Der Kläger und Berufungskläger begehrt von der Beklagten und Berufungsbeklagten die Anerkennung eines auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erlittenen Unfalls vom 24. Oktober 1989 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der 1971 geborene Kläger stammt aus der ehemaligen DDR und war dort in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Pflanzenproduktion S. als Agrotechniker/ Mechanisator beschäftigt. Während dieser Tätigkeit erlitt er am 24. Oktober 1989 auf dem Kartoffelsortierplatz S. in Sch. einen Unfall. Auf dem Rückweg von einer Pause zu seinem Arbeitsplatz fuhr ihm ein Gabelstapler über das linke Bein. Der Kläger erlitt dabei Frakturen im Bereich des linken Oberschenkels und des linken Knöchels.
Die Berufsgenossenschaft (BG) Druck und Papierverarbeitung (eine Rechtsvorgängerin der Beklagten) erlangte von dem Unfall Kenntnis durch einen Bericht des Durchgangsarztes (D-Arzt) Dr. G. (Kreiskrankenhaus G.) vom 18. April 1991, der am 23. April 1991 bei ihr einging. Dr. G. berichtete darin, dass der Kläger auf glattem Boden weggerutscht und ihm ein Gabelstapler über das linke Bein gefahren sei.
Die BG Druck und Papierverarbeitung zog daraufhin u.a. die medizinischen Unterlagen aus der Zeit unmittelbar nach dem Unfall bei und holte das Rentengutachten des Dr. G. vom 18. Juni 1991 ein. Aktenkundig wurde außerdem die damalige Unfallmeldung vom 26. Oktober 1989, in der beschrieben wurde, dass der Kläger am Unfalltag den Auftrag gehabt habe, vom Kartoffelsortierplatz anfallende Erde und Steine abzufahren. Gegen 20:45 Uhr sei er aus dem Pausenraum gekommen und habe - ohne rechts oder links zu schauen - eine Absperrung übersprungen bzw. unterquert. In diesem Moment sei ein Gabelstapler von draußen gekommen und habe den Kläger erfasst. Die Arbeitsmittel seien in Ordnung gewesen, der Unfall sei durch das nicht richtige Verhalten des Klägers entstanden. Er habe „TGL 30104 Pkt. 2 Maßnahmeplan“ nicht beachtet. Nach dem Unfall seien die Sortierkräfte und Mechanisatoren nochmals belehrt worden; die Absperrung sei nach unten zu verdichten bzw. nach oben zu erhöhen und Sicherheitszeichen anzubringen. Das Unfallmeldeformular ist unter Ziffer 23 um den Vermerk „Als Arbeitsunfall nicht anerkannt“ ergänzt und mit einem Stempel der Staatlichen Versicherung, Kreisdirektion E-Stadt, datierend wohl vom 31. Oktober 1989, versehen. Eine (lesbare/ erkennbare) Unterschrift des Klägers (vorgesehen unter Ziffer 22 „Unfallbetroffener Werktätiger“) enthält der Vordruck nicht; vielmehr finden sich dort die beiden handschriftlichen Zusätze „ist eine Unterschrift!“ sowie „Unterschrift nachholen“ (vgl. Blatt 12-1 des Ausdruckes der elektronischen Verwaltungsakte bzw. Blatt 14 der früheren Originalakte).
Unter Hinweis auf diesen Nichtanerkennungsvermerk teilte die BG Druck und Papierverarbeitung dem Kläger mit Schreiben vom 26. Juni 1991 mit, dass kein Entschädigungsanspruch bestehe. Eine Rechtsmittelbelehrungenthielt das Schreiben nicht.
Im Mai 2005 wurde der Vorgang wieder aufgegriffen - diesmal von der Landwirtschaftlichen BG Mittel- und Ostdeutschland, bei der ein H-Arzt-Bericht des Dr. Ü. vom 4. Mai 2005 einging. Darin waren rezidivierende Beschwerden im Bereich des verletzten linken Beines angegeben. Im Dezember 2005 gab die Landwirtschaftliche BG Mittel- und Ostdeutschland den Vorgang an die zuständige BG Druck und Papierverarbeitung ab. In den abgegebenen Unterlagen enthalten war nun auch das damalige Untersuchungsergebnis der Arbeitsschutzinspektion vom 26. Oktober 1989. Wiedergegeben wurden dort die Aussagen der Zeugen G. (damals Schichtleiterin), C. (Sortierkraft) und H. (Gabelstaplerfahrer).
- Die Zeugin G. gab an, den Unfall nicht gesehen zu haben. Sie habe hinterher gehört, dass der Kläger über die Absperrung gesprungen sein soll.
- Der Zeuge C. brachte zum Ausdruck, dass er zur fraglichen Zeit draußen bei den Bunkern gewesen sei. Als der Gabelstaplerfahrer H. in die Halle gefahren sei, habe er gesehen, wie der Kläger über bzw. unter der Absperrung gekommen sei. Der Stapler habe noch gebremst, den Unfall jedoch nicht verhindern können.
- Der Zeuge H. legte dar, dass er dabei gewesen sei, leer in die Halle zurückzufahren. Als er an die Toreinfahrt zum Pausenraum gekommen sei, sei von rechts plötzlich der Kläger gekommen. Er habe noch gebremst, den Unfall aber nicht verhindern können. Ob der Kläger die Absperrung übersprungen oder unterquert habe, könne er nicht genau sagen.
Aufgrund der Zeugenaussagen ging der Bearbeiter der Arbeitsschutzinspektion davon aus, dass der Kläger den Unfall selbst herbeigeführt habe, indem er über oder unter der Absperrung hinweg bzw. hindurch sei, ohne auf den Staplerverkehr zu achten. Es sei angewiesen worden, die Sortierkräfte nochmals zu belehren. Außerdem sollte die Absperrung nach unten verdichtet und nach oben erhöht werden. Gleichzeitig sollten Sicherheitszeichen angebracht werden. Mit Schreiben vom 15. November 1989 teilte der Sicherheitsinspektor G. der Staatlichen Versicherung der DDR, Kreisdirektion E-Stadt, das Ermittlungsergebnis dahingehend mit, dass der Kläger über die vorhandene Absperrung gesprungen sei und durch seine unüberlegte Handlungsweise die Ursache für den Arbeitsunfall gesetzt habe.
Im Juni 2010 bat der Kläger um eine Überprüfung seines Arbeitsunfalls. Er habe nie einen Bescheid erhalten.
Mit Bescheid vom 19. August 2010 lehnte die jetzige Beklagte eine Rücknahme der Entscheidung der Staatlichen Versicherung ab. Gemäß einem Vermerk der Staatlichen Versicherung der DDR vom 31. Oktober 1989 auf der Rückseite der Unfallmeldung sei das Ereignis als Arbeitsunfall abgelehnt worden. Nach Art. 19 des Einigungsvertrages (EinigVtr) blieben Verwaltungsakte der DDR wirksam. Die damalige Entscheidung könne nur aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar wäre (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 11. September 2001 - B 2 U 32/00 R -, SozR 3-8100 Art. 19 Nr. 8 und juris; Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss des Ersten Senats vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 -, BVerfGE 117, 302 und juris). Entsprechendes sei den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2010 zurück.
Im Klageverfahren zog das Sozialgericht Landshut das Original der Unfallmeldung bei, welches jedoch nach Abschluss des Verfahrens wieder an den Insolvenzverwalter der LPG Pflanzenproduktion S. zurückgesandt worden ist. Im Protokoll eines Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 19. Oktober 2011 ist festgehalten, dass den Beteiligten das Original der Unfallmeldung vom 26. Oktober 1989 zur Kenntnis gegeben worden ist. Das Original entsprach der Kopie auf Blatt 14 der Verwaltungsakte (bzw. jetzt Blatt 12-1 des Ausdruckes der elektronischen Akte). Auf dem Original war unter Ziffer 22 eine Unterschrift sichtbar, die man offensichtlich zu entfernen versucht habe.
Die Beklagte berief sich weiterhin auf die Bindungswirkung der bereits in der DDR getroffenen Entscheidung. Nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches der DDR (AGB DDR) hätten Unfälle im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess unter Versicherungsschutz gestanden. Unfälle jedoch, die durch undiszipliniertes Verhalten entstanden seien, seien nicht als Arbeitsunfälle anerkannt worden. Letzteres sei hier der Fall. Nach Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers entbehre dieser Einwand der Beklagten jeder Grundlage. Wenn unter „undiszipliniert“ jegliches Fehlverhalten zu verstehen sei, gebe es keine Arbeitsunfälle mehr.
Mit Gerichtsbescheid vom 30. Januar 2013 (S 9 U 306/10) verpflichtete das Sozialgericht Landshut unter Aufhebung des Bescheides vom 19. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2010 die Beklage, unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Juni 1991 über die Anerkennung des Unfalls vom 24. Oktober 1989 als Arbeitsunfall mit rechtsbehelfsfähigem Bescheid zu entscheiden. Der Kläger habe einen Anspruch auf Korrektur des bestandskräftigen Bescheides vom 26. Juni 1991 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Zwar blieben Verwaltungsakte der DDR, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangen seien, nach Art. 19 EinigVtr grundsätzlich wirksam. Ein Verwaltungsakt in diesem Sinne liege aber nur vor, wenn die Entscheidung durch die Bekanntgabe an den Betroffenen wirksam geworden sei. Eine solche Bekanntgabe sei vorliegend nicht nachgewiesen. Denn aus dem Original der Unfallmeldung lasse sich unter Punkt 22 die Unterschrift des Klägers nicht zweifelsfrei erkennen.
Dagegen legte die Beklagte Berufung ein (L 3 U 87/13). In einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 5. Juli 2013 wies auch die damalige Berichterstatterin darauf hin, dass vorliegend eine Bekanntgabe des Bescheides der Staatlichen Versicherung der DDR nicht nachgewiesen sei. Daher sei eine Entscheidung über den Unfall vom 24. Oktober 1989 erneut zu treffen; dies habe nach § 1150 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu erfolgen. Ob ein bis 31. Dezember 1991 eingetretenes Ereignis einen Arbeitsunfall begründe, richte sich aufgrund des EinigVtr nach dem Recht der ehemaligen DDR. Nach § 1150 Abs. 1 RVO gelte das Recht der RVO. Entscheidend sei der Zeitpunkt des Ereignisses, nicht der des Bekanntwerdens oder der Entscheidung. Die Beklagte erklärte sich daraufhin bereit, unter Aufhebung des Bescheides vom 19. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2010 und des Bescheides vom 26. Juni 1991, die Frage, ob das Ereignis vom 24. Oktober 1989 ein Arbeitsunfall ist, unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze zu verbescheiden. Außerdem erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt.
In Ausführung dieses Vergleichs hob die Beklagte zunächst den Bescheid vom 19. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2010 sowie den Bescheid vom 26. Juni 1991 auf (Bescheid vom 30. Juli 2013) und führte anschließend weitere Ermittlungen zu dem Ereignis vom 24. Oktober 1989 durch.
Der Kläger gab zum Unfallhergang in einer E-Mail vom 23. Januar 2014 an, dass er zum damaligen Zeitpunkt als Traktorfahrer auf dem Kartoffelsortierplatz beschäftigt gewesen sei. Als er nach einer Pause den Pausenraum verlassen habe, um seine Arbeit fortzusetzen, sei er über ein ca. 80 cm hohes Handgeländer gestiegen. Zu diesem Zeitpunkt sei kein Stapler in Sicht gewesen. Erst als er 10 m nach dem Handgeländer die Halle habe verlassen wollen, sei ihm ein mit Paletten geladener Stapler entgegengekommen. Er habe noch einen Schritt zur Seite gemacht, sei aber ausgerutscht und von dem Stapler erfasst worden.
Mit dem aktuell angefochtenen Bescheid vom 2. April 2014 lehnte die Beklagte eine Anerkennung des Ereignisses vom 24. Oktober 1989 als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall ab. Nach § 1150 Abs. 2 RVO sei der Unfall nach den Vorschriften der ehemaligen DDR zu prüfen, insbesondere nach dem AGB DDR. Gemäß § 267 Abs. 2 AGB DDR habe eine Schadenersatzpflicht nicht bestanden, wenn der Werktätige seine Pflichten im Arbeitsschutz grob missachtet hatte. Nach § 252 AGB DDR seien Werktätige, die schuldhaft (fahrlässig oder vorsätzlich) gegen die Arbeitsdisziplin verstoßen hätten, disziplinarisch bzw. materiell zur Verantwortung gezogen worden. Mit dem Überspringen bzw. Unterqueren der Absperrung habe der Kläger zumindest grob fahrlässig gegen die „Arbeitsdisziplin“ und die „arbeitsrechtliche Verantwortung“ gemäß § 252 AGB DDR verstoßen. Dies werde auch in der Auswertung des Unfallherganges und der Unfallmeldung belegt. Ein versicherter Unfall habe daher nicht vorgelegen.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2014 zurück.
Dagegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Sozialgericht Landshut.
In der mündlichen Verhandlung am 2. Dezember 2015 erklärte der Kläger, er bestreite nicht, einen etwa 80 cm hohen Handlauf überstiegen zu haben. Dieser habe als Haltegriff für die Kartoffelsortierer (ältere Menschen) gedient. Er sei jedoch erst mehrere Meter nach diesem Handlauf von dem Gabelstapler erfasst worden, weil er dort auf irgendetwas (vielleicht einer Öllache) ausgerutscht sei. Nach seinem Unfall sei der Handlauf entfernt worden und der Bereich komplett mittels einer Überdachung zugemacht worden.
Mit Urteil vom 2. Dezember 2015 (S 15 U 260/14) wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger durch Überspringen einer Absperrung eine damalige Arbeitsschutzvorschrift fahrlässig verletzt habe. Er sei in einen abgesperrten Bereich eingedrungen und dort habe sich die Gefahr, vor der die Absperrung habe schützen sollen, verwirklicht. Eine Anerkennung als Arbeitsunfall nach dem damals geltenden Recht der DDR (vgl. § 1150 Abs. 2 RVO) komme somit nicht in Betracht.
Gegen das ihm am 11. Januar 2016 zugestellte Urteil hat der Bevollmächtigte des Klägers am 11. Februar 2016 Berufung eingelegt. Bei dem fraglichen Unfall handele es sich unstreitig um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 220 AGB DDR. Soweit § 267 Abs. 2 AGB DDR vorsehe, dass eine Schadenersatzpflicht bei einem Arbeitsunfall unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestehe, setze dies voraus, dass eine „grobe Missachtung der Pflichten im Gesundheits- und Arbeitsschutz“ vorliege und die Pflicht zudem „vorsätzlich verletzt“ worden sei. Vorliegend könne erstens von einem grob fahrlässigen Verhalten keine Rede sein. Der Kläger habe einen Handlauf überstiegen, der nicht als gesonderte Sicherheitseinrichtung gekennzeichnet gewesen sei. Dies sei erst nach dem Unfall nachgeholt worden. Zweitens sei das Übersteigen des Handlaufs gar nicht ursächlich für den Unfall gewesen. Schließlich würden für Vorsatz keine Anhaltspunkte bestehen.
Die Beklagte hat hierauf erwidert, dass der Sachverhalt damals unmittelbar nach dem Unfall ausreichend ermittelt worden sei. Nach diesen Ermittlungen hätten die Sozialversicherungsbehörden der DDR das Ereignis als nicht versichert gewertet. Eine Verstärkung von Sicherheitsmaßnahmen sei gängige Praxis und lasse keine Rückschlüsse darauf zu, dass der Kläger den Unfall nicht fahrlässig verursacht habe. Dass überdies eine nochmalige Belehrung der Beschäftigten veranlasst worden war, beinhalte, dass bereits zuvor eine entsprechende Belehrung erfolgt war. Was eine nochmalige Einvernahme der benannten Zeugen bringen solle, sei nach der langen Zeit nicht ersichtlich.
Der Senat hat die Zeugen G., H. und C. mit Hilfe eines umfangreichen Fragenkatalogs (Anschreiben vom 12. Februar 2018) schriftlich befragt. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Zeuge H. bereits verstorben ist. Die mittlerweile 87-jährige Zeugin G. hat am 19. Februar 2018 die einzelnen Fragen nicht konkret beantwortet, sondern lediglich pauschal vermerkt, „keine Erinnerungen an den Unfall“ zu haben. Der Zeuge C. hat am 19. Februar 2018 angegeben, sich an den Unfall nicht erinnern zu können. Auf die Frage, ob es im Bereich zwischen der Tür des Pausenraumes und der Kartoffelhalle Sicherungsmaßnahmen gegeben habe, hat er geantwortet: „ein Geländer“. Die weiteren Nachfragen zum Vorhandensein einer Absperrung oder eines Handlaufs/ Haltegriffes für die Kartoffelsortierer hat er verneint. An den genauen Unfallort könne er sich nicht erinnern, der Unfall habe aber wohl „in der Halle“ stattgefunden. Der Zeuge hat aber verneint, den Unfall gesehen zu haben. Die meisten Fragen hat der Zeuge C. mit „keine Ahnung“ beantwortet. Er könne leider keine Angaben mehr machen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Fragenkatalog und die jeweiligen Antworten der beiden Zeugen.
Der Bevollmächtigte des Klägers hat die Ladung des Zeugen C. zur mündlichen Verhandlung beantragt. Zum Vortrag der Beklagten hat er ergänzend ausgeführt, dass diese den Begriff der „Arbeitsdisziplin“ verkenne. Dieser beziehe sich nur auf die Herbeiführung von Schäden am sozialistischen Eigentum. Die Beklagte hat demgegenüber eine Einvernahme des Zeugen für nicht erforderlich erachtet. Neue Erkenntnisse seien daraus nicht zu erwarten.
Nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2018 hat der Zeuge C. mit Schreiben vom 5. August 2018 nochmals bekräftigt, während des Unfalls in der Kartoffelhalle nicht anwesend gewesen zu sein. Er habe sich im Kantinenbereich befunden und vom Unfall erst durch Lärm und Zurufe mitbekommen. Zur mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2018 ist der Zeuge nicht erschienen, nachdem er zuvor telefonisch darauf hingewiesen hatte, dass er dement sei und ihm eine Anreise nicht möglich sei. Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung angehört worden und hat hierbei seine bisherigen Angaben vertieft. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 2. Dezember 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2014 zu verurteilen, den Unfall des Klägers vom 24. Oktober 1989 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakten S 9 U 306/10 und L 3 U 87/13 sowie S 15 U 260/14 und L 3 U 43/16 sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und bedarf keiner Zulassung (§ 144 SGG).
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das Sozialgericht Landshut hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage auf Anerkennung des Unfalles des Klägers vom 24. Oktober 1989 als Arbeitsunfall ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 - B 2 U 8/11 R -, BSGE 111, 37 und juris Rn. 13 m.w.N.) und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 2. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
1. Grundlage des Bescheides der Beklagten vom 2. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2014 ist der im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor dem Bayerischen Landessozialgericht am 5. Juli 2013 geschlossene gerichtliche Vergleich, mit dem sich die Beklagte bereit erklärt hat, über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls „unter Berücksichtigung der [in diesem Termin von der damaligen Berichterstatterin] dargelegten Grundsätze“ zu entscheiden. Diese dargelegten Grundsätze bedürfen der Auslegung. Denn in der Sitzungsniederschrift wird auf § 1150 Abs. 1 RVO verwiesen. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch für den Senat, dass die Rechtsgrundlage des § 1150 Abs. 2 RVO gemeint gewesen sein muss. Dies entspricht zudem der geltenden Rechtslage und wurde von der Beklagten im angefochtenen Bescheid auch in dieser Weise gehandhabt.
Nach § 215 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs. 2 und 3 RVO in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden. Der Anspruch des Klägers richtet sich daher nach § 1150 Abs. 2 RVO in der am 31. Dezember 1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl. I 1606, 1688), denn der geltend gemachte Unfall ist am 24. Oktober 1989, mithin vor dem 1. Januar 1992, im Beitrittsgebiet eingetreten. Nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet (d.h. in der ehemaligen DDR) geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO. Sie sind somit als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne der RVO anzuerkennen. Einer der beiden Ausschlusstatbestände nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 RVO liegt hier nicht vor, insbesondere nicht der Ausnahmetatbestand nach Nr. 1. Denn die BG Druck und Papierverarbeitung als einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung hat von dem Unfall des Klägers bereits am 23. April 1991 und somit bis zum 31. Dezember 1993 Kenntnis erlangt (vgl. hierzu insgesamt auch BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 5/12 R -, SozR 4-2200 § 1150 Nr. 2 und juris Rn. 14 f.).
Ein nach Art. 19 EinigVtr grundsätzlich bindender Verwaltungsakt der Staatlichen Versicherung der DDR existiert im vorliegenden Fall nicht. Es konnte bereits im vorangegangenen Verfahren (S 9 U 306/10 und L 3 U 87/13) nicht festgestellt werden, dass die auf der Unfallmeldung dokumentierte Verneinung eines Arbeitsunfalls dem Kläger bekannt gegeben und dadurch als Verwaltungsakt wirksam bzw. existent geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 1999 - B 8 KN 18/97 R -, BSGE 85, 186 und juris Rn. 21, 24); dies war der Grund für den am 5. Juli 2013 geschlossenen Vergleich.
2. Somit ist nach dem Recht der ehemaligen DDR zu prüfen, ob der Kläger am 24. Oktober 1989 einen Arbeitsunfall erlitten hat oder nicht. Dies ist zu bejahen. Im Übrigen wäre für den Fall, dass vorliegend die Regelungen der RVO über die Voraussetzungen zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles zur Anwendung kommen würden, das Vorliegen eines Arbeitsunfalles erst recht zu bejahen. Denn nach dem Recht der RVO stellt sich die hier diskutierte Frage einer Missachtung von Arbeitsschutzmaßnahmen durch den Kläger nicht.
a) Die hier zu berücksichtigenden Vorschriften des AGB DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I Nr. 18, S. 185) galten für alle Werktätigen (Arbeiter und Angestellte; vgl. Petri u.a., Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, 1993, S. 27) und hatten folgenden Inhalt:
10. Kapitel: Gesundheits- und Arbeitsschutz
§§ 201 bis 216 […] Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten
§§ 217 bis 219 […]
§ 220
(1) Ein Arbeitsunfall ist die Verletzung eines Werktätigen im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozeß. Die Verletzung muss durch ein plötzliches, von außen einwirkendes Ereignis hervorgerufen worden sein.
(2) Als Arbeitsunfall gilt auch ein Unfall auf einem mit der Tätigkeit im Betrieb zusammenhängenden Weg zur und von der Arbeitsstelle.
(3) […]
(4) […]
(5) Ein Unfall, als dessen Ursache Alkoholmißbrauch des Werktätigen festgestellt wird, gilt nicht als Arbeitsunfall.
§ 221 […]
§ 222
Die Entscheidung, ob ein Arbeitsunfall bzw. eine Berufskrankheit vorliegt, trifft die Betriebsgewerkschaftsleitung bzw. die Verwaltung der Sozialversicherung beim Kreisvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes
…
13. Kapitel: Arbeitsrechtliche Verantwortlichkeit der Werktätigen Grundsätze
§ 252
(1) […]
(2) Werktätige, die schuldhaft (fahrlässig oder vorsätzlich) gegen die Arbeitsdisziplin verstoßen bzw. das sozialistische Eigentum geschädigt haben, können disziplinarisch bzw. materiell zur Verantwortung gezogen werden, wenn die nach diesem Gesetz erforderlichen Voraussetzungen vorliegen.
(3) Fahrlässig handelt, wer aus mangelnder Sorgfalt, Leichtfertigkeit, Gleichgültigkeit oder ähnlichen Gründen seine Arbeitspflichten verletzt bzw. das sozialistische Eigentum schädigt, obwohl er die Möglichkeit zum pflichtgemäßen Verhalten bzw. zur Verhütung des Schadens hatte.
(4) Vorsätzlich handelt, wer seine Arbeitspflichten bewußt verletzt bzw. das sozialistische Eigentum bewußt schädigt oder sich mit diesen Folgen seines Handelns bewusst abfindet.
§§ 253 bis 266 […]
14. Kapitel: Schadenersatzleistungen des Betriebes Schadenersatz bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit
§ 267
(1) Bei einem Arbeitsunfall gemäß § 220 Abs. 1 […] hat der Betrieb den Werktätigen den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen.
(2) Eine Schadenersatzpflicht bei einem Arbeitsunfall besteht nicht, wenn der Werktätige trotz ordnungsgemäßer Belehrung, Unterweisung und Kontrolle aus grober Mißachtung seiner Pflichten im Gesundheits- und Arbeitsschutz diese vorsätzlich verletzt, dadurch der Arbeitsunfall herbeigeführt worden ist und der Betrieb dafür keine Ursache gesetzt hat.
§§ 268 bis 273 […] Die hier außerdem in Rede stehenden TGL 30104 (Gruppe 923070, DDR-Standard, Arbeitsschutz- und brandschutzgerechtes Verhalten, Allgemeine Feststellungen, Oktober 1978, verbindlich ab 1. Juli 1979; TGL stand in der ehemaligen DDR für Technische Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen; die DDR-Standards galten für die gesamte Volkswirtschaft) lauteten damals wie folgt (eine Kopie befindet sich auf Bl. 129-1 f. des Ausdruckes der elektronischen Verwaltungsakte, hierauf wird Bezug genommen):
Dieser Standard gilt für alle Werktätigen beim Umgang mit Arbeitsmitteln, beim Durchführen von Arbeitsverfahren und beim Aufenthalt in/auf Arbeitsstätten.
…
1. Allgemeines
…
2. Grundforderungen
Jeder Werktätige […] hat
- […]
- die für ihn geltenden Rechtsvorschriften, betrieblichen Regelungen und Weisungen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes konsequent einzuhalten (2. Spiegelstrich).
- […]
- mutwillige Handlungen und Verhaltensweisen, die gefährdend wirken, zu unterlassen (9. Spiegelstrich).
- […]
3. bis 6. […].
b) Der Senat ist vorliegend im Vollbeweis vom Vorliegen der Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall überzeugt (hierzu unter aa)). Demgegenüber kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der grundsätzlich bestehende Versicherungsschutz aufgrund eines relevanten Fehlverhaltens des Klägers entfallen wäre. Die Beweislast hierfür träfe grundsätzlich die Beklagte. Darauf kommt es jedoch hier nicht an, weil für den Senat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass dem Kläger allenfalls ein rechtlich unschädliches einfaches Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Sein Verhalten war zudem nicht ursächlich für den Unfall (hierzu unter bb)).
aa) Der Kläger war vorliegend in der LPG Pflanzenproduktion S. als Werktätiger beschäftigt, als er während dieser Tätigkeit am 24. Oktober 1989 auf dem Kartoffelsortierplatz den fraglichen Unfall erlitten hat.
Als Werktätiger war er nach § 220 Abs. 1 AGB DDR gegen das Risiko eines Arbeitsunfalles versichert. Ein Unfallereignis im Sinne von § 220 Abs. 1 Satz 2 AGB DDR hat zweifellos vorgelegen, als der Kläger am 24. Oktober 1989 von dem Gabelstapler erfasst worden ist und dabei Frakturen im Bereich des linken Beines erlitten hat. Denn die Verletzung wurde durch ein plötzliches, von außen einwirkendes Ereignis hervorgerufen. Dies ergibt sich für den Senat im Vollbeweis aus der damaligen Unfallmeldung, den von der BG Druck und Papierverarbeitung beigezogenen, unfallzeitpunktnahen ärztlichen Befunden, dem Bericht des D-Arztes Dr. G. sowie den glaubwürdigen eigenen Angaben des Klägers. Aus den genannten Unterlagen und Angaben ergibt sich ein entsprechend stimmiges und widerspruchsfreies Bild des Unfallgeschehens.
Darüber hinaus setzte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles voraus, dass die Verletzung des Werktätigen im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess (vgl. § 220 Abs. 1 Satz 1 AGB DDR) eingetreten war. Im Fall des Klägers ist diese Voraussetzung ebenfalls erfüllt.
Für die Beurteilung der Frage, welche Handlungen „im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess“ gestanden haben, ist nach der Rechtsprechung des BSG insbesondere von der Konkretisierung dieser Norm durch die Rechts- und Verwaltungspraxis der ehemaligen DDR auszugehen. Dabei haben indes Bestimmungen und Auslegungsgrundsätze, die von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt waren, unberücksichtigt zu bleiben. Der Verwaltungspraxis der ehemaligen DDR kann bei der Konkretisierung des jeweiligen Inhalts einer Norm dann entscheidende Bedeutung beigemessen werden, wenn diese Praxis sich zweifelsfrei feststellen lässt, mit dem Wortlaut der betreffenden Norm in Einklang steht und sich innerhalb der genannten Schranken hält. Dadurch wird einerseits der Zielsetzung, die Betroffenen während eines Übergangszeitraums in dem in der ehemaligen DDR geltenden Rechtszustand zu belassen, in vollem Umfang Rechnung getragen; andererseits wird das Recht der ehemaligen DDR nur insoweit angewandt, als dies mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 35/00 R -, SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1 und juris Rn 15 ff. m.w.N.).
Nach der in der ehemaligen DDR geltenden Rechtslage lag ein Arbeitsunfall im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess dann vor, wenn sich der Unfall in Erfüllung der Pflichten des Werktätigen aus dem Arbeitsrechtsverhältnis ereignet, der Unfall auf dem Betriebsgelände (räumlicher Zusammenhang) oder während der Arbeitszeit (zeitlicher Zusammenhang) eintritt. Der Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess ist auch während einer angemessenen Zeit vor oder nach der Arbeitsschicht gegeben (z.B. das Umkleiden vor oder nach der Arbeitsschicht oder der Lohnempfang im Betrieb). Gleiches gilt für die gesetzlich festgelegten Arbeitspausen. Hier setzt die Anerkennung als Arbeitsunfall voraus, dass der Unfall im Zusammenhang mit einer ihrem Zweck entsprechenden Gestaltung der Arbeitspause eingetreten ist (Arbeitsrecht von A bis Z, Lexikon von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Frithjof Kunz, Staatsverlag der DDR, Berlin 1984, S. 60).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger den Unfall am 24. Oktober 1989 im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess erlitten. Der Kläger befand sich im Zeitpunkt des Unfalles auf dem Rückweg von einer Pause an seinen Arbeitsplatz. Nach seinen für den Senat absolut glaubwürdigen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2018 hatte der Kläger in dem dafür vorgesehenen Pausenraum eine kurze Kaffeepause gemacht, während er das Beladen seines Traktors abwartete. Es handelte sich somit um eine ihrem Zweck entsprechend gestaltete Pause. Der Unfall ereignete sich auf dem ebenfalls versicherten unmittelbaren Rückweg zum Arbeitsplatz.
bb) Dieser Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Arbeitsprozess wurde nicht durch ein mutwilliges Verhalten des Klägers oder einen Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften gelöst.
Zwar bestand nach dem Recht der ehemaligen DDR kein Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess bei Unfällen, die zwar während der Arbeitszeit (bzw. unmittelbar vor oder nach der Arbeitsschicht) und auf dem Betriebsgelände eingetreten sind, aber durch eine betriebsfremde Tätigkeit hervorgerufen wurden. Gleiches traf zu, wenn ein Werktätiger sich disziplinwidrig verhalten hatte und auf diese Weise mutwillig eine Gefahrensituation für sich geschaffen hatte (z.B. durch Schlägerei, Tollkühnheit, leichtsinnige Mutproben u.ä.). Ein Unfall, als dessen Ursache Alkoholmissbrauch festgestellt wurde, galt ebenfalls nicht als Arbeitsunfall (§ 220 Abs. 5 AGB DDR). In diesen Fällen war jedoch sorgfältig zu prüfen, ob der Unfall als Folge des Alkoholgenusses bzw. des disziplinwidrigen Verhaltens eingetreten war (vgl. Arbeitsrecht von A bis Z, Lexikon von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Frithjof Kunz, Staatsverlag der DDR, Berlin 1984, S. 61; ebenso: Petri u.a., Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, 1993, S. 30). Andererseits schloss eine eigene Pflichtverletzung - bezogen auf die Pflichten im Gesundheits- und Arbeitsschutz - die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall nicht aus (Petri u.a., Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, 1993, S. 30 und 216).
Das Thüringer Landessozialgericht (Urteil vom 26. Juni 1997 - L 2 U 117/96 -, juris Rn. 24 zu § 220 AGB DDR) hat hierzu entschieden:
„Nach der DDR-Praxis wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Betriebstätigkeit und dem Unfallereignis gefordert, der in der Regel nur dann gegeben war, wenn zwischen der Betriebstätigkeit und dem Unfall ein zeitlicher oder räumlicher Zusammenhang bestand. Ein bloßer Zusammenhang genügte jedoch nicht, wenn der Unfall zwar während der Arbeitszeit (beziehungsweise in den Räumen des Betriebes) aber bei einem völlig betriebsfremden Verhalten (zum Beispiel durch eigenwirtschaftliche Tätigkeit, Diebstahl, Trunkenheit) eintrat (vgl. Handbuch der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten, Grundsätze für die einheitliche Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten, herausgegeben vom FDGB 1962, S. 37). Eine betriebsfremde Tätigkeit (und damit ein fehlender Zusammenhang zwischen Unfall und dem Arbeitsprozess) wurde auch dann angenommen, wenn ein Versicherter durch undiszipliniertes Verhalten mutwillig eine Gefahrenlage für sich geschaffen hatte, beispielsweise durch Alkoholmissbrauch, Spielerei, Schlägerei, Tollkühnheit, leichtsinnige Mutproben oder ähnliches (vgl. Beschluss der Bezirksbeschwerdekommission für Sozialversicherung Halle vom 4. Juni 1985, in: Arbeit und Arbeitsrecht - AuA - 1986, S. 212).“
Nach dem Recht der DDR sollte somit nicht jedes Fehlverhalten eines Versicherten den Unfallversicherungsschutz entfallen lassen. Vielmehr musste das Fehlverhalten (nicht das Unfallereignis) eine bestimmte Qualität erreichen, durch die es sich von dem üblichen Arbeitsprozess deutlich abhob. Vorliegend kann sich der Senat weder im notwendigen Vollbeweis davon überzeugen, dass sich der Kläger in dem genannten Sinne mutwillig oder disziplinwidrig verhalten hätte, noch vermag der Senat festzustellen, dass ein solches Verhalten ursächlich für den Unfall geworden sein könnte. Für eine sonstige betriebsfremde Tätigkeit ergeben sich ohnehin keine Anhaltspunkte.
Vielmehr ist der Senat im Vollbeweis davon überzeugt, dass dem Kläger allenfalls ein einfaches Fehlverhalten vorgeworfen werden kann, welches zudem nicht ursächlich für den Unfall geworden ist. Zwar war das Unfallereignis in der ehemaligen DDR einer Untersuchung unterzogen worden. Dabei war der Sicherheitsinspektor G. zu der Einschätzung gekommen, dass der Kläger selbst die Ursache für den Unfall gesetzt habe, weil er eine Absperrung missachtet habe bzw. durch seine unüberlegte Handlungsweise. Das damalige Untersuchungsergebnis ist jedoch im Rahmen der Prüfung gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO i.V.m. dem Recht der ehemaligen DDR kritisch zu hinterfragen. Dabei ergibt sich, dass die festgestellten Tatsachen, soweit sie dokumentiert worden sind, die damalige Bewertung nicht tragen.
Die Unterlagen der damaligen Arbeitsschutzuntersuchung lassen nur vage Aussagen darüber zu, ob und ggf. in welcher Weise der Kläger mutwillig gehandelt hat oder sich arbeitsschutzwidrig verhalten hat. Letztlich stützte der Arbeitsinspektor seine Einschätzung auf die Aussagen von drei Zeugen. Diese Aussagen hat er offenbar selbst niedergeschrieben; eine Unterschrift der Zeugen ist nicht aktenkundig. Der Senat kann daher nicht prüfen, ob und ggf. inwieweit die Zeugenaussagen verkürzt, verfälschend oder missverständlich wiedergegeben worden sein könnten. Dies ist insbesondere für die Angaben der Zeugen C. und H. relevant. So kann der Dokumentation der Zeugenaussage des Gabelstaplerfahrers H. aufgrund der Formulierung nicht mit Gewissheit entnommen werden, ob dieser den Kläger im Bereich der fraglichen Absperrung überhaupt wahrgenommen hat oder nicht bzw. ob er lediglich nicht angeben konnte, ob der Kläger die fragliche Absperrung über- oder unterquert haben soll. Hierin liegt jedoch ein für die Beweiswürdigung relevanter Unterschied. Die Aufzeichnungen der Angaben des Zeugen C. legen nahe, dass dieser den gesamten Geschehensablauf beobachtet habe. Ein klares Bild ergibt sich daraus dennoch nicht. Zwar soll der Zeuge C. gesehen haben, dass der Kläger die fragliche Absperrung über- oder unterquert habe. Es stellt sich jedoch die Frage, wieso ein Zeuge, der offenbar binnen zwei Tagen nach dem Unfallereignis befragt worden ist, nicht angeben kann, in welcher Weise die angebliche Absperrung überwunden worden sein soll. Es fällt außerdem auf, dass sich der Zeuge C. nach seinen damaligen Angaben zum Unfallzeitpunkt „draußen an den Bunkern“ aufgehalten habe, so dass Zweifel dahingehend angebracht sind, ob der Zeuge tatsächlich das gesamte Geschehen beobachten konnte. Schriftlich hat der Zeuge im Berufungsverfahren nunmehr mitgeteilt, den Unfall nicht gesehen zu haben, weil er sich im Kantinenbereich befunden habe. Die Zeugin G. hat den Unfall ohnehin nicht persönlich gesehen und konnte daher keine Angaben zu einem etwaigen Fehlverhalten des Klägers machen.
Des Weiteren sprechen die damaligen Feststellungen dafür, dass es im Bereich der Unfallstelle irgendeine Form von Absperrung gegeben hat. Denn diese sollte nach oben erhöht und nach unten verdichtet werden. Außerdem sollten Sicherheitszeichen angebracht werden und die Werktätigen wurden nochmals belehrt. Nicht entnehmen lässt sich den damaligen Aufzeichnungen allerdings, ob die fragliche Absperrung bereits im Unfallzeitpunkt als Sicherheitseinrichtung gekennzeichnet gewesen ist (insbesondere, ob bereits damals Sicherheitszeichen angebracht gewesen sind), worüber die Werktätigen konkret belehrt worden sind, um welche Art von Absperrung es sich gehandelt haben soll, welchem Zweck die fragliche Absperrung gedient haben soll, in welcher Entfernung zu der fraglichen Absperrung sich der Unfall ereignet haben soll und in welcher Art und Weise und in welchem Umfang tatsächlich das etwaige Überwinden der Absperrung ursächlich für den Unfall geworden sein soll. Es bleibt auch offen, auf welcher Grundlage der Sachverhalt in der Unfallmeldung dahingehend dargestellt worden ist, dass der Kläger weder rechts noch links geschaut habe. Aus der Niederschrift der Zeugenangaben ergibt sich dies jedenfalls nicht.
Soweit darauf hingewiesen worden ist, dass der Kläger die TGL 30104 Punkt 2 nicht beachtet haben soll, bleibt auch dieser Hinweis vage. Das angebliche Fehlverhalten wurde nicht konkret unter die dort aufgelisteten „Grundanforderungen“ (insgesamt elf Spiegelstriche) subsumiert. Darüber hinaus sind in dieser Regelung ganz unterschiedliche Anforderungen an das Verhalten der Werktätigen zusammengefasst. Konkrete bzw. zwangsläufige Konsequenzen für den Unfallversicherungsschutz werden darin nicht genannt. Vorliegend können wohl am ehesten die Spiegelstriche 2 und 9 der genannten TGL in Betracht gezogen werden. Insbesondere ein Verstoß gegen Spiegelstrich 2 (wonach jeder Werktätige die für ihn geltenden Rechtsvorschriften, betrieblichen Regelungen und Weisungen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes konsequent einzuhalten hat) ist jedoch in verschiedenen Ausprägungen mit sehr unterschiedlichen Vorwurfsgehalt gegenüber dem Betroffenen denkbar.
Diesen damaligen Unterlagen stehen die eigenen Angaben des Klägers gegenüber, die dieser in der mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2018 in einer für den Senat absolut glaubwürdigen Art und Weise nochmals wiederholt und vertieft hat. Widersprüche, die den Senat am Wahrheitsgehalt der Angaben zweifeln lassen, haben sich dabei nicht ergeben.
Insoweit ist zunächst zu betonen, dass die vorhandenen Aufzeichnungen über die Ermittlungen in der ehemaligen DDR keine Wiedergabe einer eigenen Unfallschilderung des Klägers enthalten. Aktenkundig ist lediglich eine handschriftliche Notiz, wonach der Kläger nicht damit einverstanden war, dass der Unfall von der Versicherung nicht anerkannt wird; unbekannt ist, mit welchen Feststellungen der Kläger nicht einverstanden war, wer die Notiz verfasst hatte, wann die Notiz verfasst worden ist und ob damals bereits eine Entscheidung getroffen worden war oder ob diese erst noch getroffen werden sollte. Die zeitlich erste Aufzeichnung der Angaben des Klägers ergibt sich aus dem Bericht des D-Arztes Dr. G. vom 18. April 1991. Dieser dokumentierte, dass der Kläger auf glattem Boden weggerutscht ist und ihm ein entgegenkommender Gabelstapler über das linke Bein gefahren ist. Anlässlich der ersten Rentenbegutachtung, die am 12. Juli 1991 ebenfalls durch Dr. G. erfolgte, wurde beschrieben, dass der Kläger auf einer öligen Spur in der Halle der Pflanzenproduktion S. ausgerutscht und direkt mit der linken Seite in den Gabelstapler gerutscht ist.
Eigene Angaben machte der Kläger in seiner E-Mail an die Beklagte vom 23. Januar 2014 sowie in den mündlichen Verhandlungen vor dem Sozialgericht am 2. Dezember 2015 und dem Landessozialgericht am 17. Oktober 2018. Nach diesen übereinstimmenden und für den Senat glaubwürdigen Angaben ergibt sich, dass der Kläger auf dem Kartoffelsortierplatz der LPG Pflanzenproduktion S. in Sch. am Unfalltag als Traktorfahrer tätig war. Nach einer kurzen Kaffeepause (der Kläger musste das Beladen seines Traktors abwarten), befand er sich auf dem Rückweg zu seinem Arbeitsplatz draußen vor der Halle, um seine Arbeit fortzusetzen. Beim Verlassen des Pausenraumes überstieg er dort, wie er ausdrücklich einräumt, einen 80 cm hohen und lediglich 2 m langen Handlauf (Geländer). In diesem Moment hat der Kläger jedoch keinen Gabelstapler gesehen. Erst etwa 10 m weiter (etwa im Bereich der Toreinfahrt) kam ihm der Gabelstapler entgegen. Bei dem Versuch auszuweichen, ist er auf einer glatten Stelle ausgerutscht (möglicherweise einer Öllache); in diesem Moment wurde er von dem Gabelstapler im Bereich des linken Beines erfasst und überrollt.
Der Senat ist danach davon überzeugt, dass es sich bei der „Absperrung“, von der in den Unterlagen aus der ehemaligen DDR die Rede ist, nicht um eine als solche gekennzeichnete Absperrung im arbeitsschutzrechtlichen Sinn gehandelt hat, sondern lediglich um ein Geländer bzw. einen Handlauf. Möglicherweise war diesem Geländer damals rein faktisch auch eine Absperrfunktion zugedacht worden. Dies erscheint dem Senat plausibel anhand der Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Denn danach befand sich der Eingang/Ausgang zum Pausenraum direkt neben der Fahrbahn der Gabelstapler. Vermutlich sollte das Geländer die Werktätigen hier zu einer gewissen Vorsicht anhalten. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Überprüfungen der Arbeitsschutzinspektion der DDR, die ebenso den Schluss zulassen, dass eine gekennzeichnete Absperrung im arbeitsschutzrechtlichen Sinn erst nach dem Unfallereignis des Klägers errichtet werden sollte. Ein Überschreiten der Fahrbahn sollte letztlich ohnehin nicht verhindert werden. Denn nach den glaubhaften Ausführungen des Klägers war ein Betreten der Fahrbahn regelmäßig erforderlich, um zu den verschiedenen Arbeitsplätzen zu gelangen; auch der Kläger konnte nur über die Fahrbahn zurück zu seinem Arbeitsplatz gelangen. Wäre er nicht über den Handlauf gestiegen, hätte er den etwas längeren Weg darum herum wählen müssen; anschließend hätte er ebenfalls die Fahrbahn betreten müssen.
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger mit seinem Verhalten nicht mutwillig im oben genannten Sinne eine Gefahrenlage für sich geschaffen. Vielmehr handelte es sich allenfalls um ein einfaches Fehlverhalten. Eine eigene Verletzung von Pflichten im Gesundheits- und Arbeitsschutz schloss aber die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall nach dem Recht der DDR gerade nicht aus.
Darüber hinaus fehlt es an der Ursächlichkeit eines etwaigen Fehlverhaltens für den eingetretenen Unfall. Denn nach den für den Senat überzeugenden Angaben des Klägers hat der Unfall erstens nicht unmittelbar im Bereich des Geländers stattgefunden, sondern erst etwa 10 m davon entfernt in einem Bereich, in den der Kläger auch dann gelangt wäre, wenn er nicht über den Handlauf gestiegen wäre. Zweitens konnte der Kläger dem Gabelstapler deshalb nicht ausweichen, weil er auf etwas ausgerutscht ist. Dieses Ausrutschen war zumindest wesentlich mitursächlich für den eingetretenen Unfall und war nicht Folge des Überwindens der Absperrung.
cc) Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Regelung des § 267 Abs. 2 AGB DDR. Abgesehen davon, dass nach den obigen Ausführungen auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt sind, bezieht sich diese Regelung aus dem 14. Kapitel des AGB DDR ausschließlich auf die in diesem Kapitel geregelten Schadenersatzleistungen des Betriebes, hier konkret den betrieblichen Schadenersatz bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Die Anwendung der Regelung setzt bereits nach ihrem Wortlaut das Vorliegen eines Arbeitsunfalles nach § 220 Abs. 1 AGB DDR (vgl. § 267 Abs. 1 AGB DDR) voraus. Bei Vorliegen der in § 267 Abs. 2 AGB DDR genannten weiteren Voraussetzungen besteht dann trotz Vorliegens eines solchen Arbeitsunfalles keine betriebliche Schadenersatzpflicht. Diese betriebliche Schadenersatzpflicht bestand jedoch neben dem Anspruch auf Leistungen der Sozialversicherung.
Bei Vorliegen eines Arbeitsunfalles nach § 220 Abs. 1 bis 3 AGB DDR besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Gewährung der Leistungen der Sozialversicherung; hierbei handelt es sich insbesondere um Ansprüche auf Heilbehandlung, Krankengeld, Unfallrente und Unfallhinterbliebenenrente. Im Falle eines Arbeitsunfalles nach § 220 Abs. 1 AGB DDR bestand daneben ein Anspruch auf Schadensersatz des Werktätigen gegenüber dem Betrieb gemäß §§ 267 ff. AGB DDR; auf diesen Schadenersatz werden Leistungen der Sozialversicherung angerechnet (vgl. Arbeitsrecht von A bis Z, Lexikon von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Frithjof Kunz, Staatsverlag der DDR, Berlin 1984, S. 61 f. und 305 f.; Petri u.a., Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, 1993, S. 35 f. und 49 f.). Die Befreiung von der Schadenersatzpflicht nach § 267 Abs. 2 AGB DDR trat in der Praxis dann ein, wenn sich der Arbeitnehmer vorsätzlich selbst den Gesundheitsschaden zugefügt hatte (Petri u.a., Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, 1993, S. 50). Auch diese Praxis zeigt, dass das Verhalten des Klägers vorliegend nicht die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ausschließt.
dd) Die Regelung des § 252 AGB DDR ist nach Auffassung des Senats vorliegend ebenfalls nicht einschlägig. Die Vorschrift stand im 13. Kapitel des AGB DDR und gehörte somit zu den Regelungen betreffend die arbeitsrechtliche Verantwortlichkeit der Werktätigen. Ein Bezug zum Sozialversicherungsrecht bestand nicht (vgl. Arbeitsrecht von A bis Z, Lexikon von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Frithjof Kunz, Staatsverlag der DDR, Berlin 1984, S. 118 bis 120). Im Übrigen handelte es sich bei der Regelung des § 252 Abs. 2 AGB DDR, der den Werktätigen für einen schuldhaften Verstoß gegen die Arbeitsdisziplin sowie eine schuldhafte Schädigung des sozialistischen Eigentums disziplinarisch bzw. materiell zur Verantwortung zieht, um eine Bestimmung, die erkennbar von spezifisch sozialistischen Wertungen und Rechtsmaximen geprägt war, und daher bei der jetzigen Prüfung unberücksichtigt zu bleiben hat (vgl. BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - B 2 U 35/00 R - SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1 und juris Rn. 15).
3. Der Senat musste sich bei dieser Sach- und Rechtslage und angesichts der glaubwürdigen Einlassungen des Klägers nicht mehr gedrängt fühlen, den Zeugen C. persönlich zu vernehmen. Dieser hatte bereits schriftlich angegeben, keine genauen Angaben zum Unfallhergang sowie zur Unfallörtlichkeit mehr machen zu können. Dies ist nach der vergangenen Zeit von beinahe 30 Jahren mehr als nachvollziehbar. Die Beklagte selbst hatte ihrerseits mehrfach darauf hingewiesen, dass sie sich von einer erneuten Einvernahme des Zeugen keinen weiteren Erkenntnisgewinn verspreche. Ein Beweisantrag ist in der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2018 nicht gestellt worden.
4. Für den Arbeitsunfall des Klägers ist die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der BG Druck und Papierverarbeitung zuständig. Dies ergibt sich aus Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe c Abs. 8 Ziff. 2 Buchst. ff EinigVtr. Danach gelten Arbeitsunfälle, bei denen der Zeitpunkt des Versicherungsfalls vor dem 1. Januar 1991 liegt, die aber erst nach diesem Stichtag, jedoch spätestens bis zum 31. Dezember 1994 angezeigt werden, als Fälle, die entsprechend Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe c Abs. 8 Ziff. 2 Buchstabe aa EinigVtr zu verteilen sind. Satz 2 der zuletzt genannten Regelung sieht vor, dass die Arbeitsunfälle numerisch nach Geburtstag und -monat des Leistungsempfängers, innerhalb eines Geburtstages alphabetisch nach dem Familiennamen verteilt werden. Die insoweit vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften erstellte Liste über die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger für im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1990 eingetretene Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten weist die vom 11. Mai bis zum 17. Mai geborenen Versicherten der BG Druck und Papierverarbeitung zu. Von dieser Zuweisung wird der am 12. Mai 1971 geborene Kläger unabhängig von seinem Familiennamen erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 - B 2 U 19/08 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 13 und juris Rn. 33; BGBl. II 1990, S. 1064; Petri u.a., Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, 1993, S. 93; BG 1992, 325, 326).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
6. Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).