Strafrecht: Öffentliche Kritik an Abtreibungsgegner
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Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin zu 2) das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28. Juli 1999 und das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Februar 1999 abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger die eigenen selbst und die übrigen jeweils zur Hälfte. Die Kosten der Rechtsmittelzüge trägt die Klägerin zu 2).
Tatbestand:
Die - nur im ersten Rechtszug beteiligte - Klägerin zu 1), die Stadt N., war bis Ende 1997 Trägerin des Klinikums N. in N. und vermietete seit Anfang 1993 Praxisräume auf dem Klinikgelände an den Frauenarzt Dr. F., der dort Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Seit dem 1. Januar 1998 wird das Klinikum als Anstalt des öffentlichen Rechts durch die Klägerin zu 2) betrieben.
Am 8. Oktober 1997, noch vor der Umwandlung der Klägerin zu 2) in eine Anstalt des öffentlichen Rechts, verteilten die Beklagten vor dem Gelände des Klinikums Flugblätter im Format DIN A 4, als deren presserechtlich Verantwortlicher der Beklagte zu 1) genannt ist. Auf der einen Seite enthält das Flugblatt folgenden Text in unterschiedlichen - zum Teil graphisch hervorgehobenen - Schriftarten und -größen:
„Unterstützen Sie unseren Protest und unsere Arbeit. Helfen Sie, damit in Zukunft das 5. Gebot „Du sollst nicht töten!“ und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von allen Ärzten in N. eingehalten wird!
Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N.
damals: Holocaust
heute: Babycaust
Wer hierzu schweigt wird mitschuldig!
„Tötungs-Spezialist“ für ungeborene Kinder Dr. F. auf dem Gelände des Klinikum N. N.“.
Auf der anderen Seite des Flugblattes befinden sich im oberen Teil zwei Abbildungen zerfetzter bzw. zerstückelter Föten mit Erläuterungen verschiedener Abtreibungsmethoden, daneben das Bild eines Kleinkindes mit Flasche. Der mittlere Teil enthält - graphisch hervorgehoben - die Aufforderung: „Bitte, helfen Sie uns im Kampf gegen die straflose Tötung ungeborener Kinder!“ Der untere Teil besteht aus argumentativen Texten, die in die wiederum graphisch hervorgehobene Forderung münden: „Deshalb: Abtreibung NEIN!“
Mit der am 6. März 1998 eingereichten Klage haben die Klägerinnen die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen. Die Klägerin zu 1) hat später im Hinblick auf die Umwandlung des Klinikums N. in eine Anstalt öffentlichen Rechts den Rechtsstreit in der Hauptsache einseitig für erledigt erklärt. Das Landgericht hat die Erledigungsfeststellungsklage der Klägerin zu 1) (rechtskräftig) abgewiesen und die Beklagten auf die - im Übrigen abschlägig beschiedene - Klage der Klägerin zu 2) verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf das Klinikum N. in N. die Äußerung aufzustellen oder zu verbreiten: „damals: Holocaust heute: Babycaust“ sowie im Zusammenhang hiermit die Äußerung aufzustellen oder zu verbreiten „Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N.“
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Klägerin zu 2) die Beklagten unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts dazu verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf das Klinikum N. in N. folgende Äußerung aufzustellen oder zu verbreiten: „Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N.“ und „damals: Holocaust heute: Babycaust“, insbesondere in der näher bezeichneten Form der dem Urteil insoweit beigefügten Seite des Flugblattes.
Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag gegenüber der Klägerin zu 2) weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin zu 2), die als Anstalt öffentlichen Rechts ebenfalls zivilrechtlichen Schutz vor ehrenrührigen Angriffen beanspruchen könne, sei durch die Aussagen auf dem Flugblatt unmittelbar und direkt betroffen. Der Hinweis auf das Gelände des Klinikums N. sei keine bloße Ortsangabe, sondern enthalte nach der maßgebenden objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Beobachters den Erklärungsgehalt, dass die Klägerin zu 2) auf ihrem Gelände Kindermord - womit klar ersichtlich Abtreibungen gemeint seien - durch den Tötungsspezialisten Dr. F. zulasse oder dessen Tun zumindest nichts entgegensetze. Der beanstandete Inhalt des Flugblattes habe ehrverletzenden Charakter. Zwar handele es sich bei den Begriffen „Kindermord“, „Holocaust“ und „Babycaust“ nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Meinungsäußerungen, die in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fielen, im Streitfall seien sie aber davon nicht mehr gedeckt. Obwohl kein Fall einer Schmähkritik vorliege und es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung handele, ergebe eine Abwägung der Schwere der Beeinträchtigung des Ansehens der Klägerin zu 2) mit der Meinungsfreiheit der Beklagten, dass letztere zurücktreten müsse. Die Aussage „Kinder-Mord ... auf dem Gelände des Klinikum N.“ stelle allerdings für sich genommen eine überspitzte und überzeichnete Formulierung im politischen Meinungskampf dar, die noch zulässig sei, zumal ersichtlich kein Mord an Kindern, sondern die Abtreibung gemeint sei. Eine nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des Ehrenschutzes liege jedoch in der Aussage „damals: Holocaust heute: Babycaust“. Gerade den großen Krankenhäusern wie dem von der Klägerin zu 2) betriebenen obliege eine wichtige Funktion im Rahmen derpraktischen Ausgestaltung der geltenden, vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Regelung der Schwangerschaftsabbrüche, deren Erfüllbarkeit gewährleistet sein müsse. Die Gleichsetzung des Holocaust, der millionenfachen Ermordung unschuldiger Menschen aus rein rassistischen Motiven und unter entwürdigenden Umständen durch ein Terrorregime, mit der Existenz einer Abtreibungspraxis auf dem Gelände des Klinikums N. sei nicht nur völlig unangemessen, sondern schlicht unerträglich und mit dem darin enthaltenen Unwerturteil geeignet, die Aufgabe der Krankenbetreuung zu gefährden. Da beide beanstandeten Äußerungen in einem Sinnzusammenhang stünden und sich gegenseitig ergänzten und verstärkten, würde ihr Sinn verfälscht, wenn man nur den letzten Teil untersagen würde. Deshalb seien beide Äußerungen unbeschadet der Tatsache, dass die Formulierung „Kinder-Mord ...“ für sich genommen zulässig wäre, zu unterlassen.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision nicht stand.
Es kann offen bleiben, ob die Rüge der Revision, das Berufungsurteil leide unter dem absoluten Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO, weil es eine von den Beklagten ausdrücklich geltend gemachte Rechtfertigung des Flugblattes aus dem Gesichtspunkt des Art. 4 Abs. 1 GG ungeprüft lasse und insoweit nicht mit Gründen versehen sei, sachlich gerechtfertigt sein könnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 551 Nr. 7 ZPO aus prozesswirtschaftlichen Gründen nicht heranzuziehen, wenn das nicht erörterte Verteidigungsmittel zur Abwehr der Klage ungeeignet ist. Entsprechendes hat zu gelten, wenn die Revision der Beklagten aus anderen Gründen - wie hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 5 Abs. 1 GG - Erfolg hat, so dass es letztendlich dahingestellt bleiben kann, ob auch der von den Beklagten ohne näheren Sachvortrag für sich reklamierte Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG zur Abweisung der Klage hätte führen können.
Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts wie die Klägerin zu 2) zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen können, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird. Zwar haben sie weder eine „persönliche“ Ehre noch sind sie Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sie genießen jedoch, wie § 194 Abs. 3 StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben - hier im Bereich der Daseinsvorsorge - strafrechtlichen Ehrenschutz, der über §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann.
Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist weiterhin die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin zu 2) von den beanstandeten Äußerungen des Flugblattes selbst betroffen ist und sich die Bedeutung der Erwähnung des Klinikums N. auf dem Flugblatt - entgegen der Auffassung der Revision - nicht in einer bloßen Ortsangabe erschöpft. Würde die Äußerung in ihrer angegriffenen Form wiederholt, wozu sich die Beklagten - im Sinne einer vom Berufungsgericht angenommenen Erstbegehungsgefahr - grundsätzlich für berechtigt halten, würde mit ihr auch die Klägerin zu 2) als jetzige Trägerin des Klinikums N. angegriffen.
Für die Ermittlung des Aussagegehalts des Flugblattes ist darauf abzustellen, wie es unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen sind. Danach richtet sich das - vor dem Gelände des Klinikums N. verteilte -Flugblatt zwar in erster Linie gegen die Tätigkeit des als „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder“ bezeichneten Arztes Dr. F., der auf dem Gelände des Klinikums Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Daneben wird durch die besondere textliche Gestaltung des Flugblattes zugleich aber auch das Klinikum bzw. dessen Träger angegriffen. Durch die zweimalige, drucktechnisch ebenso wie die Begriffe „Kinder-Mord“ und „Tötungs-Spezialist Dr. F.“ hervorgehobene Erwähnung des Klinikums N. in Verbindung mit dem Vorwurf „Wer hierzu schweigt wird mitschuldig!“ wird dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers nahegelegt, dass mit dem Flugblatt im konkreten Fall nicht nur der die Abtreibungen vornehmende Arzt Dr. F. angegriffen werden soll, sondern auch der verantwortliche Klinikträger, der es zulässt, dass der „Tötungs-Spezialist für ungeborene Kinder Dr. F. auf dem Gelände des Klinikum N.“ tätig wird. Da mit der entsprechenden Seite des Flugblattes konkrete Vorgänge auf dem Gelände des Klinikums N. angegriffen werden, ändert sich an diesem Verständnis - entgegen der Auffassung der Revision - nichts daran, dass die andere Seite allgemeine Ausführungen gegen die derzeitige Abtreibungspraxis in allen Ländern mit liberalen Abtreibungsgesetzen enthält.
Zutreffend ist auch der weitere Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass es sich bei den beanstandeten Äußerungen der Beklagten um Meinungsäußerungen handelt, welche dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen.
Allerdings muss die Meinungsfreiheit stets zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet, desgleichen regelmäßig auch dann, wenn sich eine herabsetzende Äußerung lediglich als Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellt. Im vorliegenden Fall ist aber weder die Menschenwürde betroffen, die einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bereits begrifflich nicht zukommt, noch handelt es sich bei den im Flugblatt enthaltenen Äußerungen um eine Formalbeleidigung oder Schmähkritik.
Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung; hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll.
Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, fallen die in dem von den Beklagten verbreiteten Flugblatt enthaltenen Äußerungen nicht unter den so verstandenen Begriff der Schmähkritik. Wenn auch die Gegenüberstellung eines heute vermeintlich stattfindenden „Babycaust“ mit dem damaligen Holocaust im Anschluss an den voranstehenden Text „Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N.“ geeignet ist, das Ansehen der Klägerin zu 2) in besonderem Maße zu beeinträchtigen, so steht doch der damit verbundene Vorwurf in der Sache ersichtlich in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Anliegen der Beklagten, nämlich der Auseinandersetzung mit der herrschenden Abtreibungspraxis aufgrund der geltenden Gesetze.
Lässt sich die Äußerung damit weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die sodann erforderliche Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an, wobei es aber, anders als im Fall von Tatsachenbehauptungen, grundsätzlich keine Rolle spielt, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil „richtig“ ist. Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für „falsch“ oder „ungerecht“ halten. Auch die Form der Meinungsäußerung unterliegt der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden. Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung; eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässsigkeit öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen stellt, ist mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Das ist insbesondere zu beachten, wenn die Ehrenschutzvorschriften der §§ 185 ff. StGB - wie hier - nicht auf Personen, sondern auf staatliche Einrichtungen bezogen werden. Sie dienen dann nicht dem Schutz der persönlichen Ehre, sondern suchen die öffentliche Anerkennung zu gewährleisten, die erforderlich ist, damit staatliche Einrichtungen ihre Funktion erfüllen können. Gerät dieser Schutzzweck in einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit, so ist deren Gewicht besonders hoch zu veranschlagen, weil das Grundrecht gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.
Auch das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht die Äußerung „Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N.“ für sich genommen als überspitzte und überzeichnete Formulierung im politischen Meinungskampf als zulässig erachtet. Ob nicht bereits deshalb der Unterlassungsausspruch des Berufungsgerichts zu weit geht, kann letztlich dahinstehen. Denn auch die in diesem Zusammenhang erfolgte weitere Äußerung „damals: Holocaust heute: Babycaust“ wird - zumindest im vorliegend zu beurteilenden Verhältnis zur Klägerin zu 2) - noch vom Grundrecht der Meinungsfreiheit der Beklagten getragen und vermag das Unterlassungsbegehren ebenfalls nicht zu rechtfertigen.
Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung von Äußerungen ist zunächst, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ob dies der Fall ist, unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der jedoch ihren Sinn nicht abschließend festlegt. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Leser erkennbar waren. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist dem von den Beklagten verteilten Flugblatt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - eine Gleichsetzung der angeprangerten Vorgänge auf dem Klinikgelände mit dem Holocaust des Nationalsozialismus nicht zu entnehmen. Durch die den Leser aufschreckende Wirkung des Begriffes Holocaust und dessen Gegenüberstellung mit einem daran angelehnten Wortgebilde „Babycaust“ sowie die anderen plakativen, drastisch überzogenen Formulierungen des Flugblattes versuchen dessen Verfasser in erster Linie in provokativer Weise Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erzielen. Da es sich bei der Abtreibung um ein Thema handelt, das in der Öffentlichkeit in Vergangenheit und Gegenwart wie kaum ein anderes - teilweise sehr emotional - diskutiert worden ist, wird dem interessierten Leser sofort deutlich, dass es sich bei dem Flugblatt um einen Protest von Abtreibungsgegnern gegen die auf dem Klinikgelände von Dr. F. vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche handelt. Zugleich wird einem unvoreingenommenen und verständigen Leser die Meinung der Verfasser vermittelt, die aufgrund der bestehenden Gesetzeslage herrschende Abtreibungspraxis stelle eine verwerfliche Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens dar. Eine Gleichsetzung mit dem Holocaust in seinem geschichtlichen Sinne ist dem Kontext des Flugblattes dagegen nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat insoweit die gebotene Gesamtbetrachtung verkürzt und es insbesondere versäumt, in die Deutung der beanstandeten Äußerung auch die andere Seite des Flugblattes und die dort abgedruckten Texte mit einzubeziehen. Diese erläutern argumentativ den Standpunkt der Verfasser, wonach ein Staat, der das Töten des ungeborenen Lebens zulasse, den Boden der Menschenrechte verlasse und seine Demokratie in Frage stelle, weil er eine bestimmte Menschengruppe, nämlich ungeborene Kinder, vom strafrechtlichen Schutz ausschließe.
Der danach verbleibende Vorwurf ist zwar immer noch erheblich, jedoch wird die Klägerin zu 2) durch ihn - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht so schwer beeinträchtigt, dass die Meinungsfreiheit der Beklagten zurücktreten müsste.
Auch wenn die Tätigkeit des Arztes Dr. F. der geltenden Rechtslage entspricht, die das Bundesverfassungsgericht von Verfassungs wegen nicht beanstandet hat, so werden die Beklagten dadurch nicht an einer Meinungsäußerung gehindert, die - wenn auch mit drastischen Vergleichen - für eine (Wieder-)Einführung einer weitergehenden Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen streitet, welche jedenfalls nach der früheren Gesetzeslage ebenfalls nicht verfassungswidrig war. Bleibt der Schutz werdenden menschlichen Lebens in den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Grenzen in erster Linie dem Gesetzgeber überlassen, dann ist ein Beitrag zur politischen Willensbildung in dieser die Öffentlichkeit besonders berührenden fundamentalen Streitfrage wegen der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie grundsätzlich selbst dann zu tolerieren, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint. Letztlich bleibt es dem Leser des von den Beklagten verbreiteten Flugblattes überlassen, selbst darüber zu entscheiden, ob er die subjektive Einschätzung der Verfasser teilt und entsprechend ihrer Aufforderung ebenfalls auf eine Änderung der bestehenden Rechtslage im Rahmen künftiger politischer Willensbildung hinwirken will. Hierdurch ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die - grundsätzlich zu schützende - Fähigkeit der Klägerin, ihre Funktion als Trägerin des Krankenhauses weiter auszuüben, noch nicht so erheblich tangiert, dass die Meinungsfreiheit der Beklagten gegenüber diesem Interesse zurücktreten müsste, zumal nur die eher passive Beteiligung der Klägerin zu 2) an den auf dem Gelände des Klinikums von Dr. F. vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen angegriffen, nicht aber ihre Fähigkeit zur sonstigen medizinischen Versorgung in Frage gestellt wird. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die im Flugblatt geäußerte Meinung dazu führen könnte, dass der Klägerin zu 2) nicht mehr das erforderliche Mindestmaß gesellschaftlicher Akzeptanz entgegengebracht würde, um ihre diesbezüglichen Aufgaben im Rahmen der Daseinsvorsorge zu erfüllen, sind weder den Feststellungen des Berufungsgerichts noch dem Vorbringen der Klägerin zu 2) zu entnehmen.
Nach alledem mag zwar die Gegenüberstellung eines vermeintlichen „Babycaust“ mit dem Holocaust unangebracht sein, zumal auch durch die derzeitige Rechtslage das ungeborene Leben - allerdings unter Berücksichtigung der Rechtsgüter der schwangeren Frau - bestmöglich geschützt werden soll. Als Meinungsäußerung im Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbildung in einer die Öffentlichkeit so sehr bewegenden, fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener geht, muss sie jedoch auch in der vorliegenden Form nach Art. 5 Abs. 1 GG in einer freiheitlichen Demokratie hingenommen werden.
Das Berufungsurteil konnte damit keinen Bestand haben. Da seine Aufhebung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden und auf die Rechtsmittel der Beklagten in entsprechender Abänderung der vorinstanzlichen Urteile die Klage insgesamt abweisen.
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(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
(1) Der Revisionskläger muss die Revision begründen.
(2) Die Revisionsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Revisionsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Revisionsgericht einzureichen. Die Frist für die Revisionsbegründung beträgt zwei Monate. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. § 544 Absatz 8 Satz 3 bleibt unberührt. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu zwei Monate verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Revisionskläger erhebliche Gründe darlegt; kann dem Revisionskläger innerhalb dieser Frist Einsicht in die Prozessakten nicht für einen angemessenen Zeitraum gewährt werden, kann der Vorsitzende auf Antrag die Frist um bis zu zwei Monate nach Übersendung der Prozessakten verlängern.
(3) Die Revisionsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Revisionsanträge); - 2.
die Angabe der Revisionsgründe, und zwar: - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Revision darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) § 549 Abs. 2 und § 550 Abs. 2 sind auf die Revisionsbegründung entsprechend anzuwenden.
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
(1) Der Revisionskläger muss die Revision begründen.
(2) Die Revisionsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Revisionsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Revisionsgericht einzureichen. Die Frist für die Revisionsbegründung beträgt zwei Monate. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. § 544 Absatz 8 Satz 3 bleibt unberührt. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu zwei Monate verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Revisionskläger erhebliche Gründe darlegt; kann dem Revisionskläger innerhalb dieser Frist Einsicht in die Prozessakten nicht für einen angemessenen Zeitraum gewährt werden, kann der Vorsitzende auf Antrag die Frist um bis zu zwei Monate nach Übersendung der Prozessakten verlängern.
(3) Die Revisionsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Revisionsanträge); - 2.
die Angabe der Revisionsgründe, und zwar: - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Revision darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) § 549 Abs. 2 und § 550 Abs. 2 sind auf die Revisionsbegründung entsprechend anzuwenden.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
(1) Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt. Ist die Tat in einer Versammlung oder dadurch begangen, dass ein Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt. In den Fällen der §§ 188 und 192a wird die Tat auch dann verfolgt, wenn die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält. Die Taten nach den Sätzen 2 und 3 können jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht. Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden. Stirbt der Verletzte, so gehen das Antragsrecht und das Widerspruchsrecht auf die in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen über.
(2) Ist das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft, so steht das Antragsrecht den in § 77 Abs. 2 bezeichneten Angehörigen zu. Ist die Tat in einer Versammlung oder dadurch begangen, dass ein Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, so ist ein Antrag nicht erforderlich, wenn der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat und die Verunglimpfung damit zusammenhängt. Die Tat kann jedoch nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn ein Antragsberechtigter der Verfolgung widerspricht. Der Widerspruch kann nicht zurückgenommen werden.
(3) Ist die Beleidigung gegen einen Amtsträger, einen für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder einen Soldaten der Bundeswehr während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst begangen, so wird sie auch auf Antrag des Dienstvorgesetzten verfolgt. Richtet sich die Tat gegen eine Behörde oder eine sonstige Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so wird sie auf Antrag des Behördenleiters oder des Leiters der aufsichtführenden Behörde verfolgt. Dasselbe gilt für Träger von Ämtern und für Behörden der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts.
(4) Richtet sich die Tat gegen ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes oder eine andere politische Körperschaft im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so wird sie nur mit Ermächtigung der betroffenen Körperschaft verfolgt.
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Zurücksendung der Prozessakten sind auf die Revision entsprechend anzuwenden. Die Revision kann ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.