Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 13. Jan. 2014 - L 5 R 911/13 B ER

bei uns veröffentlicht am13.01.2014

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 29.04.2013. Der Antragsteller betrieb bis 31.12.2011 in A-Stadt ein Transportunternehmen und beschäftigte mehrere Kraftfahrer. In der Zeit vom 11.05.2012 bis 20.11.2012 führte die Antragsgegnerin eine Betriebsprüfung durch für den Prüfzeitraum 01.08.2008 bis 31.12.2011. Dabei stellte sie fest, dass Herr P. S. (P. S.), Herr R. L. (R. L.) und Herr R. (R.) als Kraftfahrer ohne eigenes Fahrzeug für den Antragsteller tätig waren. Diese Personen führten zwar für den Antragsteller Transporte durch, ihre Entlohnung war jedoch nicht im Lohnkonto gebucht. Vielmehr fanden sich die Zahlungen, die an diese drei Kraftfahrer geleistet wurden, unter dem Konto für Fremdleistungen. Der Fahrer R. war tätig von Januar 2008 bis August 2010 und erhielt monatlich etwa 3.000,00 Euro ausgezahlt. Den aktuellen Aufenthalt von R. konnte die Antragsgegnerin nicht ermitteln. P. S. war tätig von Januar 2008 bis Februar 2009 und erhielt ebenfalls ca. 3.000,00 Euro monatlich. Dieser hatte zwar ein Gewerbe angemeldet, besaß aber keine eigenen Betriebsräume. Seine Rechnungstellung basierte auf Tagespauschalen in Höhe von jeweils 150,00 bzw. 170,00 Euro. R. L. war für den Antragsteller fortlaufend tätig ab September 2010. Auch er hatte ein Gewerbe angemeldet und auch eine eigene Betriebsnummer. Für den Monat November 2009 hatte er einen Arbeitnehmer gemeldet. Nach Anhörung erließ die Beklagte am 29.04.2013 den streitgegenständlichen Betriebsprüfungsbescheid, mit dem sie 106.005,62 Euro Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachforderte. Darin enthalten waren 24.369,00 Euro Säumniszuschläge. Sie stützte ihre Entscheidung darauf, dass die drei vorgenannten Fahrer nicht als selbstständig Tätige auftraten, sondern die abgerechneten Leistungen im Namen und auf Rechnung des Auftraggebers, des Antragsteller, erbracht hätten. Sie hätten auch kein unternehmerisches Risiko getragen, sondern lediglich ihre Arbeitskraft eingebracht. Weiter hätten die Fahrer keine eigene Betriebsstätte unterhalten und auch im streitgegenständlichen Zeitraum keine Mitarbeiter beschäftigt. Bei der Berechnung wandte die Antragsgegnerin aufgrund der gezahlten Beträge die Nettolohnfiktion an unter Kürzung auf die jeweiligen Beitragsbemessungsgrenzen. Weiter stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Antragsteller bei seinem Mitarbeiter O. bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge Zuschläge für Sonn-, Nacht- und Feiertagsarbeit in Abzug gebracht hatte, obwohl diese nicht zusätzlich zum Lohn geleistet worden waren. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch mit Schreiben vom 08.05.2013. Mit Schreiben vom 13.05.2013 korrigierte die Antragsgegnerin den Bescheid vom 29.04.2013 wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers auf eine Gesamtforderung von 107.140,85 Euro einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 24.709,50 Euro. Am 16.05.2013 wiederholte der Antragsteller den Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.04.2013 und stellte zugleich einen Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Er begründete den Widerspruch damit, dass P. S. aufgrund Auftragsmangels bei einem anderen Arbeitgeber sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei. Auftragsmangel und finanzielle Engpässe stellten ein unternehmerisches Risiko dar, das P. S. getragen habe. R. L. habe sogar eine eigene Betriebsnummer gehabt und auch einen Arbeitnehmer beschäftigt. Die Tatsache, dass Herr R. nicht erreichbar sei, sei bereits Indiz dafür, dass dieser selbstständig tätig sei. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ab mit Schreiben vom 21.05.2013. Am 07.06.2013 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht München die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 16.05.2013 gegen den Bescheid vom 29.04.2013 beantragt. Er hat geltend gemacht, dass die sofortige Zahlung der Beitragsnachforderung die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers nachhaltig vernichten und ihm damit einen Schaden zufügen würden, der über die mit der Zahlung verbundenen Nachteile weit hinausginge. Darüber hinaus bestünden auch erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 09.08.2013 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass zum einen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides bestünden und zum anderen nicht hinreichend dargelegt sei, inwieweit durch den Vollzug des Verwaltungsaktes eine unbillige Härte bzw. eine konkrete Notlage für den Antragsteller entstünde. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 13.09.2013. Zur Begründung führt er aus, dass der Antragsteller den Geschäftsbetrieb bereits mit Wirkung vom 31.12.2011 eingestellt habe. Die Tatsache, dass nunmehr der Antragsteller mit seinem Privatvermögen hafte, begründe eine unbillige Härte.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts München vom 09.08.2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 16.05.2013 gegen den Bescheid vom 29.04.2013 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass das Sozialgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt habe. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Akte der Antragsgegnerin sowie auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen.

II.

Die zulässige Beschwerde (§§ 173, 174 SGG) ist in der Sache nicht erfolgreich. Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Regelung gilt während eines Widerspruchs- und Klageverfahrens. Ob das Gericht den vorläufigen Rechtsschutz gewährt, steht in dessen Ermessen („kann“) und erfordert eine Interessenabwägung der relevanten öffentlichen und privaten Belange bei Gewährung oder Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes sowie eine Abschätzung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache. Ein überwiegendes öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung ist insbesondere dann gegeben, wenn es sich ohne Weiteres und ohne vernünftige Zweifel erkennen lässt, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Rechtsverfolgung des Bürgers keinen Erfolg verspricht (BT-Drucks. 14/5943 unter Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht NJW 74, 2104). Unter Anwendung dieser Grundsätze ist im hier streitigen Verfahren die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht anzuordnen. Es bestehen keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung der Antragsgegnerin. Streitig ist zwischen den Beteiligten eine Beitragsnachforderung zuzüglich Säumniszuschläge aufgrund einer Betriebsprüfung nach § 28 p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Es steht fest, dass in dem vormaligen Betrieb des Antragstellers mehrere Personen als Fahrer tätig waren, insbesondere P. S., R. L. und R ... Darüber hinaus steht auch fest, dass der weitere Fahrer O. in den Monaten Dezember 2009 bis Januar 2010 einen Nettomonatslohn erhalten hat. Hierbei wurden steuerfreie Zuschläge in Ansatz gebracht, die jedoch nicht zusätzlich zum Lohn ausbezahlt worden sind. Zuschläge sind jedoch nur dann sozialversicherungsfrei, wenn diese zusätzlich zum Lohn gewährt werden (§ 17 SGB IV i. V. m. § 1 Arbeitsentgeltverordnung, § 3 b Einkommensteuergesetz). Daher hat die Antragsgegnerin insoweit zutreffend die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge für den Fahrer O. nachgefordert. Hinsichtlich der Beitragsnachforderung für die Tätigkeit von P. S., R. L. und R. beruht die Beitragsnachforderung auf dem Umstand, dass diese Fahrer für den Antragsteller im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden sind. In Würdigung der dokumentierten Tätigkeit der Fahrer sprechen für eine abhängige Beschäftigung folgende gewichtige Tatsachen: - Der Antragsteller hat den Fahrern die erforderlichen Fahrzeuge zur Verfügung gestellt. - Die Fahrer sind für Kundenaufträge des Antragstellers tätig geworden. Sie sind nach außen hin jedenfalls in diesem Zusammenhang nicht als Selbstständige aufgetreten. - Die Fahrer haben keine eigenen Betriebsstätten unterhalten. Demgegenüber sind zwar auch Elemente zu erkennen, die für eine Selbstständigkeit der Fahrer sprechen, wie der Antragsteller zu Recht geltend macht. Diese sind: - das nur fallweise Tätigwerden der Fahrer, - die Vergütung aufgrund Rechnungstellung, - das Fehlen eines Anspruchs auf Lohnfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfalle und - die Anmeldung eines eigenen Gewerbes. Diese Gesichtspunkte treten jedoch im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung hinter den erstgenannten Merkmalen der abhängigen Beschäftigung zurück. Der erkennende Senat hat in seiner ständigen Rechtsprechung zur Beschäftigung von Lkw-Fahrern ohne eigenes Fahrzeug betont, dass es sich bei dem Lkw um das wesentliche Betriebsmittel handelt, das auch das unternehmerische Risiko verkörpert (vgl. insbesondere L 5 R 23/12, Urteil vom 09.05.2012). Einer abhängigen Beschäftigung der Fahrer steht auch nicht entgegen, dass die Fahrer zusätzlich in einem anderen Betrieb abhängig beschäftigt waren. An diesem Umstand vermag der Senat kein unternehmerisches Risiko zu erkennen. Daher hat die Antragsgegnerin, ausgehend von einer abhängigen Beschäftigung, zu Recht die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachgefordert. Diese sind auch rechnerisch nicht zu beanstanden. Maßgeblich ist das gezahlte Entgelt. Dabei ist nach § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV aus dem ausgezahlten Nettolohn der fiktive Bruttolohn zu ermitteln. Mit der „Hochrechnung“ auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt als Beitragsbemessungsgrundlage kommt § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Ergebnis ein sanktionsähnlicher Charakter zu. (BSG, Urteil vom 09.11.2011, B 12 R 18/09 R, Rnr. 26, zitiert nach juris). Dem liegt zugrunde, dass Abgaben vom Arbeitgeber gerade (überhaupt) nicht gezahlt wurden, obwohl er seine diesbezüglichen Arbeitgeberpflichten aufgrund der anderen von ihm regulär beschäftigten Fahrer kannte. Die notwendige Kürzung der Nachforderung auf die Beitragsbemessungsgrenzen hat die Antragsgegnerin zutreffend vorgenommen. Darüber hinaus hat der Antragsteller weder nachvollziehbar dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass für ihn die Vollziehung der Beitragsforderung eine unbillige, nicht durch öffentliche Interessen zu rechtfertigende Härte darstellen würden; entsprechende Anhaltspunkte sind auch sonst nicht ersichtlich. Eine unbillige Härte des Sofortvollzugs besteht, wenn Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86a Rn. 27b m. w. N.; vgl. auch Bayer. LSG Beschluss vom 28.01.2011, L 5 R 848/10 B ER, Rn. 20, zitiert nach juris). Im hier zu entscheidenden Fall vermag selbst eine hypothetische Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers eine unbillige Härte nicht zu begründen, denn der mögliche Härtefall ist durch überwiegende öffentliche Interessen geboten. Nach der Betriebsaufgabe zum 31.12.2011 wird der Antragsteller die Nachforderung aus dem Arbeitgeberbetrieb künftig nicht erwirtschaften. Deshalb ist den Interessen der Antragsgegnerin sowie denjenigen der beitragsbetroffenen beschäftigten Fahrer an einer alsbaldigen Realisierung der Beitragsnachforderung der Vorrang einzuräumen. Deren drohenden Rechtsverlusten kommt mehr Gewicht zu als dem drohenden Rechtsverlust des Antragstellers. Es besteht somit nicht die Gefahr, dass ein offensichtlich rentabel wirtschaftender Arbeitgeber durch die Beitragsnachforderung erst in die Insolvenz geführt wird (Bayerisches LSG, Beschluss v. 30.7.2012, L 5 R 267/12 B ER, mit Anm. Schafhausen, ASR 2012, 210; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9.1.2013 - L 8 R 406/12 B ER).

Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt derjenigen des Sozialgerichts (§§ 52 Abs. 2, 47 Abs. 2 Gerichtskostengesetz). Dieser Beschluss beendet das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz und ist nicht mit der weiteren Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 177


Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialger

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 197a


(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskosten

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 14 Arbeitsentgelt


(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus de

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 173


Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; § 181 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleibt unberührt. Die Beschwerdefrist i

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 17 Verordnungsermächtigung


(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung, zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung oder zu

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Bundessozialgericht Urteil, 09. Nov. 2011 - B 12 R 18/09 R

bei uns veröffentlicht am 09.11.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juli 2009 aufgehoben.

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Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen; § 181 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleibt unberührt. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Belehrung über das Beschwerderecht ist auch mündlich möglich; sie ist dann aktenkundig zu machen.

(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung, zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung oder zur Vereinfachung des Beitragseinzugs zu bestimmen,

1.
dass einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten,
2.
dass Beiträge an Direktversicherungen und Zuwendungen an Pensionskassen oder Pensionsfonds ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten,
3.
wie das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen und das Gesamteinkommen zu ermitteln und zeitlich zuzurechnen sind,
4.
den Wert der Sachbezüge nach dem tatsächlichen Verkehrswert im Voraus für jedes Kalenderjahr.
Dabei ist eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen.

(2) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestimmt im Voraus für jedes Kalenderjahr durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Bezugsgröße (§ 18). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auch sonstige aus der Bezugsgröße abzuleitende Beträge zu bestimmen.

(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.

(2) Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.

(3) Wird ein Haushaltsscheck (§ 28a Absatz 7) verwendet, bleiben Zuwendungen unberücksichtigt, die nicht in Geld gewährt worden sind.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juli 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe nachgeforderter Gesamtsozialversicherungsbeiträge.

2

Der Kläger ist Inhaber eines Baggerbetriebs und tritt im Geschäftsverkehr unter dem Briefkopf "B." auf. Der Beigeladene zu 1., ein polnischer Staatsangehöriger, verrichtete für ihn in den Jahren 2004 und 2005 mit Unterbrechungen verschiedene Arbeiten (Bagger fahren, Rohre verlegen, Aufräumen von Baustellen, Fertigen des Unterbaus bei Pflasterarbeiten usw). Er hatte in dieser Zeit ein Gewerbe "Baggerarbeiten (ohne Straßenbau)" angemeldet und führte den Briefkopf "B.". Geschäftsadresse war diejenige des Klägers. Grundlage seiner Tätigkeit war ua ein mit dem Kläger abgeschlossener "Subunternehmervertrag", wonach er für den Kläger als Baggerfahrer arbeiten und auf Stundenbasis in Höhe von 10 Euro netto bezahlt werden sollte. Der Beigeladene zu 1. wohnte während seiner Einsätze bei dem Kläger und benutzte dessen Büro sowie dessen Betriebsmittel (Bagger, Werkzeuge ua). Aus der Vergütung des Beigeladenen zu 1., die jeweils mindestens 750 Euro monatlich betrug, führte der Kläger keine Lohnsteuer ab, ebenso wenig erstattete er für den Beigeladenen zu 1. Arbeitgebermeldungen und entrichtete auch keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge.

3

Nachdem sich im Rahmen einer Steuerfahndung bei dem Kläger Hinweise auf eine "Scheinselbstständigkeit osteuropäischer Selbstständiger" ergeben hatten, führte der beklagte Rentenversicherungsträger (Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz) bei dem Kläger eine Betriebsprüfung durch. Mit Bescheid vom 25.8.2006 stellte die Beklagte zunächst fest, dass der Beigeladene zu 1. in der Zeit vom 1.11.2004 bis 30.11.2005 (Prüfzeitraum) in seiner Tätigkeit für den Kläger wegen einer Beschäftigung in allen Zweigen der Sozialversicherung und in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig war und die Versicherungspflicht mit dem Tag der Beschäftigungsaufnahme (1.11.2004) begann. Ferner forderte sie Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagebeträge nach dem Lohnfortzahlungsgesetz in Höhe von insgesamt 10 552,74 Euro nach sowie hierauf entfallende Säumniszuschläge in Höhe von 531 Euro. Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die nachgeforderten Beiträge nahm die Beklagte ein "illegales Beschäftigungsverhältnis" iS von § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV an und rechnete die dem Beigeladenen zu 1. gezahlte Vergütung nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IV auf ein Bruttoarbeitsentgelt hoch, wobei sie die Lohnsteuerklasse VI ansetzte. Den Widerspruch des Klägers, mit dem sich dieser nur noch gegen die Höhe der nachgeforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge, nämlich die Hochrechnung der Beitragsbemessungsgrundlage nach § 14 Abs 2 SGB IV und die Anwendung der Lohnsteuerklasse VI sowie die Festsetzung von Säumniszuschlägen wandte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.6.2007 zurück.

4

Im Klageverfahren hat der Kläger die (teilweise) Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt, "soweit die Beklagte die Beitragsforderung auf der Grundlage einer Nettolohnvereinbarung nach Lohnsteuerklasse VI bemessen und Säumniszuschläge festgesetzt hat". Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.2.2009), das LSG die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 29.7.2009): Umstritten sei allein (noch) die Berechnung der Nachforderung, die die Beklagte indes rechtmäßig vorgenommen habe. Der Kläger habe im Hinblick auf die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. weder seiner Meldepflicht noch seinen Aufzeichnungs- und Nachweispflichten noch seiner Pflicht zur Abführung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen genügt. Damit sei ein "illegales Beschäftigungsverhältnis" iS von § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV anzunehmen mit der Folge, dass ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart gelte und dieses nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IV auf das Bruttoarbeitsentgelt hochzurechnen sei. Zwar sei der Begriff des "illegalen Beschäftigungsverhältnisses" im Gesetz nicht definiert. Jedoch ergebe sich im Wege der Auslegung, dass "Illegalität" bereits bei bloßer objektiver Gesetzwidrigkeit des Beschäftigungsverhältnisses vorliege. Eines zusätzlichen subjektiven Elements bedürfe es für die Annahme von "Illegalität" nicht. Die Beklagte habe bei der Hochrechnung auf das Bruttoarbeitsentgelt auch zu Recht die Lohnsteuerklasse VI zugrunde gelegt, weil der Beigeladene zu 1. dem Kläger eine Lohnsteuerkarte schuldhaft nicht vorgelegt und ein Arbeitgeber in solchen Fällen die Lohnsteuer nach dieser Steuerklasse zu ermitteln habe. Die Beklagte habe auch zu Recht Säumniszuschläge erhoben.

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung von § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV. Das LSG habe nicht berücksichtigt, aus welchen Gründen es zu einer Nichtzahlung von Abgaben gekommen sei. Er habe kein Arbeitsverhältnis verheimlicht, sondern lediglich rechtsirrig ein Auftragsverhältnis angenommen. Infolge dieser Fehlbeurteilung sei es zu der Verletzung der ihm obliegenden Pflichten gekommen. Ein "illegales Beschäftigungsverhältnis" könne nicht schon bei jedem objektiven Verstoß gegen Vorschriften des Sozialversicherungsrechts angenommen werden. Angesichts der Komplexität des Melderechts in der Sozialversicherung käme es andernfalls zu einer Häufung "illegaler Beschäftigungen", weshalb ein subjektives Element - zumindest im Sinne von Leichtfertigkeit - zu fordern sei. Die Beklagte habe bei ihrer Hochrechnung nach § 14 Abs 2 SGB IV im Übrigen nur die Lohnsteuerklasse I ansetzen dürfen, weil der Beigeladene zu 1. im Hinblick auf seinen Wohnsitz in Polen beschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juli 2009 und das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 18. Februar 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2007 aufzuheben,
1. soweit höhere Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagebeträge gefordert werden als es sich nach den festgestellten Entgelten als Bruttoentgelte ergibt,
hilfsweise,
soweit höhere Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagebeträge gefordert werden als eine Hochrechnung von Nettoentgelten ausgehend von Steuerklasse I anstelle von Steuerklasse VI vorgenommen wird,
2. soweit es die Festsetzung von Säumniszuschlägen anbelangt.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Kläger habe bei seiner versicherungsrechtlichen Beurteilung im Übrigen mindestens grob fahrlässig gehandelt. Auch sei zutreffend Lohnsteuerklasse VI zugrunde gelegt worden.

9

Die Beigeladene zu 4. (Bundesagentur für Arbeit) schließt sich der im Berufungsurteil vertretenen Auffassung an, stellt aber keinen Antrag. Die übrigen Beigeladenen äußern sich nicht.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

11

Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu Unrecht hat sich das LSG bei seiner Beurteilung der von dem beklagten Rentenversicherungsträger (Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz) erhobenen Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagebeträgen für die Annahme der Wirkungen des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV auf das Vorliegen einer "objektiven" Verletzung von Zahlungspflichten sowie hiermit zusammenhängender Pflichten beschränkt. Damit ein "illegales Beschäftigungsverhältnis" im Sinne dieser Vorschrift angenommen werden kann, bedarf es neben der Feststellung eines solchen objektiven Verstoßes einer - hier nicht vorgenommenen - Überzeugungsbildung dazu, ob bei dem Kläger ein auf die Verletzung dieser Pflichten gerichteter (mindestens bedingter) Vorsatz bestand. Weil es an tatsächlichen Feststellungen des LSG zu diesem - erforderlichen - subjektiven Element des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV fehlt, kann der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob die Beklagte bei ihrer Beitragsberechnung (gleichwohl) zutreffend die Fiktion einer Nettoarbeitsentgeltvereinbarung bejaht, infolgedessen das gezahlte Arbeitsentgelt richtigerweise auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt "hochgerechnet" und so die Beitragsbemessungsgrundlage rechtsfehlerfrei ermittelt hat. Hieraus ergibt sich gleichzeitig, dass der Senat nicht darüber befinden kann, ob die Beklagte berechtigt war, (überhaupt) Säumniszuschläge zu erheben. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht auch noch Feststellungen dazu treffen (und sich - hierauf aufbauend - eine Überzeugung dazu bilden) müssen, ob die Beklagte bei der "Hochrechnung" die Lohnsteuer zutreffend ermittelt hat.

12

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 25.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.6.2007 nur insoweit, als er die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Umlagebeträgen für die Zeit vom 1.11.2004 bis 30.11.2005 und die diesen Beiträgen zugeordneten Säumniszuschläge betrifft. Nicht zu überprüfen ist demgegenüber, ob die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. wegen Beschäftigung und den Beginn dieser Versicherungspflicht zutreffend festgestellt hat. Der Kläger hat sein Überprüfungsbegehren schon im Widerspruchsverfahren entsprechend beschränkt, so dass insoweit Bestandskraft eingetreten ist. Zu beurteilen sind die Beitragsforderungen schließlich nicht insgesamt, sondern nur insoweit, als sie auf der "Hochrechnung" der gezahlten Vergütung auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt beruhen. Zudem ist (insgesamt) über die Rechtmäßigkeit der Säumniszuschläge zu entscheiden.

13

2. Als Ausgangspunkt und Rechtsgrundlage für die Beitragsberechnung der Beklagten kommt allein § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV in seiner bis heute unveränderten Fassung(des Gesetzes vom 23.7.2002, BGBl I 2787) in Betracht. Danach gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden sind. Daraus folgt, dass auch in solchen Fällen - wie nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IV bei einer (legalen) Nettoarbeitsentgeltvereinbarung - die Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach dem sog Abtastverfahren zu ermitteln sind. Als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt gelten danach die Einnahmen des Beschäftigten iS von § 14 Abs 1 SGB IV zuzüglich der auf sie entfallenden (direkten) Steuern und des gesetzlichen Arbeitnehmeranteils an den Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung.

14

Zutreffend hat das LSG auf der Grundlage seiner Feststellungen zunächst angenommen, dass Kläger und Beigeladener zu 1. in bzw mit dem "Subunternehmervertrag" keine (legale) Nettoarbeitsentgeltvereinbarung iS des § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IV getroffen haben, die eine "Hochrechnung" auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt als Beitragsbemessungsgrundlage ebenfalls geböte. Dass es einen - erforderlichen (vgl BSGE 64, 110, 112 f = SozR 2100 § 14 Nr 22 S 22 f; ferner BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 35 S 161) - ausdrücklichen oder konkludenten Willen des Klägers vor oder im Auszahlungszeitpunkt verneint hat, die Steuern und Beitragsanteile des Beigeladenen zu 1. zu übernehmen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

15

Das Berufungsgericht ist zutreffend auch davon ausgegangen, dass die übrigen Voraussetzungen des - dann alternativ zu prüfenden - § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV vorlagen. Nach seinen Feststellungen hat der Kläger - weil der Beigeladene zu 1. zu Unrecht als Selbstständiger behandelt worden ist - insgesamt weder Steuern noch Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung abgeführt. Der Senat braucht daher die Frage(n) nicht zu beantworten, ob die Vorschrift voraussetzt, dass Steuern und Beiträge kumulativ und vollständig nicht gezahlt wurden oder die Vorenthaltung von Beiträgen auf Entgeltteile oder zu einzelnen Versicherungszweigen insoweit ausreicht. Steuern und Beiträge wurden außerdem - wie es § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV erfordert - aus Anlass eines zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1. bestehenden "Beschäftigungsverhältnisses" vorenthalten. Dass der Beigeladene zu 1. bei dem Kläger in der streitigen Zeit beschäftigt war (und deshalb Versicherungspflicht bestand), hat die Beklagte mit Bescheid vom 25.8.2006 bestandskräftig festgestellt (vgl auch zu den bei - wie hier - grenzüberschreitenden Sachverhalten mit zu berücksichtigenden Maßstäben für die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit nach dem Recht der EU sowie zu den Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Staatsangehörige der Beitrittsstaaten - BGH Beschluss vom 27.9.2011 - 1 StR 399/11 - NStZ-RR 2012, 13 = juris RdNr 11 ff). Nach den Feststellungen des LSG ist dem Beigeladenen zu 1. auch Arbeitsentgelt (tatsächlich) zugeflossen. Dessen bedarf es, weil hieran die Steuer(zahlungs)pflicht in jedem Fall und die Beitragspflicht dann anknüpft, wenn ein (wirksamer) Rechtsanspruch auf die Einnahmen nicht besteht (ähnlich Seewald in KassKomm, Stand Einzelkommentierung August 2008, § 14 SGB IV RdNr 139). Schließlich bestehen gegen eine Anwendung des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV nicht etwa deshalb allgemein Bedenken, weil der Beigeladene zu 1. in der streitigen Zeit geringfügig beschäftigt gewesen wäre. Im Hinblick auf die bestandskräftige Feststellung seiner Versicherungspflicht durch die Beklagte und die Feststellungen des Berufungsgerichts zu seinen Einnahmen in den Jahren 2004 und 2005 kann der Senat die Frage unbeantwortet lassen, ob die Fiktion einer Nettoarbeitsentgeltvereinbarung überhaupt Geltung beanspruchen kann, wenn die Arbeitsentgeltabrede - wie bei geringfügigen Beschäftigungen - ihrer Natur nach eine Bruttoarbeitsentgeltabrede ist.

16

Eine "Illegalität" des Beschäftigungsverhältnisses iS des seit dem 1.8.2002 geltenden (dazu a) § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV liegt entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung allerdings nicht bereits dann vor, wenn die Nichtzahlung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung (allein) aus Anlass ("bei") einer objektiven Verletzung dieser Zahlungspflichten und mit ihnen einhergehender, hierauf bezogener Pflichten erfolgt, also darauf beruht. Insoweit sind (allein) die vom Berufungsgericht so bezeichneten "objektiven Gegebenheiten im Hinblick auf die Nichtzahlung der Abgaben" nicht ausreichend (dazu b). Hinzukommen muss vielmehr, dass die Pflichtverstöße von einem subjektiven Element in der Form eines (mindestens bedingten) Vorsatzes getragen sind (dazu c).

17

a) Seit den 1990er Jahren erfolgten Sanktionen gegen die sog illegale Schattenwirtschaft ("Schwarzarbeit") auf der Grundlage des "Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit" (idF der Bekanntmachung vom 6.2.1995, BGBl I 165; "SchwarzArbG 1995") vornehmlich durch die Ahndung von (gerade auch arbeitgeberseitigen) Pflichtverstößen als Ordnungswidrigkeiten und durch den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Im August 2002 trat die Bekämpfung der Schwarzarbeit in eine neue Phase ein. Mit dem "Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit" vom 23.7.2002 (BGBl I 2787; "SchwarzArbG 2002") wurde - mit dem Ziel, Schaden von der Volkswirtschaft, vor allem den öffentlichen Haushalten einschließlich derjenigen der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung fernzuhalten sowie Wettbewerbsverzerrungen zwischen legaler und illegaler Arbeit zu verhindern (vgl Entwurf der Bundesregierung zu diesem Gesetz, BT-Drucks 14/8221 S 11) - ein Maßnahmenpaket geschnürt, um die Verfolgung der Schwarzarbeit (und der illegalen Beschäftigung) durch die Behörden zu erleichtern und Sanktionen insgesamt zu verschärfen. In diesem Zusammenhang erhielt § 14 Abs 2 SGB IV einen Satz 2(Art 3 Nr 2 SchwarzArbG 2002), der die "Schwarzgeldabrede" bei "illegalen Beschäftigungsverhältnissen" mit der (legalen) Nettoarbeitsentgeltvereinbarung gleichstellte. Mit der Fiktion einer Nettoarbeitsentgeltvereinbarung sollten vor allem in der Praxis bestehende Feststellungsschwierigkeiten wegen des "Übernahmewillens" zur Tragung der auf das gezahlte "Schwarzgeld" entfallenden Steuern und Arbeitnehmeranteile beim Arbeitgeber beseitigt werden (vgl Regierungsentwurf, BT-Drucks 14/8221 S 14 zu Nr 2 <§ 14 Abs 2>; ferner Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Brüderle ua betreffend "Schattenwirtschaft in Deutschland", BT-Drucks 15/726 S 3 f). Mit dem "Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung" vom 23.7.2004 (BGBl I 1842; "SchwarzArbG 2004") hat der Gesetzgeber sodann - mit dem Ziel, ein neues Unrechtsbewusstsein gegenüber Schwarzarbeit zu schaffen und leistungsfähige Strukturen zu deren Bekämpfung zu bilden (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Gesetz, BT-Drucks 15/2573 S 18 zu Art 1 § 1 Abs 2) - die vielen Erscheinungsformen von Schwarzarbeit erstmals gesetzlich definiert und die in zahlreichen Gesetzen enthaltenen Regelungen zur Schwarzarbeitsbekämpfung in einem "Stammgesetz" zusammengefasst. Eine wichtige materiell-rechtliche Änderung war in diesem Kontext die Ergänzung des Straftatbestandes der Beitragshinterziehung (vgl § 266a StGB).

18

b) Anders als der Begriff "Schwarzarbeit" (vgl § 1 Abs 2 und 3 SchwarzArbG 2004) ist der vom Gesetz hierzu parallel verwendete und deshalb hiervon zu unterscheidende Begriff "illegales Beschäftigungsverhältnis" nicht legaldefiniert worden. Der Begriffsinhalt ist daher im Wege der Auslegung zu ermitteln. Bei offenem Wortlaut (dazu aa) ist unter (gesetzes)systematischen (dazu bb) und teleologischen Gesichtspunkten (dazu cc) eine Auslegung des Begriffs "illegales Beschäftigungsverhältnis" geboten, die - auf der Ebene des objektiven Tatbestands - jedenfalls den hier zu beurteilenden Fall eines Verstoßes gegen zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts (und des Steuerrechts) erfasst (dazu dd).

19

aa) Dem Wortsinn nach, für den mangels eines allgemeingültigen Rechtsbegriffs der "Illegalität" auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen ist, erweist sich jede Beschäftigung als "illegal", die gegen geltendes Recht verstößt. Ob das Attribut "illegal" im Lichte des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV auf bestimmte Rechtsverstöße einzugrenzen ist, und - wenn ja - welche spezifischen Pflichtverletzungen dann erfasst werden sollen, lässt sich dem Wortlaut der Norm nicht entnehmen.

20

bb) Führt die sprachlich-grammatikalische Auslegung zu keinem (eindeutigen) Ergebnis, so ist indes aus Gründen der (Gesetzes)Systematik eine Auslegung geboten, wonach "Illegalität" iS des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV bereichsspezifisch jedenfalls auf die Verletzung solcher Pflichten zu beschränken ist, die die Beschäftigung (selbst) betreffen oder solcher Pflichten, die einen im öffentlichen Recht wurzelnden, spezifischen Bezug zu ihr haben(vgl ähnlich Klattenhoff in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand Einzelkommentierung Juli 2003, K § 14 RdNr 44: "Rechtsverstöße … , die die Beschäftigung oder die aus ihr folgenden Hauptpflichten des öffentlichen Rechts … zum Gegenstand haben").

21

Für dieses Auslegungsergebnis kann allerdings nicht an jene Normen angeknüpft werden (vgl hierzu die umfangreiche Aufzählung bei Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 14 RdNr 320), die den Terminus "illegale Beschäftigung" ebenfalls verwenden, mit diesem jedoch nur einen Anlasstatbestand bezeichnen, ohne diesen für ihren Kontext näher oder sogar allgemein zu definieren. Aufschluss geben jedoch - in gewisser Weise - § 5 Satz 1 Nr 1 des - mittlerweile außer Kraft getretenen - SchwarzArbG 1995, § 31a Abgabenordnung (AO), der durch das SchwarzArbG 2002 neu gefasst worden ist sowie § 16 Abs 2 SchwarzArbG 2004. Alle drei Vorschriften (zu § 31a AO vgl Gesetzentwurf, BT-Drucks 14/8221 S 20 zu Art 10 Nr 2 Buchst a) geben - in Klammerzusätzen - Hinweise zur Konkretisierung des (komplexen) Begriffs "Illegalität", indem sie jeweils für ihren Regelungszusammenhang Pflichtverletzungen aus dem Arbeitsförderungsrecht, dem Arbeitnehmerüberlassungsrecht, dem Arbeitnehmerentsenderecht, dem Steuerrecht, dem Beitragsrecht, dem Ausländerrecht, dem Arbeitserlaubnisrecht usw, benennen. Vor allem der Umstand, dass "illegale Beschäftigung" mit dem SchwarzArbG 2002 und dem SchwarzArbG 2004 in einen engen Zusammenhang mit dem Tatbestand der "Schwarzarbeit" gestellt worden ist, zeigt, dass der Begriff "illegales Beschäftigungsverhältnis" iS von § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV einerseits weit zu verstehen ist und infolgedessen bei allen Erscheinungsformen illegaler "Schattenwirtschaft (Beschäftigung)" anzuwenden, andererseits aber auf bestimmte beschäftigungsbezogene Pflichtverletzungen(vgl § 1 Abs 2 Nr 1 SchwarzArbG 2004)beschränkt werden muss.

22

cc) Das auf der Grundlage (gesetzes)systematischer Erwägungen ermittelte Auslegungsergebnis ist auch unter teleologischen Gesichtspunkten geboten. Die Ergänzung des § 14 Abs 2 SGB IV um einen Satz 2 durch das SchwarzArbG 2002 war Teil eines umfassenden, mehrschichtigen Maßnahmenpakets mit der Zielsetzung, den durch illegale Beschäftigung entstehenden erheblichen Schaden für die Volkswirtschaft (öffentliche Haushalte einschließlich derjenigen der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung) einzudämmen und einer Wettbewerbsverzerrung zwischen legaler und illegaler Arbeit entgegenzuwirken(vgl Gesetzentwurf zum SchwarzArbG 2002, BT-Drucks 14/8221 S 11). Insoweit sollten mit der in dem neuen Satz 2 aufgestellten (unwiderlegbaren) Vermutung einer Nettoarbeitsentgeltvereinbarung vor allem aufgrund der Rechtsprechung des BSG zum früheren Recht (vgl hier BSGE 64, 110 = SozR 2100 § 14 Nr 22; dazu unter c) bestehende Schwierigkeiten beim Nachweis einer solchen (legalen) Vereinbarung beseitigt und sollte so die Abwicklung aufgedeckter Fälle erleichtert werden (vgl Gesetzentwurf, BT-Drucks 14/8221 S 14 zu Art 3 Nr 2; ferner Antwort der Bundesregierung, aaO, BT-Drucks 15/726 S 3 f). Die Klärung dieser unbefriedigenden Situation dahingehend, dass bei derartigen Zahlungen "unter der Hand" für die Beitragsbemessungsgrundlage nunmehr vom Bruttoarbeitsentgelt auszugehen war, steht aber in untrennbarem Zusammenhang damit, im Interesse der verfolgten Gesetzesziele eine Abschreckungswirkung zu erreichen (vgl Gesetzentwurf, BT-Drucks 14/8221 S 11). Die Ergänzung des § 14 Abs 2 SGB IV als Teil des gesetzlichen Maßnahmenbündels einerseits und als Reaktion auf die bisherige Rechtsprechung des BSG zur einvernehmlichen Vorenthaltung von Steuern und Beiträgen andererseits gebietet es, die Bedeutung der "Illegalität" eines Beschäftigungsverhältnisses iS von § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV auch mit Blick auf den Gesetzeszweck auf die Verletzung von Pflichten zu beschränken, die eine Affinität zur Beschäftigung (selbst) oder einen im öffentlichen Recht wurzelnden, spezifischen Bezug zu ihr haben. An dieser Auslegung (auch) aus teleologischen Gründen ändert nichts, dass der Begriff "illegale Beschäftigung" in der Begründung des Entwurfs des SchwarzArbG 2002 (vgl Gesetzentwurf, BT-Drucks 14/8221 S 11) - ohne weitere Eingrenzungen - in einem umfassenden Sinn als "Sammelbegriff" angesehen worden ist "für eine Vielzahl von verschiedenen Ordnungswidrigkeitentatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch".

23

dd) Ist die Frage nach der Bedeutung der von § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV vorausgesetzten "Illegalität" eines Beschäftigungsverhältnisses danach in der beschriebenen Weise zu beantworten, so ist - auf der Ebene des objektiven Tatbestandes - die Feststellung einer Verletzung solcher Pflichten einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend. Um schlichte Berechnungsfehler und bloße versicherungs- sowie beitragsrechtliche Fehlbeurteilungen, die ebenfalls zu einer Nichtzahlung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung führen können, im Sinne des Klägers aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszunehmen, bedarf es einer Eingrenzung auf bestimmte Erscheinungsformen objektiver Gesetzwidrigkeit nicht. Eine solche Wirkung wird vielmehr über das zusätzliche Erfordernis des (mindestens bedingten) Vorsatzes erreicht (dazu c).

24

Es kann dahinstehen, welche innerhalb des oben beschriebenen Rahmens liegende Pflichtverletzungen im Einzelnen gefordert werden müssen, damit ein "illegales Beschäftigungsverhältnis" angenommen werden kann. Jedenfalls wird der vorliegende Fall einer Nichtzahlung von Lohnsteuer und Beiträgen unter Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung hierzu (vgl - für die Beitragszahlung - § 28d und § 28e SGB IV) und die vorausgehenden Melde-, Aufzeichnungs- und Nachweispflichten (vgl § 28a und § 28f SGB IV)hiervon erfasst, weil er als Verletzung der zentralen arbeitgeberbezogenen Pflichten des Sozialversicherungsrechts (und des Lohnsteuerrechts) zu qualifizieren ist. Dass sich die Nichtzahlung von Lohnsteuer und Beiträgen zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsförderung lediglich als "Folgefehler" einer "Fehlbeurteilung" des Versicherungsstatus (in einem Fall von "Scheinselbstständigkeit") darstellen soll, wie sie der Kläger für sich in Anspruch nimmt, ist dafür ohne Belang.

25

c) Unzutreffend ist das LSG aber davon ausgegangen, dass für die Anwendung des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV ein "subjektives Element der Illegalität" nicht erforderlich sei. Zwar trifft es zu, dass der Gesetzeswortlaut eine solche Voraussetzung nicht explizit enthält. Aus dem Normzusammenhang mit § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IV(und § 14 Abs 1 SGB IV) sowie dem schon unter b) angesprochenen Zweck der Vorschrift im Kontext der mit dem SchwarzArbG 2002 und dem SchwarzArbG 2004 verfolgten Ziele ergibt sich jedoch, dass es eines solchen - ungeschriebenen - Tatbestandsmerkmals als Korrektiv bedarf, um Arbeitgeber nicht schon bei der Vorenthaltung von Steuern und Beiträgen infolge schlichter Berechnungsfehler und bloßer (einfacher) versicherungs- und beitragsrechtlicher Fehlbeurteilungen mit der qualifizierten Rechtsfolge des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV zu belasten.

26

Mit seiner Anordnung der "Hochrechnung" auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt als Beitragsbemessungsgrundlage kommt § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV im Ergebnis ein sanktionsähnlicher Charakter zu(ebenso BGHSt 53, 71, juris RdNr 15; Klattenhoff, aaO, K § 14 RdNr 43 Fn 194; Werner, aaO, § 14 RdNr 315). Anders als bei einer (legalen) Nettoarbeitsentgeltvereinbarung, bei der die Beteiligten für die Bemessung des Nettoarbeitsentgelts berücksichtigen, dass der Beschäftigte vom Arbeitgeber weitere finanzielle Vorteile erhält (Lohnsteuer und Beitragsanteile des Arbeitnehmers), und damit Leistung und Gegenleistung in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander stellen, liegt der Bemessung des Arbeitsentgelts bei "illegalen Beschäftigungsverhältnissen" zugrunde, dass Abgaben vom Arbeitgeber gerade (überhaupt) nicht gezahlt werden. Das Arbeitsentgelt, das dem Beschäftigten in solchen Fällen tatsächlich zur Verfügung stehen soll, wird daher typischerweise stets höher bemessen werden als bei einer regulären Beschäftigung. Wird in einer solchen Situation dieses Arbeitsentgelt auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt "hochgerechnet", so besteht die Gefahr, dass als Beitragsbemessungsgrundlage ein Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wird, das in überhaupt keinem angemessenen Verhältnis mehr zum wirtschaftlichen Wert der erbrachten Arbeitsleistung steht und das vertragliche Austauschverhältnis letztlich beitragsrechtlich nicht mehr entsprechend abbildet (zu diesen Konsequenzen bereits BSGE 64, 110, 117 = SozR 2100 § 14 Nr 22 S 27 f: infolge gesetzlicher Verschiebung der Beitragslast Belastung des Arbeitgebers mit unverhältnismäßig hohen Beiträgen, der eine übermäßige Vergünstigung für den Beschäftigten gegenübersteht).

27

Dafür, § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV auch bei schlichten Berechnungsfehlern und bloßen (einfachen) versicherungs- und beitragsrechtlichen Fehlbeurteilungen anzuwenden, fehlt es vor allem an der Gleichheit von Normzweck und Interessenlage(so auch zB Klattenhoff, aaO, K § 14 RdNr 44 Fn 201; Werner, aaO, § 14 RdNr 324; aus der Rechtsprechung: LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 7.1.2011 - L 8 R 864/10 B ER, juris RdNr 31; aA Seewald, aaO, § 14 SGB IV RdNr 142; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, Stand November 2010, § 14 SGB IV RdNr 37; von Koppenfels-Spies in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm SozR, 2. Aufl 2011, § 14 SGB IV RdNr 18; Vor in Winkler, LPK-SGB IV, 2007, § 14 RdNr 64). In diesen Fällen muss es deshalb bei der Beitragspflicht (allein) des - bisher nicht "verbeitragten" - Arbeitsentgelts verbleiben, ohne dass auch auf hierauf entfallende Steuern und Beitragsanteile noch Beiträge erhoben werden dürfen (sog Sekundärbeiträge). Soweit mit der Einfügung des Satzes 2 in § 14 Abs 2 SGB IV der Zweck verfolgt werden sollte, Nachweisschwierigkeiten zu beseitigen, kann sich dieser letztlich nur im Rahmen der allgemeinen Zielsetzungen des SchwarzArbG 2002 (und des SchwarzArbG 2004) entfalten, eine allgemeine Abschreckungswirkung zu erreichen(vgl erneut Gesetzentwurf zum SchwarzArbG 2002, BT-Drucks 14/8221 S 11) bzw das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung zu stärken und damit präventiv der Ausbreitung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung entgegenzuwirken (vgl erneut Gesetzentwurf zum SchwarzArbG 2004, BT-Drucks 15/2573 S 18). § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV ist daher aufgrund (gesetzes)systematischer und teleologischer Erwägungen entsprechend zu reduzieren.

28

Für die Frage, in welchem Grade die Pflichtverstöße von einem subjektiven Element getragen sein müssen, ist in Ermangelung anderer Maßstäbe an die für die Verjährung vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge geltende Regelung des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV (Verlängerung der Verjährungsfrist von vier auf dreißig Jahre) anzuknüpfen. Danach ist für den Eintritt dieser qualifizierten Folge ebenfalls (mindestens bedingter) Vorsatz erforderlich. Auf den subjektiven Maßstab des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV hat der Senat auch bereits in anderen Zusammenhängen - etwa für die Erhebung von Säumniszuschlägen bei Beitragsnachforderungen - abgestellt, soweit es nämlich darum geht zu ermitteln, ob iS des § 24 Abs 2 SGB IV "verschuldet" Kenntnis von der (Beitrags)Zahlungspflicht bestand(vgl BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7 RdNr 28). Mindestens (bedingter) Vorsatz ist ferner für den subjektiven Tatbestand der einschlägigen, auf die Vorenthaltung von Beiträgen und Steuern bezogenen Straftatbestände (§ 266a StGB, § 370a AO) erforderlich.

29

Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass § 111 SGB IV als Vorschrift über Ordnungswidrigkeitentatbestände eine Sanktion schon bei (bloßer) Leichtfertigkeit gestatte. Denn § 111 SGB IV erfasst als Ordnungswidrigkeiten nur Pflichtverstöße, die der (späteren) Beitragsvorenthaltung vorausgehen. Für die im Rahmen des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV vorzunehmende Beurteilung des (mindestens bedingten) Vorsatzes sind damit der Sache nach ähnliche Erwägungen maßgebend, wie sie der Senat für die Prüfung des Vorsatzes iS des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV entwickelt hat(vgl bereits BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 7 S 35 f).

30

3. Sofern im vorbeschriebenen Sinne die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV erfüllt sind, müssen auf der Rechtsfolgenseite die Einnahmen des Beschäftigten unter Einbeziehung des auf sie entfallenden gesetzlichen Arbeitnehmeranteils und der (direkten) Steuern auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt "hochgerechnet" werden. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Lohnsteuer in Anwendung des § 39c Abs 1 Satz 1 EStG(in der in den Jahren 2004 und 2005 geltenden Fassung der Neubekanntmachung vom 19.10.2002, BGBl I 4210) nach der (ungünstigsten) Steuerklasse VI ermittelt. Ob dieses Vorgehen der Beklagten rechtmäßig war, hängt wiederum vom Vorliegen weiterer, hier zu prüfender Voraussetzungen ab.

31

Die Durchführung des Lohnsteuerabzugs nach Steuerklasse VI bei Nichtvorlage einer Lohnsteuerkarte durch den Arbeitnehmer erfordert nach § 39c Abs 1 Satz 1 EStG zum einen, dass der Arbeitnehmer "unbeschränkt einkommensteuerpflichtig" ist, und zum anderen, dass die Lohnsteuerkarte von diesem "schuldhaft" nicht vorgelegt wurde. Soweit diese Vorschrift die unbeschränkte Steuerpflicht voraussetzt, ergeben sich deren Voraussetzungen (und Rechtsfolgen) aus § 1 EStG. Beschränkt einkommensteuerpflichtige Personen (vgl § 1 Abs 4 EStG) werden für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs nach § 39d Abs 1 Satz 1 EStG in die (günstigere) Steuerklasse I eingereiht. Grundlage des Lohnsteuerabzugs ist dann eine hierüber erteilte Bescheinigung des Betriebsstättenfinanzamts. In Bezug auf die Voraussetzung für die Besteuerung nach § 39c Abs 1 Satz 1 EStG, dass die Lohnsteuerkarte vom Arbeitnehmer schuldhaft nicht vorgelegt wurde, hat der BFH mit Urteil vom 29.5.2008 (BFHE 221, 182, unter Hinweis auf frühere Rspr) im Falle eines Haftungsverfahrens (vgl § 42d Abs 1 Nr 1 iVm § 38 Abs 3 EStG)entschieden, dass ein den Haftungstatbestand ausschließender entschuldbarer Rechtsirrtum bei der Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs regelmäßig nicht vorliegt, wenn der Arbeitgeber, der die Verschuldensprüfung durchzuführen hat (vgl BFHE 194, 372), von der Möglichkeit der sog Anrufungsauskunft nach § 42e EStG keinen Gebrauch gemacht hat. Nach § 42e EStG kann der Arbeitgeber - mit Verbindlichkeit für das Lohnsteuerabzugsverfahren - von dem für ihn zuständigen Betriebsstättenfinanzamt eine Antwort auf alle Fragen erhalten, die mit der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer zusammenhängen. In seiner Entscheidung hat der BFH allerdings auch darauf hingewiesen, dass besondere Umstände ausnahmsweise eine andere Betrachtung gebieten können (vgl BFHE 221, 182). Diese Grundsätze sind auf die Anwendung des § 39c Abs 1 Satz 1 EStG in dem hier vorliegenden sozialversicherungsrechtlichen Kontext zu übertragen.

32

4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die Beklagte die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und die Umlagebeträge zutreffend auf der Grundlage einer fingierten Nettoarbeitsentgeltvereinbarung iS des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV ermittelt hat. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

33

Das Berufungsgericht hat es - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung konsequent - unterlassen, Feststellungen dazu zu treffen, ob die Nichterfüllung der Zahlungspflichten und der Melde-, Aufzeichnungs- und Nachweispflichten auf einem - im erstinstanzlichen Urteil vom SG allerdings bejahten - (mindestens bedingten) Vorsatz des Klägers beruhten. Diese Feststellungen wird das LSG nun nachzuholen und sich - hierauf aufbauend - eine Überzeugung zu diesem Punkt zu bilden haben. Dabei wird hinsichtlich der Prüfung der subjektiven Tatbestandsseite des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV zu berücksichtigen sein, dass der Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit die Möglichkeit hat, darüber im Einzugsstellen-(vgl § 28h SGB IV) und/oder Anfrageverfahren (vgl § 7a SGB IV) Gewissheit durch Herbeiführung der Entscheidung einer fachkundigen Stelle zu erlangen; der Verzicht auf einen entsprechenden Antrag kann vorwerfbar sein, soweit es die beitragsrechtlichen Folgen einer Fehlbeurteilung des Betroffenen anbelangt (vgl auch Küttner/Schlegel, Personalbuch 2011, Stichwort "Säumniszuschläge" RdNr 16; Segebrecht in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 28g RdNr 23). Dass das LSG bei der Beurteilung, ob nach § 24 Abs 2 SGB IV zu Recht Säumniszuschläge festgesetzt wurden, Feststellungen getroffen und sich eine Überzeugung gebildet hat, reicht vorliegend nicht aus, weil es dabei (nur) "zumindest" leichte Fahrlässigkeit angenommen hat, ohne darüber hinaus das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Vorsatz des Klägers zu prüfen. Ob ein (mindestens bedingter) Vorsatz vorlag, entscheidet auch darüber, ob von der Beklagten (überhaupt) rechtmäßig Säumniszuschläge verlangt werden durften.

34

Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die "Hochrechnung" auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt in Anwendung des § 14 Abs 2 Satz 2 SGB IV rechtmäßig war, wird es - weiter - Feststellungen dazu treffen und sich eine Überzeugung dazu bilden müssen, ob hierbei die unter 3. dargestellten Voraussetzungen des § 39c Abs 1 Satz 1 EStG zutreffend angenommen wurden und insoweit die Höhe der Beiträge korrekt ermittelt worden ist.

35

5. Die Kostenentscheidung bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.