Bundesfinanzhof Beschluss, 17. Juni 2010 - XI B 88/09

bei uns veröffentlicht am17.06.2010

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wegen Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

2

1. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache im zweiten Rechtsgang grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch erfordert die Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) eine erneute Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH).

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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist --ihre Zulässigkeit unterstellt-- jedenfalls unbegründet.

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a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn die für ihre Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dies ist nur der Fall, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen oder der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. März 2009 XI B 89/08, BFH/NV 2009, 976, m.w.N.).

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aa) Die von der Klägerin im Kern für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) eine zwingende Vorgabe für das nationale deutsche Umsatzsteuerrecht dergestalt enthalte, dass auch bei "wissen können" von einer Einbindung in betrügerische Handlungen Dritter der Vorsteuerabzug zu versagen sei, ist nicht klärungsbedürftig.

6

Diese aufgeworfene Rechtsfrage ist entgegen der Ansicht der Klägerin durch die Rechtsprechung des EuGH und BFH bereits geklärt. Im Anschluss an die --im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts zu berücksichtigende-- Rechtsprechung des EuGH (EuGH-Urteile vom 12. Januar 2006 Rs. C-354/03, C-355/03 und C-484/03 --Optigen--, Slg. 2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144, Randnr. 51; vom 6. Juli 2006 Rs. C-439/04 und 440/04 --Kittel und Recolta Recycling--, Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454) hat der BFH entschieden, dass der Vorsteuerabzug zu versagen ist, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. das im 1. Rechtsgang ergangene BFH-Urteil vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, sowie das BFH-Urteil vom 12. August 2009 XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259).

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bb) Eine Rechtssache hat nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO grundsätzliche Bedeutung und führt zur Zulassung der Revision, wenn die nicht entfernte Möglichkeit besteht, dass im angestrebten Revisionsverfahren eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen sein wird. Dies ist nicht der Fall, wenn keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung oder der Gültigkeit einer Norm des Gemeinschaftsrechts bestehen können (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 37, m.w.N.). Im Streitfall bestehen solche Zweifel angesichts der zitierten EuGH-Urteile nicht. Eine Vorabentscheidung des EuGH wäre im Streitfall in einem künftigen Revisionsverfahren nicht einzuholen.

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cc) Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist zu bejahen, wenn vernünftige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer für die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschrift bestehen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 36, m.w.N.). Eine für den Streitfall entscheidungserhebliche steuerrechtliche Norm, deren Verfassungsmäßigkeit zweifelhaft sein könnte, wird von der Klägerin weder benannt noch ist sie ersichtlich. Sollte sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auch auf § 25d des Umsatzsteuergesetzes (UStG) beziehen, wäre diese Vorschrift für den Streitfall, der Umsatzsteuer-Voranmeldungen des Kalenderjahrs 1999 betrifft, nicht entscheidungserheblich. Die Regelung des § 25d UStG, nach dem der Unternehmer für schuldhaft nicht abgeführte Steuer haftet, ist erst nach dem den Streitfall betreffenden Zeitraum zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten.

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dd) Soweit sich die Klägerin in ihrer Beschwerdeschrift auf weitere angebliche Rechtsfehler des FG mit nach ihrer Ansicht grundsätzlicher Bedeutung wie etwa Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze, fehlende tatsächliche Feststellungen oder fehlerhafte tatsächliche Würdigungen im Urteil bezieht, vermag dies die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zu rechtfertigen. Mit diesem Vorbringen stellt die Klägerin die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage und rügt die ihres Erachtens fehlerhafte Rechtsanwendung, also materiell-rechtliche Fehler. Ein Revisionszulassungsgrund begründet dies jedoch nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Juni 2008 IX B 249/07, BFH/NV 2008, 1512, m.w.N.).

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b) Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Der Zulassungsgrund für eine Revision zur Fortbildung des Rechts ist gegeben, wenn über bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfragen zu entscheiden ist, insbesondere, wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen, Gesetzeslücken auszufüllen oder wenn gegen eine bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung Argumente vorgetragen werden, die der BFH noch nicht erwogen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH-Beschluss vom 17. Juni 2009 II B 33/08, BFH/NV 2010, 42, m.w.N.). Für diesen Zulassungsgrund gilt ebenso wie für den der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, dass es sich um eine klärungsbedürftige und im Streitfall klärbare Rechtsfrage handeln muss (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2004 X B 48/04, BFH/NV 2005, 698, m.w.N.). Die von der Klägerin sowohl zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung als auch zur Fortbildung des Rechts identisch aufgeworfene Rechtsfrage ist, wie bereits ausgeführt, nicht klärungsbedürftig.

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2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 116


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. (2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
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ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.