Urteils-Kommentar zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Apr. 2024 - 6 StR 545/23 von Dirk Streifler
Verhältnismäßigkeit der Vorbereitungszeit für das Schlussplädoyer
Fallübersicht
Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen versuchten Mordes zu einer mehrjährigen Jugendstrafe verurteilt. Ursprünglich war der Angeklagte wegen versuchten Totschlags angeklagt, jedoch wurde am zweiten Hauptverhandlungstag ein Hinweis auf eine mögliche Verurteilung wegen versuchten Mordes gegeben. Die Beweisaufnahme wurde am dritten Verhandlungstag geschlossen, und der Verteidiger beantragte eine Unterbrechung zur Vorbereitung des Schlussplädoyers, was abgelehnt wurde. Der Angeklagte legte Revision ein, da ihm zu wenig Zeit zur Vorbereitung eingeräumt wurde.
Rechtliche Grundlagen und BGH-Entscheidung
Der BGH befasste sich mit der Frage, wie viel Zeit dem Verteidiger nach der Beweisaufnahme zur Vorbereitung seines Plädoyers eingeräumt werden muss. Nach § 258 StPO haben die Beteiligten das Recht auf ein Schlussplädoyer, um ihr rechtliches Gehör zu wahren (Art. 103 I GG). Auch nach Art. 6 III lit. b EMRK hat jede angeklagte Person das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung.
Die Entscheidung, wie viel Vorbereitungszeit angemessen ist, hängt von der Komplexität und dem Umfang des Falls ab. Wird keine ausreichende Vorbereitungszeit gewährt, kann dies zur Aufhebung des Urteils führen.
Im vorliegenden Fall hatte der Verteidiger eine Unterbrechung zur Vorbereitung seines Plädoyers beantragt, da am letzten Verhandlungstag mehrere Zeugen und Sachverständige vernommen wurden, was die Komplexität des Falls erhöhte. Der BGH entschied, dass die vollständige Versagung einer Vorbereitungszeit rechtsfehlerhaft war, insbesondere da der Angeklagte erst am zweiten Verhandlungstag auf den schwerwiegenderen Tatvorwurf des versuchten Mordes hingewiesen und im Gerichtssaal verhaftet wurde.
Die Entscheidung des Landgerichts, keine Unterbrechung zu gewähren, berücksichtigte nicht die Bedeutung der neuen Zeugenaussagen und die Schwere des veränderten Tatvorwurfs. Daher hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück.
Fazit
Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Gewährung ausreichender Vorbereitungszeit für das Schlussplädoyer, insbesondere bei komplexen und sich ändernden Tatvorwürfen. Die Verfahrensbeteiligten müssen die Möglichkeit haben, angemessen auf neue Entwicklungen im Prozess zu reagieren, um ein faires Verfahren sicherzustellen.
Gesetze
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(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.
(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.
(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.