Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 05. März 2015 - 19 CE 14.1137

bei uns veröffentlicht am05.03.2015

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wird dahingehend abgeändert, dass dem Antragsgegner Abschiebungsmaßnahmen gegen die Antragstellerin bis zur Rechtskraft des Urteils im Verfahren W 7 K 14.95 untersagt werden. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsgegner die Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens unter Aufhebung der ihm vom Verwaltungsgericht auferlegten Verpflichtung zur Duldung der Antragstellerin bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

1. Die zulässige Beschwerde hat ganz überwiegend keinen Erfolg. Allerdings hält es der Senat für richtig, anstelle der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Duldungsverpflichtung eine Untersagung von Abschiebungsmaßnahmen auszusprechen, weil durch den Bescheid vom 9. Januar 2014 kein vorläufiges Bleiberecht im Sinne des § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG beendet worden ist, nur eine Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Betracht kommt und die Duldung einen der Gegenstände des Hauptsacheverfahrens bildet, dessen Ergebnis vorwegzunehmen vorliegend kein Anlass besteht. Dass eine Aufhebung der Sicherungsanordnung durch das Verwaltungsgericht auf Antrag oder von Amts wegen möglich ist, wenn die Entwicklung des Hauptsacheverfahrens ergibt, dass für die Sicherungsanordnung kein Bedarf mehr besteht, folgt aus der Natur des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 123 Rn. 77 ff.).

Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass der Antragstellerin ein Anordnungsgrund zur Seite steht.

Das Landratsamt hat nicht nur den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise einer Duldung, abgelehnt, die Antragstellerin unter Fristsetzung zur Ausreise aufgefordert und ihr die Abschiebung angedroht, sondern auch erste Vorbereitungen für eine Rückführung der Antragstellerin nach Russland getroffen.

Das Verwaltungsgericht geht auch zu Recht davon aus, dass der Antragstellerin ein Anordnungsanspruch zur Seite steht.

Zur Bejahung des Anordnungsanspruchs genügt die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens zumindest offen ist und die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfällt, denn bei der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind ähnliche Grundsätze wie bei der Aussetzung des sofortigen Vollzugs nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuwenden (BVerfG, B. v. 13.6.1979 - 1 BvR 699/77, BVerfGE 51,268/280 ff.).

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) hinreichend glaubhaft gemacht.

Das Verwaltungsgericht stellt zutreffend fest, dass das Landratsamt den Gesundheitszustand der Antragstellerin hinsichtlich ihrer Reisefähigkeit nur unzureichend aufgeklärt hat. Die Möglichkeit, dass die 83-jährige, vielfach gesundheitlich beeinträchtigte Antragstellerin durch die Abschiebung eine erhebliche Verschlechterung ihrer Gesundheit erleidet (zur Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn vgl. Funke-Kaiser in GK AufenthG, 78. EL Dez. 2014, § 60a Rn. 127), kommt ernsthaft in Betracht. Im Anschreiben an das Gesundheitsamt vom 14. November 2013 hat das Landratsamt nur nach der Transportfähigkeit samt der Notwendigkeit etwaiger Vorkehrungen für die Reise und die Ankunft im Heimatland gefragt, nicht aber nach den gesamten Auswirkungen einer Abschiebung auf die Gesundheit der Antragstellerin. Dementsprechend äußert sich das Gesundheitsamt in seiner Stellungnahme vom 2. Dezember 2013 zu letzterem nicht, sondern bejaht lediglich die Reisefähigkeit in Begleitung. Das Gesundheitsamt bestätigt allerdings in seiner Stellungnahme die Befunde aus dem ärztlichen Attest Dr. S vom 2. September 2013 und erwähnt neben einer Demenz auch eine Depression, die nun psychiatrisch behandelt werden solle. Wenn das Gesundheitsamt in diesem Zusammenhang der Ausländerbehörde anheimstellt, selbstständig den zu erwartenden psychiatrischen Bericht beizuziehen und dem Gesundheitsamt vorzulegen, deutet dies darauf hin, dass das Gesundheitsamt psychiatrischen Untersuchungs- und Aufklärungsbedarf sieht, vor dessen Erfüllung eine Beantwortung von Fragen, die über die Reisefähigkeit im engeren Sinn hinausgehen, nicht möglich ist. Anhaltspunkte für eine verlässliche Beantwortung der Frage, ob die Rückführung nach Russland eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für die Antragstellerin bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn), finden sich weder in den Behördenakten noch im Beschwerdevorbringen. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob das ärztliche Attest der Dres. S. und L. vom 15. April 2014, das von einer Reiseunfähigkeit aufgrund reduzierter körperlicher Belastbarkeit ausgeht, die für eine Glaubhaftmachung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Substanz aufweist.

2. Für das Hauptsacheverfahren weist der Senat auf folgendes hin:

a) Der Senat teilt die Zweifel des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 18.4.2013 - 10 C 10/12 - BVerwGE 146,198; Juris Rn. 38) an einer Übertragbarkeit der Maßstäbe für aufenthaltsbeendende Maßnahmen, durch die eine tatsächlich gelebte familiäre Bestandsgemeinschaft auseinandergerissen wird (vgl. hierzu etwa VGH Baden-Württemberg, B. v. 15.02.1995 - 11 S 2954/94 - NVwZ-RR 1996,115, Juris Rn. 4 ff.), auf Fälle, in denen es - wie hier - um die Genehmigung des Zuzugs von Ausländern geht. In den letztgenannten Fällen ist noch keine Beistandsgemeinschaft vorhanden, die dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt, sondern lediglich eine diesbezügliche (unverbindliche) Absichtserklärung. Vorliegend wird durch den Bescheid vom 9. Januar 2014 keine tatsächlich gelebte familiäre Beistandsgemeinschaft auseinandergerissen. Der tatsächliche Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet bei ihrer Tochter und ihrem Enkel (beide sowohl deutsche als auch russische Staatsangehörige) hat zum einen wegen seiner zeitlichen Begrenztheit und zum anderen deshalb eine solche Bestandsgemeinschaft nicht herbeigeführt, weil er unter Verstoß gegen die Visumpflicht begründet worden ist.

b) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug sonstiger Familienangehöriger gemäß §§ 28 Abs. 4, 36 Abs. 2 AufenthG setzt - wenn Pflegebedürftigkeit als außergewöhnliche Härte geltend gemacht wird - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, dass er auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe wegen Pflegebedürftigkeit ist nicht bei jedem Betreuungsbedarf gegeben, sondern kann nur dann in Betracht kommen, wenn die geleistete Nachbarschaftshilfe oder im Herkunftsland angebotener professioneller pflegerischer Beistand den Bedürfnissen des Nachzugswilligen qualitativ nicht gerecht werden können. Wenn der alters- oder krankheitsbedingte Autonomieverlust einer Person so weit fortgeschritten ist, dass ihr Wunsch auch nach objektiven Maßstäben verständlich und nachvollziehbar erscheint, sich in die familiäre Geborgenheit der ihr vertrauten persönlichen Umgebung engster Familienangehöriger zurückziehen zu wollen, spricht dies dagegen, sie auf die Hilfeleistungen Dritter verweisen zu können. Denn das humanitäre Anliegen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG respektiert den in den unterschiedlichen Kulturen verschieden stark ausgeprägten Wunsch nach Pflege vorrangig durch enge Familienangehörige, zu denen typischerweise eine besondere Vertrauensbeziehung besteht. Pflege durch enge Verwandte in einem gewachsenen familiären Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie als Person infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen in Würde kompensieren zu können, erweist sich auch mit Blick auf die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm als aufenthaltsrechtlich schutzwürdig. Jedenfalls ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles geboten, bei der sowohl der Grad des Autonomieverlustes des nachzugswilligen Ausländers als auch das Gewicht der familiären Bindungen zu den in Deutschland lebenden Familienangehörigen und deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Übernahme der familiären Pflege zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U. v. 18.4.2013, a. a. O. - juris, Rn. 37, 38; ähnlich bereits OVG Saarland, B. v. 23.07.2009 - 2 B 377/09 - juris, sowie OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 19.12.2011 - OVG 3 B 17.10 - juris; vgl. auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 36 AufenthG Rn. 17 ff.).

Vorliegend ist die Pflegebedürftigkeit der Antragstellerin und - gegebenenfalls - deren Umfang nicht hinreichend aufgeklärt. Das Alter der Antragstellerin, die ihr attestierten multiplen Erkrankungen bzw. altersbedingten Schwächen sowie die vorliegenden fach- und amtsärztlichen Bescheinigungen einer Pflegebedürftigkeit sind Anhaltspunkte, die eine solche Aufklärung gebieten. Die ärztliche Einschätzung, die Antragstellerin müsse rund um die Uhr betreut werden, begegnet allerdings deshalb Zweifeln, weil die Antragstellerin vor der Ausreise ihren Alltag noch weitgehend eigenständig bewältigt hat. Die verwaltungsgerichtliche Annahme einer völlig unzureichenden, nur auf dem Papier vorhandenen medizinischen und pflegerischen Versorgung in der Russischen Föderation hat - ebenso wie die diesbezügliche Einschätzung des Gesundheitsamtes vom 2. Dezember 2013 - keine ausreichende Tatsachengrundlage (zum russischen Gesundheitssystem vgl. Nr. I.3 lit. b des Senatsurteils v. 23.7.2014 - 19 B 12.1073 - juris Rn. 85 ff., bestätigt durch BVerwG, B. v. 26.11.2014 - 1 B 25.14 - juris). Nach den vorliegenden Erkenntnissen kann das Niveau der russischen Gesundheitsversorgung durch private Zuzahlungen erheblich gesteigert werden; in diesem Zusammenhang kann die überdurchschnittliche Höhe der russischen Rente der Antragstellerin Bedeutung gewinnen. Schließlich ist derzeit offen, ob die familiäre Hilfe in der erforderlichen Art und in dem erforderlichen Umfang von den Familienangehörigen tatsächlich erbracht werden wird. Die Möglichkeiten der Tochter der Antragstellerin - einer vollschichtig berufstätigen (an der Fortführung ihrer Berufstätigkeit stark interessierten und auf diese wohl auch finanziell angewiesenen) alleinerziehenden Mutter - zur Erbringung familiärer Pflegeleistungen dürften begrenzt sein. Die Antragstellerin spricht zwar die Beteiligung weiterer Familienangehöriger an der Pflege an, legt aber auch insoweit nichts betreffend eine Vereinbarkeit mit deren eigener Lebensgestaltung dar.

In seiner Entscheidung vom 18. April 2013 weist das Bundesverwaltungsgericht schließlich darauf hin, dass das Vorliegen einer „außergewöhnlichen Härte“ nicht automatisch eine Ausnahme vom Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung nach sich ziehen würde und das in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck gebrachte grundlegende staatliche Interesse, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch Zuwanderung zu vermeiden, eigenständige Bedeutung hat (BVerwG, a. a. O., juris Rn. 39, 40). Die Bedenken im streitgegenständlichen Bescheid (S. 9) gegen eine Übertragung der Berechnungsvorgaben im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 2013 (a. a. O.) sind allerdings wenig überzeugend; das Bundesverwaltungsgericht entwickelt diese Vorgaben ausdrücklich im Zusammenhang mit § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (vgl. insbesondere Rn. 37 ff). Nach Aktenlage sind die finanziellen Rahmenbedingungen der Antragstellerin vergleichsweise günstig; es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Transfer der russischen Rentenansprüche der Antragstellerin und insgesamt ein gesicherter Unterhalt gewährleistet werden kann.

c) Auf die Frage eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG kommt es nur an, wenn die behördliche Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels Bestand hat. In diesem Fall sind die gesundheitlichen Einschränkungen der Antragstellerin und sachdienliche Erkenntnisse über die medizinische und pflegerische Versorgung, die der Antragstellerin in Russland zuteilwerden würde, bezogen auf die Zeit alsbald nach der Abschiebung (zu diesem Zeitraum vgl. Abschnitt B, vor I., der Entscheidungsgründe des Senatsurteils v. 23.7.2014, a. a. O.) zueinander in Beziehung zu setzen. Die vom Landratsamt gewählte Form der (fernmündlichen) Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erlaubt keine verlässliche Beurteilung der Frage eines Abschiebungshindernisses, zumal - wie bereits ausgeführt - weder der Gesundheitszustand der Antragstellerin hinreichend aufgeklärt ist noch die in Russland verfügbare medizinische und pflegerische Versorgung.

d) Sollten im Ergebnis weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG noch diejenigen des § 60a Abs. 2 AufenthG (hier: Reiseunfähigkeit) vorliegen, spricht viel dafür, dass auch die Voraussetzungen für ein Absehen vom Visumerfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG nicht vorliegen. In diesem Fall hätte der Ablehnungsbescheid bereits wegen der (angesichts der vorliegenden Umstände eindeutigen und wohl vorsätzlichen) Nichteinhaltung des Visumverfahrens Bestand.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; soweit der Senat die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung abgeändert hat, rechtfertigt diese Teilabänderung angesichts ihres Umfangs keine Überbürdung von Kosten auf die Antragstellerin.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

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Gesetz


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(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass 1. der Lebensunterhalt gesichert ist,1a. die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt is

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(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist u

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(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative, eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt, ist abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und § 29 Absatz 1 Nummer 2 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält.

(2) Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Auf volljährige Familienangehörige sind § 30 Abs. 3 und § 31, auf minderjährige Familienangehörige ist § 34 entsprechend anzuwenden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 26.5.2009 – 10 L 364/09 - wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 21. April 2009 gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid des Antragsgegners vom 20. April 2009 angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die 1940 in Tadschikistan geborene Antragstellerin ist israelische Staatsangehörige. Aus ihrer ersten Ehe ging ihr 1962 geborener Sohn V, dessen Vater deutscher Abstammung war, hervor, der seit Juni 1992 in Deutschland lebt und seit 1993 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Aus ihrer zweiten, 1988 geschiedenen Ehe entstammt der 1977 geborene Sohn A, mit dem sie im Januar 1993 von Kasachstan nach Israel übersiedelte. Der Kontakt zu diesem brach im Oktober 2007 ab, nachdem er nach seiner Eheschließung mit seiner Ehefrau eine Zeitlang im Haushalt der Antragstellerin weiter gelebt hatte und wegen Streitigkeiten ausgezogen war. Am 29.9.2008 reiste sie ins Bundesgebiet ein und beantragte unter dem 13.10.2008 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrem Sohn V, der unter dem 13.10.2008 eine Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG abgab. Zur Begründung hat sie sich auf ihren schlechten Gesundheitszustand berufen, zu dessen Nachweis sie ärztliche Atteste vorgelegt hat. Der Antragsgegner hat ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter dem 20.4.2009 abgelehnt, die Antragstellerin unter dem 21.4.2009 hiergegen Widerspruch eingelegt. Das Verwaltungsgericht hat ihren Aussetzungsantrag zurückgewiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 26.5.2009 – 10 L 364/09 -, durch den ihr Antrag, „den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen die Antragstellerin Abstand zu nehmen“, zurückgewiesen wurde. Nachdem die Antragstellerin der Auslegung dieses ausdrücklich mit „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO“ überschriebenen Antrags als Aussetzungsantrag gemäß § 80 V VwGO durch das Verwaltungsgericht in der Beschwerde nicht entgegen getreten ist, ist - trotz des ohne „Überschrift“, aber ansonsten unverändert gestellten (Beschwerde-) Antrags – auch im Beschwerdeverfahren von einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid auszugehen.

Die Beschwerde ist begründet, da der angefochtene Bescheid nicht offensichtlich rechtmäßig, der Erfolg des Widerspruchs der Antragstellerin vielmehr als offen anzusehen ist. Bei dieser Sachlage ergibt die Abwägung der widerstreitenden Interessen vorliegend ein Überwiegen des privaten Interesses der Antragstellerin, von den kraft Gesetzes (vgl. § 84 I Nr. 1 AufenthG) festgelegten Folgen der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes.

Die Antragstellerin hat ihre Beschwerde im Wesentlichen damit begründet, dass das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht das Vorliegen einer „außergewöhnlichen Härte“ im Sinne des § 36 AufenthG verneint habe. Diese Härte sei dann anzunehmen, wenn im konkreten Einzelfall gewichtige Umstände vorlägen, die unter Berücksichtigung des Schutzgebotes des Art. 6 II und II GG und im Vergleich zu den übrigen geregelten Fällen des Familienachzugs ausnahmsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geböten. Nach den vorl. Anwendungshinweisen zum AufenthG seien solche Umstände härtefallbegründend, aus denen sich ergebe, dass entweder der im Bundesgebiet lebende oder der nachzugswillige Familienangehörige auf die familiäre Lebenshilfe angewiesen sei, die sich nur im Bundesgebiet erbringen lasse (z.B. in Folge einer besonderen Betreuungsbedürftigkeit). Eine solche besondere Betreuungsbedürftigkeit habe die Antragstellerin durch Vorlage des fachärztlichen Attestes vom 19.3.2009 glaubhaft gemacht. Danach leide sie an einem schweren depressiven Syndrom, schwerer Antriebsstörung und ausgeprägter Somatisierung sowie enormem Gewichtsverlust bei Appetitlosigkeit. Eine schwere Depression sei eine ernsthafte Erkrankung, die den Betroffenen sehr große Schwierigkeiten bei der Meisterung alltäglicher Lebenssituationen bereite und häufig von Selbstmordgedanken begleitet sei. Eine Pflegebedürftigkeit aufgrund einer physischen Erkrankung liege zwar nicht vor, sei aber auch nicht erforderlich. Ausweislich des genannten Attestes sei die Antragstellerin wegen ihrer Depression u.a. aufgrund ihrer psychosozialen Vereinsamung in Israel auf die Betreuung ihres Sohnes angewiesen. Wichtig seien das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft, das gemeinsame Gespräch, die Motivierung durch ihren Sohn. Wenn sie allein leben müsste, würde ihr aufgrund der schweren Antriebsstörung gänzlich der Antrieb zu Aufstehen, Ankleiden, Essen, Körperpflege usw. fehlen. Der Antragsgegner habe selbst offenbar keine Zweifel an den vom Arzt getroffenen Feststellungen, da er nur darauf verweise, dass kein besonderer Betreuungs- oder Pflegebedarf ersichtlich sei und die Antragstellerin, die sich als „rüstig“ genug erwiesen habe, die Flugreise von Israel nach Deutschland auf sich zu nehmen, sich in Israel an Einrichtungen für ältere Menschen, Betreuungs- und Pflegestellen verweisen lassen müsse. Der Sohn in Israel sei nicht bereit, die notwendige Lebenshilfe in häuslicher Gemeinschaft für sie zu erbringen, wie der im Bundesgebiet lebende Sohn auch an Eides statt versichert habe. Der Kontakt zwischen beiden sei seit 2007 abgebrochen, was auch vom Antragsgegner nicht ernsthaft in Frage gestellt werde. Eine Bereitschaft zur Sorge dürfe nicht einfach unterstellt werden. Die Antragstellerin müsse sich auch keinesfalls auf Pflegeleistungen durch Dritte verweisen lassen. Zweifelhaft sei die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses ferner insoweit, als das Gericht den Bescheid des Antragsgegners auch im Hinblick auf § 25 V AufenthG für rechtmäßig halte, obwohl dieser tatsächlich ermessensfehlerhaft sei. Der Antragsgegner habe es rechtsfehlerhaft abgelehnt, einen Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Vorliegens eines Ausreisehindernisses gemäß §§ 60a II, 25 V AufenthG i.V.m. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu prüfen. Zur Prüfung, ob ein Abschiebungshindernis vorliege, sei er aber in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen verpflichtet. Eine Duldung könne gemäß § 60a II AufenthG erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erforderten. Aus dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 4.5.2009 ergebe sich, dass dieser rechtsfehlerhaft die Prüfung eines Abschiebeverbotes für gesetzlich nicht zulässig erachte. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 V AufenthG scheide aber keineswegs aus „systematischen Gründen“ aus. Vielmehr ergebe sich aus der vom Antragsgegner zitierten Entscheidung des VGH Baden-Württemberg, dass vor der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht zu prüfen sei, ob der Schutz des Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK eine Bleiberecht gebiete; § 25 AufenthG sei nicht gesperrt, sondern ergänzend zu § 36 AufenthG anwendbar. Die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, dass der Antragsgegner zu Recht darauf hinweise, dass § 25 AufenthG ausscheide, weil die Antragstellerin an der Ausreise weder rechtlich noch tatsächlich gehindert sei sei unzutreffend, da der Antragsgegner einen entsprechenden feststellenden Hinweis nicht gegeben habe. Im Falle einer sachgerechten und ermessensfehlerfreien Entscheidung wäre berücksichtigt worden, dass sich ein solches Abschiebungsverbot bzw. ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung auch aus den Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern aus humanitären Gründen ergeben könne. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin durch den im Bundesgebiet lebenden Sohn sichergestellt sei und Krankenversicherungsschutz bestehe.

Zutreffende Rechtsgrundlage für die von der Antragstellerin zum Nachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn mit Blick auf ihre Erkrankung begehrte Aufenthaltserlaubnis ist der über § 28 IV AufenthG anwendbare § 36 II 1 AufenthG. Danach steht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug „sonstiger Familienangehöriger“, wozu auch die Eltern Volljähriger zählen, im pflichtgemäßen Ermessen („kann“) der Ausländerbehörde, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Ob die Versagung der Aufenthaltserlaubnis durch den angefochtenen Bescheid vorliegend eine derartige außergewöhnliche Härte bedeutet, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Zunächst ist festzustellen, dass das Tatbestandsmerkmal der „außergewöhnlichen Härte“ sich nicht nur von der „Härte“ schlechthin deutlich abhebt, sondern auch eine Steigerung gegenüber der in § 31 II AufenthG geforderten „besonderen Härte“ bedeutet. Bei der Auslegung und Anwendung des Begriffs der außergewöhnlichen Härte ist Art. 6 I GG zu berücksichtigen, wobei die Reichweite der Schutzwirkungen dieser Grundrechtsnorm durch das Gewicht der familiären Bindungen beeinflusst wird. Danach ist die familiäre Verbundenheit zwischen Eltern und erwachsenen Kindern regelmäßig nicht derart, dass von Verfassungs wegen die Ermöglichung des Familiennachzugs geboten wäre. Etwas anderes gilt daher nur, wenn die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfüllt, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen angewiesen ist und sich diese Hilfe ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt. (Hailbronner, Ausländerrecht, - Stand: April 2008 -, § 36 Rdnr. 13, m.w.N.) Die mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten für den Erhalt der Familiengemeinschaft müssen folglich nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass im Hinblick auf den Zweck der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, die Ablehnung der Erlaubnis schlechthin unvertretbar ist. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der Hilfebedürftige allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung von familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und dass diese Hilfe zumutbarerweise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann. (BVerwG, Beschluss vom 25.6.1997 – 1 B 236/96 -, EzAR 020 Nr. 7 m.w.N.) Im Verhältnis von Eltern und Kindern ist zudem zu berücksichtigen, dass sie bereits von Gesetzes wegen einander Beistand und Rücksicht gemäß § 1618a BGB schuldig sind. Da die Lebenshilfe Ausfluss der familiären Beistandsgemeinschaft ist, kommt es nicht darauf an, dass die Hilfe im Herkunftsland auch von familienfremden Personen erbracht werden kann. (Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 1.8.1996 – 2 BvR 1119/96 -, InfAuslR 1996, 341; Huber/ Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 829) Eine Bevorzugung deutscher Staatsangehöriger ist weder im Gesetz angelegt, wie der Verweis in § 28 IV AufenthG auf § 36 AufenthG zeigt, noch vom Gesetzgeber gewollt. (Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 15/420 vom 7.3.2003, S. 81, zu § 28 Abs. 4 und S.84, zu § 36, der § 36 Abs. 2 in der aktuellen Fassung entspricht)

Nach dem angefochtenen Bescheid vom 20.4.2009 geht der Antragsgegner davon aus, dass die Antragstellerin, die nach dem Abbruch des Kontaktes durch ihren jüngeren Sohn - und dessen Ehefrau – bis zu ihrer Ausreise aus Israel allein lebte, auch weiterhin ein eigenständiges Leben zu führen in der Lage ist. Dazu stützt er sich der Sache nach auf die seinerzeitige Reisefähigkeit der Antragstellerin („rüstig genug“), vermutet keine gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes seitdem und verweist sinngemäß darauf, dass die vorgelegten Atteste keinen besonderen Betreuungs- oder Pflegebedarf auswiesen. Eine Auseinandersetzung mit dem attestierten Krankheitsbild ist in dem Bescheid jedoch nicht erfolgt.

Im noch relativ zeitnah zur Einreise erstellten Attest des Dr. R und Kollegen vom 11.12.2008, bestätigt durch weiteres Attest vom 2.3.2009, sind die physischen Leiden der Antragstellerin dargestellt, aber auch die psychische Erkrankung, aus der sie selbst die erforderliche Lebenshilfe ableitet. Danach stehe „medizinisch gesehen zur Zeit eine deutliche depressive Erkrankung mit psychovegetativen Beschwerden, die durch die Lebensgeschichte begreiflich“ erschienen, im Vordergrund. Unter dem 19.3.2009 bescheinigt der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Schlafmedizin Dr. K insbesondere ein schweres depressives Syndrom, eine schwere Antriebsstörung, eine ausgeprägte Somatisierung sowie einen enormen Gewichtsverlust. Er führt aus, dass die Genese der Depression reaktiv bei psychosozialer Vereinsamung in Israel sei.; dort sei der Beginn der Depression gewesen, in der Vorgeschichte sei die Antragstellerin eher eine depressive Persönlichkeit mit Neigung zur Somatisierung gewesen. Nach anfänglicher Besserung – in Deutschland – sei es durch die ungeklärte Situation hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis zu einer sekundären Verschlechterung mit erneuter Verschlechterung der Depression und stärkerer Somatisierung mit ausgeprägter Angst und ausgeprägtem Gewichtsverlust gekommen. Bei Rückkehr nach Israel sei mit einer weiteren Verschlechterung oder Chronifizierung der Depression zu rechnen, unabhängig von einer guten medizinischen oder psychotherapeutischen Versorgung. Die Antragstellerin sei in dem jetzigen Zustand aufgrund der schweren Depression pflegebedürftig.

Nach diesem letztgenannten fachärztlichen Attest, das die Diagnose „schwere Depression“ mit „schwerer Antriebsstörung“ in den Vordergrund stellt, kann jedenfalls nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin derzeit in der Lage ist, ein eigenständiges Leben zu führen. Dazu, ob die Antragstellerin bei ihrer Einreise dazu noch in der Lage gewesen ist, äußert sich kein Gutachter; hierauf kommt es im gegebenen Zusammenhang aber auch nicht an. Da die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 36 II 1 AufenthG eine familiäre Notlage beseitigen soll, ist es entgegen der vom Antragsgegner erstinstanzlich vertretenen Ansicht (Schriftsatz vom 22.5.2009, Bl. 34 Gerichtsakte) nicht maßgeblich, ob diese Notlage bereits bei der – hier gemäß § 41 AufenthV visafreien - Einreise bestanden hat, sondern entscheidend ist vielmehr, ob sie im maßgeblichen Zeitpunkt der – abschließenden behördlichen bzw. ggf. gerichtlichen – Entscheidung über den Antrag bzw. ggf. die Verpflichtungsklage vorliegt. Allerdings ergibt sich aus keinem der vorliegenden Atteste, wie sich die attestierte schwere Depression der Antragstellerin mit schwerer Antriebsstörung im Alltag auswirkt und welche Art von Hilfe sie benötigt. Die Bestätigung einer „Pflegebedürftigkeit“ als solche ist indes nicht aussagekräftig. Allerdings hat die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung insoweit ausgeführt, sie sei wegen ihrer Depression auf die Betreuung durch ihren Sohn angewiesen, wobei die häusliche Gemeinschaft, das gemeinsame Gespräch und die Motivierung durch ihren Sohn wichtig seien. Wenn sie allein leben müsste, würde ihr aufgrund der schweren Antriebsstörung der Antrieb u.a. zu Aufstehen, Ankleiden, Essen und Körperpflege fehlen. Von dieser Einschätzung der Antragstellerin ausgehend bedarf es der Klärung, ob und inwieweit ihr Krankheitsbild über die von Einsamkeit geprägte Befindlichkeit eines allein lebenden, isolierten Menschen mit weit entfernt wohnenden Angehörigen, der die Bewältigung des Alltags aus seiner depressiven Stimmung heraus eher nachlässig angeht, hinausgeht. Denn solange hierauf noch mit vielfältig möglichen ergänzenden Unterstützungsmaßnahmen (u.a. Briefe, Telefonanrufe, gelegentliche Besuche von Angehörigen und/ oder Bekannten, Hinzuziehung örtlicher sozialer und medizinischer Einrichtungen) ausreichend reagiert werden kann, ist noch kein Nachzug wegen außergewöhnlicher Härte im Sinne des § 36 AufenthG gerechtfertigt. Es sind daher die Auswirkungen der Erkrankung der Antragstellerin, die konkret erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen sowie die Folgen bei deren Unterlassung vorliegend zu klären, um beurteilen zu können, ob der Antragstellerin tatsächlich aufgrund ihres Gesundheitszustands kein eigenständiges Leben allein in Israel möglich wäre.

Sofern sich ergeben sollte, dass die Antragstellerin auch mit zumutbarer ergänzender Unterstützung von Hilfsdiensten wegen der Besonderheit ihrer Erkrankung nicht mehr allein leben kann, könnte sie aus jetziger Sicht nicht auf die Unterstützung durch ihren jüngeren Sohn verwiesen werden. Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass sie in ihrem Herkunftsland Israel ohne familiäre Unterstützung und isoliert sei. Dazu hat sie darauf hingewiesen, dass sie mit ihrem jüngeren Sohn - und nach dessen Eheschließung auch mit dessen Ehefrau zunächst - in Israel in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe, bis Auseinandersetzungen im Jahre 2007 zum Auszug des Paares geführt hätten. Seitdem lehne dieser Sohn jeglichen Kontakt mit ihr ab. Dies wird durch die eidesstattliche Versicherung ihres im Bundesgebiet lebenden Sohnes vom 12.5.2009 bestätigt, der zudem angegeben hat, dass auch sein eigenes Bemühen, bei einem Besuch in Israel mit seinem Halbbruder Kontakt aufzunehmen, gescheitert sei; einer Versöhnung stehe dessen Ehefrau entgegen. Angesichts dieser Erklärung kann entgegen der Ansicht des Antragsgegners im angefochtenen Bescheid nicht angenommen werden, der jüngere Sohn werde sich bei Rückkehr der Antragstellerin in Israel künftig auch nur im geringsten - und erst recht nicht im erforderlichen - Maße um sie kümmern.

Da der im Bundesgebiet lebende berufstätige Sohn aufnahmebereit und zur Fürsorge bereit ist sowie die entsprechenden Erklärungen einschließlich der Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG abgegeben hat, bliebe allerdings noch zu klären, ob er mit seiner eigenen Familie in der Lage ist, seiner Mutter in der häuslichen Gemeinschaft auf Dauer die erforderliche Betreuung zukommen zu lassen.

Ob die Erteilung der von der Antragstellerin begehrten Aufenthaltserlaubnis für ihren Nachzug tatsächlich erforderlich ist, um eine außergewöhnliche Härte zu vermeiden, die Versagung also unvertretbar ist, ist somit nach den vorgelegten Unterlagen nicht feststellbar, aber auch keineswegs auszuschließen.

Angesichts der offenen Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin war deren privates Interesse am vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet gegen das gegenläufige staatliche, in der gesetzlichen Wertung des § 84 I AufenthG zum Ausdruck kommende Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids abzuwägen. Dabei erscheint die Zurückstellung des staatlichen Interesses durch die Aussetzung des Sofortvollzugs gerechtfertigt, da der Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet die noch erforderliche Sachverhaltsklärung erleichtert und ihr Sohn entsprechend seiner schon unter dem 13.10.2008 abgegebenen Verpflichtungserklärung offensichtlich für ihren Lebensunterhalt einschließlich Kranken- und Pflegeversicherung aufkommt, so dass sie der Allgemeinheit für die Zeit bis zur endgültigen Entscheidung über ihre Aufenthaltserlaubnis nicht zur Last fällt.

Die Beschwerde musste daher Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 I VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 II, 47, 53 III, 52 II GKG, wobei die Halbierung des Regelstreitwertes für das vorliegende Eilrechtsschutzverfahren der Senatsrechtsprechung entspricht.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen beginnend mit dem Berufungsverfahren 19 B 07.2762 trägt der Kläger.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Der ... in St. Petersburg geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger jüdischen Glaubens. Nachdem ihm und seiner Familie im Februar 1995 die Aufnahme in das Bundesgebiet als jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zugesagt worden war, reiste der Kläger im September 1997 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt am 14. Oktober 1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 23. Oktober 1997 wurde ihm eine Bescheinigung ausgestellt, wonach er Flüchtling im Sinne des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz - HumHAG) sei.

Der Kläger wurde im Dezember 2003 wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Die Strafkammer hat § 21 StGB angewendet, weil eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Steuerungsfähigkeit) aufgrund der beim Kläger vorliegenden undifferenzierten Schizophrenie nicht ausgeschlossen werden könne.

Angehört wegen einer beabsichtigten Ausweisung machte der Kläger geltend, er sei herzkrank (Mitral- und Aortenklappenersatz) und erhalte in der Russischen Föderation keine angemessene medizinische Behandlung.

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 27. Februar 2006 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. I) und ordnete seine Abschiebung (frühestens eine Woche nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausweisungsverfügung) unmittelbar aus der Haft heraus in die Russische Föderation oder in einen anderen übernahmebereiten oder übernahmeverpflichteten Staat an (Nr. II). Für den Fall, dass seine Abschiebung während der Inhaftierung nicht möglich sein und er aus der JVA entlassen werden sollte, wurde der Kläger aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Haftentlassung zu verlassen, andernfalls ihm die Abschiebung (mit dem bereits bezeichneten Ziel) angedroht wurde (Nr. III).

2. Das Verwaltungsgericht hob durch Urteil vom 30. Januar 2007 (Az. AN 19 K 06.1116) die Abschiebungsandrohung nach Haftentlassung binnen Wochenfrist (Nr. III des Bescheids) auf und wies die Klage im Übrigen ab. Mit Beschluss vom 3. September 2008 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Az. 19 B 07.2762). Zwar genössen jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes Ausweisungsschutz gemäß Art. 33 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG. Wegen der vom Kläger ausgehenden konkreten (Wiederholungs-)Gefahr greife dieses Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG/Art. 33 Abs. 2 GFK jedoch nicht.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 13. März 2009 (BVerwG 1 B 20.08) die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs hinsichtlich der Anordnung der Abschiebung aus der Haft (Nr. II des Bescheids) aufgehoben und den Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen; hinsichtlich der Ausweisung (Nr. I des Bescheids) hat es die Beschwerde zurückgewiesen.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 die Anordnung der Abschiebung aus der Haft (Nr. II des Bescheids) und insoweit auch das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben (Az. 19 B 09.824). Er ist davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 die Rechtsstellung eines Kontingentflüchtlings entsprechend § 1 Abs. 1 HumHAG genieße und sich auch ohne Vorliegen eines Verfolgungsschicksals auf das Abschiebungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen könne. Der besondere ausländerrechtliche Status sei auch mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht entfallen. § 60 Abs. 8 AufenthG stehe dem nicht mehr entgegen, denn seit er ein Neuroleptikum einnehme, bestehe bei ihm nach dem Ergebnis des fachpsychiatrischen Gutachtens keine konkrete Wiederholungsgefahr. Darüber hinaus greife auch das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar stünden die vom Kläger benötigten Medikamente und Behandlungsmaßnahmen auch in der Russischen Föderation zur Verfügung. Die dort übliche kostenlose medizinische Behandlung entspreche aber nicht dem nach einer Herzklappenoperation erforderlichen Standard. Der Kläger benötige nach Auskunft der Botschaft monatlich 400 € für die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen, 110 € für die Lebenshaltung sowie 400 € für eine bescheidene Einzimmerwohnung am Stadtrand von St. Petersburg. Diese Summe könne er krankheitsbedingt nicht erarbeiten.

Auf die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revisionen der Beklagten und der Landesanwaltschaft hin hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 22. März 2012 (Az. 1 C 3/11) den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2010 aufgehoben. Es hat festgestellt, dass sich jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes wegen ihrer Aufnahme in das Bundesgebiet nicht auf das Abschiebungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK/§ 60 Abs. 1 AufenthG berufen können; für eine Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes auf sie habe der Gesetzgeber keinen Bedarf mehr gesehen. Außerdem hat das Bundesverwaltungsrecht festgestellt, der Verwaltungsgerichtshof habe seiner Gefahrenprognose im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unzutreffende Beurteilungsmaßstäbe zugrunde gelegt. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Beweisaufnahme nur auf die Diagnose der Krankheiten des Klägers sowie deren Behandelbarkeit in der Russischen Föderation (einschließlich verfügbarer Medikation) fokussiert. Dem auf diesen tatsächlichen Feststellungen aufbauenden, für das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zentralen Beweisthema, nämlich dem Krankheitsverlauf bei Rückkehr bzw. Abschiebung in das Herkunftsland ohne medizinische Betreuung bzw. bei vom Kläger nur teilweise finanzierbarer Behandlung und Medikation, sei er nicht nachgegangen. Des Weiteren habe der Verwaltungsgerichtshof die Beurteilung, ob die in den medizinischen Fachgutachten genannten Behandlungen und Medikamente erforderlich sind, den medizinischen Gutachtern überlassen. Diese hätten ihrer Wertung jedoch den in Deutschland üblichen medizinischen Standard zugrunde gelegt und sich - mangels entsprechender Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs - nicht am Maßstab einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung orientiert. Schließlich habe der Verwaltungsgerichtshof in seiner finanziellen Bedarfsberechnung für den Kläger monatliche Wohnkosten „für eine bescheidene 1-Zimmer-Wohnung am Stadtrand von Sankt Petersburg“ in Höhe von 400 € angesetzt. Dieses Unterbringungsniveau, das der Verwaltungsgerichtshof selbst dem Auswärtigen Amt vorgegeben habe, verfehle den strengen Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage der vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen tatsächlichen Feststellungen über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht abschließend zu entscheiden vermochte, hat es die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

4. Im Hinblick auf die bevorstehende Entlassung des Klägers aus der Strafhaft hat ihn die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von sieben Tagen nach der Haftentlassung zu verlassen, wenn seine Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich sein sollte, andernfalls ihm die Abschiebung in die Russische Föderation oder einen anderen Staat angedroht werde, in den er einreisen dürfe bzw. der zu seiner Übernahme verpflichtet sei. Der Kläger hat diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht angefochten; eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung ist bislang nicht ergangen.

Im fortgeführten Berufungsverfahren vertritt der Kläger die Auffassung, zu seiner Rechtsstellung als jüdischer Zuwanderer gehöre das Refoulement-Verbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK, sowie die Auffassung, die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Die Änderung der genannten Rechtsstellung durch das AufenthG sei mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht in Einklang zu bringen, weswegen das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen sei. Im Übrigen dürfe er im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht nach Russland abgeschoben werden. Bereits die Abschiebung selbst werde wegen seiner psychiatrischen und kardiologischen Beeinträchtigungen zu einer wesentlichen Verschlechterung seiner Gesundheit führen. Diese sowie die orthopädischen Beeinträchtigungen hätten sich in den letzten Jahren verstärkt, weshalb eine aktuelle arbeitsmedizinische Begutachtung erforderlich sei. Um eine wesentliche Verschlimmerung seiner schizophrenen Erkrankung zu verhindern und die Einnahme der insoweit erforderlichen Medikamente zu gewährleisten, sei er auf ein stabilisierendes soziales Umfeld angewiesen, das nur im Bundesgebiet vorhanden sei. Hierzu zähle unter anderem seine Mutter. Verwandte, die ihn unterstützen würden, habe er weder im Bundesgebiet noch in Russland. Eine Betreuung, wie sie im Bundesgebiet für ihn errichtet worden ist, gebe es in Russland nicht. Wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei er nicht erwerbsfähig; er könne nur in einer geschützten Umgebung für geistig Behinderte tätig sein. Daher könne er in Russland weder eine Unterkunft, die seinen Bedürfnissen als geistig Behinderter entspricht (keine Gemeinschaftswohnung) und kostengünstig ist, noch seinen allgemeinen Lebensbedarf oder die Aufwendungen für die Erhaltung seines Gesundheitszustandes finanzieren. Kostenlose Leistungen durch das staatliche Gesundheitssystem in Russland werde er nicht erhalten. Der Kläger zieht die Fachkompetenz der Vertrauensärzte der deutschen Botschaft in Moskau in Zweifel, die sich zum staatlichen Gesundheitssystem geäußert haben. Die Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems setzten überdies bürokratische Verfahren voraus, deren positives Ergebnis nicht gewährleistet sei und deren Abschluss er wegen seines Gesundheitszustandes nicht abwarten könne. Auch könne er die Zuzahlungen, die im staatlichen Gesundheitssystem gefordert werden, und die Aufwendungen für die von ihm benötigten Medikamente nicht erbringen. Die Beklagte berücksichtige bei ihrer Berechnung nur einen Teil der von ihm tatsächlich benötigten Medikamente und sonstigen auf ihn zukommenden Aufwendungen. Allein die Kosten der ärztlichen Behandlungen betrügen pro Monat 300 €. Unterstützung werde er weder durch das russische Rückkehrprogramm noch durch staatliche Arbeitslosen-, Wohnungslosen-, Erwerbsunfähigkeits- oder sonstige Sozial-Hilfen noch durch Verwandte in Russland oder Deutschland erhalten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Januar 2007 insoweit abzuändern, dass der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2006 hinsichtlich Ziffer 2 einschließlich der nachträglichen Setzung einer Ausreisefrist durch die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 aufgehoben wird,

hilfsweise,

dem Kläger eine Duldung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Sie vertritt die Auffassung, das Bundesverwaltungsgericht habe rechtskräftig entschieden, dass das Refoulement-Verbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK nicht zur Rechtsstellung des Klägers als jüdischer Zuwanderer gehört. Auf die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG komme es daher nicht an. Eine konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohe dem Kläger in Russland nicht. Der Kläger sei erwerbsfähig. Er sei zum Funkingenieur ausgebildet und auch noch nach dem Ausbruch seiner schizophrenen Erkrankung erwerbstätig gewesen. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Verschlechterung seiner Gesundheit in den letzten Jahren lägen nicht vor. Die Residualsymptomatik, die der Kläger außerhalb produktivpsychotischer Episoden aufweist, sei nicht mit wesentlichen Einschränkungen verbunden. Schizophrene Episoden seien weder bei einer Abschiebung noch alsbald danach wahrscheinlich. Auf die soziale Situation des Klägers im Bundesgebiet komme es für die Frage des Ausbruchs einer solchen Episode nicht entscheidend an. Die Beklagte verweist insoweit unter anderem auf das Alter der Mutter des Klägers und geht davon aus, dass der Kläger ein russisch geprägtes Umfeld bevorzugt sowie Verwandte in Russland hat, über die er unter Verstoß gegen seine Mitwirkungspflicht keine Auskunft gebe. Der Kläger werde in der Zeit alsbald nach einer Abschiebung nach Russland seinen Lebensunterhalt einschließlich der Aufwendungen verdienen können, die ihm im Rahmen der staatlichen Gesundheitsversorgung verbleiben. Der Kläger könne eine Unterkunft finden, die deutlich weniger als diejenigen 400 € pro Monat koste, von denen der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 22. Dezember 2010 ausgegangen ist. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers bedingten nicht, dass er das Wohnungsangebot nur eingeschränkt nutzen könne. Die Kosten, die für die Erhaltung seiner Gesundheit erforderlich sind und ihm verbleiben, könne er aufgrund seiner Erwerbstätigkeit tragen. Der Kläger gehe hier von zu hohen Kosten aus, weil er nicht berücksichtige, dass es nur auf den Zeitraum alsbald nach der Abschiebung ankomme, dass ärztliche Behandlungen zu Marktpreisen (außerhalb des staatlichen Gesundheitssystems) nicht erforderlich seien und dass er das Medikament Zyprexa zur Erhaltung seines Gesundheitszustandes in der Zeit alsbald nach der Abschiebung nicht benötige. Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, notfalls könne der Kläger - neben der Unterstützung durch Familienmitglieder in Deutschland und Verwandte in Russland - auf verschiedene Formen staatlicher Unterstützung in Russland zurückgreifen. Schließlich hat die Beklagte dem Kläger zugesichert, ihm einen Betrag von 5.000 € mitzugeben, den er nach eigenem Ermessen für Medikamente oder sonstige Bedürfnisse verwenden kann.

Die Landesanwaltschaft Bayern stellt keinen Antrag.

Sie vertritt die Auffassung, der Kläger lasse die Wirkung der Zurückverweisung durch das Bundesverwaltungsgericht und den Umfang der Bindungswirkung des Revisionsurteils unberücksichtigt, wenn er weiterhin die Rechtsansicht geltend macht, die Rechtsstellung des Klägers umfasse das Refoulementverbot, und den Verwaltungsgerichtshof wegen der gegenteiligen Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auffordert. Die Landesanwaltschaft teilt die Auffassung der Beklagten hinsichtlich der vom Bundesverwaltungsgericht für den vorliegenden Fall näher bestimmten Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Gründe

A) Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - entsprechend dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Antrag - die Abschiebungsandrohung in Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 sowie die durch den Bescheid vom 21. Dezember 2012 (kurz vor dem Ende der Strafhaft des Klägers) beigefügte Frist für eine freiwillige Ausreise. Die Klage gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2012, die aufgrund dessen Rechtsbehelfsbelehrung vom Kläger sicherheitshalber zum Verwaltungsgericht erhoben worden ist (AN 6 K 13.00220), ist wegen der Rechtshängigkeit dieses Bescheids im hiesigen Berufsberufungsverfahren unzulässig (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG).

I.

Die Antragstellung des Klägers ist sachgerecht, weil die Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 die behördliche Entscheidung enthält, die Ausweisung zu vollziehen, und diese Entscheidung durch seine Haftentlassung am 3. Februar 2013 nicht gegenstandslos geworden ist. Bei Bescheiden, die - wie der Bescheid vom 27. Februar 2006 in Nrn. II und III - sowohl von einer Abschiebung aus der Haft heraus als auch von einer Abschiebung nach Fristsetzung sprechen, liegt diese Vollzugsentscheidung trotz des gegenteiligen äußeren Erscheinungsbildes des Bescheides nur einmal vor. Entsprechend den zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen ist bei Verwaltungsakten nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (sog. natürliche Auslegung), sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung (sog. normative Auslegung), wie sie der Empfänger verstehen musste, abzustellen (st. Rspr. des BVerwG, U. v. 27.6.2012 - 9 C 7.11 - BVerwGE 143, 222, und vom 2.9.1999 - 2 C 22.98 - BVerwGE 109, 283 <286>; BFH, U. v. 26.8.1982 - IV R 31/82 - BFHE 136, 351 m.w.N; vgl. zum Zivilrecht Ellenberger, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Aufl. 2014, § 133 Rn. 7, 9). Der Kläger konnte dem Bescheid vernünftigerweise nicht entnehmen, die Beklagte wolle ihn wegen der Ausweisung zweimal abschieben. Die Behörde wollte durch die Aufspaltung in zwei Tenor-Nummern (die Nrn. II und III ihres Bescheides vom 27. Februar 2006) ersichtlich nur den unterschiedlichen Detailregelungen Rechnung tragen, die § 59 AufenthG für die Abschiebung von Ausländern in Freiheit und von Ausländern in Haft enthält, weil bei dem Bescheidserlass noch nicht absehbar war, welche dieser beiden Detailregelungen anzuwenden sein würde. Nachdem die Behörde ihre Entscheidung, die Ausweisung zu vollziehen, bereits durch Nr. II des Bescheides bekannt gegeben hatte, beschränkte die später vom Verwaltungsgericht rechtskräftig aufgehobene Nr. III des Bescheides vom 27. Februar 2006 - wie auch ihre Einleitung deutlich macht („Sollte Ihre Abschiebung während Ihrer Inhaftierung nicht möglich sein und Sie daher aus der JVA entlassen werden….“) - lediglich die Gültigkeit des Zusatzes „unmittelbar aus der Haft heraus“ in Nr. II des Bescheides auf die Haftzeit und fügte der Abschiebungsandrohung die im Falle eines Aufenthalts des Ausländers in Freiheit gebotene Frist für eine freiwillige Ausreise hinzu (der Umstand, dass in Nr. II des Bescheides die Entscheidung bereits getroffen war, den Kläger nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausweisungsverfügung abzuschieben, dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass sich in der Nr. III des Bescheides nicht erneut die Wendung „nach Unanfechtbarkeit dieser Ausweisungsverfügung“ findet; zur Unabhängigkeit der grundlegenden Entscheidung zum Vollzug der Ausreisepflicht von der Regelung der Ausreisefrist vgl. Hailbronner, AuslR, § 59 AufenthG, Rn. 80,85 ff., Funke-Kaiser in GK AufenthG, Stand 3/2012, § 59 AufenthG Rn. 204 ff., 223, 226 ff. sowie Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 59 Rn. 13, 23, 25, 63 jeweils mit Rspr.-Nachw.; Aspekte einer solchen Abstraktion der Entscheidung, die Ausreisepflicht durchzusetzen, ergeben sich auch aus § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG sowie aus dem Umstand, dass die Androhung der Abschiebung aus der Haft lediglich einen in Abs. 5 geregelten Unterfall der als solche in § 59 AufenthG geregelten Abschiebungsandrohung darstellt). Demzufolge ist die Abschiebungsandrohung vom 21. Dezember 2012, die ebenfalls ausdrücklich nur für den Fall Geltung beansprucht, dass eine Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich war, dahingehend auszulegen, dass die Beklagte mit ihr den in Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 bereits grundsätzlich verfügten Vollzug der Ausreisepflicht des Klägers lediglich für die Zeit nach der Haftentlassung regeln und mit der dann erforderlichen Fristsetzung versehen wollte. Nachdem die Verfügung in Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 bei der Haftentlassung des Klägers bereits durch den Bescheid vom 21. Dezember 2012 - nicht anders als vorher durch Nr. III des Bescheides vom 27. Februar 2006 - neugefasst gewesen ist, ist zu diesem Zeitpunkt nicht die Androhung der Abschiebung durch Nr. II des Bescheides vom 27. Februar 2006 gegenstandslos geworden, sondern lediglich der dortige Zusatz „unmittelbar aus der Haft heraus“.

II.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist weiterhin ein Duldungsbegehren. Der Kläger macht geltend, in Folge der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen werde es zu einer zusätzlichen wesentlichen Beschädigung seiner Gesundheit zum einen schon im Rahmen der Abschiebung selbst kommen - was zutreffendenfalls eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (mit der Folge eines Duldungsanspruchs) darstellen würde, weil Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einer Abschiebung mit solchen Folgen entgegensteht (vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 6.2.2008 - 11 S 2439/07 - juris Rn. 7 und B. v. 10.7.2003 - 11 S 2622/02 - juris Rn. 16; vgl. auch AVwV AufenthG Nr. 60a.2.1.1.2.2) - und zum anderen auch nach der Abschiebung (vor allem wegen einer Unerreichbarkeit der in seiner gesundheitlichen Situation erforderlichen ärztlichen und medikamentösen Behandlung) - was zutreffendenfalls eine erhebliche konkrete Gefahr für die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genannten existenziellen Rechtsgüter darstellen würde (zu den Voraussetzungen dieser Bestimmung im einzelnen vgl. B vor I.). Aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgt zwar zunächst nur ein Abschiebungsverbot betreffend einen bestimmten Zielstaat und nicht unmittelbar ein Duldungsanspruch, weil grundsätzlich Abschiebungen nicht nur in das Heimatland des Ausländers möglich sind und die streitgegenständliche Ankündigung der Abschiebung auch nicht nur die Russische Föderation benennt; nachdem jedoch kein anderer aufnahmebereiter oder aufnahmeverpflichteter Staat ersichtlich ist, würde ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Russischen Föderation zu einem Duldungsanspruch führen.

Ein Duldungsbegehren, das auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und/oder auf § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gestützt ist, kann nicht im Rahmen der Anfechtung der Abschiebungsandrohung geltend gemacht werden, denn die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bleibt der Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zufolge von solchen Abschiebungsverboten unberührt. Der Kläger hat daher zu Recht zusätzlich (sinngemäß) einen Verpflichtungsantrag gestellt, und zwar hilfsweise, weil das Duldungsbegehren als Antrag auf Aussetzung der Abschiebung voraussetzt, dass der Kläger mit seinem Anfechtungsbegehren gegen die Vollzugsregelung selbst (vgl. I.) unterliegt. Die beiden erwähnten Duldungsbegehren haben von Anfang an im Mittelpunkt des Klägervorbringens betreffend den Vollzug der Ausweisung gestanden. Daher schadet es nicht, dass der Kläger erst jetzt die Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG bei seiner Antragstellung berücksichtigt hat.

III.

Die Ausweisungsentscheidung in Nr. I. des Bescheides vom 27. Februar 2006 ist nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch seinen Beschluss vom 13. März 2009 (1 B 20.08) den Beschluss des Senats vom 3. September 2008 (19 B 07.2762) nur insoweit aufgehoben, als dieser Beschluss die Anfechtung der Abschiebungsandrohung (Nr. II des Bescheides vom 27.2.2006) und damit auch die von dieser Vollzugsentscheidung abhängigen Duldungsbegehren betrifft. Soweit durch diesen Beschluss die Berufung des Klägers gegen den Teil des Urteils des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen worden ist, durch den die Ausweisungsentscheidung selbst bestätigt worden ist, hat das Bundesverwaltungsgericht die Senatsentscheidung vom 3. September 2008 aufrechterhalten. Die Ausweisungsentscheidung in Nr. I. des Bescheides vom 27. Februar 2006 ist somit seit dem 13. März 2009 bestandskräftig.

B) Nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens, in dem die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 13. März 2009 und in seinem Urteil vom 22. März 2012 entwickelte rechtliche Beurteilung zu beachten ist, hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Klage gegen die Abschiebungsandrohung (versehen mit der Wendung „aus der Haft heraus“, vgl. Nr. II des Bescheides vom 27.2.2006) abgewiesen und auch die geltend gemachten Duldungsgründe nicht anerkannt. Der Vollzug der Ausweisungsverfügung (nunmehr in Form des Bescheides vom 21.12.2012, durch den der Abschiebungsandrohung eine Frist zur freiwilligen Ausreise beigefügt worden ist) ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (auf den es bei der Überprüfung einer Abschiebungsandrohung wie der vorliegenden ankommt, vgl. BVerwG, U. v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - Abschnitt II.1 der Gründe) rechtmäßig; zu einer wesentlichen Verschlechterung der Gesundheit des Klägers wird es mit Wahrscheinlichkeit weder während des Abschiebungsvorganges noch alsbald nach der Abschiebung in die Russischen Föderation kommen. Die Berufung gegen den noch nicht rechtskräftigen (also den Vollzug der Ausweisung betreffenden) Teil des Urteils des Verwaltungsgerichts ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung, die Ausreise zu vollziehen (Nr. II des Bescheides vom 27.2.2006 in Gestalt des Bescheides v. 21.12.2012), ist rechtmäßig.

Die Problematik, die zur Aufhebung einer Abschiebungsandrohung ähnlich der nun am 21. Dezember 2012 erlassenen (Abschiebungsandrohung in Nr. III des Bescheides vom 27.2.2006 für den Fall des Ablaufs einer Ausreisefrist, die nicht von der Unanfechtbarkeit der Ausweisungsverfügung abhängig ist) durch das insoweit rechtskräftig gewordene verwaltungsgerichtliche Urteil vom 30. Januar 2007 geführt hat, besteht nicht mehr. Während die Ausweisung in Nr. I. des Bescheides vom 27. Februar 2006 zum Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht vollziehbar gewesen ist und die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG daher zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen haben, liegen diese Voraussetzungen nunmehr vor, weil die Ausweisung durch den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. März 2009 (1 B 20.08) bestandskräftig geworden ist (vgl. oben). Auch sonst liegen die in §§ 58 Abs. 1, 59 AufenthG genannten Voraussetzungen vor. Ein Fall, in dem die Vollzugsregelung gegenstandslos geworden ist, weil dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht erteilt worden ist, liegt nicht vor. Der Kläger hat nach der Ausweisung kein Aufenthaltsrecht mehr erworben.

Eine Rechtsstellung, die das Refoulement-Verbot (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 HumHAG und Art. 33 Abs. 1 GFK) umfasst und - mit Blick auf die Vorschrift des § 25 Abs. 2 AufenthG - nicht nur ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, das die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung unberührt lässt, begründen würde, genießt der Kläger dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2012 (Az. 1 C 3.11 - Nr. II.1 und 2 der Gründe) zufolge nicht. Der Kläger hätte gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde erheben können, hat es aber nicht getan. Im hiesigen Verfahren müssen seine verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen diese Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts angesichts der Vorschrift des § 144 Abs. 6 VwGO ohne Erfolg bleiben. Auf die Frage, ob die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG vorliegen, kommt es daher nicht an.

Der Kläger hat auch nicht den Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung), der im Mittelpunkt seines Vorbringens steht.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Gesundheit des Klägers durch den Abschiebungsvorgang selbst wesentlich beeinträchtigt werden wird; eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) liegt daher nicht vor. Nachdem der Kläger die Verhältnisse in den Vordergrund stellt, die ihn in Russland erwarten, sowie die deswegen von ihm befürchteten (nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilenden, vgl. unten) gesundheitlichen Beeinträchtigungen, und im Rahmen dieser Ausführungen auch Beeinträchtigungen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bereits durch den Abschiebungsvorgang selbst geltend macht, geht auch der Senat auf das letztgenannte Vorbringen im Rahmen seiner Ausführungen zu den im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein.

Die anhand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2012 und dessen übriger Rechtsprechung zu prüfenden Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für ein Verbot der Abschiebung des Klägers nach Russland sind ebenfalls nicht erkennbar. Dort besteht für den Kläger mit Wahrscheinlichkeit keine erhebliche und konkrete (also: alsbald eintretende) Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit im Sinne dieser Bestimmung. Der Kläger hat kein Asylverfahren durchgeführt, so dass diese Prüfung im ausländerrechtlichen Verfahren vorzunehmen ist (vgl. § 24 Abs. 2 AsylVfG).

Der Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist anzuwenden, weil der Gesundheitszustand des Klägers Besonderheiten aufweist, die in vergleichbarer Weise nicht bei einer Vielzahl seiner Landsleute zu finden sind. Nachdem nur eine individuelle Gefahr in Betracht kommt, besteht kein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG und greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht (BVerwG, U. v. 22.3.2012 - 1 C 3/11; vgl. auch U. v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - BVerwGE 127,33 Rn. 15 f.).

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer landesweit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Aus allgemeinen wirtschaftlichen Gründen besteht eine solche Gefahr dann, wenn der Ausländer bei der gebotenen, grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise ein Leben zu erwarten hätte, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt oder wenn er nichts anderes zu erwarten hätte als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (BVerwG, B. v. 31.7.2002 - 1 B 128.02 - InfAuslR 2002,455, und v. 21.5.2003 - 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270). Mit Blick auf den vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht die für die Anwendung der Vorschrift von ihm entwickelten Grundsätze in seiner Entscheidung vom 22. März 2012 (1 C 3/11) zusammengefasst. Eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr kann sich im Einzelfall daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine notwendige und an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich, zum Beispiel aus finanziellen Gründen, nicht erlangen kann (U. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66 zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990). In Fällen einer Erkrankung eher singulären Charakters, wie sie hier vorliegt, sind die Voraussetzungen des genannten Abschiebungsverbots erfüllt, wenn sich die Krankheit des Betroffenen mangels (ausreichender) Behandlung im Abschiebungszielstaat verschlimmert und sich dadurch der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (B. v. 14.5.2006 - 1 B 118.05 - Buchholz 402.240 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 16 m. w. N.). Konkret ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U. v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383/387).

Mit dem Begriff „alsbald“ ist einerseits kein in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, U. v. 27.4.1998 - 9 C 13.97 - InfAuslR 1998,409), andererseits aber auch keine sofortige, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebungszielstaat eintretende Entwicklung (BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137,326). Für die alsbaldige Verschlechterung muss eine beachtliche Wahrscheinlichkeit sprechen (BVerwG, U. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99,329,330 zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG); dies ergibt sich bereits aus dem Gefahrbegriff (BVerwG, U. v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - BVerwGE 71, 180, Juris Rn. 17). Es müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr vorliegen (BVerfG, B. v. 31.5.1994 - 2 BvR 1193/93 - NJW 1994, 2883, Juris Rn. 13). Eine zukünftige Entwicklung ist dann beachtlich wahrscheinlich, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Entwicklung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, U. v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89,162). Hieraus ergibt sich, dass der Kläger im Schriftsatz vom 29. Januar 2014 zu Recht davon ausgeht, eine vage Hoffnung auf Existenzsicherung lasse eine bestehende Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht entfallen. Hieraus ergibt sich aber auch, dass seine Annahme ohne Grundlage ist, eine alsbaldige wesentliche Verschlechterung der Gesundheit müsse ausgeschlossen sein und es seien staatliche Garantien insoweit erforderlich.

Eine konkrete Gefahr der beschriebenen Art besteht nicht, wenn eine erwerbsfähige Person durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt (einschließlich einer Heilbehandlung, durch die einer wesentlichen oder sogar lebensbedrohlichen Verschlimmerung einer vorhandenen Krankheit vorgebeugt wird) unbedingt Notwendige erlangen kann. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen „mafiöser“ Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, B. v. 17.5.2006 - 1 B 100/05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 328; vgl. auch U. vom 1.2.2007 - 1 C 24.06 - InfAuslR 2007,211).

Der Kläger wird nach seiner Rückkehr in die Heimat in der Lage sein, seinen derzeitigen Gesundheitszustand zu erhalten und seinen allgemeinen sowie medizinischen Existenzbedarf zu verdienen, so dass eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht besteht, und ihm droht - wie insbesondere auf S. 21 und S. 51 dargelegt ist - auch im Rahmen der Abschiebung selbst keine Beeinträchtigung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (I.). In dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich der Kläger nach der Abschiebung zu einem Verzicht auf das Medikament Zyprexa entschließen sollte mit der Folge einer produktivpsychotischen Episode, könnten sich daraus bereits deshalb die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ergeben, weil die Abschiebung nicht die wesentliche Ursache der Episode wäre (II.). Die Voraussetzungen der genannten Bestimmung wären dann zusätzlich auch deshalb nicht gegeben, weil eine produktivpsychotische Episode mit Wahrscheinlichkeit keine existenzgefährdenden Folgen hätte (III.). In dem nicht wahrscheinlichen Fall eines Scheiterns des Klägers bei der Sicherung des Lebensunterhalts steht ihm hinreichende Unterstützung von verschiedenen Seiten zur Verfügung (IV.).

I.

Der Kläger wird nach seiner Rückkehr in die Heimat in der Lage sein, seinen gesamten Existenzbedarf zu verdienen.

Der Kläger ist arbeitswillig und kann Tätigkeiten ausführen, die ihn körperlich nur leicht belasten (1.). Seine schizophrene Erkrankung steht einer solchen Tätigkeit im Ergebnis nicht entgegen (2.). Er wird in St. Petersburg mit Wahrscheinlichkeit Einkünfte aus einer qualifizierten Tätigkeit erzielen, durch die er seinen Lebensunterhalt einschließlich des Teils der medizinischen Aufwendungen bestreiten kann, der vom kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem in Russland nicht getragen wird (3.).

1. Der Kläger, der am ... sein 48. Lebensjahr vollendet hat, ist arbeitswillig und zu einer geistig anspruchsvollen Beschäftigung sowohl in dem von ihm erlernten technischen Bereich als auch in kaufmännischen Bereichen in der Lage (zur psychiatrischen Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers, die einer solchen Beschäftigung nicht entgegensteht, vgl. 2.).

Der Kläger hat bei mehreren Gelegenheiten (gegenüber dem psychiatrischen Gutachter Dr. W. - vgl. die Gutachten vom 12.11.2009 und vom 23.8.2013 - sowie gegenüber seinem Betreuer - vgl. den Betreuerbericht vom 1.12.2013) starkes Interesse an einer Erwerbstätigkeit geäußert.

Der Kläger weist zwar orthopädische Beeinträchtigungen auf und insbesondere eine kardiologische Problematik (nach dem Ersatz von Herzklappen im November 1998). Dem arbeits- und sozialmedizinischen Fachgutachten des Prof. D. vom 19. April 2010 zufolge kann der Kläger aber Tätigkeiten vollschichtig ausführen, die mit einer leichten körperlichen Belastung verbunden sind, wie sie auch im Alltag vorkommen. Tatsächlich hat der Kläger in der Haft, also zu einer Zeit, in der diese Problematik bereits bestanden hat, Arbeit geleistet. Obwohl es sich hierbei um eine eher körperlich als geistig anspruchsvolle Beschäftigung gehandelt hat (Maschinenarbeit), ist weder den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen noch den Äußerungen des Klägers etwas dafür zu entnehmen, dass er hierdurch überlastet worden oder aus sonstigen Gründen hierzu unfähig gewesen ist (vgl. hierzu auch B.I.2.c,aa am Ende).

Eine Erwerbsfähigkeiten relevante Änderung ist seit der arbeits- und sozialmedizinischen Begutachtung vom 19. April 2010 nicht eingetreten. Der Kläger macht zwar eine Verschlechterung seiner orthopädischen Gesundheitssituation geltend (Schriftsatz vom 16. Mai 2014). Dem Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes vom 14. Januar 2014, auf den sich der Kläger beruft (und den er nicht weiter angefochten hat), ist aber zu entnehmen (vgl. S. 3), dass sich der auf der orthopädischen Problematik beruhende Teil der bescheinigten Behinderung seit dem Jahr 1999 gerade nicht wesentlich verändert hat; die vom Kläger hervorgehobene Erhöhung des Gesamt-GdB beruht ausschließlich auf einer veränderten Bewertung der psychiatrischen Problematik (vgl. B.I.2.c, vor aa). Diese behördliche Beurteilung ist auf aktuelle Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Orthopäden (vom 25. März 2013 und vom 1. Juli 2013) sowie auf deren Bewertung durch den versorgungsärztlichen Dienst gestützt. Auch im kardiologischen Bereich ist eine Erwerbsfähigkeiten relevante Änderung nicht eingetreten. Dem kardiologischen Gutachten vom 8. April 2013 zufolge hat die Ergometrie keinen wesentlichen Unterschied gegenüber der Messung ergeben, die in dem (im arbeitsmedizinischen Gutachten berücksichtigten) kardiologischen Gutachten vom 9. Februar 2010 mitgeteilt wird. Auch der Grad der Aortenklappeninsuffizienz ist derselbe geblieben. Die bluthochdruckbedingte Herzwandverdickung hat sich leicht zurückgebildet. Das Vorhofflimmern hat sich dem Gutachten vom 8. April 2013 zufolge zwar etabliert. Es ist aber schon seit dem Herzklappenersatz im November 1998 Bestandteil des Symptomatik des Klägers (vgl. den Klinikbericht vom 2.2.1999, Bl. 9 der Schwb-Akte) und auch in der kardiologischen Begutachtung vom 9. Februar 2010 (S. 2 unten) berücksichtigt worden, der zufolge die körperliche Belastbarkeit für leichte Alltagstätigkeiten als ausreichend anzusehen ist und der Kläger bei mittelschweren körperlichen Belastungen durch seine Herzerkrankung limitiert ist. Auch das arbeitsmedizinische Gutachten vom 19. April 2010 bezieht daher das Vorhofflimmern mit ein (vgl. S. 4 oben), wenn es körperlich leichte Tätigkeiten (z. B. Bürotätigkeiten im erlernten Beruf als Ingenieur) vollschichtig für möglich hält (S. 16). Das Fortbestehen dieser Belastbarkeit ergibt sich auch daraus, dass im kardiologischen Gutachten vom 8. April 2013 keine Einschränkung der Belastbarkeitsfeststellung im Gutachten vom 9. Februar 2010 vorgenommen wird, sowie aus der schwerpunktmäßigen Einordnung der Herzproblematik durch das Gutachten vom 8. April 2013 in das Stadium II der NYHA-Klassifikation (Herzerkrankung mit leichter Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit). Der Kläger selbst hilft dem psychiatrischen Gutachten des Dr. W. vom 23. August 2013 zufolge seit seiner Haftentlassung im Haushalt seiner nunmehr 78 -jährigen Mutter (eine Notwendigkeit zusätzlicher externer Hilfen wird nicht erwähnt), und bezeichnet dem Betreuerbericht vom 1. Dezember 2013 zufolge seinen gesundheitlichen Zustand selbst als „gut“. Schließlich setzt der Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes vom 21. Januar 2014, dem das vom Senat eingeholte Gutachten des Kardiologen Dr. H. vom 8. April 2013 (Bl. 57 der Schwb-Akte) sowie dessen gleichsinnige Stellungnahme vom 21. August 2013 (Bl. 71 der Schwb-Akte) zugrunde liegt und der vom Kläger nicht angefochten worden ist, die Einzel-GdB für die kardiologischen Beeinträchtigungen des Klägers mit dem Wert 50 fest, der bereits im bisher geltenden Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 11. Oktober 1999 (vorgelegt im Verfahren 19 B 07.2762) festgelegt gewesen ist. In der Begründung des Bescheides vom 21. Januar 2014 wird ausgeführt, es liege kein Herzschaden mit Beeinträchtigung der Herzleistung schon bei leichter alltäglicher Belastung vor und ein höherer GdB für das Herzleiden lasse sich nicht begründen. Bei dieser Sachlage fehlt es an hinreichenden nichtpsychiatrischen Anhaltspunkten für die mit Beweisantrag Nr. 3 beantragte Einholung eines ergänzenden arbeitsmedizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass aufgrund des Gesundheitszustandes des Klägers keine Erwerbsfähigkeit besteht (zur Nichteinholung eines Gutachtens betreffend eine Erwerbsunfähigkeit aus psychiatrischen Gründen vgl. B.I.2.c, bb vor aaa).

2. Der Kläger wird durch seine schizophrene Erkrankung mit Wahrscheinlichkeit weder an der Sicherung seines Lebensunterhalts gehindert werden noch auf sonstige Weise in Existenznot geraten. Das Medikament Zyprexa (Olanzapin) verhindert produktivpsychotische Episoden, und zwar auch bei der Abschiebung selbst, bei der das Episodenrisiko ohnehin gering ist (a). Es besteht keine Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger nach der Abschiebung dieses Medikament absetzen wird (b). Die vom Medikament nicht unterbundene Residualsymptomatik bringt keine wesentlichen Einschränkungen mit sich und hindert den Kläger daher ebenfalls nicht an der Sicherung seines Lebensunterhalts (c).

a) Bei Einnahme des Medikamentes Zyprexa drohen dem Kläger keine produktivpsychotischen Episoden der schizophrenen Erkrankung, so dass es dann bei der Residualproblematik verbleibt.

Der Kläger leidet an einer schizophrenen Erkrankung. Zwar haben die Gutachter über deren diagnostische Einordnung keine abschließende Einigung erzielt. Dr. W. geht in seinem Gutachten vom 18. Oktober 2001 und in seinen späteren Äußerungen von einer undifferenzierten Schizophrenie aus, während Dr. G. in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 von einem Residualsyndrom nach schizophrenen Psychosen auf der Grundlage einer paranoiden Schizophrenie ausgeht. Jedoch handelt es sich bei dieser Divergenz lediglich um eine Wertungsfrage bezüglich der (von den Gutachtern übereinstimmend festgestellten) Symptome (vgl. Dr. W. im Gutachten vom 12.11.2009, S. 35, bzw. um eine unbedeutende Problematik von nicht ausschlaggebendem Belang, vgl. S. 39). Die schizophrene Erkrankung äußert sich (neuroleptisch unbehandelt) in produktivpsychotischen Episoden mit wahnhaften Gedanken, aus denen sich in Einzelfällen aggressive Handlungen unterschiedlichen Ausmaßes ergeben. Außerhalb solcher Episoden äußert sich die schizophrene Erkrankung (mit und ohne Neuroleptikabehandlung) in einem Residuum, das aus verschiedenen wenig ausgeprägten und unauffälligen Symptomen wie Antriebseinschränkung, Affektivitätsbesonderheiten und Besonderheiten des formalen Denkablaufs besteht.

Dem Kläger drohen keine produktivpsychotischen Episoden, wenn er das Neuroleptikum Zyprexa einnimmt. Der Angabe des Klägers vom 17. März 2010 sowie den gutachtlichen Äußerungen des Dr. W. vom 27. Mai 2010 und vom 23. August 2013 zufolge wird der Kläger seit März 2010 mit Zyprexa behandelt. Der Kläger hat seitdem keine wahnhaften Gedanken mehr. Der Stellungnahme desselben Gutachters vom 20. Juli 2010 zufolge (Ergänzung zur Stellungnahme vom 27. Mai 2010) wird durch die Einnahme dieses Medikaments die Rezidivgefahr soweit reduziert, dass von einer „bloßen - gleichsam entfernten - Möglichkeit“ gesprochen werden kann. Auch aus der Stellungnahme vom 23. August 2013 ergibt sich, dass produktivpsychotische Episoden nicht auftreten, ihre Auftretenswahrscheinlichkeit jedenfalls unter 50% liegt, wenn der Kläger das Medikament Zyprexa einnimmt. Der Gutachter geht hier davon aus, die Wiederauftretenswahrscheinlichkeit neuerlicher Krankheitsschübe nehme bei einem Wegfall der Neuroleptikabehandlung auf über 50% zu. Bereits in seiner Äußerung vom 12. November 2009 hat Dr. W. die Neuroleptikabehandlung als die wichtigste Rehabilitations- und Vorbeugungsmaßnahme eingeschätzt; im Hintergrund seiner damaligen Äußerungen zur Wiederholungsgefahr steht das damalige Fehlen einer solchen Behandlung. In seiner Äußerung vom 23. August 2013 geht der Gutachter zwar davon aus, eine Abschiebung bedinge eine deutliche Zunahme des Risikos eines neuerlichen psychotischen Schubs; auch hiermit bringt er jedoch nicht die Erwartung eines produktivpsychotischen Schubs trotz neuroleptischer Behandlung zum Ausdruck. Der Gutachter gibt diese Prognose ausdrücklich „unter Würdigung der aktuell gegebenen Behandlungscompliance“ ab, geht also deshalb von einer Risikozunahme nach der Abschiebung aus, weil er annimmt, der Kläger werde dann das Neuroleptikum weglassen. Diese Annahme beruht darauf, dass der Gutachter die Einnahme der Medikation auf eine entsprechende Motivation durch die „soziale Situation“ des Klägers im Bundesgebiet zurückführt und von der Abschiebung die Beendigung dieser „sozialen Situation“ - und damit der Medikationseinnahme - erwartet (zur Unrichtigkeit der gutachterlichen Annahme, in Russland habe der Kläger keine gleichwertige „soziale Situation“ zu erwarten, vgl. B.I.2.b). Die Auffassung des Gutachters, dass keine Gefahr einer paranoidpsychotischen Episode besteht, solange der Kläger Zyprexa einnimmt, ergibt sich auch aus der weiteren Ausführung im Gutachten vom 23. August 2013 (am Ende), eine alsbaldige Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers sei zu erwarten, wenn dieser in seiner Heimat deutlich schlechtere soziale Rahmenbedingungen vorfinde „und er darüber hinaus keine Medikation mehr“ akzeptiere. Der Gutachter Dr. G. bringt die ausschlaggebende Wirkung von Zyprexa zum Ausdruck, indem er in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 feststellt, dass das Delinquenzrisiko durch die Schizophrenie um ein Mehrfaches erhöht wird und das Fehlen einer kontinuierlichen psychiatrischen Behandlung sich prognostisch besonders ungünstig auswirkt.

Dem Kläger droht auch bei der Abschiebung selbst keine solche Episode; es kommt daher nicht mehr darauf an, dass auch im Falle einer solchen Episode eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung, die den Tatbestand des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt, noch nicht wahrscheinlich wäre (vgl. B.III). In keinem der vorliegenden Gutachten wird der Abschiebungsvorgang selbst als Auslöser einer solchen Gefahr bezeichnet. Die allgemeine Annahme des Dr. W. im Gutachten vom 12. November 2009, soziale und emotionale Belastungen seien von besonderer Relevanz, begründet nicht die Wahrscheinlichkeit einer durch den Abschiebungsvorgang selbst hervorgerufenen produktivpsychotischen Episode. Der Gutachter gründet diese Annahme auf allgemeine Kenntnisse über Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises sowie auf eine Verallgemeinerung der Umstände der bisherigen produktivpsychotischen Episoden des Klägers. Bei genauer Betrachtung ist festzustellen, dass sich alle ärztlich festgestellten produktivpsychotischen Episoden des Klägers in Zeiträumen ohne neuroleptische Behandlung und im Zusammenhang mit intensiven Konflikten im privaten Bereich entwickelt haben, nämlich ganz überwiegend im Zusammenhang mit Familienkonflikten (vgl. nachfolgend lit. b) und einmal im Vorfeld der Tat vom 7. Februar 2001, als der Kläger von einem Geschäftspartner unter extremen und sukzessive sich steigernden Druck gesetzt worden ist. Dr. G spricht in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 von Belastungen durch Auseinandersetzungen mit seinem sozialen Umfeld. Adressat staatlicher Gewalt ist der Kläger mehrfach gewesen (und zwar ohne neuroleptische Behandlung), ohne dass objektive Anhaltspunkte für eine produktivpsychotische Episode oder auch nur für eine (abwehrende) heftige Gemütsbewegung zu Tage getreten sind. Er ist in Untersuchungshaft genommen worden, einem intensiven Ermittlungsverfahren und zweimal mehrtägigen Verhandlungen und Verurteilungen durch das Strafgericht - jeweils mit anschließendem Revisionsverfahren - ausgesetzt gewesen (dem rechtskräftig gewordenen Strafurteil vom 18.12.2003 ist das durch Urteil des BGH vom 12.2.2003 - 1 StR 403/02, BGHSt. 48,207 - aufgehobene Strafurteil des Landgerichts N. vom 15.3.2002 - 5 Ks 103 Js 358/01 - vorausgegangen), ist im Strafvollzug viele Male verschubt und einmal diszipliniert worden. Seinen eigenen Angaben zufolge hat der Kläger während des Strafvollzugs bisweilen wahnhafte Gedanken gehabt (vor allem zu Anfang des Strafvollzugs, als er Probleme mit russischen Mitgefangenen hatte). Er ist mit dieser Wahnproblematik aber zurechtgekommen und sie ist wieder verschwunden; zu einem auffälligen Verhalten des Klägers oder sonstigen Weiterungen hat sie nicht geführt. Bei dieser Sachlage fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass durch den behördlichen Vollzug der Abschiebung eine produktivpsychotische Episode ausgelöst wird (zumal durch Begleitpersonen die Einnahme der neuroleptischen Medikation gewährleistet werden kann) oder auch nur eine extreme Aufregung. Die Frage einer ungewöhnlichen kardiologischen Belastung infolge des Abschiebungsvorgangs stellt sich nach allem nicht. Auch unabhängig von der Frage der seelischen Sondersituation ist mit einer solchen Belastung aufgrund des Abschiebungsvorgangs nicht zu rechnen (vgl. Nr. B.I.3 lit. b, S. 51).

b) Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Kläger nach der Abschiebung das Medikament Zyprexa absetzen wird mit der Folge, dass produktivpsychotische Episoden mit etwaigen Weiterungen möglich werden.

Dr. W. hält es in seinem Gutachten vom 23. August 2013 zwar für wahrscheinlich, dass der Kläger nach der Abschiebung eine produktivpsychotische Episode entwickelt. Diese Prognose beruht jedoch nicht auf den besonderen fachärztlichen Kenntnissen des Gutachters. Sie beruht auf einer unzutreffenden tatsächlichen Annahme und ist daher unrichtig. Zu dieser vom Gutachten abweichenden Feststellung ist der Senat befugt, da ein Gutachten stets nur Grundlage der Überzeugungsbildung sein kann und diese selbst Aufgabe des Gerichts ist. Will das Gericht eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (st. Rspr., vgl. u. a. BGH, U. v. 22.4.1975 - VI ZR 50/74 - NJW 1975,1463, und v. 13.9.2001 - 3 StR 333/01 - NStZ-RR 2002,259; vgl. auch Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, insb. Rn. 4 u. 7). Der Gutachter meint, die gegenwärtige „soziale Situation“ im Bundesgebiet sei geeignet, den Kläger zur Medikamenteneinnahme zu motivieren, werde jedoch nach der Abschiebung in gleichwertiger Weise nicht mehr bestehen, so dass er auf die Medikation verzichten und dadurch Episoden und deren Weiterungen auslösen werde. Die Beklagte vertritt demgegenüber insbesondere mit ihren detaillierten Ausführungen im Schriftsatz vom 14. Januar 2014 zu Recht die Auffassung, dass die tatsächliche Annahme des Gutachters, nach der Abschiebung werde eine der derzeitigen Situation im Bundesgebiet gleichwertige „soziale Situation“ nicht mehr bestehen, unzutreffend und eine fortlaufende Einnahme des Medikamentes Zyprexa in Russland nicht weniger wahrscheinlich als in Deutschland ist.

Der Gutachter bezeichnet als „soziale Situation“ (später als „soziale Komponente“), die die Einnahme des neuroleptischen Medikaments durch den Kläger begünstige, die Motivation „aktuell vor allem durch die Mutter und durch die Bewährungshilfe (gemeint: durch die Führungsaufsicht); dazu gehört auch ein Arzt, dem - was bei der gegenwärtigen Ärztin der Fall ist - der Kläger vertraut, so dass er die verordnete Medikation akzeptiert“. Aufgrund des Vorschlags des Gutachters Dr. G., eine Betreuung des Klägers herbeizuführen, ist auch die im Oktober 2010 errichtete Betreuung als motivierender Faktor (Teil der „sozialen Situation“) in Betracht zu ziehen.

Jedoch kann der Kläger einen Arzt, zu dem er ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, auch in Russland finden. Der Kläger hat zu der Ärztin Frau M. im Klinikum N. in kürzester Zeit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut; sie spricht fließend Russisch; seine Hausärztin in der Zeit nach der Übersiedlung ins Bundesgebiet sprach ebenfalls fließend Russisch (vgl. Bl. 159 der Ausländerakten). Dies spricht dafür, dass dem Kläger der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses wesentlich dadurch erleichtert wird, dass die Kommunikation in seiner Muttersprache stattfindet. Den vorliegenden Betreuungsberichten sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die im Bundesgebiet bestellten Betreuer tatsächlich einen erheblichen Beitrag zur kontinuierlichen Einnahme der neuroleptischen Medikation geleistet haben; dies verwundert nicht, nachdem sie ihn nur sporadisch besuchen und keine Haushaltsgemeinschaft mit ihm haben. Eine Zwangsbehandlung kann der Betreuer nach übereinstimmender Auffassung aller beteiligten Gutachter ohnehin nicht herbeiführen (vgl. Nr. II). Im Übrigen ist die staatliche Unterstützung für Personen, die eigene Angelegenheiten eigenständig nicht hinreichend erledigen können, die der Kläger im Bundesgebiet in Form der Betreuung erhält, entgegen der unsubstantiierten Behauptung des Klägers auch im russischen Rechtssystem vorgesehen. Das russische Zivilgesetzbuch, das dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch angenähert ist, regelt die Rechtsinstitute der Vormundschaft, der Pflegschaft und der Betreuung (Nußberger, Einführung in das russische Recht, München 2010, JuS-Schriftenreihe, insbesondere S. 121 ff. und 199/200). Für die Annahme, das Verfahren über die Errichtung des einschlägigen Rechtsinstituts über den Kläger werde selbst dann längere Zeit in Anspruch nehmen, wenn ein Notfall vorliegt, fehlt es an sachlichen Anhaltspunkten; nicht anders als im Bundesgebiet besteht auch in Russland die Notwendigkeit, Fälle zu bewältigen, in denen die Gefahr einer geistigen Erkrankung oder die geistige Erkrankung selbst akut ist. Die Errichtung einer Betreuung in Russland kann zudem schon jetzt vorbereitet werden, beispielsweise kann der Kläger mit Hilfe seiner in medizinischer Hinsicht sachkundigen Mutter (Neurochirurgin) und des hiesigen Betreuers die russische Botschaft (zur Weiterleitung an die zuständige russische Stelle) auf seine bevorstehende Abschiebung hinweisen und über seine (gutachterlich dokumentierte) Problematik informieren. Entgegen der Auffassung des Gutachters kommt der Mutter des Klägers hinsichtlich der Medikamenteneinnahme keine wesentliche unterstützende Bedeutung zu. Sie ist 78 Jahre alt (am ... geboren) und zu 80% schwerbehindert. Angesichts dessen ist auch fraglich, wie lange sie noch versuchen kann, auf den Kläger einzuwirken. Zum anderen hat sie (von der Haftzeit abgesehen) stets entweder mit ihm zusammen oder in seiner Nähe gewohnt, jedoch weder verhindern können, dass der Kläger nach seinen Aufenthalten in einem psychiatrischen Krankenhaus in den Jahren 1990 (27.1. bis 15.2., vgl. S. 21 des Strafurteils) und 1991 (5.2. bis 5.3., a. a. O.) jeweils die Medikation wieder abgesetzt hat, noch bewirken können, dass er auf die produktivpsychotischen Episoden in den Jahren 1992 und 1998 hin ein Neuroleptikum eingenommen hat. Der Betreuungsbericht vom 5. Juni 2013 deutet darauf hin, dass der Kläger etwa ein Vierteljahr nach seiner Haftentlassung und Übersiedlung zu seiner Mutter erneut eigenständig die Medikation abgesetzt hat. Die tatsächlichen Umstände der Mehrzahl der bisherigen produktivpsychotischen Episoden des Klägers deuten sogar darauf hin, dass die Mutter des Klägers für diesen ein erhebliches Risiko darstellt, selbst wenn ihre Anwesenheit für ihn mit wirtschaftlichen und auch einzelnen persönlichen Vorteilen verbunden ist. Die Mutter des Klägers besitzt ein dominantes Wesen (Strafurteil vom 18.12.2003 S. 4; Angaben von Frau Dr. E. Zufolge dem Gutachten des Dr. N. vom 19.10.1998, Bl. 159 der Ausländerakten); das vom Versorgungsamt eingeholte Gutachten vom 7. September 1999 spricht von einer pathologischen Mutterbeziehung; der Kläger selbst hat seine Mutter zufolge dem Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 als den „Chef“ zuhause bezeichnet. Familiäre Spannungen, die in Handgreiflichkeiten des Klägers vor allem gegen sie gemündet haben, haben im Mittelpunkt der Mehrzahl der bisherigen produktivpsychotischen Episoden gestanden (vgl. u. a. das Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001 und das Attest des Klinikums N. vom 6.2.2013). Der Kläger ist der Auffassung, seine Eltern hätten seine Schwestern ihm vorgezogen (vgl. das Gutachten des Dr. N. vom 13.10.1998 sowie die Stellungnahme des Dr. We. vom 12.11.1998 und das Attest des Klinikums N. vom 6.2.2013). Dr. G. 2009 erörtert in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 die Möglichkeit eines Zuzugs des Klägers zu seiner Mutter nach der Haftentlassung, befürwortet aber einen solchen Zuzug wegen des Risikos familiärer Auseinandersetzungen für die Auslösung produktivpsychotischer Episoden letztlich nicht. Die im Gutachten des Dr. W. vom 23. August 2013 angesprochene Führungsaufsicht („Bewährungshilfe“) vermag die Neuroleptika-Einnahme ebenfalls nicht nachhaltig zu gewährleisten. Auflagenverstöße (vorliegend: ein Weglassen des Neuroleptikums) sind zwar strafbewehrt. In der strafgerichtlichen Praxis beschränkt sich die Ahndung aber - anders als bei einem Verstoß gegen Bewährungsauflagen - auf Geldstrafen. Darüber hinaus endet die Führungsaufsicht in wenigen Jahren. Weiterhin spricht viel dafür, dass der Kläger seine Kontaktschwierigkeiten in Russland wesentlich leichter als in Deutschland überwinden und auf diese Weise ein stützendes soziales Umfeld aufbauen kann. Der Kläger ist in Sankt Petersburg aufgewachsen, hat dort seine Sozialisation erfahren und seine Schul- und Berufsausbildung absolviert. Er hat dort (psychiatrisch erkrankt, jedoch überwiegend unbehandelt) mehrere Jahre gearbeitet und als Selbstständiger erfolgreich Kontakte geknüpft (vgl. Nr. B.I.2 lit. c, bb, bbb, aaaa). Der Kläger hat zwar in den 16 Jahren seines Aufenthalts im Bundesgebiet die deutsche Sprache besser gelernt; er hat aber immer noch gewisse Verständigungsschwierigkeiten, wie der Dolmetschereinsatz in der Verhandlung des Betreuungsgerichts vom 14. Oktober 2010 und mehrere Bemerkungen im Gutachten Dr. W. vom 23. August 2013 belegen. Seine Kontakte und Geschäftstätigkeiten im Bundesgebiet sind wenig integrationsförderlich gewesen. Sie haben - wie vor allem dem Strafurteil vom 18. Dezember 2003 zu entnehmen ist - überwiegend exilrussischen Charakter gehabt. Wie eben erwähnt bevorzugt der Kläger russischsprachige Ärzte und vermag schnell ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen. Wie seine beiden Reisen wenige Wochen vor der Tat vom 7. Februar 2001 belegen, verfügt der Kläger über Kontakte in Russland. Angesichts des Akteninhalts und der vorliegenden Angaben hat der Senat davon auszugehen, dass der Kläger auch Verwandte in Sankt Petersburg hat. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine Kontaktaufnahme zu seinen Verwandten den Kläger so stark belasten könnte, dass eine alsbaldige wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten wäre, bestehen nicht (vgl. IV.). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger etwa 25.000 € Schulden und aufgrund dessen die eidesstattliche Versicherung vor einem Gerichtsvollzieher nach § 802c Abs. 3 ZPO abgegeben hat. Bei Erwerbsanstrengungen im Bundesgebiet wäre der Kläger hierdurch von vornherein stark seelisch (vgl. Dr. G. im Gutachten vom 21.7.2009) und materiell belastet. Ein Wohnsitzwechsel nach Russland würde die Problematik praktisch erledigen, weil deutsche Gerichtsentscheidungen in Russland nicht vollstreckt werden.

c) Der Kläger weist außerhalb produktivpsychotischer Episoden eine Residualsymptomatik auf, die auch durch Neuroleptika nicht zu beseitigen ist. Sie hindert den Kläger aber weder daran, seinen Lebensunterhalt in Russland zu sichern, noch beeinträchtigt sie sein Leben im Übrigen wesentlich. Aus der Tatsache, dass die psychiatrische Einzel-GdB im bestandskräftig gewordenen Bescheid des Landesversorgungsamtes vom 21. Januar 2014 auf 50 festgelegt worden ist, während sie 20 im vorher geltenden Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. vom 11. Oktober 1999 (vorgelegt im Verfahren 19 B 07.2762) betragen hat, ergibt sich nichts anderes. Mit der im Bescheid vom 11. Oktober 1999 bewerteten seelischen Störung hat das Versorgungsamt die im Gutachten vom 7. September 1999 (Bl. 27 der Schwb-Akte) gestellte Diagnose einer depressiven Neurose bei selbstunsicherer Persönlichkeit und pathologischer Mutterbeziehung umgesetzt. Die Erhöhung der psychiatrischen Einzel-GdB (mit der Folge einer Erhöhung der Gesamt-GdB) durch den Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2014 beruht darauf, dass das Versorgungsamt im Widerspruchsverfahren das vom Betreuungsgericht eingeholte psychiatrische Gutachten vom 26. August 2013 beigezogen und auf dieser Grundlage (mit den Worten „Residualzustand nach seelischer Krankheit“) erstmals berücksichtigt hat, dass der seelischen Störung eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis zugrunde liegt. Nachdem sich aus den vorliegenden psychiatrischen Gutachten - das Gutachten des Dr. W. vom 23. August 2013 eingeschlossen - ergibt, dass die Residualsymptomatik keine wesentliche Einschränkung des Klägers bedingt (aa), und nachdem auch die Erwerbsbiografie des Klägers keine Anhaltspunkte für eine negative Erwerbsprognose liefert (bb), fehlt es auch im Bereich der seelischen Gesundheit an hinreichenden Anhaltspunkte für eine Einholung des mit Beweisantrag Nr. 3 begehrten ergänzenden arbeitsmedizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass aufgrund des Gesundheitszustandes des Klägers keine Erwerbsfähigkeit besteht (zum Fehlen nichtpsychiatrischer Anhaltspunkte für die Einholung eines derartigen Gutachtens vgl. B.I.1.).

aa) Die Tatsache, dass die Residualsymptomatik den Kläger nicht wesentlich beeinträchtigt, ergibt sich zunächst daraus, dass Dr. W. in seinem Gutachten vom 23. August 2013 weder schwerwiegende psychopathologische Auffälligkeiten noch eine wesentliche Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit des Klägers feststellt, der seit März 2010 mit Zyprexa behandelt wird; ein geringgradiges Antriebsdefizit zieht er lediglich in Betracht. Dr. W. führt aus, die noch vorhandenen Einschränkungen der Denkabläufe seien nicht eindeutig; der Gutachter meint, der Eindruck solcher Einschränkungen könne auch aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes oder infolge von Verständnisschwierigkeiten entstanden sein. Dies ist nachvollziehbar, nachdem die Residualsymptomatik schon in den früheren Gutachten, bei deren Erstellung der Kläger neuroleptisch noch unbehandelt gewesen ist, als unauffällig und nicht ausgeprägt beschrieben worden ist. In seinem Gutachten vom 12. November 2009 hat Dr. W. der Residualsymptomatik insbesondere eine Einschränkung des Antriebs, Besonderheiten der Affektivität sowie Besonderheiten des formalen Denkablaufs zugeordnet (wie Weitschweifigkeit und Redebeiträge, die an gestellten Fragen vorbeigehen) und diese Symptomatik als nicht ausgeprägt, geringgradig und nach außen nicht auffallend bewertet. Bei seiner Erörterung der zwischen den Gutachtern umstrittenen Frage, wie die übereinstimmend festgestellten Symptome diagnostisch einzuordnen sind, hebt Dr. W. noch einmal die Geringgradigkeit dieser Symptome besonders hervor und verweist darauf, dass sie auch in der JVA - trotz des engen sozialen Zusammenlebens dort - nicht aufgefallen sind (die in der JVA tätigen Ärzte sind noch im Frühjahr 2010 davon ausgegangen, dass der Kläger in psychiatrischer Hinsicht nicht behandlungsbedürftig ist, vgl. die Klägerschriftsätze vom 12.2.2010 und vom 17.3.2010 im Verfahren 19 B 09.824; auch den JVA-Berichten über den Strafvollzug ist nichts für ungewöhnliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen des Klägers zu entnehmen, vgl. etwa den JVA-Bericht vom 19.1.2006, Bl. 301 der Ausländerakte). In diesem Sinn hatte sich Dr. W. auch schon im Gutachten vom 18. Oktober 2001 geäußert. Auch der Gutachter Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 von „diskreten“ Einschränkungen gesprochen, ähnlich das Attest des Klinikums N. vom 6. Februar 2013, in dem der psychische Zustand des Klägers als stabil bezeichnet wird. Dem psychiatrischen Gutachten B. vom 26. August 2013, das im Betreuungsverfahren eingeholt und auch im Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes zugrunde gelegt worden ist, ist ebenfalls zu entnehmen, dass die Residualsymptomatik nur mit geringgradigen Einschränkungen verbunden ist; u. a. vermerkt der Gutachter, der Kläger habe trotz der Sprachbarriere auch die schwierigste Frage der (testweise gestellten) Unterschiedsfragen verschiedenen Schwierigkeitsgrades beantwortet. Die Betreuung in den Bereichen der Gesundheitsfürsorge und der Aufenthaltsbestimmung wurde weiterhin für erforderlich gehalten wegen der eventuellen Notwendigkeit, den Kläger der nervenärztlichen Heilbehandlung zuzuführen und über seine Unterbringung zu entscheiden, die dem übrigen Gutachtensinhalt zufolge nur bei einem Verzicht auf die Neuroleptikabehandlung eintreten kann. Die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern wurde dem jeweiligen Betreuer des Klägers, der noch immer mit Sprachschwierigkeiten zu kämpfen hat (vgl. u. a. den Bericht des Führungsaufsehers vom 23.5.2013 in der Betreuungsakte), insbesondere deshalb übertragen, weil Anträge auf Rente, Altersversorgung, Sozialhilfe sowie auf Integrationshilfen nach der Haftentlassung im Raum gestanden haben. Bei diesen Finanz- und Verwaltungsangelegenheiten handelt es sich um komplexe Vorgänge, bei denen regelmäßig auch Personen fachlicher Unterstützung bedürfen, die im Bundesgebiet aufgewachsen sind, die deutsche Sprache vollständig beherrschen und keine psychiatrische Beeinträchtigung aufweisen. Eine Darlegung, welche Teile gerade der Residualsymptomatik einer sachgerechten Erledigung dieser Angelegenheiten entgegenstehen, ist den Betreuungsgutachten nicht zu entnehmen. Die von allen Gutachtern festgestellte Geringgradigkeit dieser Symptomatik spricht gegen eine solche Ursächlichkeit. Die Gutachter aus nichtpsychiatrischen Fachgebieten (Kardiologe, Orthopäde, Arbeitsmediziner) referieren umfangreiche anamnestische Angaben des Klägers ohne jede Andeutung von Kommunikationsschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten. Die Unauffälligkeit der Residualsymptomatik wird schließlich auch durch die Berichte der ihm bestellten Betreuer bestätigt. Die Betreuer erwähnen derartige Symptome nicht, sondern legen dar, der Kläger sei im Umgang sehr angenehm, er führe sich sehr gut und sei kooperativ (Betreuerbericht vom 4.11.2013); er mache einen stabilen Eindruck, sei ruhig, angenehm und zuverlässig (Betreuerbericht vom 1.12.2013). Insgesamt ist den im Betreuungsverfahren eingeholten Stellungnahmen und gefassten Beschlüssen nichts für eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit des Klägers zu entnehmen.

Der Umstand, dass der Kläger in der Haft nur kurzzeitig als Arbeiter eingesetzt worden ist, liefert keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Residualsymptomatik stehe einer erfolgreichen Erwerbstätigkeit des Klägers in Russland entgegen.

Den Mitteilungen des Klägers, der die Arbeit mit Werkzeugmaschinen für die Zeit nach der Haftentlassung in Erwägung gezogen hat, ist zu entnehmen, dass er nicht als einer der stärksten Leistungsträger eingeschätzt worden ist, die auch bei kleiner Auftragslage eingesetzt werden, sondern als einer der (grundsätzlich durchaus verwendbaren) Mitarbeiter, die erst eingesetzt werden, wenn der JVA-Betrieb größere Auftragsvolumina abzuarbeiten hat (vgl. die im Gutachten des Dr. W. vom 12.11.2009 - zu Nr. 4 - wiedergegebenen Angaben des Klägers). Es kommt in Betracht, dass diese betriebsseitige Einschätzung auf persönlichen Eigenschaften ohne Bezug zu gesundheitlichen Einschränkungen beruht (wie wohl bei dem größten Teil der Erwerbstätigen, die nicht zur stärksten Leistungsgruppe gehören). In Betracht zu ziehen ist aber auch die Möglichkeit, dass diese Einschätzung die betriebsseitige Umschreibung desjenigen Teils der Residualsymptomatik darstellt, der von den Gutachtern mit den Begriffen „Antriebsdefizit“ und „Verlangsamung“ bezeichnet worden ist. In jedem Fall läuft die betriebsseitige Einschätzung weder auf eine fehlende Erwerbsfähigkeit noch auf eine wesentlich geminderte Erwerbsfähigkeit hinaus und bestätigt damit, dass die Residualsymptomatik mit keinen wesentlichen Einschränkungen des Klägers verbunden ist. Nachdem die Arbeitslosigkeit in Russland und insbesondere in Zentren wie St. Petersburg niedrig ist (vgl. B.I.3 lit. a, aa), ist es wahrscheinlich, dass auch der Kläger einen solchen Arbeitsplatz finden würde.

Im Übrigen ist es zwar nachvollziehbar, wenn der Kläger die Arbeit in der Justizvollzugsanstalt in den Vordergrund stellt, nachdem es sich hierbei um seine letzte Arbeitserfahrung handelt. Seinem Fähigkeitenprofil entspricht jedoch nicht die ihm im JVA-Betrieb abgeforderte, eher die Körperkraft beanspruchende Serienarbeit, sondern eine Tätigkeit in technischen und/oder kaufmännischen Bereichen, in denen es nicht auf eine schnellstmögliche Abarbeitung von Stückzahlen ankommt (vgl. B.I.1) und diesbezügliche Defizite daher - wie auch an den erfolgreichen Geschäften des Klägers in Russland und Deutschland ersichtlich (vgl. B.I.2. lit. c, bb, bbb, aaaa) - keine Rolle spielen.

bb) Die Gutachter Dr. G. und Dr. W. haben dem Kläger eine überwiegend negative Erwerbsprognose gestellt. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 ausgeführt, für die Zeit nach einer möglichen Entlassung sei wieder mit den seit Anfang der 90er Jahre bestehenden Schwierigkeiten zu rechnen, sich in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren; auch Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 12. November 2009 die Auffassung vertreten, es werde dem Kläger wahrscheinlich schwerfallen, einer regulären Berufstätigkeit nachzugehen. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 23. August 2013 nimmt Dr. W zwar keine Bewertung der Erwerbsbiografie des Klägers mehr vor; er geht jedoch hier auf das Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 detailliert ein und nimmt die selbst erstellte Begutachtung vom 12. November 2009 in Bezug, ohne hinsichtlich dieses Aspekts eine neue Sichtweise zu entwickeln. Die negative Erwerbsprognose der Gutachter bezieht sich in erster Linie auf ein Erwerbsleben im Bundesgebiet, denn diese Gutachten sind überwiegend nicht zur gegenwärtigen Fragestellung erstattet worden (das Gutachten des Dr. G. vom 21.7.2009 zur Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung; das Gutachten Dr. W. vom 12.11.2009 zu den tatsächlichen Ausweisungsvoraussetzungen). Der Senat geht aber davon aus, dass Gründe, die ein Scheitern des Klägers im deutschen Erwerbsleben begründen würden, auch ein Scheitern im russischen Erwerbsleben herbeiführen würden.

Die Äußerungen der beiden Gutachter rechtfertigen aber nicht die Erwartung eines Fehlschlags des Klägers bei Erwerbsbemühungen. Die Gründe, die der negativen Erwartung der Gutachter zugrunde liegen, sind - anders als die psychiatrischen Grundlagen (Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, produktivpsychotische Episoden in bestimmten Fällen bei fehlender Neuroleptikabehandlung, Residualproblematik) - nicht fachmedizinischer, sondern tatsächlicher Natur, denn sie sind der Erwerbsbiografie des Klägers während bestehender psychiatrischer Erkrankung entnommen. Die Auswertung aller vorhandenen Informationen über diese Erwerbsbiografie ergibt, dass deren negative Bewertung durch die Gutachter, die insoweit über deutlich weniger Informationen als das Gericht verfügt haben, nicht bzw. nicht mehr zutrifft. Der Senat ist daher zu der Feststellung in der Lage, dass die Erwerbsprognose nicht negativ, sondern positiv ist. Seit März 2010 drohen dem Kläger infolge der Medikation mit Zyprexa keine produktivpsychotischen Episoden mehr (aaa). Die Erwerbsbiografie des Klägers ist von den psychiatrischen Gutachtern Dr. G. und Dr. W. auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage negativ bewertet worden; tatsächlich liefert sie aber keine Anhaltspunkte für eine negative Erwerbsprognose (bbb). Nachdem sich die Frage der Erwerbsfähigkeit des Klägers in psychiatrischer Hinsicht anhand der medizinischen Feststellungen in den vorliegenden psychiatrischen Gutachten in Verbindung mit der (zutreffend ermittelten) Erwerbsbiografie des Klägers beantworten lässt und im Ergebnis zu bejahen ist, war den diesbezüglichen Beweisanträgen (Nrn. 1 lit. b, 2 lit. e < soweit er eine Arbeitsstelle betrifft > und 3 sowie dem letzten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag) nicht nachzukommen.

aaa) Die Äußerungen betreffend einen Misserfolg des Klägers am Arbeitsmarkt sowohl in dem Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 als auch in dem Gutachten des Dr. W. vom 12. November 2009 gründen wesentlich auf dem Umstand, dass der Kläger im Jahr 2009 neuroleptisch noch unbehandelt gewesen ist (dem Gutachten vom 12.11.2009 zufolge eine solche Behandlung auch abgelehnt hat) und den Gutachtern über kürzlich erlebte Wahnvorstellungen berichtet hat. Zwar haben diese Wahnvorstellungen in der JVA nicht zu Weiterungen geführt; sie sind von Außenstehenden nicht einmal bemerkt worden. Nachdem sie jedoch prägendes Kennzeichen produktivpsychotischer Episoden des Klägers sind, ist es nachvollziehbar, wenn die Gutachter davon ausgehen, dass ihr Auftreten im Rahmen einer Arbeitssuche oder im Rahmen einer Erwerbstätigkeit des Klägers erwerbsgefährdende Auswirkungen haben könnte, und die neuroleptische Behandlung für unabdingbar halten. Jedoch nimmt der Kläger seit nunmehr vier Jahren ein Neuroleptikum ein. Die neuroleptische Unbehandeltheit, die für die negative Erwartung der Gutachter betreffend die Erwerbschancen des Klägers (auch) maßgeblich gewesen ist, trifft somit nicht mehr zu. Seit dem Beginn dieser Medikamentierung im Bundesgebiet gibt es keine Anzeichen mehr für Wahnvorstellungen und Episoden. In seiner gutachterlichen Äußerung vom 23. August 2013 bezeichnet Dr. W. die Symptomatik als deutlich gebessert. Betreffend die Erwerbschancen des Klägers äußert er nur noch „Skepsis“, die er mit „der vorliegenden Erkrankung und nach wie vor bestehenden Einschränkungen im Hinblick auf die Antriebsleistung sowie Besonderheiten des formalen Denkablaufs“ begründet. Diese Residualsymptomatik hat der Gutachter jedoch in derselben Äußerung als jedenfalls nicht schwerwiegend, nur geringgradig und nicht wesentlich bewertet; sie stellt keine ausreichende Grundlage für eine negative Erwerbsprognose dar (vgl. B.I.2 lit. c, aa).

bbb) Die Gutachter Dr. G. und Dr. W. begründen ihre pessimistischen Erwerbsprognosen darüber hinaus nicht mit spezifisch psychiatrischen Feststellungen, sondern mit der Erwerbsbiografie des Klägers bis zu seiner Inhaftierung. Dies ist im Ansatz nachvollziehbar, denn im Falle solcher Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit in früheren Phasen der Grunderkrankung wären vergleichbare Beeinträchtigungen auch in Zukunft zu erwarten. Die Einschätzung der Gutachter ist aber dennoch unzutreffend. Sie steht zum einen in Widerspruch zu deren eigener Feststellung einer Residualsymptomatik ohne wesentliche Einschränkungen (vgl. B.I.2 lit. c, aa). Zum anderen beruht sie auf unzutreffenden Tatsachenannahmen. Dr. G. meint in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 der Erwerbsbiografie des Klägers einen deutlichen Leistungseinbruch entnehmen zu können, und erklärt diesen Leistungseinbruch mit der schizophrenen Erkrankung des Klägers. Die Beklagte kommt jedoch zu einer anderen Bewertung der Erwerbsbiografie des Klägers; sie vertritt die Auffassung, eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der psychiatrischen Erkrankung sei nicht ersichtlich (Schriftsätze vom 23.8.2012 und vom 27.3.2014). Diese Auffassung ist zutreffend. Dr. G. geht zu Unrecht von einem deutlichen Nachlassen der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers aus (aaaa). Die gleichgeartete Annahme des Gutachters Dr. W. in seiner Äußerung vom 12. November 2009 ist ebenfalls ohne Grundlage (bbbb). Daher hat der Senat im Ergebnis nicht von einer eingeschränkten beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers auszugehen; er hat nur die übrige Residualsymptomatik zugrunde zu legen, die keine wesentlichen Einschränkungen des Klägers beinhaltet.

aaaa) Dr. G geht in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 davon aus, dass es dem Kläger zwar gelungen sei, die Schule problemlos zu durchlaufen und die Ausbildung zum Funkingenieur erfolgreich abzuschließen, und dass er dann eine Stelle in einem Produktionsunternehmen für Radios gehabt habe, diese aber aufgrund der Krankheit nach nur eineinhalb Jahren verloren habe und dann in Russland und später auch in Deutschland es nicht vermocht habe, eine seiner verschiedenen Geschäftsideen erfolgreich umzusetzen und mit selbstständigen Tätigkeiten sein Geld zu verdienen (an anderer Stelle: dass es ihm nach der erstmaligen stationären Behandlung psychotischer Symptome - in zeitlichem Zusammenhang mit dem Arbeitsplatzverlust - weder in Russland noch später in Deutschland gelungen ist, beruflich wieder Fuß zu fassen und an die im Rahmen der schulischen Laufbahn zu Tage getretene Leistungsfähigkeit anzuknüpfen). Dr. G. ist ersichtlich der Auffassung, dass ein Leistungsbild des Klägers, das sich in gleichartiger Weise sowohl bei der Angestelltentätigkeit des Klägers in Russland als auch während seiner Selbstständigkeit dort sowie während seiner Videofilmgeschäfte in Deutschland abzeichnet, einen verlässlichen Schluss auf die Erwerbsfähigkeit nach der Haftentlassung zulässt. Die von Dr. G. angenommene grundsätzliche Wende der Erwerbsbiografie ins Negative zu Beginn der 90er Jahre hat aber nicht stattgefunden. Der Kläger ist zwar möglicherweise durch produktivpsychotische Episoden in seinem Erwerbsleben beeinträchtigt worden, außerhalb dieser Episoden aber geschäftlich erfolgreich gewesen. Ein einheitliches (und damit verlässliches) Leistungsbild während verschiedener Phasen der Erwerbstätigkeit ab dem Beginn der 90er Jahre liegt vor; es ist jedoch nicht negativ, sondern eher positiv.

Der Kläger hat Anfang des Jahres 1990 eine produktivpsychotische Episode erlitten; den vom Strafgericht ausgewerteten Krankenunterlagen aus Russland zufolge ist er vom 27. Januar 1990 bis zum 15. Februar 1990 in einem psychiatrischen Krankenhaus stationär behandelt worden (die Mutter des Klägers - zitiert im Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001 - hat dessen Psychiatrieaufenthalte nur grob und jeweils ein Jahr später datiert, seinen ersten Psychiatrieaufenthalt also auf das Jahr 1991). Dem Arbeitsbuch des Klägers zufolge (Bl. 113 der Akte des Verwaltungsgerichts) hat diese Episode nicht zu einer Beendigung seiner Tätigkeit als Ingenieur für Fertigungstechnik geführt; hierzu ist es erst etwa ein Jahr später gekommen, nämlich am 5. Februar 1991. Die Angabe des Klägers gegenüber Dr. G., er habe die Stelle als Funkingenieur in einem Produktionsbetrieb für Radios nach eineinhalb Jahren verloren, spricht zwar für eine Zuordnung des Vorgangs zum Jahr 1990; für die Richtigkeit des im Arbeitsbuch vermerkten Datums spricht jedoch, dass es mit dem Tag identisch ist, an dem der Kläger den vom Strafgericht ausgewerteten medizinischen Unterlagen zufolge erneut wegen einer Episode in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht worden ist. Die von Dr. G. interpretierten anamnestischen Angaben des Klägers sind auch im Übrigen fragwürdig und drücken ganz überwiegend subjektives Empfinden aus; eine Darstellung der konkreten Gründe für die Beendigung der (dem Arbeitsbuch zufolge) etwa zweieinhalbjährigen Angestelltentätigkeit enthalten sie nicht. Dem Attest der Institutsambulanz des Klinikums N. vom 6. Februar 2013 zufolge hat der Kläger dort angegeben, seine Ingenieurstelle selbst gekündigt zu haben; ebenso hat sich der Kläger bei der Anamnese im Rahmen des Gutachtens des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 geäußert. Das Attest vom 6. Februar 2013 enthält auch Angaben des Klägers, die die Beendigung der Angestelltentätigkeit in einen Zusammenhang mit einer Erpressung im beruflichen Umfeld stellen sowie (allerdings unter Nennung des Jahres 1990) eine produktivpsychotische Episode des Klägers beschreiben. Dem Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 zufolge hat der Kläger eine der produktivpsychotischen Episoden dahingehend detailliert, „dass man in Russland einmal versucht habe, ihn zu erpressen“. Im Strafurteil vom 18. Dezember 2003 (Seite 5) wird ebenfalls eine der produktivpsychotischen Episoden (das Strafurteil spricht von Episoden „in den Jahren 1990/1991“) auf eine Erpressung des Klägers zurückgeführt. Schließlich hat die Mutter des Klägers dem Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 zufolge eine produktivpsychotische Episode darauf zurückgeführt, dass er wegen „der Perestroika“ arbeitslos geworden sei; sie hat damit auf die Teilliberalisierung und teilweise Beseitigung der sozialistischen Wirtschaftsordnung Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre Bezug genommen, die - wie allgemein bekannt - gerade zu Beginn der 90er Jahre einen regelrechten Verfall der russischen Wirtschaft zur Folge gehabt hat. Für die von der Mutter des Klägers angegebene Begründung für die Beendigung der Angestelltentätigkeit des Klägers könnte nicht nur diese zeitgeschichtliche Übereinstimmung, sondern auch der Umstand sprechen, dass es sich bei dem Radiohersteller um einen Staatsbetrieb gehandelt hat (Angabe des Klägers laut dem Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001). Demzufolge sind als Gründe für die (möglicherweise durch Kündigung im Vorfeld einer Entlassung erfolgte) Beendigung der Angestelltentätigkeit des Klägers der allgemeine Verfall der russischen Wirtschaft Anfang der 90er Jahre, strafrechtliche Vorgänge im Umfeld des Klägers oder/und eine produktivpsychotische Episode in Betracht zu ziehen. Für eine Verursachung durch die Residualsymptomatik liegen keine tragfähigen Anhaltspunkte vor. Weder der Kläger noch seine Mutter hat den Arbeitsplatzverlust in einen Zusammenhang mit einer Antriebseinschränkung oder mit einer der anderen diskreten Beeinträchtigungen gestellt, die der Kläger außerhalb von Episoden aufweist.

Die Annahme im Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009, dem Kläger sei nach der Beendigung seiner Arbeit für den Radiohersteller (auch in Russland) eine erfolgreiche Erwerbstätigkeit nicht mehr gelungen, verfügt über keine hinreichende Grundlage; zahlreiche Anhaltspunkte sprechen gegen sie.

Es spricht nichts dafür, dass der Kläger nach seiner Entlassung aus der Klinik am 5. März 1991 im Erwerbsleben nur eingeschränkt leistungsfähig gewesen ist. Der Kläger ist seinem Arbeitsbuch zufolge vom 1. April 1991 bis zum 1. August 1993 als Fachmann für Warenkunde und vom 1. September 1993 bis zum 1. Dezember 1996 als Vorarbeiter („Polier“) eines Bau- und Montagebereichs beschäftigt gewesen. Der Kläger selbst hat allerdings bei der Anamneseerhebung durch Dr. G. von einer anderweitigen Angestelltentätigkeit in Russland nichts berichtet. Bei anderen Gelegenheiten hat er nur sehr allgemein von einer kaufmännischen Tätigkeit bei verschiedenen Firmen gesprochen (Strafurteil vom 18.12.2003, Seite 4; Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001). In die Erwerbstätigkeit als Fachmann für Warenkunde fällt die weitere produktivpsychotische Episode im Jahr 1992, die nur ambulant behandelt worden ist (vgl. das Gutachten des Dr. G. vom 21.7.2009) und offensichtlich keine Auswirkungen auf das Beschäftigungsverhältnis gehabt hat. Dem Vorbringen des Klägers und seiner Mutter sowie den sonstigen insoweit aussagekräftigen Unterlagen (insbesondere dem Arbeitsbuch) ist nichts dafür zu entnehmen, dass die Erwerbstätigkeit des Klägers in diesen insgesamt etwa fünfeinhalb Jahren durch die Residualsymptomatik nachteilig beeinflusst worden wäre.

Anschließend (vielleicht auch schon als Nebenbeschäftigung in der letzten Zeit seiner Angestelltentätigkeit) ist der Kläger selbstständig erwerbstätig gewesen. Dr. G. nimmt in seinem Gutachten vom 21. Juli 2009 an, es sei dem Kläger nicht gelungen, eine seiner verschiedenen Geschäftsideen erfolgreich umzusetzen und mit einer selbstständigen Tätigkeit sein Geld zu verdienen. Jedoch deutet die Angabe des Klägers gegenüber dem Gutachter Dr. N. (Gutachten vom 13.10.1998 auf die produktivpsychotische Episode vom Frühjahr 1998 hin), er habe Videofilme (Spielfilme, Dokumentar- und Kriegsfilme) landesweit verkauft, auf einen erfolgreichen Verlauf dieser gewerblichen Tätigkeit hin. Hierfür sprechen auch die im Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 zitierten (später durch Ausführungen seiner Mutter bestätigten) Angaben des Klägers, denen der Gutachter entnimmt, dass es dem Kläger gelungen ist, stabile Rahmenbedingungen für seine selbstständige Tätigkeit herzustellen (vgl. auch die inhaltsgleiche Äußerung des Gutachters Dr. W. in der Hauptverhandlung, wiedergegeben auf S. 65 des Strafurteils vom 18.12.2003), sowie die Angaben seiner Mutter, denen zufolge der Kläger hohe Erwartungen hinsichtlich des Gewinns hatte, den sein Cousin mit dem vom Kläger aufgebauten Geschäft (dem Cousin im Rahmen der Ausreise übergeben) erzielen sollte. Den Angaben des Klägers bei seiner Untersuchung in der Institutsambulanz des Klinikums N. (Attest vom 6.2.13) ist zu entnehmen, dass er durch seine selbstständige Tätigkeit in Russland mehr verdient hat als vorher als Ingenieur. Auch bei seiner Befragung durch den Gutachter Dr. W. im Vorfeld des Gutachtens vom 18. Oktober 2001 hat der Kläger seine berufliche Veränderung mit „finanziellen Interessen“ begründet. Die Angaben des Klägers gegenüber Dr. G. betreffend eine krankheitsbedingte Verlangsamung seiner selbstständigen Tätigkeit sind keine geeignete Grundlage für die von Dr. G. vorgenommene Bewertung. Der Kläger hat ansonsten einen solchen Zusammenhang nicht hergestellt. Zufolge des Gutachtens des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 hat der Kläger damals dem Gutachter mitgeteilt, es seien die Medikamente gewesen, die ihn langsam gemacht hätten. Dem Gutachten des Dr. W. vom 12. November 2009 zufolge hat der Kläger wenige Monate nach seiner Begutachtung durch Dr. G. erneut angegeben, dass er den Eindruck habe, unter Medikamenten verlangsamt zu sein; im gleichen Sinn hatte sich in der nichtöffentlichen Sitzung des Betreuungsgerichts vom 14. Oktober 2010 geäußert, in der ein Russisch-Dolmetscher zugegen gewesen ist (Bl. 156 der Betreuungsakte), gegenüber dem Neurologen Dr. B. (vgl. dessen Stellungnahme vom 22.8.1012) und bei der Befragung durch Dr. W. im Vorfeld des Gutachtens vom 23. August 2013. Der Umstand, dass der Kläger bei seinen anamnestischen Angaben gegenüber Dr. G. emotional teilweise stark bewegt, teilweise nivelliert und teilweise dissoziiert gewesen ist (vgl. insbesondere S. 11 und 28 des Gutachtens) und seine vorausgegangene mehrjährige Angestelltentätigkeit in den 90er Jahren (dokumentiert in dem Arbeitsbuch, das er im verwaltungsrechtlichen Verfahren selbst vorgelegt hat) ganz überwiegend vernachlässigt hat, sprechen dafür, dass die Angaben des damals neuroleptisch noch nicht behandelten und an einer Strafrestaussetzung zur Bewährung interessierten Klägers wenig verlässlich sind. Es kommt hinzu, dass der Gutachtensinhalt auf Verständigungsschwierigkeiten bei der Erhebung der Anamnese durch Dr. G. hindeutet. Auf S. 45 des Gutachtens gibt der Gutachter die Mitteilung der JVA wieder, mangelnde Sprachkenntnisse des Klägers hätten einer Gewalttherapie entgegengestanden; der Gutachter setzt dieser Mitteilung keinen gegenteiligen Eindruck entgegen, sondern bestätigt sie mittelbar durch Benennen weiterer Hinderungsgründe für eine Gewalttherapie. Die Exploration hat offensichtlich teilweise in russischer und teilweise in deutscher Sprache statt gefunden: einerseits wurde wegen der „nicht ausreichenden Sprachkenntnisse des Probanden“ ein Dolmetscher für die russische Sprache hinzugezogen (vgl. S 2/3), andererseits die „oberfränkische Sprachfärbung“ des Klägers vermerkt (S. 12). Nicht nur die von Dr. G. zitierten Angaben zum geringen Geschäftserfolg stehen in einem auffälligen Widerspruch zu Angaben des Klägers, die dieser bei anderen Gelegenheiten gemacht hat. In den Mittelpunkt der Beschreibung seiner Geschäftstätigkeit in Russland hat der Kläger mehrfach Videofilme gestellt (vgl. insbesondere das Strafurteil vom 18.12.2003 Seite 4); diese scheinen im Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 in keiner Weise auf.

Nach seiner Übersiedlung in das Bundesgebiet im Herbst 1997 hat der Kläger die deutsche Sprache nicht schulmäßig erlernt; er ging zunächst keiner Erwerbstätigkeit nach und erhielt Sozialhilfe (S. 5 des Strafurteils). In diese Zeit fällt die produktivpsychotische Episode vom Frühjahr 1998, die gutachterlich festgehalten, jedoch nicht medikamentös behandelt worden und wieder abgeklungen ist.

Der Kläger hat dann in der Zeit vor der Straftat vom 7. Februar 2001 einen Handel mit illegal vervielfältigten russischsprachigen CDs und Videos aufgebaut. Dem Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 zufolge hat der Kläger bei der Gutachtensanamnese insoweit lediglich angegeben, die Geschäfte seien „zunächst“ nicht gut gelaufen, so dass er von Sozialhilfe habe leben müssen. Zur Entwicklung der Geschäfte nach dieser wenig erfolgreichen (wie bei Geschäftseröffnung nicht vollkommen ungewöhnlich) Anfangsphase ist dem Gutachten nichts zu entnehmen. Das Strafurteil vom 18. Dezember 2003 (zur st. Rspr. des BVerwG betreffend die Geltung strafgerichtlicher Feststellungen im Ausweisungsverfahren vgl. B. v. 24.2.1998 InfAuslR 1998,221) stellt jedoch fest, der Handel habe ein größeres Ausmaß erreicht (S. 31); es spricht von einem florierenden Geschäft (S. 32), durch das der Kläger erhebliche Gewinne erzielt habe (S. 57), und bewertet diesen Handel auf der Grundlage des Marktwerts des in der Wohnung des Klägers gefundenen Materials und des Umfangs der von ihm getätigten Geldgeschäfte (Strafurteil S. 8 ff. und S. 30 ff.) als „äußerst lukrativ“ (Seiten 3 und 29 des Strafurteils). Aus den Feststellungen des Strafgerichts in diesem Zusammenhang ergibt sich eine erhebliche Geschäftstüchtigkeit des Klägers (beispielsweise hat er demzufolge noch wenige Wochen vor der Straftat vom 7.2.2001 zwei Reisen nach Russland zum Zweck des CD- und Video-Handels unternommen). Aufgrund des geschäftlichen Erfolges, der auch deshalb plausibel ist, weil sich der Kläger dabei in einem Bereich bewegt hat, der ihm sprachlich und fachlich vertraut gewesen ist, hat der Kläger geplant - zusammen mit seinem späteren Opfer, das gut Deutsch sprach und im Umgang mit Behörden erfahren war -, den CD- und Videohandel offiziell und in größerem Stil (und nicht mehr nur mit illegalem Material, sondern auch mit legalem) von einem angemieteten Ladenlokal aus zu betreiben. Dem Gutachten des Dr. W. vom 18. Oktober 2001 und dem Strafurteil vom 18. Dezember 2003 zufolge war eine konkrete Lokalität bereits in die engere Wahl gezogen worden.

bbbb) Die Ausführung des Dr. W. im Gutachten vom 12. November 2009, dem Kläger sei es im Vorfeld der Inhaftierung nicht gelungen „eine stabile berufliche Situation herzustellen“, beruht nicht auf eigenen Feststellungen oder fachlichen Erkenntnissen des Gutachters. Mit dieser Ausführung übernimmt Dr. W. lediglich die gleichsinnige Annahme des Dr. G. im Gutachten vom 21. Juli 2009, ohne sich fundiert eine eigene Überzeugung zu bilden.

In seinem Gutachten vom 18. Oktober 2001 und in seiner Erläuterung dieses Gutachtens vor dem Strafgericht (vgl. S. 65 des Strafurteils vom 18.12.2003) hatte Dr. W. noch angegeben, die Erkrankung habe das Leben des Klägers nicht sehr beeinträchtigt; er habe sein Studium (Hochfrequenztechnik, Diplom im Jahr 1988) abschließen können und (nach der Angestelltentätigkeit bei einem Radiohersteller) einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen können, wobei er stabile Rahmenbedingungen hergestellt habe. Trotz der Residualsymptomatik sei der Verlauf symptomarm gewesen; nach den Episoden Anfang der 90er Jahre sei der Gesundheitszustand des Klägers gebessert gewesen und lange Zeit stabil geblieben; der Kläger habe trotz fehlender Medikation einer beruflichen Tätigkeit nachgehen können. In seinem Gutachten vom 12. November 2009, bei dessen Abfassung ihm das Gutachten des Dr. G. vom 21. Juli 2009 vorgelegen hat, bewertet Dr. W. nunmehr die bisherige Erwerbstätigkeit des Klägers entgegengesetzt, legt seine Gründe für seine Meinungsänderung jedoch nicht dar. Dr. W. nimmt zwar Bezug auf sein Gutachten vom 18. Oktober 2001 und fügt sogar einen mehrseitigen Auszug daraus in sein neues Gutachten ein, jedoch nicht den Abschnitt betreffend den symptomarmen Verlauf nach den Episoden Anfang der 90er Jahre; mit diesem Abschnitt setzt er sich auch nicht inhaltlich auseinander. Die ergänzende Anamnese, die Dr. W. Im Vorfeld seines Gutachtens vom 12. November 2009 erhoben hat, erstreckt sich nicht auf die Erwerbsbiografie (vgl. S. 25 ff.). Aus all dem ergibt sich, dass der Gutachter Dr. W. mit der Ausführung im Gutachten vom 12. November 2009, dem Kläger sei es im Vorfeld der Inhaftierung nicht gelungen „eine stabile berufliche Situation herzustellen“, die gleichsinnige Bewertung in dem kurz vorher erstellten Gutachten des Dr. G. übernommen hat, ohne diese Bewertung im Hinblick auf ihre Grundlagen und die eigene frühere (entgegengesetzte) Bewertung kritisch zu würdigen und zu hinterfragen.

3. Aufgrund seiner Erwerbsfähigkeit wird der Kläger seinen Lebensbedarf einschließlich der auf ihn fallenden Gesundheitsaufwendungen finanzieren können.

Nach den vorliegenden Informationen wird der Kläger deutlich mehr verdienen als die in der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 genannten Beschäftigten im Durchschnitt. Es spricht Überwiegendes für eine entsprechende qualifizierte Beschäftigung; es sind aber auch keine Gründe ersichtlich, die einer Selbstständigkeit des Klägers in einer der ihm bereits bekannten Branchen oder in einer anderen (jedenfalls legalen) Branche mit einem verfügbaren Gewinn entgegenstehen, der solchen Arbeitseinkünften vergleichbar ist. Bei der Prüfung der Frage, ob der Kläger seinen existenziellen Bedarf (den medizinischen eingeschlossen) nach der Rückkehr nach Russland mit Wahrscheinlichkeit decken können wird, geht der Senat hinsichtlich Einkommen, allgemeinem Existenzminimum und Wohnungskosten zunächst von den Beträgen aus, die bei einer Rückkehr im Jahr 2010 hätten zugrunde gelegt werden müssen, weil die Botschaft entsprechende Angaben im Jahr 2010 geliefert hat (a). Dem Ergebnis dieser Bilanz stellt der Senat die alsbald nach der Übersiedlung erforderlichen Gesundheitsaufwendungen gegenüber, für die die Botschaft erst vor kurzem noch Informationen geliefert hat (b). Die Gegenüberstellung von Beträgen aus dem Jahr 2010 und von aktuellen Beträgen ist möglich, weil Informationen über die Entwicklung des Realeinkommens, zu dem die bei lit. a erörterten Beträge gehören, Gegenstand des Verfahrens sind (c).

a) Das monatliche Nettoeinkommen einer Person mit den Fähigkeiten des Klägers liegt - bezogen auf das Jahr 2010 - deutlich über 16.100 R (aa), so dass nach Abzug des Existenzminimums 2010 von 4481,2 R (bb) und Wohnungskosten 2010 von weniger als 8148 R (cc) ein Betrag von deutlich über 3465 R verbleibt. Dieser Betrag, der für Gesundheitsaufwendungen eingesetzt werden kann, entsprach im Jahr 2010 etwa 85 €.

aa) Die wirtschaftliche Situation in Russland ist wesentlich günstiger als bei der Übersiedlung des Klägers ins Bundesgebiet im Jahr 1997. Seit dem Jahr 2000 haben sich die Realeinkünfte der russischen Bevölkerung im Durchschnitt mehr als verdoppelt; der unterhalb der Armutsgrenze lebende Bevölkerungsanteil hat sich halbiert. Aufgrund der Wirtschaftskrise vor wenigen Jahren ist die Arbeitslosigkeit zwar erheblich angestiegen und hat im Februar 2009 einen Höchststand von 9,4% erreicht (vgl. Auswärtiges Amt, Länderinformation zur Russischen Föderation, Stand März 2011, vorgelegt von der Klägerseite zusammen mit der Revisionserwiderung vom 3.5.2011 im Verfahren BVerwG 1 C 3.11). Nunmehr ist sie aber wieder auf das Niveau vor der Wirtschaftskrise zurückgegangen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.6.2013, Abschnitt IV.1.1); sie liegt derzeit Russland unter 6%, im zentralen Föderalbezirk mit Sankt Petersburg wenig über 3% (Germany Trade & Invest - Gesellschaft zur Außenwirtschaftsförderung der Bundesrepublik Deutschland -, Lohn und Lohnnebenkosten in Russland, April 2012, S. 7/8). Dies bedeutet, dass in St. Petersburg faktisch Vollbeschäftigung herrscht, also sogar ungelernte Kräfte einen Arbeitsplatz finden.

Für eine erfolgreiche Existenzgründung des Klägers in Sankt Petersburg spricht, dass er hier mehr als 30 Jahre lang gelebt hat, so dass ihm die örtlichen Grundstrukturen bekannt sind. Er hat zudem Verwandte in Sankt Petersburg (vgl. IV.), die ihn bei der Stellensuche oder sonstigen Existenzgründung unterstützen können. Solche Bemühungen sind ihm mithilfe der vielfältigen Telekommunikationsmöglichkeiten auch jetzt schon möglich. Der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 zufolge können sich von Arbeitslosigkeit Betroffene in Sankt Petersburg darüber hinaus beim Arbeitsamt melden, das bei der Arbeitssuche behilflich ist, bei Bedarf Umschulungen bezahlt und in dieser Zeit die Kranken, Renten- und Sozialversicherung übernimmt. Die Beweisanträge Nr. 2 lit. c und d sind nicht geeignet, diese Auskunft in Frage zu stellen (vgl. IV.).

Zusätzliche Hilfe kann der Kläger auf der Grundlage des staatlichen Programms zur Unterstützung im Ausland lebender Personen russischer Sprache erhalten, die auf das Territorium der Russischen Föderation zurückkehren wollen („Programm Landsleute“). Dieses zum 1. Juni 2007 in Kraft getretene Förderprogramm soll der sinkenden Bevölkerungszahl in Russland entgegenwirken; Rückkehrwilligen werden ein Arbeitsplatz und Unterstützung bei der Wohnungssuche zugesichert (http://www.russland.ru/schlagzeilen/morenews.php?iditem=55450 und http://www.ornispress.de/hindernislauffuerrueckkehrer.1208.0.html). Zwar scheinen diese Zusicherungen nicht immer effektiv zu sein; die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Existenzgründung des Klägers wird jedoch durch das Rückkehrerprogramm weiter erhöht. Durch eine Antragstellung vom Bundesgebiet aus kann der Kläger zu einer beschleunigten Aufnahme in das Rückkehrerprogramm beitragen. Anhaltspunkte dafür, dass die besonderen Umstände des Klägers Ausschlussgründe darstellen könnten, liegen nicht vor. Die erklärte Rückübernahmebereitschaft der russischen Behörden spricht gegen ein russisches Interesse, die Reintegration des Klägers zu erschweren.

Aufgrund der Tatsache, dass dem Kläger infolge seiner krankheitsbedingten Einschränkungen nur leichte Tätigkeiten zuzumuten sind, hat der Senat mit Schreiben vom 24. August 2010 im Verfahren 19 B 09.824 bei der Botschaft nach dem Durchschnittsverdienst einer Bürokraft in Sankt Petersburg gefragt und von dort die Monatsverdienste von Ladenverkäufern, Callcenter-Mitarbeitern, Dispatchern, Buchhaltern und Kellnern mitgeteilt erhalten (Stellungnahme der Botschaft vom 26.11.2010). Jedoch spricht mehr für eine erheblich qualifiziertere Tätigkeit des Klägers. Der Kläger ist nach gutachterlicher Beurteilung überdurchschnittlich intelligent, hat im Jahr 1988 an einer russischen Hochschule für Hochfrequenztechnik die Ausbildung zum Rundfunk- und Fernsehingenieur mit dem Diplom abgeschlossen hat und in diesem Beruf auch schon gearbeitet. Der Kläger ist zwar seit vielen Jahren nicht mehr als Ingenieur tätig gewesen und kann deshalb nicht übergangslos eine solche Beschäftigung erneut ausüben. Seine akademische Ausbildung spricht jedoch dafür, dass er über ein vertieftes Grundwissen sowie über die Fähigkeit verfügt, sich in Neuentwicklungen einzuarbeiten. Diese selbstständige Fortbildungsfähigkeit ergibt sich auch aus den Akten (vgl. die Angaben des Klägers in der Sitzung des Betreuungsgerichts vom 14.10.2010 sowie das Attest des Klinikums N. vom 6.2.2013). Das arbeits- und sozialmedizinische Gutachten des Prof. D. vom 19. April 2010 hält eine Tätigkeit im erlernten Beruf als Ingenieur für denkbar. Ihrer Äußerung vom 27. Juli 2010 zufolge geht auch die deutsche Botschaft in Moskau davon aus, dass der Kläger seine Vorbildung als Ingenieur auf dem russischen Arbeitsmarkt verwerten kann. Selbst wenn der Kläger die Befähigung eines kontinuierlich beschäftigten Ingenieurs nicht erreichen sollte, wird er deutlich qualifizierter verwendet werden können als in den im Wesentlichen nur angelernten Tätigkeiten, die die deutsche Botschaft am 26. November 2010 angeführt hat. Seine kaufmännischen Fähigkeiten hat der Kläger schon vor der Übersiedlung ins Bundesgebiet unter Beweis gestellt, sowohl als Arbeitnehmer als auch als Selbstständiger; in Deutschland ist er geschäftlich (wenn auch illegal) ebenfalls erfolgreich gewesen (vgl. B.I.2 lit. c, bb, bbb). Bei diesen Fähigkeiten handelt es sich im Wesentlichen um persönliche Eigenschaften, auf die der Zeitablauf keine oder viel geringere Auswirkungen hat als auf Fachwissen.

Der monatliche Durchschnittsverdienst in den von der Botschaft am 26. November 2010 genannten Tätigkeiten hat damals bei etwa 18.500 Rubel gelegen (die Botschaft hat Monatsverdienste zwischen 14.000 und 23.000 Rubel genannt). Der in Russland von ortsansässigen Arbeitnehmern zu zahlende Einkommensteuersatz liegt bei 13% (zu Sozialversicherungsbeiträgen werden russische Arbeitnehmer nicht herangezogen, vgl. S. 5 und 7 der bereits zitierten Broschüre der Germany Trade & Invest: Lohn und Lohnnebenkosten in Russland) so dass der Netto-Durchschnittsverdienst im Jahr 2010 bei etwa 16.100 R gelegen hat. Es liegt auf der Hand, dass ein russischer Staatsangehöriger, der - wie der Kläger - zum einen unternehmerische Fähigkeiten und Geschäftstüchtigkeit besitzt (die er sowohl selbstständig als auch unselbstständig einsetzen kann) und zum anderen zu einer selbstständigen Aktualisierung veralteten Ingenieurwissens befähigt ist, deutlich mehr verdienen kann.

bb) Der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 zufolge hat damals der monatliche Mindestbedarf für Lebenshaltungskosten (Wohnung ausgenommen) nach dem russischen Sozialhilfegesetz bei 4481,2 Rubel gelegen.

cc) Hinsichtlich seiner Unterkunft ist der Kläger nicht bereits dann existenzgefährdet, wenn ihm kein abgeschlossenes 1-Zimmer-Apartment zur Verfügung steht (BVerwG, U. v. 22.3.2012 - 1 C 3.11). Die deutsche Botschaft in Moskau hat in ihrer Stellungnahme vom 8. November 2013 mitgeteilt, sie könne die Frage nach kostengünstigeren Unterkunftsmöglichkeiten für den Kläger nicht konkret beantworten; in St. Petersburg bestehe aber die Möglichkeit, Makler, Zeitungsinserate und Internet zu nutzen und in einem Einzelzimmer oder in einer Wohngemeinschaft unterzukommen. Demzufolge gibt es kostengünstige Unterkunftsmöglichkeiten für Alleinstehende in Sankt Petersburg. Angesichts des Erfahrungswissens und der Nachforschungsmöglichkeiten der Botschaft stellt dies eine für die Prognose verwertbare Information dar.

Nur beispielhaft weist der Senat darauf hin, dass dem Internet, auf das die Botschaft unter anderem verwiesen hat, zu entnehmen ist, dass in St. Petersburg, wo der größte Teil der Bevölkerung in bescheidenen, weitgehend von der früheren Wohnraumbewirtschaftung geprägten Verhältnissen wohnt, noch immer eine traditionelle Form der Wohngemeinschaft sehr verbreitet ist („Kommunalka“), bei der sich mehrere Parteien eine Wohnung in der Weise teilen, dass ein Teil (Zimmer) den privaten Lebensbereich bildet, die Sanitär- und Kücheneinrichtungen aber gemeinsam genutzt werden. Der im Schriftsatz vom 16. Mai 2014 zitierten Veröffentlichung „Die Hauptstadt der Kommunalkas“ (Bauwelt 24.10) zufolge leben auf diese Weise noch mehr als eine halbe Million St. Petersburger, was gegen eine Begrenztheit auf besonders problematische Bevölkerungsgruppen spricht. Die städtischen Pläne, die Kommunalkas durch moderne Wohnformen zu ersetzen, kommen seit Jahrzehnten nicht voran (vgl. die im Schriftsatz vom 16.5.2014 zitierte Internet-Veröffentlichung „Petersburg wird seine Kommunalkas nicht los“) und sind daher für die Zeit alsbald nach der Abschiebung unerheblich.

Den Beweisanträgen auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass eine zwangsweise Unterkunft in einer sog. „Kommunalka“ oder in einer anderen Form von Gemeinschaftsunterkunft zu einer alsbaldigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers führen würde (Beweisantrag Nr. 1 lit a), sowie zum Beweis dafür, dass der Kläger, soweit er nicht mehr bei seiner Mutter bleiben kann, auf eine Unterkunft in beschützter Umgebung für geistig behinderte Erwachsene angewiesen ist (Beweisantrag Nr. 1 lit. c), konnte aus mehreren Gründen nicht Rechnung getragen werden. Der Beweisantrag Nr. 1 lit. a ist zunächst nicht erheblich, weil der Kläger weder nur in Gemeinschaftsunterkünften unterkommen kann noch zu einer speziellen Unterkunft („zwangsweisen Unterkunft“) genötigt ist. Darüber hinaus sind beide Beweisanträge unsubstantiiert, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger von einer auf ihn zugeschnittenen Wohnform nicht nur profitieren würde, sondern auf einen ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit oder gar auf eine Unterkunft für geistig behinderte Erwachsene zur Vermeidung einer Gesundheitsverschlechterung tatsächlich angewiesen und unfähig zum Wohnen in einer Gemeinschaftswohnung ist. In St. Petersburg lebt noch mehr als eine halbe Million Menschen in Kommunalkas (Bauwelt 24/2010 als Anlage zum Klägerschriftsatz vom 16.5.2014; die im selben Schriftsatz in Bezug genommene Internet-Veröffentlichung von Russland-Aktuell spricht von 744.000 Personen oder 15% der Stadtbevölkerung). Aus dieser Zahl ergibt sich, dass in Kommunalkas alle persönlichen Eigenschaften und nicht etwa nur randständige Persönlichkeiten anzutreffen sind. Das Attest der Institutsambulanz des Klinikums N. vom 6. Februar 2013, das von einem „ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit“ spricht, stellt keinen Anhaltspunkt dafür dar, dass der Kläger auf einen ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit angewiesen, also unfähig zum Wohnen in einer Gemeinschaftswohnung ist. Das Attest ist erstellt worden, als sich der drei Tage vorher aus der JVA entlassene und nun zur Wohnungnahme in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichtete (Art. 4 Abs. 1 Satz 1, Art. 1 AufnG; § 1 Abs. 1 AsylbLG) Kläger erstmals in der psychiatrischen Institutsambulanz des Klinikums vorgestellt hat. Aufgrund des Attests ist eine Befreiung von dieser Verpflichtung ausgesprochen worden (vgl. die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 27.6.2013 vorgelegten Unterlagen). Das Attest ist somit zur Stützung des Antrags auf Befreiung von der Verpflichtung zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft erstellt worden, in der alleinstehende Männer nicht selten in Mehrbettzimmern untergebracht sind. Der Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt dem Attest nicht zugrunde. Die Verfasser des Attests nehmen keinen Bezug auf Akten oder Gutachten. Das Attest ist ausschließlich anhand der vielfach sehr subjektiven Angaben des Klägers und seiner Mutter verfasst worden (vgl. etwa die Darstellung der Straftat vom 7.2.2001). Das Klinikum berücksichtigt bei dem Verfassen des Attests lediglich die Pauschalität der ausländerrechtlichen Zielsetzungen, auf denen die Wohnungnahmeverpflichtung beruht, den Umstand, dass der Kläger psychiatrisch beeinträchtigt ist, sowie die sich bei oberflächlicher Betrachtung aufdrängende Möglichkeit des Wohnens bei der Mutter. Das Konfliktpotenzial der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner Mutter scheint zwar andeutungsweise in der Anamnese auf; die abschließende Stellungnahme des Klinikums zum Befreiungsantrag würdigt jedoch ausschließlich die positiven Aspekte dieser Beziehung. Eine differenzierte Abwägung, inwieweit der Kläger in einer Gemeinschaftsunterkunft leben kann, insbesondere wenn eine andere Unterkunftsmöglichkeiten nicht besteht, und eine Berücksichtigung eines konkreten Maßes der Gemeinschaftlichkeit (die bis zum Schlafraum reichen kann, sich aber auch - wie in der traditionellen Kommunalka in Sankt Petersburg - auf die Küchen- und Badeinrichtungen beschränken kann) ist dem Attest nicht zu entnehmen. Die medizinische Begründung („schwere psychotische Erkrankung mit einer bekannt niedrigen Reizschwelle“) lässt sowohl die Tatsache außer acht, dass der Kläger - neuroleptisch unbehandelt und dennoch ohne Entwicklung einer produktivpsychotischen Episode - neun Jahre unter Strafgefangenen verbracht hat (insgesamt zwölf Jahre), unter denen nach seiner eigenen Angabe (Klägerschriftsatz vom 29.2.2008 im Verfahren 19 B 07.2762) Gewalt herrscht, als auch den durch die Behandlung mit Zyprexa erreichten Gesundheitszustand. Das Attest enthält auch keine differenzierte Erwägung zur Frage, in welchem Zeitraum (unter welchen Umständen) die Entstehung einer produktivpsychotischen Episode im Falle des Fehlens eines ruhigen isolierten Wohnraums mit einer Rückzugsmöglichkeit zu erwarten wäre. Nachdem der Kläger nicht aus Gesundheitsgründen auf eine Unterkunft in beschützter Umgebung für geistig behinderte Erwachsene angewiesen ist, ist die Frage unerheblich, ob dem Kläger in der Russischen Föderation eine solche Wohnsituation zur Verfügung steht, und war der hierzu gestellte Beweisantrag Nr. 2 lit. e (Alternative 2) abzulehnen.

Auch die Möglichkeit, dass der Kläger jedenfalls in der ersten Zeit bei Verwandten unterkommt und durch diese (auch schon vor der Übersiedlung) bei der Wohnungssuche unterstützt wird (vgl. Nr. IV) ist realistisch, zumal der Kläger bislang nicht dargelegt hat, wie seine Eltern über die Wohnung verfügt haben, die sie infolge der Übersiedlung ins Bundesgebiet aufgegeben haben, und eine Überlassung an Verwandte naheliegt.

Ein russischer Staatsangehöriger, der - wie der Kläger - in Sankt Petersburg geboren ist und russischsprachige Websites auswerten kann, konnte im Jahr 2010 nach der Überzeugung des Senats eine bescheidene Unterkunft für deutlich weniger als 200 € pro Monat finden. Dies ergibt sich daraus, dass angesichts der von der Botschaft genannten Verdienstmöglichkeiten einerseits und der Aufwendungen für die allgemeine Lebenshaltung andererseits für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung nur solche Unterkunftskosten noch tragbar sind. Auf der Basis des in der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 mitgeteilten Währungsverhältnisses - 4481,2 Rubel für etwa 110 Euro - entspricht der Betrag von 200 € einem Betrag von etwa 8148 R. Einem Wohnqualitäts-Vergleich der in alten und abgewohnten Gebäuden gelegenen Kommunalkas mit der abgeschlossenen 1-Zimmer-Wohnung zum Mietpreis von 400 €, die über eigene Sanitär- und Kücheneinrichtungen verfügt und Gegenstand der Auskunft der deutschen Botschaft vom 26. November 2010 ist, spricht ebenfalls für diese Schätzung der Kosten einer bescheidenen Unterkunft.

Möglicherweise kann der Kläger eine noch günstigere Unterkunft finden, da einerseits seine Registrierung in Sankt Petersburg zu erwarten ist und er dann Zugang zu staatlich geförderten Wohnungen hat (vgl. nachfolgend lit. b) und andererseits das „Programm Landsleute“ Unterstützung auch insoweit bietet (vgl. IV.). Da aber offen ist, ob der Kläger eines dieser beiden Fördersysteme alsbald nutzen kann, lässt der Senat die Möglichkeit einer öffentlich geförderten Wohnung unberücksichtigt.

b) Der Kläger wird mit Wahrscheinlichkeit für seine Gesundheit nicht mehr als 95 €/Monat aufwenden müssen.

Der Kläger kann damit rechnen, in die kostenlose staatliche Gesundheitsfürsorge aufgenommen zu werden.

Die kostenlose medizinische Versorgung ist von der Registrierung abhängig. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt; die Registrierung erfolgt bei Vorlage des Inlandspasses und Nachweis von Wohnraum (zum Registrierungssystem vgl. Nr. IV.2 des Lageberichts vom 10.6.2013 sowie Nußberger a. a. O. S. 102). Der Kläger kann das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in St. Petersburg geltend machen, denn es ist davon auszugehen, dass er hier eine Wohnsitzregistrierung erhalten wird. Der Ort der Registrierung aus dem Ausland zurückkehrender russischer Staatsangehöriger ist in aller Regel der letzte Wohnort, an dem sie vor ihrer Ausreise registriert waren (Botschaftsstellungnahme vom 27.7.2010). Der Kläger ist in St. Petersburg (Leningrad) geboren, aufgewachsen und war vor seiner Übersiedlung ins Bundesgebiet hier registriert (vgl. die Übersetzung des Passes vom 15.4.1982, Blatt 4 der Ausländerakte, sowie den Reisepass vom 14.1.1994, Blatt 18 der Ausländerakte sowie Schwb-Akte Bl. 3). Es bestehen keine Zweifel daran, dass die russischen Behörden hieran anknüpfen werden; die russische Zusage, den Kläger zurückzunehmen (vgl. den Beklagtenschriftsatz vom 7.1.2013) deutet darauf hin, dass diese Anknüpfung bereits erfolgt ist. Somit ist nicht zu erwarten, dass ihm die Ausstellung eines Inlandspasses in Sankt Petersburg verweigert wird, wie dies bei Personen vorkommt, die vorher an einem anderen Ort in der Russischen Föderation (insbesondere in Tschetschenien) registriert gewesen sind (vgl. den Lagebericht vom 10.6.2013 a. a. O.). Auch den für die Registrierung erforderlichen Wohnraumnachweis wird der Kläger führen können (vgl. B.I.3 lit. a, cc). Daher ist der Beweisantrag Nr. 2 lit. f (auf Einholung eines länderkundlichen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass sich der Kläger in der Russischen Föderation nicht registrieren lassen kann, ohne ausreichenden Wohnraum nachzuweisen) unerheblich.

Die Botschaft ist hinreichend sachkundig hinsichtlich der erteilten Auskünfte. Die Botschaft hat sich nicht zur gesundheitlichen Situation des Klägers geäußert, wofür es besonderer ärztlicher Fachkenntnis bedurft hätte (die sich ein Vertrauensarzt durch die konsiliarische Einschaltung eines entsprechenden Facharztes beschaffen könnte). Die Voraussetzungen und Leistungen der Krankenversorgung, beispielsweise die Verfügbarkeit und die Kosten von Medikamenten, können von jeder russischsprachigen Person festgestellt werden. Über seine Kontakte in Russland, über das Internet und mit Hilfe seiner als Neurochirurgin tätig gewesenen Mutter und deren Heimatkontakte ist dies auch dem Kläger möglich. Die von der Botschaft übermittelten Informationen können daher nicht durch einen Hinweis auf die Grenzen einer ärztlichen Ausbildung in Zweifel gezogen werden, sondern nur durch die substantiierte Darlegung, die Tatsachen lägen anders als in der Botschaftsäußerung dargestellt. Dies ist nicht geschehen, so dass der Senat die Botschaftsangaben zugrunde zulegen hat.

Zwar erhält dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2013 (S. 26) zufolge die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung keine kostenfreie medizinische Versorgung. Jedoch bedeutet dies nicht, dass dieser Bevölkerungsteil medizinisch unversorgt bleibt, denn zum einen finanzieren die Arbeitgeber nunmehr eine leistungsfähige Krankenversicherung (vgl. S. 5 und 7 der bereits zitierten Broschüre der Germany Trade & Invest: Lohn und Lohnnebenkosten in Russland) und zum anderen können Empfänger höherer Gehälter ihre Gesundheitsaufwendungen selbst erbringen. Diese Anmerkung im Lagebericht ist somit kein Anhaltspunkt für eine Unbrauchbarkeit der kostenlosen Gesundheitsfürsorge.

Ein herzkranker Patient, der in der Russischen Föderation in den Genuss einer möglichst kostenfreien Behandlung und Medikation kommen will, muss nach der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 (auf der Grundlage von Auskünften eines Vertrauensarztes) eine Invalidität beantragen. Anschließend muss er sich persönlich einer medizinischen Kommission stellen, die den Grad der Beeinträchtigung feststellt. Unabhängig von dem Ergebnis der Kommission muss sich der Patient im Anschluss beim Bezirkskardiologen vorstellen, der den notwendigen Umfang der kostenlosen medizinischen Betreuung bestimmt und auch die Verschreibung der kostenfreien Substanzen festlegt. Die ärztlichen Unterlagen aus Deutschland können bei der Vorstellung vor einer medizinischen Kommission beigebracht werden. Eine Weiterbehandlung und Nachsorge des Klägers ist grundsätzlich unter anderem in der Föderalen Klinik Nr. 2 in Sankt Petersburg gewährleistet.

Der Botschaftsäußerung vom 8. November 2013 zufolge kann zwar von der Botschaft keine Stellungnahme abgegeben werden, in welchem Umfang der Kläger einen Anspruch auf kostenlose medizinische Behandlung und Bezug von Medikamenten hätte, weil dies erst aufgrund der erwähnten persönlichen Vorstellung und Einzelfallprüfung festgelegt wird. An der Aufnahme des Klägers in die kostenlose staatliche Gesundheitsversorgung als solche äußert die Botschaft keine Zweifel. Nicht zuletzt wegen der detaillierten Gutachten, mit denen der Kläger seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen belegen kann, hat der Senat auch keine Zweifel daran, dass das von der Botschaft beschriebene russische Prüfungs- und Diagnoseverfahren zu einer sachgerechten Behandlung des Klägers auf dem Niveau des staatlichen russischen Gesundheitssystems führen wird. In Sankt Petersburg sind das Wissen und die technischen Möglichkeiten auch für anspruchsvolle Behandlungen vorhanden und ist die Versorgung mit Medikamenten gut (Lagebericht vom 10.6.2013, Nr. IV.1.2.).

Der Senat hat auch davon auszugehen, dass die Einleitung der kardiologischen Behandlung im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems zeitgerecht erfolgt. Da sich Herzkrankheiten schnell lebensbedrohlich entwickeln können, hätte ein Gesundheitssystem, das für solche besonderen Fälle keine notfallmäßige (also ein akribisches Begutachtungsverfahren nicht erfordernde) Versorgung vorsieht, nicht nur einen niedrigeren Standard als im Bundesgebiet, sondern wäre insoweit wertlos. Im Übrigen steht eine dringliche, mit Verzögerungen unvereinbare Behandlung des Klägers nicht an, so dass der Kläger nicht sofort nach der Übersiedlung auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems angewiesen ist. Schließlich hat die Beklagte zugesichert, dem Kläger vor der Ausreise oder Abschiebung einen Geldbetrag in Höhe von 5.000 € zu übergeben, so dass er zunächst existenzgesichert ist einschließlich der Möglichkeit, die benötigten Medikamente für die erste Zeit nach eigenem Ermessen entweder (nach Rezeptierung durch die ihn behandelnden Ärzte) mitzunehmen oder nach der Ankunft in Russland zu erwerben (vgl. IV.). Auch die in der ersten Zeit erforderlichen (kostengünstigen, vgl. unten) Kontrolluntersuchungen (Rezeptausstellungen eingeschlossen) kann der Kläger auf diese Weise finanzieren. Schließlich ist der Beweisantrag auch ungeeignet. Nachdem sich die Botschaft nicht in der Lage sieht, den konkreten Verlauf des Verfahrens zu prognostizieren, ist auch eine konkrete Zeitprognose nicht zu erwarten.

Soweit der Kläger mit Beweisantrag Nr. 2 lit. b die Einholung eines länderkundlichen Gutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt hat, dass ihm in der Russischen Föderation keine kostenfreie ärztliche und medikamentöse Versorgung in Russland zuteil werden wird, konnte dem nicht Folge geleistet werden. Nachdem den vorliegenden Auskünften der deutschen Botschaft über die öffentliche Gesundheitsversorgung zu entnehmen ist, dass das Gegenteil der Beweisbehauptung zutrifft, und Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit oder ein sonstiges Ungenügen dieser Auskünfte nicht vorliegen, bedarf es einer weiteren Beweiserhebung nicht (§ 98 ZPO, § 412 Abs. 1 ZPO; vgl. auch BVerwG, B. v. 27.3.2013 - 10 B 34.12). Soweit der Kläger mit seiner Beweisbehauptung auf den Umstand abhebt, dass im Rahmen der „kostenlosen“ staatlichen Gesundheitsversorgung Zuzahlungen verlangt werden, bedarf es der beantragten Beweiserhebung nicht, weil der Senat - wie im nachfolgenden Absatz dargestellt - von solchen Zuzahlungen auf der Grundlage der Auskünfte der deutschen Botschaft ausgeht; sie werden jedoch für den Kläger erschwinglich sein und daher nicht zur Ursache einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung werden.

Trotz der Aufnahme in das staatliche Gesundheitssystem muss der Kläger damit rechnen, eigene Mittel für die Behandlung aufwenden zu müssen. Nach Nr. IV.1.2. des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2013 werden in der Praxis nahezu alle Gesundheitsdienstleistungen erst nach verdeckter privater Zuzahlung geleistet, obwohl die ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Allerdings zeigt sich dem von der Beklagten in Bezug genommenen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. April 2010 (S. 29) zufolge im Alltag häufig, dass von mittellosen und wenig verdienenden Personen nichts bzw. wenig an Zusatzzahlungen abverlangt wird, bei normal- bis gut verdienenden Personen dagegen mehr. Angesichts des unveränderten Fortbestandes des staatlichen russischen Gesundheitssystems fehlt es an Anhaltspunkten, die dafür sprechen, dass diese Äußerung des Auswärtigen Amtes keine Gültigkeit mehr besitzt. Manche Medikamente sind in die Medikamentenliste des Gesundheitsministeriums nicht aufgenommen und somit im kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem nicht vorgesehen. Bei den meisten der vom Kläger benötigten Medikamente ist dies der Fall (Botschaftsäußerung vom 26.11.2010 im Verfahren 19 B 09.824).

Russlands Präsident Putin hat am 28. Juni 2012 bei der Vorstellung der Haushaltsbotschaft für die Jahre 2013 bis 2015 dazu aufgefordert, jegliche Spekulationen betreffend eine Aufhebung der kostenlosen medizinischen Betreuung und Ausbildung einzustellen; er hat den Willen zu einer verbesserten Finanzierung sowie zu einer qualitätsfördernden Konkurrenz staatlicher und privater Leistungserbringer bekräftigt (vgl. S. 10 der Länderinformationen zur Russischen Föderation vom August 2012 des Informationszentrums Asyl und Migration im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Neben dieser politischen Zielsetzung von Gewicht spricht auch die deutliche Verbesserung der russischen Wirtschafts- und Einkommenssituation seit dem Jahr 2000 (vgl. lit. a) für eine schrittweise Verbesserung der derzeit eingeschränkten Leistungsfähigkeit des staatlichen Gesundheitssystems.

Der Kläger benötigt ein Mittel zur Blutverdünnung mit ausreichender Gerinnungshemmung. Das dem Kläger derzeit verabreichte, in Russland jedoch nicht verfügbare (Auskunft der Firma Roche vom 8.1.2007, vorgelegt im Verfahren 19 B 07.2762) Medikament Marcumar kann der Stellungnahme des Dr. H. vom 3. September 2013 zufolge durch das für Patienten mit Kunstklappen geeignete Medikament Warfarin ersetzt werden, das der Botschaftsäußerung vom 8. November 2013 zufolge in Russland verfügbar ist. Die Kosten für Warfarin betragen etwa 5 Euro, wobei es sich - wie bei den anderen von der Botschaft genannten Medikamentenkosten - um den Monatsbetrag handelt (Botschaftsäußerung vom 8.11.2013, S. 2 oben). Der Kläger benötigt weiterhin einen ACE-Hemmer, in Russland kostengünstig erhältlich für weniger als 10 Euro/Monat, einen Kalziumantagonist, in Russland erhältlich für weniger als 35 €/Monat und ein Diuretikum. Der Botschaftsauskunft zufolge ist dies „kostengünstig“ in Russland zu erhalten; angesichts der gleichartigen Formulierung der Botschaft im Zusammenhang mit dem ACE-Hemmer geht der Senat auch hinsichtlich des Diuretikums von etwa 10 Euro/Monat aus. Diese Medikamente sind dem Gutachten des Dr. H. vom 8. April 2013 zwingend notwendig, um zu verhindern, dass es innerhalb weniger Wochen zu einer kardialen Dekompensation kommt. Im Gegensatz zur Beklagten (Schriftsatz vom 27.6.2013) zweifelt der Senat nicht daran, dass eine kardiale Dekompensation (Sauerstoffunterversorgung und Ödeme bereits im Ruhezustand) eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung im Sinne des Art. 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellt, nachdem sie - wie im Attest des Klinikums N. vom 6. Februar 2013 (S. 1) beschrieben, aber auch allgemein bekannt - notfalltherapeutisch behandelt werden muss.

Die Medikation mit einem zusätzlichen Diuretikum und mit einem niedrig dosierten kardioselektiven Betablocker (als Kosten wären für das weitere Diuretikum ebenfalls 10 Euro/Monat anzusetzen - vgl. oben - und hinsichtlich des Betablockers der Botschaftsauskunft zufolge weniger als 15 €/Monat) hält der kardiologische Gutachter für sinnvoll. Der Kardiologe führt aber darüber hinaus aus, es sei nicht mit Sicherheit zu sagen, ob ihr Weglassen zu einer alsbaldigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde; hier würde er eher mit mittelfristigen Effekten rechnen. Hieraus ergibt sich klar, dass im Falle des Weglassens keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer alsbaldigen wesentlichen Gesundheitsverschlechterung besteht. Mit seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 11. Juli 2013 verkennt der Kläger, dass die Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht als solche eine Aufenthaltsbeendigung entgegensteht, sondern nur in Verbindung mit einem Zeithorizont, der durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anhand des Begriffs „alsbald“ festgelegt worden ist. Dieser Begriff steht in einem deutlichen Gegensatz zu dem vom Sachverständigen verwendeten Begriff „mittelfristig“. Anhaltspunkte dafür, dass die nichtkardiologischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen (insbesondere die schizophrene Residualsymptomatik) eine andere kardiologische Beurteilung begründen könnten, liegen nicht vor.

Für die Annahme, der Kläger werde sich mit seiner Abschiebung nicht abfinden und deshalb schon hierbei einer außergewöhnlichen seelischen und/oder kardiologischen Belastung ausgesetzt sein (mit der Folge einer Gefährdung von Gesundheit und Leben, so dass § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG der Abschiebung entgegensteht), spricht nichts. Dem Gutachten vom 8. April 2013 ist die Wahrscheinlichkeit mittelfristiger Effekte im Falle des Weglassens der genannten Herzmedikamente zu entnehmen, also keine Wahrscheinlichkeit solcher Effekte bei der Abschiebung, während der die gutachterlich festgelegte Therapie noch wirkt. Durch Begleitpersonen kann die Einnahme der neuroleptischen Medikation gewährleistet und eine produktivpsychotische Episode verhindert werden; selbst in der neuroleptisch unbehandelten Zeit haben behördliche Maßnahmen beim Kläger keine Steigerung der gesundheitlichen Beeinträchtigung herbeigeführt (vgl. B.I.2 lit. a). Schließlich ist den Gutachten des Dr. H. zu entnehmen, dass selbst im Falle eines (nicht wahrscheinlichen) Aufbegehrens des Klägers gegen die Abschiebung die Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung nicht besteht. Nach dem Gutachten vom 9. Februar 2010 (zu Nr. 7) ist es - auf der Grundlage der vom Gutachter zuvor getroffenen diagnostischen Feststellungen - eher unwahrscheinlich, dass eine Durchsetzung der Abschiebung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung der Erkrankung zur Folge hat. Die diagnostischen Feststellungen, die Dr. H. in seinem Gutachten vom 9. Februar 2010 trifft, sind im Wesentlichen auch dem Gutachten vom 8. April 2013 zu entnehmen (vgl. Nr. B.I.1).

Im Ergebnis summieren sich die Kosten der kardiologischen Medikamente, die der Kläger benötigt, um einer wesentlichen Verschlechterung seiner Gesundheit alsbald nach der Abschiebung vorzubeugen, auf 60 € pro Monat. Nachdem der Botschaftsstellungnahme vom 26. November 2010 zufolge nur „die meisten“ der vom Kläger benötigten Medikamente nicht vom staatlichen Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden (also immerhin ein Teil zur Verfügung gestellt wird), liegen die benötigten Beträge tatsächlich etwas tiefer.

Über die Medikation hinaus erfordert die kardiologische Problematik des Klägers ärztliche Behandlungen und Kontrolluntersuchungen mit unterschiedlicher Frequenz. In seiner Entscheidung vom 22. Dezember 2010 (19 B 09.824) ist der Senat aufgrund der von ihm bei der deutschen Botschaft in Moskau eingeholten Informationen davon ausgegangen, dass sich die Kosten für die ärztliche Behandlung (ohne Medikamentenkosten), die der Kläger in Russland benötigen wird, auf etwa 300 € pro Monat belaufen werden. Den für die hiesige Entscheidung bindenden Gründen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2012 zufolge (zu den Revisionsrügen betreffend den Betrag von 300 € vgl. u. a. den Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 28.3.2011) hat der Verwaltungsgerichtshof hierbei nicht hinreichend beachtet, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht schon dann erfüllt sind, wenn dem Kläger nicht mehr der in Deutschland übliche medizinische Standard dauerhaft zur Verfügung steht, sondern nur dann, wenn ihm die Behandlung nicht mehr zur Verfügung steht, durch die eine alsbaldige und wesentliche (gegebenenfalls sogar lebensbedrohliche) Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verhindert wird.

Die Würdigung der Botschaftsinformationen unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ergibt, dass die erforderliche Behandlung des Klägers nicht zu Arztkosten in Höhe von 300 € pro Monat führt, sondern grundsätzlich im Rahmen des kostenlosen staatlichen Gesundheitssystems erfolgen kann und deshalb lediglich Zuzahlungen in Höhe von wenigen Euro erfordert.

Die Frage des Senats, ob in Russland ein Anspruch auf kostenlose Gesundheitsbehandlung und Versorgung mit Medikamenten besteht (Nr. 2 des Beweisbeschlusses vom 11.5.2010 im Verfahren 19 B 09.824), hat die Botschaft mit Schreiben vom 27. Juli 2010 (zu Nr. 2) für den Ort der Registrierung des Staatsbürgers grundsätzlich bejaht. Sie hat diese Bestätigung jedoch in zweierlei Hinsicht eingeschränkt: die kostenlose Versorgung entspreche nicht dem Standard in der Bundesrepublik und hinsichtlich der Medikamente beschränke sie sich auf diejenigen, die im Medikamentenverzeichnis des Gesundheitsministeriums aufgeführt seien. Auf die weitere Frage des Senats, ob der Kläger die in den fachpsychiatrischen, kardiologischen, orthopädischen und arbeitsmedizinischen Gutachten für erforderlich erachteten Behandlungsmaßnahmen in staatlichen russischen Kliniken oder in russischen Privatkliniken erhalten könne (Nr. 3 des Beweisbeschlusses vom 11.5.2010), hat die Botschaft geantwortet, sie seien „in der Russischen Föderation“ erhältlich. Die monatlichen Kosten hierfür hat die Vertrauensärztin der Botschaft auf etwa 300 €/Monat geschätzt (zu Nr. 4; aus Nr. 1 lit. a und lit. b der Botschaftsauskunft vom 26.11.2010 ergibt sich, dass die Medikamentenkosten in diesem Betrag nicht inbegriffen sind). Die weitere Frage, ob diese Kosten im Falle von Arbeitslosigkeit von öffentlichen Institutionen (Sozialhilfe) übernommen würden (Nr. 5 des Beweisbeschlusses vom 11.5.2010), hat die Botschaft weder bejaht noch verneint; sie hat erneut auf den Anspruch auf kostenlose medizinische Behandlung (bei Medikamenten vorbehaltlich der Auflistung im offiziellen Medikamentenverzeichnis) verwiesen. Auf die Nachfrage des Senats vom 24. August 2010 hat die Botschaft dann unter dem 26. November 2010 (zur Nr. 1 lit. a) mitgeteilt, der Kläger müsse die Behandlungskosten von 300 €/Monat selbst tragen.

Aus diesem Schriftwechsel sowie aus der Tatsache, dass trotz mehrfacher Nachfrage des Senats keine Aufschlüsselung des Betrags seitens der Botschaft zu erreichen war, ergibt sich, dass (wie bereits im vorherigen Rechtszug von der Beklagten - vgl. Schriftsatz vom 20.12.2010 - und von der Landesanwaltschaft - vgl. u. a. Schriftsatz vom 28.3.2011 - angenommen und vom BVerwG zur Begründung seiner Zurückverweisungsentscheidung vom 22.3.2012 herangezogen) die Botschaft die gutachterlich ermittelte Behandlung des Klägers dem deutschen Standard zugeordnet hat, der vom kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem in Russland nicht erreicht wird, und daher für diese ärztlichen Behandlungen überschlägig den langfristig zu erwartenden Durchschnittsbetrag pro Monat für eine Vielzahl von Marktpreisen angesetzt hat. Dies ist nachvollziehbar. Das durch Einholung von Gutachten ermittelte Behandlungskonzept ist von erfahrenen Spezialisten, leitenden Klinikärzten und Hochschullehrern im Rahmen intensiver Begutachtungen mit zahlreichen Tests und Diagnoseverfahren entworfen worden. Sowohl dieser Aufwand für die Befundung als auch die auf dieser Grundlage ermittelte Gesundheitsversorgung entspricht im Wesentlichen der höchsten deutschen Qualitätsstufe, liegt also noch über dem Standard der durchschnittlichen deutschen Krankenversorgung, der der Botschaftsauskunft zufolge vom staatlichen russischen Gesundheitssystem nicht erreicht wird. Beispielsweise wird in der Stellungnahme des Dr. H. vom 9. Februar 2010 (S. 3: für den Falle einer negativen Entwicklung, für die noch keine Anhaltspunkte vorliegen) das Übernähen des Lecks in der implantierten Aortenklappenprothese angesprochen. Welche ärztliche Maßnahme innerhalb dieses weiten Zeit- und Qualitätshorizonts wann und wie oft angewendet wird, ist von nicht konkret absehbaren Einzelfallumständen sowie der jeweiligen ärztlichen Beurteilung abhängig. Eine exakte Kostenberechnung war nicht möglich, lediglich eine überschlägige Prognose. Die scheinbar ausweichende Antwort der Botschaft zu Nr. 5 des Beweisbeschlusses vom 11. Mai 2010 hat somit ihren Grund zum einen darin, dass jeder russische Staatsbürger (also auch ein arbeitsloser) am Ort seiner Registrierung Anspruch auf die kostenlose staatliche Gesundheitsfürsorge hat, die dem Grunde nach auch Herz- und Seelenkrankheiten erfasst, und zum anderen aber auch darin, dass eine Bejahung der Frage in Nr. 5 des Beweisbeschlusses (Kostenübernahme durch öffentliche Institutionen?) gleichwohl nicht möglich war, weil die in der Nr. 5 und auch die in den Nrn. 3 und 4 des Beweisbeschlusses angesprochenen, nicht konkret feststehenden Behandlungen einem Standard entsprechen, der nur am Markt und nicht im staatlichen Gesundheitssystem erhältlich ist.

Nach der Stellungnahme des Dr. H. vom 8. April 2013 müssen beim Kläger Gerinnungskontrollen im Abstand von 2 bis 3 Wochen durchgeführt werden; der Blutdruck muss regelmäßig kontrolliert werden. Nachdem es sich bei diesen Messungen einerseits um Standardmaßnahmen bei einer Vielzahl von Patienten mit Herz- und Gefäßerkrankungen und andererseits um technisch sehr einfache Maßnahmen handelt, die der Kläger - wie die meisten Patienten - selbst durchführen kann (vgl. den Arztbericht von Frau Dr. W. betreffend unter anderem die Selbstkontrolle des Gerinnungswertes durch den Kläger, Schwb-Akte Bl. 6 Rückseite), beispielsweise mit dem Selbstmessgerät „CoaguCheck“, das in der von der Beklagten vorgelegten (Anlage zum Schriftsatz vom 17.1.2008 im Verfahren 19 B 07.2762) und später wiederholt in Bezug genommenen Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 - „Mit dem CoaguCheck zum Baikalsee“ - Erwähnung findet, hat der Senat keine Zweifel daran, dass sie und die damit zusammenhängende ärztliche Beratung zu den Leistungen des kostenlosen russischen Gesundheitssystems gehören. Soweit hier eine Zuzahlung verlangt werden sollte, geht der Senat davon aus, dass sie für alle diese Maßnahmen nicht über 10 Euro/Monat liegt, nachdem sogar der (außerhalb des kostenfreien Gesundheitssystems zu zahlende) Marktpreis sehr niedrig liegt (laut der vorerwähnten Veröffentlichung aus dem Jahr 2004 ist dem Verfasser als Tourist für eine Gerinnungskontrolle ein Betrag von 2 Euro abverlangt worden; der technische Fortschritt, die zunehmende Verbreitung moderner Messgeräte sowie die massenhafte Nachfrage sprechen dafür, dass heute die Kosten jedenfalls nicht höher liegen).

Kalium- und Kreatinin-Kontrollen müssen der kardiologischen Stellungnahme vom 8. April 2013 zufolge nur gelegentlich durchgeführt werden. Hieraus ergibt sich, dass der Gutachter ein Kontrollergebnis, das zu wesentlichen Behandlungskonsequenzen führt, nicht für alsbald wahrscheinlich hält, ein Wegfall dieser Kontrollen also nicht alsbald zu einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung führt. Im Übrigen fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die Bestimmung solcher Laborwerte zur Kontrolle der Herz- und Nierenfunktion nicht vom kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem geleistet wird, so dass die vorstehenden Erwägungen auch insoweit gelten. Der Hinweis der Beklagten, es handle sich um Routinekontrollen, hat Bedeutung vor dem Hintergrund, dass den Angaben der deutschen Botschaft Moskau zufolge das kostenlose russische Gesundheitssystem grundsätzlich ausreichend ist. Der Einschränkung, dass es nicht den deutschen Standard hat, kommt bei routinemäßigen Laboruntersuchungen kein wesentliches Gewicht zu.

Eine jährliche echokardiographische Untersuchung und eine Endokarditisprophylaxe (um Kunstklappen-Entzündungen vorzubeugen) vor zahnärztlichen Eingriffen hält der Gutachter für prinzipiell wünschenswert. Eine Unterlassung dieser Vorbeugungsmaßnahmen führt demgemäß nicht mit Wahrscheinlichkeit zu einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung. Darüber hinaus deutet nichts darauf hin, dass sie alsbald nach der Abschiebung erforderlich sein werden.

Insgesamt geht der Senat davon aus, dass die Behandlung der kardiologischen Problematik, die zur Verhinderung einer alsbaldigen Existenzbedrohung erforderlich ist, dem Kläger allenfalls 70 €/Monat abverlangen wird. Hinsichtlich des Systems der Zuzahlungen ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass die Höhe des Zuzahlungsverlangens vom Wohlstand/Verdienst des Patienten abhängt (Lagebericht vom 4.4.2010 Seite 29). Bereits deshalb ist nicht zu befürchten, dass durch die Zuzahlungen der notwendige Unterhalt des Klägers gefährdet sein wird.

Die psychiatrische Problematik des Klägers ist in Russland aktenkundig. Der Kläger verfügt über Informationen, die den im russischen Gesundheitssystem Tätigen die sachgerechte Anknüpfung an die damalige Behandlung ermöglichen. Die Anfang der 90er Jahre behandelnde Klinik ist einschließlich Name und Adresse des behandelnden Arztes bekannt. Der Kläger ist laut den im Gutachten Dr. W. vom 18. Oktober 2010 zitierten Angaben mit seiner psychiatrischen Erkrankungen in Russland registriert und musste deshalb keinen Wehrdienst leisten (den im Gutachten Dr. N. vom 13.10.1998 zitierten Angaben zufolge hatte er von 1991 bis 1995 die Diagnose einer Schizophrenie bzw. reaktiven Psychose - Psychopathie; dem Strafurteil zufolge liegen zwei medizinische Unterlagen aus Russland hierzu vor). Der Kläger kann sämtliche psychiatrischen Erkenntnisse aus Deutschland den russischen Ärzten vorlegen (vgl. die Ausführungen der Deutschen Botschaft Moskau betreffend die Verwendbarkeit deutscher Arztunterlagen im kostenlosen russischen Gesundheitssystem).

Der Senat vermag sich nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, die Medikation, die der Kläger zur Behandlung seiner schizophrenen Erkrankung erhält, sei in seinen Bedarf nicht einzubeziehen, weil ihr Wegfall eine alsbaldige Existenzbedrohung nicht zur Folge haben werde. Die von der Beklagten (in Nr. 2 lit. b ihres Schriftsatzes vom 14.1.2014) zitierten gutachterlichen Ausführungen betreffend eine längere Stabilität des Klägers auch ohne neuroleptische Medikation beziehen sich ersichtlich auf Lebensabschnitte ohne einschneidende Veränderungen. Die in Russland bestehende Notwendigkeit, den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern, könnte aber eine einschneidende Veränderung darstellen, selbst wenn der Kläger auf zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten zurückgreifen kann (vgl. u. a. IV.). Die Möglichkeit ist in Betracht zu ziehen, dass der Kläger nach der Abschiebung - fehlte diese Medikation - wegen der ungewohnten, mit den Schwierigkeiten einer Existenzgründung belasteten Situation eine produktivpsychotische Episode entwickelt. Zwar ist eine solche Episode noch keine wesentliche Verschlechterung der Gesundheit oder Gefährdung der Existenz des Klägers und wird auch mit Wahrscheinlichkeit hierzu nicht führen (vgl. III.). Dennoch hält es der Senat in Anbetracht der Gesamtsituation des Klägers nicht für zumutbar, sehenden Auges das mit einer produktivpsychotischen Episode verbundene Restrisiko einzugehen (das - ausweislich der gerichtlich bestätigten Ausweisung des Klägers - auch für die Allgemeinheit nicht hinnehmbar ist), und bezieht daher diese Behandlungsnotwendigkeit in den Bedarf des Klägers ein.

Psychiatrische Krankheiten können - wie beim Kläger bereits Anfang der 90er Jahre geschehen - in Sankt Petersburg behandelt werden. Zweifel daran, dass der Standard der kostenlosen staatlichen Gesundheitsfürsorge vorliegend nicht ausreichend sein könnte, sind nicht veranlasst. Eine vollumfängliche Befunderhebung und Diagnose liegt bereits vor, so dass in der Zeit alsbald nach der Abschiebung lediglich die ärztliche Verschreibung des Neuroleptikums und die Kontrolle seiner (bereits über vier Jahre hinweg belegten) Wirkung anfällt.

Das dem Kläger verordnete Medikament Zyprexa mit dem Wirkstoff Olanzapin ist der Botschaftsauskunft vom 8. November 2013 zufolge ein rezeptpflichtiges modernes und deshalb erheblich teueres Psychopharmakon, das in Russland für 50 €/Monat erhältlich ist. Allerdings ist nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Unterlagen der Patentschutz für Zyprexa vor wenigen Jahren ausgelaufen, so dass Generika mit demselben Wirkstoff auch in Russland verfügbar sind. Den diesbezüglichen Botschaftsmitteilungen von 22. und 23. Juli 2014 ist zu entnehmen, dass mehrere dieser in Russland erhältlichen Generika zum halben Zyprexa-Preis oder für weniger erworben werden können (das günstigste Generikum für etwa ein Fünftel des Zyprexa-Preises). Nachdem bei einem Medikamentenwechsel Unverträglichkeiten nicht ausgeschlossen werden können und daher eine gewisse Auswahl möglich sein sollte, veranschlagt der Senat die Kosten für die Behandlung mit dem Wirkstoff Olanzapin auf 25 €/Monat.

Demzufolge wird die medizinische Behandlung einschließlich Medikamentierung, durch die verhindert wird, dass sich die Gesundheit des Klägers alsbald wesentlich verschlechtert, Kosten von allenfalls 95 €/Monat verursachen.

c) Der aktuell erforderliche Betrag von 95 € zur Erhaltung der Gesundheit alsbald nach der Rückkehr nach Russland (vgl. lit. b) liegt zwar um 10 € über dem Betrag, der nach der unter lit. a für das Jahr 2010 erstellten Berechnung hierfür zur Verfügung steht. Aus mehreren Gründen wird es aber beim Kläger nicht zu einem Fehlbetrag kommen und damit auch nicht zur Inanspruchnahme einer der ihm zur Verfügung stehenden Unterstützungsmöglichkeiten (vgl. hierzu IV.). Die Berechnung unter lit. a geht vom Durchschnittslohn der in der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 genannten Beschäftigten aus; eine Person mit den kaufmännischen sowie fachlichen Eignungen und der Fortbildungsfähigkeit des Klägers verdient aber deutlich mehr. Nach der Botschaftsäußerung vom 26. November 2010 sind die meisten der vom Kläger benötigten Medikamente in die Medikamentenliste des Gesundheitsministeriums nicht aufgenommen und somit im kostenlosen staatlichen Gesundheitssystem nicht vorgesehen; der (von der Botschaft nicht näher bestimmte) Teil der in diese Liste aufgenommenen Medikamente, der in der Berechnung des Senats nicht (kostenmindernd) berücksichtigt ist, verbessert die Unterhaltssituation des Klägers entsprechend. Nachdem es auf die wirtschaftliche Situation des Klägers nach seiner Rückkehr nach Russland ankommt, müssen nicht nur die absehbaren Gesundheitsaufwendungen, sondern auch die Berechnungsposten, die unter lit. a auf der Grundlage von Auskünften aus dem Jahr 2010 einbezogen worden sind, mit ihrer aktuellen Wertigkeit berücksichtigt werden. Hierbei ergibt sich, dass die wirtschaftliche Situation des Klägers in Russland mit Wahrscheinlichkeit günstiger sein wird als sie es bei einer Rückkehr im Jahr 2010 gewesen wäre. Die Betrachtung der im Jahr 2010 mitgeteilten Berechnungsposten auf aktueller Basis ist anhand der Reallohnentwicklung möglich, denn die Wohnungskosten und die Kosten des sonstigen Mindestbedarfs bilden das Preisniveau, das für den größten Teil der Bevölkerung relevant ist. Seit dem Jahr 2010 ist der Reallohn in Russland um durchschnittlich 9% pro Jahr gestiegen (Germany Trade & Invest: Lohn und Lohnnebenkosten in Russland), hat also der jährliche Anstieg des Durchschnittslohnniveaus um 9% über dem jährlichen Anstieg der Lebenshaltungskosten gelegen.

II.

Sollte es nach der Abschiebung zu einer produktivpsychotischen Episode aufgrund Nichteinnahme des Neuroleptikums kommen (was nach allem unwahrscheinlich ist), könnten sich daraus bereits deshalb die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht ergeben, weil die Abschiebung zwar der Episode zeitlich vorangegangen, nicht aber ihre wesentliche Ursache wäre.

Nach den psychiatrischen Erkenntnissen, auf die das Strafurteil vom 18. Dezember 2003 gestützt ist (Gutachten des Dr. N. vom 13.10.1998, Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001 sowie dessen mündliche Erläuterung in der Hauptverhandlung), war der Kläger zur Zeit der Tat vom 7. Februar 2001 voll einsichtsfähig, obwohl er nicht unter neuroleptischer Behandlung gestanden hat. Der Kläger hat im Zusammenhang mit der Straftat überlegte Verhaltensweisen an den Tag gelegt (vgl. das Gutachten des Dr. G. vom 21.7.2009). Dr. W. sieht seinem Gutachten vom 18. Oktober 2001 zufolge den wesentlichen (Ursachen-)Anteil der Tat nicht in der schizophrenen Erkrankung, sondern in nicht krankheitsbedingten Gefühlen des Klägers. Das Strafgericht hat sich in seinem Urteil vom 18. Dezember 2003 dieser Bewertung angeschlossen, wie die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren zeigt - bei gegebener Möglichkeit, die lebenslange Freiheitsstrafe für Mord in Anwendung der (wegen verbliebener Zweifel an der Steuerungsfähigkeit angewendeten) Vorschrift des § 21 StGB bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren zu mildern (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB). In seinem Gutachten vom 12. November 2009 bekräftigt Dr. W. seine Auffassung vom 18. Oktober 2001. Zufolge der in der Folgezeit eingeholten psychiatrischen Erkenntnisse ist der Kläger jedenfalls immer dann voll steuerungsfähig, wenn er unter Neuroleptikamedikation steht. An seiner Geschäftsfähigkeit bestehen - im Gegensatz zur Geschäftsfähigkeit des Ausländers, dessen Abschiebung Gegenstand des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2010 (1 C 1/02) ist - keine Zweifel. Auch nach dem im Betreuungsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten des Arztes B. vom 26. August 2013 hat der Kläger keinerlei Verantwortlichkeitseinschränkungen und liegen deshalb die Voraussetzungen für einen Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB nicht vor. Daher ist ein solcher Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB („zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten“) vom Betreuungsgericht auch nicht angeordnet worden. Vor diesem Hintergrund sind die Fachärzte - offensichtlich in Kenntnis der damaligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. insbesondere B. v. 11.10.2000 XII ZB 69/00 und vom 1.2.2006 XII ZB 236/05) - durchwegs zum Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen weder für eine Unterbringung noch für eine Zwangsbehandlung vorliegen (Mitteilung des Amtsarztes Dr. We. vom 7.8.1998 an das Ordnungsamt, zitiert im Gutachten des Dr. N. vom 13.10.1998, Bl. 4; Dr. W. im Gutachten vom 12.11.2009; vom JVA-Arzt eingeholte Stellungnahme des Konsiliarpsychiaters Dr. B. vom 22.8.2012). Die Neufassung des § 1906 BGB durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl. I S. 266 - m.W. v. 26.2.2013) hat hieran nichts geändert. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 BGB n. F. setzt eine Zwangsbehandlung voraus, dass der Betreute die Notwendigkeit der Behandlung nicht erkennen kann oder dass er nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Dies ist beim Kläger nach den vorliegenden ärztlichen Feststellungen nicht der Fall. Somit ist auch nach neuem Recht eine Zwangsbehandlung des Klägers frühestens dann möglich, wenn er das Neuroleptikum nicht mehr einnimmt und sich auf dieser Grundlage eine produktivpsychotische Episode entwickelt. Bei dieser Sachlage wäre ein (in Russland oder auch schon im Bundesgebiet gefasster) Entschluss des Klägers, ein ihm zur Verfügung stehendes Neuroleptikum nicht mehr einzunehmen (mit der Folge der Möglichkeit, dass es zu produktivpsychotischen Episoden kommt und möglicherweise auch zu Weiterungen), eine eigenverantwortliche Selbstschädigung und Wahrnehmung des vom Bundesverfassungsgericht schon im Beschluss vom 7. Oktober 1981 (2 BvR 1194/80, BVerfGE 58,208) anerkannten Rechts auf „Freiheit zur Krankheit“ (ebenso Dr. W. im Gutachten vom 12.11.2009). Deswegen sich ergebende produktivpsychotische Episoden (und etwaige mit ihnen zusammenhängende Weiterungen) wären keine Gefahr, die wesentlich durch die Abschiebung verursacht ist, also keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

III.

Sollte der Kläger - was nicht wahrscheinlich ist - das Neuroleptikum nach der Abschiebung eigenverantwortlich absetzen und es in der Folge zu einer produktivpsychotischen Episode kommen, wären die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG auch deshalb nicht erfüllt, weil (worauf die Beklagte in Nr. 2 lit. a ihres Schriftsatzes vom 14.1.2014 hinweist) die Wahnvorstellungen, die solche Episoden des Klägers kennzeichnen, noch keine Gesundheitsverschlechterung des in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschriebenen Schweregrades darstellen und weil Weiterungen, die diesen Schweregrad erreichen, nicht beachtlich wahrscheinlich sind. Die (wenn auch kleinen, vgl. das Gutachten des Dr. W. vom 18.10.2001) psychiatrisch relevanten Ursachenanteile an der Gewalttat vom 7. Februar 2001 bewertet der Senat in Übereinstimmung mit dem Kläger (vgl. dessen Schriftsatz vom 13.5.2011 im Verfahren 1 C 3/11) als eine solche Weiterung, weil diese Gewalttat zu einem langjährigen Freiheitsverlust geführt hat und weil derartige Taten wegen des Notwehrrechts des Geschädigten mit einem hohen Risiko auch für den Täter verbunden sind. Die Mehrzahl der objektiv festgestellten produktivpsychotischen Episoden (mehrere Anfang der 90er Jahre in Russland und eine im Jahr 1998 im Bundesgebiet, überwiegend mit Misshandlung der Eltern) hat aber weder anhaltende noch schwerwiegende Folgen für den Kläger gehabt; er ist hier jeweils lediglich der medizinischen Behandlung zugeführt worden, soweit dies erforderlich war. Die vom Kläger angegebenen Wahnvorstellungen während einzelner Phasen der Strafhaft sind allesamt von selbst wieder abgeklungen.

IV.

Sollte dem Kläger - was nicht wahrscheinlich ist - aus Krankheitsgründen oder aus einem anderen Grund die Sicherung des Lebensunterhalts nicht möglich sein, kann er mit Unterstützung von verschiedenen Seiten rechnen, so dass die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geregelte Situation nicht eintreten wird.

Nach der Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 kann im Falle von Arbeitslosigkeit - neben staatlicher Unterstützung bei der Arbeitssuche und bei Umschulungen - Arbeitslosengeld bis zu einem Jahr in gesetzlich festgelegter Höhe in Anspruch genommen werden. Dem hiergegen gerichteten Beweisantrag Nr. 2 lit. c auf Einholung eines länderkundlichen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger in der Russischen Föderation keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Umschulungen hat und auch die Kosten der Sozialversicherung nicht vom Arbeitsamt übernommen werden, war nicht nachzukommen. Der Auskunft der deutschen Botschaft vom 8. November 2013 ist das Gegenteil der Beweisbehauptung zu entnehmen. Nachdem Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit oder ein sonstiges Ungenügen dieser Auskunft nicht vorliegen, bedarf es keiner weiteren Beweiserhebung (§ 98 ZPO, § 412 Abs. 1 ZPO; vgl. auch BVerwG, B. v. 27.3.2013 - 10 B 34.12; der im Klägerschriftsatz vom 16.5.2014 geforderten Einzelfallprüfung durch die russische Sozialbehörde bedarf es nicht, nachdem die im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu stellende Prognose - also die Wahrscheinlichkeit einer Situation oder Entwicklung - im Streit steht). Auch dem Beweisantrag Nr. 2 lit. d auf Einholung eines länderkundigen Gutachten zum Beweis der Tatsache, dass die Arbeitslosengeldzahlungen in der russischen Föderation nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern, war nicht nachzukommen. Der Senat geht davon aus, dass die Beweisbehauptung zutrifft, dass also das Arbeitslosengeld nicht reichen würde, um den Lebensunterhalt des Klägers zu sichern. Angesichts der sonstigen Unterstützungsmöglichkeiten, auf die der Kläger zurückgreifen kann (insbesondere - wie nachfolgend dargestellt - Familie und Verwandtschaft sowie der Geldbetrag der Beklagten), würde dieser Umstand aber nicht zur Ursache einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung des Klägers werden. Aus diesem Grund kommt es auch nicht auf die im Klägerschriftsatz vom 16. Mai 2014 thematisierte Frage an, ob das russische Arbeitsamt die Kranken-, Renten- und Sozialversicherung nur während einer Umschulung oder auch während der übrigen Dauer der Arbeitslosigkeit übernimmt.

In dem unwahrscheinlichen Fall, dass der Kläger keine existenzsichernde Erwerbstätigkeit in Russland ausüben kann, kann er mit Erwerbsunfähigkeitsleistungen rechnen. Nach der in das Verfahren eingeführte Veröffentlichung von Vogts/Shteynberg (Russische Rentengesetze und Ansprüche in Deutschland, Die Rentenversicherung, 2010, Heft 3; http://www. vogtsundpartner.de/voe/So-6-Die%20RV-Heft%203-2010-Auszug-Vogts-Shteynberg-Rentengesetze.pdf) können arbeitsunfähige Personen, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben, - sogar wenn sie (noch) im Ausland leben - lebenslang oder bis zum Beginn der Arbeitsaltersrente Anspruch auf eine Arbeitsbehindertenrente haben, die Ähnlichkeiten zur deutschen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufweist. Eine solche Rente können auch Personen erhalten, die nur kurz oder niemals einer Beschäftigung nachgegangen sind. Die Rentenhöhe ist vom vorangegangenen Beschäftigungszeitraum und dem Behinderungsgrad (drei Stufen) abhängig. Die in der Veröffentlichung von Vogts/Shteynberg beschriebenen Grundsätze gelten für den im Jahr 1966 geborenen Kläger, denn entgegen seiner Auffassung betrifft die Veröffentlichung gerade ältere, spätestens im Jahr 1966 geborene Personen, auf die das neue versicherungsbasierte Rentenmodell noch nicht anwendbar ist. Die mit Klägerschriftsatz vom 16. Mai 2014 eingewendete Voraussetzung einer Beschäftigung von mindestens fünf Jahren gilt - entsprechend S. 1 der Veröffentlichung - nur für die Arbeitsaltersrente. Nachdem der Kläger seinem Arbeitsbuch zufolge acht Jahre lang in Russland erwerbstätig gewesen ist, wird eine solche Rente mit Wahrscheinlichkeit - bei Zugrundelegung der geltenden Maximalbeträge (vgl. Vogts/Shteynberg a. a. O.) - weniger als 100 € betragen. Zu berücksichtigen sind bei der Gesamtbewertung aber auch staatliche Leistungen, die zusätzlich zur Rentenleistung erbracht werden, wie etwa das Recht zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. Nußberger a. a. O. S. 41).

Schließlich kann der Kläger mit verschiedenartiger Unterstützung aus dem „Programm Landsleute“ rechnen (vgl. B.I.3 lit. a, aa).

Bei nachgewiesener finanzieller Mittellosigkeit können sich (der Stellungnahme der deutschen Botschaft in Moskau vom 8. November 2013 zufolge) in Not geratene und deshalb von Wohnungslosigkeit betroffene russische Staatsangehörige und Einwohner von St. Petersburg bezüglich einer sozialen Unterkunft an das Komitee für Sozialpolitik der Stadt wenden. Nachdem diese öffentliche Sozialleistung der Vermeidung von Obdachlosigkeit dient, ist auszuschließen, dass nach dem Eintritt eines solchen Notfalls längere Zeit bis zu ihrer Gewährung verstreicht. Der Kläger hat zwar mit Beweisantrag Nr. 2 lit. a begehrt, ein länderkundliches Gutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass dem Kläger in Russland oder St. Petersburg keine für ihn unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes (vgl. Attest der Beklagten vom 6.2.2013) geeignete einfache Wohnung durch die Kommune kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Diesem nur für den unwahrscheinlichen Fall einer Unterstützungsbedürftigkeit des Klägers relevanten Beweisantrag war nicht nachzukommen, weil er unsubstantiiert ist. Der Kläger hat keine Anhaltspunkte angegeben, die für eine Unrichtigkeit der Auskunft vom 8. November 2013 sprechen. Der Beweisantrag ist auch deshalb unsubstantiiert, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger auf einen ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit angewiesen, also unfähig zum Wohnen in einer Gemeinschaftswohnung ist, und weil auch das Attest vom 6. Februar 2013 aus den in Abschnitt B.I.3 lit. a, cc dargelegten Gründen keinen solchen Anhaltspunkt darstellt (mit dem „Attest der Beklagten vom 6.2.2013“ meint der Kläger offensichtlich das Attest der Institutsambulanz des Klinikums N. vom 6.2.2013, das von einem „ruhigen isolierten Wohnraum mit einer Rückzugsmöglichkeit“ spricht).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland in die gerichtliche Prognose gemäß § 53 Abs. 6 Ausländergesetz 1990 (Jetzt § 60 Abs. 7 AufenthG) mit einzubeziehen (vgl. B. v. 1.10.2001 - 1 B 185/01).

Die Beklagte hat im Revisionsverfahren Az. 1 C 3/11 ausgeführt, im russischen Kulturbereich bestehe traditionell ein enger familiärer Zusammenhalt. Für die Richtigkeit dieses Vorbringens spricht der Stand der Entwicklung der russischen Gesellschaft und die begrenzte Leistungsfähigkeit des sozialistischen Staates, die sich nach den Umwälzungen ab dem Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts in einer faktischen Begrenztheit des russischen Sozialsystems fortsetzt (vgl. insbesondere B.I.3 lit. b).

Von der Existenz von Verwandten des Klägers in Russland, insbesondere in St. Petersburg, hat der Senat auszugehen. Die Eltern des Klägers haben hier gelebt und gearbeitet, der Kläger ist hier aufgewachsen. Für dortige Verwandte des Klägers sprechen auch seine Angaben gegenüber dem Gutachter Dr. W. (vgl. dessen Gutachten vom 23.8.2013), die Überlassung des Petersburger Geschäfts des Klägers an einen Cousin sowie die Erwähnung „entfernter“ Verwandter im Schriftsatz vom 29. Januar 2014. Die Beklagte hat den Kläger im Hinblick auf eine Unterstützung durch Verwandte in Russland mehrfach auf seine Mitwirkungspflicht betreffend die Feststellung des familiären Umfeldes in Russland hingewiesen. Dieser Hinweis ist zutreffend, weil es um persönliche Umstände aus dem Bereich des Klägers geht (vgl. BVerwG, U. v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - DVBl. 2003,463 - Juris Rn. 11). Der Kläger hat sich jedoch dieser Anforderung von Anfang an verweigert (beispielsweise hat er im Verfahren 19 B 07.2762 vorgetragen, er habe bei den Reisen nach Russland im Zeitraum 2000/2001 „keine ihm bekannten Personen besucht“, und die Existenz von Verwandten bestritten). Er beschränkt sich darauf, die von der Beklagten genannten Anhaltspunkte für Verwandte in Russland in Zweifel zu ziehen und die Beklagte insoweit auf den Berufsbetreuer zu verweisen (Klägerschriftsatz vom 29.1.2014). Jedoch verfügt nicht der Betreuer, sondern der Kläger über das einschlägige Wissen, und es ist auch nicht ersichtlich, dass er (anwaltlich vertreten) zu einem entsprechenden Vortrag nicht in der Lage wäre. Eine Darstellung der Verwandtschaftsverhältnisse in Russland hat die Klägerseite selbst dann nicht angeboten, als sie durch die Gründe des Beschlusses, durch den eine Einvernahme der Mutter des Klägers abgelehnt worden ist, noch einmal auf die Mitwirkungsverpflichtung hingewiesen worden ist. Die auf das bewusste Verhalten des Klägers zurückzuführende Unklarheit hinsichtlich seiner Verwandten in Russland wirkt sich zu seinen Lasten aus; er hat die nachteiligen Folgen seiner mangelnden Mitwirkung zu tragen (vgl. BVerwG, U. v. 26.1.2006 - 2 C 43/04 - BVerwGE 125,79, Juris Rn. 22).

Der Kläger behauptet, er unterhalte seit seiner Einreise in das Bundesgebiet keinerlei Kontakte zu seinen russischen Verwandten. Jedoch kann der Senat vom Fehlen solcher Kontakte nicht ausgehen, denn der Kläger verhindert durch seine Weigerung, seine Verwandtschaftsverhältnisse in Russland darzulegen, dass der Frage der Existenz solcher Kontakte nachgegangen werden kann. Unter anderem der in russischen Familien übliche enge verwandtschaftliche Zusammenhalt, die Überlassung des Petersburger Geschäfts an einen Cousin, die Reisen des Klägers zum Jahreswechsel 2000/2001 nach Russland sowie die Tatsache, dass der Kläger im Bundesgebiet kein neues Beziehungsgeflecht zu knüpfen vermocht hat, stellen Anhaltspunkte für solche Kontakte dar. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass der Kläger tatsächlich seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet keine Kontakte zu seinen russischen Verwandten gehabt haben sollte, spräche nichts dafür, dass eine Kontaktaufnahme für ihn eine besondere Belastung darstellen könnte. Der Kläger hat erst im Alter von mehr als 30 Jahren Russland verlassen. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass er nicht auf früher geknüpfte Kontakte zurückgreifen könnte. Zudem sind von seiner Mutter, die die Situation des Klägers und die verwandtschaftlichen Beziehungen mit Wahrscheinlichkeit besonders gut kennt, Hilfeleistungen bei der Kontaktaufnahme und Appelle an den familiären Zusammenhalt gegenüber der Verwandtschaft zu erwarten. Schließlich würde selbst eine besondere Belastung des Klägers infolge der Kontaktaufnahme angesichts der neuroleptischen Medikation keine produktivpsychotische Episode auslösen.

Von Seiten ortsnaher Verwandter kommt Unterstützung insbesondere durch Sozialkontakte und durch Sachleistungen in Betracht, etwa das Angebot einer Unterkunft. Nachdem der Kläger in der Lage ist, seine Straftat überzeugend als Notwehrhandlung darzustellen (vgl. die Anamnese im Attest vom 6.2.2013), wird sie selbst dann einer verwandtschaftlichen Hilfeleistung nicht entgegenstehen, wenn sie den Verwandten bekannt werden sollte.

Mit dem Beweisantrag Nr. 4 hat der Kläger die Einvernahme seiner Mutter zum Beweis der Tatsachen begehrt, dass er keinerlei Kontakt zu Verwandten in Russland hat, die Zeugin selbst keinen Kontakt hat und keinen Kontakt herstellen kann. Auch diesem Beweisantrag konnte mangels der erforderlichen Substantiierung nicht nachgegangen werden. In ihm wird ebenfalls das Fehlen von Kontakten (des Klägers und seiner Mutter) zur russischen Verwandtschaft unterstellt, wovon der Senat aus den bereits genannten Gründen nicht ausgehen kann. Zudem werden für die Behauptung, die Mutter des Klägers könne solche Kontakte auch nicht herstellen, keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen. Gegen die Richtigkeit dieser Behauptung spricht, dass die Mutter des Klägers fast ihr ganzes Leben in Russland verbracht hat (wo dem familiären Zusammenhalt besondere Bedeutung zukommt) und die verwandtschaftlichen Beziehungen mit Wahrscheinlichkeit besonders gut kennt.

In Deutschland leben auch noch die beiden Schwestern des Klägers. Auch wenn in den letzten Jahren zwischen dem Kläger und seinen Schwestern kein Kontakt bestanden haben sollte, hat er zumindest mäßige Unterstützungsbeiträge von diesen zu erwarten.

Mit dem Beweisantrag Nr. 4 hat der Kläger die Einvernahme seiner Mutter zum Beweis auch dafür begehrt, dass seine in Deutschland lebenden Schwestern wirtschaftlich nicht in der Lage sind, den Kläger zu unterstützen und ebenfalls keinen Kontakt zu dem Kläger haben und ihn deshalb auch nicht unterstützen würden. Auch diesem Beweisantrag kann nicht stattgegeben werden. Hinsichtlich der Behauptung, die Schwestern des Klägers seien wirtschaftlich nicht in der Lage, den Kläger zu unterstützen, ist der Beweisantrag unsubstantiiert, weil beide Schwestern (berufstätig als Ärztin bzw. als Krankenschwester) Erwerbseinkommen haben und der Vortrag, sie hätten Unterhaltsverpflichtungen, nicht genügt, um die Behauptung einer Unfähigkeit zur Unterstützung (die angesichts der Tatsache, dass der Lebensunterhalt in Russland zu einem Bruchteil des hiesigen zu bestreiten ist, nicht hoch sein muss) zu substantiieren. Für die Frage, ob die Schwestern des Klägers (Verwandte des zweiten Grades) diesen unterstützen würden, sind bestehende Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Schwestern nicht entscheidend; gerade ein Notfall kann zur Wiederaufnahme von Kontakten führen. Eine Aussage der Mutter des Klägers mit dem Inhalt, dieser werde von seinen Schwestern nicht unterstützt werden, ergäbe keinen Beweis, so dass der Beweisantrag darüber hinaus ungeeignet ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es auf die Wahrscheinlichkeit der Unterstützung an; die Frage, ob eine Rechtspflicht zur Unterstützung besteht, ist unerheblich. Diese Wahrscheinlichkeit kann nur durch tatsächliche Anhaltspunkte festgestellt werden, nicht aber durch eine Zeugenaussage, die durch die verwandtschaftliche Interessenlage bestimmt ist. Daher war auch der Anregung der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung, die Schwestern des Klägers zu vernehmen, nicht nachzukommen. Für eine Unterstützung durch die Schwestern sprechen die verwandtschaftlichen Nähe, die gemeinsame Kindheit, die gemeinsame Jugend, die gemeinsame Übersiedlung ins Bundesgebiet sowie die Bedeutung des Zusammenhalts in russischen Familien. Weiterhin fühlt sich die Mutter des Klägers offensichtlich verpflichtet, ihren Sohn zu unterstützen, und es ist nicht zu erwarten, dass die Töchter ihre Mutter, die Grundsicherung erhält, bei diesem nachvollziehbaren Vorhaben allein lassen werden.

Schließlich hat die Beklagte (entsprechend einer Anregung der Landesanwaltschaft im Revisionsverfahren 1 C 3.11 und einer eigenen Überlegung im Schriftsatz vom 27.3.2014) zugesichert, dem Kläger bei der Aufenthaltsbeendigung einen Geldbetrag in Höhe von 5.000 € auszuhändigen, so dass er bei der Gründung einer Existenz gesichert und auch in der Lage ist, die benötigten Medikamente für die erste Zeit zu erwerben.

C. Die Kostenentscheidung betrifft nur noch die Kosten des Verfahrens betreffend die Regelung des Vollzugs der Ausweisung. Die Ausweisung ist nicht mehr Verfahrensgegenstand und die Kosten des sie betreffenden Verfahrens sind dem Kläger bereits auferlegt worden (vgl. insoweit zuletzt den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.3.2009 im Verfahren 1 B 20.08). Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, nachdem der Kläger letztlich auch hinsichtlich der Regelung des Vollzugs der Ausweisung und der hiermit zusammenhängenden Fragen unterlegen ist.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative, eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt, ist abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und § 29 Absatz 1 Nummer 2 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält.

(2) Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Auf volljährige Familienangehörige sind § 30 Abs. 3 und § 31, auf minderjährige Familienangehörige ist § 34 entsprechend anzuwenden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.