Amtsgericht Bingen am Rhein Beschluss, 11. Aug. 2009 - 3113 Js 17555/09-6Cs
Gericht
Tenor
1. Der Erlass des beantragten Strafbefehls gegen den Angeschuldigten wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
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Mit Strafbefehlsantrag vom 27.07.2009 legt die Staatsanwaltschaft Mainz den Angeschuldigten zur Last, am 2.6.2009 in B. eine andere Person beleidigt zu haben.
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Konkret wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, sich am vorgenannten Tattag gegen 7.45 Uhr am R. Berg in B. aufgehalten zu haben. Als die Zeugin B.-G. dort an dem Angeschuldigten vorbei gelaufen sei, sei er dieser über einen längeren Zeitraum gefolgt. Als die Zeugin sich umgedreht habe und den Angeschuldigten gefragt habe, was er wolle, habe er sich ihr genähert und ihr gegenüber die Worte geäußert „Mach mal da runter“. Gleichzeitig habe er der Zeugin durch eine Handbewegung in Richtung Unterleib gezeigt, dass sie ihre Hose vor ihm herunterziehen solle. Die Zeugin habe hierdurch unter erheblichen Ängsten gelitten und sich in ihrem Ehrgefühl beeinträchtigt gefühlt (§§ 185, 194 StGB).
II.
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Der Erlass des Strafbefehls gegen den Angeschuldigten ist aus rechtlichen Gründen abzulehnen (§§ 408 Abs. 2, 204 Abs. 1, 210 Abs. 2 StPO); es fehlt an einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO.
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Hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO ist anzunehmen, wenn die vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist (BGHSt 23, 304, 306; OLG Koblenz NJW 1994, 1887; OLG Hamburg StV 1996, 418; KG NJW 1997, 69; KK/Tolksdorf, StPO, 5. Aufl., § 203 Rdnr. 2; Meyer–Goßner, StPO, 52. Aufl., § 203 Rdnr. 2). Die Wahrscheinlichkeit muss so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind (KK/Tolksdorf, a.a.O., § 203 Rdnr.4).
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Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung des vorhandenen Akteninhalts ist nach Auffassung des Gerichts eine Verurteilung des Angeschuldigten S. S. wegen der ihm im Rahmen des Strafbefehlantrages vom 27.7.2009 vorgeworfenen Tat in Form einer Beleidigung nicht wahrscheinlich, weil das Verhalten des Angeschuldigten nach dem zugrunde liegenden Ermittlungsergebnis nicht den Tatbestand des § 185 StGB erfüllt. Dieses Ergebnis folgt aus rechtlichen Erwägungen zur Regelung des § 185 StGB.
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§ 185 StGB setzt einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung voraus (vgl. BGHSt 1, 289). Sexuelle oder sexualbezogene Handlungen und Belästigungen fallen, da § 185 StGB keinen Auffangtatbestand darstellt, nach herrschender Rechtsprechung – der sich das Gericht vollumfänglich anschließt – nur dann unter die Vorschrift, wenn besondere Umstände einen selbständigen beleidigenden Charakter erkennen lassen (vgl. BGHSt 36, 135, 150; BGH NStZ 2007, 217; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 108; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 185 Rn 11; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 27. Aufl., § 185 Rn 4; BeckOK/v.Heintschel-Heinegg/Valerius, Ed. 9, § 185 Rn 30). Die sogenannte „Geschlechtsehre“ bildet dabei keinen besonderen Teil der Ehre. Ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung oder eine verbale oder tätliche sexualbezogene Annäherung ohne Einverständnis der betroffenen Person erfüllen daher nur dann den Tatbestand des § 185 StGB, wenn nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zugleich eine – von dem Täter gewollte – herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist (vgl. BGHSt 36, 135, 150; BGH NStZ 2007, 217, 218; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Karlsruhe NJW 2003, 1263, 1264; Fischer, a.a.O., § 185 Rn 11a). Das Ansinnen eines sexuellen Kontaktes oder eines bestimmten sexuellen Verhaltens enthält für sich allein ein Beleidigungsmoment auch dann nicht, wenn die betroffene Person hierzu keinen Anlass gegeben hatte. Eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn in der Äußerung eine über das unpassende Anstößige, unter Umständen auch Abwegige hinausgehende Missachtung der Person zum Ausdruck kommt.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt das Verhalten des Angeschuldigten keine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB, sondern eine von diesem Tatbestand nicht erfasste Belästigung der Zeugin B.-G. dar.
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Der Angeschuldigte hat sich zu den erhobenen Vorwürfen bislang nicht eingelassen. Insoweit kann auf eine herabsetzende Bewertung des Angeschuldigten gegenüber der Zeugin nur aus dem von ihm gezeigten Verhalten geschlossen werden. Ein solcher Schluss kann nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall jedoch nicht gezogen werden. Allein in dem von der Zeugin B.-G. objektiv umschriebenen Verhalten des Angeschuldigten, nämlich des Nachlaufens der Zeugin, bei späterem Herantreten an diese bei gleichzeitigem Zeigen auf deren Unterleib, verbunden mit der Aufforderung an die Zeugin „Mach mal da runter“ bildet für sich genommen keine erkennbar von dem Täter gewollte herabsetzende Bewertung des Opfers, sondern ist vielmehr als Belästigung einzuordnen. Der Angeschuldigte gibt mit einem solchen Verhalten zunächst nur zu erkennen, allenfalls den ganz oder teilweise entkleideten Unterleib der Zeugin betrachten zu wollen. Die Gleichsetzung mit einem jederzeit zur Verfügung stehenden Lustobjekt zur Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen ist hierin per se nicht zu erkennen (vgl. dazu OLG Hamm, a.a.O.). Es ist im vorliegenden Fall nämlich nicht ausgeschlossen, dass der Angeschuldigte allein aus - wenn auch unter Hinwegsetzung über das Selbstbestimmungsrecht der Zeugin - „geschlechtlichem Interesse am Opfer“ gehandelt hat (vgl. dazu OLG Karlsruhe, a.a.O.). Begleitende Äußerungen oder eine Verhaltensweise, die zum Ausdruck bringt, die Zeugin sei mit einem Makel behaftet, welcher deren Geltungswert mindere, ist nach dem Akteninhalt nicht feststellbar.
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Gestützt wird dieses Ergebnis auch von folgenden Erwägungen: werden schon unter Zugrundelegung der oben genannten Maßstäbe sogenannte „Grapschereien“ am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Verkehrsmitteln grundsätzlich aus dem Tatbestand des § 185 StGB ausgenommen (vgl. dazu Fischer, a.a.O. Rn 11c; Schönke/Schröder/Lenckner, a.a.O. Rn 4), so kann erst recht in dem dem Angeschuldigten hier zur Last gelegten, ausschließlich verbalen und mit einer Geste unterlegtem Verhalten, keine Tatbestandserfüllung gem. § 185 StGB gesehen werden.
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Das Gericht schließt sich in diesem Zusammenhang der von dem OLG Bamberg (NStZ 2007, 96) geäußerten Auffassung, die Einschränkung des § 185 StGB könne nur dann gelten, wenn die Handlung mit dem regelmäßigen Erscheinungsbild eines Sexualdelikts notwendig verbunden sei, darüber hinaus aber keinen Angriff auf die Geschlechtsehre enthalte und wenn eine Bestrafung nach § 174 ff StGB nur deshalb nicht in Betracht komme, weil es an einem Tatbestandmerkmal eines Sexualdelikts fehle, ausdrücklich nicht an. Das Gericht teilt in diesem Zusammenhang die in der Literatur geäußerte Kritik, dass bei einer solchen Auslegung des § 185 StGB der Tatbestand zu einem Auffangdelikt gegenüber den Sexualdelikten aufgewertet würde, was nach dem herrschendem Verständnis der Regelung des § 185 StGB gerade nicht gewollt ist (vgl. dazu Fischer, a.a.O., § 185 Rn 11b).
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Das Gericht ist sich bewusst, dass ein solches Verständnis von der Regelung des § 185 StGB dazu führt, dass ein Täter, wie im vorliegenden Fall, strafrechtlich nicht belangt werden kann. Dies kann jedoch nicht dazu führen, eine Auslegung vorzunehmen, die insbesondere die vorgenommenen Reformen des Gesetzgebers zum Sexualstrafrecht unterläuft.
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Da das Verhalten des Angeschuldigten auch keinen anderen Straftatbestand erfüllt, was der Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 27.7.2009 belegt (Bl 16 dA), war der Erlass des Strafbefehls abzulehnen.
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Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen folgt aus §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO.
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Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt. Ist die Tat in einer Versammlung oder dadurch begangen, dass ein Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt. In den Fällen der §§ 188 und 192a wird die Tat auch dann verfolgt, wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Die Taten nach den Sätzen 2 und 3 können jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht. Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. Stirbt der Verletzte, so gehen das Antragsrecht und das Widerspruchsrecht auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über.
(2) Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, so steht das Antragsrecht den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen zu. Ist die Tat in einer Versammlung oder dadurch begangen, dass ein Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt. Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn ein Antragsberechtigter der Verfolgung widerspricht. Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden.
(3) Ist die Beleidigung gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. Richtet sich die Tat gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der aufsichtführenden Behörde verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern und für Behörden der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts.
(4) Richtet sich die Tat gegen ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder eine andere politische Körperschaft im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so wird sie nur mit Ermächtigung der betroffenen Körperschaft verfolgt.
(1) Hält der Vorsitzende des Schöffengerichts die Zuständigkeit des Strafrichters für begründet, so gibt er die Sache durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft an diesen ab; der Beschluß ist für den Strafrichter bindend, der Staatsanwaltschaft steht sofortige Beschwerde zu. Hält der Strafrichter die Zuständigkeit des Schöffengerichts für begründet, so legt er die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dessen Vorsitzenden zur Entscheidung vor.
(2) Erachtet der Richter den Angeschuldigten nicht für hinreichend verdächtig, so lehnt er den Erlaß eines Strafbefehls ab. Die Entscheidung steht dem Beschluß gleich, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist (§§ 204, 210 Abs. 2, § 211).
(3) Der Richter hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu entsprechen, wenn dem Erlaß des Strafbefehls keine Bedenken entgegenstehen. Er beraumt Hauptverhandlung an, wenn er Bedenken hat, ohne eine solche zu entscheiden, oder wenn er von der rechtlichen Beurteilung im Strafbefehlsantrag abweichen oder eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Mit der Ladung ist dem Angeklagten eine Abschrift des Strafbefehlsantrags ohne die beantragte Rechtsfolge mitzuteilen.
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind.
(2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt.
(3) Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.