Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2014 - 1 StR 381/14

bei uns veröffentlicht am07.10.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 3 8 1 / 1 4
vom
7. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Oktober 2014 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17. Februar 2014 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge der Verletzung des § 168c Abs. 5 StPO hat keinen Erfolg. Dabei kann der Senat offen lassen, ob überhaupt ein Recht auf Benachrichtigung besteht, wenn der Beschuldigte - wie hier - bereits vom Termin ausgeschlossen worden war (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1982 - 2 StR 434/82, BGHSt 31, 140, 142; ebenfalls offen gelassen von BGH, Beschluss vom 3. März 2011 - 3 StR 34/11). Denn jedenfalls lässt das Landgericht noch hinreichend erkennen, dass es rechtsfehlerfrei die Unterlassung der Benachrichtigung für gerechtfertigt hielt (UA S. 19) und sich insoweit die Ausführungen im ermittlungsrichterlichen Beschluss vom 16. Mai 2013, der sich auch mit den Voraussetzungen des § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO befasst, zu eigen gemacht hat. Vor diesem Hintergrund braucht der Senat auch nicht zu entscheiden, ob die Rüge in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise erhoben ist. Hieran könnten im Hinblick auf den fehlenden Vortrag dazu, ob der Beschuldigte durch seinen Verteidiger Kenntnis von der bevorstehenden Vernehmung erhalten hat, Zweifel bestehen. Ohne Kenntnis von diesen, allein in der Sphäre des Beschuldigten wurzelnden und dem Revisionsgericht nicht zugänglichen Tatsachen (vgl. zu insoweit vergleichbaren Fallkonstellationen BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135; Beschluss vom 11. März 1998 - 3 StR 43/98, NStZ 1998, 369) könnte der Senat nämlich nicht prüfen, ob die Rechte des Beschuldigten, auf die Beweisgewinnung in einer nicht an seine Anwesenheit anknüpfenden Weise Einfluss nehmen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2012 - 5 StR 401/12; Urteil vom 11. Mai 1976 - 1 StR 166/76, BGHSt 26, 332), beeinträchtigt worden sind. Dies versteht sich in der vorliegenden Fallkonstellation, in der der weiträumig vor dem Termin hiervon benachrichtigte Verteidiger den Termin wahrnimmt, sein Fragerecht ausübt und der Beschuldigte selber in nicht angefochtener Weise von der Anwesenheit ausgeschlossen ist, ausnahmsweise nicht von selbst.
Rothfuß Jäger Cirener Radtke Mosbacher

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 168c Anwesenheitsrecht bei richterlichen Vernehmungen


(1) Bei der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. Diesen ist nach der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären oder Fragen an den Beschuldigten zu stellen. U

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2012 - 5 StR 401/12

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5 StR 401/12 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 12. September 2012 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2012 beschlossen: 1. Auf die Revision de

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 34/11 vom 3. März 2011 in der Strafsache gegen wegen besonders schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung de

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Bei der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. Diesen ist nach der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären oder Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen oder Erklärungen können zurückgewiesen werden.

(2) Bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen ist der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. Diesen ist nach der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären oder Fragen an die vernommene Person zu stellen. Ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen oder Erklärungen können zurückgewiesen werden. § 241a gilt entsprechend.

(3) Der Richter kann einen Beschuldigten von der Anwesenheit bei der Verhandlung ausschließen, wenn dessen Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährden würde. Dies gilt namentlich dann, wenn zu befürchten ist, daß ein Zeuge in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen werde.

(4) Hat ein nicht in Freiheit befindlicher Beschuldigter einen Verteidiger, so steht ihm ein Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen zu, die an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er in Haft ist.

(5) Von den Terminen sind die zur Anwesenheit Berechtigten vorher zu benachrichtigen. In den Fällen des Absatzes 2 unterbleibt die Benachrichtigung, soweit sie den Untersuchungserfolg gefährden würde. Auf die Verlegung eines Termins wegen Verhinderung haben die zur Anwesenheit Berechtigten keinen Anspruch.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 34/11
vom
3. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. März 2011 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 23. September 2010 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Soweit das Landgericht seine Überzeugung, der Angeklagte habe sich vor dem Haftrichter wahrheitsgemäß eingelassen, auch mit dem Inhalt der Aussage der Geschädigten bei ihrer Vernehmung durch den Zeugen Richter am Amtsgericht S. begründet, ist das Urteil nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Die Beweiswürdigung begegnet bereits sachlich-rechtlichen Bedenken. Sachverständig beraten hat das Landgericht die Geschädigte für glaubwürdig und ihre vom Zeugen wiedergegebene Aussage für glaubhaft erachtet. Gleichwohl hat es sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte mit der Geschädigten - wie von ihr geschildert - auch in den Fällen II. 2.
und 3. der Urteilsgründe den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog (UA S. 17). Weshalb es den Angaben der Geschädigten in diesen Fällen nur teilweise, im Falle II. 1. dagegen insgesamt gefolgt ist, legt es nicht dar. Diesen Widerspruch aufzulösen hätte es sich indes veranlasst sehen müssen. Hat der Tatrichter Zweifel an der Glaubhaftigkeit einzelner Teile einer Zeugenaussage, so muss er dem Revisionsgericht die Überprüfung ermöglichen, ob seine Annahme, dies lasse deren Beweiswert im Übrigen unberührt und stelle deren Tauglichkeit nicht insgesamt in Frage, auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht.
2. Darüber hinaus rügt die Revision zu Recht, dass das Landgericht diese Aussage nach § 252 StPO nicht hätte verwerten dürfen. Die Geschädigte hat in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) Gebrauch gemacht. Der Behandlung ihrer Vernehmung durch Richter am Amtsgericht S. als richterliche - und damit dessen Vernehmung zum Inhalt der Aussage - steht entgegen, dass der Beschwerdeführer von dem Termin nicht gemäß § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO benachrichtigt worden ist; Raum für eine Abwägung, ob die Umstände des Einzelfalles die Annahme eines Verwertungsverbots gebieten, verbleibt in einem solchen Falle nicht (vgl. Meyer -Goßner, StPO, 53. Aufl., § 168c Rn. 6 mwN). Allein das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 168c Abs. 3 StPO macht die Benachrichtigung des Beschuldigten vom Termin zur richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen nicht entbehrlich, denn sie dient der Wahrung seiner Rechte auch über ein Ermöglichen des Erscheinens hinaus (LR-Erb, StPO, 26. Aufl., § 168c Rn. 37). Ob etwas anderes dann gilt, wenn der Beschuldigte bereits ausgeschlossen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1982 - 2 StR 434/82, BGHSt 31, 140, 142), kann offen bleiben. Dass nicht nur die Anwesenheit des Beschwerdeführers bei der Vernehmung, sondern auch schon dessen Benachrichtigung vom Termin den Untersuchungserfolg gefährdet hätte (§ 168c Abs. 5 Satz 2 StPO), legt das Landgericht in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss nicht dar.
3. Der Senat schließt indes aus, dass das Urteil auf diesen Rechtsfehlern beruht, denn das Landgericht stützt sich bei seiner Würdigung der Beweise in erster Linie auf das Einlassungsverhalten des Angeklagten im Ermittlungsverfahren. Der Aussage der Geschädigten misst es demgegenüber ersichtlich keine entscheidende Bedeutung bei.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 2. März 2011 hat dem Senat vorgelegen.
Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

(1) Bei der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. Diesen ist nach der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären oder Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen oder Erklärungen können zurückgewiesen werden.

(2) Bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen ist der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. Diesen ist nach der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären oder Fragen an die vernommene Person zu stellen. Ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen oder Erklärungen können zurückgewiesen werden. § 241a gilt entsprechend.

(3) Der Richter kann einen Beschuldigten von der Anwesenheit bei der Verhandlung ausschließen, wenn dessen Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährden würde. Dies gilt namentlich dann, wenn zu befürchten ist, daß ein Zeuge in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen werde.

(4) Hat ein nicht in Freiheit befindlicher Beschuldigter einen Verteidiger, so steht ihm ein Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen zu, die an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er in Haft ist.

(5) Von den Terminen sind die zur Anwesenheit Berechtigten vorher zu benachrichtigen. In den Fällen des Absatzes 2 unterbleibt die Benachrichtigung, soweit sie den Untersuchungserfolg gefährden würde. Auf die Verlegung eines Termins wegen Verhinderung haben die zur Anwesenheit Berechtigten keinen Anspruch.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

5 StR 401/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 12. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2012

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 24. April 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben; der Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu seinem Freispruch.
2
1. Der Angeklagte lebt mit seiner Ehefrau und deren am 17. Mai 1999 geborener Tochter, der Zeugin M. K. , in einem gemeinsamen Haushalt. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils kam es dazu, dass der Angeklagte ihr unter das T-Shirt fasste und zur Befriedigung seiner sexuellen Interessen ihre unbedeckte linke Brust massierte. Als sie versuchte wegzulaufen, hielt der Angeklagte sie am Arm fest, um sie weiter an der Brust berühren zu können.
3
Ferner lag ihm zur Last, M. – erfolglos – aufgefordert zu haben, ihm ihr unbedecktes Geschlechtsteil zu zeigen. Insoweit hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, da es nicht auszuschließen vermochte, dass er freiwillig vom Versuch des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zurückgetreten sei. Darüber hinaus hat ihm die Anklage vorgeworfen, seiner Stieftochter bei zwei weiteren Gelegenheiten unter die Schlafanzughose an das unbedeckte Geschlechtsteil gegriffen zu haben, wobei er in einem Fall einen Finger in die Scheide des Kindes eingeführt habe. Hinsichtlich dieser beiden Anklagepunkte ist das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden.
4
2. Von dem zur Verurteilung führenden Tatgeschehen hat sich das Landgericht auf der Grundlage der Aussage des Kindes bei der Ermittlungsrichterin überzeugt, die durch Vernehmung der Richterin in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. M. K. sowie ihre Mutter, Großmutter und Schwester haben in der Hauptverhandlung jeweils von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache geäußert. Weitere unmittelbare Tatzeugen gibt es nicht. Ihrer Tante hatte M. lediglich berichtet, dass der Angeklagte sie aufgefordert habe, sich ihm nackt zu zeigen, damit er sehen könne, ob ihre Brüste und ihre Schambehaarung schon wüchsen (Freispruchsfall). Hinsichtlich der bei der Polizei zwei Tage vor ihrer richterlichen Vernehmung geschilderten weiteren Vorfälle gab sie gegenüber der Ermittlungsrichterin an, gelogen zu haben.
5
3. Da bereits die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch des Angeklagten führt, kommt es auf die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen nicht an. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO, weil der Angeklagte von der richterlichen Vernehmung seiner Stieftochter nicht rechtzeitig benachrichtigt wurde, merkt der Senat Folgendes an:
6
Allein das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 168c Abs. 3 StPO, von dem das Landgericht ausgeht, machte die Benachrichtigung des Beschuldigten von dem Vernehmungstermin nicht entbehrlich, denn diese dient der Wahrung seiner Rechte auch über ein Ermöglichen des Erscheinens hinaus (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2011 – 3 StR 34/11, StV 2011, 336; Urteil vom 11. Mai 1976 – 1 StR 166/76, BGHSt 26, 332). Aus demselben Grund ist es – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – auch unerheblich, dass sich der Angeklagte am Vernehmungstag bereits in Untersuchungshaft befand und nach § 168c Abs. 4 StPO nur dann einen Anspruch auf Anwesenheit bei der richterlichen Zeugenvernehmung gehabt hätte, wenn diese an der Gerichtsstelle des Ortes der Haft abgehalten worden wäre. Dass der Ausschlussgrund des § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO vorgelegen hätte, ist nicht ersichtlich.
7
4. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
a) In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht oder ein Angeklagter sich nicht einlässt und nur die Angaben einer einzigen Tatzeugin zur Verfügung stehen, mithin die Entscheidung allein davon abhängt, ob dieser einen Zeugin zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 2 StR 591/97, StV 1998, 250; Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.; BGH, Beschlüsse vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97 und vom 19. Oktober 2000 – 1 StR 439/00, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13, 23). Dies gilt erst recht im vorliegenden Fall, in dem die einzige, in der Hauptverhandlung die Aussage verweigernde Tatzeugin, bei ihrer richterlichen Vernehmung kurz zuvor bei der Polizei erhobene Vorwürfe nicht mehr aufrecht erhalten, sondern als erlogen bezeichnet hat. Hier muss das Tatgericht regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, ungeachtet einer Teillüge der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben (BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 aaO). Diesen erhöhten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9
c) In ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung hat M. angegeben, weitere Vorwürfe erlogen zu haben, da sie sich „am Papa habe rächen wollen , weil er sie immer so anschnauze. Papa habe ihr einmal auf dem Sofa an den Bauch gefasst. Zwischen die Beine oder an die Muschi habe er dabei nicht gefasst“ (UA S. 14). Dies erschüttert nach Auffassung des Landgerichts die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hinsichtlich des Verurteilungsfalles jedoch nicht, denn die Zeugin habe „von sich aus“ offengelegt, „dass ein Teil der von ihr in Zusammenhang mit ihrer polizeilichen Vernehmung genannten Fälle gelogen waren“ (UA S. 16). Den Grund für ihr Lügen habe sie nachvollziehbar begründet. Dieses Aussageverhalten wertet die Strafkammer als Anhaltspunkt dafür, dass die Zeugin bei ihrer richterlichen Vernehmung „keine Tendenzen übermäßigen Belastungseifers“gezeigt habe (UA S. 17). Es sei- en keine Gründe erkennbar, warum sie gegenüber der Ermittlungsrichterin einen Teil der von ihr geschilderten Fälle als gelogen offenlegen sollte, während tatsächlich alle Fälle gelogen wären.
10
Diese Erwägungen greifen zu kurz. Die – vom Landgericht unterstellte – Lüge gerade hinsichtlich der gewichtigsten bei der Polizei erhobenen Vorwürfe stellte die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin insgesamt in schwerwiegender Weise in Frage. Das Landgericht hat schon nicht geprüft, ob das Motiv der Rache auch für eine mögliche Falschbelastung des Angeklagten im Verurteilungsfall in Betracht kam. Wesentlich erschwerend tritt hinzu, dass das Tatgericht sich keinen unmittelbaren Eindruck von der Zeugin verschaffen und eine fundierte Glaubhaftigkeitsprüfung auf der Grundlage aussagepsychologischer Methoden nicht durchführen konnte, da hierfür im Hinblick auf die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts durch die Zeugin zu wenig Aussagematerial zur Verfügung stand. Angesichts dessen konnte ihren übrigen Angaben vor der Ermittlungsrichterin nur dann gefolgt werden, wenn außerhalb ihrer Aussage Gründe von Gewicht für ihre Glaubhaftigkeit vorgelegen hätten. Solche sind in der Beweiswürdigung des Landgerichts nicht dargelegt.
11
5. Der Senat schließt angesichts der gegebenen Beweislage aus, dass ein neues Tatgericht zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 – 5 StR 494/06, StV 2007, 284, 286). Daher spricht der Senat den Angeklagten frei (§ 354 Abs. 1 StPO).
12
6. Für die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist das Landgericht zuständig, weil Art und Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen ohne weitere Feststellungen und ohne besondere Anhörung der Beteiligten nicht zu bestimmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1990 – 5 StR 601/89, NJW 1990, 2073 mwN).
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