertigen, nichts ändert. - Berichtigung setzt bei beiden Urkundspersonen sichere Erinnerung voraus. Ist diese nicht vorhanden, dann kann das Protokoll nicht (mehr) berichtigt werden. Ein Argument gegen die Berücksichtigung einer Berichtigung durch das Revisionsgericht ist die Erfahrung nachlassender Erinnerung nicht. Häufig kann eine Urkundsperson auch auf andere Unterlagen als Erinnerungsstütze zurückgreifen, wie im vorliegenden Fall auf die unmittelbar während der Verhandlung getätigten Aufzeichnungen, die Grundlage der Sitzungsniederschrift waren. Schließlich stammt der Hinweis auf die nachlassende Erinnerungskraft aus einer Zeit, als es die Vorschrift über die Urteilsabsetzungsfristen (§ 275 Abs. 1 StPO) noch nicht gab. - Die Ausweitung der Rechtsprechung zum Wegfall der formellen Beweiskraft wegen erkennbarer Mängel, wie Lücken und Widersprüchen hatte keine Auswirkungen auf die Sorgfalt bei der Protokollerstellung. Die Qualität der Sitzungsniederschriften schwankt von Gericht zu Gericht, mit der Rechtsprechung zum Umfang der Beweiskraft nach § 274 StPO hat das nichts zu tun. Einer Urteilsaufhebung, um die Tatgerichte zum Einhalten der Vorschriften zu veranlassen (vgl. Meyer-Goßner DRiZ 1997, 471
[474]), bedarf es nicht. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Tatrichter zu maßregeln (vgl. BGH StV 2004, 1396).
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Die Berücksichtigung jeder Protokollberichtigung durch das Revisionsgericht könnte auch der Ausweitung der Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit des Protokolls (vgl. etwa BGHR StPO § 274 Beweiskraft 25, 27; BGH NStZ 2002, 270, mit kritischer Anmerkung Fezer, 272, kritische Anmerkung Köberer in StV 2002, 527; BGH, Beschluss vom 11. August 2004 - 3 StR 202/04; weitere Entscheidungen vgl. BGH-Nack unter dem Registerstichwort: § 274 StPO Freibeweis ) begegnen, eine Ausweitung zu der in der Literatur vorgebracht wird, die Senate suchten in Grenzfällen geradezu nach Möglichkeiten der Durchbrechung der formellen Beweiskraft des Protokolls (vgl. Detter, Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo, 2004, 329 [330]; Park, Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten , StraFo 2004, 335, [338, 340]). Dementsprechend bedürfte es weniger Beweiserhebungen über den Ablauf des Verfahrens, der Rekonstruktion der Hauptverhandlung. Denn allein distanzierende dienstliche Erklärungen der Urkundspersonen - ohne Protokollberichtigung - führen nicht zum Wegfall der Beweiskraft, wenn dadurch einer vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen wird (BGHSt 8, 283; 10, 342 [343]; 13, 53 [59]; 22, 278 [280]; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 3, 6, 8, 11, 29; BGH NStZ 1983, 375; 1986, 39 [40]; 1992, 4; 1993, 94; 2000, 214; 2003, 218; 2005, 281 [282]; BGH StV 1986, 287 [288]; 2002, 183, 530; 2004, 297; BGH, Beschluss vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01 -; Beschluss vom 11. August 2004 - 3 StR 202/04 -), während im umgekehrten Fall zugunsten des Angeklagten die Beweiskraft des Protokolls entfällt (BGHSt 4, 364, 365; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 1; BGH NStZ 1988, 85).
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Ebenso wären mit der Berücksichtung der - umfassenden - Protokollberichtigung durch das Revisionsgericht der Erfolgsaussicht bewusst unwahrer Verfahrensrügen neue Grenzen gesetzt (zum Diskussionsstand hierzu vgl. Tepperwien, Die unwahre Verfahrensrüge - unzeitgemäßer Sieg in der Form? in Festschrift für Meyer-Goßner, 595 ff.; Detter StraFo 2004, 329 [334]; Park StraFo 2004, 335 [337]. Die prozessuale Wirksamkeit auch einer bewusst unwahren Verfahrensrüge wurde von der Rechtsprechung trotz erkennbaren Unbehagens und geäußerter Zweifel (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21, 22, 24) letztlich nie verneint (vgl. RGSt 43, 1; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21, 22, 27; BGH NStZ 2002, 270 [272]; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 - 5 StR 462/03 - , insoweit nicht abgedruckt in StV 2004, 297). Allerdings galt das Erheben einer - bewusst - unwahren Verfahrensrüge (die Protokollrüge genügt ja nicht) - unabhängig von ihrer prozessualen Wirksamkeit - früher als standeswidrig (vgl. Dahs, Die unwahre Verfahrensrüge, AnwBl. 1950/51, 90 ff.; „Der Rechtsanwalt hat hier wie überall nur dem Recht und der Wahrheit zu dienen. Es ist ihm nie erlaubt, zur Wahrheit in Widerspruch zu treten. Die wahrheitswidrige Verfahrensrüge ist eine standesrechtliche Verfehlung“ [S. 90]. „Der Zweck [Aufhebung eines Fehlurteils] heiligt auch hier nicht die Mittel“ [S. 91]. „… der Anwalt, der die hier wiedergegebenen Grundsätze nicht anerkennt, muss mit der Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens seitens des Generalstaatsanwalts rechnen“ [S. 92]), während es heute fast schon als anwaltlicher Kunstfehler gelten könnte, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen , dass ein anderer Verteidiger die Revision begründet (vgl. hierzu m.w.N.: G. Schäfer, Gedanken zur Beweiskraft des tatrichterlichen Protokolls unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in Festschrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, Seite 707 [727]; zur Zulässigkeit der unwahren Verfahrensrüge kommt nunmehr ge- stützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch das Handbuch des Strafverteidigers von Dahs, von der 1. Auflage 1969, Rdn. 754, bis zur neuesten 7. Aufl. [ab 4. Auflage Dahs jun.] 2005, Rdn. 918: „… braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das Protokoll ‚geschaffenen’ unverrückbaren Tatbestand als ‚Wahrheit’ auszugehen.“ Nur einen scheinbaren Ausweg bietet die Beauftragung eines neuen Verteidigers für die Revisionsbegründung, der „dann vielleicht im Zustand der ‚Unberührtheit’ gehalten werden kann“ (Dahs aaO Rdn. 920), denn dieser hat sich grundsätzlich beim Instanzverteidiger über den Verfahrensablauf kundig zu machen [vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2004 - 1 StR 379/04 -; Verfassungsbeschwerde dagegen nicht zur Entscheidung angenommen mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. September 2005 - 2 BvR 93/05 - unter Hinweis auf den Grundsatz der Einheitlichkeit eines über mehrere Instanzen geführten Verfahrens). Auch diese Entwicklung spricht dafür, die Zurückhaltung bei der umfassenden Berücksichtigung der formellen Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO aufzugeben, auch wenn mit der Berichtigung der Sitzungsniederschrift einer bereits zugunsten des Angeklagten erhobenen Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird. Dies ist im Gegensatz zur Unzulässigkeit einer unwahren Verfahrensrüge der einzige zweifelsfrei mit der formellen Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO zu vereinbarende Weg, um einer derartigen Rüge den Erfolg zu verwehren (vgl. G. Schäfer aaO 727).

V.


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Der Senat fragt deshalb bei den anderen Senaten an, ob entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben wird. Nack Schluckebier Kolz Hebenstreit Graf

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Strafprozeßordnung - StPO | § 243 Gang der Hauptverhandlung


(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (

Strafprozeßordnung - StPO | § 273 Beurkundung der Hauptverhandlung


(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesu

Strafprozeßordnung - StPO | § 274 Beweiskraft des Protokolls


Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Strafprozeßordnung - StPO | § 275 Absetzungsfrist und Form des Urteils


(1) Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hau

Zivilprozessordnung - ZPO | § 164 Protokollberichtigung


(1) Unrichtigkeiten des Protokolls können jederzeit berichtigt werden. (2) Vor der Berichtigung sind die Parteien und, soweit es die in § 160 Abs. 3 Nr. 4 genannten Feststellungen betrifft, auch die anderen Beteiligten zu hören. (3) Die Beric

Strafprozeßordnung - StPO | § 271 Hauptverhandlungsprotokoll


(1) Über die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen und von dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, soweit dieser in der Hauptverhandlung anwesend war, zu unterschreiben. Der Tag der Fertigstellung ist darin anzugeben ode

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 466/05 vom 23. August 2006 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung hier: Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat a

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(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 99/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2001 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten Ö. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. September 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es ihn betrifft. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Die Revision des Angeklagten Ö. hat mit der Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 2, 3 StPO Erfolg.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat das Landgericht nach den Schlußvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger dem Angeklagten nicht das letzte Wort erteilt. Auf die dienstlichen Ä ußerungen des Vorsitzenden , der Protokollführerin, der Beisitzerin und die Erklärung des Verteidigers des Mitangeklagten, wonach dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden ist, kommt es nicht an. Die Erteilung des letzten Wortes ist ein Verfahrensvorgang , der als wesentliche Förmlichkeit nach § 274 Abs. 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGHSt 22, 278, 280). Daß damit dem
Revisionsgericht zugemutet wird, ersichtlich unzutreffende Tatsachen rechtlich zu bewerten und ein sonst nicht zu beanstandendes Urteil aufheben zu müssen , vermag nicht zu befriedigen; der in § 274 StPO festgeschriebene Grundsatz der absoluten Beweiskraft des Protokolls könnte aber nur durch eine Gesetzesänderung aufgegeben werden (G. Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 727 f.).
Auf diesem damit erwiesenen Verfahrensfehler kann das Urteil beruhen. Der Angeklagte hat sich zwar in der Hauptverhandlung nicht eingelassen, es ist aber nicht auszuschließen, daß er sich nach Erteilung des letzten Wortes noch geäußert hätte (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1 und Wiedereintritt 1, 6).
Schäfer Nack Schluckebier
Kolz Schaal

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Unrichtigkeiten des Protokolls können jederzeit berichtigt werden.

(2) Vor der Berichtigung sind die Parteien und, soweit es die in § 160 Abs. 3 Nr. 4 genannten Feststellungen betrifft, auch die anderen Beteiligten zu hören.

(3) Die Berichtigung wird auf dem Protokoll vermerkt; dabei kann auf eine mit dem Protokoll zu verbindende Anlage verwiesen werden. Der Vermerk ist von dem Richter, der das Protokoll unterschrieben hat, oder von dem allein tätig gewesenen Richter, selbst wenn dieser an der Unterschrift verhindert war, und von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, soweit er zur Protokollführung zugezogen war, zu unterschreiben.

(4) Erfolgt der Berichtigungsvermerk in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Protokoll untrennbar zu verbinden.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 99/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2001 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten Ö. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. September 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es ihn betrifft. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Die Revision des Angeklagten Ö. hat mit der Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 2, 3 StPO Erfolg.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat das Landgericht nach den Schlußvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger dem Angeklagten nicht das letzte Wort erteilt. Auf die dienstlichen Ä ußerungen des Vorsitzenden , der Protokollführerin, der Beisitzerin und die Erklärung des Verteidigers des Mitangeklagten, wonach dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden ist, kommt es nicht an. Die Erteilung des letzten Wortes ist ein Verfahrensvorgang , der als wesentliche Förmlichkeit nach § 274 Abs. 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGHSt 22, 278, 280). Daß damit dem
Revisionsgericht zugemutet wird, ersichtlich unzutreffende Tatsachen rechtlich zu bewerten und ein sonst nicht zu beanstandendes Urteil aufheben zu müssen , vermag nicht zu befriedigen; der in § 274 StPO festgeschriebene Grundsatz der absoluten Beweiskraft des Protokolls könnte aber nur durch eine Gesetzesänderung aufgegeben werden (G. Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 727 f.).
Auf diesem damit erwiesenen Verfahrensfehler kann das Urteil beruhen. Der Angeklagte hat sich zwar in der Hauptverhandlung nicht eingelassen, es ist aber nicht auszuschließen, daß er sich nach Erteilung des letzten Wortes noch geäußert hätte (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1 und Wiedereintritt 1, 6).
Schäfer Nack Schluckebier
Kolz Schaal

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 386/05
vom
13. Oktober 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2005 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kempten vom 13. Mai 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

Der Angeklagte hat die Nebenklägerin, seine frühere Lebensgefährtin, gewaltsam auf das Bett gedrückt und sich auf sie gesetzt. Als sie äußerte, „sie wolle lieber sterben, als mit dem Angeklagten Sex zu haben“, zog er zwei zusammengebundene Kabelbinder aus der Hosentasche und sagte: „Wenn du sterben willst, machen wir das gleich“. Unter dem Eindruck dieses Geschehens ließ die Nebenklägerin mehrfachen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten „über sich ergehen“. Deshalb hat das Landgericht den Angeklagten wegen (schwerer) Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB zu Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Schon in der unverändert zugelassenen Anklage hieß es, der Angeklagte habe in der genannten Situation der Nebenklägerin gedroht, sie mit den
Kabelbindern zu erdrosseln. Jedoch war § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB dort bei der Aufzählung der anzuwendenden Vorschriften (§ 200 Satz 1 StPO) nicht genannt. Im Hauptverhandlungsprotokoll ist festgehalten, dass ein Hinweis erteilt wurde, wonach auch eine Verurteilung nach der dabei auch verlesenen Bestimmung des „§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB“ in Betracht käme. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurde, wie ebenfalls im Protokoll festgehalten ist, der genannte Hinweis dahin erläutert, dass „mit dem Werkzeug i.S.d. § 177 Abs. 1 Nr. 2 StPO, mit dem der Widerstand gebrochen werden sollte, … die … Kabelbinder gemeint“ seien. Hierauf gestützt behauptet die Revision, der Angeklagte sei nicht auf den von der Strafkammer im Urteil angewendeten § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB hingewiesen worden.
a) Dies trifft nicht zu. (1) Nach Eingang der Revisionsbegründung wurde das Hauptverhandlungsprotokoll ordnungsgemäß dahin berichtigt, dass in den genannten Verfahrenssituationen weder § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB genannt und verlesen noch § 177 Abs. 1 Nr. 2 StPO erläutet wurde, sondern dass § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB genannt, verlesen und erläutert wurde. Die Verteidigung, der diese Protokollberichtigung bekannt gemacht wurde , hat hierzu keine Erklärung abgegeben. (2) Ein Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 oder (hier) Abs. 2 StPO ist eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit. Dabei ist jedenfalls die Bestimmung in ihrer ziffernmäßigen gesetzlichen Bezeichnung im Protokoll aufzuführen, inwieweit dies auch für tatsächliche Erläuterungen (hier die Kabelbinder könnten das Werkzeug sein) gilt, kann hier dahinstehen, weil eine entsprechende Protokollie-
rung erfolgt ist (vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 265 Rdn. 33; Hänlein/Moos, NStZ 1990, 481, 482 jew. m. Rechtsprechungsnachweisen

).

(3) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (seit BGHSt 2, 125; w. N. b. Schäfer in FS 50 Jahre BGH 707, 716 f. in Fußn. 62 bis 64) ist eine Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls vom Revisionsgericht nicht zu berücksichtigen, wenn sie, wie hier, erst nach erhobener Verfahrensrüge vorgenommen wurde und dieser die Grundlage entzieht. Allerdings hat nunmehr der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit gewichtigen Gründen Bedenken gegen diese Rechtsauffassung erhoben; er neigt zu der Auffassung, dass ein ordnungsgemäß berichtigtes Protokoll bei der Frage, ob ein behaupteter Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt, auch dann berücksichtigt werden kann, wenn dadurch einer vor der Berichtigung erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen wird (StV 2005, 256, 257 m. w. N.). Der Senat neigt dieser Auffassung ebenfalls zu. Er hält es nicht für eine ungerechte Benachteiligung eines Beschwerdeführers , wenn er nicht „gegen eine nachträgliche Beseitigung“ eines „aus dem Protokoll ersichtlichen - in Wirklichkeit nicht vorliegenden - Mangel (s)… durch Protokollberichtigung gesichert“ (so BGHSt 2, 125, 127) ist (vgl. auch Schäfer aaO 717 f.). Die Aufhebung eines Urteils und die damit verbundene Zurückverweisung einer Sache führen notwendig zu einer, erfahrungsgemäß oft erheblichen, Verzögerung des Verfahrensabschlusses. Dies mit allen Konsequenzen hinzunehmen kann schwerlich geboten sein, wenn die Aufhebung allein darauf beruht, dass das Revisionsgericht aus Gründen, die sich jedenfalls nicht ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben, einen formalen Fehler fingieren muss, der zu seiner Überzeugung in Wahrheit nicht vorliegt. Soweit schließlich bei der Bewertung einer nachträglichen Protokollberichtigung „ein gewisses Misstrauen gegen die Redlichkeit der Urkundspersonen spürbar“ (Schäfer aaO
717) wird, gibt es jedenfalls nach den Erfahrungen des Senats keine Anhaltspunkte , die dies rechtfertigen würden (vgl. demgegenüber z. B. BGH StV 1988, 45, wo der Vorsitzende in einer dienstlichen Erklärung zum Revisionsvorbringen dieses bestätigte, sich damit vom Protokollinhalt distanzierte und so den Erfolg einer Verfahrensrüge erst ermöglichte). (4) Einer abschließenden Entscheidung bedarf es hier aber nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt die Beweiswirkung des § 274 Satz 1 StPO nicht, wenn das Protokoll Fehler hat, die die Eindeutigkeit seines Inhalts in Frage stellen. Das ist namentlich der Fall, wenn es Widersprüche , Lücken oder sonstige offensichtliche Mängel, insbesondere Unklarheiten enthält (vgl. zusammenfassend Schäfer aaO 712; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 274 Rdn. 17 jew. m.N.) So verhält es sich hier. Ein Hinweis, wonach auch eine Verurteilung wegen einer bereits in der Anklage aufgeführten Norm in Betracht käme, ist weder rechtlich geboten noch ergibt er einen erkennbaren Sinn. Eine Erläuterung, was ein Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist - § 177 StPO betrifft Kosten des Klageerzwingungsverfahrens und besteht nur aus einem nicht untergliederten Satz - wäre nicht nachvollziehbar. Entfaltet das Protokoll aber keine Beweiskraft, hat das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren den Sachverhalt zu ermitteln. Die inhaltlich von der Revision nicht bestrittene Protokollberichtigung ergibt, dass entgegen der Behauptung der Revision § 265 Abs. 2 StPO im Blick auf § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht verletzt wurde.
b) Der Senat bemerkt, dass eine Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO), die auf die Protokollberichtigung hingewiesen hätte, die Überprüfung des Revisionsvorbringens hinsichtlich der angeblichen Verletzung von § 265 StPO im Blick auf § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht unerheblich erleichtert hätte (Nr. 162 Abs. 2 RiStBV; vgl. auch BGH StraFo 2003, 379, 380;
BGH Beschluss vom 26. November 2003 - 1 StR 407/03; Drescher, NStZ 2003, 296 ff. m. w. N.). 2. Soweit die Revision wegen der Kabelbinder auch die Verletzung von § 265 Abs. 3 StPO rügt, ist verkannt, dass die Drohung mit den Kabelbindern bereits in der Anklageschrift genannt und daher kein im Sinne von § 265 Abs. 3 StPO neu hervorgetretener Umstand ist. Die Revision hat auch insoweit keinen Erfolg, als sie in diesem Zusammenhang zusätzlich darauf hinweist, dass die Äußerung der Geschädigten, sie wolle lieber sterben als mit dem Angeklagten Sex haben (vgl. oben vor 1), in der Anklage nicht genannt sei. Bei dieser Äußerung der Geschädigten handelt es sich nicht um einen Umstand, der die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes zulässt, wie dies § 265 Abs. 3 StPO erfordert. 3. Auch die Rüge, § 265 Abs. 4 StPO sei verletzt, greift nicht durch.
a) Die Revision teilt einen entsprechenden Antrag an die Strafkammer mit, in dem es heißt, die Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung entsprächen nicht ihren Angaben bei der Polizei. Weiter teilt sie den darauf ergangenen Beschluss der Strafkammer mit, wonach die Geschädigte im Wesentlichen die gleichen Angaben wie bei der Polizei gemacht habe. Dieses Vorbringen entspricht nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zwar waren der Verteidigung ebenso wie der Strafkammer sowohl der Akteninhalt als auch die Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung bekannt. Ausführungen hierzu waren daher weder in dem genannten Antrag noch in dem darauf ergehenden Beschluss erforderlich. Das Revisionsgericht prüft dagegen die Schlüssigkeit von Verfahrensrügen nur anhand des Revisionsvorbringens. Die genannten Darlegungen der Revision vermitteln dem Senat jedoch nicht die Erkenntnisse , die erforderlich wären, um zu beurteilen, ob (entgegen der Auffas-
sung der Strafkammer) im Hinblick auf die Aussagen der Geschädigten eine wesentliche Änderung des Sachverhalts im Sinne des § 265 Abs. 4 StPO eingetreten ist. Hinsichtlich der in anderem Zusammenhang von der Revision vorgetragenen Differenz bezüglich der Äußerung der Geschädigten kurz vor der Drohung mit den Kabelbindern ist dies jedenfalls nicht der Fall. Auch sonst ergeben die Urteilsgründe keine Differenzen in zentralen Punkten zwischen den früheren Angaben der Geschädigten und ihren Angaben in der Hauptverhandlung.
b) Hinsichtlich des Inhalts der SMS fehlt es an der Darlegung einer etwaigen - ausweislich des Beschlusses der Strafkammer nicht vorliegenden - Differenz zwischen dem diesbezüglichen Akteninhalt (bzw. der hierauf gestützten Anklage) einerseits und dem Ergebnis der Hauptverhandlung andererseits. Die Auffassung der Revision, unabhängig von solchen Differenzen sei ein Aussetzungsanspruch auf jeden Fall gegeben, solange der Verteidigung das in ihrer Anwesenheit angefallene Ergebnis der Beweisaufnahme nicht schriftlich vorliege , geht fehl, ohne dass dies näherer Ausführung bedürfte. 4. Auch die Rüge der Verletzung von § 261 StPO hinsichtlich der genannten SMS geht ins Leere. Zwar trifft es zu, dass Urkunden durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen sind (§ 249 StPO). Dies ist jedoch durch die - von
der Revision als „neutral“ bewertete - Übersetzung durch die Dolmetscherin geschehen , die insoweit als Gutachterin tätig wurde (vgl. BGH NJW 1965,643; BGH NStZ 1985, 466; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 249 Rdn. 32 jew. m. w. N.). 5. Auch die nicht näher ausgeführte Sachrüge ist unbegründet. Wahl Kolz Hebenstreit Elf Graf

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 249/01
vom
23. Oktober 2001
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2001 gemäß
§§ 154 Abs. 2, 154 a Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
I. Das Verfahren wird auf Antrag des Generalbundesanwalts 1. im Fall II 1 c der Urteilsgründe auf den Vorwurf des schweren Raubes beschränkt, 2. eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II 6 der Urteilsgründe wegen Bedrohung verurteilt worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten. II. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 9. August 2000, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben, 1. soweit der Angeklagte wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Diebstahl und wegen Computerbetruges verurteilt worden ist, 2. im gesamten Rechtsfolgenausspruch. III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
IV. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten "der schweren räuberischen Erpressung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl, des schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung, des Computerbetruges, des versuchten Computerbetruges, des gemeinschaftlichen Diebstahls, des versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, der Körperverletzung und der Bedrohung" schuldig gesprochen. Im übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Es hat ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in "einer Erziehungsanstalt" (richtig: Entziehungsanstalt) angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

I.


Das Verfahren gegen den Angeklagten wird im Fall II 1 c der Urteilsgründe mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf des schweren Raubes beschränkt. Soweit der Angeklagte im Fall II 6 der Urteilsgründe wegen Bedrohung verurteilt worden ist, wird das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Damit entfallen die Verurteilungen wegen tateinheitlich
versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen Bedrohung in den genannten Fällen.

II.


Das Rechtsmittel hat zum Schuldspruch in den Fällen II 1 a und b der Urteilsgründe und zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg, im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Diebstahl (Fall II 1 a der Urteilsgründe) und wegen Computerbetruges (Fall II 1 b) hat keinen Bestand. Insoweit greift die von der Revision erhobene Rüge der Verletzung des § 261 StPO durch.
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten im Fall II 1 a der Urteilsgründe (Überfall auf das Pizza-Bistro in Demmin gegen 19.10 Uhr) und im Fall II 1 b (Verwendung der bei dem Überfall erbeuteten EC-Karte und der vom Tatopfer genannten Geheimnummer zur Abhebung von Bargeld um 19.35 und 19.37 Uhr) auf Videoprints (Bd. I Bl. 22 d.A.) gestützt. Es hat dazu u.a. ausgeführt:
"Der Angeklagte ist auf Videoprints, die gefertigt worden sind von einem Videofilm, der von der Überwachungskamera am Geldautomaten der Sparkasse Demmin, Zweigstelle Dargun aufgenommen wurde, eindeutig zu erkennen. Insbesondere die Nase, der Mund, die Augen und die Kopfform des Angeklagten stimmen mit der auf diesen Videoprints erkennbaren Person überein" (UA 20).
Daû die in Bezug genommenen Videoprints in Augenschein genommen worden wären, ist jedoch in dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht vermerkt. Die Einnahme eines Augenscheins ist eine wesentliche Förmlichkeit, deren Beurkundung durch § 273 Abs. 1 StPO vorgeschrieben ist. Schweigt das Protokoll über die Einnahme eines Augenscheins, so gilt dieser wegen der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO als nicht erfolgt (BGH NStZ 1993, 51; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 31). Auch wenn dieses Ergebnis der wahren Sachlage widersprechen sollte, muû es als Konsequenz der dem § 274 StPO zugrundeliegenden gesetzgeberischen Entscheidung hingenommen werden (BGH NStZ 1993, 51 m.N.).
Die Beweiskraft des Protokolls entfällt nur dann, wenn es offensichtliche Widersprüche oder Lücken aufweist. Dann kann das Revisionsgericht das Protokoll im Wege des Freibeweises ergänzen (vgl. BGHSt 17, 220, 222; 31, 39, 41). Hier liegen die Voraussetzungen für eine Ergänzung des Protokolls im Wege des Freibeweises jedoch nicht vor.
Das Protokoll weist zwar aus, daû die Videoprints sowohl der in dem Pizza-Bistro überfallenen Zeugin St. als auch dem Polizeibeamten T. und dem Bankkaufmann O. im Rahmen ihrer Zeugenvernehmungen vorgehalten und damit als Vernehmungshilfsmittel eingesetzt worden sind (Bd. III Bl. 270, 272, 299). Soweit das Protokoll darüber hinaus keinen Hinweis darauf enthält, daû die Videoprints dabei auch Gegenstand der Beweisaufnahme durch Augenschein wurden, liegt darin aber entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keine offensichtliche Lücke des Protokolls. Es kann dahinstehen , ob es gängiger Praxis beim Vorhalt von Lichtbildern an Zeugen entspricht , daû alle Mitglieder des Gerichts den Beweisgegenstand in Augen-
schein nehmen und allen Prozeûbeteiligten Gelegenheit gegeben wird, diesen zu besichtigen. Eine solche – im übrigen nicht belegte - gängige Praxis der Strafkammer würde eine Durchbrechung der negativen Beweiskraft des Protokolls nicht rechtfertigen. Die vorliegende Fallgestaltung ist mit den Sachverhalten , die den Entscheidungen des 3. Strafsenats (NStZ 1999, 424: Unterbleiben der Verlesung des Anklagesatzes, der Belehrung über die Aussagefreiheit sowie der Vernehmung zur Sache) und des 2. Strafsenats (Urteil vom 8. August 2001 – 2 StR 504/00 : fehlende Anwesenheit eines notwendigen Verteidigers an einem der Sitzungstage) nicht vergleichbar.
Soweit der Angeklagte in den Fällen II 1 a und b verurteilt worden ist, beruht das Urteil auf dem Verfahrensfehler. Die Zeugin St. hat den Täter, der bei dem Überfall eine gestrickte Maske trug, auf den ihr vorgelegten Videoprints , "die nach Überzeugung der Kammer den Angeklagten A. zeigen", nicht erkannt (UA 22). Das Landgericht hat mithin insoweit seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auf den selbständigen Beweiswert der Videoprints gestützt, auf denen der Angeklagte “eindeutig zu erkennen” ist.
2. Der Rechtsfolgenausspruch hat insgesamt keinen Bestand.
Die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf den zu den Tatzeiten zwischen 20 Jahre und 20 Jahre acht Monate alten Angeklagten begegnet aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 13. September 2001 (S. 6 ff.) zutreffend ausgeführten Gründen, auf die der Senat Bezug nimmt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte, bei dem Entwicklungsdefizite nicht vorhanden seien, habe bis zur Begehung der Straftaten eine gute Sozialisationsleistung gezeigt (UA 39),
ist durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt. Der Werdegang des Angeklagten , insbesondere die von ihm von Anfang 1996 bis März 1999 begangenen Straftaten, sein Drogenkonsum sowie die Tatsache, daû er nach dem Scheitern des Versuchs, im Jahr 1999 eine Lehre aufzunehmen, mit einer Clique umherzog und keiner geregelten Arbeit nachging, lassen es zweifelhaft erscheinen, daû bei dem Angeklagten zur Tatzeit keine Reifeverzögerungen vorgelegen haben. Entgegen der Auffassung des Landgerichts läût auch die Heirat des Angeklagten im April 1998 nicht ohne weiteres auf eine altersgerechte Entwicklung schlieûen, da der Angeklagte die Ehe mit einer Armenierin "traditionsgemäû und auf Anraten seiner Eltern" schloû (UA 6) und zu seiner Ehefrau, die nach Armenien zurückkehren muûte, kaum Kontakte hat.
Da nicht auszuschlieûen ist, daû sich die neu festzusetzende Strafe auf die verhängte Maûregel auswirken kann, hebt der Senat auch diese auf.
Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible
5 StR 462/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Dezember 2003

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. März 2003 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Zur Revision der Angeklagten C bemerkt der Senat ergänzend: Die Verfahrensrüge, in der Hauptverhandlung vom 28. Januar 2003 sei der Anklagesatz unter Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht verlesen worden, dringt nicht durch.
Der geltend gemachte Verfahrensfehler ist durch das Schweigen des Protokolls ausnahmsweise nicht bewiesen. Zwar handelt es sich bei der Verlesung des Anklagesatzes nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO um eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, deren Einhaltung nach § 273 Abs. 1, § 274 Satz 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 6; BGH NStZ 1995, 200, 201; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 274 Rdn. 14). Die Beweiskraft des Protokolls kann jedoch entfallen , wenn es an bestimmten inhaltlichen Mängeln leidet, wozu auch unerklärliche Auslassungen (Lücken) gehören (BGH NJW 2001, 3794, 3795 m.w.N.). Als lückenhaft wird ein Protokoll dann behandelt, wenn ein protokollierter Vorgang darauf hindeutet, daß ein anderer zuvor geschehen sein muß (BGH NJW aaO; Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 713 f.). So liegt es hier. Nach der Vernehmung der beiden Angeklagten zur Person vermerkt das Protokoll nicht nur die Vornahme der Belehrung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, was die Voraussetzungen des § 274 Satz 1 StPO insoweit erfüllt hätte (vgl. Mey- er-Goßner aaO, § 243 Rdn. 23), sondern auch deren Inhalt: „Die Angeklagten werden darauf hingewiesen, daß es ihnen freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.“ Damit bezieht sich der Inhalt der Belehrung – den die Revision nicht in Frage stellt – auf die Anklage, was einen deutlichen Hinweis darauf gibt, daß sie auch Gegenstand der bisherigen Hauptverhandlung war.
Die in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 6 und NStZ 1995, 200 f. veröffentlichten Entscheidungen des 1. Strafsenats stehen nicht entgegen. Sie würdigen jeweils einen anderen Inhalt des Protokolls.
Die danach mögliche freibeweisliche Klärung des wirklichen Verfahrensablaufs (vgl. BGH NJW 2001, 3794, 3796) hat nach Würdigung der dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden Richters und der Urkundsbeamtin vom 1. Juli 2003 (Bl. 900 SA) ergeben, daß der Anklagesatz vor der erteilten Belehrung über die Aussagefreiheit verlesen wurde. Der in Anspruch genommene Revisionsgrund ist damit nicht gegeben. Auf die Frage der Zulässigkeit von Verfahrensrügen mit wahrheitswidrigem Sachvortrag (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21 und 22) und die nach Eingang der Revisionsbegründung vorgenommene – bedenkliche – Protokollberichtigung (vgl. BGH NJW aaO) kommt es nicht an.
Harms Häger Raum Brause Schaal

(1) Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. Nach Ablauf der Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. Die Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein.

(2) Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter der Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der Schöffen bedarf es nicht.

(3) Die Bezeichnung des Tages der Sitzung sowie die Namen der Richter, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, die an der Sitzung teilgenommen haben, sind in das Urteil aufzunehmen.

(4) (weggefallen)

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 99/01
vom
30. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2001 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten Ö. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. September 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es ihn betrifft. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Die Revision des Angeklagten Ö. hat mit der Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 2, 3 StPO Erfolg.
Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat das Landgericht nach den Schlußvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger dem Angeklagten nicht das letzte Wort erteilt. Auf die dienstlichen Ä ußerungen des Vorsitzenden , der Protokollführerin, der Beisitzerin und die Erklärung des Verteidigers des Mitangeklagten, wonach dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden ist, kommt es nicht an. Die Erteilung des letzten Wortes ist ein Verfahrensvorgang , der als wesentliche Förmlichkeit nach § 274 Abs. 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. BGHSt 22, 278, 280). Daß damit dem
Revisionsgericht zugemutet wird, ersichtlich unzutreffende Tatsachen rechtlich zu bewerten und ein sonst nicht zu beanstandendes Urteil aufheben zu müssen , vermag nicht zu befriedigen; der in § 274 StPO festgeschriebene Grundsatz der absoluten Beweiskraft des Protokolls könnte aber nur durch eine Gesetzesänderung aufgegeben werden (G. Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 727 f.).
Auf diesem damit erwiesenen Verfahrensfehler kann das Urteil beruhen. Der Angeklagte hat sich zwar in der Hauptverhandlung nicht eingelassen, es ist aber nicht auszuschließen, daß er sich nach Erteilung des letzten Wortes noch geäußert hätte (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1 und Wiedereintritt 1, 6).
Schäfer Nack Schluckebier
Kolz Schaal

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

5 StR 462/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Dezember 2003

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. März 2003 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Zur Revision der Angeklagten C bemerkt der Senat ergänzend: Die Verfahrensrüge, in der Hauptverhandlung vom 28. Januar 2003 sei der Anklagesatz unter Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht verlesen worden, dringt nicht durch.
Der geltend gemachte Verfahrensfehler ist durch das Schweigen des Protokolls ausnahmsweise nicht bewiesen. Zwar handelt es sich bei der Verlesung des Anklagesatzes nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO um eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, deren Einhaltung nach § 273 Abs. 1, § 274 Satz 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BGHR StPO § 274 Beweiskraft 6; BGH NStZ 1995, 200, 201; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 274 Rdn. 14). Die Beweiskraft des Protokolls kann jedoch entfallen , wenn es an bestimmten inhaltlichen Mängeln leidet, wozu auch unerklärliche Auslassungen (Lücken) gehören (BGH NJW 2001, 3794, 3795 m.w.N.). Als lückenhaft wird ein Protokoll dann behandelt, wenn ein protokollierter Vorgang darauf hindeutet, daß ein anderer zuvor geschehen sein muß (BGH NJW aaO; Schäfer in FS 50 Jahre BGH S. 707, 713 f.). So liegt es hier. Nach der Vernehmung der beiden Angeklagten zur Person vermerkt das Protokoll nicht nur die Vornahme der Belehrung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, was die Voraussetzungen des § 274 Satz 1 StPO insoweit erfüllt hätte (vgl. Mey- er-Goßner aaO, § 243 Rdn. 23), sondern auch deren Inhalt: „Die Angeklagten werden darauf hingewiesen, daß es ihnen freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.“ Damit bezieht sich der Inhalt der Belehrung – den die Revision nicht in Frage stellt – auf die Anklage, was einen deutlichen Hinweis darauf gibt, daß sie auch Gegenstand der bisherigen Hauptverhandlung war.
Die in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 6 und NStZ 1995, 200 f. veröffentlichten Entscheidungen des 1. Strafsenats stehen nicht entgegen. Sie würdigen jeweils einen anderen Inhalt des Protokolls.
Die danach mögliche freibeweisliche Klärung des wirklichen Verfahrensablaufs (vgl. BGH NJW 2001, 3794, 3796) hat nach Würdigung der dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden Richters und der Urkundsbeamtin vom 1. Juli 2003 (Bl. 900 SA) ergeben, daß der Anklagesatz vor der erteilten Belehrung über die Aussagefreiheit verlesen wurde. Der in Anspruch genommene Revisionsgrund ist damit nicht gegeben. Auf die Frage der Zulässigkeit von Verfahrensrügen mit wahrheitswidrigem Sachvortrag (vgl. BGHR StPO § 274 Beweiskraft 21 und 22) und die nach Eingang der Revisionsbegründung vorgenommene – bedenkliche – Protokollberichtigung (vgl. BGH NJW aaO) kommt es nicht an.
Harms Häger Raum Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 379/04
vom
23. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. November 2004 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Waldshut-Tiengen vom 1. April 2004 wird als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zu den Verfahrensrügen nach § 338 Nr. 5
1. Der Angeklagte war für die Dauer der Vernehmung des Geschädigten
aufgrund eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses gemäß § 247
StPO aus dem Gerichtszimmer entfernt worden. In Abwesenheit des
Angeklagten und in Unterbrechung der Zeugenvernehmung weist das
Protokoll folgenden Verfahrensvorgang aus: "Die Verfahrensbeteiligten
erörtern die Sachlage, wie weiter vorgegangen werden soll". Danach
machte der Zeuge weitere Angaben zur Sache. Als der Angeklagte
wieder anwesend war, wurde er vom Vorsitzenden über den
Inhalt der Zeugenaussage unterrichtet.
Der Beschwerdeführer beanstandet die Erörterung in Ab wesenheit
des Angeklagten und die fehlende Unterrichtung des Angeklagten
über diese Erörterung. Dazu beruft er sich auf die Urteilsgründe (UA
S. 68). Ausweislich der Urteilsgründe habe diese Erörterung dazu geführt
, daß die Kammer entgegen ihrer ursprünglichen Planung doch
noch eine aussagepsychologische Begutachtung des Geschädigten
in Auftrag gegeben habe.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift di e Rügen als
unzulässig im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erachtet, weil der
Beschwerdeführer den konkreten Inhalt der Erörterung nicht wiedergegeben
habe. Der Beschwerdeführer führt in seiner Erwiderung aus,
daß weder er noch der für das Revisionsverfahren mandatierte Verteidiger
an der Erörterung beteiligt worden seien, so daß ihm nichts
objektiv Unmögliches abverlangt und er nicht dazu veranlaßt werden
könne, eine Revisionsbegründung "ins Blaue hinein" vorzutragen.
2. Entgegen dem Revisionsvortrag war nach den Urteilsfeststellungen
Anstoß für die Kammer, eine aussagepsychologische Begutachtung
des Geschädigten in Auftrag zu geben, dessen Aussageverhalten (UA
S. 68). Der Inhalt der beanstandeten Erörterung ist weder dem Protokoll
noch den Urteilsgründen zu entnehmen. In Unkenntnis des Inhalts
der Erörterung kann das Revisionsgericht nicht prüfen, ob es
sich dabei um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung handelte
, auf den sich der Ausschluß des Angeklagten nicht erstreckte (vgl.
BGHR StPO § 247 Abwesenheit 16; BGH NStZ 1996, 398). Ebenso
kann es nicht prüfen, ob der Angeklagte ohne Kenntnis dieses Verfahrensvorgangs
sich nicht sachgerecht hat verteidigen können
(BGHR StPO § 247 Satz 4 Unterrichtung 5).
Einem Verteidiger, der erst nach der Hauptverhandlung hinzugezogen
wird, bleibt es unbenommen, derartige Verfahrensfehler zu
rügen. Er muß allerdings nach außen hin die Verantwortung für die
Geltendmachung der Verfahrensmängel übernehmen, indem er sie
mit der erforderlichen Bestimmtheit vorträgt und mit Tatsachen belegt.
Der Revision ist beizupflichten, daß Revisionsrügen nicht mit
Behauptungen "ins Blaue hinein" begründet werden können (vgl.
schon BGHSt 7, 162, 164, 165). Läßt sich - wie hier - weder aus
dem Protokoll noch aus dem Urteil entnehmen, daß die Erörterung
in Abwesenheit des Angeklagten zu den behaupteten Verfahrensmängeln
geführt hat, so hätte der für die Revisionsinstanz mandatierte
Verteidiger Erkundigungen einziehen können und müssen
- etwa bei dem erstinstanzlichen Verteidiger, der die Rechte des
Angeklagten in dessen Abwesenheit wahrgenommen hat - , wenn
er die Revision auf derartige - bisher durch nichts belegte - Verfahrensmängel
gründen will.
Nack Wahl Kolz
Elf Graf

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.