Bundesfinanzhof Beschluss, 21. Nov. 2012 - VIII B 144/11

published on 21/11/2012 00:00
Bundesfinanzhof Beschluss, 21. Nov. 2012 - VIII B 144/11
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Gericht

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Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil er krankheitsbedingt gehindert gewesen sei, an der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) teilzunehmen. Das FG habe seinem Verlegungsantrag zu Unrecht nicht entsprochen.

2

Nachdem die Beteiligten in einem Erörterungstermin vor der Berichterstatterin eine Teileinigung erzielt hatten, hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nach Änderung der Einkommensteuerbescheide den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Kläger hat mitgeteilt, dass er den Rechtsstreit wegen der ungeklärten Fragen fortsetzen wolle.

3

Das FG hat sodann Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den 24. August 2011, 14:00 Uhr, das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet und den Kläger ordnungsgemäß geladen. Zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung hat der Kläger, der sich vor dem FG selbst vertrat, die Aufhebung des Termins beantragt. Er sei "unvorhergesehen und plötzlich operiert" worden und könne bis auf Weiteres keine Termine wahrnehmen. Mit Verfügung vom selben Tag hat der Vorsitzende den Kläger schriftlich aufgefordert, den Verlegungsgrund umgehend glaubhaft zu machen.

4

Am Tag der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte als Krankheitsvertreter eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Kläger übersandt. Danach war der Kläger in der Zeit vom 22. bis zum 27. August 2011 arbeitsunfähig. Als Diagnose ergibt sich aus der Bescheinigung "Status nach langwieriger Operation". Der Prozessbevollmächtigte hat die Angaben in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergänzt und mitgeteilt, der Kläger habe wegen erheblicher Kieferprobleme kurzfristig operiert werden müssen. Das Schreiben ging per Fax am 24. August 2011 um 12:37 Uhr bei dem FG ein.

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Gleichwohl hat das FG in Abwesenheit des Klägers verhandelt und die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es u.a. aus, die Angaben des Klägers hätten nicht ausgereicht, um dem Gericht eine eigene Einschätzung zu ermöglichen, ob der Kläger reise- und verhandlungsunfähig gewesen sei. Deshalb habe seinem Verlegungsantrag nicht entsprochen werden können.

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Mit der dagegen gerichteten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs.

Entscheidungsgründe

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II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Entgegen der Auffassung des FA erfordert die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs keine Darlegungen zu der Frage, ob das Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, wenn --wie hier-- behauptet wird, dass ein Vertagungsantrag rechtswidrig abgelehnt worden sei. Vielmehr ist das Urteil in diesen Fällen, wenn der Verfahrensmangel vorliegt, stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--; vgl. nur Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 11 a.E., m.w.N.). Deshalb bedarf es auch keiner Darlegungen zum Beruhen.

8

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Das FG hat den Verlegungsantrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt und dadurch das rechtliche Gehör des Klägers verletzt.

9

a) Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO ist ein FG grundsätzlich verpflichtet, einen anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen, wenn hierfür erhebliche Gründe vorliegen.

10

aa) Ein solcher Grund kann u.a. darin liegen, dass der sich selbst vertretende Beteiligte oder sein Prozessbevollmächtigter unerwartet erkrankt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 2001 V B 224/00, BFH/NV 2002, 520, 521, m.w.N.). Nicht jegliche Erkrankung ist allerdings ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass von dem Beteiligten oder seinem Bevollmächtigten die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (BFH-Beschluss vom 17. April 2002 IX B 151/00, BFH/NV 2002, 1047, m.w.N.).

11

bb) Ob im Einzelfall eine Verlegung des Termins geboten ist, muss das FG anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt (BFH-Beschluss vom 28. August 2002 V B 71/01, BFH/NV 2003, 178, m.w.N.); das gilt jedenfalls dann, wenn der Antrag erst kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellt wird. Deshalb muss, wenn in dieser Situation der Antrag auf Terminsverlegung mit einer plötzlichen Erkrankung begründet wird, der Antragsteller dem Gericht regelmäßig nähere Angaben zu Art und Schwere der Krankheit machen. Bei Vorlage eines ärztlichen Attestes muss dieses entweder die Verhandlungsunfähigkeit bescheinigen oder eine so genaue Schilderung enthalten, dass das FG selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung ein Erscheinen zum Termin unzumutbar macht (BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2002 III B 167/01, BFH/NV 2003, 80). Allein die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit reicht hierfür nicht aus (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 80).

12

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall --entgegen der Auffassung des FG-- erfüllt.

13

aa) Zwar ergibt sich aus der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht konkret genug, dass der Kläger auch reise- und verhandlungsunfähig erkrankt war. Es bestanden allerdings auch keine Hinweise, dass es sich um ein Gefälligkeitsattest handeln könnte. Bei der gebotenen Gesamtschau der vom Kläger mit dem Verlegungsantrag und dem Schreiben seines Krankheitsvertreters dem FG unterbreiteten Informationen lag es vielmehr auf der Hand und war auch für das Gericht ersichtlich, dass der Kläger nach einer langwierigen Operation am Kiefer, die er nicht vorhersehen konnte, nicht in der Lage sein würde, aktiv an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. An die gegenteilige Würdigung des FG ist der BFH nicht gebunden, weil sie die Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Verlegungsgrundes weit überspannt. Die an sich gebotene Beschleunigung des Verfahrens geht nicht soweit, dass sich gesundheitlich schwer beeinträchtigte Beteiligte dem Gericht stellen müssen. Dies wäre auch unvereinbar mit der arbeitsrechtlichen Verpflichtung zur Schonung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.

14

bb) Angesichts der Eindeutigkeit des Erkrankungsbildes, das im Streitfall eine antragsgemäße Verlegung des Termins ohne Weiteres gebot, bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob das FG den Termin schon deshalb --und zwar von Amts wegen-- hätte verlegen müssen, weil es mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers selbst zum Ausdruck gebracht hatte, dass es eine mündliche Verhandlung ohne den Kläger zur Herbeiführung der Entscheidungsreife als nicht ausreichend erachtete. Das FG hätte sodann allenfalls erwägen können, gegen den Kläger wegen unentschuldigten Fernbleibens ein Ordnungsgeld festzusetzen.

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. (2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
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Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gründe I. Streitig ist die Festsetzung der Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010. Die Kläger wurden in de
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Annotations

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.

(1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht

1.
das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist;
2.
die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies genügend entschuldigt;
3.
das Einvernehmen der Parteien allein.

(2) Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.

(3) Ein für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August bestimmter Termin, mit Ausnahme eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung, ist auf Antrag innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestimmung zu verlegen. Dies gilt nicht für

1.
Arrestsachen oder die eine einstweilige Verfügung oder einstweilige Anordnung betreffenden Sachen,
2.
Streitigkeiten wegen Überlassung, Benutzung, Räumung oder Herausgabe von Räumen oder wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
3.
(weggefallen)
4.
Wechsel- oder Scheckprozesse,
5.
Bausachen, wenn über die Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten wird,
6.
Streitigkeiten wegen Überlassung oder Herausgabe einer Sache an eine Person, bei der die Sache nicht der Pfändung unterworfen ist,
7.
Zwangsvollstreckungsverfahren oder
8.
Verfahren der Vollstreckbarerklärung oder zur Vornahme richterlicher Handlungen im Schiedsverfahren;
dabei genügt es, wenn nur einer von mehreren Ansprüchen die Voraussetzungen erfüllt. Wenn das Verfahren besonderer Beschleunigung bedarf, ist dem Verlegungsantrag nicht zu entsprechen.

(4) Über die Aufhebung sowie Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung; über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht. Die Entscheidung ist kurz zu begründen. Sie ist unanfechtbar.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen, die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a sinngemäß anzuwenden; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs der Bundesfinanzhof und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Finanzgerichtsordnung tritt; die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden.