Bundesfinanzhof Beschluss, 09. Nov. 2011 - II B 105/10

bei uns veröffentlicht am09.11.2011

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Aus der von den Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen (Klägerinnen) --als Rechtsnachfolgerinnen ihrer verstorbenen Mutter (M)-- gerügten fehlerhaften Tatsachen- und Beweiswürdigung des Finanzgerichts (FG) ergibt sich kein sog. qualifizierter Rechtsanwendungsfehler, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfordert.

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a) Für diesen Zulassungsgrund kommen nur offensichtliche materielle oder formelle Fehler des FG im Sinne einer objektiv willkürlichen und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbaren Entscheidung in Betracht (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896; vom 1. September 2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35; vom 25. März 2010 X B 176/08, BFH/NV 2010, 1455; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 68 ff., m.w.N.). Eine Beweiswürdigung ist willkürlich, wenn sie so schwerwiegende Fehler aufweist, dass sie unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar ist und offensichtlich jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwiderläuft, so dass ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung besteht (BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2007 IV B 124/06, BFH/NV 2008, 781; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 70, m.w.N.). In der Beschwerdebegründung muss bei Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes substantiiert dargelegt werden, weshalb die Vorentscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. Dezember 2002 X B 99/02, BFH/NV 2003, 496; vom 3. November 2005 V B 9/04, BFH/NV 2006, 248). Derartige Rechtsfehler sind teilweise nicht substantiiert dargetan und liegen im Übrigen nicht vor.

4

b) Mit der Rüge, das FG habe die Beweislastregeln verkannt, ist ein qualifizierter Rechtsanwendungsfehler nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerdebegründung verkennt, dass die Frage der Beweislast erst dann aufgeworfen ist, wenn entscheidungserhebliche Umstände unter Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Beweismittel nicht zu dem im Einzelfall erforderlichen Grad der Gewissheit aufgeklärt werden können (vgl. z.B. Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 96 Rz 50; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 96 FGO Rz 148 f.). Demgemäß ist für die Anwendung der Beweislastregeln kein Raum, wenn das FG --wie hier-- die Überzeugung vom Vorliegen der steuerbegründenden Tatsachen gewonnen hat.

5

c) Auch für die Rüge, die Urteilsgründe der Vorentscheidung (unter I.2.b aa bbb und I.2.b aa ccc) widersprächen "offensichtlich den Gesetzen der Logik", fehlt es an schlüssigen Darlegungen. Nach der Beschwerdebegründung soll der Verstoß gegen die Gesetze der Logik darin liegen, dass das FG die Herkunft des Betrags von 620.000 DM einerseits den noch vom verstorbenen Ehemann der M --dem Erblasser (E)-- eingelösten Inhaberschuldverschreibungen zuordne und andererseits annehme, dieser Betrag stamme aus den erst nach dem Tod des E eingelösten Fondsanteilen.

6

Der gerügte Verstoß gegen die Gesetze der Logik besteht indes offensichtlich nicht; die Vorentscheidung geht hinsichtlich des Betrags von 620.000 DM nicht von widersprüchlichen Annahmen aus. Das FG hat unter I.2.b aa bbb der Urteilsgründe ausgeführt, dass sich die nach dem Tod des E verbliebenen 8 800 "…-Anteile" in dem der M zur Verfügung stehenden Nachlass befunden hätten. Die Urteilsgründe unter I.2.b aa ccc betreffen indes nicht den Erwerb der vorgenannten Fonds-Anteile sowie die Verwendung eines durch deren Veräußerung erzielten Erlöses durch M, sondern ausschließlich den 620.000 DM "übersteigenden restlichen Betrag". Dieser restliche Betrag umfasste jedoch, wie in der Vorentscheidung näher ausgeführt, ausschließlich die seinerzeit von E erworbenen und noch zu seinen Lebzeiten teilweise eingelösten Inhaberschuldverschreibungen. Damit hat das FG hinsichtlich dieses restlichen Betrags, entgegen der Annahme der Klägerinnen, keinen Bezug zu den erst nach dem Tod des E eingelösten 8 800 "…-Anteilen" hergestellt.

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d) Die Vorentscheidung ist entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch nicht deshalb "evident unrichtig" und "objektiv willkürlich", weil das FG für den noch zu Lebzeiten des E erzielten Einlösungsbetrag für seine Inhaberschuldverschreibungen in Höhe von 795.918 DM angenommen hat, dieser sei wertmäßig im Vermögensbereich des E verblieben, verzinslich angelegt worden und zuzüglich sämtlicher Kapitalerträge nach dem Tod des E auf M übergegangen.

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Zwar kann, wie bereits dargelegt (oben 1.a), auch eine Beweiswürdigung im Einzelfall so offensichtliche Fehler von erheblichem Gewicht aufweisen, dass sie jedem Zweck einer Beweiswürdigung zuwiderläuft und ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung bestehen kann (BFH-Beschlüsse vom 30. März 2007 XI B 177/06, BFH/NV 2007, 1340; in BFH/NV 2008, 781; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 70). Ein solcher Verstoß ist jedoch im Streitfall nicht ersichtlich.

9

Schon das Vorbringen der Klägerinnen, die Vorentscheidung enthalte keinerlei Ausführungen zur Überzeugungsbildung des FG, trifft nicht zu. Das FG hat zunächst ausdrücklich berücksichtigt, dass die Steuerfahndung die Verwendung des von E erzielten Einlösungsbetrags aus der teilweisen Einlösung seiner Inhaberschuldverschreibungen nicht ermitteln konnte. Es hat sodann im Einzelnen dargelegt, welche tatsächlichen Umstände und Indizien für einen wertmäßigen Verbleib des Einlösungsbetrags von 795.918 DM zuzüglich sämtlicher Kapitalerträge im Vermögensbereich des E sprechen. Dazu hat das FG zunächst ausgeführt, dass M selbst den Empfang eines aus Luxemburg stammenden Betrags von 620.000 DM eingeräumt habe. Hinsichtlich des weiteren Betrags von mindestens 175.918 DM hat das FG unter Würdigung der persönlichen Lebensverhältnisse des E, seines Anlageverhaltens sowie seiner Einkommensverhältnisse einen Mittelabfluss zu seinen Lebzeiten in nachvollziehbarer Weise als völlig unwahrscheinlich angesehen. Es hat dazu mit eingehenden Erwägungen insbesondere eine Schenkung dieses Betrags durch E an seine Töchter --die Klägerinnen-- oder eine Geliebte und ferner einen Verlust des Kapitals durch finanzielle Fehlmaßnahmen oder einen Verbrauch der Mittel für die eigene Lebensführung des E ausgeschlossen. Diese Gesamtwürdigung des FG enthält keine offensichtlichen Fehler von einigem Gewicht und erscheint rechtlich vertretbar.

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2. Die Klägerinnen haben auch den geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), das FG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) oder seine Hinweispflichten (§ 76 Abs. 2, § 93 Abs. 1 FGO) verletzt, nicht schlüssig dargelegt.

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Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539; vom 16. November 2009 V B 37/09, BFH/NV 2010, 450; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a und 16, Stichwort "Überraschungsentscheidung", m.w.N.).

12

Wird das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung gerügt, so ist in der Beschwerdegründung auszuführen, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Beschluss vom 30. Mai 2007 VI B 119/06, BFH/NV 2007, 1697, m.w.N.). Solche Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung nicht.

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Im Streitfall ist auch keine Überraschungsentscheidung ergangen. Für die rechtskundig vertretenen Klägerinnen musste es auf der Hand liegen, dass das FG eine Entscheidung in Bezug auf die Gesamthöhe des in dem angefochtenen Erbschaftsteuerbescheid zugrunde gelegten steuerpflichtigen Erwerbs --und damit auch in Bezug auf den Einlösungsbetrag der noch von E zu seinen Lebzeiten eingelösten Inhaberschuldverschreibungen-- treffen werde. Hinsichtlich des Verbleibs dieses Einlösungsbetrags besteht auch der von den Klägerinnen hergestellte Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen X nicht. Denn gemäß Beweisbeschluss vom 1. Juli 2010 war Beweisthema dieser Zeugenvernehmung allein die Finanzierung des Einzahlungsbetrags von 600.000 DM auf das von M nach dem Ableben des E eröffneten Kontos. Im Übrigen trifft das FG auch keine Verpflichtung, den Beteiligten einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung zu geben (BFH-Beschlüsse vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, BFH/NV 2000, 1235; vom 16. Dezember 2008 VIII B 29/07, BFH/NV 2009, 574; vom 7. Mai 2009 IX B 13/09, BFH/NV 2009, 1266, jeweils m.w.N.) oder seine vorläufige Beweiswürdigung bzw. das Ergebnis einer Gesamtwürdigung zahlreicher Einzelumstände offen zu legen (z.B. BFH-Beschluss vom 10. September 2003 X B 132/02, BFH/NV 2004, 495; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 56, m.w.N.).

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären. § 90 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Satz 2, § 97, §§ 99, 100 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(3) Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 der Abgabenordnung gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, kann das Gericht zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. § 79b Abs. 3 gilt entsprechend.

(4) Die Verpflichtung der Finanzbehörde zur Ermittlung des Sachverhalts (§§ 88, 89 Abs. 1 der Abgabenordnung) wird durch das finanzgerichtliche Verfahren nicht berührt.

(1) Der Vorsitzende hat die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern.

(2) Der Vorsitzende hat jedem Mitglied des Gerichts auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(3) Nach Erörterung der Streitsache erklärt der Vorsitzende die mündliche Verhandlung für geschlossen. Das Gericht kann die Wiedereröffnung beschließen.