Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2018 - L 18 SB 139/18

bei uns veröffentlicht am14.11.2018

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 8. August 2018 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Nürnberg zurückverwiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um das Vorliegen des Merkzeichens RF (Ermäßigung der Rundfunkgebühren).

Mit Bescheid vom 09.01.2006 stellte der Beklagte bei der am 09.02.1962 geborenen Klägerin aufgrund der näher bezeichneten Behinderungen „seelische Störung, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und verminderte Belastbarkeit der Hüftgelenke“ einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 fest. Der Bescheid wies für die seelische Störung einen Einzel-GdB von 50 aus. Nachfolgende Anträge der Klägerin auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB blieben ohne Erfolg (Bescheide vom 19.04.2007, 04.02.2008, 06.02.2013), wobei sich an der Einschätzung des Einzel-GdB für die seelische Störung nichts änderte.

Am 18.01.2014 beantragte die Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“. Zur Begründung legte sie Atteste des Arztes für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. Sch. (Sch) vom 08.10.2014 und der Allgemeinärztin Dr. G. (G) vom 01.10.2014 vor.

Mit Bescheid „nach § 48 SGB X“ vom 10.12.2014 (Widerspruchbescheid vom 18.02.2015, berichtigt durch Bescheid vom 08.04.2015) lehnte der Beklagte die Zuerkennung des Merkzeichens RF ab. Diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 21.08.2017, beim Beklagten eingegangen am 22.08.2017, beantragte die Klägerin erneut die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“.

Mit Bescheid „nach § 48 SGB X“ vom 04.12.2017 lehnte der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme eine Änderung des Bescheides vom 18.02.2015 und die Zuerkennung des Merkzeichens RF ab. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 69 Sozialgesetzbuch - SGB - IX vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintrete, sei gemäß § 48 SGB X der Bescheid aufzuheben und eine neue Feststellung zu treffen. Die Prüfung des Antrags der Klägerin habe ergeben, dass in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Behinderung, des Grades der Behinderung und des Anspruchs auf Merkzeichen maßgebend waren, keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Nach Art und Ausmaß der Behinderung erfülle die Klägerin nicht die geforderten gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit dem Ziel, die Zuerkennung des Merkzeichens RF zu erreichen (Schreiben vom 09.12.2017). Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2018 zurück.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Auf Aufforderung des SG, die behandelnden Ärzte zu benennen, hat die Klägerin mitgeteilt, ab Antragstellung hätten keine Arztbesuche mehr stattgefunden. Alle vom Amt anerkannten Behinderungen lägen dem Gericht vor, auch die drei fachärztlichen Atteste bezüglich Merkzeichen RF.

Mit Beweisanordnung vom 27.03.2018 hat das SG den Facharzt für Chirurgie Dr. S. (S) zum medizinischen Sachverständigen ernannt und die Klägerin mit ausweislich der aktenkundigen Postzustellungsurkunde am 29.03.2018 zugestelltem Schreiben vom 27.03.2018 zur Untersuchung am 26.04.2018 geladen. Mit Schreiben vom 30.03.2018 hat die Klägerin mitgeteilt, es seien eindeutig zahlreiche Verschlechterungen sowohl psychisch als auch physisch nachgewiesen und es bedürfe keiner demütigenden und schmerzhaften Untersuchung mehr. Zu der Untersuchung bei S ist die Klägerin nicht erschienen. S hat das Gutachten vom 26.04.2018 daraufhin nach Aktenlage erstellt. Die Klägerin hat eine Abschrift des Gutachtens zur Kenntnis erhalten und mit Schreiben vom 06.05.2018 dazu Stellung genommen.

Mit Urteil nach Lage der Akten vom 08.08.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Protokoll der Niederschrift vom selben Tag enthält den Vermerk: „Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung“. Im Urteil hat das SG zur Begründung ausgeführt, zu Recht habe der Beklagte die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ abgelehnt. Die Klägerin mache geltend, an öffentlichen Veranstaltungen grundsätzlich nicht teilnehmen zu können und begründe dies mit ihrer seelischen Erkrankung und Schmerzstörung. Des Weiteren habe Sch bescheinigt, dass die Klägerin an einer Angststörung leide und daher nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen könne. Diese ärztliche Bescheinigung datiere aber aus dem Jahre 2014 und habe dem Beklagten bereits vor Erlass des Bescheides vom 10.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2015 vorgelegen, mit dem das Merkzeichen bereits bestandskräftig abgelehnt worden sei. Nachdem die Klägerin keine neuen Atteste vorgelegt und auch ihre behandelnden Ärzte nicht nachgewiesen habe, sei nicht erkennbar, dass seit Erlass des Bescheides vom 18.02.2015 eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen gem. § 48 SGB X eingetreten wäre, die eine Neufeststellung und nunmehr die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ rechtfertigen würde. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Bescheid vom 10.12.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2015 zum Zeitpunkt seines Erlasses unrichtig gewesen wäre und das Merkzeichen „RF“ aufgrund des Attestes des Sch bereits 2014 hätte zuerkannt werden müssen. Insoweit folge das Gericht dem überzeugenden und in sich schlüssigen Gutachten des Gerichtsgutachters S vom 26.04.2018, der wie auch zuvor die versorgungsärztlichen Gutachter davon ausginge, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ nicht vorlägen. Die Klägerin leide weder an einer schweren Bewegungsstörung oder Herzleistungsschwäche und Lungenfunktionsstörung, sie benötige nicht eine Begleitperson oder einen Rollstuhl, es handele sich nicht um einen behinderten Menschen, der auf die Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirke, sie habe keine Organtransplantation mit einer immunsuppressiven Therapie erhalten, sie sei auch keine geistig oder seelischen Behinderte, die Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen und aggressives Verhalten störe. Die bei ihr vorliegende Angststörung mit chronischem Schmerzsyndrom würde nach den überzeugenden ärztlichen Feststellungen die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht unzumutbar machen. Das Merkzeichen „RF“ würde voraussetzen, dass die Klägerin grundsätzlich am Besuch von Veranstaltungen gehindert wäre. Zwar sei eine Rückzugstendenz mit der seelischen Störung verbunden, aber nicht eine objektiv zu begründende Unmöglichkeit, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Es reiche nicht aus, wenn bestimmte Veranstaltungen, die dazu angetan seien, bei empfänglichen Personen Panik auszulösen, nicht aufgesucht werden könnten.

Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und insbesondere nochmals auf die vorgelegten Atteste verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.08.2018 aufzuheben, den Bescheid vom 04.12.2017 und den Widerspruchsbescheid vom 05.01.2018 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin das Merkzeichen „RF“ zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der beigezogenen Beklagtenakte Bezug genommen.

Gründe

Der Senat konnte nach Ausübung seines Ermessens trotz Nichterscheinens der Klägerin zum Termin vom 14.11.2018 aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung (zum Begriff Keller in Meyer-Ladewig, Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 126 Rn 4; Aussprung in Roos / Wahrendorf, SGG, § 126 Rn 26) entscheiden. Die Klägerin war ordnungsgemäß zu diesem Termin geladen und in der Ladung auf die Möglichkeit einer Entscheidung im Falle ihres Ausbleibens hingewiesen worden.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Das Begehren der Klägerin ist im Sinne des oben genannten Antrags der Klägerin auszulegen (§ 123 SGG). Streitgegenstand ist mit Blick auf das Schreiben der Klägerin vom 21.08.2017 und das im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren eindeutig formulierte Rechtsschutzziel nur die Zuerkennung des Merkzeichens RF.

Die mit diesem Ziel geführte Berufung ist im Sinne einer Aufhebung des angegriffenen Urteils und einer Zurückverweisung der Sache an das SG auch begründet. Verfahrensgegenständlich sind die Bescheide vom 04.12.2017 und vom 05.01.2018 (Widerspruchsbescheid), mit denen der Beklagte die Zuerkennung des Merkzeichens RF abgelehnt hat.

Rechtsgrundlage für die Entscheidung, das Urteil des SG aufzuheben und zurückzuverweisen, ist § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Hiernach kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (dazu unter 1.) und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (dazu unter 2.).

1. Das Verfahren vor dem SG leidet an einem wesentlichen Mangel, denn das SG hat § 126 SGG und - mit Blick auf die Zurückverweisung vor allem - § 103 S. 1 1. Halbsatz SGG verletzt.

Das SG konnte nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung nicht mehr verfahrensfehlerfrei nach Lage der Akten (§ 126 SGG) entscheiden. Gemäß § 126 SGG kann das Gericht, sofern in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, nach Lage der Akten entscheiden, wenn in einem Termin keiner der Beteiligten erscheint oder beim Ausbleiben von Beteiligten die erschienenen Beteiligten es beantragen. Zur mündlichen Verhandlung vom 08.08.2018 ist zwar für die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand erschienen. Die Ladung enthielt auch den Hinweis, dass im Falle des Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kann. Der Übergang in das schriftliche Verfahren ist als Ausnahme vom Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs. 1 SGG) aber nur möglich, solange die mündliche Verhandlung noch nicht eröffnet wurde (Keller, a.a.O., § 126 Rn 3 m.w.N.). Das Protokoll enthält aber den Vermerk: „Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung“. Der Übergang in das schriftliche Verfahren gemäß § 126 SGG war mithin wegen der erfolgten Eröffnung der mündlichen Verhandlung unzulässig.

Vor allem hat das SG aber auch § 103 S. 1 1. Halbsatz SGG verletzt. Nach dieser Vorschrift erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Eine ausreichende Aufklärung des medizinischen Sachverhalts ist durch das SG nicht erfolgt. Das SG hätte sich vor dem Hintergrund der für die Zuerkennung des Merkzeichens RF geltenden Maßgaben (dazu unter a.) gedrängt fühlen müssen, ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet, gegebenenfalls nach Hausbesuch oder nach Aktenlage, einzuholen (dazu unter b.). Das Gutachten des S stellt kein geeignetes Beweismittel dar (dazu unter c.).

a. Anspruchsgrundlage für die Zuerkennung des Merkzeichens RF ist § 152 Abs. 1, 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der Fassung vom 23.12.2016, gültig ab 01.01.2018 (der im Wesentlichen der Vorgängerregelung des § 69 Abs. 1, 4 SGB IX entspricht) i.V.m. den Regelungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RdFunkBeitrStVtr) in der Fassung der Bekanntmachung des Fünfzehnten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Fünfzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 07.06.2011 (Bayer. GVBl. S. 258). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Rundfunkgebührenpflicht aus gesundheitlichen Gründen auf ein Drittel sind gemäß § 4 Abs. 2 RdFunkBeitrStVtr erfüllt bei blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 RdFunkBeitrStVtr), hörgeschädigten Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 RdFunkBeitrStVtr), und bei behinderten Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 RdFunkBeitrStVtr).

In Betracht kommt vorliegend nur die dritte, letztgenannte Alternative. Um dem Zweck der Ermäßigung der Rundfunkgebühren zu genügen, ist eine enge Auslegung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 RdFunkBeitrStVtr geboten (BSG vom 12.02.1997, 9 RVs 2/96 juris Rn 11 m.w.N.). § 4 Abs. 2 Nr. 3 RdFunkBeitrStVtr setzt daher - neben einem GdB von mindestens 80 - voraus, dass der Behinderte wegen seiner Leiden ständig, dh allgemein und umfassend, vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass er nur an einzelnen Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, nicht teilnehmen kann; vielmehr muss er praktisch an das Haus bzw. an die Wohnung gebunden sein (vgl. BSG vom 12.02.1997, 9 RVs 2/96 m.w.N.; LSG Bayern vom 11.10.2016, L 15 SB 207/15 juris Rn 46). Maßgeblich ist dabei allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln, z.B. einem Rollstuhl, und / oder mit Hilfe einer Begleitperson (vgl. BSG vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85; vom 11.09.1991, 9a/9 RVs 15/89). Ein Ausschluss aus anderen als behinderungsbedingten Gründen begründet das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF nicht (vgl. BSG vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85; LSG Bayern, a.a.O.).

b. Ob die Klägerin ein behinderter Mensch ist, der wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann, d.h. ob ein behinderungsbedingter ständiger, allgemeiner und umfassender Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen gegeben ist, lässt sich aufgrund des nicht aufgeklärten medizinischen Sachverhalts nicht beurteilen. Aufgrund der im Bescheid vom 09.01.2006 genannten Behinderung „seelische Störung“ und der vorliegenden Atteste hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen, ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet, gegebenenfalls nach Hausbesuch oder nach Aktenlage, einzuholen. Im Bescheid vom 09.01.2006 war für die seelische Störung ein Einzel-GdB von 50 ausgewiesen, der auch in nachfolgenden Bescheiden bzw. versorgungsärztlichen Stellungnahmen immer wieder bestätigt worden ist. Die Atteste des Arztes für Neurologie und Nervenheilkunde Sch vom 08.10.2014 und der Allgemeinärztin G vom 01.10.2014 nennen Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet, die eine Zuerkennung des Merkzeichens RF als möglich erscheinen lassen. Sch führt aus, die Klägerin leide an einer ausgeprägten depressiven Störung und Angststörung. Diese Symptome seien derart stark ausgeprägt, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, das Haus zu verlassen. Ein erheblicher sozialer Rückzug bestehe. Insbesondere sei es ihr unmöglich, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Dort würde sie in erhebliche Panik geraten. G beschreibt eine soziale Phobie, die Klägerin könne nicht unter Menschen gehen, weil ihr Menschenansammlungen Angst machen würden. Sie sei deshalb viel alleine zu Hause, könne an den üblichen kulturellen Veranstaltungen nicht teilnehmen.

c. Das Gutachten des Chirurgen S stellt kein geeignetes Beweismittel dar. Mit Blick auf die vorgenannten Arztberichte hätte sich das SG gedrängt fühlen müssen, ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet, gegebenenfalls nach Hausbesuch oder nach Aktenlage, einzuholen. Im Gutachten des S sind im Übrigen keine Ausführungen zum medizinischen Sachverhalt zu finden, auf die eine rechtliche Bewertung in Bezug auf das Merkzeichen RF gestützt werden könnte. Das Gutachten beschränkt sich auf die Darstellung der vorliegenden Befundberichte und die Wiedergabe der gesetzlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF. Eine substantiierte Darstellung - und gegebenenfalls Würdigung - des konkreten medizinischen Sachverhalts, insbesondere unter Einbeziehung der festgestellten Behinderung „seelische Störung“ sowie der Atteste des Sch und der G und unter Berücksichtigung der für die Zuerkennung des Merkzeichens RF zu beachtenden Maßgaben, enthält das Gutachten nicht. Zur Sache stellt es lediglich die nicht weiter begründeten Behauptungen auf, die „Bedingungen (für das Merkzeichen RF) sind nicht erfüllt“ und „Derartige Behinderungen liegen auf Dauer nicht vor“. Bei der Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes - insbesondere auf psychiatrischem Fachgebiet - wird das SG insbesondere zu fragen haben, ob - auch unter Berücksichtigung der Atteste des Sch und der G und des Ausmaßes der seelischen Störung - eine Verhinderung der Klägerin an der Teilnahme von Veranstaltungen wie z.B. Kinobesuchen sowie Theater- und Opernaufführungen gegeben ist, ob also Gesundheitsstörungen vorliegen, die eine Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung im Sinne der oben dargestellten Maßgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zulassen.

Bei seiner Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG hat der Senat sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob er die Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll zwar in der Regel vermieden werden (Keller a.a.O. Rn. 5a). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie einerseits sowie dem Verlust einer Instanz andererseits hält es der Senat jedoch vorliegend für angezeigt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Berufung der Klägerin erst seit 03.09.2018 und somit seit relativ kurzer Zeit in der Berufungsinstanz anhängig ist. Der Klägerin entsteht durch die Zurückverweisung somit kein wesentlicher zeitlicher Nachteil. Auch ist der Rechtsstreit aus den genannten Gründen nicht entscheidungsreif. Vielmehr ist zunächst der medizinische Sachverhalt von Amts wegen umfassend aufzuklären, um abschließend prüfen zu können, ob (nunmehr) die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF vorliegen. Hinzu kommt, dass das SG - wie offensichtlich auch der Beklagte - in rechtsirriger Weise davon ausgehen, dass die im hier verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 04.12.2017 erfolgte Entscheidung über die Zuerkennung des Merkzeichens RF nach Maßgabe des § 48 SGB X erfolgen musste. Diese Vorschrift setzt jedoch voraus, dass in den Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei der mit dem genannten Bescheid erfolgten Ablehnung des Merkzeichens RF handelt es sich jedoch nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Der Beklagte hatte mit Bescheid vom 10.12.2014 eine - der materiellen Bestandskraft fähige - Feststellung nur insoweit getroffen, als er den mit Antrag vom Januar 2014 geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung des Merkzeichens RF auf der Grundlage des § 69 SGB IX SchwbG in Verbindung mit den Regelungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags nach dem maßgeblichen Sach- und Rechtsstand vom 21.02.2015 (Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2015 und Ende dieses Verwaltungsverfahrens) beurteilt und abgelehnt hat. Eine solche Ablehnung schließt (wie die Ablehnung eines Antrags auf eine Sozialleistung) das Verwaltungsverfahren ab, entfaltet jedoch keine Wirkung für die Zukunft, hat also keine Dauerwirkung (vgl. BSG vom 20.10.1999, B 9 SB 4/98 R juris Rn 19 f; Schütze in von Wulffen, SGB X 7. Aufl. 2010 § 48 Rn 3, § 45 Rn 65). Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 04.12.2017, in dem der mit Antrag vom August 2017 geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens RF abgelehnt worden ist, hat daher - entgegen der im Urteil des SG vom 08.08.2018 anklingenden Ansicht - ohne Bindung an die Bescheide vom 10.12.2014 und 18.02.2015 zu erfolgen. Für die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte zu Recht den neuen, auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF gerichteten Antrag vom August 2017 zurückweisen durfte, musste das SG daher nicht nur tatsächliche Feststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin treffen, sondern auch eine neue inhaltliche Prüfung anstellen, ob die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nunmehr vorlagen. Der neue, im August 2017 gestellte Antrag war für die Zeit nach Abschluss des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens (Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2015) sowohl vom Beklagten als auch vom SG unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten neu zu prüfen. Selbstverständlich war das SG nicht gehindert, die tatsächliche Feststellung zu treffen, dass sich die Sachlage seit Erlass des Bescheides vom 18.02.2015 nicht geändert habe. Den damit festgestellten Sachverhalt hatte es aber ohne rechtliche Bindung an den Inhalt dieses Bescheides rechtlich neu zu beurteilen (vgl. zum Ganzen BSG vom 20.10.1999, B 9 SB 4/98 R juris Rn 19 f; vom 10.05.1994, 9 BV 140/93; vom 30.01.1985, 1 RJ 2/84). Ob dies geschehen ist, lässt sich den Gründen des Urteils des SG nicht eindeutig entnehmen. Das SG spricht zwar auch von einer Neufeststellung. Die oben zitierte Wendung des SG-Urteils, es sei keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen gem. § 48 SGB X eingetreten, spricht allerdings dafür, dass das SG von einer Bindung an den Inhalt der früheren Bescheide ausgegangen ist, zumal das SG zur Begründung auf den Umstand verweist, dass die ärztliche Bescheinigung des Sch aus dem Jahre 2014 datiere und dem Beklagten bereits vor Erlass des Bescheides vom 10.12.2014 vorgelegen habe, mit dem das Merkzeichen bereits bestandskräftig abgelehnt worden sei.

Insgesamt fällt für den Senat der Umstand, dass der Klägerin durch eine Zurückverweisung an das SG eine Instanz zurückgegeben wird, wesentlich stärker ins Gewicht als die durch die Zurückverweisung eintretende kurze zeitliche Verzögerung im gerichtlichen Verfahren.

2. Es ist beim gegenwärtigen Sachstand auch davon auszugehen, dass aufgrund der Verletzung des § 103 SGG eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich ist. Denn die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens RF hat, kann nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung entschieden werden. Das SG wird durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens nach § 103, 106 SGG, gegebenenfalls nach Einholung aktueller Befunde behandelnder Ärzte, weiteren Beweis zu erheben haben. Dabei stellt schon allein die Einholung eines weiteren Gutachtens eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme dar, da sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (vgl. u.a. Senatsurteil vom 10.08.017, L 17 U 400/16 juris Rn 32; LSG Berlin-Brandenburg v. 09.03.2017 - L 13 SB 273/16, juris Rn. 21, u. v. 14.01.2016 - L 27 R 824/15, juris Rn. 14; Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern v. 27.08.2014 - L 5 U 6/14, juris Rn. 82; a.A. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 159 Rn3a).

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG), sind nicht gegeben.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2018 - L 18 SB 139/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2018 - L 18 SB 139/18

Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2018 - L 18 SB 139/18 zitiert 16 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 48 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse


(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltun

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 124


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 69 Kontinuität der Bemessungsgrundlage


Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnun

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 123


Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 159


(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,2. das Verfahren an einem wesent

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 4 Leistungen zur Teilhabe


(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung 1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,2. Einschr

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 126


Das Gericht kann, sofern in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, nach Lage der Akten entscheiden, wenn in einem Termin keiner der Beteiligten erscheint oder beim Ausbleiben von Beteiligten die erschienenen Beteiligten es beantrage

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2018 - L 18 SB 139/18 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 14. Nov. 2018 - L 18 SB 139/18 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Okt. 2016 - L 15 SB 207/15

bei uns veröffentlicht am 11.10.2016

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. September 2015 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zug

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Aug. 2017 - L 17 U 400/16

bei uns veröffentlicht am 10.08.2017

Tenor I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 20.10.2016 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Würzburg zurückverwiesen. I

Referenzen

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Das Gericht entscheidet über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

1.
dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,
2.
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

(2) Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Das Gericht kann, sofern in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, nach Lage der Akten entscheiden, wenn in einem Termin keiner der Beteiligten erscheint oder beim Ausbleiben von Beteiligten die erschienenen Beteiligten es beantragen.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Das Gericht kann, sofern in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, nach Lage der Akten entscheiden, wenn in einem Termin keiner der Beteiligten erscheint oder beim Ausbleiben von Beteiligten die erschienenen Beteiligten es beantragen.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. September 2015 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF (Ermäßigung der Rundfunkgebührenpflicht) festgestellt wird.

Der Kläger ist im Jahr 1950 geboren. Bestandskräftig ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 (Bescheid vom 30.11.2004) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B anerkannt (vgl. zuletzt Bescheid vom 13.02.2007). Im April 2009 erfolgte eine Nierentransplantation. Die Pflegestufe 1 ist seit November 2013 anerkannt.

Am 20.08.2014 beantragte er die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und RF.

Nach Beiziehung diverser medizinischer Unterlagen und Auswertung durch den versorgungsärztlichen Dienst lehnte es der Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2014 ab, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und RF festzustellen. Die Ablehnung bezüglich des Merkzeichens RF wurde damit begründet, dass dem Kläger mithilfe einer Begleitperson bzw. technischen Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl) eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen möglich sei. Folgende Gesundheitsstörungen wurden zugrunde gelegt: 1. Polyneuropathie an beiden Füßen mit Schmerzen und Schwellungen, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke bei Meniskusschaden (Einzel-GdB 70) 2. Transplantierte Niere (nach Heilungsbewährung), unwillkürlicher Harnabgang (Einzel-GdB 60) 3. Herzleistungsminderung, Bluthochdruck, Herzklappenfehler, abgelaufener Herzinfarkt, Coronardilatation, Stentimplantation, Herzrhythmusstörungen, Herzschrittmacher (Einzel-GdB 40) 4. Schmerzen, Gefühlsstörung und Schwellung der linken Gesichtshälfte bei rezidivierender Gesichtsnervenlähmung links mit häufigen Entzündungen der Hornhaut des linken Auges (Einzel-GdB 30) 5. Depressive Verstimmungen mit Schlafstörungen und Kopfschmerzen (Einzel-GdB 30) 6. Zuckerkrankheit (Einzel-GdB 20) 7. Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen (Einzel-GdB 20) 8. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und zeitweisen Muskel- und Nervenreizerscheinungen (Einzel-GdB 20) 9. Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks (Einzel-GdB 10) 10. Chronische Magenschleimhautentzündung (Einzel-GdB 10).

Wegen der Ablehnung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erhob der Kläger mit Schreiben vom 08.12.2014 Widerspruch. Wegen der Notwendigkeit der Urindauerableitung mittels eines suprabubischen Blasenfistelkatheters trage er - so der Kläger - Urinbeinbeutel, die mehrmals täglich und auch nachts entleert werden müssten. Da der Urinbeutel über Toiletten entsorgt werde, sei ihm ein längerer Aufenthalt außerhalb seiner Wohnung schwer möglich. Da er wegen der Nierentransplantation lebenslang Immunsuppressiva einnehmen müsse, sei er höchst gefährdet, Infektionen zu bekommen. Dadurch sei ihm ein längerer Aufenthalt außerhalb der Wohnung stark eingeschränkt möglich. Besuche von Konzerten, Kinoveranstaltungen und Ähnlichem seien ihm überhaupt nicht mehr möglich. Konzerte oder Ähnliches mit Rollstuhl und Begleitperson wären zwar möglich, mit den dazwischenliegenden Toilettengängen aber nicht mehr lebensfroh. Da er bereits das Merkzeichen B zugesprochen bekommen habe, sei die Zuteilung des Merkzeichens RF gerechtfertigt, da er ein Leben lang die Urinbeutel tragen müsse.

Nach Einholung weiterer ärztlicher Unterlagen äußerte sich der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten am 20.03.2015 dahingehend, dass, auch wenn beim Kläger eine Urindauerableitung durchgeführt werden müsse, dies keinen vollständigen Ausschluss vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen auch unter Benutzung eines Rollstuhls und in Begleitung bedeute. Der Urinbeutel lasse sich auch bei öffentlichen Veranstaltungen in den in der Regel vorhandenen behindertengerecht ausgestatteten Toiletten wechseln bzw. entleeren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2015 wurde der Widerspruch mit der vom versorgungsärztlichen Dienst gegebenen Begründung zurückgewiesen.

Am 21.04.2015 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben. Er habe - so der Kläger - einen künstlichen Ausgang und sei zusätzlich auf einen elektrischen Rollstuhl/Elektrosooter (im Folgenden: Elektromobil) angewiesen. Das Elektromobil habe vier Räder und sei so schwer, dass es nicht hochgehoben werden könne. Mit diesem Hilfsmittel könne er keine öffentlichen Veranstaltungen besuchen. Ihm stehe daher das Merkzeichen RF zu.

Im Auftrag des SG hat der Internist Dr. M. den Kläger begutachtet. In seinem (ohne Anlagen) 23-seitigen Gutachten vom 19.06.2015 ist er zu der Einschätzung gekommen, dass in der Person des Klägers die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht vorlägen. Der Kläger sei ohne Weiteres in der Lage, die Wohnung zu verlassen, um öffentliche Veranstaltungen zu besuchen.

Zur Anfrage des SG, ob die Klage angesichts des Gutachtens zurückgenommen werde, hat der Kläger mit Schreiben vom 21.07.2015 mitgeteilt, dass er die Klage nicht zurücknehme. Es entspreche nicht der Wahrheit, dass er zum Termin in der Praxis des Sachverständigen mit Unterarmgehstützen erschienen sei. Er sei von seiner Ehefrau zur Praxis gebracht und von dort auch wieder abgeholt worden. Schon dies zeige, dass das Gutachten nicht sorgfältig erstellt sei. Der Gutachter habe eine mehr als 30 cm lange Narbe am Brustkorb übersehen. Dessen Einschätzung, dass er ein vergleichsweise normales Leben führen könne, dies aber dazu geführt habe, dass er erheblich an Gewicht zugenommen habe, sei schon sehr vermessen. Dem Gutachter seien offenbar die Nebenwirkungen des verordneten Cortisons (z. B. Gewichtszunahme) unbekannt. Ein weiteres Problem der ungenügenden Beurteilung sei, dass der Sachverständige nicht ausreichend auf die seit 2004 festgestellte Polyneuropathie hinweise. Er sei seit 2007 auf das Elektromobil angewiesen, das ihm von der Krankenkasse gestellt werde. Sofern der Sachverständige feststelle, dass eine Versorgung des Katheters im Bereich von öffentlichen Veranstaltungen problemlos möglich sei, vergesse dieser die Handhabung. Und das noch in einer jedermann zugänglichen öffentlichen Toilettenkabine, zumal als Transplantierter, der jeglichen Kontakt wegen Infektionsgefahr vermeiden solle! Dass es ihm sehr unangenehm sei, ständig eine öffentliche Toilette aufsuchen zu müssen, werde anscheinend nicht verstanden. Ein normaler Urinbeutel habe ein Fassungsvermögen von 700 ml. Zu berücksichtigen sei der erhöhte Urindrang bei einem Nierentransplantierten, der viel trinken solle. Interessant sei der vom Gutachter genannte angebliche Besuch beim Landwirtschaftswochenende; an diesen Besuch könne er sich „leider nicht erinnern“. Beigelegt hat der Kläger eine Auskunft des MVV, wonach in Bussen und Trambahnen ein Elektromobil nicht transportiert werden könne. Ein Transport in S- und U-Bahnen sowie in Regionalzügen sei grundsätzlich möglich.

Mit Schreiben vom 11.08.2015 hat der Kläger nochmals darauf hingewiesen, dass es für ihn außerordentlich schwierig sei, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Selbstverständlich seien viele Einrichtungen wie Kino oder Theater behindertengerecht ausgestattet. Nur seien diese Einrichtungen für ihn teilweise schwer, teilweise gar nicht erreichbar. Eine Ausnahme sei das P-Theater. Dieses könne er mit seinem Elektromobil ohne Probleme erreichen, denn dieses befinde sich in seiner unmittelbaren Wohnumgebung. Nur immer P-Theater sei aber auch nicht erstrebenswert. Leider sei ein Transport durch den öffentlichen Verkehrsverbund nicht möglich. Mit dem Auto könne er zwar verschiedene Einrichtungen erreichen, jedoch nur ohne das Elektromobil. Dieses sei nicht transportfähig. Ohne sein Elektromobil könne er sich in solchen Einrichtungen nicht bewegen. Das Problem seines künstlichen Ausgangs möchte er gar nicht weiter erwähnen.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.09.2015 ist die Klage abgewiesen worden.

Gegen den am 24.09.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 19.10.2015 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Die Berufung ist in der Folge trotz gerichtlicher Nachfrage nicht begründet worden. Die Ehefrau des Klägers hat nur mitgeteilt, dass dieser am 28.01.2016 im Klinikum I. zur stationären Behandlung aufgenommen worden sei. Auch zuvor habe er sich mehrfach ärztlicher oder krankenhausärztlicher Behandlung unterziehen müssen. Dem Kläger seien die nicht mehr funktionierenden Nieren entnommen worden. Weitere Operationen stünden an. Sobald der Kläger das Krankenhaus bzw. die Anschlussheilbehandlung hinter sich gebracht habe, werde er die Berufungsbegründung einreichen.

Mit vierseitigem gerichtlichem Schreiben vom 04.03.2016 ist dem Kläger erläutert worden, dass für die Berufung keine Erfolgsaussichten zu erkennen seien. Sollte sich sein Gesundheitszustand verschlechtern, ist ihm ein neuer Antrag beim Beklagten empfohlen worden.

Eine Reaktion des Klägers auf dieses Schreiben ist nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid vom 17.09.2015 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 05.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2015 zu verpflichten, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 31.05.2016 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden können, da dieser mit Schreiben des Senats vom 09.09.2016, dem Kläger am 13.09.2016 zugestellt, über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auch auf die Folgen seines Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2, § 153 Abs. 1 SGG).

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte und anschließend das SG sind zu der zutreffenden Einschätzung gekommen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF in der Person des Klägers nicht nachgewiesen sind.

Anspruchsgrundlage ist § 69 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), wonach die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale feststellen, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind, i. V. m. den Regelungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RdFunkBeitrStVtr) in der Fassung der Bekanntmachung des Fünfzehnten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Fünfzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 07. 06.2011 (Bayer. GVBl. S. 258).

Die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Rundfunkgebührenpflicht auf ein Drittel ergeben sich aus § 4 Abs. 2 RdFunkBeitrStVtr. Danach steht die Ermäßigung aus gesundheitlichen Gründen - blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 vom Hundert allein wegen der Sehbehinderung (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 RdFunkBeitrStVtr), - hörgeschädigten Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 RdFunkBeitrStVtr), und - behinderten Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 RdFunkBeitrStVtr), zu [Anmerkung des Senats: Die Worte „vom Hundert“ im RdFunkBeitrStVtr sind als redaktionelles Versehen überflüssig.].

Keine der drei Alternativen ist vorliegend erfüllt.

Der Kläger ist weder blind oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehindert mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung (vgl. vorgenannter erster Spiegelstrich) noch hörgeschädigt in der Form, dass er gehörlos wäre oder dass ihm eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich wäre (vgl. vorgenannter zweiter Spiegelstrich).

Der Kläger ist auch kein behinderter Mensch, dessen GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und der wegen seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann (vgl. vorgenannter dritter Spiegelstrich).

Der Befreiungstatbestand der Konstellation im dritten Spiegelstrich setzt - kumulativ neben einem GdB von mindestens 80 - voraus, dass der Behinderte wegen seines Leidens ständig, d. h. allgemein und umfassend, von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass er nur an einzelnen Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, nicht teilnehmen kann; vielmehr muss er praktisch an das Haus bzw. an die Wohnung gebunden sein (ständige Rspr., vgl. z. B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 17.03.1982, Az.: 9a/9 RVs 6/81, vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85, vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91, und vom 12.02.1997, Az.: 9 RVs 2/96; Urteile des Senats vom 31.03.2011, Az.: L 15 SB 105/10, vom 19.04.2011, Az.: L 15 SB 14/10, vom 19.12.2012, Az.: L 15 SB 26/10, und vom 20.10.2015, Az.: L 15 SB 163/13). Maßgeblich ist dabei allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl) und/oder mit Hilfe einer Begleitperson (vgl. BSG, Urteile vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85, und vom 11.09.1991, Az.: 9a/9 RVs 15/89). Wenn der Teilnahmeausschluss nicht behinderungsbedingt, sondern durch andere Umstände verursacht ist, kann dies das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht begründen (vgl. BSG, Urteil vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85; Urteile des Senats vom 19.04.2011, Az.: L 15 SB 14/10, und vom 19.12.2012, Az.: L 15 SB 26/10).

Im vorliegenden Fall scheitert die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF daran, dass ein behinderungsbedingter ständiger, d. h. allgemeiner und umfassender Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen nicht nachgewiesen ist.

Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat auf das überzeugende und nachvollziehbar begründete Gutachten, das der Sachverständige Dr. M. am 19.06.2015 im Verfahren vor dem SG erstellt hat. Der Gutachter hat die beim Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und in Übereinstimmung mit den zu beachtenden Vorgaben für das Merkzeichen RF zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen des Sachverständigen zu eigen. Der Senat berücksichtigt bei seiner Entscheidung auch den eigenen Vortrag des Klägers zu seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Einschränkungen, wobei auch das Vorbringen des Klägers nicht für das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF spricht. Die Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten, die dieser im sozialgerichtlichen Verfahren erhoben hat - im Berufungsverfahren ist von Klägerseite her kein inhaltlicher Vortrag mehr erfolgt -, können den Senat hingegen nicht überzeugen. Irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit der Gutachtenserstellung für das Merkzeichen RF relevant dauerhaft geändert hätte, gibt es nicht.

1. Zur Einschätzung des Sachverständigen

Der Sachverständige Dr. M. hat nachvollziehbar erläutert, dass aus ärztlichsachverständiger Sicht in der Person des Klägers die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht vorliegen.

Der gerichtliche Gutachter hat sich in seinem überaus ausführlichen Gutachten vom 19.06.2015 eingehend und überzeugend mit sämtlichen beim Kläger vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen auseinandergesetzt. Er hat auch die beim Kläger durchgeführte medikamentöse Therapie sowie dessen Versorgung und Versorgbarkeit mit Hilfsmitteln in seine Überlegungen einbezogen. Er hat den körperlichen Befund gründlich erhoben und alle vorliegenden Diagnosen aufgelistet und beachtet. Unter Berücksichtigung dieser sehr ausführlichen Erhebungen ist der Sachverständige nachvollziehbar zu der Einschätzung gekommen, dass der Kläger ohne weiteres - mit entsprechenden Hilfsmitteln und in Begleitung - in der Lage ist, die Wohnung zu verlassen, um öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Für Veranstaltungen wie z. B. Kinobesuche sowie Theater- und Opernaufführungen sieht der Sachverständige beim Kläger keinerlei Hemmnisse. Hindernisse am Besuch öffentlicher Veranstaltungen wegen eines infolge der Nierentransplantation geschwächten Immunsystems hat der Sachverständige nicht beschrieben. Die beim Kläger vorliegende Versorgung mit einem suprapubischen Blasenfistelkatheter und das daraus resultierende Erfordernis, beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen in den dortigen öffentlichen Toiletten erforderlichenfalls den Urinbeutel zu wechseln, begründet keine Bindung an die eigene Wohnung. Das Tragen eines Urinbeutels beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen und dessen Wechsel in öffentlichen Toiletten ist technisch gesehen problemlos möglich und dem Kläger durchaus zumutbar. Irgendwelche Hindernisse, die einem Wechsel in öffentlichen Toiletten entgegenstünden, sind nicht ersichtlich, insbesondere auch keine erhöhte Infektionsgefahr. Diese Einschätzung des Sachverständigen macht sich der Senat zu eigen.

2. Zum Vortrag des Klägers

Die Einwendungen des Klägers gegen die Einschätzung des Sachverständigen können den Senat nicht davon überzeugen, dass das Gutachten des Dr. M. unverwertbar wäre und dem Kläger das Merkzeichen RF zustünde. Auch die eigenen Angaben des Klägers begründen das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht. Weder die Tatsache, dass es der Kläger als unzumutbar empfindet, den Urinbeutel, den er wegen des künstlichen Harnausgangs benutzen muss, in öffentlichen Toiletten zu wechseln, noch der klägerische Hinweis darauf, dass er auf ein Elektromobil angewiesen sei, das so schwer sei, dass es nicht hochgehoben werden könne, und ihm daher der Besuch öffentlicher Veranstaltungen so gut wie unmöglich sei, sind mit dem Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF in Einklang zu bringen.

2.1. Vorwurf mangelnder Sorgfalt des Sachverständigen bei der Gutachtenserstellung

Der Senat kann nicht erkennen, dass der Sachverständige bei der Anfertigung seines Gutachtens zu wenig Sorgfalt aufgewendet hätte und das Gutachten daher nicht verwertbar wäre.

Dem Kläger ist zuzugestehen, dass das Gutachten einen gewissen Widerspruch insofern enthält, als der Sachverständige einerseits auf Seite 16 des Gutachtens angegeben hat, dass der Kläger die Praxis mit Unterarmgehstützen betreten habe, andererseits auf Seite 4 des Gutachtens ausgeführt hat, dass Unterarmgehstützen nicht genutzt würden. Letztlich ist dieser Gesichtspunkt aber für die Beurteilung der Verwertbarkeit des Gutachtens irrelevant. Auf den Gesichtspunkt der Benutzung von Unterarmgehstützen hat der Sachverständige seine Bewertung ohnehin nicht aufgebaut; dies war für die Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF kein entscheidungsrelevanter Gesichtspunkt. Irgendwelche anderen Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige bei seiner Begutachtung nicht die gebotene Sorgfalt walten hätte lassen, sind für den Senat nicht ersichtlich. Das Gutachten stellt daher für den Senat ohne jeden Zweifel eine geeignete und maßgebliche Entscheidungsgrundlage dar.

Wenn der Kläger darin eine nachlässiges Vorgehen des Sachverständigen zu erkennen meint, dass dieser eine mehr als 30 cm lange Narbe am Brustkorb übersehen habe, irrt er. Vielmehr hat der Sachverständige auf Seite 17 des Gutachtens die Narbe am Brustkorb, dort bezeichnet als „Narbe nach Sternotomie“ ausdrücklich in seinem Gutachten erwähnt und damit zur Kenntnis genommen (vgl. auch Seite 6 des Gutachtens). Der Senat kann nur vermuten, dass der Kläger aufgrund der Verwendung des medizinischen Fachbegriffs durch den Sachverständigen nicht erkannt hat, dass dieser die Narbe am Brustkorb sehr wohl zur Kenntnis genommen hat. Von einem Übersehen kann keine Rede sein.

Dass der Sachverständige nicht ausreichend auf die beim Kläger vorliegende Polyneuropathie hingewiesen hätte, kann der Senat nicht nachvollziehen. Vielmehr hat der Sachverständige diese Erkrankung, insbesondere die daraus resultierenden Sensibilitätsstörungen an den unteren Extremitäten und die daraus resultierende Funktionseinschränkungen, in seine Überlegungen einbezogen, was im Übrigen auch die Ausführungen zur grobneurologischen Überprüfung zeigen (vgl. Seite 3, 7, 15, 16 und 19 des Gutachtens).

Sofern der Kläger die Aussage des Gutachters, dass der Kläger ein vergleichsweise normales Leben führen könne und daher erheblich an Gewicht zugenommen habe, als sehr vermessen und Diffamierung bezeichnet, weil der Sachverständige aus Sicht des Klägers nicht zu wissen scheine, dass er Cortison nehmen müsse und eine Nebenwirkung dieses Arzneimittels auch eine Gewichtszunahme sei, und er damit dem Sachverständigen sinngemäß mangelnde Objektivität und Fachkenntnis unterstellt, ist dies nicht nachvollziehbar. Hätte der Kläger - aus Sicht des Senats nicht nachvollziehbar - dem Sachverständigen eine Befangenheit unterstellen wollen, hätte er dies im Rahmen eines Befangenheitsantrags geltend machen müssen, was er nicht (fristgerecht) gemacht hat. Im Übrigen hält der Senat die Einschätzung des Sachverständigen durchaus für nachvollziehbar. Den Angaben des Klägers folgend ist davon auszugehen, dass er seit 2009 und der damaligen Nierentransplantation Cortison zu sich nimmt. Ein Übergewicht hat aber bereits vorher bestanden. So ist bei der versorgungsärztlichen Begutachtung vom 17.01.1997 bei einer Körpergröße von 170 cm ein Gewicht von 103 Kilo festgestellt worden; schon damals, vor der Nierentransplantation im Jahr 2009, hat also ein Übergewicht bestanden. Ebenfalls über ein Körpergewicht von 103 kg ist im Pflegegutachten vom 20.11.2013 berichtet worden. Zu diesem Zeitpunkt muss der Kläger schon seit mehreren Jahren Cortison zu sich genommen haben, ohne dass sich sein Körpergewicht im Vergleich zu der Zeit vor der Nierentransplantation wesentlich verändert hat. Wenn im Rahmen der gerichtlichen Begutachtung vom 18.06.2015 von Dr. M. ein Körpergewicht von nunmehr 119 kg festgestellt worden ist, liegt jetzt eine Gewichtszunahme vor, die sich nach den vorliegenden Unterlagen nicht allein mit der Cortisoneinnahme erklären lässt. Die Ausführungen des Sachverständigen und seine Hinweise zur Ernährung erscheinen dem Senat daher sachgerecht und stellen die Qualifikation des Sachverständigen und die Qualität seines Gutachtens nicht infrage.

Auch der Einwand des Klägers, der Sachverständige habe bei seinem Hinweis darauf, dass der Urinbeutel bei öffentlichen Veranstaltungen in öffentlichen Toiletten gewechselt werden könne, die Handhabung „vergessen“, ist nicht nachvollziehbar. Ganz abgesehen davon, dass der Kläger seinen Einwand nicht ansatzweise näher substantiiert hat, ist für den Senat nicht ersichtlich, warum ein Wechsel des Urinbeutels nicht auch in einer öffentlichen Toilette möglich sein sollte. Der Senat kann sich die Vorbehalte des Klägers nur damit erklären, dass der Kläger offenbar übersehen hat, dass in öffentlichen Toiletten mit dort regelmäßig vorhandenen Behindertentoiletten für den Behinderten ein abschließbar Raum in der erforderlichen Größe zur Verfügung steht, in dem auch einem Rollstuhlfahrer ein Wechsel des Urinbeutels ohne irgendwelche Probleme und insbesondere auch ohne eine Beobachtung durch Dritte möglich ist.

Der Hinweis des Klägers darauf, dass er bei öffentlichen Veranstaltungen nur einen normalen Urinbeutel mit einem Fassungsvermögen von 700 ml, nicht aber einen größeren, verwenden könne, gibt keinen Hinweis darauf, dass der Sachverständige irgendetwas bei seiner Beurteilung übersehen haben könnte. Ganz abgesehen davon, dass der Sachverständige - entgegen den Ausführungen des Klägers - in seinem Gutachten an keiner Stelle den Vorschlag gemacht habe, der Kläger solle beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen „große“ Urinbeutel anstelle von „normalen“ mit ca. 700 ml Fassungsvermögen benutzen, wäre die Größe des verwendeten Urinbeutels auch kein maßgebliches Kriterium bei der Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF. Im Gutachten deutet nichts darauf hin, dass der Sachverständige seine Beurteilung von der Größe des verwendeten Urinbeutels abhängig gemacht hätte, geht er doch davon aus, dass der Wechsel des Urinbeutels auch im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen problemlos möglich ist. Der Vorwurf des Klägers, der Sachverständige habe nicht berücksichtigt, dass er als Nierenkranker viel trinken müsse, geht deshalb auch ins Leere.

Wenn der Kläger mit seiner Aussage, er könne sich an einen Besuch beim Landwirtschaftswochenende im Landwirtschaftsministerium nicht erinnern, den der Sachverständige in seinem Gutachten erwähnt habe, suggerieren will, dass der Sachverständige unzutreffende und haltlose Ausführungen in sein Gutachten aufgenommen habe, stellt dies die Qualität des Gutachtens nicht infrage. Es ist für den Senat schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass der Sachverständige seine diesbezüglichen Ausführungen einfach frei erfunden haben sollte. Ob der Kläger tatsächlich im Landwirtschaftsministerium gewesen ist oder nur durch (eventuell missverständliche) Äußerungen den Eindruck erweckt hat, er sei dort gewesen, mag dahingestellt bleiben. Denn angesichts der überaus überzeugenden und ausführlichen Erläuterungen des Sachverständigen hat der Senat keine Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung des Gutachters.

2.2. Benutzung von Inkontinenzartikeln in Form von Urinbeinbeuteln an sich kein Grund für das Merkzeichen RF

Dem Widerspruchsschreiben vom 08.12.2014 entnimmt der Senat, dass der Kläger der Meinung zu sein scheint, dass die Benutzung von Inkontinenzartikeln an sich bereits einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nach sich ziehe. Offenbar hat sich der Kläger diese Meinung gebildet, weil er die Hinweise auf Seite 4 des streitgegenständlichen Bescheids vom 05.11.2014 missverstanden hat. Dort - im dritten Spiegelstrich des zweiten Absatzes - hat der Beklagte die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF zutreffend damit erläutert, dass neben einem GdB von 80 Voraussetzung ist, dass dem Behinderten „auch mit Hilfe von Begleitpersonen und technischen Hilfsmitteln (z. B. Rollstuhl, Inkontinenzartikeln) eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht möglich ist.“ Neben einem GdB von 80 ist also Voraussetzung, dass der Behinderte an öffentlichen Veranstaltungen auch dann nicht teilnehmen kann, wenn er Inkontinenzartikel verwendet. Der Kläger scheint dies dahingehend missverstanden zu haben, dass neben einem GdB von 80 die Verwendung von Inkontinenzartikel ausreicht, um das Merkzeichen RF zu begründen.

2.3. Merkzeichen B und die Notwendigkeit der Benutzung von Urinbeuteln kein Grund für das Merkzeichen RF

Der letzte Absatz des Widerspruchsschreibens vom 08.12.2014 kann nur dahingehend interpretiert werden, dass der Kläger der Meinung ist, ihm stehe das Merkzeichen RF zu, weil ihm „das Merkzeichen B zugesprochen“ worden sei und ihn „ein Leben lang die Beinbeutel begleiten werden“. Ein derartiger Zusammenhang ist den gesetzlichen Regelungen fremd. Auch die Zuerkennung des Merkzeichens B ist kein entscheidendes Argument hinsichtlich des Merkzeichens RF.

2.4. Unzumutbarkeit des Tragens des Urinbeutels in der Öffentlichkeit und dessen Wechsels in öffentlichen Toiletten kein Grund für das Merkzeichen RF

Der Senat kann den Hinweis des Klägers darauf, dass er es als unzumutbar empfinde, in öffentlichen Toiletten den Urinbeutel zu wechseln, schon in der Sache nicht nachvollziehen. Bei den im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen zugänglichen öffentlichen Toiletten stehen regelmäßig auch Behindertentoiletten mit abgetrennten und abschließbaren Kabinen zur Verfügung. Derartige Toiletten sind vergleichsweise geräumig und gestatten es, den Urinbeutel ohne Anwesenheit Dritter zu wechseln. Im Übrigen dürfte ein solcher unbeobachteter Wechsel auch dann möglich sein, wenn keine spezielle Behindertentoilette zur Verfügung steht. Denn abschließbare Toilettenkabinen sind in öffentlichen Toiletten typischerweise vorhanden.

Der Senat kann es gleichwohl durchaus verstehen, dass sich der Kläger unwohl fühlt, wenn er im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen einen Urinbeutel bei sich trägt und nicht völlig ausgeschlossen ist, dass dies auch für dritte Personen erkennbar ist, beispielsweise auch dann, wenn er Vorkehrungen zum Wechsel des Urinbeutels trifft. Dieses subjektive Gefühl des Unwohlseins kann aber nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF begründen.

Das BSG (vgl. Urteile vom 09.08.1995, Az.: 9 RVs 3/95, und vom 12.02.1997, Az.: 9 RVs 2/96) hat wiederholt entschieden, dass aus einer Harninkontinenz unter dem Gesichtspunkt der Belastung der Umwelt kein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF resultiert. Von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen im Sinn des Merkzeichens RF ausgeschlossen ist der Behinderte nur dann, wenn ihm das Aufsuchen fast aller öffentlichen Veranstaltungen mit Rücksicht auf die Störung anderer Teilnehmer nicht zugemutet werden kann. Das ist erst dann der Fall, wenn es anderen Teilnehmern an öffentlichen Veranstaltungen nicht zumutbar ist, den Behinderten wegen der Auswirkungen seiner Behinderung zu ertragen, insbesondere, weil er durch seine Behinderung auf die Umgebung unzumutbar, abstoßend oder störend wirkt. Beispielhaft können hier die Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können, oder ekelerregende oder ansteckende Krankheiten genannt werden (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997, Az.: 9 RVs 2/96). Bei der Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit für die Umwelt des Behinderten ist aber zu bedenken, dass der Öffentlichkeit ein hohes Maß an Belastung durch behinderungsbedingte Auffälligkeiten zuzumuten ist, weil das Schwerbehindertenrecht die Eingliederung und nicht die Ausgrenzung Behinderter bezweckt (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91). Von einer solchen Belastung der Umwelt kann vorliegend nicht ausgegangen werden; auch der Kläger selbst hat dies nicht behauptet. Im Fall des Klägers kommt unter diesem Gesichtspunkt ohnehin noch dazu, dass eine Geruchsbelastung bei der bei ihm vorliegenden Katheterisierung samt Urinbeutel ohnehin nicht - oder allenfalls in ganz geringerem Umfang - vorliegt, anders als dies möglicherweise bei einer Versorgung mit Inkontinenzwindeln bei Harninkontinenz oder insbesondere bei einer Stuhlinkontinenz der Fall sein kann.

Der Gesichtspunkt eines subjektiven Unwohlseins selbst ist nicht geeignet, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF zu begründen (vgl. Urteil des Senats vom 31.03.2011, Az.: L 15 SB 105/10). Die sich aus der Katheterisierung ergebende Notwendigkeit der Benutzung von Urinbeuteln, die dann möglicherweise auch während der Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung gewechselt werden müssen, ist nur eine Auswirkung der Behinderung. Bei einem Urinbeutel handelt sich um ein übliches und behindertengerechtes Hilfsmittel, dessen Benutzung als solches den behinderten Menschen nicht zusätzlich herabmindert, sondern im Rahmen des Möglichen die Auswirkungen seiner Behinderung abmildert. Das subjektive Empfinden des Behinderten, der dies als unangenehm empfinden mag, ist eine verständliche Begleiterscheinung seiner Erkrankung, hat aber nicht zur Folge, ihm deswegen überhaupt nicht mehr den Besuch öffentlicher Veranstaltungen zuzumuten; von einer Verletzung der Menschenwürde, die den Besuch von öffentlichen Veranstaltungen unmöglich machen würde, kann daher nicht ausgegangen werden (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995, Az.: 9 RVs 3/95). Das Merkzeichen RF steht einem (empfindsamen) Behinderten also nicht deshalb zu, weil er die Öffentlichkeit um der anderen willen meidet (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91). Vielmehr ist der Behinderte auch gehalten, aktiv im Rahmen des Zumutbaren an seiner Eingliederung mitzuwirken und (subjektive wie objektive) Hindernisse an der Teilnahme öffentlicher Veranstaltungen, soweit ihm möglich und zumutbar, abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1997, Az.: 9 RVs 2/96). Dafür, dass es dem Kläger nicht zumutbar wäre, seine subjektiven Empfindungen und sein Unwohlsein infolge der Benutzung von Urinbeuteln zurückzustellen und gleichwohl an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Sofern der Kläger angibt, ein ihm mit Begleitperson und Rollstuhl durchaus möglicher Konzertbesuch oder Ähnliches sei wegen der dazwischen liegenden Toilettengänge „nicht mehr lebensfroh“, spricht dies daher nicht für das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF, sondern ganz klar dagegen. Zudem hat der Senat auch nicht unerhebliche Zweifel daran, dass bei der Verwendung von vom Kläger als „normal“ bezeichneter Urinbeutel mit 700 ml Fassungsvermögen bei einem Opernbesuch die Toilette zum Wechsel des Urinbeutels überhaupt außerhalb der regulären Pausen aufgesucht werden muss, auch bei der vom Kläger angegebenen überdurchschnittlichen Trinkmenge. Jedenfalls bei einem Besuch von Museen oder Ausstellungen würde sich aus dem Wechsel des Urinbeutels keine Unterbrechung der Veranstaltung ergeben, die den Kläger oder seine Umwelt irgendwie über die Maßen beeinträchtigen würde. Im Übrigen scheint auch das BSG davon auszugehen, dass es nach allgemeiner Erfahrung durchaus nicht wenige öffentliche Veranstaltungen gibt, die nicht länger als 30 Minuten dauern (vgl. BSG, Urteil vom 11.09.1991, Az.: 9a/9 RVs 15/89).

2.5. Eingeschränkte Fortbewegungsfähigkeit bei Benutzung des Elektromobils kein Grund für das Merkzeichen RF

Auch wenn der Kläger durch die Benutzung des ihm von seiner Krankenkasse zur Verfügung gestellten Elektromobils vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen weitgehend ausgeschlossen wäre, kann das das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht begründen.

Selbst wenn der klägerische Vortrag dahingehend als zutreffend unterstellt wird, dass er bei Benutzung seines Elektromobils nur wenige öffentliche Veranstaltungen und diese nur in seinem näheren Wohnumfeld erreichen könne, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger praktisch an das Haus bzw. die Wohnung gebunden wäre. Denn entscheidend für die Frage der Bindung an Haus bzw. Wohnung können nicht die Umstände seien, die sich aus der beim Kläger vorliegenden spezifischen Versorgung mit dem dem Kläger konkret zur Verfügung stehenden Elektromobil ergeben.

Allein bei der Frage des Ausmaßes der gesundheitlichen Beeinträchtigung kommt es auf die individuelle Lage des Behinderten an. Im Übrigen sind jedoch individuelle Ansätze nicht maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91). Dies bedeutet, dass das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF - wie im Übrigen genauso nicht mit den konkreten Wohnumständen (vgl. BSG, Urteil vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85; Bayer. LSG, Urteil vom 19.04.2011, Az.: L 15 SB 14/10) - nicht durch eine spezifische Art der Versorgung mit einem bestimmten Hilfsmittel und den daraus resultierenden Schwierigkeiten beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen begründet werden kann, sofern es sich dabei nicht um die einzig mögliche oder zumutbare Art der Versorgung handelt. Vielmehr kann, solange ein Schwerbehinderter mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, nicht davon ausgegangen werden, dass er von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen praktisch ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 03.06.1987, Az.: 9a RVs 27/85; Urteil des Senats vom 19.04.2011, Az.: L 15 SB 14/10).

Der Kläger kann sich daher nicht darauf stützen, dass er bei Benutzung des Elektromobils aufgrund dessen Gewichts bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und möglicherweise auch bei manchen Veranstaltungen erheblich beeinträchtigt ist. Denn eine Unbenutzbarkeit beispielsweise von Bus und Trambahn resultiert nicht aus der behinderungsbedingten Einschränkung des Klägers, sondern aus der Verwendung des Elektromobils und dem hohen Gewicht dieses Hilfsmittels.

Dafür, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung zwingend auf die Benutzung eines Elektromobils angewiesen wäre und keinen normalen Rollstuhl, zumindest bei entsprechender Begleitung, benutzen könnte, spricht nichts. Die Versorgung mit einem Elektromobil durch die Krankenkasse lässt sich zwar problemlos damit erklären, dass der Kläger damit in Anbetracht der Gesamtheit seiner Behinderungen vergleichsweise mobil und dabei nicht auf die Unterstützung Dritter angewiesen ist. Insofern ist die Versorgung mit einem Elektromobil sicherlich ein nicht unbedeutender Beitrag zur Erhaltung der unabhängigen Mobilität des Klägers. Die Benutzung eines normalen und damit erheblich leichteren Rollstuhls mit Unterstützung einer Begleitperson ist dem Kläger aber ohne jeden Zweifel möglich. Irgendwelche Bedenken, dass ein nicht elektrobetriebener Rollstuhl vom Kläger nicht benutzt werden könnte, wenn er darin von einer Begleitperson geschoben wird, sind nicht ersichtlich. Würde der Kläger sich im öffentlichen Raum mit einem derartigen Rollstuhl und Begleitperson bewegen, wäre ihm die Teilnahme an einer Vielzahl öffentlicher Veranstaltungen möglich; daran bestehen für den Senat nicht die geringsten Zweifel. Denn die vom Kläger angegebene Einschränkung der Unbenutzbarkeit mancher öffentlicher Verkehrsmittel wäre bei einem Rollstuhl nicht gegeben. Der Kläger hat selbst bei der Begutachtung angegeben, sich durchaus 50 bis 100 m ohne Hilfsmittel bewegen zu können. Insofern ist es ihm ohne weiteres möglich, mit allen öffentlichen Verkehrsmittel zu fahren, wenn er einen normalen Rollstuhl benutzt und er darin von seiner Begleitperson geschoben wird; ein Wechsel in das öffentliche Verkehrsmittel und die Überwindung von Schwellen oder Stufen ist angesichts der vom Kläger selbst angegebenen und vom Sachverständigen beschriebenen Gehfähigkeit ohne Zweifel möglich. Auch die vom Kläger angegebenen Probleme während des Besuchs mancher öffentlicher Veranstaltungen, z. B. bei der Überwindung von Türschwellen oder Stufen, wären dann nicht gegeben. Insofern ist festzuhalten, dass die vom Kläger angegebenen Schwierigkeiten beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen nicht aus seiner Behinderung, sondern aus der Art des von ihm verwendeten Hilfsmittels resultieren, bei der Verwendung eines anderen, ihm durchaus zumutbaren Hilfsmittels (normaler Rollstuhl) aber nicht gegeben wären.

2.6. Problematik der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel als Grund für das Merkzeichen RF

Wie bereits oben (vgl. oben Ziff. 2.5.) erläutert, kann der Senat die Schwierigkeit des Klägers, sich mit seinem Elektromobil in öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen, nachvollziehen. Derartige Probleme gibt es jedoch nicht, wenn der Kläger mittels eines normalen Rollstuhls und Begleitperson unterwegs ist. In diese Konstellation ist die Benutzung weitgehend aller öffentlicher Verkehrsmittel möglich, so dass sich unter diesem Gesichtspunkt kein weitgehender Ausschluss von der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ergeben kann.

3. Keine weiteren Ermittlungen

Der Senat sah sich nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt und sah dazu auch keine verfahrensrechtliche Pflicht. Der Kläger hat weder im sozialgerichtlichen Verfahren nach Erstellung des dortigen Gutachtens noch im Berufungsverfahren vorgetragen, dass sich sein Gesundheitszustand mit Blick auf die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF auf Dauer verschlechtert hätte. Den Schreiben der Ehefrau des Klägers vom 06.02.2016 und 02.03.2016 ist zwar zu entnehmen, dass sich der Kläger zwischenzeitlich einer oder mehreren Operationen unterzogen hat und weitere operative Eingriffe zu erwarten sind. Da für die Beurteilung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen genauso wie für die des GdB die Schwere einer Akuterkrankung allein kein maßgebliches Kriterium ist, sondern entscheidend ist, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Folge der Akutsituation verbleiben, wobei gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die negative Abweichung des Gesundheitszustands von dem für das Lebensalter typischen Zustand mehr als sechs Monate lang vorliegen muss, sah der Senat keinen Anlass, einen oder mehrere Berichte über möglicherweise gerade erst durchgeführte Operationen einzuholen, zumal nach der vorliegenden Mitteilung der Ehefrau des Klägers die Krankenhausaufenthalte bzw. die Anschlussheilbehandlung noch nicht abgeschlossen sind. Auch aus der vom Klinikum I. vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 29.02.2016 ergibt sich nichts, was Anlass für weitere Ermittlungen gegeben hätte. Dort ist lediglich berichtet worden, dass sich der Kläger seit dem 28.01.2016 wegen „Krankheit“ in stationärer Behandlung befinde, ohne irgendwelchen weiteren Angaben zu machen. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass operative Eingriffe regelmäßig mit dem Ziel der Besserung des Gesundheitszustands durchgeführt werden. Da der Kläger selbst keine Verschlechterungen vorgebracht oder vortragen lassen hat, waren weitere Ermittlungen ins Blaue hinein nicht durchzuführen.

Der Kläger hat daher mit seiner Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn

1.
dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden,
2.
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

(2) Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 20.10.2016 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Würzburg zurückverwiesen.

II. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls des Klägers.

Der Kläger erlitt am 01.11.2011 einen Arbeitsunfall, bei dem er sich das linke Fersenbein brach. Mit Bescheid vom 21.11.2014 (Widerspruchsbescheid vom 05.03.2015) lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) eingelegt. Das SG hat Beweis erhoben durch Beiziehung von bildgebenden Befunden und Einholung eines fachchirurgischen Gutachtens des ärztlichen Sachverständigen Dr. H. vom 13.07.2015 von Amts wegen.

Am 06.08.2015 ging das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. H. beim SG ein. Mit Schreiben vom gleichen Tag hat das SG den Kläger darum gebeten, sich bis spätestens 03.09.2015 zu äußern, ob im Hinblick auf das Beweisergebnis des Gutachtens die Klage zurückgenommen wird. Die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen erscheine für die Entscheidungsfindung des Gerichts nicht erforderlich. Es stehe dem Kläger frei, bis zum genannten Termin die Einholung von Gutachten durch Ärzte seines Vertrauens zu beantragen (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG), wenn er glaube, dem vorliegenden Gutachten nicht folgen zu können. Für eine eventuelle Antragstellung, Benennung des Beweisthemas und des Gutachters werde eine Frist bis zum 03.09.2015 gesetzt. Es werde gebeten, sich mit dem benannten Gutachter vorher in Verbindung zu setzen, ob er bereit sei, das Gutachten zu erstellen. Das SG hat im weiteren Verfahrensverlauf - unter anderem wegen Jahresurlaubs des Prozessbevollmächtigten des Klägers - die Frist bis zum 10.11.2015 verlängert. Mit Fax vom 04.11.2015 hat der Kläger Professor Dr. H. von der BG-Klinik F-Stadt als Gutachter nach § 109 SGG benannt.

Mit Beweisanordnung vom 18.01.2016 hat das SG Professor Dr. H. zum ärztlichen Sachverständigen auf seinem Fachgebiet ernannt. Mit Schreiben vom 21.04.2016 und 02.06.2016 hat das SG den ärztlichen Sachverständigen an die Übersendung des in Auftrag gegebenen Gutachtens erinnert. Am 13.06.2016 hat der ärztliche Sachverständige dem SG mitgeteilt, dass es ihm aufgrund seiner erheblichen Arbeitsbelastung als Chefarzt der chirurgischen Abteilung sowie als ärztlicher Direktor nicht möglich sei, das Sachverständigengutachten persönlich zu erstatten. Zur Erledigung des Auftrages möchte er den Facharzt für Chirurgie und Oberarzt Dr. N. heranziehen, der die körperliche Untersuchung durchführen, im Zusammenarbeit mit ihm das Gutachten schriftlich abfassen und auch, falls erforderlich, als Sachverständiger herangezogen werden soll. Aufgrund einer Vielzahl von Gutachtensaufträgen sei mit der Fertigstellung des Gutachtens voraussichtlich bis Ende des Jahres zu rechnen. Es werde um Rückmeldung gebeten, ob das SG mit dem Vorgehen einverstanden sei und erforderlichenfalls um Abänderung des Beweisbeschlusses.

Das Schreiben des ärztlichen Sachverständigen Professor Dr. H. hat das SG dem Kläger am 15.06.2016 mit Bitte um Kenntnis und Stellungnahme binnen 2 Wochen übersandt. Nach gewährter Fristverlängerung hat der Kläger am 14.07.2016 mitgeteilt, dass mit dem vom Gutachter vorgeschlagenen Vorgehen kein Einverständnis bestünde. Es werde als Gutachter nunmehr Dr. K., Klinikum M. vom Roten Kreuz, F-Stadt benannt. Mit Schreiben vom 18.07.2016 und Erinnerung vom 01.08.2016 und 24.08.2016 hat das SG die Rücksendung der Akten bei Professor Dr. H. angefordert. Nach Eingang der Akten am 24.08.2016 hat das SG am 22.09.2016 für den 19.10.2016 einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt.

Mit Fax vom 30.09.2016 hat der Kläger beim SG angefragt, weshalb nicht der nunmehr benannte Gutachter beauftragt worden sei; es wurde um Aufhebung und Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung gebeten. Daraufhin hat das SG am 04.10.2016 den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und mitgeteilt, dass, nachdem der ursprünglich benannte Gutachter das entsprechende Gutachten nicht fertige bzw. nach der Benennung eines weiteren Gutachters nicht fertigen soll, nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Karlsruhe der Fall eines nicht präsenten Beweismittels vorliege und daher eine Terminierung habe erfolgen können. Mit weiterem Schreiben vom gleichen Tag hat das SG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, und ihnen Gelegenheit gegeben, sich hierzu bis zum 19.10.2016 zu äußern.

Daraufhin hat der Kläger mit Fax vom 14.10.2016 sein Unverständnis mit der Vorgehensweise des SG geäußert. Er hat darauf hingewiesen, dass für ihn nicht erkennbar gewesen sei, dass der zuerst benannte Gutachter das Gutachten nicht fristgerecht erstellen werde; dieser habe das vorab zugesichert. Auf die entsprechende Mitteilung durch das Gericht habe der Kläger dann ohne schuldhaftes Zögern einen anderen Gutachter benannt. Überdies treffe die Rechtsprechung des SG Karlsruhe auf den vorliegenden Fall nicht zu. Auch verstehe er nicht, weshalb die Ablehnung des neuen Antrags nach § 109 SGG erst 3 Monate nach Benennung des neuen Gutachters bzw. 4 Monate nach Mitteilung des vorher benannten Gutachters, dass er das Gutachten nicht fristgerecht selbst erstellen könne, erfolgt sei. Die Verzögerung des Rechtstreits sei nicht auf ein Verhalten des Klägers zurückzuführen. Die Nichteinholung des Gutachtens verstoße gegen das Recht auf rechtliches Gehör.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2016 hat das SG die Klage abgewiesen.

Gegen die Entscheidung des SG hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er rügt einen Verstoß gegen sein Recht auf rechtliches Gehör durch das SG und verlangt weiterhin die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG durch Dr. K.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 20.10.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2015 zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von einem Grad von mehr als 20 zu gewähren,

hilfsweise, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 20.10.2016 aufzuheben und unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts an das Sozialgericht Würzburg zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Gründe

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 25.04.2017 bzw. vom 26.04.2017 ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Die Berufung ist im Sinne einer Aufhebung des angegriffenen Gerichtsbescheids vom 20.10.2016 und einer Zurückverweisung der Sache an das SG auch begründet.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die Bescheide vom 21.11.2014 und vom 05.03.2015 (Widerspruchsbescheid), mit denen die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 01.11.2011 abgelehnt hat.

Rechtsgrundlage für die Entscheidung, das Urteil des SG aufzuheben und zurückzuverweisen, ist § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Hiernach kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Das Verfahren vor dem SG leidet an einem wesentlichen Mangel, denn das SG hat das Recht des Klägers auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG (zu § 109 SGG als Sonderregelung zu § 103 S. 2 SGG für das Recht der Beweiserhebung durch Sachverständige siehe BSG, Urteil vom 20.04.2010 - B 1/3 KR 22/08 R, juris Rn. 16; Urteil vom 14.03.1956 - 9 RV 226/54, juris Rn. 10 f.) nicht beachtet. Der Kläger hat erstinstanzlich mit Fax vom 14.07.2016 die Anhörung des Arztes Dr. K., Klinik für Schulterchirurgie an der Klinik M. vom Roten Kreuz, F-Stadt beantragt. Dem Antrag hat das SG zu Unrecht nicht entsprochen.

Nach § 109 Abs. 1 S. 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt (S. 2).

Der Kläger hat als Versicherter mit Fax vom 14.07.2016 die gutachtliche Anhörung des Arztes Dr. K. beantragt. Der geforderte Kostenvorschuss war bereits eingezahlt.

Ein Grund für die Ablehnung des Antrags nach § 109 Abs. 2 SGG lag nicht vor. Danach kann das Gericht einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Es ist schon nicht erkennbar, dass die Zulassung des am 14.07.2016 gestellten Antrags nach § 109 SGG auf Anhörung des Dr. K. - insbesondere bei bereits eingezahltem Kostenvorschuss - zu einer Verzögerung des Verfahrens geführt hätte. Zum Zeitpunkt des Antrags war weder durch das SG eine Terminierung des Rechtsstreits zur Verfahrensbeendigung erfolgt noch ins Auge gefasst. Eine Terminierung des Rechtsstreits erfolgte erst am 22.09.2016 und somit mehr als 2 Monate nach Antragstellung. Zudem hatte das SG dem Kläger mit der Weiterleitung des Schreibens des zunächst als Gutachter nach § 109 SGG benannten Arztes Professor Dr. H. vom 13.06.2016 zur Kenntnis und Stellungnahme binnen 2 Wochen sein Einverständnis mit der in dem Schreiben vorgeschlagenen Vorgehensweise signalisiert. Auch bei einer Zustimmung des Klägers zur Abänderung der Beweisanordnung nach § 109 SGG durch Ernennung des Oberarztes Dr. N. zum ärztlichen Sachverständigen anstelle des Professor Dr. H. wäre aber allenfalls bis Ende des Jahres mit einem Eingang des Gutachtens zu rechnen gewesen, wie aus dem Schreiben vom 13.06.2016 hervorgeht. Damit konnte das SG nach dem von ihm ins Auge gefassten weiteren Verfahrensverlauf nicht von einer Terminierung des Verfahrens vor Februar 2017 ausgehen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es dem vom Kläger benannten Dr. K. nicht ebenfalls möglich gewesen wäre, innerhalb - gerechnet ab dem Eingang der Äußerung des Klägers am 14.07.2016 - von fünfeinhalb Monaten das Gutachten nach § 109 SGG zu erstellen. Damit wäre aber auch im Fall der Ernennung des Dr. K. zum ärztlichen Sachverständigen eine Terminierung des Rechtsstreits ab Februar 2017 möglich gewesen.

Im Übrigen hat der Kläger seinen Antrag auf Anhörung des Dr. K. nach § 109 SGG auch nicht aus grober Nachlässigkeit, also unter Außerachtlassung jeglicher für die Prozessführung erforderlichen Sorgfalt (vgl. BSG v. 10.06.1958 - 9 RV 836/55, juris Rn. 16; v. 10.12.1971 - 11 RA 56/71, juris Rn. 13), nicht früher vorgebracht. Zwar hat der Kläger den Antrag erst am 14.07.2016 und somit außerhalb der vom SG ursprünglich bis zum 10.11.2015 gewährten Frist zur Benennung eines nach § 109 SGG anzuhörenden Arztes gestellt. Allerdings erfolgte die nicht fristgerechte Benennung von Dr. K. in Reaktion auf die Mitteilung des Professor Dr. H. vom 13.06.2016, dass es ihm nicht möglich sei, das Sachverständigengutachten persönlich zu erstatten. Diese Mitteilung wurde dem Kläger am 15.06.2016 zugeleitet. Die Benennung des anstelle von Professor Dr. H. nach § 109 SGG gutachtlich zu hörenden Arztes erfolgte dann innerhalb angemessener Monatsfrist. Eine verspätete Antragstellung aus grober Nachlässigkeit ist damit nicht zu erkennen.

Entgegen der Auffassung des SG kann ein grob nachlässiges Verhalten des Klägers auch nicht darin gesehen werden, dass dieser vor der Benennung des Professor Dr. H. als nach § 109 SGG gutachtlich zu hörenden Arzt nicht ausreichend geklärt habe, ob Professor Dr. H. zur Gutachtenserstattung bereit und in der Lage sei. Denn mit seiner Annahme setzt sich das SG über den ausdrücklichen Vortrag des Klägers hinweg, dass ihm Professor Dr. H. vorab zugesichert habe, das Gutachten fristgerecht zu erstellen, ohne anzugeben, weshalb dieser Vortrag unzutreffend sein soll.

Für das Vorliegen einer Verschleppungsabsicht im Sinne des § 109 Abs. 2 SGG fehlen jegliche Anhaltspunkte.

Der beschriebene Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil die Entscheidung des SG auf ihm beruhen kann (zur Wesentlichkeit des Mangels siehe Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 159 Rn. 3a; zur unberechtigten Ablehnung eines Antrags nach § 109 SGG als wesentlichem Verfahrensmangel siehe u.a. BSG v. 21.01.1960 - 8 RV 1277/58, juris). Hätte das SG dem Antrag des Klägers entsprochen, hätte es entgegen seiner getroffenen Entscheidung im Wege der Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommen können, dass unfallbedingte Gesundheitseinschränkungen des Klägers die Gewährung einer Verletztenrente begründen. Der Kläger hat die Nichtbeachtung seines Rechts nach § 109 SGG auch ausdrücklich gerügt.

Es ist beim gegenwärtigen Sachstand davon auszugehen, dass der vorliegende Verfahrensmangel eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme erforderlich macht. Denn die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung einer Verletztenrente hat, kann nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung entschieden werden. Das SG hat durch Einholung aktueller Befunde der behandelnden Ärzte des Klägers und eines Gutachtens nach § 109 SGG weiteren Beweis zu erheben. Dabei stellt schon allein die Einholung eines weiteren Gutachtens eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme dar, da sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (vgl. u.a. LSG Berlin-Brandenburg v. 09.03.2017 - L 13 SB 273/16, juris Rn. 21, u. v. 14.01.2016 - L 27 R 824/15, juris Rn. 14; Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern v. 27.08.2014 - L 5 U 6/14, juris Rn. 82; a.A. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 159 Rn. 3a). Zudem zieht ein solches Gutachten erfahrungsgemäß weitere Stellungnahmen der Beteiligten nach sich und macht häufig auch eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme des zunächst von Amts wegen gehörten ärztlichen Sachverständigen erforderlich.

Bei seiner Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG hat der Senat sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob er die Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll zwar in der Regel vermieden werden (Keller a.a.O. Rn. 5a). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie einerseits sowie dem Verlust einer Instanz andererseits hält es der Senat jedoch vorliegend für angezeigt, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Berufung des Klägers erst seit 17.11.2016 und somit seit relativ kurzer Zeit in der Berufungsinstanz anhängig ist. Dem Kläger entsteht durch die Zurückverweisung somit kein wesentlicher zeitlicher Nachteil. Auch ist der Rechtsstreit aus den genannten Gründen nicht entscheidungsreif. Vielmehr ist zunächst der medizinische Sachverhalt von Amts wegen umfassend aufzuklären, um abschließend prüfen zu können, ob (nunmehr) die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente beim Kläger vorliegen. Zudem kann nicht außer Acht bleiben, dass der Kläger bereits erstinstanzlich die Nichtbeachtung seines Rechts nach § 109 SGG gerügt und sich das SG über seinen Vortrag zur nicht gegebenen Nachlässigkeit ohne Angabe von Gründen hinweggesetzt hat. Die hierzu angehörten Beteiligten haben im Übrigen gegen eine Zurückverweisung keine Einwendungen erhoben.

Nach alledem fällt für den Senat der Umstand, dass dem Kläger durch eine Zurückverweisung an das SG eine Instanz zurückgegeben wird, wesentlich stärker ins Gewicht als die durch die Zurückverweisung eintretende kurze zeitliche Verzögerung im gerichtlichen Verfahren.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.