Bundesfinanzhof Beschluss, 14. Okt. 2015 - V B 49/15

bei uns veröffentlicht am14.10.2015

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. April 2015  16 K 299/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf die Steuerfreiheit eines Grundstückskaufvertrages aufgrund eines geänderten notariellen Vertrages verzichtet hat.

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Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2015 kündigte der Kläger an, den geänderten, eine Optionserklärung enthaltenden notariellen Vertrag bis zum 19. März 2015 vorzulegen. Nachdem der Kläger mit am 19. März 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ergänzend mitgeteilt hatte, es sei wegen einer Grippeerkrankung nicht möglich gewesen, den abgeänderten notariellen Vertrag innerhalb der Frist vorzulegen, beantragte dieser Fristverlängerung bis zum 26. März 2015. Da der Berichterstatter dieses Schreiben so verstand, dass die Beurkundung bereits stattgefunden hatte und nur noch die Übersendung fehlte, setzte das Finanzgericht (FG) mit Verfügung vom 20. März 2015, per Fax bekanntgegeben am 23. März 2015, dem Kläger eine Ausschlussfrist nach § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vorlage des Vertrages innerhalb von drei Tagen bis zum 26. März 2015. Am Tage des Fristablaufs teilte der Kläger mit, dass der notarielle Termin nicht habe stattfinden können und beantragte weitere Fristverlängerung bis zum 2. April 2015, was das FG ablehnte.

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Nach Übertragung auf den Einzelrichter lud das FG am 27. März 2015 zum Termin am 20. April 2015 um 10:00 Uhr. In der um 10:04 Uhr begonnenen Sitzung teilte der Einzelrichter laut Sitzungsprotokoll mit, der Bevollmächtigte habe "im Vorfeld" telefonisch erklärt, dass er sich "etwa eine viertel Stunde" verspäten werde. Daraufhin unterbrach der Einzelrichter die Sitzung bis 10:20 Uhr, die er nach Wiedereröffnung und Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten um 10:25 Uhr schloss mit dem Hinweis, am Ende des Sitzungstages werde eine Entscheidung verkündet. Um 10:28 Uhr wurde die Sitzung wiedereröffnet und ein klageabweisendes Urteil verkündet. Als Ende der Sitzung ist im Sitzungsprotokoll 10:29 Uhr vermerkt.

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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerdeschrift des Klägers in Form einer Sachverhaltsschilderung legt der Senat so aus, dass er die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 des Grundgesetzes) begehrt. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

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1. Die Garantie des rechtlichen Gehörs gebietet, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu behaupten (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober 1976  2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364, 369; vom 21. April 1982  2 BvR 810/81, BVerfGE 60, 305, 310, und vom 11. Februar 1987  1 BvR 475/85, BVerfGE 74, 228, 233). Dieser Pflicht des Gerichts zur Gewährung des rechtlichen Gehörs entspricht die Obliegenheit der klagenden Partei, im Zeitpunkt des festgesetzten Termins bei Gericht zu erscheinen.

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Erscheint der Kläger im Zeitpunkt des festgesetzten Termins nicht zur mündlichen Verhandlung und hat das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, ob und wann der Kläger zum Termin erscheinen werde, liegt es im Ermessen des Vorsitzenden, ob er noch eine gewisse Zeit abwartet oder im Hinblick auf die Terminslage die Verhandlung eröffnet (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. September 1990 IX R 207/87, BFH/NV 1991, 397). Hat der unpünktliche Beteiligte jedoch sein Erscheinen vor Gericht ausdrücklich angekündigt und vor der Verhandlung telefonisch auf eine unverschuldete geringe Verspätung hingewiesen, folgt aus der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts, dass es zur Gewährung des rechtlichen Gehörs eine angemessene Zeit wartet (BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 2005 II B 3/05, BFH/NV 2006, 605 bei unfallbedingtem Verkehrsstau; vom 29. August 2008 X S 27/08 (PKH), juris; vom 22. Januar 2009 X B 114/08, juris). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt dann z.B. vor, wenn das FG bereits 10 Minuten nach dem Termin die Verhandlung eröffnet und nach 3 Minuten sein Urteil verkündet (BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 605). Allerdings wird das dem Vorsitzenden zustehende Ermessen nicht verletzt, wenn der Kläger einen Verspätungszeitraum ankündigt und bei Überschreitung des Zeitraums keine weitere Nachricht beim FG eingeht (so für einen angekündigten Verspätungszeitraum von 10 Minuten und Wiedereröffnung der Verhandlung durch den Vorsitzenden nach 19 Minuten BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 397).

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2. Nach diesen Grundsätzen liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vor. Der Einzelrichter hat im Hinblick auf die vor der Eröffnung telefonisch angekündigte Verspätung wegen der Verkehrslage um "etwa 15 Minuten" bei der für 10:00 Uhr terminierten Sache bis 10:20 Uhr zugewartet, ohne eine weitere Nachricht zu erhalten, um dann die Sitzung um 10:25 Uhr zu schließen und um 10:28 Uhr nach Wiedereröffnung sein Urteil zu verkünden. Hält der Beteiligte den von ihm selbst angekündigten Verspätungszeitraum ("etwa 15 Minuten") nicht ein, wäre es auch angesichts der derzeitigen Möglichkeiten der Telekommunikation zumutbar gewesen, sein Eintreffen weiter zu konkretisieren, anstatt das Gericht auf unabsehbare Zeit warten zu lassen.

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Im Übrigen ist nach dem Sitzungsprotokoll das Ende der Sitzung um 10:29 Uhr ohne weitere Vorkommnisse vermerkt, sodass an der Behauptung des Klägers, er sei um 10:28 Uhr eingetroffen, Zweifel bestehen. Schließlich fehlt es auch an einer schlüssigen Darstellung des Klägers dazu, dass die Verspätung auf einer unverschuldeten, nicht vorhersehbaren unüblichen Störung der Verkehrslage beruht und nicht darauf, dass die seit langem bekannte Änderung des notariellen Vertrages gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes erst "in letzter Minute" kurz vor der für 10:00 Uhr terminierten Sitzung am Sitzungstage um 9:30 Uhr geschlossen wurde.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 96


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 79b


(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit d

Umsatzsteuergesetz - UStG 1980 | § 9 Verzicht auf Steuerbefreiungen


(1) Der Unternehmer kann einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis g, Nr. 9 Buchstabe a, Nr. 12, 13 oder 19 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

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(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit der Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 verbunden werden.

(2) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen oder elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.

(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Der Unternehmer kann einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis g, Nr. 9 Buchstabe a, Nr. 12, 13 oder 19 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

(2) Der Verzicht auf Steuerbefreiung nach Absatz 1 ist bei der Bestellung und Übertragung von Erbbaurechten (§ 4 Nr. 9 Buchstabe a), bei der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a) und bei den in § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe b und c bezeichneten Umsätzen nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen nachzuweisen.

(3) Der Verzicht auf Steuerbefreiung nach Absatz 1 ist bei Lieferungen von Grundstücken (§ 4 Nr. 9 Buchstabe a) im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an den Ersteher bis zur Aufforderung zur Abgabe von Geboten im Versteigerungstermin zulässig. Bei anderen Umsätzen im Sinne von § 4 Nummer 9 Buchstabe a kann der Verzicht auf Steuerbefreiung nach Absatz 1 nur in dem gemäß § 311b Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.