Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Nov. 2014 - L 3 SB 61/13

published on 18/11/2014 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 18. Nov. 2014 - L 3 SB 61/13
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Tenor

I.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 abgewiesen.

II.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2012 wird zurückgewiesen.

III.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 2003 geborene Kläger ist schwerbehindert im Sinne von §§ 2 Abs. 2, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichen „aG“ (= außergewöhnlich gehbehindert) vorliegen, hilfsweise ob das sog. „kleine oder bayerischen aG“ zuzuerkennen ist.

Auf den Erstantrag vom 01.06.2006 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 12.10.2006 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „B“, „G“ und „H“ fest. Berücksichtigt wurden nachstehende Gesundheitsstörungen: Spastische infantile Cerebralparese, kombinierte, sprachbetonte Entwicklungsstörung, rezeptive und expressive Sprachstörung, Entwicklungsstörung der Mundmotorik, geistige Behinderung mit autistischem Verhalten.

Der Antrag auf Feststellung des Merkzeichens „aG“ vom 01.08.2011 wurde mit Bescheid vom 12.09.2011 abgelehnt. Der Kläger gehöre nicht zum Kreis der außergewöhnlich Gehbehinderten, da die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden dürfe. Auch eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde über die gesundheitlichen Voraussetzungen für Parkerleichterungen (= sog. „kleines oder bayerisches aG“) könne nicht ausgestellt werden, da bei dem Kläger keine der folgenden Einschränkungen bestünden: Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirkten) mit GdB 80 und Merkzeichen „G“ und „B“; Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirkten) mit GdB 70 und Herz- oder Lungenleiden mit GdB 50 und Merkzeichen „G“ und „B“; Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa mit Einzel-GdB 60; künstlicher Darmausgang und künstliche Harnableitung nach außen mit Einzel-GdB 70; Conterganschädigung (Fehlen oder starke Verkürzung beider oberer Gliedmaßen) oder vergleichbare Einschränkung (Verlust oder Gebrauchsunfähigkeit beider oberer Gliedmaßen.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2012 zurückgewiesen. Wenngleich bei dem Kläger als Gesundheitsstörungen eine geistige Behinderung mit autistischem Verhalten mit schwerer Sprachentwicklungsstörung (Einzel-GdB 100) und eine spastische infantile Cerebralparese (Einzel-GdB 50) bestünden, sei dieser nicht außergewöhnlich gehbehindert. Es könne auch nicht empfohlen werden, bei der Straßenverkehrsbehörde eine Ausnahmegenehmigung für Parkerleichterungen zu beantragen.

Mitt. Klage zum Sozialgericht München (SG) vom 23.04.2012 haben die Bevollmächtigten des Klägers beantragt, ihm das Merkzeichen „aG“ zuzuerkennen. Auch wenn der Kläger grundsätzlich in der Lage wäre, eine längere Wegstrecke zurückzulegen, tue er dies aufgrund seiner geistigen Behinderung bzw. des Autismus nicht. Diese Störung sei mit einer neuronalen Störung gleichzusetzen.

Das SG hat Befundberichte des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin S. und der Orthopädin Dr. B. mit Fremdbefunden beigezogen. Herr S. hat mit Befundbericht vom 31.05.2012 dargelegt, der Kläger zeige das Vollbild eines frühkindlichen Autismus, verkompliziert durch die Hemispastik und die kognitive Entwicklungsstörung mit einem Entwicklungsrückstand von mehreren Jahren. Er spreche nur vereinzelte Wörter. Seine Mobilität sei stark eingeschränkt und bei weitem nicht altersgerecht; keinerlei Einschätzung von Eigen- oder Fremdgefährdung. Eine gezielte Kommunikation sei mit dem Kläger kaum möglich. Er braucht eine Rund-um-die-Uhr-Betreuuung.

Die Orthopädin Dr. B. hat mit Arztbrief vom 29.06.2009 dargelegt, barfuß zeige er jetzt einen guten Fußbodenkontakt mit Abrollung. Die Hüft- und Knieflexion/-extension ist passiv frei. Die Hüften lassen sich annähernd symmetrisch abspreizen in Beuge- und Streckstellung. Beide Füße können gut über die Mittelstellung bei gestrecktem Knie dorsal flektiert werden. Im Sitzen sei die Wirbelsäule im Lot.

Ergänzend hat Dr. M. (Oberarzt an der Orthopädischen Kinderklinik A.) mit Befundbericht vom 16.12.2009 dargelegt, dass der Kläger in Vorfußbelastung teilweise ohne Fersen-Boden-Kontakt links laufe. Hier sei die Nachtschiene noch indiziert. Auf der rechten Seite bestehe ein vollflächiger Fersen-Boden-Kontakt, insofern sei eine Nachtschiene nicht mehr nötig. Jedoch sei aufgrund des Plattfußes eine Schaleneinlage tagsüber rechts zu tragen.

Der Sachverständige Dr. K. hat mit nervenfachärztlichen Gutachten vom 22.10.2012 ausgeführt, dass bei dem Kläger aufgrund der spastischen Parese eine gewisse Gehbehinderung vorliege, der durch das Merkzeichen „G“ ausreichend Rechnung getragen sei. Im Übrigen habe der Kläger das typische Bild eines frühkindlichen Autismus gezeigt. Er habe mit dem Sachverständigen keinen Kontakt aufgenommen, eine sprachliche Äußerung sei nicht zu erhalten gewesen, er habe durchgängig psychomotorisch unruhig gewirkt. Der Kläger sei immer wieder aufgestanden und durch das Untersuchungszimmer gelaufen und habe sich verschiedene Gegenstände angesehen. Zeitweise habe er sich auch an die Mutter geklammert. Wenn er aufgrund seiner spastischen und autistischen Behinderungen oft nicht bereit sei zu laufen bzw. getragen werden müsse, resultiere hieraus keine außergewöhnliche Gehbehinderung. Vielmehr nehme der Kläger auch am Sportunterricht teil. Laufspiele würden ihm oft Spaß machen.

Das SG hat mit Urteil vom 20.12.2012 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 verurteilt, bei dem Kläger das Merkzeichen „Bayern-aG“ ab Dezember 2012 anzuerkennen. Der Kläger sei aufgrund seiner autistischen Schwerstbehinderung nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Er lebe offensichtlich in seiner eigenen geistigen Welt, in die die Eltern nicht eindringen könnten. Somit sei das Vorbringen der Mutter des Klägers glaubhaft, wonach dieser außerhalb des Fahrzeuges lediglich zwei bis drei Schritte tue und sich dann auf den Boden setze. Von dort sei er nicht mehr zu motivieren, sich aus eigener Kraft oder mit eigenem Willen weiter fortzubewegen. Auch wenn die Behinderungen an den Gliedmaßen nicht genügten, die Voraussetzungen für das Merkzeichen „Bayern-aG“ zu erfüllen, sei das Gericht der Auffassung, dass es sich hier um eine Gangstörung aufgrund der psychischen Behinderung handele, die den Kläger außerstande setze, sich außerhalb eines Fahrzeuges mehr als drei bis vier Meter fortzubewegen. Dieses psychische Fehlverhalten müsse einer schwersten Gehbehinderung gleichgestellt werden.

Der Beklagte beantragt mit Berufung vom 26.03.2013, das Urteil des SG vom 20.12.2012 aufzuheben. Das sog. „Bayern-aG“ sei kein Merkzeichen im Sinne der Schwerbehindertenausweisverordnung. Es handele sich vielmehr um die schlagwortartige Umschreibung eines Verwaltungsinternums ohne Außenwirkung. Aufgabe der Versorgungsverwaltung sei insoweit lediglich eine im Wege der Amtshilfe vorzunehmende Prüfung medizinischer Vorgaben. Die entsprechende Stellungnahme werde in Form einer Bescheinigung abgegeben. Die Bescheinigung erhalte entweder der behinderte Mensch selbst (zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde) oder gehe auf Anfrage direkt an die Straßenverkehrsbehörde. Die rechtsmittelfähige Entscheidung über die Gewährung einer Parkerleichterung (Ausnahmegenehmigung) treffe allein die zuständige Straßenverkehrsbehörde.

Die Bevollmächtigten des Klägers beantragen mit Anschlussberufung vom 19.04.2013 bei dem Kläger auch das Merkzeichen „aG“ festzustellen.

Von Seiten des Senats werden die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten sowie die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen. Der Vater des Klägers berichtet in der nicht-öffentlichen Sitzung vom 21.02.2014, dass der mittlerweile ca. 30 kg schwere Sohn immer wieder stehen bleibe und nicht dazu motiviert werden könne, sich in irgend einer Art und Weise fortzubewegen. Die Situation erscheine dem Vater wesentlich gravierender als z. B. ein behindertes Kind, das auch im Rollstuhl noch eine gewisse Mobilität habe. Z. B. müsse der Sohn von einem Weihnachtsmarkt nach Hause getragen werden, was seiner zierlichen Frau nicht mehr möglich sei.

Die stellvertretende Schulleiterin E. der M.-W.-Schule (Stiftung A.) berichtet unter dem 12.03.2014, dass der Kläger ein sehr schwieriger autistischer Schüler mit sehr hohem Betreuungsbedarf sei. Aufgrund seiner ausgeprägten Autoaggressionen bedürfe er einer permanenten engen Begleitung, um sich nicht selbst dauerhaft zu schädigen. Er habe große motorische Probleme. Sein Gang sei sehr unsicher, aufgrund der autismusspezifischen Wahrnehmungsproblematik falle es ihm schwer, sich ohne Hilfe in unbekanntem Gelände, insbesondere bei unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit, fortzubewegen. Er bedürfe einer Person in unmittelbarer Nähe. Wie aus dem aktuellen Förderbericht zu ersehen sei, sei eine Förderung der Bereiche Grob- und Feinmotorik ein Schwerpunkt der Förderung. Im Zwischenzeugnis für das Schuljahr 2013/14 ist u. a. vermerkt, dass der Kläger im Sportunterricht sich nach einem Aufwärmspiel gerne mit Rollbrettern und neuen „Swingrollern“ bewege. Dabei sei der Kläger immer mutiger geworden. Rundherum glücklich sei er jedoch nur im Wasser. Auch bei ritualisierten Arbeitsaufträgen werde der Kläger immer selbstständiger. Er mache hierbei große Fortschritte und bringe oft ohne Aufforderung seine Brotzeitbox zum Schulranzen und räume den Tisch ab. Täglich leere er die Kompostschüssel aus, inzwischen sehr gezielt, ohne den Behälter mit wegzuwerfen. Der Kläger kenne wiederkehrende Wege gut und schlage diese immer selbstständiger ein (z. B. zum Kompost, zum Bus, zur Toilette).

Der Sachverständige Dr. E. befürwortet mit orthopädisch-allgemeinärztlichem Gutachten vom 23.07.2014 die Zuerkennung des Merkzeichen „aG“. Es handele sich eindeutig um ein psychisches Fehlverhalten, das eine Abweichung von den Anhaltspunkten im Sinne einer schwersten Gehbehinderung rechtfertige.

Dr. N. hat mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 20.08.2014 entgegnet, es gehe um die Eigenart des Klägers, aufgrund seiner Autismus-Erkrankung und der damit verbundenen „Unzulänglichkeit“ zwischenzeitlich das Gehen zu verweigern und ca. 20 Minuten am Orte auszuharren, so die Schilderung seiner Mutter. Ob die vorgeschlagene „Abweichung von den Anhaltspunkten“ möglich sei oder nicht, sei eine rechtliche und keine medizinische Frage. Im Übrigen würden auch die Voraussetzungen für das sog. „Bayern-aG“ nicht vorliegen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben den Antrag Prof. Dr. N. vom 16.05.2013 auf eigenes Kostenrisiko zu hören nicht mehr aufrecht erhalten, sondern mit Schriftsatz vom 05.09.2014 mitgeteilt, dass die Angelegenheit entscheidungsreif sei. In der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2014 bestätigt der Vater des Klägers, dass sich dieser je nach Tagesform beim Ein- und Aussteigen aus dem Auto unterschiedlich verhält. An schlechten Tagen bleibt er stehen und - dies ist für die Eltern das Schlimmste - gibt sich dann selbst Ohrfeigen. An guten Tagen geht er auch mit, aber das ist eben nicht jeden Tag so.

Der Bevollmächtigte des Beklagten stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2012 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2012 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 zu verurteilen, bei dem Kläger das Merkzeichen „aG“ festzustellen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Gleiches gilt für die Anschlussberufung des Klägers vom 19.04.2013 (§ 202 SGG i. V. m. § 524 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Die Berufung des Beklagten ist begründet, die Anschlussberufung des Klägers unbegründet. Der Kläger hat weder aus § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) noch aus § 44 Abs. 1, 2 SGB X jeweils in Verbindung mit §§ 69 Abs. 1, 4 SGB IX einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ (unter 1.). Der Beklagte ist auch nicht verpflichtet, eine Ausnahmebescheinigung zur Vorlage bei den Straßenverkehrsbehörden (sog. „Bayern-aG“) auszustellen (unter 2.).

1. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ermächtigt, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über „die Schaffung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung“ zu erlassen. Davon hat das Bundesministerium mit § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) Gebrauch gemacht, ohne die Voraussetzungen der außergewöhnlichen Gehbehinderung näher zu präzisieren. Wegen der bundesweiten Auswirkungen hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von seiner in § 46 Abs. 2 Satz 3 StVO gegebenen Ermächtigung zum Erlass von bundesweit gültigen Verwaltungsvorschriften mit den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO), zuletzt in der ab dem 01.09.2009 gültigen Fassung vom 17.07.2009, Gebrauch gemacht und dabei in Ziff. 129 f. Folgendes vorgegeben: „Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach Versorgung ärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.“

Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung (GdB) nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i. V. m. § 30 Abs. 1 und 16 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sind zur Beurteilung der jeweiligen Funktionsstörungen und -beeinträchtigungen die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung in der jeweiligen Fassung) zugrunde zu legen, welche Rechtsnormcharakter haben (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 SB 3/08 R - Juris). Sie haben die vormals geltenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 ff., 2008“ mit Wirkung zum 01.01.2009 abgelöst.

Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Dies gilt für die Zuerkennung von Merkzeichen, hier das Merkzeichen „aG“.

Die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ übernehmen inhaltsgleich in Teil D Rdz. 3 zur Feststellung des Merkzeichens „aG“ die oben dargestellten bundesweit gültigen Verwaltungsvorschriften. Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf daher nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet würde; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein. Dies ist der Fall, wenn sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können. Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen.

Im Übrigen enthalten die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Teil D Rdz. 3 keine vergleichbare Regelung zu Teil D Rdz. 1 f., nach welcher auch bei bestimmten geistigen Behinderungen mit Störung der Orientierungsfähigkeit das Merkzeichen „G“ (= Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung) zuerkannt werden kann.

Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für eine weite Auslegung im Rahmen der Prüfung die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ kein Raum ist. Der Nachteilsausgleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies bedeutet zugleich, dass der Personenkreis eng zu fassen ist. Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden könnte. Mitt. jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann. Auch hier ist bei einer an sich vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu bedenken, dass dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis wieder benachteiligt würde (BSG, Urteil vom 03.02.1988 - 9/9 a RVs 19/86 - Juris).

Der Maßstab zur Gleichstellung muss sich daher strickt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz - Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung - orientieren (BSG, Urteile vom 29.03.2007 - B 9 a SB 1/06 R - vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R -, vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - und vom 03.02.1988 - 9/9 a RVs 19/86 - Juris). Das BSG vertritt damit unzweifelhaft die Auffassung, dass eine erweiternde Auslegung der hier maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nach dem Zweck des Schwerbehindertenrechts nicht zulässig ist (Bayer. Landessozialgericht, Urteile vom 27.05.2010 - L 15 SB 155/07 - und vom 28.02.2013 - L 15 SB 113/11 - Juris).

Hiervon ausgehend haben sowohl der erstinstanzlich gehörte Sachverständige Dr. K. mit Gutachten vom 22.10.2012 als auch der zweitinstanzlich gehörte Sachverständige Dr. E. mit Gutachten vom 23.07.2014 übereinstimmend bestätigt, dass der Kläger trotz seines spastischen Gangbildes selbstständig und hilfsmittelfrei gehen kann. Dies ergibt sich auch aus dem Zwischenzeugnis der M.-W.-Schule für das Schuljahr 2013/14, wenn dort vermerkt ist, dass der Kläger wiederkehrende Wege gut kennt und diese immer selbstständiger einschlägt (z. B. zum Kompost, zum Bus und zur Toilette). Im Sportunterricht machen ihm auch Laufspiele Spaß. Auf Rollbrettern und neuen „Swingrollern“ ist er immer mutiger geworden.

Ebenfalls übereinstimmend mit den Feststellungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen haben die Eltern des Klägers geschildert, es bestehe aufgrund seiner Autismus-Erkrankung die Besonderheit, dass er zwischenzeitlich das Gehen immer wieder verweigert und ca. 20 Minuten am Ort ausharrt. So musste der Kläger z. B. von einem Christkindlmarkt nach Hause getragen werden. In unbekannter Umgebung, z. B. auf dem Parkplatz eines Supermarktes, weigert er sich bereits nach zwei bis vier Metern nach Verlassen des Pkw weiterzugehen. Je nach Tagesform verhält sich der Kläger unterschiedlich bei dem Ein- und Aussteigen aus dem PKW. An schlechten Tagen bleibt er stehen und zeigt ein für die Eltern sehr belastendes autoaggressives Verhalten. An guten Tagen geht er auch mit. Es handelt sich somit nicht um einen Dauerzustand, sondern um ein situationsabhängiges wechselndes Verhalten von Fall zu Fall.

Entgegen dem medizinischen Votum des Sachverständigen Dr. E. mit Gutachten vom 22.10.2012 ist das Merkzeichen „aG“ bei dem vorstehend beschriebenen Sachverhalt aus rechtlichen Gründen nicht zuzuerkennen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für eine erweiterte Auslegung im Rahmen der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ kein Raum. Voraussetzung für das Merkzeichen „aG“ ist vielmehr, dass der Behinderte praktisch ab den ersten Schritten die für das Merkzeichen „aG“ erforderlichen ganz erheblichen Beeinträchtigungen der Gehfähigkeit hat und es sich dabei um einen dauerhaften Zustand handelt. Nicht ausreichend ist, wenn die massive Beeinträchtigung der Gehfähigkeit nur zeitweise vorliegt (Bayer. Landessozialgericht (BayLSG), Urteil vom 28.02.2013 - L 15 SB 113/11 - Juris).

Wenn der Sachverständige Dr. E. mit Gutachten vom 23.07.2014 eine Abweichung von den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ im Hinblick auf die zeitweise immer wieder auftretende Verweigerungshaltung des kindlichen Klägers, meist in fremder Umgebung, befürwortet und aus medizinischer Sicht das Merkzeichen „aG“ festgestellt wissen will, ist diesem Votum aus den vorstehend dargelegten rechtlichen Gründen nicht zu folgen. Er missversteht auch die herrschende Kommentarmeinung zu den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ von Wendler/Schillings, wenn dort auf Seite 366 zur Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ ausgeführt ist, eine geistige Behinderung mit einem GdB von 100 rechtfertigt keine Gleichstellung, es sei denn, dass die Gehfähigkeit einschränkende körperliche Defizite - auch Störungen des zentralen Nervensystems - vorliegen (Beirat vom 07./08.11.2001: „Gutachtliche Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung bei geistig behinderten Menschen“). Denn der kindliche Kläger ist in einer ihm vertrauten Umgebung trotz seiner spastischen Einschränkung der Gehfähigkeit in einem das Merkzeichen „aG“ überschreitendendem Maß mobil. Wie bereits erwähnt, legt er z. B. auch den Weg von der M.-W.-Schule zum Bus zu Fuß zurück. Im Übrigen handelt es sich wie bereits dargelegt nicht um einen Dauerzustand, sondern um ein wechselndes situationsabhängiges Verhalten von Fall zu Fall.

2. Soweit der Kläger hilfsweise eine Bescheinigung im Sinne einer Ausnahmegenehmigung für Parkerleichterungen begehrt (sog. „kleines“ oder „Bayern aG“), hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2012 zutreffend darauf hingewiesen, dass hierfür eine entsprechender Antrag bei der Straßenverkehrsbehörde einzureichen ist. Denn nach § 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i. V. m. § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO) und der hierzu ergangenen allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VwV) obliegt der Vollzug bzw. die Erteilung entsprechender Ausnahmegenehmigungen nicht der Versorgungsverwaltung bzw. dem Beklagten in seiner Eigenschaft als Sozialbehörde, sondern den Straßenverkehrsbehörden, deren Entscheidungen ggf. von den Verwaltungsgerichten zu überprüfen sind. Insoweit ist eine Klage vor den Sozialgerichten bereits unzulässig. Dem Kläger fehlt bereits ein Rechtsschutzbedürfnis, da kein Antrag bei der zuständigen örtlichen Straßenverkehrsbehörde gestellt wurde. Nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 4 Bayerisches Gesetz über die Zuständigkeiten im Verkehrswesen (ZustGVerk) ist hierfür die Stadt A-Stadt zuständig. Insoweit liegt auch keine Passivlegitimation des Beklagten vor.

Wenn der Beklagte mit Bescheid vom 12.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 dennoch hierauf umfassend eingegangen ist, begründet dies keine Zuständigkeit als Straßenverkehrsbehörde. Es sollte hierdurch dem Bürger und auch der Straßenverkehrsbehörde die straßenrechtliche Entscheidung erleichtert werden. Die diesbezüglichen Ausführungen können jedoch nicht isoliert angefochten und von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit überprüft werden.

Nach alledem ist das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.12.2012 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision wegen Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ liegen im Hinblick auf die vorstehend zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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published on 24/06/2015 00:00

Tenor Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 4. Mai 2015 – 4 A 786/14 – geändert: Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus B-Stadt rückwirkend ab Klageerhebung
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Annotations

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Sie ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Diese Frist gilt nicht, wenn die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen (§ 323) zum Gegenstand hat.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. Die Vorschriften des § 519 Abs. 2, 4 und des § 520 Abs. 3 sowie des § 521 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.

(1) Die Straßenverkehrsbehörden können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen

1.
von den Vorschriften über die Straßenbenutzung (§ 2);
2.
vorbehaltlich Absatz 2a Satz 1 Nummer 3 vom Verbot, eine Autobahn oder eine Kraftfahrstraße zu betreten oder mit dort nicht zugelassenen Fahrzeugen zu benutzen (§ 18 Absatz 1 und 9);
3.
von den Halt- und Parkverboten (§ 12 Absatz 4);
4.
vom Verbot des Parkens vor oder gegenüber von Grundstücksein- und -ausfahrten (§ 12 Absatz 3 Nummer 3);
4a.
von der Vorschrift, an Parkuhren nur während des Laufens der Uhr, an Parkscheinautomaten nur mit einem Parkschein zu halten (§ 13 Absatz 1);
4b.
von der Vorschrift, im Bereich eines Zonenhaltverbots (Zeichen 290.1 und 290.2) nur während der dort vorgeschriebenen Zeit zu parken (§ 13 Absatz 2);
4c.
von den Vorschriften über das Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a);
5.
von den Vorschriften über Höhe, Länge und Breite von Fahrzeug und Ladung (§ 18 Absatz 1 Satz 2, § 22 Absatz 2 bis 4);
5a.
von dem Verbot der unzulässigen Mitnahme von Personen (§ 21);
5b.
von den Vorschriften über das Anlegen von Sicherheitsgurten und das Tragen von Schutzhelmen (§ 21a);
6.
vom Verbot, Tiere von Kraftfahrzeugen und andere Tiere als Hunde von Fahrrädern aus zu führen (§ 28 Absatz 1 Satz 3 und 4);
7.
vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3);
8.
vom Verbot, Hindernisse auf die Straße zu bringen (§ 32 Absatz 1);
9.
von den Verboten, Lautsprecher zu betreiben, Waren oder Leistungen auf der Straße anzubieten (§ 33 Absatz 1 Nummer 1 und 2);
10.
vom Verbot der Werbung und Propaganda in Verbindung mit Verkehrszeichen (§ 33 Absatz 2 Satz 2) nur für die Flächen von Leuchtsäulen, an denen Haltestellenschilder öffentlicher Verkehrsmittel angebracht sind;
11.
von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind;
12.
von dem Nacht- und Sonntagsparkverbot (§ 12 Absatz 3a).
Vom Verbot, Personen auf der Ladefläche oder in Laderäumen mitzunehmen (§ 21 Absatz 2), können für die Dienstbereiche der Bundeswehr, der auf Grund des Nordatlantik-Vertrages errichteten internationalen Hauptquartiere, der Bundespolizei und der Polizei deren Dienststellen, für den Katastrophenschutz die zuständigen Landesbehörden, Ausnahmen genehmigen. Dasselbe gilt für die Vorschrift, dass vorgeschriebene Sicherheitsgurte angelegt sein oder Schutzhelme getragen werden müssen (§ 21a).

(1a) Die Straßenverkehrsbehörden können zur Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge allgemein durch Zusatzzeichen Ausnahmen von Verkehrsbeschränkungen, Verkehrsverboten oder Verkehrsumleitungen nach § 45 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 1a und 1b Nummer 5 erste Alternative zulassen. Das gleiche Recht haben sie für die Benutzung von Busspuren durch elektrisch betriebene Fahrzeuge. Die Anforderungen des § 3 Absatz 1 des Elektromobilitätsgesetzes sind zu beachten.

(2) Die zuständigen obersten Landesbehörden oder die nach Landesrecht bestimmten Stellen können von allen Vorschriften dieser Verordnung Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte Antragsteller genehmigen. Vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3) können sie darüber hinaus für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken Ausnahmen zulassen, soweit diese im Rahmen unterschiedlicher Feiertagsregelung in den Ländern (§ 30 Absatz 4) notwendig werden. Erstrecken sich die Auswirkungen der Ausnahme über ein Land hinaus und ist eine einheitliche Entscheidung notwendig, ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig; die Ausnahme erlässt dieses Bundesministerium durch Verordnung.

(2a) Abweichend von Absatz 1 und 2 Satz 1 kann für mit Zeichen 330.1 und 330.2 gekennzeichnete Autobahnen in der Baulast des Bundes das Fernstraßen-Bundesamt in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller folgende Ausnahmen genehmigen:

1.
Ausnahmen vom Verbot, an nicht gekennzeichneten Anschlussstellen ein- oder auszufahren (§ 18 Absatz 2 und 10 Satz 1), im Benehmen mit der nach Landesrecht zuständigen Straßenverkehrsbehörde;
2.
Ausnahmen vom Verbot zu halten (§ 18 Absatz 8);
3.
Ausnahmen vom Verbot, eine Autobahn zu betreten oder mit dort nicht zugelassenen Fahrzeugen zu benutzen (§ 18 Absatz 1 und 9);
4.
Ausnahmen vom Verbot, Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton zu betreiben (§ 33 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Satz 2);
5.
Ausnahmen von der Regelung, dass ein Autohof nur einmal angekündigt werden darf (Zeichen 448.1);
6.
Ausnahmen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind (Absatz 1 Satz 1 Nummer 11).
Wird neben einer Ausnahmegenehmigung nach Satz 1 Nummer 3 auch eine Erlaubnis nach § 29 Absatz 3 oder eine Ausnahmegenehmigung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 beantragt, ist die Verwaltungsbehörde zuständig, die die Erlaubnis nach § 29 Absatz 3 oder die Ausnahmegenehmigung nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 erlässt. Werden Anlagen nach Satz 1 Nummer 4 mit Wirkung auf den mit Zeichen 330.1 und 330.2 gekennzeichneten Autobahnen in der Baulast des Bundes im Widerspruch zum Verbot, Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton zu betreiben (§ 33 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und Satz 2), errichtet oder geändert, wird über deren Zulässigkeit
1.
von der Baugenehmigungsbehörde, wenn ein Land hierfür ein bauaufsichtliches Verfahren vorsieht, oder
2.
von der zuständigen Genehmigungsbehörde, wenn ein Land hierfür ein anderes Verfahren vorsieht,
im Benehmen mit dem Fernstraßen-Bundesamt entschieden. Das Fernstraßen-Bundesamt kann verlangen, dass ein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gestellt wird. Sieht ein Land kein eigenes Genehmigungsverfahren für die Zulässigkeit nach Satz 3 vor, entscheidet das Fernstraßen-Bundesamt.

(3) Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis können unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt werden und mit Nebenbestimmungen (Bedingungen, Befristungen, Auflagen) versehen werden. Erforderlichenfalls kann die zuständige Behörde die Beibringung eines Sachverständigengutachtens auf Kosten des Antragstellers verlangen. Die Bescheide sind mitzuführen und auf Verlangen zuständigen Personen auszuhändigen. Bei Erlaubnissen nach § 29 Absatz 3 und Ausnahmegenehmigungen nach § 46 Absatz 1 Nummer 5 genügt das Mitführen fernkopierter Bescheide oder von Ausdrucken elektronisch erteilter und signierter Bescheide sowie deren digitalisierte Form auf einem Speichermedium, wenn diese derart mitgeführt wird, dass sie bei einer Kontrolle auf Verlangen zuständigen Personen lesbar gemacht werden kann.

(4) Ausnahmegenehmigungen und Erlaubnisse der zuständigen Behörde sind für den Geltungsbereich dieser Verordnung wirksam, sofern sie nicht einen anderen Geltungsbereich nennen.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.