Bundesfinanzhof Beschluss, 03. Aug. 2015 - III B 154/14
Gericht
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 4. Dezember 2014 9 K 1932/14 aufgehoben.
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Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.
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Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die aus X eingewanderte Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhielt Kindergeld für die beiden Mädchen A (geboren am …. April 1992) und B (geboren am …. Februar 1991). Im Antrag auf Kindergeld hatte sie angegeben, die beiden seien ihre Stiefkinder. Später kam die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) aufgrund von polizeilichen Ermittlungen zur Überzeugung, dass die Klägerin mit dem angeblichen Vater der Kinder, einem Herrn C, eine Scheinehe eingegangen sei. Die beiden Mädchen seien die Nichten der Klägerin. Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes ab Februar 2007 auf. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Im anschließenden Klageverfahren führte das Finanzgericht (FG) am 23. Oktober 2014 eine mündliche Verhandlung durch, in der es die beiden Mädchen sowie Herrn C als Zeugen vernahm. Nach dem Inhalt der Niederschrift wurde die Klägerin aufgefordert, bis zum 10. November 2014 einen Vaterschaftstest vorzulegen. Außerdem verzichteten die Beteiligten für die weitere Entscheidung auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Durch Beschluss vom 3. November 2014 ordnete das Gericht die Beweiserhebung über die Vaterschaft durch Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Am 4. Dezember 2014 erging ohne eine weitere mündliche Verhandlung ein klageabweisendes Urteil. Das FG war aufgrund der Beweisaufnahme der Überzeugung, die beiden Mädchen seien nicht die leiblichen Töchter des C und damit nicht die Kinder des Ehegatten des Kindergeldberechtigten i.S. von § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes.
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Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Sie rügt in erster Linie einen Verfahrensmangel, weil das FG sein Urteil ohne abschließende mündliche Verhandlung gefällt habe, obwohl ein wirksamer Verzicht darauf nicht vorgelegen habe. Im Termin vom 23. Oktober 2014 hätten die Beteiligten lediglich erklärt, dass sie für die weitere Entscheidung auf eine mündliche Verhandlung verzichteten. Die weitere Entscheidung des Gerichts sei jedoch der Beweisbeschluss vom 3. November 2014 gewesen. Eine Einverständnis- und Verzichtserklärung beziehe sich nur auf die nächste Sachentscheidung. Eine Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung ergangen sei, sei bei einem nicht wirksamen Verzicht fehlerhaft, wie sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. August 2010 VIII R 36/08 (BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126) ergebe.
Entscheidungsgründe
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) sowie § 90 Abs. 1 FGO verletzt, da das Urteil ohne weitere mündliche Verhandlung ergangen ist. Zwar hatten die Beteiligten im Termin vom 23. Oktober 2014 auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Allerdings ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass sich der Verzicht nur auf die jeweils nächste Sachentscheidung bezieht (BFH-Beschluss vom 10. März 2005 X B 182/03, BFH/NV 2005, 1068; BFH-Urteil in BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126). Die Verzichtserklärung wurde durch den Beweisbeschluss vom 3. November 2014 "verbraucht". Das Gericht hätte deshalb einen weiteren Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung herbeiführen oder einen weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung durchführen müssen.
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2. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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Annotations
(1)1Als Kinder werden berücksichtigt
- 1.
Kinder im Sinne des § 32 Absatz 1, - 2.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder seines Ehegatten, - 3.
vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Enkel.
(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu bestimmen, dass einem Berechtigten, der im Inland erwerbstätig ist oder sonst seine hauptsächlichen Einkünfte erzielt, für seine in Absatz 1 Satz 3 erster Halbsatz bezeichneten Kinder Kindergeld ganz oder teilweise zu leisten ist, soweit dies mit Rücksicht auf die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für Kinder in deren Wohnsitzstaat und auf die dort gewährten dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen geboten ist.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.
Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn
- 1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, - 2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, - 3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, - 4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, - 5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder - 6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.