Amtsgericht Heidenheim a. d. Brenz Urteil, 19. Aug. 2004 - 3 Ds 42 Js 5187/03 - AK 424/03

bei uns veröffentlicht am19.08.2004

Tenor

1. Der Angeklagte S. wird freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens und seine notwendige Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

3. Dem Angeklagten S. steht wegen der Sicherstellung der am 7. November 2002 sowie am 27.02.2003 in Verwahrung genommenen Tageseinnahmen in Höhe von 400,00 Euro und 30,00 Euro eine Entschädigung zu.

Gründe

 
Der Freispruch erfolgte aus rechtlichen Gründen.
I.
Dem Angeklagten S. liegt folgender Sachverhalt zur Last: Der Angeklagte ist seit Januar 2002 Komplementär der Firma E. S. & W. mit Geschäftssitz in H. In dieser Funktion meldete er am 14. Oktober 2002 bei der Stadtverwaltung H. ein Gewerbe mit dem Geschäftszweck „Betrieb von Internetbüros und -cafes als Franchisegeber, Beratung und Unterstützung beim Abschluss von Internetgeschäften, Betrieb von Annahmestellen von Sportwetten“ an. Darüber hinaus hatte der Angeklagte bereits seit 15. Mai 2002 Räumlichkeiten im Gebäude in H. angemietet. In diesen Räumlichkeiten unterhielt er zumindest im Zeitraum zwischen dem 15. Oktober 2002 und dem 27. Februar 2003 ein für jedermann zugängliches Wettbüro, in welchem sich die Kunden an Sportwetten der in Österreich niedergelassenen Firma C. beteiligen konnten. Dies erfolgte entweder durch Ausfüllen von Wettscheinen, die im Ladenlokal auslagen und nebst des Wetteinsatzes vom anwesenden Personal entgegengenommen wurden, oder mittels der bereitgestellten Terminals im Onlineverfahren, wobei der Angeklagte S. für den letztgenannten Fall auch spezielle Prepaid-Karten der Firma C. bereit hielt und verkaufte, mit denen der Wetteinsatz beglichen werden konnte. Zum Betrieb seines Büros hatte der Angeklagte die zunächst Mitangeklagte S. als alleinige Aufsichtsperson in dem Wettbüro angestellt, auch zur Unterstützung der Kunden bei dem Wettabschluss. Im Rahmen dieser Sportwetten konnten - wie der Angeklagte S. wusste - interessierte Spieler auf den Ausgang von Sportereignissen, namentlich von Fußballspielen aller europäischen Ligen, Geldbeträge setzen, wobei sie im Erfolgsfalle einen nach vorgegebenen Quoten errechneten Gewinn erhielten. Die Quoten waren aus den entsprechenden Quotenblättern ersichtlich, die ebenfalls im Wettbüro auslagen. Dabei werden die Quoten von den Buchmachern der Firma C. so festgesetzt, dass ein umso höherer Gewinn erzielt werden kann, je unwahrscheinlicher der getippte Ausgang des Fußballspiels nach Einschätzung der Buchmacher ist. Am 7. November 2002 wurde das Wettbüro durch den Kriminalbeamten B. kontrolliert. Dem Angeklagten S. wurde erläutert, dass er für den Betrieb seines Wettbüros eine behördliche Erlaubnis benötige, über die er nicht verfügte. Im Einverständnis mit dem Angeklagten wurden die Tageseinnahmen i. H. v. 400,00 Euro sichergestellt.
II.
Der Angeklagte räumt den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt vollumfänglich ein. Er ist jedoch der Auffassung, dass es sich bei den von ihm vermittelten Sportwetten nicht um Glücksspiele, sondern um Geschicklichkeitsspiele handele. Zudem habe er lediglich eine Vermittlungstätigkeit ausgeübt, nicht jedoch selbst die Sportwetten veranstaltet im Sinne des § 284 StGB. Ferner meint er, dass eine behördliche Erlaubnis für den Betrieb seines Wettbüros nicht erforderlich sei, da der dafür zuständige Landesgesetzgeber eine Erlaubnispflicht nicht statuiert habe, weshalb § 284 StGB in seinem Falle nicht eingreife, da dieser so zu lesen sei, dass Glücksspiel nur ohne „erforderliche behördliche Erlaubnis“ strafbar sei. Außerdem ist der Angeklagte der Auffassung, dass die Rechtslage jedenfalls in Baden-Württemberg mit den europarechtlichen Vorgaben des EuGH in der Entscheidung Gambelli nicht vereinbar sei, so dass § 284 StGB unanwendbar bleiben müsse. Schließlich beruft sich der Angeklagte auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB, da er bei seinen Nachforschungen im Internet herausgefunden habe, dass der Betrieb eines Wettbüros zur Veranstaltung bzw. Vermittlung von Sportwetten nicht strafbar sei.
III.
Der Freispruch erfolgt aus rechtlichen Gründen. § 284 StGB als einzig in Betracht kommender Straftatbestand ist im vorliegenden Falle unanwendbar, da seine Anwendung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch EG-Vertrag gewährleistete Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der österreichischen C. GmbH und des Angeklagten darstellt, der mit dieser zusammenarbeitet.
1. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 6. November 2003, Az. C-243/01) liegt sowohl ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit als auch ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit der österreichischen Firma C. vor, da durch das Verbot der Tätigkeit des Angeklagten zumindest mittelbar auch die Betätigung dieses österreichischen Veranstalters in Baden-Württemberg unterbunden wird (vgl. EuGH aaO Rn 44 ff, 50 ff, dessen Urteil die - soweit ersichtlich - im wesentlichen vergleichbare italienische Rechtslage zum Gegenstand hatte).
2. Ein solcher Eingriff bzw. eine solche Beschränkung ist nach der Rechtsprechung des EuGH nur mit zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen. Die Beschränkungen müssen darüber hinaus geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (EuGH aaO, Rn 65).
3. Als zwingendes Allgemeininteresse hat der Europäische Gerichtshof grundsätzlich den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen anerkannt (EuGH, aaO, Rn 67). Die mit § 284 StGB verfolgten Ziele, nämlich eine übermäßige Anregung der Nachfrage von Glücksspielen zu verhindern, durch staatliche Kontrolle einen ordnungsgemäßen Spielablauf zu gewährleisten, eine Ausnutzung des natürlichen Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken zu verhindern und einen nicht unerheblichen Teil der Einnahmen aus Glücksspielen (mindestens 25 %) zur Finanzierung gemeinnütziger oder öffentlicher Zwecke heranzuziehen (vgl. dazu die Bundestagsdrucksache 13/8587, Blatt 782 d. A.), sind deshalb - jedenfalls was die ersten drei Ziele angeht - als anerkennenswerter staatlicher Zweck anzusehen.
4. An die Eignung der Beschränkungen, diese Ziele zu erreichen, stellt der EuGH allerdings erhöhte Anforderungen. Die Reglementierungen müssten kohärent und systematisch zur Zielerreichung beitragen (vgl. EuGH aaO, Rn 67). Dazu heißt es unter Rn 69 ergänzend: “Soweit nun die Behörden eines Mitgliedsstaats die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, können sich die Behörden dieses Staates nicht im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spielen zu vermindern, auf die öffentliche Sozialordnung berufen, um Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu rechtfertigen“. Dieses Gebot der Widerspruchsfreiheit ist auch in der nationalen höchstrichterlichen Verwaltungsrechtsprechung anerkannt. So führte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28. März 2001 (Az. 6 C 2/01, recherchiert bei juris, vgl. Bl 235 ff, 241 d.A.), das die im wesentlichen vergleichbare bayerische Rechtslage zum Gegenstand hatte, aus: „Zudem wird der kritischen Überprüfung durch den Gesetzgeber bedürfen, ob die Veranstaltung von Sportwetten in staatlicher Monopolregie wirklich geeignet ist, die mit der Veranstaltung von Glücksspielen verbundenen Gefahren einzudämmen. Davon wird bei mit aggressiver Werbung einhergehender extremer Ausweitung des Spielangebots keine Rede mehr sein können. Namentlich wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass die in § 284 StGB vorausgesetzte Unerwünschtheit des Glücksspiels nicht in unauflösbaren Widerspruch gerät zum staatlichen Veranstalterverhalten“.
5. Diesen Anforderungen hält die Gesetzeslage in Baden-Württemberg nicht stand. Aufgrund des Gesetzes über eine Sportwette mit festen Gewinnquoten (Oddset-Wette) in Baden-Württemberg vom 21. Juni 1999 (Bl. 278ff d.A.) kann das Land Baden-Württemberg eine Oddset-Wette veranstalten, wobei die Entscheidung über die Veranstaltung sowie über deren Durchführung dem Finanzministerium obliegt. Dieses kann die staatliche Toto-Lotto GmbH Stuttgart mit der Durchführung der Oddset-Wette beauftragen. Die staatliche Toto-Lotto GmbH, die nach der Aussage des Zeugen F. und ausweislich ihrer Internetseite zu 100 % in den Händen des Landes Baden-Württemberg ist, veranstaltet auf der Grundlage eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem Land, vertreten durch das Finanzministerium, (vgl. Bl. 756 ff d. A.) die Oddset-Sportwette. Nach der Aussage des Zeugen M. F., Leiter des Bereiches Strategie und Planung der staatlichen Toto-Lotto GmbH, wird die Oddset-Sportwette in mehr als 3.700 Toto-Lotto-Verkaufsstellen in Baden-Württemberg seit 1999 angeboten. Ferner kann die Sportwette mit festen Gewinnquoten auch über Internet bei der staatlichen Toto-Lotto GmbH gespielt werden. Dabei wurden nach Aussage des Zeugen F., bestätigt durch die Stellungnahme des Finanzministeriums gegenüber dem Landtag vom 23. März 2004 (Drucksache des Landtages von Baden-Württemberg 13/3047, vgl. Blatt 784 ff d. A.) im Jahr 1999 in Baden-Württemberg mehr als 31 Mio. Euro, im Jahr 2000 mehr als 68 Mio. Euro, im Jahr 2001 mehr als 70 Mio. Euro, im Jahr 2002 mehr als 72 Mio. Euro und im Jahr 2003 mehr als 62 Mio. Euro Spieleinsätze für die Oddset-Kombiwette getätigt. Hinzu kommen Spieleinsätze für die Oddset-Top-Wette i. H. v. mehr als 5 Mio. Euro im Jahr 2002 und i. H. v. mehr als 4 Mio. Euro im Jahr 2003. Vor diesem Hintergrund ist im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine extreme Ausweitung des Spielangebotes anzunehmen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass nunmehr in jedem Haushalt mit Internetanschluss mit ein paar Tastenklicken Sportwetten zu festen Gewinnquoten abgeschlossen werden können. Hinzu kommt, dass nach den Angaben des Zeugen F. davon auszugehen ist, dass dieses Spielangebot von einer massiven Werbung begleitet wird. So berichtete der Zeuge F. von Werbeaufwendungen der staatlichen Toto-Lotto GmbH für die Oddset-Wette i. H. v. 1,83 Millionen Euro. Laut einem Schreiben der Toto-Lotto GmbH vom 16. Juli 2004 (vgl. Bl 543ff, 553 d.A.) belief sich der Anteil des Werbebudgets für Oddset-Sportwetten am Umsatz regional und bundesweit in den Jahren 2000 bis 2002 auf 2,4 % bzw. 2,3 % , während der Anstieg auf 2,92 % im Jahr 2003 mit dem Umsatzrückgang um 20 % zu erklären ist. Dabei handelt es sich um die so genannte klassische Werbung im Rundfunk und in den Printmedien, um Bandenwerbung in Sportstadien und um Sponsoring etwa bei Sportsendungen des SWR. Die staatliche Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg verfügt darüber hinaus über ein Kundenmagazin mit dem Namen „glüxmagazin“. Prominente, wie etwa die Fußballspielerin Nia K. aus der Mannschaft des Frauenfußballweltmeisters Deutschland, oder Ottmar H., der frühere Trainer der FC Bayern München, standen bzw. stehen unter Vertrag der staatlichen Toto-Lotto GmbH Baden-Württemberg oder einer anderen der im deutschen Toto-Lotto Block zusammengeschlossenen 16 Lotteriegesellschaften der Bundesländer. Der Verteidiger legte in Kopie Gutscheine für Oddset-Wetten vor, die großen Wochenzeitungen (etwa Focus) beigelegt waren oder in Supermärkten verteilt wurden. Zwar konnte der Zeuge F. nicht bestätigen, dass sich daran auch die hiesige Lotteriegesellschaft beteiligte. Da aber über den deutschen Toto-Lotto Block eine Zusammenarbeit bzw. Abstimmung zwischen den Lotteriegesellschaften der Länder stattfindet, liegt es nahe, auch diese Art von Werbung für das Produkt „Oddset-Wette“ dem Land Baden Württemberg zuzurechnen (vgl. hierzu und zu weiteren Werbebeispielen VG Karlsruhe, Beschluss vom 10.05.2004, Az 11 K 160/04, Bl 503ff, insbesondere 515ff d.A.). Angesichts seines eigenen umfassenden Spielangebotes und der begleitenden Werbemaßnahmen kann sich das Land Baden-Württemberg nicht mehr darauf berufen, dass es darum gehe, das Glücksspiel an sich einzudämmen. Die Differenzierung zwischen Werbung zum Zwecke der Einnahmeerzielung und Werbung lediglich zum Zwecke der Bindung des ohnehin spielbereiten Teils der Bevölkerung an die staatlichen Veranstalter (so das LG Ellwangen in seiner Entscheidung vom 07.06.2004 über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens in dieser Sache im Anschluß an das BayObLG NJW 2004,1057) ist für diese Frage unerheblich. Als anzuerkennendes Ziel bleibt allein die Erwägung, das Glückspiel wegen der Gefahren, die möglicherweise mit seiner unbeschränkten Zulassung verbunden sind, unter staatliche Kontrolle zu bringen. Dementsprechend verbietet § 284 StGB das Glücksspiel nicht etwa an und für sich, sondern lässt es mit behördlicher Erlaubnis zu.
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6. Insoweit, das heißt für die Erreichung dieses anzuerkennenden Zieles, fehlt es aber an der Verhältnismäßigkeit der geltenden Regelung, jedenfalls in Baden-Württemberg. Die durch § 284 StGB unter Erlaubnisvorbehalt gestellte Tätigkeit des Angeklagten S. ist in Baden-Württemberg nicht erlaubnisfähig. Eine bundesgesetzliche Regelung, die eine Erlaubnis ermöglichen würde, gibt es nicht. Insbesondere sind die Vorschriften der Gewerbeordnung gem. § 33 h GewO nicht anwendbar. Bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen (vgl. Artikel 70 Abs. 1 GG) war und ist es Aufgabe der Länder, hier des Landes Baden-Württemberg, die vom Bundesgesetzgeber erwünschte staatliche Kontrolle für das Glücksspiel zu gewährleisten. Der baden-württembergische Landesgesetzgeber hat sich ausweislich des Gesetzes über eine Sportwette mit festen Gewinnquoten (Oddset-Wette) vom 21. Juni 1999 für ein staatliches Monopol entschieden. Erlaubnistatbestände für die Oddset-Sportwette hat er nicht geschaffen. Zwar mag eine solche Monopolisierung trotz der damit verbundenen scharfen Eingriffe in die Freiheiten der Bürger geeignet und erforderlich sein, um die Ziele des Strafgesetzgebers zu erreichen. So entschied etwa das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28. März 2001, bezogen auf die bayerische Rechtslage (BVerwG aaO, vgl. Bl 240 d.A.): „In Anbetracht des ihm zustehenden Beurteilungs- und Prognosespielraums... durfte der Landesgesetzgeber insbesondere die alleinige Veranstaltung von Oddset-Wetten durch die Staatliche Lotterieverwaltung unter strafbewehrter Fernhaltung privater Anbieter als zur Abwehr der von ihm angenommenen Gefahren des Glücksspiels geeignet und erforderlich ansehen. Namentlich im Hinblick auf die in Deutschland angesichts der Neuartigkeit der Oddset-Wetten fehlenden Erfahrungen mit diesem Glücksspiel und das große Publikumsinteresse bestand kein hinreichend gesicherter Anhalt dafür, dass eine private Veranstaltung oder Vermittlung bei einem strengen Konzessions- und Kontrollsystem ebenso gut wie die Veranstaltung in staatlicher Regie die Gefahren des Glücksspiels beherrschbar machen könnte.“ Diese Entscheidung kann aber nicht unbesehen auf die baden-württembergische Rechtslage übertragen werden. Ausweislich des Gesetzesentwurfs der Landesregierung zum Gesetz über die Sportwette mit festen Gewinnquoten, ausweislich der amtlichen Begründung für dieses Gesetz und ausweislich der Beratungen des Landesgesetzgebers, nämlich des Landtags, kann keine Rede davon sein, dass der Landesgesetzgeber von dem ihm eingeräumten Ermessen (EuGH aaO Rn 63) bzw. von seinem Beurteilungs- und Prognosespielraum (BVerwG aaO) überhaupt Gebrauch gemacht hat. Es finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Landesgesetzgeber die Frage der Erforderlichkeit des staatlichen Monopols bei den Sportwetten mit festen Gewinnquoten überhaupt geprüft hat. So heißt es etwa im Gesetzentwurf der Landesregierung vom 15. April 1999 (Drucksache 12/3951, vgl. Blatt 678 d. A.) unter C lapidar: “Alternativen: Keine“. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es im allgemeinen Teil zu “I. Ausgangslage, Anlass und Ziel des Gesetzes“ lediglich: “Die in Baden-Württemberg geltenden Gesetze über die staatlichen Lotterien und Wetten einschließlich des Gesetzes über die Sportwette in Baden-Württemberg sind nach dem Totalisatorprinzip ausgestaltet und erlauben deshalb keine Wetten mit festen Gewinnquoten. Bei der Oddset-Wette handelt es sich um eine Sportwette mit festen Gewinnquoten. Diese Wette wurde im Freistaat Bayern mit Beginn der Fußball-Bundesliga - Rückrunde Mitte Februar 1999 mit gutem Erfolg eingeführt; andere Bundesländer planen, diese Wette - nach den gleichen Prinzipien - zu Beginn der Fußball-Bundesliga-Saison 1999/2000 im August 1999 einzuführen. Wenn Baden-Württemberg hier nicht zurückstehen will, müssen alsbald die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Oddset-Wette im Lande geschaffen werden.“ (vgl. Blatt 682 d. A.). In der allgemeinen Aussprache des Landtags im Rahmen der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung - Gesetz über die Oddset-Wette in Baden-Württemberg (Oddset-Wette-Gesetz) - Drucksache 12/3951 am 16. Juni 1999 heißt es in der Rede des Abgeordneten Herrmann von der CDU: „Bayern hat im Februar dieses Jahres mit dieser Wette begonnen. Andere Bundesländer planen die Einführung für Mitte des Jahres. Baden-Württemberg muss am Ball bleiben, erstens aus ordnungsrechtlichen Gründen, damit entsprechende illegale Angebote aus dem Ausland nicht deshalb, weil wir keine solche Wette haben, in unseren Markt eindringen, zweitens weil wir dem Land durch die Einführung dieser Wette zusätzliche Einnahmen erschließen - es wird von einem Jahresumsatz von 100 Millionen DM ausgegangen“. In der Rede des Abgeordneten Dr. P. von der SPD heißt es: „Nachdem ich schon vor Monaten, Ende 1998, die Einführung dieser Wette gefordert hatte, bin ich froh, dass Sie, nachdem wir im März bei der Diskussion einer Umweltlotterie noch einmal über dieses Thema gesprochen hatten, nun zu dem Ergebnis gekommen sind, diese Wette einzuführen. Wir können immerhin mit rund 50 Millionen DM Einnahmen daraus rechnen.“ Der Abgeordnete Jacobi von Bündnis 90/Die Grünen erläuterte: „Der Hintergrund für den Gesetzesentwurf besteht ja darin, dass die Toto-Einnahmen, also die Einnahmen aus der Elferwette, sehr zurückgehen. Inzwischen erbringt die Toto-Wette nicht einmal mehr 3 % des Gesamtumsatzes von Toto und Lotto. Deswegen ist es logisch und folgerichtig, einmal etwas Neues auszuprobieren.“ Die Rede des Abgeordneten Kiel von der FDP/DVP ist folgendermaßen protokolliert: „Was soll denn mit der neuen Wette erreicht werden? Den Spieltrieb und die Wettlust, die in uns stecken, nutzt der Staat, um seine Finanzen aufzupolieren. Er zieht den glücksgläubigen Bürgerinnen und Bürgern das Geld, gesetzlich legal, aus der Tasche. Das ist mir viel lieber, als wenn es, oftmals illegal, durch Dritte geschieht.“ In der Rede des Abgeordneten König von den Republikanern heißt es schließlich: „Wir sind verpflichtet, unserer landeseigenen Toto-Lotto GmbH all diese Marktchancen, die sich in Europa und auf der ganzen Welt künftig in diesem Wett- und Lotteriebereich auftun, zu eröffnen. Dazu ist dieses Gesetz heute notwendig.“ Zuletzt fasste der Staatssekretär Rückert zusammen: „Mit der Einführung dieser Oddset-Wette bezwecken wir, der im Gegensatz zu den anderen Wetten stagnierenden bzw. rückläufigen Entwicklung der bisherigen Sportwetten entgegenzuwirken.....Insgesamt hoffen wir darauf, dass die Oddset-Wette ein Erfolg werden wird. Wir erwarten noch für dieses Jahr einen Umsatz von 40 Millionen DM. Für das Jahr 2000 erwarten wir einen solchen von 130 Millionen DM, und wir erwarten daraus Reinerträge von 10 Millionen DM bzw. 33 Millionen DM. Ich meine, dass das Gesetz über die Einführung einer Sportwette mit festen Gewinnquoten, also dieses Oddset-Wettegesetz, den Weg dafür frei macht, dass Baden-Württemberg von der bundesweiten Entwicklung auf dem Markt der Sportwetten nicht abgekoppelt wird.“ (vgl. Blatt 690 d. A. ff). Wenn also überhaupt ordnungsrechtliche Argumente - selten genug - angesprochen wurden, dann jedenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit und Erforderlichkeit des staatlichen Monopols. Das Gericht geht davon aus, dass die Monopolisierung der Sportwetten mit festen Gewinnquoten durch den baden-württembergischen Landesgesetzgeber nicht in erster Linie ordnungsrechtliche Gründe, sondern mindestens in gleichem Maße fiskalische Gründe hatte, ferner, dass die damit verbundenen Eingriffe in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit sowie in die Berufsfreiheit der Bürger nicht einmal ansatzweise problematisiert wurden, ebenso wenig wie die Frage, wie man diese Eingriffe möglichst schonend gestalten könnte, ohne das anerkennenswerte Ziel, die mit dem Glücksspiel verbundenen Gefahren beherrschbar zu machen, zu verfehlen. Es kann auch nicht Sache der Rechtsprechung sein, im Nachhinein diese Ermessens- bzw. Prognoseentscheidungen an Stelle des Gesetzgebers vorzunehmen. Nach alledem führte die Bestrafung des Angeklagten im vorliegenden Falle zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der C. GmbH Österreich. Darauf kann sich auch der Angeklagte, der mit ihr zusammenarbeitet, berufen. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts ist § 284 StGB, jedenfalls in Baden-Württemberg, nicht anzuwenden. Es ist auch nicht etwa statthaft, lediglich das staatliche Monopol in Baden-Württemberg für europarechtswidrig zu halten und die Strafbarkeit nach § 284 StGB von diesem Urteil auszunehmen. Vielmehr sind die Bundes- und die Landesgesetzgebung als untrennbare Einheit zu verstehen. Würde man lediglich die landesrechtliche Regelung des staatlichen Monopols für europarechtswidrig halten und bis zum Erlass einer europarechtskonformen landesrechtlichen Regelung die Strafform des § 284 StGB weiterhin anwenden, so würde man die Bürger letztlich darauf verweisen, eine behördliche Erlaubnis ohne einfachgesetzliche Grundlage in einem langwierigen verwaltungsrechtlichen Rechtsstreit mit ungewisser Erfolgsaussicht einzuklagen und bis zum Ende dieses Verfahrens auf die Ausübung ihrer Freiheiten zu verzichten. Eine derartige Betrachtungsweise erscheint aus freiheitlicher und rechtsstaatlicher Sicht unangebracht, würde dazu führen, dass sich der Landesgesetzgeber auf seiner bisherigen Regelung des Sportwettengesetzes ausruhen könnte und liefe dem Anliegen des EuGH erkennbar zuwider. Aus europarechtlicher Sicht ist vielmehr eine Einheit von Bundesrecht und Landesrecht, von Strafrecht und Ordnungsrecht anzunehmen. Auch für den Bürger wirkt sich dieses Zusammenspiel einheitlich, nämlich als ein Eingriff in seine Rechte aus.
IV.
11 
Die Entscheidung über die Entschädigung ergibt sich aus §§ 2 und 8 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.

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Amtsgericht Heidenheim a. d. Brenz Urteil, 19. Aug. 2004 - 3 Ds 42 Js 5187/03 - AK 424/03 zitiert 9 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafgesetzbuch - StGB | § 284 Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels


(1) Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als öffentlich veranstaltet gelten auch

Strafgesetzbuch - StGB | § 17 Verbotsirrtum


Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 8 Entscheidung des Strafgerichts


(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligte

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 2 Entschädigung für andere Strafverfolgungsmaßnahmen


(1) Wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Geric

Referenzen

(1) Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als öffentlich veranstaltet gelten auch Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden.

(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1

1.
gewerbsmäßig oder
2.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(4) Wer für ein öffentliches Glücksspiel (Absätze 1 und 2) wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als öffentlich veranstaltet gelten auch Glücksspiele in Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften, in denen Glücksspiele gewohnheitsmäßig veranstaltet werden.

(3) Wer in den Fällen des Absatzes 1

1.
gewerbsmäßig oder
2.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(4) Wer für ein öffentliches Glücksspiel (Absätze 1 und 2) wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt.

(2) Andere Strafverfolgungsmaßnahmen sind

1.
die einstweilige Unterbringung und die Unterbringung zur Beobachtung nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Jugendgerichtsgesetzes,
2.
die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 der Strafprozeßordnung,
3.
Maßnahmen des Richters, der den Vollzug des Haftbefehls aussetzt (§ 116 der Strafprozeßordnung),
4.
die Sicherstellung, die Beschlagnahme, der Vermögensarrest nach § 111e der Strafprozeßordnung und die Durchsuchung, soweit die Entschädigung nicht in anderen Gesetzen geregelt ist,
5.
die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis,
6.
das vorläufige Berufsverbot.

(3) Als Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne dieser Vorschrift gelten die Auslieferungshaft, die vorläufige Auslieferungshaft, die Sicherstellung, die Beschlagnahme und die Durchsuchung, die im Ausland auf Ersuchen einer deutschen Behörde angeordnet worden sind.

(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.

(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.

(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.