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| Die Klage ist vor dem Amtsgericht Reutlingen zulässig. Es wird eine Wohnungseigentümergemeinschaft wegen der Instandhaltung des Wohnungseigentums in Anspruch genommen. |
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| Die Zulässigkeit vor dem Amtsgericht Reutlingen folgt aus §§ 43 Nr. 5 WEG, 23 GVG. Sie besteht ohne Rücksicht auf den Streitwert. |
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| Die Klage ist nicht begründet. |
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| Die Klägerin kann von der Beklagten keine Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB i. V. mit der Verkehrssicherungspflichtverletzung verlangen. |
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| Nach § 823 Abs. 1 BGB haftet auf Schadensersatz, wer vorsätzlich oder fahrlässig den Körper oder die Gesundheit eines anderen widerrechtlich verletzt. |
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| 1.) Nach der Anhörung der Klägerin ist das Gericht davon überzeugt, dass es tatsächlich zu dem von ihr geschilderten Unfall am Vormittag des 12. Oktober 2013 gekommen ist. Die Klägerin hat angegeben, an diesem Tag mit ihrem Ehemann und der Tochter zunächst in Richtung der Tiefgarageneinfahrt gegangen zu sein. Dort habe sie die Tochter verabschiedet. Anschließend sei sie mit ihrem Ehemann die Zufahrt hinunter in die Tiefgarage gegangen, wo sie im Bereich des Eingangspfeilers im Inneren der Garage gestürzt sei. |
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| Die Klägerin ist in Beweisnot, ihr Ehemann ist verstorben. Weitere Personen waren nach Angabe der Klägerin bei diesem Vorfall nicht zugegen. |
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| Die Klägerin hat den Vorfall in der mündlichen Verhandlung jedoch insgesamt sachlich und nachvollziehbar dargestellt. Sie hat die Räumlichkeit gut beschreiben können. Sie konnte sich an weniger bedeutsame Details erinnern, etwa daran, dass sie auch Wäsche aus der Waschmaschine holen wollte. Sie gab außerdem auch an, dass sie sich wegen des Verabschiedens der Tochter an den Wochentag erinnern könnte. Es müsse ein Samstag gewesen sein. Dies trifft nach dem Kalender zu. Die Lage der Waschküche erlaubt es auch, über die Rampe durch die Tiefgarage zu den Waschmaschinen zu gelangen. Die Klägerin hat mehrere Anknüpfungskriterien geliefert, die objektiv nachgeprüft werden können und auch der Wahrheit entsprechen. |
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| Die Klägerin hat weiterhin ihre Verletzungen durch ein ärztliches Attest vom 15. Oktober 2013 untermauert. Die Verletzungen passen zu dem von der Klägerin geschilderten Sturz. Insofern erscheint das Vorbringen der Klägerin insgesamt plausibel. Dass es in dem ärztlichen Attest hinsichtlich des Unfalltages zu einem anderen Datum gekommen ist, kann auf einem Schreibversehen oder einem missverstandenen Datum beruhen. Die Klägerin hat weiter Photos vorgelegt, die sie mit den medizinischen Stützgeräten zeigen. Zwar sind die Photos zeitlich nicht belegt, gleichwohl meint das Gericht, daß diese Fotos die Klägerin nach dem Sturz gezeigt haben. Die Verletzungen werden letztlich auch durch die Beklagte selbst bestätigt. Der Miteigentümer L. traf die Klägerin einmal in der Waschküche mit einem Verband an. Dabei soll die Klägerin dem Miteigentümer von dem Sturz erzählt haben. |
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| Das Gericht folgt deshalb dem von der Klägerin geschilderten Unfallhergang und den erlittenen Verletzungen. |
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| 2.) Die Beklagte war indes nicht zu Sicherungsmaßnahmen gegen die Rutschigkeit der Tiefgarage verpflichtet. |
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| a) Nach § 823 BGB haftet nur auf Schadensersatz, wer zumindest fahrlässig handelt oder eine Handlung unterläßt. Das Unterlassen kann auch in der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bestehen. Danach hat derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für Dritte schafft oder andauern läßt, Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung Dritter möglichst zu vermeiden (vgl. Palandt, BGB Kommentar, § 823, Rn 46). In Ausgestaltung dieser allgemeinen Lage gilt für Gebäude, daß dessen Mieter gegen schädigende Auswirkungen auf ihre Rechtsgüter zu schützen sind (BGH, Urteil vom 11.10.1990 - VII ZR 120/89 - NJW 1991, 562; AG München, Urteil vom 31. März 2014 - 424 C 29442/13 - ZMR 2014, 834). Die Pflicht zur Sicherung trifft die Wohnungseigentümergemeinschaft, die analog § 31 BGB für das Verschulden des Verwalters einzustehen hat (AG München a. a. O.). |
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| Umgekehrt muß die Wohnungseigentümergemeinschaft nur dort tätig werden, wo eine Gefahrenquelle ersichtlich ist. Nicht jeder denkbare Geschehensablauf begründet eine Verkehrssicherungspflicht. Vielmehr ist der Verkehrssicherungspflicht genügt, wenn getan wird, was ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. OLG München, Urteil vom 29. Januar 2015 - 32 U 1185/14 - NJW 2015, 962 zum „Jahrhundert“-Hochwasser). |
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| b) Speziell für Tiefgaragen sind Vorkehrungen bei Schnee oder am Tor (zur Verhinderung von Beschädigungen durch das Tor) allgemein anerkannt (LG Hamburg, Urteil vom 27. Januar 2016 - 318 S 65/15 oder AG Rosenheim, 12 C 204/10 - ZMR 2011, 79 zu Schneematsch; LG München I, Urteil vom 5. September 2013 - 30 S 4764/13 - zum Garagentor). Für die Rutschfestigkeit der Bodenanlagen hat das Gericht jedoch keine vergleichbaren Entscheidungen gefunden. |
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| Der vom Gericht beauftragte, öffentlich bestellte Sachverständige für Betonbau hat festgestellt, dass sich die Rutschfestigkeit von der Rampe zum Tiefgaragenboden ändert. Er ordnet die Rutschfestigkeit in einer Skala ein. Diese hat ihren Ursprung in der Berufsgenossenschaftsregel 181 (BGR 181) über Fußböden in Arbeitsräumen und Arbeitsbereichen mit Rutschgefahr von 1993. Nach der BGR 181 reicht diese Skala von „R 9“ bis „R 13“. Dabei ist ein Fußboden mit einem Wert R 9 für Eingangsbereiche innen, Sanitätsräume, Verkaufsräume und Pausenbereiche ausreichend. Für Garagen im Innenbereich sieht die BGR 181 den Wert R 10 vor. |
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| Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige festgestellt, daß die Rampe selbst die Rutschfestigkeit R 11, der Garagenboden grundsätzlich R 10 besitzt. Der Sachverständige hat jedoch festgestellt, dass der Boden der Tiefgarage im Bereich der Sturzstelle nur die Rutschfestigkeit R 9 aufweist. Der Sachverständige hat dies mit der technischen Ausführung begründet. Der Tiefgaragenboden besteht aus Beton. Diesem wird zur Erhöhung der Rutschfestigkeit ein Granulat beigemischt. Dieses muss gleichmäßig verteilt werden. Im Bereich der Sturzstelle war das Granulat jedoch ungleich verteilt. |
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| Der Sachverständige hat plausibel dargestellt, daß sich für den unbefangenen Fußgänger die Rutschfestigkeit von R 11 über R 10 auf R 9 spürbar auswirke. Während R 11 „laufsicher“ sei, seien R 9 und R 10 nur „schrittsicher“. Den Unterschied zwischen Lauf- und Schrittsicherheit erklärte der Sachverständige mit den unterschiedlichen Kräften (Haft- und Gleitreibung), die bei unterschiedlich hohen Geschwindigkeiten wirken, wenn der sich bewegende Fuß auf den nicht beweglichen Untergrund trifft. |
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| Der Sachverständige hat aber auch klar gestellt, daß es weder zum Zeitpunkt der Bebauung noch heute verbindliche Vorgaben für die Rutschfestigkeit gibt. In der Praxis behilft man sich zwar nach den Angaben des Sachverständigen insoweit mit der Richtlinie aus dem Bereich des Arbeitsschutzrechts. Diese ist jedoch für die Anforderungen in Betrieben ausgestaltet und daher nicht unmittelbar auf die vorliegende Tiefgarage anzuwenden. Die Tiefgarage befindet sich in einem Wohnhaus. Zugang haben hier nur die Eigentümer, Mieter und andere ähnlich berechtigte Personen. |
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| Aus diesen Ausführungen des Sachverständigen schließt das Gericht, daß die Beklagte ohne konkrete Hinweise nicht zu einer besonderen Verkehrssicherungspflicht verpflichtet ist. Sie hat keine gebotene Handlung unterlassen. Es gibt keine griffige Regel, die die Rutschfestigkeit des Tiefgaragenfußbodens faßt. Der gewählte Boden (eine Betonoberfläche mit Granulat) ist grundsätzlich geeignet, die Rutschfestigkeit R 10 zu erzielen. Diese Rutschfestigkeit reicht nach der BGR 181 aus. In diesem Fall ist eine Rutschgefahr unwahrscheinlich, ein rational denkender Mensch, der in vernünftigen Grenzen vorsichtig ist, hat keinen Anlaß, an der Rutschfestigkeit eines Betonbodens mit dem Rutschfestigkeitskoeffizient R 10 zu zweifeln. |
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| c) Anders wäre dies zu beurteilen, wenn die Beklagte wußte oder wissen mußte, daß der Boden zumindest bei Glätte besonders rutschig wird. Dies ist aber für das Gericht nicht erwiesen. |
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| Der Zeuge M. hat zwar angegeben, daß es im Bereich der Tiefgarage bei Nässe schon recht rutschig sei, gerade im Bereich der Einfahrt. Er gab aber auch an, selbst nie gestürzt zu sein. Er habe deshalb auch keinen der Eigentümer informiert. Das Gericht würdigt diese Aussage dahin, daß der Zeuge M. der Ansicht war, die Rutschigkeit müsse als verkehrsüblich hingenommen werden. Andernfalls hätte er seine Beobachtungen sicher beim Eigentümer oder der Verwalterin gemeldet. Es ist nicht ersichtlich, warum der Zeuge M. eigene Erkenntnisse über eine Gefahrenquelle für sich behalten sollte. |
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| Die Klägerin ist letztlich den Beweis schuldig geblieben, daß ihr verstorbener Ehemann die Hausverwaltung informiert hätte. Die Klägerin konnte hierzu keine näheren Umstände nennen. Insbesondere konnte sie den Ansprechpartner ihres Mannes nicht angeben. Offensichtlich haben weder ihr Ehemann noch die Klägerin nachgehakt. Die Klägerin gab an, nach diesem Anruf aus dem Jahr 2009 noch einmal mit der Hausverwaltung telefoniert zu haben, 2012 wegen eines Zaunes. Wenn die Klägerin schon die Hausverwaltung anruft, wäre zu erwarten, daß sie auch auf die Glätte in der Tiefgarage hinweist - jedenfalls dann, wenn sie darin eine offene Gefahrenquelle sieht. Zwischen 2009 und 2013 hielt es die Klägerin indes nicht für erforderlich, die Hausverwaltung nochmals wegen der Beschaffenheit der Tiefgarage anzurufen. Ebenso hat die Klägerin nicht den anderen, vertragsrechtlich eher gebotenen Weg gewählt und auch nicht ihren Vermieter informiert. |
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| Die Klägerin konnte auch keine anderen Vorfälle, insbesondere Unfälle, benennen, die sich wegen Glätte in der Tiefgarage ereignet hätten. Das Gericht sieht deshalb nicht, daß die Beklagte oder die Hausverwaltung in sonstiger Weise Kenntnis von einer möglichen Gefahrenquelle in der Tiefgarage hätten erlangen sollen. |
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| Damit ist den Eigentümern erst seit der Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen W. vom 22. August 2016 bekannt, daß der Boden in der Tiefgarage im Eingangsbereich zum Garagentor nur die Rutschfestigkeit nach Koeffizient R 9 der BGR 181 ausweist. Nunmehr ist sie verpflichtet, den Boden an dieser Stelle nachzubehandeln oder in anderer Weise auf die Rutschgefahr hinzuweisen. Als die Klägerin stürzte, konnte die Beklagte aber noch nicht wissen, daß der Boden dort nicht hinreichend rutschfest ist. |
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| 3.) Die Beklagte hat daher weder durch eine eigene Handlung noch durch Unterlassen einer gebotenen Handlung zur Verletzung der Klägerin beigetragen. Folglich kommt eine Haftung auf Schadensersatz aus § 823 BGB nicht in Betracht. Andere Anspruchsgrundlagen, zumal gerichtet auf Schmerzensgeld (§ 253 BGB), sind nicht ersichtlich. |
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| Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Als unterlegene Partei trägt die Klägerin die Kosten. |
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| Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. |
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