Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 21. Juli 2004 - 11 S 1303/04

bei uns veröffentlicht am21.07.2004

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 27. August 2003 - 1 K 638/02 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein 1971 in Erfelek/Sinop (Türkei) geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.
Der Kläger reiste 1979 im Alter von 8 Jahren im Wege des Familiennachzugs zu seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit dem 9.10.1989 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Nach der Hauptschule begann er eine Ausbildung zum Maurer, die er aber nicht abschloss. Ab 1989 arbeitete er zunächst als Hilfsarbeiter, zeitweise war er arbeitslos. 1997 begann er, selbständig tätig zu sein und meldete zu diesem Zweck 1999 ein Gewerbe an (Handel, An- und Verkauf, Sortierung und Entsorgung von Elektroschrott), das er seitdem – mit Ausnahme der Zeiten haftbedingter Unterbrechung - und auch gegenwärtig noch betreibt. Die Eltern und die drei Geschwister des Klägers leben in der Bundesrepublik Deutschland. Er hat eine 15-jährige nichteheliche Tochter mit deutscher Staatsangehörigkeit, für die er Unterhalt bezahlt.
Der Kläger wurde während seines Aufenthalts in Deutschland wie folgt strafrechtlich verurteilt:
1.    durch Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 26.10.1988 zu 64 Stunden gemeinnütziger Arbeit wegen Diebstahls (Mofa);
2.    durch Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 25.1.1989 zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit wegen Diebstahls und Hehlerei (Geld);
3.    durch Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 20.6.1989 zu einer Geldbuße von 40.- DM wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis;
4.    durch Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 19.12.1990 zu 40 Tagessätzen wegen falscher Verdächtigung (Verkehrsstraftat);
5.    durch Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 28.9.1992 zu 8 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung (Trunkenheit, 1,48 Promille) in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis;
6.    durch Urteil des Amtsgerichts Frankfurt/Main vom 9.11.1992 zu 25 Tagessätzen wegen fahrlässiger Verkehrsgefährdung (Trunkenheit, 0,7 Promille).
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Die in der Verurteilung zu 5. ausgesprochene Freiheitsstrafe wurde durch Berufungsurteil des Landgerichts Memmingen vom 25.2.1993 unter Einbeziehung der durch das Urteil zu 6. verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe zusammengefasst und auf vier Monate und eine Woche (ausgesetzt zur Bewährung) reduziert; die Strafaussetzung wurde später widerrufen und die Strafe vollstreckt.
11 
Am 4.11.1993 wurde der Kläger deswegen ausländerrechtlich verwarnt.
12 
Weiter wurde der Kläger wie folgt verurteilt:
13 
7.    durch Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 27.9.1995 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Vergewaltigung (Anhalterin); die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung wurde mit Beschluss des Landgerichts Memmingen vom 13.2.2001 widerrufen;
14 
8.    durch Urteil des Amtsgerichts Ansbach vom 21.10.1996 zu 80 Tagessätzen wegen Strafvereitelung (Fahren ohne Fahrerlaubnis); das Strafmaß wurde vom Landgericht Ansbach durch Berufungsurteil vom 30.1.1997 auf 3 Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung geändert.
15 
Am 27.8.1998 wurde der Kläger erneut ausländerrechtlich verwarnt.
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9.    Schließlich folgte am 22.11.2000 das Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm, mit dem der Kläger zu 4 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde.
17 
Ein 2001 anhängiges Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung (Wirtshausschlägerei unter Alkoholeinfluss, 1,73 Promille) wurde eingestellt.
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Aufgrund der genannten Verurteilungen zu Freiheitsstrafen war der Kläger vom 2.4. bis 1.6.1997 (2 Monate), vom 15.12.1997 bis 8.3.1998 (2 Monate 3 Wochen) und vom 27.6.2001 bis 23.12.2002 (18 Monate) in Haft.
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Nach vorheriger Anhörung, bei der sich der Kläger innerhalb der eingeräumten Frist nicht äußerte, wies das Regierungspräsidium Tübingen den Kläger mit Verfügung vom 21.3.2002 - zugestellt am 28.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei entweder direkt aus der Strafhaft, jedoch frühestens einen Monat nach Zustellung der Ausweisungsverfügung, oder bei vorheriger Haftentlassung frühestens einen Monat nach der Haftentlassung an. Zur Begründung führte das Regierungspräsidium im Wesentlichen aus, dass der Kläger durch die Verurteilung vom 22.11.2000 und den Bewährungswiderruf vom 13.2.2001 nicht nur geringfügig gegen Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland verstoßen und damit den Ausweisungstatbestand des § 46 Nr.2 i.V.m. § 45 AuslG verwirklicht habe. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG, der dem Kläger zustehe, weil er als Minderjähriger eingereist und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei, dürfe die Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen. Die Ausweisung sei danach gerechtfertigt, weil das persönliche Verhalten des Klägers Grund für die Annahme sei, dass von ihm eine gegenwärtige und tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgehe. Aus dem Bewährungswiderruf des Landgerichts Memmingen vom 13.2.2001 gehe hervor, dass er zwischen der Verkündung des Urteils des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 27.9.1995 wegen Vergewaltigung und dem Eintritt der Rechtskraft erneut wegen Strafvereitelung straffällig geworden sei. Danach sei er noch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Insbesondere durch die Vorsatzstraftat habe er deutlich zu erkennen gegeben, dass er nicht zu einer längerfristigen Einhaltung der Rechtsordnung bereit sei und wichtigen staatsbürgerlichen Pflichten mit Gleichgültigkeit begegne. Obwohl es sich bei der Vergewaltigung um eine besonders schwerwiegende Straftat handle, sei er zunächst nur ausländerrechtlich verwarnt worden. Gleichzeitig sei er dabei darauf hingewiesen worden, dass er bei der nächsten Straftat mit der Ausweisung rechnen müsse; das habe ihn nicht von weiteren Straftaten abgehalten. Vom Kläger gehe eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Eine günstige Sozialprognose sei aufgrund der bisherigen Straftaten, des Bewährungsbruchs und der Missachtung der zweifachen ausländerrechtlichen Verwarnung nicht gegeben. Weder Arbeitsverhältnisse noch Familie hätten den Kläger in der Vergangenheit von Straftaten abhalten können. Unter anderem habe er sich auch als notorischer Verkehrssünder hervorgetan. Da er durch keinerlei mildere Sanktionen zu belehren sei, erreiche lediglich die Ausweisung das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, schwerwiegende Gefahren von der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Es werde nicht verkannt, dass der Kläger als Achtjähriger nach Deutschland gekommen und hier aufgewachsen sei. Es sei der Behörde bewusst, dass ihn die Ausweisung nicht unerheblich treffe. Da er aber bis zu seinem 8. Lebensjahr in der Türkei gelebt habe, der türkischen Sprache mächtig und im türkischen Familienverband aufgewachsen sei, sich zudem in einem Alter befinde, in dem er sich noch jederzeit auf veränderte Lebensbedingungen einstellen könne, sei ihm eine Ausreise in sein Heimatland zumutbar. Eine besondere soziale und wirtschaftliche Integration habe in Deutschland bisher nicht ausreichend stattgefunden, zumal er auch über erhebliche Schulden verfüge. Die Ausweisung sei geeignet und erforderlich, um die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Duldungsgründe seien nicht ersichtlich. Die Ausweisung verstoße auch nicht gegen Art. 7 des deutsch-türkischen Niederlassungsabkommens von 1927. Art. 3 Abs. 3 ENA stehe der Ausweisung nicht entgegen, da ihr schwerwiegende Gründe - auch im Sinne von Art. 14 ARB 1/80 - zugrunde lägen. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK.
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Die dagegen am 12.4.2002 erhobene Klage begründete der Kläger unter anderem damit, dass er sich in der Bundesrepublik Deutschland vollständig integriert habe, er beherrsche die deutsche Sprache in Wort und Schrift und fühle sich praktisch als Deutscher. Die Ausweisung sei fehlerhaft, weil die Ausländerbehörde davon ausgegangen sei, dass bei Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Ausweisung erfolgen müsse, während sie gemäß § 45 Abs. 1 iVm. § 46 AuslG im Ermessen stehe. Das gelte auch nach § 10 AuslG in der Fassung von 1972, der auf ihn als Gewerbetreibenden nach Assoziationsrecht anzuwenden sei. Im Übrigen bestehe keine konkrete Wiederholungsgefahr: Die Vergewaltigung liege bereits sieben Jahre zurück und eine vergleichbare Tat sei von ihm nicht mehr begangen worden. Die Strafvereitelung sei eine „Dummheit“ gewesen, die er begangen habe, um einen Kumpel zu decken. Die längere Haftzeit, die er erst nach der letzten Verurteilung angetreten habe, habe ihn außerdem beeindruckt, es habe bei ihm ein Umdenkungsprozess stattgefunden, so dass die Ausweisung nicht mehr zum Schutz der öffentlichen Sicherheit erforderlich sei. Das von ihm auf Veranlassung der Fahrerlaubnisbehörde in Auftrag gegebene medizinisch-psychologische Gutachten des Zentrums für medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU) vom 14.5.2003 bejahe nicht nur seine weitere verkehrsrechtliche Eignung. Das Gutachten stelle auch fest, dass er sich mit seiner Alkoholproblematik auseinandergesetzt und seine früher wirksamen Trinkmotive erkannt und ausreichend überwunden habe. Es würden ausreichende Kompetenzen und eine ausreichende motivationale Grundlage dafür bejaht, dass er eine abstinente Lebensführung dauerhaft fortsetze. Seine Taten seien auch nicht so schwerwiegend wie es § 48 Abs. 1 AuslG vorschreibe. Die letzte Verurteilung sei eine Bewährungsstrafe gewesen; von der strafrichterlichen Sozialprognose könne im Ausweisungsverfahren nicht ohne weiteres abgewichen werden. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass er nicht nur seine Eltern und Geschwister in Deutschland habe, sondern auch eine Tochter. Als türkischer Staatsangehöriger, früherer Arbeitnehmer und Kind eines türkischen Arbeitnehmers, mit dem er zusammen lebe, genieße er den Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Damit stellten sich folgende Fragen, die die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gebieten würden: Erstens erscheine die mit der Ausweisung intendierte Trennung von seinen Eltern nach europarechtlichem Maßstab unverhältnismäßig, da der europarechtliche Gefahrenbegriff zwar mit dem des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, nicht aber mit demjenigen des § 47 Abs. 3 AuslG übereinstimme. Zweitens sei es eine gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfrage, ob die Haft die Rechte nach Art. 7 ARB 1/80 automatisch zerstöre und welches der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 erforderlichen Gefahr sei. Wenn es auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme, sei durch das MPU-Gutachten die bisherige Gefahrenprognose widerlegt.
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Das Verwaltungsgericht Sigmaringen wies die Klage mit Urteil vom 27.8.2003 - 1 K 638/02 - als nicht begründet ab. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Tübingen vom 21.3.2002 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen des § 46 Nr. 2 AuslG lägen aufgrund der zahlreichen Verurteilungen des Klägers vor. Da der Kläger durch Urteil des Landgerichts Ansbach vom 30.1.1997 wegen Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden sei, seien auch die Voraussetzungen einer Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG gegeben. Diese werde, da der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG genieße, gemäß § 47 Abs. 3 AuslG zu einer Ermessensentscheidung herabgestuft. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG lägen vor, insoweit werde auf den Beschluss der Kammer vom 18.6.2002 - 1 K 639/02 - und den des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17.6.2003 - 14 S 1549/02 - und auf die Gründe der Ausweisungsverfügung verwiesen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung sei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, so dass nach Erlass dieser Verfügung eingetretene günstigere Umstände unberücksichtigt zu bleiben hätten. Es könne daher offen bleiben, ob aufgrund des Gutachtens der MPU GmbH Recklinghausen vom 14.5.2003 eine andere Beurteilung der schwerwiegenden Gründe gerechtfertigt sei, da sich das Gutachten allein auf die Geeignetheit des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen beziehe. An der Rechtmäßigkeit der vom Regierungspräsidium getroffenen Ermessensentscheidung bestünden keine Zweifel. Die Behörde habe die ihr im Zeitpunkt ihrer Entscheidung bekannten Umstände zugunsten des Klägers gewürdigt und nachträglich auch berücksichtigt, dass er Vater einer 14-jährigen nichtehelichen Tochter sei. Dass der Kläger zu dieser Tochter eine nähere Beziehung habe, die über Unterhaltszahlungen hinausgehe, sei von ihm nicht vorgetragen worden. Im Übrigen werde auch insoweit auf den Beschluss der Kammer vom 18.6.2002 und die Erwägungen des Beklagten im Bescheid vom 21.3.2002 Bezug genommen. Vorschriften des Europäischen Niederlassungsabkommens und des ARB 1/80 stünden der Ausweisung nicht entgegen. Ob die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vorlägen, könne offen bleiben. Art. 6 ARB 1/80 greife wegen der selbständigen Tätigkeit des Klägers ebenso wenig ein wie Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 wegen des Fehlens einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Aber selbst wenn die Voraussetzungen dieser Vorschriften vorlägen, stünden sie einer Ausweisung im Hinblick auf Art. 14 ARB 1/80 nicht entgegen, da die Ausweisung des Klägers wegen der von ihm ausgehenden gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sei. Die Annahme eines anderen Beurteilungszeitpunkts als dem der Behördenentscheidung sei nicht geboten. Auch Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 stehe der Ausweisung nicht entgegen, da über die Ausweisung nach Ermessen entschieden worden sei und damit die Situation des Klägers im Verhältnis zu den Vorschriften, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls im Jahr 1972 gegolten hätten, nicht erschwert worden sei. Die Ausweisung sei schließlich auch nicht im Hinblick auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG fehlerhaft. Ungeachtet der Frage, ob die Richtlinie überhaupt auf den Kläger als türkischen Staatsangehörigen Anwendung finde, gehe die Kammer davon aus, dass ein auf die Prüfung der Gesetzmäßigkeit i.S. des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG beschränktes Rechtsmittel nur dann anzunehmen sei, wenn sich die gerichtliche Kontrolle auf die formelle Rechtmäßigkeit und die Nichtigkeit einer Maßnahme beschränke, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Abschiebungsandrohung begegne keinen rechtlichen Bedenken.
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Gegen dieses ihm am 2.10.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 7.10.2003 - eingegangen am 8.10.2003 - die Zulassung der Berufung beantragt. Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 17.5.2004 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen (11 S 73/04). Dieser Beschluss ist dem Kläger am 4.6.2004 zugestellt worden.
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Die zugelassene Berufung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 7.6.2004 - eingegangen am 9.6.2004 - begründet. Er ist der Auffassung, dass für ihn ausweislich des vorgelegten MPU-Gutachtens heute eine günstige Sozialprognose spreche. Eine polizeiliche Gefahr dürfe dann nicht mehr bekämpft werden, wenn sie nicht mehr vorliege. Für das Europarecht - und mithin auch für Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 - habe dies der EuGH im Urteil vom 29.4.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01 - bestätigt. Soweit sich die Frage stelle, ob mit Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit die Rechte nach Art. 7, 14 Abs. 1 ARB 1/80 untergegangen seien, beantrage er die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH. Art. 7 ARB 1/80 kenne keine Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 entsprechende Unterbrechungsregelung. Die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit habe nicht zur Folge, dass - wie bei dauerhafter Erwerbslosigkeit - das Verlassen des Mitgliedstaates solle erzwungen werden dürfen. Dies gelte für Unionsbürger und auch für türkische Arbeitnehmer, die sich mit behördlicher Erlaubnis selbständig machten. Bei selbständig Erwerbstätigen bestehe kein vergleichbares Bedürfnis wie bei Nichterwerbstätigen, sie als Last für die öffentlichen Kassen zur Ausreise zwingen zu können.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 27.8.2003 - 1 K 638/02 - zu ändern und die Verfügung des Regierungspräsidiums Tübingen vom 21.3.2002 aufzuheben.
26 
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
28 
Zur Begründung führt er aus, dass sich der Kläger wegen seiner selbständigen Tätigkeit bzw. wegen des Fehlens einer abgeschlossenen Berufsausbildung weder auf Art. 6 ARB 1/80 noch auf Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 berufen könne. Aufgrund der selbständigen Tätigkeit sei auch die Anwendung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ausgeschlossen. Das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 sei lediglich eine Folge des im ARB 1/80 garantierten Rechts auf „Zugang zum Arbeitsmarkt“, d.h. auf Aufnahme einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis als „Arbeitnehmer“. Dieses Recht auf tatsächliche Ausübung einer entsprechenden Beschäftigung gelte nicht unbegrenzt. Damit sei der maßgebliche Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, weshalb das danach vorgelegte MPU-Gutachten nicht entscheidungserheblich sei. Aber auch wenn man die Anwendbarkeit des ARB 1/80 unterstelle, sei eine Übertragbarkeit der Grundsätze des EuGH-Urteils vom 29.4.2004 auf nach ARB 1/80 berechtigte Türken abzulehnen. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG sei eine rein verfahrensbezogene Vorschrift und gelte, wie auch die rein prozessrechtliche Frage des entscheidungserheblichen Zeitpunkts, nicht für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige. Bejahe man die Übertragbarkeit der Grundsätze des Urteils, ändere aber auch das nichts an der Rechtmäßigkeit der Ausweisung. Obwohl durch § 6a AGVwGO ein Widerspruchsverfahren bezüglich der vom Regierungspräsidium erlassenen Verwaltungsakte ausgeschlossen werde, liege darin kein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, da die Rechtsschutzmöglichkeiten des Ausländers nicht hinter denen von Inländern zurückblieben und weit über die geforderten Mindeststandards hinausgingen; auch finde eine gerichtliche Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung statt. Dies belege auch Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG, die ausdrücklich u.a. zur Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG erlassen worden sei. Schließlich sei aber auch das vorgelegte MPU-Gutachten nicht geeignet, die Gefahrenprognose zu widerlegen. Es basiere ausschließlich auf den Angaben des Klägers und auf der Akteneinsicht bei der Führerscheinstelle. Es orientiere sich bei der Fragestellung ausschließlich an der Alkoholproblematik - deren dauerhafte Bewältigung es nicht nachweise - und sei daher nicht geeignet, generell die Wiederholungsgefahr von Straftaten zu widerlegen, zumal der Kläger auch Straftaten ohne Alkoholeinfluss begangen habe. Es werde nicht verkannt, dass die Delikte bereits einige Zeit zurücklägen. Der Kläger sei jedoch seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen immer wieder straffällig geworden, ohne dass er sich von zwei ausländerrechtlichen Verwarnungen und von den strafrechtlichen Sanktionen habe beeindrucken lassen. Da der Kläger bis 18.12.2002 in Haft gewesen sei, betrage der straffrei außerhalb des Vollzugs verbrachte Zeitraum erst 1 ½ Jahre.
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Ein Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18.6.2002 - 1 K 639/02 - abgelehnt worden. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17.6.2003 - 14 S 1549/02 -). Ein Antrag des Klägers auf Änderung des Beschlusses vom 18.6.2002 nach § 80 Abs. 7 VwGO ist mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15.7.2003 - 1 K 1239/03 - abgelehnt worden. Auf die Beschwerde des Klägers hat der Senat im Hinblick auf die Berufungszulassung die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt bzw. angeordnet (Beschluss vom 17.5.2004 - 11 S 55/04 -).
30 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Ausländerakten des Beklagten vor, sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen in den Verfahren - 1 K 638/02 -, - 1 K 639/02 - und - 1 K 1239/03 -. Beigezogen sind außerdem die Gerichtsakten des Beschwerdeverfahrens - 14 S 1549/02 -. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf deren Inhalt und auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
31 
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO), und die Begründung wird auch den inhaltlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, Darlegung der Berufungsgründe) gerecht (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO).
32 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Anfechtungsklage des Klägers zu Recht abgewiesen. Die vom Regierungspräsidium Tübingen mit Bescheid vom 21.3.2002 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO). Nach dem Maßstab des Ausländergesetzes konnte der Kläger auch unter Berücksichtigung des ihm zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden (dazu 1.). Aus dem Assoziationsratsbeschluss vom 19.9.1980 – ARB 1/80 – ergibt sich nichts anderes, da dessen Bestimmungen auf den Kläger infolge der von ihm seit 1997 ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit nicht (mehr) anwendbar sind (dazu 2.). Die Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden (dazu 3.).
33 
1. Der Kläger erfüllt die Ausweisungsvoraussetzungen nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG, da er durch die strafgerichtlichen Urteile des Landgerichts Ansbach vom 30.1.1997 und des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 22.11.2000 wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt worden ist, so dass er in der Regel ausgewiesen wird. Anhaltspunkte für einen atypischen Ausnahmefall sind weder im Bereich der Tatbegehung noch bei den persönlichen Umständen erkennbar. Der langjährige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet, die dabei erworbenen Sprachkenntnisse und dass er sich deshalb als Deutscher fühlt, sind Umstände, die bereits in den gesetzlichen Regelungen des Ausländergesetzes über die Ausweisung enthalten sind - vgl. bspw. § 45 Abs. 2 Nr. 1, § 47 Abs. 3 Satz 3 und 4, § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 4, § 48 Abs. 2 AuslG - und unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen bei der Entscheidung über die Ausweisung berücksichtigt werden. Sie begründen daher grundsätzlich keinen - vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelten - atypischen Ausnahmefall.
34 
Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, genießt er besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG. Das bedeutet zum einen, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zum anderen wird über die nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG als gesetzliche Regel vorgesehene Ausweisung nach Ermessen entschieden (vgl. § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Schwerwiegende Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Einhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, hat sich an den spezial- und generalpräventiven Ausweisungszwecken auszurichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 = NVwZ 1997, 1119; Urteile des Senats vom 10.9.2003 - 11 S 973/03 -, EzAR 037 Nr. 8 und vom 9.7.2003 - 11 S 420/03 -, EzAR 033 Nr. 18).
35 
Für die im vorliegenden Fall spezialpräventiv begründete Ausweisung bedeutet dies, dass zunächst dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen muss, das sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergeben kann. Dabei ist als Ausweisungsanlass in diesem Sinn nicht lediglich die letzte Straftat ins Auge zu fassen, die im Fall des Klägers für sich genommen eine Ausweisung wohl nicht gerechtfertigt hätte; vielmehr ist der gesamte ausweisungsrelevante Sachverhalt zu gewichten. Insoweit ist zum einen von Bedeutung, dass der Kläger in einem Zeitraum von zwölf Jahren neunmal verurteilt werden musste. Diese Häufigkeit der Straftaten stellt einen hinreichend gewichtigen Ausweisungsanlass dar, besonders wenn man berücksichtigt, dass der Kläger vor der die Ausweisung auslösenden letzten Verurteilung bereits zweimal in Haft war und auch zweimal ausländerrechtlich verwarnt worden ist, ohne dass sich dies erkennbar in seinem Verhalten niedergeschlagen hätte. Hinzu kommt die Schwere einzelner Straftaten, die sich insbesondere durch ihren Gewaltcharakter hervorheben, wie die 1995 begangene Vergewaltigung, die ebenfalls für sich genommen bereits einen schwerwiegenden Ausweisungsanlass darstellt, und die gefährliche Körperverletzung, wegen der 2001 ein Ermittlungsverfahren anhängig war, auch wenn dies nach Aktenlage zu keiner Anklageerhebung führte. Nach Deliktscharakter und Art der Begehung ebenfalls in den Bereich der zumindest mittleren Kriminalität gehören die weiteren, durch mehrmonatige Freiheitsstrafen geahndeten Delikte wie die vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, die vorsätzliche Strafvereitelung und das mit einer Trunkenheitsfahrt verbundene vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis (s.a. Beschluss vom 17.6.2003 - 14 S 1549/02 -).
36 
Neben dem besonders gewichtigen Ausweisungsanlass müssen außerdem Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue (einschlägige oder im Gewicht vergleichbare) Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.6.1996 – 1 C 24.94 -, Buchholz  402.240 § 48 AuslG Nr. 9; BVerfG, 2. Kammer, Beschluss vom 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 -, NVwZ 2001, 67 = InfAuslR 2001, 113). Dies bedeutet nach der Entscheidungspraxis des Senats, die auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückgeht, dass für den durch besonderen Ausweisungsschutz privilegierten Ausländer ein hinreichender Grad an Wiederholungsgefahr bestehen muss - sog. qualifizierte Wiederholungsgefahr -, bei dessen Ermittlung auch dem normativen Bewertungskriterium (Gewicht, Gefährlichkeit und Schaden der Straftat) eine gewisse Bedeutung zukommen kann (vgl. Senatsurteil vom 9.7.2003, aaO.). Im Fall des Klägers bestand zu dem nach nationalem Recht maßgeblichen (vgl. etwa Senatsurteile vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 und vom 10.9.2003 - 11 S 973/03 -, EzAR 037 Nr. 8 mwN.) Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer wiederholten Delinquenz. Wie bereits erwähnt, blieben die Verurteilungen auf Bewährung, die mehrmonatigen Inhaftierungen und die mit der Androhung der Ausweisung verbundenen ausländerrechtlichen Verwarnungen ohne erkennbaren Einfluss auf das strafrechtlich relevante Verhalten des Klägers. Dabei hat der Kläger schon mehrfach konkrete Versprechungen gebrochen und von ihm geweckte Erwartungen enttäuscht (zu Einzelheiten kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 17.6.2003 - 14 S 1549/02 -, BA S. 5 f. verwiesen werden). Zwar mag – wie der Kläger vorträgt - seine Alkoholsucht bei all dem eine gewisse Rolle gespielt haben, wenn sich dies anhand der Aktenlage auch nicht bei allen Verurteilungen nachvollziehen lässt (bspw. war bei der besonders ins Gewicht fallenden Vergewaltigung in den Gründen des strafrichterlichen Urteils von Alkohol keine Rede). Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn auch wenn die Ursache der wiederholten Straftaten Alkoholmissbrauch war, ändert dies nichts an der nach Aktenlage zutreffenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr durch die Ausländerbehörde im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung.
37 
Die somit nach § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG zu treffende Ermessensentscheidung lässt Rechtsfehler nicht erkennen, der Kläger hat solche zuletzt auch nicht mehr geltend gemacht. Der Senat verweist daher zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils (UA S. 6), das sich u.a. auch auf die ebenfalls rechtlich unbedenkliche und vom Senat geteilte Begründung im Beschluss vom 18.6.2002 bezieht.
38 
2. An diesem Ergebnis ändern auch nichts die vom Kläger in den Vordergrund seiner Berufungsbegründung gestellten assoziationsrechtlichen Erwägungen. Es besteht insbesondere kein Anlass, den für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt so zu verschieben, dass die Feststellungen des nach Erlass der Verfügung erstellten MPU-Gutachtens vom 14.5.2003 bei der Wiederholungsgefahrprognose berücksichtigt werden müssten. Der Kläger meint zwar, dass sich die Notwendigkeit einer solchen Verschiebung des Zeitpunkts aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (künftig: EuGH) in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 vom 29.4.2004 ergebe. Tatsächlich lautet der dritte Entscheidungssatz dieses Urteils (EuZW 2004, 402) wie folgt:
39 
„3. Art. 3 der Richtlinie 64/221 steht einer innerstaatlichen Praxis entgegen, wonach die innerstaatlichen Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein längerer Zeitraum zwischen dem Erlass der Entscheidung über die Ausweisung und der Beurteilung dieser Entscheidung durch das zuständige Gericht liegt.“
40 
Daraus ist abzuleiten, dass bei der europarechtlichen Beurteilung der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers nach einem „längeren Zeitraum“ zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung und dem Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts auch eine Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen ist, die nach der Behördenentscheidung eingetreten ist - und zwar zu Gunsten wie auch zu Lasten des Unionsbürgers (vgl. Senatsurteil vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -). Fraglich ist aber, ob dies auch für den Kläger gilt. Voraussetzung wäre, dass Art. 3 der RL 64/221/EWG vom 25.2.1964 (ABl. S. 850), die sich an die Mitgliedstaaten der EWG richtet, auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden ist. Das käme allenfalls in Betracht nach der aus Art. 12 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei vom 12.9.1963 (- AssAbk -, BGBl. II 1964 S. 509), aus Art. 36 des Zusatzprotokolls vom 23.11.1970 (- ZP -, BGBl. II 1972 S. 385) und aus dem Zweck des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 vom 19.9.1980 (ARB 1/80) hergeleiteten Rechtsprechung des EuGH, wonach die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EWGV geltenden Grundsätze auf die vom ARB 1/80 begünstigten türkischen Arbeitnehmer „soweit wie möglich...übertragen werden sollen“ (vgl. EuGH, Urteil vom 6.6.1995 - C-434/93 - , NVwZ 1995, 1093, Rn 14, 19 und 20; Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - , InfAuslR 1997, 146 = NVwZ 1997, 677, Rn 20 und 28; Urteil vom 26.11.1998 - C-1/97 - , InfAuslR 1999, 6 = NVwZ 1999, 1099, Rn 23; Urteil vom 10.2.2000 - C-340/97 - , InfAuslR 2000, 161 = NVwZ 2000, 1029, Rn 50 bis 55). Eine entsprechende Anwendung des zitierten Entscheidungssatzes des EuGH käme freilich auch dann nur unter der Grundvoraussetzung in Betracht, dass der Kläger assoziationsrechtlich überhaupt privilegiert wäre. Das ist er jedoch nicht (mehr). Der Kläger erfüllt weder nach der zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung gegebenen noch nach der gegenwärtigen Sachlage die Voraussetzungen einer Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 (dazu a.), eine vormals gegebenenfalls erworbene Rechtsstellung nach diesen Vorschriften hat er inzwischen jedenfalls wieder verloren (dazu b.).
41 
a. Nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat - zeitlich gestaffelt nach der Dauer ordnungsgemäßer Beschäftigung - bestimmte beschäftigungsrechtliche Ansprüche bzw. Rechte. Voraussetzung ist, dass der Betreffende „Arbeitnehmer“ ist, d.h. eine Beschäftigung im „Lohn- oder Gehaltsverhältnis“ ausübt (vgl. zu dieser Formulierung Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80). Zum Begriff des Arbeitnehmers hat der EuGH in seinem Urteil vom 19.11.2002 - C-188/00 - (DVBl 2003, 451) u.a. ausgeführt, dass das wesentliche Merkmal des den Arbeitnehmerbegriff kennzeichnenden Arbeitsverhältnisses darin besteht, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Diese Voraussetzungen liegen bei einem selbständig Tätigen wie dem Kläger nicht vor (ebenso HessVGH, Beschluss vom 9.2.2004, DÖV 2004, 539). Dies wird vom Kläger auch nicht in Abrede gestellt.
42 
Nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, zeitlich gestaffelt nach der Dauer des ordnungsgemäßen Wohnsitzes, ebenfalls bestimmte beschäftigungsrechtliche Ansprüche bzw. Rechte. Voraussetzung ist, dass der Betreffende „Familienangehöriger“ ist. Zu den Familienangehörigen gehören ohne Zweifel Abkömmlinge, auch ist der Begriff nicht durch ein bestimmtes Lebensalter der Begünstigten begrenzt (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000 - C-329/97 - , InfAuslR 2000, 217; Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, ARB 1/80 Art. 7 Rn 17). Jedoch kann die Rechtsstellung der nach dem ARB 1/80 Begünstigten nicht weiter gehen, als sie Angehörigen der Europäischen Union eingeräumt wird. Insoweit bestimmt aber § 1 Abs. 2 Satz 2 AufentG/EWG, dass Familienangehörige Verwandte in absteigender Linie sind, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen freizügigkeitsberechtigte Personen oder ihre Ehegatten Unterhalt gewähren (vgl. Kloesel/Christ, aaO. Rn 18 mwN.; Schlussantrag Geelhoed in der Rs. - C-275/02 - , Rn 52). Zu diesem Personenkreis gehört der 32 Jahre alte Kläger, der von den Erträgen seiner selbständigen Tätigkeit lebt, gegenwärtig aber nicht.
43 
Der Kläger gehört auch nicht zu den nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 begünstigten Kindern türkischer Arbeitnehmer, da er keine in Deutschland abgeschlossene Berufsausbildung hat, die begonnene Maurerlehre hat er - aus welchen Gründen auch immer - abgebrochen.
44 
Unabhängig davon hat der Kläger aber auch bis heute gar nicht geltend gemacht, dass er von den in Art. 7 ARB 1/80 eingeräumten Rechten - Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich und Satz 2 ARB 1/80: Bewerbungsrecht; Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80: Zugangsrecht - Gebrauch machen will. Der ARB 1/80 regelt in Art. 6 und 7 lediglich das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt, das Aufenthaltsrecht ergibt sich nur als Annex zur beschäftigungsrechtlichen Position. Das Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 ist also lediglich eine Folge des dort garantierten Rechts auf „Zugang zum Arbeitsmarkt“, d.h. auf Aufnahme einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, also „als Arbeitnehmer“ (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 5.10.1994 - C-355/93 - , NVwZ 1995, 53; Urteil vom 16.3.2000 , aaO.; Senatsurteil vom 11.12.1996 - 11 S 1639/96 -, InfAuslR 1997, 229; BayVGH, Urteil vom 29.10.2002, InfAuslR 2003, 46). Will der türkische Staatsangehörige aber von den beschäftigungsbezogenen Rechten überhaupt keinen Gebrauch machen, kann er sich auch nicht auf die diese Privilegierung absichernden aufenthaltsrechtlichen Folgewirkungen berufen.
45 
b. Der Kläger fällt auch nicht ungeachtet der gegenwärtig nicht mehr erfüllten Voraussetzungen deshalb in den Schutzbereich des ARB 1/80, weil er früher einmal eine Rechtsstellung nach Art. 6 (dazu bb.) oder Art. 7 (dazu aa.) ARB 1/80 erworben hatte. Denn diese einmal erworbene Position verleiht ihm heute keine Rechte mehr (dazu cc.).
46 
aa. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger durch seine erlaubte Einreise zur Familienzusammenführung 1979 und die ihm daraufhin erteilten Aufenthaltserlaubnisse das Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben hat. Da der zum Zeitpunkt der Einreise 8 Jahre alte Kläger danach zumindest bis zur Aufnahme einer eigenen ordnungsgemäßen Beschäftigung ununterbrochen und mehr als drei Jahre lang bei seinen Eltern bzw. seinem Vater lebte (vgl. zu diesen Anforderungen EuGH, Urteil vom 16.3.2000, , aaO.; Urteil vom 22.6.2000 - C 65/98 - , InfAuslR 2000, 329; Urteil vom 17.4.1997 - C-351/95 - , InfAuslR 1997, 281, Rn 41, 44) und damit auch länger als fünf Jahre seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Deutschland hatte, hatte er die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Der Kläger hatte mithin freien Zugang zu  jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis einschließlich eines Anspruch auf Verlängerung des zu dessen wirksamer Ausübung erforderlichen Aufenthaltsrechts; insofern hat Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 - ebenso wie Art. 6 Abs. 1 - unmittelbare Wirkung (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 20.9.1990 - C 192/89 - , NVwZ 1991, 255; Urteil vom 23.1.1997 - C 171/95 - , InfAuslR 1997, 146 = NVwZ 1997, 677 - zu Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich; Urteil vom 16.3.2000 , aaO. und Urteil vom 22.6.2000 , aaO., Rn 25 - zu Art. 7 Satz 1; Urteil vom 5.10.1994 - C 355/93 - NVwZ 1995, 53 und Urteil vom 19.11.1998 - C 210/97 - , NVwZ 1999, 281 - zu Art. 7 Satz 2; BVerwG, Urteil vom 22.2.1995 - 1 C 11.94 -, NVwZ 1995, 1113 = VBlBW 1996,49 = InfAuslR 1995, 265; Urteil vom 24.1.1995 - 1 C 2.94 -, InfAuslR 1995, 223).
47 
bb. Darüber hinaus hat der Kläger nach Beendigung der Schule bis zur Aufnahme des selbständigen Gewerbes 1997 (Anmeldung am 28.4.1999) wohl auch immer wieder unselbständig als Hilfsarbeiter gearbeitet, so dass ihm auch das - originäre - assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C 237/91 -, , InfAuslR 1993, 41) zustand. Ob ihm dabei eine den weitreichenden Rechten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vergleichbare Position nach Art. 6 Abs. 1 2. bzw. 3. Spiegelstrich ARB 1/80 zugewachsen war, kann dahinstehen (vgl. zum Zusammenhang der einzelnen Anspruchsstufen nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 BVerwG, (Vorlage-)Beschluss vom 18.3.2003 - 1 C 2.02 -, BVerwGE 118, 61).
48 
cc. Denn sowohl die nach Art. 6 Abs. 1 wie auch die nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworbenen Rechte hat der Kläger jedenfalls inzwischen wieder verloren.
49 
Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 ergibt sich, dass die auf Grund der in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 genannten Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche nicht unbegrenzt fortgelten, sondern nur in den im Einzelnen aufgeführten Fällen unberührt bleiben, im Übrigen aber - wie gedanklich zu ergänzen ist - vom Fortbestehen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, insbesondere also von der Arbeitnehmereigenschaft und der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt, abhängen. Für die Ansprüche und Rechte unschädlich sind danach nur die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellten Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit sowie die Abwesenheit (vom Arbeitsmarkt) wegen langer Krankheit. Demgegenüber gehört die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die mit der Abwesenheit vom Arbeitsmarkt verbunden ist, nicht zu den besonders aufgeführten Tatbeständen, die aufgrund vorangegangener Beschäftigung erworbene Ansprüche unberührt ließen. Ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht unabhängig von einem Beschäftigungsverhältnis, also ein allgemeines Verbleiberecht besteht - wie ausgeführt - nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 6.6.1995 - C-434/93 - , NVwZ 1995, 1093), weshalb eine einmal erreichte Beschäftigungsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erlischt, wenn der Bezug zu einem Beschäftigungsverhältnis bzw. zu der Beschäftigungssuche - durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt - dauerhaft beendet (vgl. EuGH, Urteil vom 6.6.1995, , aaO.) oder mehr als nur unwesentlich unterbrochen wird (vgl. HessVGH, aaO.; EuGH, Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - , InfAuslR 1997, 146 = NVwZ 1997, 677 und Urteil vom 10.2.2000 - C-340/97 - , InfAuslR 2000, 161 = NVwZ 2000, 1029, Rn 44; vgl. zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für den Zeitraum, der einem Arbeitssuchenden zur Beschäftigungssuche eingeräumt werden muss, EuGH, Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 - , InfAuslR 1991, 151). Der Wiedererwerb der beschäftigungsrechtlichen Position nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre erst nach einem erneuten Zuzug möglich, dessen Voraussetzungen aber durch den nationalen Gesetzgeber festgelegt werden und die sich in Deutschland nach dem Ausländergesetz richten (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - , InfAuslR 1993, 41; Urteil vom 16.3.2000 - C-329/97 - , InfAuslR 2000, 217, Rn 42).
50 
Der Kläger konnte daher mit Aufgabe der Tätigkeit als Arbeitnehmer bzw. mit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit die nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreichte beschäftigungs- und aufenthaltsrechtliche Position nicht aufrechterhalten. Er steht seit 1997 in keinem Arbeitsverhältnis mehr und hat seitdem auch keine neue Arbeit mehr gesucht. Die dadurch bewirkte willentliche Abwesenheit vom Arbeitsmarkt erfüllt auch nicht die Ausnahmevoraussetzungen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80. Der Kläger hat sich vielmehr bewusst unter das Regime der assoziationsrechtlichen Rechte als Selbstständiger begeben (Dienstleistungsfreiheit, vgl. Art. 14 AssAbk, Art. 41 ff. ZP).  Insofern stehen ihm aber keine individuellen, unmittelbar wirkenden Schutzrechte auf Aufenthalt zu. Denn dem ARB 1/80 entsprechende Regeln des Assoziationsrats zur schrittweisen Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, zu denen Art. 41 Abs. 2 ZP ermächtigt, sind bislang nicht ergangen. Auch entfalten Art. 13 AssAbk - Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit - und Art. 41 Abs. 2 ZP keine unmittelbare Wirkung. Lediglich das in Art. 41 Abs. 1 ZP geregelte Verschlechterungsverbot (sog. Standstill-Klausel) ist hinreichend bestimmt und wirkt unmittelbar zugunsten Einzelner (vgl. EuGH, Urteil vom 11.5.2000 - C-37/98 - , InfAuslR 2000, 326, Rn 39 ff. und 46 ff.; Urteil vom 21.10.2003 - C-317/01 - und C-369/01 - , InfAuslR 2004, 32); darum geht es aber vorliegend nicht, da die Ausweisung des Klägers nach Ermessen erfolgte und daher für ihn keine Verschlechterung gegenüber der Rechtslage nach § 10 AuslG a.F. eingetreten ist.
51 
Dem Kläger ist mit dem Wechsel zu einer selbständigen Tätigkeit auch die Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht erhalten geblieben. Auch diese Vorschrift verschafft dem Begünstigten kein Verbleiberecht unabhängig von der Beschäftigungssituation. Wie ausgeführt, gilt der ARB 1/80 nur für „im Lohn- oder Gehaltsverhältnis“ stehende Arbeitnehmer. Dies ergibt sich nicht nur aus den Formulierungen in den einschlägigen Bestimmungen, sondern auch aus den Rechtsgrundlagen des Beschlusses (Art. 12 AssAbk., Art. 36 ZP, Art. 48 bis 50 EGV; vgl. auch Senatsurteil vom 11.12.1996 - 11 S 1639/96 -, InfAuslR 1997, 229; BVerwG, Urteil vom 24.1.1995 - 1 C 2/94 -, InfAuslR 1995, 223; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.3.2002 - 13 S 442/02 -, NVwZ-RR 2002, 779). Schon daraus folgt, dass mit dem Ende der Arbeitnehmereigenschaft auch die Begünstigung durch den ARB 1/80 endet. Darüber hinaus gilt für Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 aber auch, dass der Nachzug bzw. die Familienzugehörigkeit zwar die Anknüpfungspunkte für die beschäftigungsrechtliche Privilegierung sind, sie aber nicht den maßgeblichen Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechtes bilden. Richtig ist, dass das Recht nach Art. 7 ARB 1/80, das zunächst den erlaubten Zuzug zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmer - dem Stammberechtigten - voraussetzt, nach der Rechtsprechung des EuGH insoweit eine gewisse Verselbständigung erfährt, als der Familienangehörige nach drei Jahren nicht mehr mit dem Stammberechtigten in familiärer Gemeinschaft zusammenleben (vgl. EuGH, Urteil vom 22.6.2000 - C 65/98 - , InfAuslR 2000, 329) und der Stammberechtigte dann auch nicht mehr Arbeitnehmer sein muss (vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.1998 - C-210/97 - , InfAuslR 1999, 3 = NVwZ 1999, 281; Urteil vom 16.3.2000 , aaO., Rn 44). Der EuGH folgert dies aus dem Zweck des ARB 1/80, im sozialen Bereich die rechtliche Situation zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu verbessern, um schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer herzustellen. Dieser Zweck werde nicht erreicht, wenn ein Mitgliedstaat durch aufenthaltsbeschränkende Vorschriften die Rechte aus dem „bedingungslos“ gewährten Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 in dem Augenblick nehme, in dem er aufgrund des Zugangs zu einer von ihm gewählten Beschäftigung die Möglichkeit habe, sich dauerhaft in den Aufnahmestaat zu integrieren (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000 , aaO. Rn 43). An anderer Stelle heißt es, dass die Regelung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat schaffen solle, indem den Familienangehörigen zunächst gestattet werde, bei dem Stammberechtigten zu leben, und ihre Stellung später durch die Verleihung des Rechts gestärkt werde, in diesem Staat eine Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 17.4.1997 - C-351/95 - , InfAuslR 1997, 281, Rn 34 f.). Dies zeigt, dass die durch Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 eingeräumte Begünstigung zunächst zwar den Stammberechtigten und dessen Interesse an einem Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen im Auge hat, dass sich nach einer gewissen Zeit aber die Position des Familienangehörigen verselbständigt und er nunmehr als eigenständiger Arbeitnehmer behandelt wird, dessen Rechte auf Stellenbewerbung und Zugang zum Arbeitsmarkt gerichtet sind. Will der Familienangehörige diese Rechte jedoch nicht in Anspruch nehmen, gibt es auch keinen Grund für deren aufenthaltsrechtliche Absicherung. Den weiteren Aufenthalt oder die Aufenthaltsbeendigung regelt dann das nationale Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.3.1995 - 1 B 30/95 -, InfAuslR 1995, 272). Dass das Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nach der Verselbständigung nicht voraussetzungslos fortgilt, zeigt schließlich auch die Rechtsprechung des EuGH. Danach verliert ein Familienangehöriger seine Rechtsstellung - neben der möglichen Beschränkung des Aufenthaltsrechts nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 (sog. ordre-public-Vorbehalt, vgl. Harms in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 188 Rn 36) - auch dann, wenn er das Gebiet des Aufnahmestaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt. Will er sich später erneut im Aufnahmestaat niederlassen, so können die Behörden des Mitgliedstaats erneut die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug oder zur Arbeitsaufnahme nach Art. 6 ARB 1/80 verlangen (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000 , aaO., Rn 45 bis 49; Urteil vom 17.4.1997  , aaO.).
52 
Da der Kläger nach allem nicht in den Schutzbereich des ARB 1/80 fällt, bedarf es keiner Entscheidung der im Zulassungsverfahren aufgeworfenen weiteren Frage, ob Art. 9 der Richtlinie 64/221 des Rates der EWG vom 25.4.1964 der Ausweisung des Klägers entgegen steht. Denn auch diejenigen, die die Anwendbarkeit dieser für Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union geltenden Regelung (vgl. Art. 1 Abs. 1 RL 64/221/EWG) auch auf türkische Staatsangehörige in Erwägung ziehen (vgl. die (Vorlage-)Entscheidung des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.3.2003, InfAuslR 2003, 217), begrenzen diese Überlegungen auf solche türkischen Staatsangehörigen, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 zukommt (vgl. dagegen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.5.2002 - 11 S 2554/02 -, VBlBW 2002, 394 = EzAR 037 Nr. 6; s.a. Urteil vom 27.1.2004 - 10 S 1610/03 -). Im Übrigen hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag - 11 S 535/04 - entschieden, dass der Rechtsschutz der deutschen Verwaltungsgerichte gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern den Anforderungen des Art. 9 RL 64/221/EWG entspricht und es daher der Überprüfung durch eine andere „zuständige Stelle“ nicht bedarf.
53 
3. Die Abschiebungsandrohung, gegen deren Rechtmäßigkeit der Kläger nichts eingewendet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
54 
4. Zu der vom Kläger beantragten Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG sieht sich der Senat nicht verpflichtet, da seine Entscheidung mit der Revision angefochten werden kann und daher kein Fall des Art. 234 Abs. 3 EG gegeben ist.
55 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
56 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
31 
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht begründet worden (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO), und die Begründung wird auch den inhaltlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, Darlegung der Berufungsgründe) gerecht (vgl. § 124a Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO).
32 
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Anfechtungsklage des Klägers zu Recht abgewiesen. Die vom Regierungspräsidium Tübingen mit Bescheid vom 21.3.2002 verfügte Ausweisung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO). Nach dem Maßstab des Ausländergesetzes konnte der Kläger auch unter Berücksichtigung des ihm zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden (dazu 1.). Aus dem Assoziationsratsbeschluss vom 19.9.1980 – ARB 1/80 – ergibt sich nichts anderes, da dessen Bestimmungen auf den Kläger infolge der von ihm seit 1997 ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit nicht (mehr) anwendbar sind (dazu 2.). Die Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden (dazu 3.).
33 
1. Der Kläger erfüllt die Ausweisungsvoraussetzungen nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG, da er durch die strafgerichtlichen Urteile des Landgerichts Ansbach vom 30.1.1997 und des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 22.11.2000 wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt worden ist, so dass er in der Regel ausgewiesen wird. Anhaltspunkte für einen atypischen Ausnahmefall sind weder im Bereich der Tatbegehung noch bei den persönlichen Umständen erkennbar. Der langjährige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet, die dabei erworbenen Sprachkenntnisse und dass er sich deshalb als Deutscher fühlt, sind Umstände, die bereits in den gesetzlichen Regelungen des Ausländergesetzes über die Ausweisung enthalten sind - vgl. bspw. § 45 Abs. 2 Nr. 1, § 47 Abs. 3 Satz 3 und 4, § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 4, § 48 Abs. 2 AuslG - und unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen bei der Entscheidung über die Ausweisung berücksichtigt werden. Sie begründen daher grundsätzlich keinen - vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelten - atypischen Ausnahmefall.
34 
Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt und als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, genießt er besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG. Das bedeutet zum einen, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Zum anderen wird über die nach § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG als gesetzliche Regel vorgesehene Ausweisung nach Ermessen entschieden (vgl. § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Schwerwiegende Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 AuslG liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Einhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, hat sich an den spezial- und generalpräventiven Ausweisungszwecken auszurichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 = NVwZ 1997, 1119; Urteile des Senats vom 10.9.2003 - 11 S 973/03 -, EzAR 037 Nr. 8 und vom 9.7.2003 - 11 S 420/03 -, EzAR 033 Nr. 18).
35 
Für die im vorliegenden Fall spezialpräventiv begründete Ausweisung bedeutet dies, dass zunächst dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen muss, das sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergeben kann. Dabei ist als Ausweisungsanlass in diesem Sinn nicht lediglich die letzte Straftat ins Auge zu fassen, die im Fall des Klägers für sich genommen eine Ausweisung wohl nicht gerechtfertigt hätte; vielmehr ist der gesamte ausweisungsrelevante Sachverhalt zu gewichten. Insoweit ist zum einen von Bedeutung, dass der Kläger in einem Zeitraum von zwölf Jahren neunmal verurteilt werden musste. Diese Häufigkeit der Straftaten stellt einen hinreichend gewichtigen Ausweisungsanlass dar, besonders wenn man berücksichtigt, dass der Kläger vor der die Ausweisung auslösenden letzten Verurteilung bereits zweimal in Haft war und auch zweimal ausländerrechtlich verwarnt worden ist, ohne dass sich dies erkennbar in seinem Verhalten niedergeschlagen hätte. Hinzu kommt die Schwere einzelner Straftaten, die sich insbesondere durch ihren Gewaltcharakter hervorheben, wie die 1995 begangene Vergewaltigung, die ebenfalls für sich genommen bereits einen schwerwiegenden Ausweisungsanlass darstellt, und die gefährliche Körperverletzung, wegen der 2001 ein Ermittlungsverfahren anhängig war, auch wenn dies nach Aktenlage zu keiner Anklageerhebung führte. Nach Deliktscharakter und Art der Begehung ebenfalls in den Bereich der zumindest mittleren Kriminalität gehören die weiteren, durch mehrmonatige Freiheitsstrafen geahndeten Delikte wie die vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, die vorsätzliche Strafvereitelung und das mit einer Trunkenheitsfahrt verbundene vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis (s.a. Beschluss vom 17.6.2003 - 14 S 1549/02 -).
36 
Neben dem besonders gewichtigen Ausweisungsanlass müssen außerdem Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue (einschlägige oder im Gewicht vergleichbare) Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.6.1996 – 1 C 24.94 -, Buchholz  402.240 § 48 AuslG Nr. 9; BVerfG, 2. Kammer, Beschluss vom 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 -, NVwZ 2001, 67 = InfAuslR 2001, 113). Dies bedeutet nach der Entscheidungspraxis des Senats, die auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückgeht, dass für den durch besonderen Ausweisungsschutz privilegierten Ausländer ein hinreichender Grad an Wiederholungsgefahr bestehen muss - sog. qualifizierte Wiederholungsgefahr -, bei dessen Ermittlung auch dem normativen Bewertungskriterium (Gewicht, Gefährlichkeit und Schaden der Straftat) eine gewisse Bedeutung zukommen kann (vgl. Senatsurteil vom 9.7.2003, aaO.). Im Fall des Klägers bestand zu dem nach nationalem Recht maßgeblichen (vgl. etwa Senatsurteile vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289 und vom 10.9.2003 - 11 S 973/03 -, EzAR 037 Nr. 8 mwN.) Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer wiederholten Delinquenz. Wie bereits erwähnt, blieben die Verurteilungen auf Bewährung, die mehrmonatigen Inhaftierungen und die mit der Androhung der Ausweisung verbundenen ausländerrechtlichen Verwarnungen ohne erkennbaren Einfluss auf das strafrechtlich relevante Verhalten des Klägers. Dabei hat der Kläger schon mehrfach konkrete Versprechungen gebrochen und von ihm geweckte Erwartungen enttäuscht (zu Einzelheiten kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 17.6.2003 - 14 S 1549/02 -, BA S. 5 f. verwiesen werden). Zwar mag – wie der Kläger vorträgt - seine Alkoholsucht bei all dem eine gewisse Rolle gespielt haben, wenn sich dies anhand der Aktenlage auch nicht bei allen Verurteilungen nachvollziehen lässt (bspw. war bei der besonders ins Gewicht fallenden Vergewaltigung in den Gründen des strafrichterlichen Urteils von Alkohol keine Rede). Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn auch wenn die Ursache der wiederholten Straftaten Alkoholmissbrauch war, ändert dies nichts an der nach Aktenlage zutreffenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr durch die Ausländerbehörde im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung.
37 
Die somit nach § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG zu treffende Ermessensentscheidung lässt Rechtsfehler nicht erkennen, der Kläger hat solche zuletzt auch nicht mehr geltend gemacht. Der Senat verweist daher zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils (UA S. 6), das sich u.a. auch auf die ebenfalls rechtlich unbedenkliche und vom Senat geteilte Begründung im Beschluss vom 18.6.2002 bezieht.
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2. An diesem Ergebnis ändern auch nichts die vom Kläger in den Vordergrund seiner Berufungsbegründung gestellten assoziationsrechtlichen Erwägungen. Es besteht insbesondere kein Anlass, den für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt so zu verschieben, dass die Feststellungen des nach Erlass der Verfügung erstellten MPU-Gutachtens vom 14.5.2003 bei der Wiederholungsgefahrprognose berücksichtigt werden müssten. Der Kläger meint zwar, dass sich die Notwendigkeit einer solchen Verschiebung des Zeitpunkts aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (künftig: EuGH) in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 vom 29.4.2004 ergebe. Tatsächlich lautet der dritte Entscheidungssatz dieses Urteils (EuZW 2004, 402) wie folgt:
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„3. Art. 3 der Richtlinie 64/221 steht einer innerstaatlichen Praxis entgegen, wonach die innerstaatlichen Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung einen Sachvortrag zu berücksichtigen, der nach der letzten Behördenentscheidung erfolgt ist und der den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen kann, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein längerer Zeitraum zwischen dem Erlass der Entscheidung über die Ausweisung und der Beurteilung dieser Entscheidung durch das zuständige Gericht liegt.“
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Daraus ist abzuleiten, dass bei der europarechtlichen Beurteilung der Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers nach einem „längeren Zeitraum“ zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung und dem Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts auch eine Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen ist, die nach der Behördenentscheidung eingetreten ist - und zwar zu Gunsten wie auch zu Lasten des Unionsbürgers (vgl. Senatsurteil vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -). Fraglich ist aber, ob dies auch für den Kläger gilt. Voraussetzung wäre, dass Art. 3 der RL 64/221/EWG vom 25.2.1964 (ABl. S. 850), die sich an die Mitgliedstaaten der EWG richtet, auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden ist. Das käme allenfalls in Betracht nach der aus Art. 12 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei vom 12.9.1963 (- AssAbk -, BGBl. II 1964 S. 509), aus Art. 36 des Zusatzprotokolls vom 23.11.1970 (- ZP -, BGBl. II 1972 S. 385) und aus dem Zweck des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 vom 19.9.1980 (ARB 1/80) hergeleiteten Rechtsprechung des EuGH, wonach die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 EWGV geltenden Grundsätze auf die vom ARB 1/80 begünstigten türkischen Arbeitnehmer „soweit wie möglich...übertragen werden sollen“ (vgl. EuGH, Urteil vom 6.6.1995 - C-434/93 - , NVwZ 1995, 1093, Rn 14, 19 und 20; Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - , InfAuslR 1997, 146 = NVwZ 1997, 677, Rn 20 und 28; Urteil vom 26.11.1998 - C-1/97 - , InfAuslR 1999, 6 = NVwZ 1999, 1099, Rn 23; Urteil vom 10.2.2000 - C-340/97 - , InfAuslR 2000, 161 = NVwZ 2000, 1029, Rn 50 bis 55). Eine entsprechende Anwendung des zitierten Entscheidungssatzes des EuGH käme freilich auch dann nur unter der Grundvoraussetzung in Betracht, dass der Kläger assoziationsrechtlich überhaupt privilegiert wäre. Das ist er jedoch nicht (mehr). Der Kläger erfüllt weder nach der zum Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung gegebenen noch nach der gegenwärtigen Sachlage die Voraussetzungen einer Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 (dazu a.), eine vormals gegebenenfalls erworbene Rechtsstellung nach diesen Vorschriften hat er inzwischen jedenfalls wieder verloren (dazu b.).
41 
a. Nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat - zeitlich gestaffelt nach der Dauer ordnungsgemäßer Beschäftigung - bestimmte beschäftigungsrechtliche Ansprüche bzw. Rechte. Voraussetzung ist, dass der Betreffende „Arbeitnehmer“ ist, d.h. eine Beschäftigung im „Lohn- oder Gehaltsverhältnis“ ausübt (vgl. zu dieser Formulierung Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80). Zum Begriff des Arbeitnehmers hat der EuGH in seinem Urteil vom 19.11.2002 - C-188/00 - (DVBl 2003, 451) u.a. ausgeführt, dass das wesentliche Merkmal des den Arbeitnehmerbegriff kennzeichnenden Arbeitsverhältnisses darin besteht, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Diese Voraussetzungen liegen bei einem selbständig Tätigen wie dem Kläger nicht vor (ebenso HessVGH, Beschluss vom 9.2.2004, DÖV 2004, 539). Dies wird vom Kläger auch nicht in Abrede gestellt.
42 
Nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, zeitlich gestaffelt nach der Dauer des ordnungsgemäßen Wohnsitzes, ebenfalls bestimmte beschäftigungsrechtliche Ansprüche bzw. Rechte. Voraussetzung ist, dass der Betreffende „Familienangehöriger“ ist. Zu den Familienangehörigen gehören ohne Zweifel Abkömmlinge, auch ist der Begriff nicht durch ein bestimmtes Lebensalter der Begünstigten begrenzt (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000 - C-329/97 - , InfAuslR 2000, 217; Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, ARB 1/80 Art. 7 Rn 17). Jedoch kann die Rechtsstellung der nach dem ARB 1/80 Begünstigten nicht weiter gehen, als sie Angehörigen der Europäischen Union eingeräumt wird. Insoweit bestimmt aber § 1 Abs. 2 Satz 2 AufentG/EWG, dass Familienangehörige Verwandte in absteigender Linie sind, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen freizügigkeitsberechtigte Personen oder ihre Ehegatten Unterhalt gewähren (vgl. Kloesel/Christ, aaO. Rn 18 mwN.; Schlussantrag Geelhoed in der Rs. - C-275/02 - , Rn 52). Zu diesem Personenkreis gehört der 32 Jahre alte Kläger, der von den Erträgen seiner selbständigen Tätigkeit lebt, gegenwärtig aber nicht.
43 
Der Kläger gehört auch nicht zu den nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 begünstigten Kindern türkischer Arbeitnehmer, da er keine in Deutschland abgeschlossene Berufsausbildung hat, die begonnene Maurerlehre hat er - aus welchen Gründen auch immer - abgebrochen.
44 
Unabhängig davon hat der Kläger aber auch bis heute gar nicht geltend gemacht, dass er von den in Art. 7 ARB 1/80 eingeräumten Rechten - Art. 7 Satz 1 1. Spiegelstrich und Satz 2 ARB 1/80: Bewerbungsrecht; Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80: Zugangsrecht - Gebrauch machen will. Der ARB 1/80 regelt in Art. 6 und 7 lediglich das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt, das Aufenthaltsrecht ergibt sich nur als Annex zur beschäftigungsrechtlichen Position. Das Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 ist also lediglich eine Folge des dort garantierten Rechts auf „Zugang zum Arbeitsmarkt“, d.h. auf Aufnahme einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, also „als Arbeitnehmer“ (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 5.10.1994 - C-355/93 - , NVwZ 1995, 53; Urteil vom 16.3.2000 , aaO.; Senatsurteil vom 11.12.1996 - 11 S 1639/96 -, InfAuslR 1997, 229; BayVGH, Urteil vom 29.10.2002, InfAuslR 2003, 46). Will der türkische Staatsangehörige aber von den beschäftigungsbezogenen Rechten überhaupt keinen Gebrauch machen, kann er sich auch nicht auf die diese Privilegierung absichernden aufenthaltsrechtlichen Folgewirkungen berufen.
45 
b. Der Kläger fällt auch nicht ungeachtet der gegenwärtig nicht mehr erfüllten Voraussetzungen deshalb in den Schutzbereich des ARB 1/80, weil er früher einmal eine Rechtsstellung nach Art. 6 (dazu bb.) oder Art. 7 (dazu aa.) ARB 1/80 erworben hatte. Denn diese einmal erworbene Position verleiht ihm heute keine Rechte mehr (dazu cc.).
46 
aa. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger durch seine erlaubte Einreise zur Familienzusammenführung 1979 und die ihm daraufhin erteilten Aufenthaltserlaubnisse das Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben hat. Da der zum Zeitpunkt der Einreise 8 Jahre alte Kläger danach zumindest bis zur Aufnahme einer eigenen ordnungsgemäßen Beschäftigung ununterbrochen und mehr als drei Jahre lang bei seinen Eltern bzw. seinem Vater lebte (vgl. zu diesen Anforderungen EuGH, Urteil vom 16.3.2000, , aaO.; Urteil vom 22.6.2000 - C 65/98 - , InfAuslR 2000, 329; Urteil vom 17.4.1997 - C-351/95 - , InfAuslR 1997, 281, Rn 41, 44) und damit auch länger als fünf Jahre seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Deutschland hatte, hatte er die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Der Kläger hatte mithin freien Zugang zu  jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis einschließlich eines Anspruch auf Verlängerung des zu dessen wirksamer Ausübung erforderlichen Aufenthaltsrechts; insofern hat Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 - ebenso wie Art. 6 Abs. 1 - unmittelbare Wirkung (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 20.9.1990 - C 192/89 - , NVwZ 1991, 255; Urteil vom 23.1.1997 - C 171/95 - , InfAuslR 1997, 146 = NVwZ 1997, 677 - zu Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich; Urteil vom 16.3.2000 , aaO. und Urteil vom 22.6.2000 , aaO., Rn 25 - zu Art. 7 Satz 1; Urteil vom 5.10.1994 - C 355/93 - NVwZ 1995, 53 und Urteil vom 19.11.1998 - C 210/97 - , NVwZ 1999, 281 - zu Art. 7 Satz 2; BVerwG, Urteil vom 22.2.1995 - 1 C 11.94 -, NVwZ 1995, 1113 = VBlBW 1996,49 = InfAuslR 1995, 265; Urteil vom 24.1.1995 - 1 C 2.94 -, InfAuslR 1995, 223).
47 
bb. Darüber hinaus hat der Kläger nach Beendigung der Schule bis zur Aufnahme des selbständigen Gewerbes 1997 (Anmeldung am 28.4.1999) wohl auch immer wieder unselbständig als Hilfsarbeiter gearbeitet, so dass ihm auch das - originäre - assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C 237/91 -, , InfAuslR 1993, 41) zustand. Ob ihm dabei eine den weitreichenden Rechten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vergleichbare Position nach Art. 6 Abs. 1 2. bzw. 3. Spiegelstrich ARB 1/80 zugewachsen war, kann dahinstehen (vgl. zum Zusammenhang der einzelnen Anspruchsstufen nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 BVerwG, (Vorlage-)Beschluss vom 18.3.2003 - 1 C 2.02 -, BVerwGE 118, 61).
48 
cc. Denn sowohl die nach Art. 6 Abs. 1 wie auch die nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworbenen Rechte hat der Kläger jedenfalls inzwischen wieder verloren.
49 
Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 ergibt sich, dass die auf Grund der in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 genannten Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche nicht unbegrenzt fortgelten, sondern nur in den im Einzelnen aufgeführten Fällen unberührt bleiben, im Übrigen aber - wie gedanklich zu ergänzen ist - vom Fortbestehen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, insbesondere also von der Arbeitnehmereigenschaft und der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt, abhängen. Für die Ansprüche und Rechte unschädlich sind danach nur die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellten Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit sowie die Abwesenheit (vom Arbeitsmarkt) wegen langer Krankheit. Demgegenüber gehört die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die mit der Abwesenheit vom Arbeitsmarkt verbunden ist, nicht zu den besonders aufgeführten Tatbeständen, die aufgrund vorangegangener Beschäftigung erworbene Ansprüche unberührt ließen. Ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht unabhängig von einem Beschäftigungsverhältnis, also ein allgemeines Verbleiberecht besteht - wie ausgeführt - nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 6.6.1995 - C-434/93 - , NVwZ 1995, 1093), weshalb eine einmal erreichte Beschäftigungsposition nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erlischt, wenn der Bezug zu einem Beschäftigungsverhältnis bzw. zu der Beschäftigungssuche - durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt - dauerhaft beendet (vgl. EuGH, Urteil vom 6.6.1995, , aaO.) oder mehr als nur unwesentlich unterbrochen wird (vgl. HessVGH, aaO.; EuGH, Urteil vom 23.1.1997 - C-171/95 - , InfAuslR 1997, 146 = NVwZ 1997, 677 und Urteil vom 10.2.2000 - C-340/97 - , InfAuslR 2000, 161 = NVwZ 2000, 1029, Rn 44; vgl. zu den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für den Zeitraum, der einem Arbeitssuchenden zur Beschäftigungssuche eingeräumt werden muss, EuGH, Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 - , InfAuslR 1991, 151). Der Wiedererwerb der beschäftigungsrechtlichen Position nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre erst nach einem erneuten Zuzug möglich, dessen Voraussetzungen aber durch den nationalen Gesetzgeber festgelegt werden und die sich in Deutschland nach dem Ausländergesetz richten (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - , InfAuslR 1993, 41; Urteil vom 16.3.2000 - C-329/97 - , InfAuslR 2000, 217, Rn 42).
50 
Der Kläger konnte daher mit Aufgabe der Tätigkeit als Arbeitnehmer bzw. mit Aufnahme der selbständigen Tätigkeit die nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreichte beschäftigungs- und aufenthaltsrechtliche Position nicht aufrechterhalten. Er steht seit 1997 in keinem Arbeitsverhältnis mehr und hat seitdem auch keine neue Arbeit mehr gesucht. Die dadurch bewirkte willentliche Abwesenheit vom Arbeitsmarkt erfüllt auch nicht die Ausnahmevoraussetzungen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80. Der Kläger hat sich vielmehr bewusst unter das Regime der assoziationsrechtlichen Rechte als Selbstständiger begeben (Dienstleistungsfreiheit, vgl. Art. 14 AssAbk, Art. 41 ff. ZP).  Insofern stehen ihm aber keine individuellen, unmittelbar wirkenden Schutzrechte auf Aufenthalt zu. Denn dem ARB 1/80 entsprechende Regeln des Assoziationsrats zur schrittweisen Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, zu denen Art. 41 Abs. 2 ZP ermächtigt, sind bislang nicht ergangen. Auch entfalten Art. 13 AssAbk - Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit - und Art. 41 Abs. 2 ZP keine unmittelbare Wirkung. Lediglich das in Art. 41 Abs. 1 ZP geregelte Verschlechterungsverbot (sog. Standstill-Klausel) ist hinreichend bestimmt und wirkt unmittelbar zugunsten Einzelner (vgl. EuGH, Urteil vom 11.5.2000 - C-37/98 - , InfAuslR 2000, 326, Rn 39 ff. und 46 ff.; Urteil vom 21.10.2003 - C-317/01 - und C-369/01 - , InfAuslR 2004, 32); darum geht es aber vorliegend nicht, da die Ausweisung des Klägers nach Ermessen erfolgte und daher für ihn keine Verschlechterung gegenüber der Rechtslage nach § 10 AuslG a.F. eingetreten ist.
51 
Dem Kläger ist mit dem Wechsel zu einer selbständigen Tätigkeit auch die Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht erhalten geblieben. Auch diese Vorschrift verschafft dem Begünstigten kein Verbleiberecht unabhängig von der Beschäftigungssituation. Wie ausgeführt, gilt der ARB 1/80 nur für „im Lohn- oder Gehaltsverhältnis“ stehende Arbeitnehmer. Dies ergibt sich nicht nur aus den Formulierungen in den einschlägigen Bestimmungen, sondern auch aus den Rechtsgrundlagen des Beschlusses (Art. 12 AssAbk., Art. 36 ZP, Art. 48 bis 50 EGV; vgl. auch Senatsurteil vom 11.12.1996 - 11 S 1639/96 -, InfAuslR 1997, 229; BVerwG, Urteil vom 24.1.1995 - 1 C 2/94 -, InfAuslR 1995, 223; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.3.2002 - 13 S 442/02 -, NVwZ-RR 2002, 779). Schon daraus folgt, dass mit dem Ende der Arbeitnehmereigenschaft auch die Begünstigung durch den ARB 1/80 endet. Darüber hinaus gilt für Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 aber auch, dass der Nachzug bzw. die Familienzugehörigkeit zwar die Anknüpfungspunkte für die beschäftigungsrechtliche Privilegierung sind, sie aber nicht den maßgeblichen Grund für die Gewährung des Aufenthaltsrechtes bilden. Richtig ist, dass das Recht nach Art. 7 ARB 1/80, das zunächst den erlaubten Zuzug zu einem dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmer - dem Stammberechtigten - voraussetzt, nach der Rechtsprechung des EuGH insoweit eine gewisse Verselbständigung erfährt, als der Familienangehörige nach drei Jahren nicht mehr mit dem Stammberechtigten in familiärer Gemeinschaft zusammenleben (vgl. EuGH, Urteil vom 22.6.2000 - C 65/98 - , InfAuslR 2000, 329) und der Stammberechtigte dann auch nicht mehr Arbeitnehmer sein muss (vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.1998 - C-210/97 - , InfAuslR 1999, 3 = NVwZ 1999, 281; Urteil vom 16.3.2000 , aaO., Rn 44). Der EuGH folgert dies aus dem Zweck des ARB 1/80, im sozialen Bereich die rechtliche Situation zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu verbessern, um schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer herzustellen. Dieser Zweck werde nicht erreicht, wenn ein Mitgliedstaat durch aufenthaltsbeschränkende Vorschriften die Rechte aus dem „bedingungslos“ gewährten Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 in dem Augenblick nehme, in dem er aufgrund des Zugangs zu einer von ihm gewählten Beschäftigung die Möglichkeit habe, sich dauerhaft in den Aufnahmestaat zu integrieren (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000 , aaO. Rn 43). An anderer Stelle heißt es, dass die Regelung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat schaffen solle, indem den Familienangehörigen zunächst gestattet werde, bei dem Stammberechtigten zu leben, und ihre Stellung später durch die Verleihung des Rechts gestärkt werde, in diesem Staat eine Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 17.4.1997 - C-351/95 - , InfAuslR 1997, 281, Rn 34 f.). Dies zeigt, dass die durch Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 eingeräumte Begünstigung zunächst zwar den Stammberechtigten und dessen Interesse an einem Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen im Auge hat, dass sich nach einer gewissen Zeit aber die Position des Familienangehörigen verselbständigt und er nunmehr als eigenständiger Arbeitnehmer behandelt wird, dessen Rechte auf Stellenbewerbung und Zugang zum Arbeitsmarkt gerichtet sind. Will der Familienangehörige diese Rechte jedoch nicht in Anspruch nehmen, gibt es auch keinen Grund für deren aufenthaltsrechtliche Absicherung. Den weiteren Aufenthalt oder die Aufenthaltsbeendigung regelt dann das nationale Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.3.1995 - 1 B 30/95 -, InfAuslR 1995, 272). Dass das Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nach der Verselbständigung nicht voraussetzungslos fortgilt, zeigt schließlich auch die Rechtsprechung des EuGH. Danach verliert ein Familienangehöriger seine Rechtsstellung - neben der möglichen Beschränkung des Aufenthaltsrechts nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 (sog. ordre-public-Vorbehalt, vgl. Harms in Bergmann/Kenntner, Deutsches Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 188 Rn 36) - auch dann, wenn er das Gebiet des Aufnahmestaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt. Will er sich später erneut im Aufnahmestaat niederlassen, so können die Behörden des Mitgliedstaats erneut die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug oder zur Arbeitsaufnahme nach Art. 6 ARB 1/80 verlangen (vgl. EuGH, Urteil vom 16.3.2000 , aaO., Rn 45 bis 49; Urteil vom 17.4.1997  , aaO.).
52 
Da der Kläger nach allem nicht in den Schutzbereich des ARB 1/80 fällt, bedarf es keiner Entscheidung der im Zulassungsverfahren aufgeworfenen weiteren Frage, ob Art. 9 der Richtlinie 64/221 des Rates der EWG vom 25.4.1964 der Ausweisung des Klägers entgegen steht. Denn auch diejenigen, die die Anwendbarkeit dieser für Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union geltenden Regelung (vgl. Art. 1 Abs. 1 RL 64/221/EWG) auch auf türkische Staatsangehörige in Erwägung ziehen (vgl. die (Vorlage-)Entscheidung des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.3.2003, InfAuslR 2003, 217), begrenzen diese Überlegungen auf solche türkischen Staatsangehörigen, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 zukommt (vgl. dagegen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.5.2002 - 11 S 2554/02 -, VBlBW 2002, 394 = EzAR 037 Nr. 6; s.a. Urteil vom 27.1.2004 - 10 S 1610/03 -). Im Übrigen hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag - 11 S 535/04 - entschieden, dass der Rechtsschutz der deutschen Verwaltungsgerichte gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern den Anforderungen des Art. 9 RL 64/221/EWG entspricht und es daher der Überprüfung durch eine andere „zuständige Stelle“ nicht bedarf.
53 
3. Die Abschiebungsandrohung, gegen deren Rechtmäßigkeit der Kläger nichts eingewendet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
54 
4. Zu der vom Kläger beantragten Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG sieht sich der Senat nicht verpflichtet, da seine Entscheidung mit der Revision angefochten werden kann und daher kein Fall des Art. 234 Abs. 3 EG gegeben ist.
55 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
56 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 21. Juli 2004 - 11 S 1303/04

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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

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(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

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(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 21. Juli 2004 - 11 S 1303/04 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 21. Juli 2004 - 11 S 1303/04 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 27. Jan. 2004 - 10 S 1610/03

bei uns veröffentlicht am 27.01.2004

Tenor Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08. Oktober 2002 - 5 K 4277/01 - ist insoweit, d.h. hinsicht
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 18. Okt. 2006 - 13 S 192/06

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Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. März 2005 - 5 K 132/04 - geändert; die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 29. Dezember 2003 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 30. Juni 2005 - 13 S 881/05

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Tenor Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. März 2005 - 11 K 74/05 - geändert; der Antrag der Antragsgegnerin auf Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg v

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 06. Juni 2005 - 3 K 3521/04

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Tenor 1. Die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 28. September 2004 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Die Berufung wird zugelassen. Tatbestand   1  Der Kläger, ein am 7. Nov

Referenzen

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08. Oktober 2002 - 5 K 4277/01 - ist insoweit, d.h. hinsichtlich der Ziff. 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001 (Abschiebungsandrohung), unwirksam.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart, soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt haben, geändert. Die Klage wird, soweit sie nach den Erledigungserklärungen noch anhängig ist, abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Abschiebungsandrohung.
Der am 12.08.1979 in Berlin geborene ledige Kläger besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Seine Schulausbildung schloss der Kläger mit dem Hauptschulabschluss ab. Anschließend besuchte er eine Fachschule für Nachrichtentechnik, die er nach einem Jahr mit einem Abgangszeugnis verließ. Im Jahre 1998 begann der Kläger mit einer Ausbildung zum Fahrradmechaniker, die er aber bereits nach einem Monat wieder abbrach. Anschließend war er arbeitslos, eine im September 1999 begonnene Tätigkeit als Lüftungsmonteur übte er lediglich für zweieinhalb Monate aus. Dann war er in Teilzeit als Spüler in einem Restaurant und schließlich als Maler im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig. Der Vater des Klägers ist im Jahr 1995 verstorben. Am 15.08.1995 erteilte das Landeseinwohneramt Berlin dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Im Sommer 1999 verließ der Kläger mit dem Ziel, sein Leben in einer neuen Umgebung zu stabilisieren, die Wohnung seiner Mutter in Berlin und lebte für mehrere Monate bei seiner Tante in Stuttgart. Ende 1999 zogen auch seine Mutter und sein Bruder nach Stuttgart und lebten wieder mit dem Kläger in einer Wohnung zusammen.
Strafrechtlich trat der Kläger wie folgt in Erscheinung:
1. Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - Berlin-Tiergarten vom 08.12.1997: 3 Tage Jugendarrest wegen Körperverletzung;
2. Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 27.07.1998: Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15 DM wegen Diebstahls geringwertiger Sachen;
3. Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - Tiergarten vom 14.12.1998: Jugendstrafe von 6 Monaten wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, wobei die Vollstreckung der Strafe auf 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde;
4. Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Tiergarten vom 19.05.1999: Jugendstrafe von 18 Monaten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in 6 Fällen, davon in einem Fall lediglich versucht, unter Einbeziehung von Ziff. 4); die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung wurde zunächst für die Dauer von 6 Monaten zurückgestellt und schließlich mit Beschluss vom 28.03.2000 gewährt;
5. Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Jugendschöffengericht - vom 14.09.2000: Unter Einbeziehung des Urteils vom 19.05.1999 Jugendstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen. Die vom Kläger gegen dieses Urteil eingelegte Berufung verwarf das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 09.01.2001. Tattage waren der 05.02. und der 14.02.2000.
Mit Schreiben vom 20.12.1999 setzte die Stadt Stuttgart den Kläger davon in Kenntnis, dass im Hinblick auf die von ihm begangenen Straftaten seine Ausweisung geprüft werde, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.
10 
Am 29.11.2000 wurde der Kläger von der Polizei einer Personenkontrolle unterzogen. Bei ihm wurden 1,9 Gramm Marihuana gefunden, welches er in einem in seiner Unterhose versteckten Tütchen bei sich führte.
11 
Am 09.04.2001 trat der Kläger seine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim an. Am 19.04.2002 wurde der Kläger aus der Haft wieder entlassen.
12 
Mit Schreiben vom 24.09.2001 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger darauf hin, dass im Hinblick auf seine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz seine Ausweisung in Betracht komme, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Im Hinblick auf die angekündigte Ausweisung machte der Kläger geltend, dass er erstmals wegen Betäubungsmitteldelikten verurteilt worden sei und es sich zudem um die weiche Droge Marihuana gehandelt habe. Angesichts der Verurteilung von weit unter zwei Jahren sei eine Ausweisung unverhältnismäßig.
13 
Mit Verfügung vom 01.10.2001 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus dem Bundesgebiet unter Anordnung des Sofortvollzugs aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Zur Begründung wies das Regierungspräsidium darauf hin, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG erfülle. Er genieße jedoch besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG. Der geahndete Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz stelle einen schwerwiegenden Ausweisungsanlass dar. Auch das Strafgericht sei von einer denkbar ungünstigen Zukunftsprognose ausgegangen. Angesichts des Umstandes, dass sich der Kläger auch durch zwei Bewährungsappelle nicht von der Begehung weiterer Straftaten habe abhalten lassen, sei auch in Zukunft mit weiteren Straftaten zu rechnen. Auch sei die Ausweisung aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Stützung der Ausweisung auf generalpräventive Gründe sei auch nicht nach den Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 unzulässig. Die Ausweisung des Klägers sei auch aus spezialpräventiven Erwägungen erfolgt. Er habe zum Zeitpunkt seines Haftantritts in einem Arbeitsverhältnis gestanden; das von der Sozialberatung getragene Beschäftigungsprojekt habe aber noch nicht die für eine diesbezügliche Rechtsposition erforderliche Eingliederung in den vorhandenen Arbeitsmarkt vermittelt. Nach § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG werde die Regelausweisung zu einer Ermessensausweisung herabgestuft. Das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers gehe aber seinem privaten Interesse an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet vor. Der Kläger habe durch sein strafrechtlich relevantes Verhalten gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich künftig straffrei zu führen. Auch habe sich der Kläger nicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert. Weder im gesellschaftlichen noch im sozialen Bereich noch in beruflicher Hinsicht habe der Kläger Fuß gefasst. Auch ein Ortswechsel von Berlin nach Stuttgart habe nicht zu einer Verbesserung geführt. Er habe weder eine Berufsausbildung zu Ende gebracht noch sei er kontinuierlich einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Als Angehöriger der zweiten Generation von im Bundesgebiet lebenden Ausländern sei er wohl zweisprachig aufgewachsen. Dadurch seien ihm die kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Heimatlandes nicht gänzlich fremd. Auch sei ihm angesichts seines Alters ein Neubeginn in seinem Heimatland möglich. Das Zusammenleben mit seiner Mutter und seinem Bruder in familiärer Lebensgemeinschaft habe ihn nicht von Straftaten abgehalten. Art. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens stehe der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Vor seiner Inhaftierung sei der Kläger zwar im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig gewesen. Diese Rechtsposition im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 habe er durch seine Inhaftierung wieder verloren. Auch sei eine Berufung auf Art. 6 ARB 1/80 ausgeschlossen, wenn Art. 14 ARB 1/80 eingreife. Die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet habe aber ordnungsrechtlichen Charakter. Deshalb könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen der Privilegierung in Art. 6 und 7 ARB 1/80 erfülle. Die Ausweisung sei auch nicht nach Art. 8 EMRK unzulässig. Die im Ausländergesetz eröffnete Möglichkeit der Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen erfülle die Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Durch die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung erlösche die ihm erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Damit sei der Kläger auch vollziehbar ausreisepflichtig. Da der Kläger in Strafhaft einsitze, bedürfe es nach § 50 Abs. 5 AuslG keiner Fristsetzung.
14 
Am 31.10.2001 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Er habe in der Türkei keine Verwandten mehr. Seine Mutter lebe seit 23 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, sein Vater sei 1995 verstorben. Auch seine Geschwister lebten im Bundesgebiet. Sein Heimatland sei die Bundesrepublik Deutschland und nicht die Türkei. Eine Rückkehr in die Türkei habe für ihn irreversible Folgen. Auch habe seine Familie in der Türkei ihr gesamtes Hab und Gut verkauft. Aus § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG sei zu schließen, dass in den Fällen des § 47 Abs. 2 AuslG nur unter ganz bestimmten Umständen von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden könne. Es sei zu berücksichtigen, dass er nicht mit gefährlichen Drogen wie Kokain oder Heroin, sondern mit der weitaus weniger gefährlichen Droge Haschisch in Berührung gekommen sei.
15 
Mit Beschluss vom 19.03.2002 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart (Az. 5 K 4278/01) die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Ausweisung wieder hergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet.
16 
Zur Begründung des Antrags auf Klageabweisung hat der Beklagte vorgetragen, dass mit weiteren Straftaten des Klägers zu rechnen sei. Der Kläger sei bereits mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ohne dass ihn vom Gericht ausgesprochene Bewährungsstrafen letztendlich von neuerlichen Straftaten hätten abhalten können. Dementsprechend bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr.
17 
Mit Urteil vom 08.10.2002 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001 aufgehoben. Zur Begründung des Urteils hat es ausgeführt: Die Ausweisung des Klägers sei wegen Verstoßes gegen Art. 8 EMRK rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Aus dem Inhalt der Akten und dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger faktisch zum Inländer geworden sei, den mit der Türkei außer der Staatsangehörigkeit nichts mehr verbinde. Zwar sei davon auszugehen, dass dem Kläger aufgrund des Zusammenlebens mit seinen Eltern und Geschwistern gewisse soziale und kulturelle Beziehungen zur Türkei vermittelt worden seien. Diese Einflüsse seien aber in der Bundesrepublik deutlich in den Hintergrund gedrängt worden. Eine Übersetzung in das Türkische sei ihm nur bei einfacheren Wörtern möglich gewesen. Die Prägung als faktischer Inländer ergebe sich auch aus seinem intensiven Kontakt im Alter von 11 bis 12 Jahren zu einer deutschen Nachbarin und Arbeitskollegin seiner Mutter sowie deren Sohn in Berlin. Diese Nachbarin sei für den Kläger in der Zeit, in der sich seine Eltern getrennt hätten, eine Ersatzmutter gewesen. Auch sei er außerhalb des häuslichen Bereichs vielfältigen deutschen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Die Türkei habe der Kläger lediglich als Urlaubsland während seiner Kindheit kennen gelernt. In der Türkei lebten keine Verwandten des Klägers mehr. Der Kläger sei daher in einem Ausmaß faktisch zum Inländer geworden, dass ihm von vornherein der Weggang aus der Bundesrepublik Deutschland und der Verbleib in der Türkei unzumutbar und daher unverhältnismäßig seien. Sei die Ausweisung rechtswidrig, so sei auch die Abschiebungsandrohung aufzuheben.
18 
Mit Beschluss vom 21.07.2003 hat der Senat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zugelassen. Im Hinblick auf die am 19.04.2002 erfolgte Entlassung des Klägers aus der Strafhaft haben die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache hinsichtlich der in der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001 in Ziff. 3 ausgesprochenen Abschiebungsandrohung übereinstimmend für erledigt erklärt.
19 
Mit am 04.08.2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08.10.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat der Beklagte auf die Ausführungen im Antrag auf Zulassung der Berufung verwiesen.
20 
Der Beklagte beantragt,
21 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08. Oktober 2002 - 5 K 4277/01 -, soweit die Hauptsache nicht für erledigt erklärt worden ist, zu ändern und die Klage, soweit sie nach den Erledigungserklärungen noch anhängig ist, abzuweisen.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen, soweit das Verfahren in der Hauptsache nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen noch anhängig ist.
24 
Entgegen der Annahme des Beklagten habe er im Jahr 1996 einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Dieser sei jedoch wegen der langen Verfahrensdauer abgelehnt worden, weil er nach Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis Jugendverfehlungen begangen habe. Der Beklagte verkenne, dass er bereits als Kind wesentlich mehr Kontakt zu Deutschen gehabt habe als dies bei vergleichbaren türkischen Staatsangehörigen der zweiten und dritten Generation üblicherweise der Fall sei. Insbesondere habe eine sehr intensive Beziehung zu seiner deutschen "Ersatzmutter" bestanden, die ihn wie einen Sohn betreut habe. Im Ergebnis sei er wegen seiner Beziehungen zu Deutschen ein faktischer Inländer. Nach dem Urteil vom 14.09.2000 habe er keine Straftaten mehr begangen. Die Straftaten habe er sämtlich als Jugendlicher oder Heranwachsender und damit in einer Zeit der Orientierung begangen. Mittlerweile habe er sich jedoch weiterentwickelt und erkennbar stabilisiert. Das Urteil des Verwaltungsgericht Stuttgart entspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK. Im Übrigen verweist der Kläger auf die Begründung des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts und seine Ausführungen im Verfahren auf Zulassung der Berufung.
25 
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, auf die Akten des Verwaltungsgerichts des Klageverfahrens sowie des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, auf die Ausländerakte sowie auf die Akte des Ausweisungsverfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
26 
A) Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben (Abschiebungsandrohung, Ziff. 3 der Verfügung vom 01.10.2001), war das Verfahren nach § 125 Abs. 1 Satz 1 und dem entsprechend anzuwendenden § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit für unwirksam zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO analog) und nur noch über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO).
B)
27 
I) Soweit keine Teilerledigung eingetreten ist, ist die vom Senat zugelassene Berufung des Beklagten zulässig.
28 
Der Berufungsschriftsatz des Beklagten vom 01.08.2003 enthält einen bestimmten Antrag (§ 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die Berufungsbegründung genügt auch den inhaltlichen Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Denn die Berufungsbegründung bezeichnet durch die zulässige Bezugnahme auf den Berufungszulassungsantrag mehrere entscheidungserhebliche Fragen und macht hierzu eine von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.06.1998 - 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117; Beschluss vom 23.09.1999 - 9 B 372.99 -, NVwZ 2000, 67).
29 
II) Die zulässige Berufung des Beklagten ist auch begründet.
30 
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht Ziff. 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001, durch die der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, aufgehoben. Denn die Klage des Klägers ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Ziff. 1 der Verfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31 
1) In formeller Hinsicht ist die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums nicht zu beanstanden.
32 
a) Das Regierungspräsidium Stuttgart war zur Entscheidung über die Ausweisung des Klägers zuständig, da sich der Kläger zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung auf richterliche Anordnung in Strafhaft befand (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO). Wegen der Zuständigkeit des Regierungspräsidiums war nach § 6a Satz 1 AGVwGO auch die Durchführung eines Vorverfahrens ausgeschlossen (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Vor Erlass der angefochtenen Verfügung ist der Kläger entsprechend § 28 LVwVfG angehört worden.
33 
b) Ob die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, der türkischen Staatsangehörigen gegen eine Ausweisungsverfügung in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet ist, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zukommt, insbesondere den Anforderungen des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, genügt (vgl. zu dieser Frage in Bezug auf einen italienischen Staatsangehörigen, VGH Baden-Württemberg, Urt. v.28.11.2002 - 11 S 1270/02 -), kann hier dahingestellt bleiben. Denn die Richtlinie 64/221/EWG ist auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar. Mit Beschluss vom 18.03.2003 hat der Österreichische Verwaltungsgerichtshof (Zlen. EU 2003/0001, 0002-1-99/21/0018, 2002/21/0067,      und InfAuslR 2003, 217) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Art. 234 EGV zwar die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die Rechte nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 genießen. Nach Ansicht des Senats, der nicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV zur Vorlage verpflichtet ist, kommt aber eine Anwendung von Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 57, zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 und Art. 7 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige).
34 
Die auf Bestimmungen des früheren EWG-Vertrages gestützte Richtlinie gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbstständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen. Ziel der Richtlinie ist es, eine möglichst effektive Wahrnehmung der Grundfreiheiten - Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit - durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und deren Ehegatten und Familienmitglieder zu gewährleisten. Zu diesem Zweck will die Richtlinie z.B. im Bereich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigten Maßnahmen koordinieren, um deren Anwendung mit dem fundamentalen Grundsatz der Freizügigkeit in der Gemeinschaft und mit der Beseitigung jeglicher Diskriminierung zwischen eigenen Staatsangehörigen und den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Vertrages in Einklang zu bringen (vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.1975, Rs. C-67/74, Slg. 297, Rn. 5; Urt. v. 27.10.1977, Rs. C-30/77, Slg. 1999, Rn. 15; Urt. v. 09.11.2000, Rs. C-357/98, Slg. I-9265, Rn. 27). Für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die im EG-Vertrag geregelten Grundfreiheiten, deren Verwirklichung Hauptzweck des EG-Vertrages ist, aber unmittelbar und nicht vorbehaltlich einer Vereinbarung der Vertragsstaaten über ihre Anwendbarkeit. Demgegenüber können sich türkische Staatsangehörige vor Behörden eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gerade nicht unmittelbar auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages berufen. Vielmehr erfolgt die schrittweise Herstellung der Grundfreiheit bzw. die schrittweise Beseitigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten nach Maßgabe der hierfür von einem gesonderten Assoziationsrat festgelegten Regeln. In Art. 12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II S. 509) haben die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Republik Türkei vereinbart, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. In Art. 13 und 14 dieses Abkommens finden sich vergleichbare Vereinbarungen hinsichtlich der Aufhebung von Beschränkungen für die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. In Art. 36 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II S. 385 ) ist z.B. hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer bestimmt, dass diese Grundfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des genannten Abkommens schrittweise hergestellt wird und der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln festlegt (vgl. z.B. ARB vom 20.12.1976, 2/76; ARB vom 19.09.1980, 1/80). Sowohl zum Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001 als auch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung war der Kläger weder selbständig tätig (vgl. Art. 43 EGV), noch machte er durch seinen seit 1979 andauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland von der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 49 EGV Gebrauch. Es ist anerkannt, dass die Dienstleistungsfreiheit mangels Auslandsbezugs nicht denjenigen Angehörigen eines Mitgliedstaates erfasst, der, wie der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat geboren ist und dort seinen Hauptaufenthalt nimmt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu empfangen (EuGH, Urt. v. 05.10.1988, Rs. C-196/87, Steymann, Slg. 1988, 6159, Rn. 17; Urt. v. 17.06.1997, Rs. C-70/95, Sodemare, Slg. I-3395, 3435 f., Rn. 38 m.w.Nachw.). Dieser vom EuGH zur Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit im Sinne des EG-Vertrages entwickelte Grundsatz kann auch für die Bestimmungen des Assoziationsrechts herangezogen werden. Für den Kläger kommt deshalb wegen seiner Erwerbstätigkeiten vor und nach seiner Inhaftierung allein die Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Betracht. Nach dem derzeitigen Stand genießen türkische Staatsangehörige aber keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern haben im jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat lediglich bestimmte Rechte, sofern die Voraussetzungen von Art. 6 oder 7 des ARB 1/80 erfüllt sind (vgl. EuGH, Urt. v. 30.09.1997, Rs. C-36/96, Günyadin, InfAuslR 1997, 440, Rn. 21 f. m.w.Nachw.). Erfolgt die Herstellung einer Grundfreiheit bzw. die Beseitigung von Beschränkungen einer Grundfreiheit im Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und Behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ungeachtet des Ablaufs der in Art. 36 des Zusatzprotokolls genannten Frist allein nach Maßgabe von Beschlüssen eines besonderen Gremiums (Assoziationsrat), so ist es ausgeschlossen, ohne ausdrückliche Willenskundgebung dieses über die Schritte zur vollständigen Verwirklichung der Grundfreiheiten allein entscheidenden Gremiums sekundärrechtliche Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die der effektiven Wahrnehmung der unmittelbar geltenden Grundfreiheiten durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten dienen, auf das Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden. Zwar leitet der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Art. 12 des Assoziierungsabkommens und des Art. 36 des Zusatzprotokolls sowie aus dem Zweck des ARB 1/80 her, dass die im Rahmen des Art. 39 ff. EGV geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 54 m.w.Nachw.). Dies gilt aber für die in der Rechtsprechung des EuGH erarbeiteten allgemeinen Grundsätze z.B. zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung von Grundfreiheiten und nicht für besondere prozessuale Rechte, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Interesse der möglichst effektiven Verwirklichung der ihnen unmittelbar zustehenden Grundfreiheiten erst durch besondere sekundärrechtliche Vorschriften, hier die Richtlinie 64/221/EWG, eingeräumt worden sind. So wendet der EuGH z.B. die von ihm entwickelten Grundsätze zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung der Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 39 Abs. 3 EGV auch auf die Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen an, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 56). Dieses Vorgehen ist aber allein im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass die in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung nahezu denselben Wortlaut hat wie Art. 39 Abs. 3 EGV. Für den Bereich der in der Richtlinie 64/221/EWG geregelten besonderen prozessualen Rechte, die der effektiven Wahrnehmung der Grundfreiheiten durch die Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union dienen, findet sich aber gerade keine Entscheidung des Assoziationsrates, die eine Gleichstellung von Unionsangehörigen und türkischen Staatsangehörigen gestattet.
35 
2) Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht erweist sich die Ausweisung als rechtmäßig.
36 
a) Nach innerstaatlichem Ausländerrecht ist die Ausweisung nicht zu beanstanden.
37 
Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung der Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, Beschl. v. 17.01.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137 f.; Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, 251), hier der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001. Nachträglich eingetretene Umstände können im Rahmen der Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338, 342 m.w.Nachw.).
38 
Durch das Verhalten, das den Gegenstand des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.2001 bildet (Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten), erfüllt der Kläger die Voraussetzungen der Regel-Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Da der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, genießt er besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG, wonach ein Ausländer nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Derartige Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor einer Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung aus spezialpräventiven Zwecken sind erforderlich ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 253 f.; Urt. v. 28.01.1997 - 1 C 17.94 -, NVwZ 1997, 1119; Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338). Die Ausweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums genügt diesen Anforderungen. Denn die Straftaten des Klägers nach dem Betäubungsmittelgesetz bilden einen ausreichenden Ausweisungsanlass. Das mit dem Urteil des Landgerichts vom 09.01.2001 geahndete strafrechtliche Verhalten ist schwerwiegend. Aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart ist zu entnehmen, dass der Kläger spätestens im September 1999 erstmals mit Cannabis in Kontakt geraten war. Er konsumierte dieses Rauschgift in einem Maße, dass sich bei ausbleibendem Konsum allmählich Schlafprobleme einstellten. Er setzte den Drogenkonsum auch fort, nachdem seine Mutter ebenfalls nach Stuttgart verzogen war und wieder mit dem Kläger zusammen lebte. In nicht unerheblichem Umfang beteiligte sich der Kläger am Straßenhandel mit Cannabis. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 führte der Kläger bei seiner ersten Verhaftung am 05.02.2000 sieben Kanten Haschisch mit insgesamt 18,4 Gramm (netto) bei sich. Bei der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung wurden 54 kleine Tütchen mit Marihuanablatt-Aufdruck gefunden, die nach der - auch vom Senat geteilten - Einschätzung des Amtsgerichts Stuttgart als Verpackungsmaterial für Rauschgift dienen sollten. Trotz dieser ersten Verhaftung und der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung, bei der die zur Aufbewahrung von Rauschgift dienenden Tütchen gefunden worden waren, setzte der Kläger den Straßenhandel mit Cannabis fort. Denn nur neun Tage später versuchte der Kläger wiederum in Stuttgart 2,8 Gramm (netto) Haschisch an eine verdeckt arbeitende Polizeibeamtin zu verkaufen. Diese Betäubungsmitteldelikte können auch nicht durch den Hinweis auf das jugendliche Alter des Täters relativiert werden. Denn der Kläger war zum Zeitpunkt dieser beiden Taten bereits 20 ½ Jahre alt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger diese beiden Straftaten noch in der sogenannten Vorbewährungszeit beging. Im vorangegangenen Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 19.05.1999, durch das der Kläger wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in sechs Fällen, davon in einem Fall lediglich versucht, unter Einbeziehung einer vorherigen Strafe wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt worden war, war dem Kläger noch keine Bewährung gewährt worden. Strafaussetzung zur Bewährung erhielt er erst im Beschluss vom 28.03.2000, wobei dem Amtsgericht Tiergarten die beiden Betäubungsmitteldelikte vom Februar 2000 nicht bekannt waren. Zum Nachteil des Klägers ist auch die im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.20001 getroffene tatsächliche Feststellung zu werten, dass der Kläger in der Nacht zum 29.11.2000 - und damit nur zwei Monate nach dem die Bewährung versagenden Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 - von der Polizei im Stadtgebiet von Stuttgart mit 1,9 Gramm Marihuana angetroffen wurde, welches er in einem in seiner Unterhose versteckten Tütchen bei sich führte. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Kläger auch von einer im Schreiben der Stadt Stuttgart vom 20.12.1999 im Hinblick auf seine bis dahin begangenen Straftaten enthaltenen Androhung der Ausweisung nicht von der Begehung der gravierenden Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz hat abhalten lassen. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Ausweisungsverfügung bestand auch die ernsthafte, nicht nur entfernte Möglichkeit erneuter gravierender Verfehlungen des Klägers. Der Kläger hatte noch nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 14.09.2000 Kontakt zu illegalen Betäubungsmitteln. Auch hatte sich der Kläger durch mehrere Bewährungsstrafen nicht von der Begehung weiterer, erheblicher Straftaten abhalten lassen. Dies rechtfertigte die Einschätzung, dass der Kläger ein großes kriminelles Potential besaß. Der Kläger verfügte auch nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung, die Anlass für die Erwartung bot, er könne seinen notwendigen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen. Obwohl die Wertungen der Strafgerichte hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr für die Ausländerbehörden nicht bindend sind, ist im Hinblick auf die hier anzustellende Vorhersage auch zu beachten, dass sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Stuttgart in ihren Urteilen von einer sehr ungünstigen Prognose ausgegangen sind.
39 
Infolge des besonderen Ausweisungsschutzes wird die Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu einer Ausweisung nach Ermessen herabgestuft (§ 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG). Die Ausführungen in der Verfügung lassen aber einen Ermessensfehler (§ 40 LVwVfG) nicht erkennen. Das Regierungspräsidium hat insbesondere die für einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte (§ 45 Abs. 2 AuslG), wie z.B. die Geburt und seinen ständigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, die fehlenden engen Beziehungen zur Türkei, die zu erwartenden Schwierigkeiten nach einer zwangsweisen Rückkehr in die Türkei und das Zusammenleben mit seiner Mutter und seinem Bruder in familiärer Lebensgemeinschaft, in die Ermessensentscheidung eingestellt. Diesen Gesichtspunkten hat das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten des Klägers im Bundesgebiet (Spezialprävention) gegenübergestellt. Dass das Regierungspräsidium zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Verfügung von einem Überwiegen der für eine Ausweisung des Klägers sprechenden öffentlichen Interessen ausgegangen ist, kann auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beanstandet werden.
40 
b) Im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als rechtmäßig.
41 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, der in der Bundesrepublik Deutschland infolge des Zustimmungsgesetzes im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt und an dem Ausweisungen nach §§ 45 ff. AuslG gemessen werden müssen, hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen (§ 47 Abs. 2 Nr. 2, § 48 Abs.1, § 47 Abs. 3 Satz 2 und § 45 AuslG). Sie dient auch dem berechtigten Ziel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, notwendig in einer demokratischen Gesellschaft sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein (vgl. EGMR, Urt. v. 27.09.1999, NJW 2000, 2089, 2092, Rn. 87; Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 128, Rn. 41 m.w.Nachw.). Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung, sondern auf den Zeitpunkt an, in dem diese Verfügung vom Gericht bestätigt wird (vgl. Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 127, Rn. 34 f m.w.Nachw., Rn. 44; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53, Rn. 36). Auch im Hinblick auf diesen Zeitpunkt erweist sich die Ausweisung als verhältnismäßig.
42 
Der inzwischen 24 Jahre alte Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Seit seiner Haftentlassung am 19.04.2002 lebt der Kläger wieder bei seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder. Vom EGMR wird der Begriff des Familienlebens in Art. 8 Abs. 1 EMRK außerordentlich weit verstanden, so dass auch dieses Zusammenleben von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfasst ist. Bei der im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gebotenen Abwägung ist aber zu berücksichtigen, dass sich Hinweise auf ein Abhängigkeitsverhältnis des Klägers zu seiner Mutter oder zu seinem Bruder bzw. umgekehrt weder aus den dem Senat vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers ergeben. Zugunsten des Klägers sind seine Geburt im Bundesgebiet und der ständige rechtmäßige Aufenthalt zu berücksichtigen. Auch hat er 1996 einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Die Beziehungen zu seinem Heimatland sind gering ausgeprägt. Letztmals hielt er sich im Jahr 1996 aus Anlass des einjährigen Todestages seines Vaters für die Dauer einer Woche in der Türkei auf. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger noch über ausreichende Kenntnisse der türkischen Sprache verfügt. Denn nach seinen Aussagen in der mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist in der Familie des Klägers Deutsch und Türkisch gesprochen worden. Auch ist er in Anbetracht seines Alters in der Lage, seine Türkischkenntnisse wenn nötig zu vervollkommnen. Bemühungen des Klägers, aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, ergeben sich weder aus den vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren. Vielmehr hat der Kläger nach seiner Aussage in der Berufungsverhandlung z.B. die Zurückstellung vom Wehrdienst in der Türkei erreicht. Zwar kommt eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Die Annahme von besonderen Bindungen an die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland setzt aber eine irreversible Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse voraus, die beim Kläger nicht festgestellt werden kann. Der Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Insbesondere fehlt es an einer dauerhaften Eingliederung in das Berufsleben in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar verfügt der Kläger über einen Hauptschulabschluss (1996) und absolvierte auch erfolgreich die einjährige Berufsfachschule (Elektrotechnik). Eine anschließende Ausbildung als Fahrradmechaniker brach der Kläger bereits nach einem Monat ab. Danach war er arbeitslos, eine Tätigkeit als Lüftungsmonteur übte der Kläger lediglich für zweieinhalb Monate aus. Dann war er in Teilzeit als Spüler in einem Restaurant und anschließend als Maler im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig. Während der bis zum 19.04.2002 andauernden Haft hat der Kläger keine weitere Schulausbildung oder Berufsausbildung durchlaufen. Im Dezember 2002 begann er eine Ausbildung als Maler, die jedoch nach sechs Monaten wiederum endete. Bei einer Zeitarbeitsfirma ist der Kläger seit seiner Haftentlassung nur gelegentlich tätig, sofern diese selbst entsprechende Aufträge hat. Bemühungen des Klägers um einen Ausbildungsplatz waren erfolglos.
43 
Der Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten kommt nach dem EGMR für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung besondere Bedeutung zu. In der Rechtsprechung des EGMR wird hinsichtlich des Gewichts der für eine Ausweisung sprechenden Gründe bei Straftaten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln insbesondere danach unterschieden, ob es um den bloßen Besitz/Gebrauch von Drogen geht oder um den Handel mit Betäubungsmitteln (vgl. z.B. Urt. v. 13.02.2001, InfAuslR 2001, 480, Rn. 34; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53; Urt. v. 19.02.1998, InfAuslR 1998, 201). Auch in Anbetracht der wegen des Fehlens eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem bereits 24 Jahre alten Kläger und seiner Mutter bzw. seinem Bruder geringeren Schutzwürdigkeit des Familienlebens des Klägers im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt dem Umstand, dass er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, maßgebliche Bedeutung zu. Wiederum ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bei diesen Straftaten mit ganz erheblicher krimineller Energie vorgegangen ist. Er hat sich weder von vorherigen Verurteilungen zu Bewährungsstrafen, noch von einer noch ausstehenden Entscheidung über die Einräumung einer Bewährung, noch von einer erstmaligen Verhaftung wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung, die Hinweise auf eine ganz erhebliche Beteiligung am illegalen Drogenhandel ergeben hatte, noch von der ihm bereits im Dezember 1999 im Hinblick auf die bis dahin abgeurteilten Straftaten angedrohten Ausweisung aus dem Bundesgebiet von einer Fortsetzung seiner Drogengeschäfte abhalten lassen. Auch nach seiner Haftentlassung ist dem Kläger bisher insbesondere keine Verbesserung seiner beruflichen Situation gelungen, die Anlass zu der Annahme geben könnte, er werde seine erhebliche kriminelle Energie zurückdrängen und seinen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen können.
44 
c) Auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (BGBl. 1959 II, S. 997, ENA) erweist sich die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig. Danach dürfen Staatsangehörige eines Vertragsstaates, die, wie der Kläger, seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines Vertragsstaates haben, nur aus Gründen der Sicherheit des Staates, oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe besonders schwerwiegend sind, ausgewiesen werden. Im Hinblick auf den für die Ausweisung des Klägers danach erforderlichen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann auf die vorstehenden Ausführungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden. Denn die Voraussetzungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA entsprechen denen der schwerwiegenden Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 262 f.; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338).
45 
Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12. Januar 1927 (RGBl II S. 76), das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei angewendet wird (BGBl II 1952 S. 608), begründet ebenfalls keinen besonderen Ausweisungsschutz. Denn nach dieser Vertragsvorschrift sind Ausweisungen als Einzelmaßnahmen gemäß den Gesetzen der Vertragsstaaten zulässig (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 58 m.w.Nachw.).
46 
d) Die Vorschriften des ARB 1/80 stehen der Ausweisung des Klägers ebenfalls nicht entgegen. Zwar erscheint es sehr zweifelhaft, ob der Kläger die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 erfüllt. Näher liegt die Heranziehung von Art. 7 ARB 1/80. Jedenfalls ist die Ausweisung des Klägers auch nach Maßgabe von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zulässig, wonach der Abschnitt 1 des ARB 1/80 vorbehaltlich der Beschränkungen gilt, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Ausnahme ebenso auszulegen wie die des Art. 39 Abs. 3 EGV (vgl. Urt. v. 10.02.2000, Nazli, NVwZ 2000, 1029, Rn. 56). Danach ist eine Ausweisung zum Zweck der Generalprävention mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 unvereinbar und eine Ausweisung deshalb nur zulässig, wenn das persönliche Verhalten des betreffenden Ausländers auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet und damit eine Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urt. v. 10.02.2000, a.a.O., Rn. 61 ff.; Urt. v. 19.01.1999, Calfa, EuZW 1999, 345, Rn. 22-27). Auch im Hinblick auf diese Grundsätze begegnet die Ausweisung des Klägers keinen rechtlichen Bedenken. Denn diese ist nicht ausschließlich generalpräventiv begründet worden, sondern ist vom Regierungspräsidium in erster Linie im Hinblick auf die berechtigte Annahme verfügt worden, der Kläger werde wegen seiner in den abgeurteilten Taten zum Ausdruck kommenden erheblichen kriminellen Energie weitere Straftaten begehen. Auch insoweit kann auf die Darlegungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden.
47 
Hinsichtlich des nicht übereinstimmend für erledigt erklärten Teils folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Auch die hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens (Abschiebungsandrohung) nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Entscheidung führt zur Kostentragung des Klägers. Denn der Kläger wäre voraussichtlich auch mit seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums unterlegen.
49 
Der nicht zur Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag verpflichtete Senat sieht in Bezug auf die sich hinsichtlich der Richtlinie 64/221/EWG stellenden Fragen von einer Vorlage an den EuGH ab. Die Rechtssache hat aber grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), so dass die Revision zuzulassen ist. Hierdurch wird im Interesse der Einheit der nationalen Rechtsprechung vor der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs ermöglicht.
50 
Die in diesem Urteil enthaltene Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO ist unanfechtbar (§ 158 Abs. 2 VwGO). Im Übrigen gilt folgende

Gründe

 
26 
A) Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben (Abschiebungsandrohung, Ziff. 3 der Verfügung vom 01.10.2001), war das Verfahren nach § 125 Abs. 1 Satz 1 und dem entsprechend anzuwendenden § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit für unwirksam zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO analog) und nur noch über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO).
B)
27 
I) Soweit keine Teilerledigung eingetreten ist, ist die vom Senat zugelassene Berufung des Beklagten zulässig.
28 
Der Berufungsschriftsatz des Beklagten vom 01.08.2003 enthält einen bestimmten Antrag (§ 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die Berufungsbegründung genügt auch den inhaltlichen Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Denn die Berufungsbegründung bezeichnet durch die zulässige Bezugnahme auf den Berufungszulassungsantrag mehrere entscheidungserhebliche Fragen und macht hierzu eine von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.06.1998 - 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117; Beschluss vom 23.09.1999 - 9 B 372.99 -, NVwZ 2000, 67).
29 
II) Die zulässige Berufung des Beklagten ist auch begründet.
30 
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht Ziff. 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001, durch die der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, aufgehoben. Denn die Klage des Klägers ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Ziff. 1 der Verfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31 
1) In formeller Hinsicht ist die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums nicht zu beanstanden.
32 
a) Das Regierungspräsidium Stuttgart war zur Entscheidung über die Ausweisung des Klägers zuständig, da sich der Kläger zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung auf richterliche Anordnung in Strafhaft befand (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO). Wegen der Zuständigkeit des Regierungspräsidiums war nach § 6a Satz 1 AGVwGO auch die Durchführung eines Vorverfahrens ausgeschlossen (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Vor Erlass der angefochtenen Verfügung ist der Kläger entsprechend § 28 LVwVfG angehört worden.
33 
b) Ob die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, der türkischen Staatsangehörigen gegen eine Ausweisungsverfügung in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet ist, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zukommt, insbesondere den Anforderungen des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, genügt (vgl. zu dieser Frage in Bezug auf einen italienischen Staatsangehörigen, VGH Baden-Württemberg, Urt. v.28.11.2002 - 11 S 1270/02 -), kann hier dahingestellt bleiben. Denn die Richtlinie 64/221/EWG ist auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar. Mit Beschluss vom 18.03.2003 hat der Österreichische Verwaltungsgerichtshof (Zlen. EU 2003/0001, 0002-1-99/21/0018, 2002/21/0067,      und InfAuslR 2003, 217) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Art. 234 EGV zwar die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die Rechte nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 genießen. Nach Ansicht des Senats, der nicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV zur Vorlage verpflichtet ist, kommt aber eine Anwendung von Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 57, zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 und Art. 7 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige).
34 
Die auf Bestimmungen des früheren EWG-Vertrages gestützte Richtlinie gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbstständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen. Ziel der Richtlinie ist es, eine möglichst effektive Wahrnehmung der Grundfreiheiten - Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit - durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und deren Ehegatten und Familienmitglieder zu gewährleisten. Zu diesem Zweck will die Richtlinie z.B. im Bereich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigten Maßnahmen koordinieren, um deren Anwendung mit dem fundamentalen Grundsatz der Freizügigkeit in der Gemeinschaft und mit der Beseitigung jeglicher Diskriminierung zwischen eigenen Staatsangehörigen und den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Vertrages in Einklang zu bringen (vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.1975, Rs. C-67/74, Slg. 297, Rn. 5; Urt. v. 27.10.1977, Rs. C-30/77, Slg. 1999, Rn. 15; Urt. v. 09.11.2000, Rs. C-357/98, Slg. I-9265, Rn. 27). Für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die im EG-Vertrag geregelten Grundfreiheiten, deren Verwirklichung Hauptzweck des EG-Vertrages ist, aber unmittelbar und nicht vorbehaltlich einer Vereinbarung der Vertragsstaaten über ihre Anwendbarkeit. Demgegenüber können sich türkische Staatsangehörige vor Behörden eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gerade nicht unmittelbar auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages berufen. Vielmehr erfolgt die schrittweise Herstellung der Grundfreiheit bzw. die schrittweise Beseitigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten nach Maßgabe der hierfür von einem gesonderten Assoziationsrat festgelegten Regeln. In Art. 12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II S. 509) haben die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Republik Türkei vereinbart, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. In Art. 13 und 14 dieses Abkommens finden sich vergleichbare Vereinbarungen hinsichtlich der Aufhebung von Beschränkungen für die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. In Art. 36 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II S. 385 ) ist z.B. hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer bestimmt, dass diese Grundfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des genannten Abkommens schrittweise hergestellt wird und der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln festlegt (vgl. z.B. ARB vom 20.12.1976, 2/76; ARB vom 19.09.1980, 1/80). Sowohl zum Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001 als auch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung war der Kläger weder selbständig tätig (vgl. Art. 43 EGV), noch machte er durch seinen seit 1979 andauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland von der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 49 EGV Gebrauch. Es ist anerkannt, dass die Dienstleistungsfreiheit mangels Auslandsbezugs nicht denjenigen Angehörigen eines Mitgliedstaates erfasst, der, wie der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat geboren ist und dort seinen Hauptaufenthalt nimmt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu empfangen (EuGH, Urt. v. 05.10.1988, Rs. C-196/87, Steymann, Slg. 1988, 6159, Rn. 17; Urt. v. 17.06.1997, Rs. C-70/95, Sodemare, Slg. I-3395, 3435 f., Rn. 38 m.w.Nachw.). Dieser vom EuGH zur Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit im Sinne des EG-Vertrages entwickelte Grundsatz kann auch für die Bestimmungen des Assoziationsrechts herangezogen werden. Für den Kläger kommt deshalb wegen seiner Erwerbstätigkeiten vor und nach seiner Inhaftierung allein die Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Betracht. Nach dem derzeitigen Stand genießen türkische Staatsangehörige aber keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern haben im jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat lediglich bestimmte Rechte, sofern die Voraussetzungen von Art. 6 oder 7 des ARB 1/80 erfüllt sind (vgl. EuGH, Urt. v. 30.09.1997, Rs. C-36/96, Günyadin, InfAuslR 1997, 440, Rn. 21 f. m.w.Nachw.). Erfolgt die Herstellung einer Grundfreiheit bzw. die Beseitigung von Beschränkungen einer Grundfreiheit im Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und Behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ungeachtet des Ablaufs der in Art. 36 des Zusatzprotokolls genannten Frist allein nach Maßgabe von Beschlüssen eines besonderen Gremiums (Assoziationsrat), so ist es ausgeschlossen, ohne ausdrückliche Willenskundgebung dieses über die Schritte zur vollständigen Verwirklichung der Grundfreiheiten allein entscheidenden Gremiums sekundärrechtliche Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die der effektiven Wahrnehmung der unmittelbar geltenden Grundfreiheiten durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten dienen, auf das Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden. Zwar leitet der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Art. 12 des Assoziierungsabkommens und des Art. 36 des Zusatzprotokolls sowie aus dem Zweck des ARB 1/80 her, dass die im Rahmen des Art. 39 ff. EGV geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 54 m.w.Nachw.). Dies gilt aber für die in der Rechtsprechung des EuGH erarbeiteten allgemeinen Grundsätze z.B. zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung von Grundfreiheiten und nicht für besondere prozessuale Rechte, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Interesse der möglichst effektiven Verwirklichung der ihnen unmittelbar zustehenden Grundfreiheiten erst durch besondere sekundärrechtliche Vorschriften, hier die Richtlinie 64/221/EWG, eingeräumt worden sind. So wendet der EuGH z.B. die von ihm entwickelten Grundsätze zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung der Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 39 Abs. 3 EGV auch auf die Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen an, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 56). Dieses Vorgehen ist aber allein im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass die in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung nahezu denselben Wortlaut hat wie Art. 39 Abs. 3 EGV. Für den Bereich der in der Richtlinie 64/221/EWG geregelten besonderen prozessualen Rechte, die der effektiven Wahrnehmung der Grundfreiheiten durch die Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union dienen, findet sich aber gerade keine Entscheidung des Assoziationsrates, die eine Gleichstellung von Unionsangehörigen und türkischen Staatsangehörigen gestattet.
35 
2) Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht erweist sich die Ausweisung als rechtmäßig.
36 
a) Nach innerstaatlichem Ausländerrecht ist die Ausweisung nicht zu beanstanden.
37 
Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung der Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, Beschl. v. 17.01.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137 f.; Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, 251), hier der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001. Nachträglich eingetretene Umstände können im Rahmen der Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338, 342 m.w.Nachw.).
38 
Durch das Verhalten, das den Gegenstand des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.2001 bildet (Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten), erfüllt der Kläger die Voraussetzungen der Regel-Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Da der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, genießt er besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG, wonach ein Ausländer nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Derartige Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor einer Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung aus spezialpräventiven Zwecken sind erforderlich ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 253 f.; Urt. v. 28.01.1997 - 1 C 17.94 -, NVwZ 1997, 1119; Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338). Die Ausweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums genügt diesen Anforderungen. Denn die Straftaten des Klägers nach dem Betäubungsmittelgesetz bilden einen ausreichenden Ausweisungsanlass. Das mit dem Urteil des Landgerichts vom 09.01.2001 geahndete strafrechtliche Verhalten ist schwerwiegend. Aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart ist zu entnehmen, dass der Kläger spätestens im September 1999 erstmals mit Cannabis in Kontakt geraten war. Er konsumierte dieses Rauschgift in einem Maße, dass sich bei ausbleibendem Konsum allmählich Schlafprobleme einstellten. Er setzte den Drogenkonsum auch fort, nachdem seine Mutter ebenfalls nach Stuttgart verzogen war und wieder mit dem Kläger zusammen lebte. In nicht unerheblichem Umfang beteiligte sich der Kläger am Straßenhandel mit Cannabis. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 führte der Kläger bei seiner ersten Verhaftung am 05.02.2000 sieben Kanten Haschisch mit insgesamt 18,4 Gramm (netto) bei sich. Bei der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung wurden 54 kleine Tütchen mit Marihuanablatt-Aufdruck gefunden, die nach der - auch vom Senat geteilten - Einschätzung des Amtsgerichts Stuttgart als Verpackungsmaterial für Rauschgift dienen sollten. Trotz dieser ersten Verhaftung und der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung, bei der die zur Aufbewahrung von Rauschgift dienenden Tütchen gefunden worden waren, setzte der Kläger den Straßenhandel mit Cannabis fort. Denn nur neun Tage später versuchte der Kläger wiederum in Stuttgart 2,8 Gramm (netto) Haschisch an eine verdeckt arbeitende Polizeibeamtin zu verkaufen. Diese Betäubungsmitteldelikte können auch nicht durch den Hinweis auf das jugendliche Alter des Täters relativiert werden. Denn der Kläger war zum Zeitpunkt dieser beiden Taten bereits 20 ½ Jahre alt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger diese beiden Straftaten noch in der sogenannten Vorbewährungszeit beging. Im vorangegangenen Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 19.05.1999, durch das der Kläger wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in sechs Fällen, davon in einem Fall lediglich versucht, unter Einbeziehung einer vorherigen Strafe wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt worden war, war dem Kläger noch keine Bewährung gewährt worden. Strafaussetzung zur Bewährung erhielt er erst im Beschluss vom 28.03.2000, wobei dem Amtsgericht Tiergarten die beiden Betäubungsmitteldelikte vom Februar 2000 nicht bekannt waren. Zum Nachteil des Klägers ist auch die im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.20001 getroffene tatsächliche Feststellung zu werten, dass der Kläger in der Nacht zum 29.11.2000 - und damit nur zwei Monate nach dem die Bewährung versagenden Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 - von der Polizei im Stadtgebiet von Stuttgart mit 1,9 Gramm Marihuana angetroffen wurde, welches er in einem in seiner Unterhose versteckten Tütchen bei sich führte. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Kläger auch von einer im Schreiben der Stadt Stuttgart vom 20.12.1999 im Hinblick auf seine bis dahin begangenen Straftaten enthaltenen Androhung der Ausweisung nicht von der Begehung der gravierenden Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz hat abhalten lassen. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Ausweisungsverfügung bestand auch die ernsthafte, nicht nur entfernte Möglichkeit erneuter gravierender Verfehlungen des Klägers. Der Kläger hatte noch nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 14.09.2000 Kontakt zu illegalen Betäubungsmitteln. Auch hatte sich der Kläger durch mehrere Bewährungsstrafen nicht von der Begehung weiterer, erheblicher Straftaten abhalten lassen. Dies rechtfertigte die Einschätzung, dass der Kläger ein großes kriminelles Potential besaß. Der Kläger verfügte auch nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung, die Anlass für die Erwartung bot, er könne seinen notwendigen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen. Obwohl die Wertungen der Strafgerichte hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr für die Ausländerbehörden nicht bindend sind, ist im Hinblick auf die hier anzustellende Vorhersage auch zu beachten, dass sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Stuttgart in ihren Urteilen von einer sehr ungünstigen Prognose ausgegangen sind.
39 
Infolge des besonderen Ausweisungsschutzes wird die Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu einer Ausweisung nach Ermessen herabgestuft (§ 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG). Die Ausführungen in der Verfügung lassen aber einen Ermessensfehler (§ 40 LVwVfG) nicht erkennen. Das Regierungspräsidium hat insbesondere die für einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte (§ 45 Abs. 2 AuslG), wie z.B. die Geburt und seinen ständigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, die fehlenden engen Beziehungen zur Türkei, die zu erwartenden Schwierigkeiten nach einer zwangsweisen Rückkehr in die Türkei und das Zusammenleben mit seiner Mutter und seinem Bruder in familiärer Lebensgemeinschaft, in die Ermessensentscheidung eingestellt. Diesen Gesichtspunkten hat das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten des Klägers im Bundesgebiet (Spezialprävention) gegenübergestellt. Dass das Regierungspräsidium zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Verfügung von einem Überwiegen der für eine Ausweisung des Klägers sprechenden öffentlichen Interessen ausgegangen ist, kann auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beanstandet werden.
40 
b) Im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als rechtmäßig.
41 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, der in der Bundesrepublik Deutschland infolge des Zustimmungsgesetzes im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt und an dem Ausweisungen nach §§ 45 ff. AuslG gemessen werden müssen, hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen (§ 47 Abs. 2 Nr. 2, § 48 Abs.1, § 47 Abs. 3 Satz 2 und § 45 AuslG). Sie dient auch dem berechtigten Ziel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, notwendig in einer demokratischen Gesellschaft sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein (vgl. EGMR, Urt. v. 27.09.1999, NJW 2000, 2089, 2092, Rn. 87; Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 128, Rn. 41 m.w.Nachw.). Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung, sondern auf den Zeitpunkt an, in dem diese Verfügung vom Gericht bestätigt wird (vgl. Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 127, Rn. 34 f m.w.Nachw., Rn. 44; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53, Rn. 36). Auch im Hinblick auf diesen Zeitpunkt erweist sich die Ausweisung als verhältnismäßig.
42 
Der inzwischen 24 Jahre alte Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Seit seiner Haftentlassung am 19.04.2002 lebt der Kläger wieder bei seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder. Vom EGMR wird der Begriff des Familienlebens in Art. 8 Abs. 1 EMRK außerordentlich weit verstanden, so dass auch dieses Zusammenleben von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfasst ist. Bei der im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gebotenen Abwägung ist aber zu berücksichtigen, dass sich Hinweise auf ein Abhängigkeitsverhältnis des Klägers zu seiner Mutter oder zu seinem Bruder bzw. umgekehrt weder aus den dem Senat vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers ergeben. Zugunsten des Klägers sind seine Geburt im Bundesgebiet und der ständige rechtmäßige Aufenthalt zu berücksichtigen. Auch hat er 1996 einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Die Beziehungen zu seinem Heimatland sind gering ausgeprägt. Letztmals hielt er sich im Jahr 1996 aus Anlass des einjährigen Todestages seines Vaters für die Dauer einer Woche in der Türkei auf. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger noch über ausreichende Kenntnisse der türkischen Sprache verfügt. Denn nach seinen Aussagen in der mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist in der Familie des Klägers Deutsch und Türkisch gesprochen worden. Auch ist er in Anbetracht seines Alters in der Lage, seine Türkischkenntnisse wenn nötig zu vervollkommnen. Bemühungen des Klägers, aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, ergeben sich weder aus den vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren. Vielmehr hat der Kläger nach seiner Aussage in der Berufungsverhandlung z.B. die Zurückstellung vom Wehrdienst in der Türkei erreicht. Zwar kommt eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Die Annahme von besonderen Bindungen an die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland setzt aber eine irreversible Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse voraus, die beim Kläger nicht festgestellt werden kann. Der Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Insbesondere fehlt es an einer dauerhaften Eingliederung in das Berufsleben in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar verfügt der Kläger über einen Hauptschulabschluss (1996) und absolvierte auch erfolgreich die einjährige Berufsfachschule (Elektrotechnik). Eine anschließende Ausbildung als Fahrradmechaniker brach der Kläger bereits nach einem Monat ab. Danach war er arbeitslos, eine Tätigkeit als Lüftungsmonteur übte der Kläger lediglich für zweieinhalb Monate aus. Dann war er in Teilzeit als Spüler in einem Restaurant und anschließend als Maler im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig. Während der bis zum 19.04.2002 andauernden Haft hat der Kläger keine weitere Schulausbildung oder Berufsausbildung durchlaufen. Im Dezember 2002 begann er eine Ausbildung als Maler, die jedoch nach sechs Monaten wiederum endete. Bei einer Zeitarbeitsfirma ist der Kläger seit seiner Haftentlassung nur gelegentlich tätig, sofern diese selbst entsprechende Aufträge hat. Bemühungen des Klägers um einen Ausbildungsplatz waren erfolglos.
43 
Der Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten kommt nach dem EGMR für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung besondere Bedeutung zu. In der Rechtsprechung des EGMR wird hinsichtlich des Gewichts der für eine Ausweisung sprechenden Gründe bei Straftaten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln insbesondere danach unterschieden, ob es um den bloßen Besitz/Gebrauch von Drogen geht oder um den Handel mit Betäubungsmitteln (vgl. z.B. Urt. v. 13.02.2001, InfAuslR 2001, 480, Rn. 34; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53; Urt. v. 19.02.1998, InfAuslR 1998, 201). Auch in Anbetracht der wegen des Fehlens eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem bereits 24 Jahre alten Kläger und seiner Mutter bzw. seinem Bruder geringeren Schutzwürdigkeit des Familienlebens des Klägers im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt dem Umstand, dass er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, maßgebliche Bedeutung zu. Wiederum ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bei diesen Straftaten mit ganz erheblicher krimineller Energie vorgegangen ist. Er hat sich weder von vorherigen Verurteilungen zu Bewährungsstrafen, noch von einer noch ausstehenden Entscheidung über die Einräumung einer Bewährung, noch von einer erstmaligen Verhaftung wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung, die Hinweise auf eine ganz erhebliche Beteiligung am illegalen Drogenhandel ergeben hatte, noch von der ihm bereits im Dezember 1999 im Hinblick auf die bis dahin abgeurteilten Straftaten angedrohten Ausweisung aus dem Bundesgebiet von einer Fortsetzung seiner Drogengeschäfte abhalten lassen. Auch nach seiner Haftentlassung ist dem Kläger bisher insbesondere keine Verbesserung seiner beruflichen Situation gelungen, die Anlass zu der Annahme geben könnte, er werde seine erhebliche kriminelle Energie zurückdrängen und seinen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen können.
44 
c) Auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (BGBl. 1959 II, S. 997, ENA) erweist sich die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig. Danach dürfen Staatsangehörige eines Vertragsstaates, die, wie der Kläger, seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines Vertragsstaates haben, nur aus Gründen der Sicherheit des Staates, oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe besonders schwerwiegend sind, ausgewiesen werden. Im Hinblick auf den für die Ausweisung des Klägers danach erforderlichen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann auf die vorstehenden Ausführungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden. Denn die Voraussetzungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA entsprechen denen der schwerwiegenden Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 262 f.; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338).
45 
Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12. Januar 1927 (RGBl II S. 76), das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei angewendet wird (BGBl II 1952 S. 608), begründet ebenfalls keinen besonderen Ausweisungsschutz. Denn nach dieser Vertragsvorschrift sind Ausweisungen als Einzelmaßnahmen gemäß den Gesetzen der Vertragsstaaten zulässig (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 58 m.w.Nachw.).
46 
d) Die Vorschriften des ARB 1/80 stehen der Ausweisung des Klägers ebenfalls nicht entgegen. Zwar erscheint es sehr zweifelhaft, ob der Kläger die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 erfüllt. Näher liegt die Heranziehung von Art. 7 ARB 1/80. Jedenfalls ist die Ausweisung des Klägers auch nach Maßgabe von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zulässig, wonach der Abschnitt 1 des ARB 1/80 vorbehaltlich der Beschränkungen gilt, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Ausnahme ebenso auszulegen wie die des Art. 39 Abs. 3 EGV (vgl. Urt. v. 10.02.2000, Nazli, NVwZ 2000, 1029, Rn. 56). Danach ist eine Ausweisung zum Zweck der Generalprävention mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 unvereinbar und eine Ausweisung deshalb nur zulässig, wenn das persönliche Verhalten des betreffenden Ausländers auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet und damit eine Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urt. v. 10.02.2000, a.a.O., Rn. 61 ff.; Urt. v. 19.01.1999, Calfa, EuZW 1999, 345, Rn. 22-27). Auch im Hinblick auf diese Grundsätze begegnet die Ausweisung des Klägers keinen rechtlichen Bedenken. Denn diese ist nicht ausschließlich generalpräventiv begründet worden, sondern ist vom Regierungspräsidium in erster Linie im Hinblick auf die berechtigte Annahme verfügt worden, der Kläger werde wegen seiner in den abgeurteilten Taten zum Ausdruck kommenden erheblichen kriminellen Energie weitere Straftaten begehen. Auch insoweit kann auf die Darlegungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden.
47 
Hinsichtlich des nicht übereinstimmend für erledigt erklärten Teils folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Auch die hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens (Abschiebungsandrohung) nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Entscheidung führt zur Kostentragung des Klägers. Denn der Kläger wäre voraussichtlich auch mit seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums unterlegen.
49 
Der nicht zur Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag verpflichtete Senat sieht in Bezug auf die sich hinsichtlich der Richtlinie 64/221/EWG stellenden Fragen von einer Vorlage an den EuGH ab. Die Rechtssache hat aber grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), so dass die Revision zuzulassen ist. Hierdurch wird im Interesse der Einheit der nationalen Rechtsprechung vor der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs ermöglicht.
50 
Die in diesem Urteil enthaltene Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO ist unanfechtbar (§ 158 Abs. 2 VwGO). Im Übrigen gilt folgende

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2004 - 1 K 560/02 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am 10.12.1964 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er als Textilarbeiter erwerbstätig war. Am 10.6.1997 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Am 22.3.1991 schloss der Kläger mit einer französischen Staatsangehörigen die Ehe. Aus dieser Ehe gingen ein (am 20.5.1991 geborener) Sohn und eine (am 3.12.1994 geborene) Tochter hervor. Die Ehefrau und die Kinder des Klägers leben inzwischen in Frankreich.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 psychisch auffällig und ab September/Oktober 1998 gegen seine Ehefrau und gegen seine Kinder gewalttätig. Am 13.10.1998 schlug er sich nackt in der Garage mit einem Gürtel. Daraufhin erfolgte seine erste Einweisung in das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, wo er in der Zeit vom 14.10.1998 bis zum 13.11.1998 stationär aufgenommen wurde. Aus dem Entlassbericht (vom 7.12.1998) ergibt sich die Abschlussdiagnose: „Akute psychogene Psychose mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung (ICD-9:298.4)“. In der Folgezeit wurde der Kläger medikamentös behandelt. Im November 1999 lehnte er eine weitere Medikation mit einem Neuroleptikum ab und setzte seine Medikamente ab, wodurch sich eine psychische Dekompensation anbahnte. Nachdem er in der Öffentlichkeit auffällig geworden war, indem er seine Ehefrau (auf einem Friedhof) misshandelt hatte, erfolgte sein zweiter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 15.11.1999 bis zum 19.11.1999 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 25.11.1999 -: „Anpassungsstörung vorwiegend im Sozialverhalten [ICD-9 309.3] mit aggressivem Verhalten gegenüber der Ehefrau nach bekannter psychotischer Episode mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung im Oktober 1998“; als Differentialdiagnose wurde eine „gereizte manische Episode“ erwogen). Nachdem der Kläger am 20.11.1999 in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, indem er ungebremst auf einen gut beleuchteten Anhänger aufgefahren war, erfolgte sein dritter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 22.11.1999 bis zum 1.2.2000 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 14.2.2000 -: „Schizoaffektive Psychose, depressive Phase [ICD-10 F 25.1]“). Als Abschlussbefund wurde in dem Entlassbericht mitgeteilt: „Bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Kontakt offen. Kein Anhalt für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Einfach strukturiert, Auffassung ausreichend. Geringe Umstellfähigkeit, im sozialen Verhalten fordernd, oft ungeschickt wirkend. Affekt unausgeglichen, Stimmung depressiv, gereizt, z.T. gespannt, auch nachdenklich und ratlos. Er erscheint mit den Anforderungen des Alltagslebens rasch überfordert. Traditionell männliche Einstellung. Keine Suizidalität.“ Im Dezember 1999 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt (Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung).
Als der Kläger am 24.7.2000 mit seiner Ehefrau in der Küche beim Kaffeetrinken saß, zog er plötzlich und unvermittelt aus einem Messerblock ein großes, spitz zulaufendes Küchenmesser (Klingenlänge 19,7 cm, Breite 4 cm) und stach seiner Ehefrau zweimal wenigstens je ca. 15 cm und maximal je ca. 30 cm tief in den linken Ober- und den rechten Unterbauch, um sie in einem Wahn aus Eifersucht und Wut zu töten. Er lebte in der Wahnvorstellung, seine Frau betrüge ihn mit anderen Männern und sei für seinen psychischen Zustand verantwortlich, da sie ihn verhext habe. Nachdem die Ehefrau des Klägers bis zur Wohnungstür geflüchtet war, versetzte ihr der Kläger von hinten vier, mit großer Kraft geführte, ca. 15 cm tiefe Stiche in den Hals, wodurch die harte, knöcherne Halswirbelsäule erheblich verletzt wurde; es erfolgte eine weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes sowie eine Speiseröhrenverletzung. Nach dem letzten Stich ließ der Kläger das Messer im Hals seiner Frau stecken und verließ die Wohnung. Gegenüber herbeigeeilten Nachbarinnen erklärte der Kläger: „Holet die Polizei, ich hab meine Frau tot gemacht“ und „Frau kaputt gemacht, Hure“. Durch die Tat erlitt die Ehefrau des Klägers schwerste Stichverletzungen im Hals- und Abdominalbereich. Die weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes verursachte eine hohe Querschnittslähmung, welche nicht nur zu einer Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraplegie) führte, sondern auch die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft zog. Wäre das Helikopterrettungsteam, das die Ehefrau des Klägers in eine Klinik nach Zürich brachte, einige Minuten später eingetroffen, hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ihre Ernährung findet über eine Sonde direkt durch die Bauchwand in den Magen und die Beatmung größtenteils mit Hilfe eine Beatmungsgeräts über eine Trachealkanüle statt.
Diese Feststellungen des Geschehens ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 20.9.2001, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Die Schwurgerichtskammer stellte fest, dass der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen hat. Der Kläger habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden, in dem seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer endogenen Psychose, aufgehoben gewesen sei. Dabei sei die endogene Psychose entweder als schizophrene Erkrankung oder als schizoaffektive Psychose einzuordnen. Die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zeichne sich bei dem genetisch vorbelasteten Kläger durch einen Eifersuchts- und Beeinträchtigungswahn aus. Ohne medikamentöse Behandlung leide der Kläger unter akustischen Halluzinationen in Form von kommentierenden und imperativen Stimmen. Ohne die gebotene stationäre psychiatrische Behandlung sei bei einem Wiederaufleben der Psychose mit einer weiteren aggressiven Entgleisung des Klägers und daher mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen. Er sei damit als für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 63 StGB anzusehen. Günstig für den Kläger sei zwar zu werten, dass er sich unter der jeweils verordneten neuroleptischen Medikation schnell von seinen Wahnideen und Halluzinationen habe distanzieren können und die bei ihm diagnostizierte endogene Psychose zumindest eine gewisse Nähe zu den sogenannten schizoaffektiven Psychosen aufweise, bei denen eine signifikant günstigere Langzeitprognose als bei den übrigen Schizophrenien festzustellen sei. Im Ergebnis müsse die Langzeitprognose für den Kläger jedoch ungünstig ausfallen. Er zeige zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, indem er eingestehe, unter einer Psychose zu leiden. Andererseits beteilige er sich in keiner Weise an seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau; es sei bisher lediglich seine medikamentöse Ruhigstellung gelungen. Die Allgemeingefährlichkeit des Klägers lasse sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt verneinen, dass sich die Anlasstat nur gegen eine bestimmte Person - seine Ehefrau - gerichtet habe. Es handle sich nämlich gerade nicht um eine reine Affekttat, die Tat sei vielmehr wahnhaft motiviert gewesen. Der Kläger habe in der Vergangenheit Veränderungen an sich wahrgenommen und sie auf die Annahme zurückgeführt, seine Frau habe ihn verhext. Der - vom Strafgericht beauftragte - Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen eines - bei einer jetzigen Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wahrscheinlichen - neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich machen werde und sich seine Aggressionen im folgenden dann gegen diese Person richten würden. In 85 bis 90 Prozent handle es sich bei diesen Personen um engste Familienangehörige, so dass vor allem die Familie des Klägers in Italien und seine Kinder in Frankreich in Betracht kämen. Für die zu treffende Prognose stelle es sich weiter als ungünstig dar, dass der Kläger seinen Wahn nicht als für ihn lebensbedrohlich empfunden habe. Unter diesem Gesichtspunkt komme den in ihrer Wucht mit Vernichtungswillen geführten Stichen in den Halsbereich der Verletzten für die Bewertung der künftigen Allgemeingefährlichkeit des Klägers eine signifikante Bedeutung zu. Der Kläger habe sich durch die Tötung seiner Ehefrau nicht einer in seinem Wahn als lebensbedrohlich eingestuften Situation erwehren, sondern vor allem seiner Ehefrau die Kränkung heimzahlen wollen, die sie ihm durch wahnhaft angenommene Intimverhältnisse zu anderen Männern zugefügt habe. Eine kritische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Tat sei nur eingeschränkt festzustellen.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Verfügung vom 7.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - aus dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung nach Italien an, die nicht vor einem Monat nach Bekanntgabe der Verfügung erfolgen dürfe; zugleich wurde die Abschiebung aus dem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diese Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, es lägen die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG vor. Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze, sei er den in § 48 Abs. 1 AuslG genannten Personen gleichgestellt. Sein Fehlverhalten stelle jedoch einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund in dem dafür erforderlichen Sinne dar. Die Ausübung des Ermessens führe in seinem Fall zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Der in § 2 Abs. 2 AuslG geregelte Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts und das Aufenthaltsgesetz/EWG stünden der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Der vom Kläger gegen diese Verfügung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 16.1.2004 stattgegeben und die Verfügung vom 7.3.2002 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 AuslG erfüllt, da vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr ausgehe, dass er krankheitsbedingt erneut in einem erheblichen Maße gegenüber Dritten gewalttätig werde. Die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auf Grund des Urteils des Landgerichts Waldshut-Tiengen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, da diese freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung die Möglichkeiten der Ordnungsbehörden nicht verdränge, den Betroffenen auszuweisen und somit die der Unterbringung zugrunde liegende Gefahr für die Allgemeinheit sowie die Verantwortlichkeit für deren Bekämpfung in den Heimatstaat des Ausländers zu verlagern. Allerdings stehe der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung des Klägers die Regelung des Art. 4 der Richtlinie 64/221/EWG entgegen. Die beim Kläger gegebene endogene Psychose sei eine Krankheit, die im Anhang  B der Richtlinie  aufgeführt sei. Diese Krankheit könne seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen, da sie lange nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Kläger aufgetreten sei. Dies schließe auch aus, ihn wegen der krankheitsbedingten Gefahr wahngesteuerter aggressiver Verhaltensweisen gegenüber Dritten auszuweisen. Denn den in Anhang B der Richtlinie 64/221/EWG genannten Krankheiten sei es immanent, dass sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht durch ihr bloßes Auftreten gefährden, sondern immer nur durch ein krankheitsbedingtes weiteres Verhalten des Betroffenen. Eine Ausweisung nach Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei zumindest in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die vom Unionsbürger ausgehenden Gefahren ausschließlich auf seine Krankheit zurückgeführt werden können, weil die Handlungen - wie im Fall des Klägers - in einem solchen Maße durch die psychische Krankheit bedingt seien, dass es sogar an einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für diese mangle. Die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei auch unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Es werde offen gelassen, ob die Ausweisung des Klägers auch in formeller Hinsicht wegen des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG rechtswidrig sei. Gerade der Fall des Klägers zeige, dass der Ausländerbehörde noch ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei, der im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht vollständig überprüft werden könne. Da sich die Ausweisungsentscheidung als rechtswidrig darstelle, seien auch die Abschiebungsandrohung und die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter - hat in diesem Urteil die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage nach der Ausschlusswirkung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG bei krankheitsbedingten Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit habe grundsätzliche Bedeutung.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 22.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17.2.2004 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12.3.2004, eingegangen am 16.3.2004, eine Begründung dazu vorgelegt.
10 
Der Beklagte trägt vor, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung sei unzutreffend. Aus den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG, die mit § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden seien, ergebe sich, dass die dort aufgeführten Krankheiten nicht mehr zur Grundlage einer auf Entfernung aus dem Bundesgebiet gerichteten ausländerrechtlichen Maßnahme gemacht werden könnten, wenn sie erst aufträten, nachdem der Ausländer die Erlaubnis für seinen Aufenthalt erhalten habe. Die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG und von § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG schlössen jedoch nicht aus, dass Personen, die an den dort genannten Krankheiten leiden, aus anderen Gründen ausgewiesen werden könnten. Der Kläger sei nicht deshalb ausgewiesen worden, weil er an einer Psychose leide, sondern weil er einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen habe und die konkrete Gefahr bestehe, dass er auch in Zukunft Gewalttaten begehen werde.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.1.2004 - 1 K 560/02 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor: Das bloße Leiden an einer Krankheit allein könne niemals die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einer Weise gefährden, die eine Ausweisung rechtfertige. Art. 4 der Richtlinie betreffe nur die Fälle, in denen die vom Ausländer ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar auf seine Krankheit zurückgeführt werden könnten. Dies sei hier eindeutig der Fall.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08. Oktober 2002 - 5 K 4277/01 - ist insoweit, d.h. hinsichtlich der Ziff. 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001 (Abschiebungsandrohung), unwirksam.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart, soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt haben, geändert. Die Klage wird, soweit sie nach den Erledigungserklärungen noch anhängig ist, abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und die Abschiebungsandrohung.
Der am 12.08.1979 in Berlin geborene ledige Kläger besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Seine Schulausbildung schloss der Kläger mit dem Hauptschulabschluss ab. Anschließend besuchte er eine Fachschule für Nachrichtentechnik, die er nach einem Jahr mit einem Abgangszeugnis verließ. Im Jahre 1998 begann der Kläger mit einer Ausbildung zum Fahrradmechaniker, die er aber bereits nach einem Monat wieder abbrach. Anschließend war er arbeitslos, eine im September 1999 begonnene Tätigkeit als Lüftungsmonteur übte er lediglich für zweieinhalb Monate aus. Dann war er in Teilzeit als Spüler in einem Restaurant und schließlich als Maler im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig. Der Vater des Klägers ist im Jahr 1995 verstorben. Am 15.08.1995 erteilte das Landeseinwohneramt Berlin dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Im Sommer 1999 verließ der Kläger mit dem Ziel, sein Leben in einer neuen Umgebung zu stabilisieren, die Wohnung seiner Mutter in Berlin und lebte für mehrere Monate bei seiner Tante in Stuttgart. Ende 1999 zogen auch seine Mutter und sein Bruder nach Stuttgart und lebten wieder mit dem Kläger in einer Wohnung zusammen.
Strafrechtlich trat der Kläger wie folgt in Erscheinung:
1. Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - Berlin-Tiergarten vom 08.12.1997: 3 Tage Jugendarrest wegen Körperverletzung;
2. Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 27.07.1998: Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15 DM wegen Diebstahls geringwertiger Sachen;
3. Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - Tiergarten vom 14.12.1998: Jugendstrafe von 6 Monaten wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, wobei die Vollstreckung der Strafe auf 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde;
4. Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Tiergarten vom 19.05.1999: Jugendstrafe von 18 Monaten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in 6 Fällen, davon in einem Fall lediglich versucht, unter Einbeziehung von Ziff. 4); die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung wurde zunächst für die Dauer von 6 Monaten zurückgestellt und schließlich mit Beschluss vom 28.03.2000 gewährt;
5. Urteil des Amtsgerichts Stuttgart - Jugendschöffengericht - vom 14.09.2000: Unter Einbeziehung des Urteils vom 19.05.1999 Jugendstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen. Die vom Kläger gegen dieses Urteil eingelegte Berufung verwarf das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 09.01.2001. Tattage waren der 05.02. und der 14.02.2000.
Mit Schreiben vom 20.12.1999 setzte die Stadt Stuttgart den Kläger davon in Kenntnis, dass im Hinblick auf die von ihm begangenen Straftaten seine Ausweisung geprüft werde, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.
10 
Am 29.11.2000 wurde der Kläger von der Polizei einer Personenkontrolle unterzogen. Bei ihm wurden 1,9 Gramm Marihuana gefunden, welches er in einem in seiner Unterhose versteckten Tütchen bei sich führte.
11 
Am 09.04.2001 trat der Kläger seine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim an. Am 19.04.2002 wurde der Kläger aus der Haft wieder entlassen.
12 
Mit Schreiben vom 24.09.2001 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger darauf hin, dass im Hinblick auf seine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz seine Ausweisung in Betracht komme, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Im Hinblick auf die angekündigte Ausweisung machte der Kläger geltend, dass er erstmals wegen Betäubungsmitteldelikten verurteilt worden sei und es sich zudem um die weiche Droge Marihuana gehandelt habe. Angesichts der Verurteilung von weit unter zwei Jahren sei eine Ausweisung unverhältnismäßig.
13 
Mit Verfügung vom 01.10.2001 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus dem Bundesgebiet unter Anordnung des Sofortvollzugs aus und drohte ihm ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Zur Begründung wies das Regierungspräsidium darauf hin, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG erfülle. Er genieße jedoch besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG. Der geahndete Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz stelle einen schwerwiegenden Ausweisungsanlass dar. Auch das Strafgericht sei von einer denkbar ungünstigen Zukunftsprognose ausgegangen. Angesichts des Umstandes, dass sich der Kläger auch durch zwei Bewährungsappelle nicht von der Begehung weiterer Straftaten habe abhalten lassen, sei auch in Zukunft mit weiteren Straftaten zu rechnen. Auch sei die Ausweisung aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Stützung der Ausweisung auf generalpräventive Gründe sei auch nicht nach den Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 unzulässig. Die Ausweisung des Klägers sei auch aus spezialpräventiven Erwägungen erfolgt. Er habe zum Zeitpunkt seines Haftantritts in einem Arbeitsverhältnis gestanden; das von der Sozialberatung getragene Beschäftigungsprojekt habe aber noch nicht die für eine diesbezügliche Rechtsposition erforderliche Eingliederung in den vorhandenen Arbeitsmarkt vermittelt. Nach § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG werde die Regelausweisung zu einer Ermessensausweisung herabgestuft. Das öffentliche Interesse an einer Ausweisung des Klägers gehe aber seinem privaten Interesse an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet vor. Der Kläger habe durch sein strafrechtlich relevantes Verhalten gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich künftig straffrei zu führen. Auch habe sich der Kläger nicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert. Weder im gesellschaftlichen noch im sozialen Bereich noch in beruflicher Hinsicht habe der Kläger Fuß gefasst. Auch ein Ortswechsel von Berlin nach Stuttgart habe nicht zu einer Verbesserung geführt. Er habe weder eine Berufsausbildung zu Ende gebracht noch sei er kontinuierlich einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Als Angehöriger der zweiten Generation von im Bundesgebiet lebenden Ausländern sei er wohl zweisprachig aufgewachsen. Dadurch seien ihm die kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Heimatlandes nicht gänzlich fremd. Auch sei ihm angesichts seines Alters ein Neubeginn in seinem Heimatland möglich. Das Zusammenleben mit seiner Mutter und seinem Bruder in familiärer Lebensgemeinschaft habe ihn nicht von Straftaten abgehalten. Art. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens stehe der Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Vor seiner Inhaftierung sei der Kläger zwar im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig gewesen. Diese Rechtsposition im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 habe er durch seine Inhaftierung wieder verloren. Auch sei eine Berufung auf Art. 6 ARB 1/80 ausgeschlossen, wenn Art. 14 ARB 1/80 eingreife. Die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet habe aber ordnungsrechtlichen Charakter. Deshalb könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen der Privilegierung in Art. 6 und 7 ARB 1/80 erfülle. Die Ausweisung sei auch nicht nach Art. 8 EMRK unzulässig. Die im Ausländergesetz eröffnete Möglichkeit der Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen erfülle die Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Durch die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung erlösche die ihm erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Damit sei der Kläger auch vollziehbar ausreisepflichtig. Da der Kläger in Strafhaft einsitze, bedürfe es nach § 50 Abs. 5 AuslG keiner Fristsetzung.
14 
Am 31.10.2001 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Er habe in der Türkei keine Verwandten mehr. Seine Mutter lebe seit 23 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, sein Vater sei 1995 verstorben. Auch seine Geschwister lebten im Bundesgebiet. Sein Heimatland sei die Bundesrepublik Deutschland und nicht die Türkei. Eine Rückkehr in die Türkei habe für ihn irreversible Folgen. Auch habe seine Familie in der Türkei ihr gesamtes Hab und Gut verkauft. Aus § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG sei zu schließen, dass in den Fällen des § 47 Abs. 2 AuslG nur unter ganz bestimmten Umständen von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden könne. Es sei zu berücksichtigen, dass er nicht mit gefährlichen Drogen wie Kokain oder Heroin, sondern mit der weitaus weniger gefährlichen Droge Haschisch in Berührung gekommen sei.
15 
Mit Beschluss vom 19.03.2002 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart (Az. 5 K 4278/01) die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Ausweisung wieder hergestellt und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung angeordnet.
16 
Zur Begründung des Antrags auf Klageabweisung hat der Beklagte vorgetragen, dass mit weiteren Straftaten des Klägers zu rechnen sei. Der Kläger sei bereits mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ohne dass ihn vom Gericht ausgesprochene Bewährungsstrafen letztendlich von neuerlichen Straftaten hätten abhalten können. Dementsprechend bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr.
17 
Mit Urteil vom 08.10.2002 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001 aufgehoben. Zur Begründung des Urteils hat es ausgeführt: Die Ausweisung des Klägers sei wegen Verstoßes gegen Art. 8 EMRK rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Aus dem Inhalt der Akten und dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger faktisch zum Inländer geworden sei, den mit der Türkei außer der Staatsangehörigkeit nichts mehr verbinde. Zwar sei davon auszugehen, dass dem Kläger aufgrund des Zusammenlebens mit seinen Eltern und Geschwistern gewisse soziale und kulturelle Beziehungen zur Türkei vermittelt worden seien. Diese Einflüsse seien aber in der Bundesrepublik deutlich in den Hintergrund gedrängt worden. Eine Übersetzung in das Türkische sei ihm nur bei einfacheren Wörtern möglich gewesen. Die Prägung als faktischer Inländer ergebe sich auch aus seinem intensiven Kontakt im Alter von 11 bis 12 Jahren zu einer deutschen Nachbarin und Arbeitskollegin seiner Mutter sowie deren Sohn in Berlin. Diese Nachbarin sei für den Kläger in der Zeit, in der sich seine Eltern getrennt hätten, eine Ersatzmutter gewesen. Auch sei er außerhalb des häuslichen Bereichs vielfältigen deutschen Einflüssen ausgesetzt gewesen. Die Türkei habe der Kläger lediglich als Urlaubsland während seiner Kindheit kennen gelernt. In der Türkei lebten keine Verwandten des Klägers mehr. Der Kläger sei daher in einem Ausmaß faktisch zum Inländer geworden, dass ihm von vornherein der Weggang aus der Bundesrepublik Deutschland und der Verbleib in der Türkei unzumutbar und daher unverhältnismäßig seien. Sei die Ausweisung rechtswidrig, so sei auch die Abschiebungsandrohung aufzuheben.
18 
Mit Beschluss vom 21.07.2003 hat der Senat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zugelassen. Im Hinblick auf die am 19.04.2002 erfolgte Entlassung des Klägers aus der Strafhaft haben die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache hinsichtlich der in der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001 in Ziff. 3 ausgesprochenen Abschiebungsandrohung übereinstimmend für erledigt erklärt.
19 
Mit am 04.08.2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08.10.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat der Beklagte auf die Ausführungen im Antrag auf Zulassung der Berufung verwiesen.
20 
Der Beklagte beantragt,
21 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 08. Oktober 2002 - 5 K 4277/01 -, soweit die Hauptsache nicht für erledigt erklärt worden ist, zu ändern und die Klage, soweit sie nach den Erledigungserklärungen noch anhängig ist, abzuweisen.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen, soweit das Verfahren in der Hauptsache nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen noch anhängig ist.
24 
Entgegen der Annahme des Beklagten habe er im Jahr 1996 einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Dieser sei jedoch wegen der langen Verfahrensdauer abgelehnt worden, weil er nach Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis Jugendverfehlungen begangen habe. Der Beklagte verkenne, dass er bereits als Kind wesentlich mehr Kontakt zu Deutschen gehabt habe als dies bei vergleichbaren türkischen Staatsangehörigen der zweiten und dritten Generation üblicherweise der Fall sei. Insbesondere habe eine sehr intensive Beziehung zu seiner deutschen "Ersatzmutter" bestanden, die ihn wie einen Sohn betreut habe. Im Ergebnis sei er wegen seiner Beziehungen zu Deutschen ein faktischer Inländer. Nach dem Urteil vom 14.09.2000 habe er keine Straftaten mehr begangen. Die Straftaten habe er sämtlich als Jugendlicher oder Heranwachsender und damit in einer Zeit der Orientierung begangen. Mittlerweile habe er sich jedoch weiterentwickelt und erkennbar stabilisiert. Das Urteil des Verwaltungsgericht Stuttgart entspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK. Im Übrigen verweist der Kläger auf die Begründung des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts und seine Ausführungen im Verfahren auf Zulassung der Berufung.
25 
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, auf die Akten des Verwaltungsgerichts des Klageverfahrens sowie des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, auf die Ausländerakte sowie auf die Akte des Ausweisungsverfahrens verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
26 
A) Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben (Abschiebungsandrohung, Ziff. 3 der Verfügung vom 01.10.2001), war das Verfahren nach § 125 Abs. 1 Satz 1 und dem entsprechend anzuwendenden § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit für unwirksam zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO analog) und nur noch über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO).
B)
27 
I) Soweit keine Teilerledigung eingetreten ist, ist die vom Senat zugelassene Berufung des Beklagten zulässig.
28 
Der Berufungsschriftsatz des Beklagten vom 01.08.2003 enthält einen bestimmten Antrag (§ 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die Berufungsbegründung genügt auch den inhaltlichen Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Denn die Berufungsbegründung bezeichnet durch die zulässige Bezugnahme auf den Berufungszulassungsantrag mehrere entscheidungserhebliche Fragen und macht hierzu eine von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.06.1998 - 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117; Beschluss vom 23.09.1999 - 9 B 372.99 -, NVwZ 2000, 67).
29 
II) Die zulässige Berufung des Beklagten ist auch begründet.
30 
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht Ziff. 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001, durch die der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, aufgehoben. Denn die Klage des Klägers ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Ziff. 1 der Verfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31 
1) In formeller Hinsicht ist die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums nicht zu beanstanden.
32 
a) Das Regierungspräsidium Stuttgart war zur Entscheidung über die Ausweisung des Klägers zuständig, da sich der Kläger zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung auf richterliche Anordnung in Strafhaft befand (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO). Wegen der Zuständigkeit des Regierungspräsidiums war nach § 6a Satz 1 AGVwGO auch die Durchführung eines Vorverfahrens ausgeschlossen (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Vor Erlass der angefochtenen Verfügung ist der Kläger entsprechend § 28 LVwVfG angehört worden.
33 
b) Ob die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, der türkischen Staatsangehörigen gegen eine Ausweisungsverfügung in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet ist, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zukommt, insbesondere den Anforderungen des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, genügt (vgl. zu dieser Frage in Bezug auf einen italienischen Staatsangehörigen, VGH Baden-Württemberg, Urt. v.28.11.2002 - 11 S 1270/02 -), kann hier dahingestellt bleiben. Denn die Richtlinie 64/221/EWG ist auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar. Mit Beschluss vom 18.03.2003 hat der Österreichische Verwaltungsgerichtshof (Zlen. EU 2003/0001, 0002-1-99/21/0018, 2002/21/0067,      und InfAuslR 2003, 217) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Art. 234 EGV zwar die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die Rechte nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 genießen. Nach Ansicht des Senats, der nicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV zur Vorlage verpflichtet ist, kommt aber eine Anwendung von Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 57, zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 und Art. 7 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige).
34 
Die auf Bestimmungen des früheren EWG-Vertrages gestützte Richtlinie gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbstständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen. Ziel der Richtlinie ist es, eine möglichst effektive Wahrnehmung der Grundfreiheiten - Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit - durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und deren Ehegatten und Familienmitglieder zu gewährleisten. Zu diesem Zweck will die Richtlinie z.B. im Bereich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigten Maßnahmen koordinieren, um deren Anwendung mit dem fundamentalen Grundsatz der Freizügigkeit in der Gemeinschaft und mit der Beseitigung jeglicher Diskriminierung zwischen eigenen Staatsangehörigen und den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Vertrages in Einklang zu bringen (vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.1975, Rs. C-67/74, Slg. 297, Rn. 5; Urt. v. 27.10.1977, Rs. C-30/77, Slg. 1999, Rn. 15; Urt. v. 09.11.2000, Rs. C-357/98, Slg. I-9265, Rn. 27). Für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die im EG-Vertrag geregelten Grundfreiheiten, deren Verwirklichung Hauptzweck des EG-Vertrages ist, aber unmittelbar und nicht vorbehaltlich einer Vereinbarung der Vertragsstaaten über ihre Anwendbarkeit. Demgegenüber können sich türkische Staatsangehörige vor Behörden eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gerade nicht unmittelbar auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages berufen. Vielmehr erfolgt die schrittweise Herstellung der Grundfreiheit bzw. die schrittweise Beseitigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten nach Maßgabe der hierfür von einem gesonderten Assoziationsrat festgelegten Regeln. In Art. 12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II S. 509) haben die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Republik Türkei vereinbart, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. In Art. 13 und 14 dieses Abkommens finden sich vergleichbare Vereinbarungen hinsichtlich der Aufhebung von Beschränkungen für die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. In Art. 36 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II S. 385 ) ist z.B. hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer bestimmt, dass diese Grundfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des genannten Abkommens schrittweise hergestellt wird und der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln festlegt (vgl. z.B. ARB vom 20.12.1976, 2/76; ARB vom 19.09.1980, 1/80). Sowohl zum Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001 als auch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung war der Kläger weder selbständig tätig (vgl. Art. 43 EGV), noch machte er durch seinen seit 1979 andauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland von der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 49 EGV Gebrauch. Es ist anerkannt, dass die Dienstleistungsfreiheit mangels Auslandsbezugs nicht denjenigen Angehörigen eines Mitgliedstaates erfasst, der, wie der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat geboren ist und dort seinen Hauptaufenthalt nimmt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu empfangen (EuGH, Urt. v. 05.10.1988, Rs. C-196/87, Steymann, Slg. 1988, 6159, Rn. 17; Urt. v. 17.06.1997, Rs. C-70/95, Sodemare, Slg. I-3395, 3435 f., Rn. 38 m.w.Nachw.). Dieser vom EuGH zur Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit im Sinne des EG-Vertrages entwickelte Grundsatz kann auch für die Bestimmungen des Assoziationsrechts herangezogen werden. Für den Kläger kommt deshalb wegen seiner Erwerbstätigkeiten vor und nach seiner Inhaftierung allein die Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Betracht. Nach dem derzeitigen Stand genießen türkische Staatsangehörige aber keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern haben im jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat lediglich bestimmte Rechte, sofern die Voraussetzungen von Art. 6 oder 7 des ARB 1/80 erfüllt sind (vgl. EuGH, Urt. v. 30.09.1997, Rs. C-36/96, Günyadin, InfAuslR 1997, 440, Rn. 21 f. m.w.Nachw.). Erfolgt die Herstellung einer Grundfreiheit bzw. die Beseitigung von Beschränkungen einer Grundfreiheit im Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und Behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ungeachtet des Ablaufs der in Art. 36 des Zusatzprotokolls genannten Frist allein nach Maßgabe von Beschlüssen eines besonderen Gremiums (Assoziationsrat), so ist es ausgeschlossen, ohne ausdrückliche Willenskundgebung dieses über die Schritte zur vollständigen Verwirklichung der Grundfreiheiten allein entscheidenden Gremiums sekundärrechtliche Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die der effektiven Wahrnehmung der unmittelbar geltenden Grundfreiheiten durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten dienen, auf das Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden. Zwar leitet der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Art. 12 des Assoziierungsabkommens und des Art. 36 des Zusatzprotokolls sowie aus dem Zweck des ARB 1/80 her, dass die im Rahmen des Art. 39 ff. EGV geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 54 m.w.Nachw.). Dies gilt aber für die in der Rechtsprechung des EuGH erarbeiteten allgemeinen Grundsätze z.B. zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung von Grundfreiheiten und nicht für besondere prozessuale Rechte, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Interesse der möglichst effektiven Verwirklichung der ihnen unmittelbar zustehenden Grundfreiheiten erst durch besondere sekundärrechtliche Vorschriften, hier die Richtlinie 64/221/EWG, eingeräumt worden sind. So wendet der EuGH z.B. die von ihm entwickelten Grundsätze zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung der Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 39 Abs. 3 EGV auch auf die Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen an, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 56). Dieses Vorgehen ist aber allein im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass die in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung nahezu denselben Wortlaut hat wie Art. 39 Abs. 3 EGV. Für den Bereich der in der Richtlinie 64/221/EWG geregelten besonderen prozessualen Rechte, die der effektiven Wahrnehmung der Grundfreiheiten durch die Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union dienen, findet sich aber gerade keine Entscheidung des Assoziationsrates, die eine Gleichstellung von Unionsangehörigen und türkischen Staatsangehörigen gestattet.
35 
2) Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht erweist sich die Ausweisung als rechtmäßig.
36 
a) Nach innerstaatlichem Ausländerrecht ist die Ausweisung nicht zu beanstanden.
37 
Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung der Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, Beschl. v. 17.01.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137 f.; Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, 251), hier der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001. Nachträglich eingetretene Umstände können im Rahmen der Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338, 342 m.w.Nachw.).
38 
Durch das Verhalten, das den Gegenstand des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.2001 bildet (Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten), erfüllt der Kläger die Voraussetzungen der Regel-Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Da der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, genießt er besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG, wonach ein Ausländer nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Derartige Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor einer Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung aus spezialpräventiven Zwecken sind erforderlich ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 253 f.; Urt. v. 28.01.1997 - 1 C 17.94 -, NVwZ 1997, 1119; Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338). Die Ausweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums genügt diesen Anforderungen. Denn die Straftaten des Klägers nach dem Betäubungsmittelgesetz bilden einen ausreichenden Ausweisungsanlass. Das mit dem Urteil des Landgerichts vom 09.01.2001 geahndete strafrechtliche Verhalten ist schwerwiegend. Aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart ist zu entnehmen, dass der Kläger spätestens im September 1999 erstmals mit Cannabis in Kontakt geraten war. Er konsumierte dieses Rauschgift in einem Maße, dass sich bei ausbleibendem Konsum allmählich Schlafprobleme einstellten. Er setzte den Drogenkonsum auch fort, nachdem seine Mutter ebenfalls nach Stuttgart verzogen war und wieder mit dem Kläger zusammen lebte. In nicht unerheblichem Umfang beteiligte sich der Kläger am Straßenhandel mit Cannabis. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 führte der Kläger bei seiner ersten Verhaftung am 05.02.2000 sieben Kanten Haschisch mit insgesamt 18,4 Gramm (netto) bei sich. Bei der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung wurden 54 kleine Tütchen mit Marihuanablatt-Aufdruck gefunden, die nach der - auch vom Senat geteilten - Einschätzung des Amtsgerichts Stuttgart als Verpackungsmaterial für Rauschgift dienen sollten. Trotz dieser ersten Verhaftung und der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung, bei der die zur Aufbewahrung von Rauschgift dienenden Tütchen gefunden worden waren, setzte der Kläger den Straßenhandel mit Cannabis fort. Denn nur neun Tage später versuchte der Kläger wiederum in Stuttgart 2,8 Gramm (netto) Haschisch an eine verdeckt arbeitende Polizeibeamtin zu verkaufen. Diese Betäubungsmitteldelikte können auch nicht durch den Hinweis auf das jugendliche Alter des Täters relativiert werden. Denn der Kläger war zum Zeitpunkt dieser beiden Taten bereits 20 ½ Jahre alt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger diese beiden Straftaten noch in der sogenannten Vorbewährungszeit beging. Im vorangegangenen Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 19.05.1999, durch das der Kläger wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in sechs Fällen, davon in einem Fall lediglich versucht, unter Einbeziehung einer vorherigen Strafe wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt worden war, war dem Kläger noch keine Bewährung gewährt worden. Strafaussetzung zur Bewährung erhielt er erst im Beschluss vom 28.03.2000, wobei dem Amtsgericht Tiergarten die beiden Betäubungsmitteldelikte vom Februar 2000 nicht bekannt waren. Zum Nachteil des Klägers ist auch die im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.20001 getroffene tatsächliche Feststellung zu werten, dass der Kläger in der Nacht zum 29.11.2000 - und damit nur zwei Monate nach dem die Bewährung versagenden Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 - von der Polizei im Stadtgebiet von Stuttgart mit 1,9 Gramm Marihuana angetroffen wurde, welches er in einem in seiner Unterhose versteckten Tütchen bei sich führte. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Kläger auch von einer im Schreiben der Stadt Stuttgart vom 20.12.1999 im Hinblick auf seine bis dahin begangenen Straftaten enthaltenen Androhung der Ausweisung nicht von der Begehung der gravierenden Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz hat abhalten lassen. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Ausweisungsverfügung bestand auch die ernsthafte, nicht nur entfernte Möglichkeit erneuter gravierender Verfehlungen des Klägers. Der Kläger hatte noch nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 14.09.2000 Kontakt zu illegalen Betäubungsmitteln. Auch hatte sich der Kläger durch mehrere Bewährungsstrafen nicht von der Begehung weiterer, erheblicher Straftaten abhalten lassen. Dies rechtfertigte die Einschätzung, dass der Kläger ein großes kriminelles Potential besaß. Der Kläger verfügte auch nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung, die Anlass für die Erwartung bot, er könne seinen notwendigen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen. Obwohl die Wertungen der Strafgerichte hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr für die Ausländerbehörden nicht bindend sind, ist im Hinblick auf die hier anzustellende Vorhersage auch zu beachten, dass sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Stuttgart in ihren Urteilen von einer sehr ungünstigen Prognose ausgegangen sind.
39 
Infolge des besonderen Ausweisungsschutzes wird die Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu einer Ausweisung nach Ermessen herabgestuft (§ 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG). Die Ausführungen in der Verfügung lassen aber einen Ermessensfehler (§ 40 LVwVfG) nicht erkennen. Das Regierungspräsidium hat insbesondere die für einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte (§ 45 Abs. 2 AuslG), wie z.B. die Geburt und seinen ständigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, die fehlenden engen Beziehungen zur Türkei, die zu erwartenden Schwierigkeiten nach einer zwangsweisen Rückkehr in die Türkei und das Zusammenleben mit seiner Mutter und seinem Bruder in familiärer Lebensgemeinschaft, in die Ermessensentscheidung eingestellt. Diesen Gesichtspunkten hat das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten des Klägers im Bundesgebiet (Spezialprävention) gegenübergestellt. Dass das Regierungspräsidium zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Verfügung von einem Überwiegen der für eine Ausweisung des Klägers sprechenden öffentlichen Interessen ausgegangen ist, kann auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beanstandet werden.
40 
b) Im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als rechtmäßig.
41 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, der in der Bundesrepublik Deutschland infolge des Zustimmungsgesetzes im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt und an dem Ausweisungen nach §§ 45 ff. AuslG gemessen werden müssen, hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen (§ 47 Abs. 2 Nr. 2, § 48 Abs.1, § 47 Abs. 3 Satz 2 und § 45 AuslG). Sie dient auch dem berechtigten Ziel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, notwendig in einer demokratischen Gesellschaft sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein (vgl. EGMR, Urt. v. 27.09.1999, NJW 2000, 2089, 2092, Rn. 87; Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 128, Rn. 41 m.w.Nachw.). Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung, sondern auf den Zeitpunkt an, in dem diese Verfügung vom Gericht bestätigt wird (vgl. Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 127, Rn. 34 f m.w.Nachw., Rn. 44; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53, Rn. 36). Auch im Hinblick auf diesen Zeitpunkt erweist sich die Ausweisung als verhältnismäßig.
42 
Der inzwischen 24 Jahre alte Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Seit seiner Haftentlassung am 19.04.2002 lebt der Kläger wieder bei seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder. Vom EGMR wird der Begriff des Familienlebens in Art. 8 Abs. 1 EMRK außerordentlich weit verstanden, so dass auch dieses Zusammenleben von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfasst ist. Bei der im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gebotenen Abwägung ist aber zu berücksichtigen, dass sich Hinweise auf ein Abhängigkeitsverhältnis des Klägers zu seiner Mutter oder zu seinem Bruder bzw. umgekehrt weder aus den dem Senat vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers ergeben. Zugunsten des Klägers sind seine Geburt im Bundesgebiet und der ständige rechtmäßige Aufenthalt zu berücksichtigen. Auch hat er 1996 einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Die Beziehungen zu seinem Heimatland sind gering ausgeprägt. Letztmals hielt er sich im Jahr 1996 aus Anlass des einjährigen Todestages seines Vaters für die Dauer einer Woche in der Türkei auf. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger noch über ausreichende Kenntnisse der türkischen Sprache verfügt. Denn nach seinen Aussagen in der mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist in der Familie des Klägers Deutsch und Türkisch gesprochen worden. Auch ist er in Anbetracht seines Alters in der Lage, seine Türkischkenntnisse wenn nötig zu vervollkommnen. Bemühungen des Klägers, aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, ergeben sich weder aus den vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren. Vielmehr hat der Kläger nach seiner Aussage in der Berufungsverhandlung z.B. die Zurückstellung vom Wehrdienst in der Türkei erreicht. Zwar kommt eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Die Annahme von besonderen Bindungen an die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland setzt aber eine irreversible Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse voraus, die beim Kläger nicht festgestellt werden kann. Der Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Insbesondere fehlt es an einer dauerhaften Eingliederung in das Berufsleben in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar verfügt der Kläger über einen Hauptschulabschluss (1996) und absolvierte auch erfolgreich die einjährige Berufsfachschule (Elektrotechnik). Eine anschließende Ausbildung als Fahrradmechaniker brach der Kläger bereits nach einem Monat ab. Danach war er arbeitslos, eine Tätigkeit als Lüftungsmonteur übte der Kläger lediglich für zweieinhalb Monate aus. Dann war er in Teilzeit als Spüler in einem Restaurant und anschließend als Maler im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig. Während der bis zum 19.04.2002 andauernden Haft hat der Kläger keine weitere Schulausbildung oder Berufsausbildung durchlaufen. Im Dezember 2002 begann er eine Ausbildung als Maler, die jedoch nach sechs Monaten wiederum endete. Bei einer Zeitarbeitsfirma ist der Kläger seit seiner Haftentlassung nur gelegentlich tätig, sofern diese selbst entsprechende Aufträge hat. Bemühungen des Klägers um einen Ausbildungsplatz waren erfolglos.
43 
Der Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten kommt nach dem EGMR für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung besondere Bedeutung zu. In der Rechtsprechung des EGMR wird hinsichtlich des Gewichts der für eine Ausweisung sprechenden Gründe bei Straftaten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln insbesondere danach unterschieden, ob es um den bloßen Besitz/Gebrauch von Drogen geht oder um den Handel mit Betäubungsmitteln (vgl. z.B. Urt. v. 13.02.2001, InfAuslR 2001, 480, Rn. 34; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53; Urt. v. 19.02.1998, InfAuslR 1998, 201). Auch in Anbetracht der wegen des Fehlens eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem bereits 24 Jahre alten Kläger und seiner Mutter bzw. seinem Bruder geringeren Schutzwürdigkeit des Familienlebens des Klägers im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt dem Umstand, dass er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, maßgebliche Bedeutung zu. Wiederum ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bei diesen Straftaten mit ganz erheblicher krimineller Energie vorgegangen ist. Er hat sich weder von vorherigen Verurteilungen zu Bewährungsstrafen, noch von einer noch ausstehenden Entscheidung über die Einräumung einer Bewährung, noch von einer erstmaligen Verhaftung wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung, die Hinweise auf eine ganz erhebliche Beteiligung am illegalen Drogenhandel ergeben hatte, noch von der ihm bereits im Dezember 1999 im Hinblick auf die bis dahin abgeurteilten Straftaten angedrohten Ausweisung aus dem Bundesgebiet von einer Fortsetzung seiner Drogengeschäfte abhalten lassen. Auch nach seiner Haftentlassung ist dem Kläger bisher insbesondere keine Verbesserung seiner beruflichen Situation gelungen, die Anlass zu der Annahme geben könnte, er werde seine erhebliche kriminelle Energie zurückdrängen und seinen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen können.
44 
c) Auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (BGBl. 1959 II, S. 997, ENA) erweist sich die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig. Danach dürfen Staatsangehörige eines Vertragsstaates, die, wie der Kläger, seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines Vertragsstaates haben, nur aus Gründen der Sicherheit des Staates, oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe besonders schwerwiegend sind, ausgewiesen werden. Im Hinblick auf den für die Ausweisung des Klägers danach erforderlichen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann auf die vorstehenden Ausführungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden. Denn die Voraussetzungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA entsprechen denen der schwerwiegenden Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 262 f.; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338).
45 
Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12. Januar 1927 (RGBl II S. 76), das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei angewendet wird (BGBl II 1952 S. 608), begründet ebenfalls keinen besonderen Ausweisungsschutz. Denn nach dieser Vertragsvorschrift sind Ausweisungen als Einzelmaßnahmen gemäß den Gesetzen der Vertragsstaaten zulässig (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 58 m.w.Nachw.).
46 
d) Die Vorschriften des ARB 1/80 stehen der Ausweisung des Klägers ebenfalls nicht entgegen. Zwar erscheint es sehr zweifelhaft, ob der Kläger die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 erfüllt. Näher liegt die Heranziehung von Art. 7 ARB 1/80. Jedenfalls ist die Ausweisung des Klägers auch nach Maßgabe von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zulässig, wonach der Abschnitt 1 des ARB 1/80 vorbehaltlich der Beschränkungen gilt, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Ausnahme ebenso auszulegen wie die des Art. 39 Abs. 3 EGV (vgl. Urt. v. 10.02.2000, Nazli, NVwZ 2000, 1029, Rn. 56). Danach ist eine Ausweisung zum Zweck der Generalprävention mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 unvereinbar und eine Ausweisung deshalb nur zulässig, wenn das persönliche Verhalten des betreffenden Ausländers auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet und damit eine Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urt. v. 10.02.2000, a.a.O., Rn. 61 ff.; Urt. v. 19.01.1999, Calfa, EuZW 1999, 345, Rn. 22-27). Auch im Hinblick auf diese Grundsätze begegnet die Ausweisung des Klägers keinen rechtlichen Bedenken. Denn diese ist nicht ausschließlich generalpräventiv begründet worden, sondern ist vom Regierungspräsidium in erster Linie im Hinblick auf die berechtigte Annahme verfügt worden, der Kläger werde wegen seiner in den abgeurteilten Taten zum Ausdruck kommenden erheblichen kriminellen Energie weitere Straftaten begehen. Auch insoweit kann auf die Darlegungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden.
47 
Hinsichtlich des nicht übereinstimmend für erledigt erklärten Teils folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Auch die hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens (Abschiebungsandrohung) nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Entscheidung führt zur Kostentragung des Klägers. Denn der Kläger wäre voraussichtlich auch mit seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums unterlegen.
49 
Der nicht zur Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag verpflichtete Senat sieht in Bezug auf die sich hinsichtlich der Richtlinie 64/221/EWG stellenden Fragen von einer Vorlage an den EuGH ab. Die Rechtssache hat aber grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), so dass die Revision zuzulassen ist. Hierdurch wird im Interesse der Einheit der nationalen Rechtsprechung vor der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs ermöglicht.
50 
Die in diesem Urteil enthaltene Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO ist unanfechtbar (§ 158 Abs. 2 VwGO). Im Übrigen gilt folgende

Gründe

 
26 
A) Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben (Abschiebungsandrohung, Ziff. 3 der Verfügung vom 01.10.2001), war das Verfahren nach § 125 Abs. 1 Satz 1 und dem entsprechend anzuwendenden § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit für unwirksam zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO analog) und nur noch über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO).
B)
27 
I) Soweit keine Teilerledigung eingetreten ist, ist die vom Senat zugelassene Berufung des Beklagten zulässig.
28 
Der Berufungsschriftsatz des Beklagten vom 01.08.2003 enthält einen bestimmten Antrag (§ 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die Berufungsbegründung genügt auch den inhaltlichen Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Denn die Berufungsbegründung bezeichnet durch die zulässige Bezugnahme auf den Berufungszulassungsantrag mehrere entscheidungserhebliche Fragen und macht hierzu eine von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.06.1998 - 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117; Beschluss vom 23.09.1999 - 9 B 372.99 -, NVwZ 2000, 67).
29 
II) Die zulässige Berufung des Beklagten ist auch begründet.
30 
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht Ziff. 1 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 01.10.2001, durch die der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, aufgehoben. Denn die Klage des Klägers ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Ziff. 1 der Verfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31 
1) In formeller Hinsicht ist die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums nicht zu beanstanden.
32 
a) Das Regierungspräsidium Stuttgart war zur Entscheidung über die Ausweisung des Klägers zuständig, da sich der Kläger zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung auf richterliche Anordnung in Strafhaft befand (§ 7 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO). Wegen der Zuständigkeit des Regierungspräsidiums war nach § 6a Satz 1 AGVwGO auch die Durchführung eines Vorverfahrens ausgeschlossen (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Vor Erlass der angefochtenen Verfügung ist der Kläger entsprechend § 28 LVwVfG angehört worden.
33 
b) Ob die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, der türkischen Staatsangehörigen gegen eine Ausweisungsverfügung in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet ist, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zukommt, insbesondere den Anforderungen des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, genügt (vgl. zu dieser Frage in Bezug auf einen italienischen Staatsangehörigen, VGH Baden-Württemberg, Urt. v.28.11.2002 - 11 S 1270/02 -), kann hier dahingestellt bleiben. Denn die Richtlinie 64/221/EWG ist auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar. Mit Beschluss vom 18.03.2003 hat der Österreichische Verwaltungsgerichtshof (Zlen. EU 2003/0001, 0002-1-99/21/0018, 2002/21/0067,      und InfAuslR 2003, 217) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Art. 234 EGV zwar die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, die Rechte nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 genießen. Nach Ansicht des Senats, der nicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV zur Vorlage verpflichtet ist, kommt aber eine Anwendung von Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige nicht in Betracht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 57, zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 und Art. 7 der Richtlinie 64/221/EWG auf türkische Staatsangehörige).
34 
Die auf Bestimmungen des früheren EWG-Vertrages gestützte Richtlinie gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbstständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen. Ziel der Richtlinie ist es, eine möglichst effektive Wahrnehmung der Grundfreiheiten - Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit - durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und deren Ehegatten und Familienmitglieder zu gewährleisten. Zu diesem Zweck will die Richtlinie z.B. im Bereich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigten Maßnahmen koordinieren, um deren Anwendung mit dem fundamentalen Grundsatz der Freizügigkeit in der Gemeinschaft und mit der Beseitigung jeglicher Diskriminierung zwischen eigenen Staatsangehörigen und den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Vertrages in Einklang zu bringen (vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.1975, Rs. C-67/74, Slg. 297, Rn. 5; Urt. v. 27.10.1977, Rs. C-30/77, Slg. 1999, Rn. 15; Urt. v. 09.11.2000, Rs. C-357/98, Slg. I-9265, Rn. 27). Für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten die im EG-Vertrag geregelten Grundfreiheiten, deren Verwirklichung Hauptzweck des EG-Vertrages ist, aber unmittelbar und nicht vorbehaltlich einer Vereinbarung der Vertragsstaaten über ihre Anwendbarkeit. Demgegenüber können sich türkische Staatsangehörige vor Behörden eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gerade nicht unmittelbar auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages berufen. Vielmehr erfolgt die schrittweise Herstellung der Grundfreiheit bzw. die schrittweise Beseitigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten nach Maßgabe der hierfür von einem gesonderten Assoziationsrat festgelegten Regeln. In Art. 12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II S. 509) haben die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Republik Türkei vereinbart, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. In Art. 13 und 14 dieses Abkommens finden sich vergleichbare Vereinbarungen hinsichtlich der Aufhebung von Beschränkungen für die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. In Art. 36 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II S. 385 ) ist z.B. hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer bestimmt, dass diese Grundfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens zwischen dem Ende des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des genannten Abkommens schrittweise hergestellt wird und der Assoziationsrat die hierfür erforderlichen Regeln festlegt (vgl. z.B. ARB vom 20.12.1976, 2/76; ARB vom 19.09.1980, 1/80). Sowohl zum Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001 als auch zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung war der Kläger weder selbständig tätig (vgl. Art. 43 EGV), noch machte er durch seinen seit 1979 andauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland von der Dienstleistungsfreiheit im Sinne von Art. 49 EGV Gebrauch. Es ist anerkannt, dass die Dienstleistungsfreiheit mangels Auslandsbezugs nicht denjenigen Angehörigen eines Mitgliedstaates erfasst, der, wie der Kläger in einem anderen Mitgliedstaat geboren ist und dort seinen Hauptaufenthalt nimmt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu empfangen (EuGH, Urt. v. 05.10.1988, Rs. C-196/87, Steymann, Slg. 1988, 6159, Rn. 17; Urt. v. 17.06.1997, Rs. C-70/95, Sodemare, Slg. I-3395, 3435 f., Rn. 38 m.w.Nachw.). Dieser vom EuGH zur Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit im Sinne des EG-Vertrages entwickelte Grundsatz kann auch für die Bestimmungen des Assoziationsrechts herangezogen werden. Für den Kläger kommt deshalb wegen seiner Erwerbstätigkeiten vor und nach seiner Inhaftierung allein die Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Betracht. Nach dem derzeitigen Stand genießen türkische Staatsangehörige aber keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern haben im jeweiligen Aufnahmemitgliedstaat lediglich bestimmte Rechte, sofern die Voraussetzungen von Art. 6 oder 7 des ARB 1/80 erfüllt sind (vgl. EuGH, Urt. v. 30.09.1997, Rs. C-36/96, Günyadin, InfAuslR 1997, 440, Rn. 21 f. m.w.Nachw.). Erfolgt die Herstellung einer Grundfreiheit bzw. die Beseitigung von Beschränkungen einer Grundfreiheit im Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und Behörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ungeachtet des Ablaufs der in Art. 36 des Zusatzprotokolls genannten Frist allein nach Maßgabe von Beschlüssen eines besonderen Gremiums (Assoziationsrat), so ist es ausgeschlossen, ohne ausdrückliche Willenskundgebung dieses über die Schritte zur vollständigen Verwirklichung der Grundfreiheiten allein entscheidenden Gremiums sekundärrechtliche Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die der effektiven Wahrnehmung der unmittelbar geltenden Grundfreiheiten durch Staatsangehörige der Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten dienen, auf das Verhältnis zwischen türkischen Staatsangehörigen und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwenden. Zwar leitet der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Art. 12 des Assoziierungsabkommens und des Art. 36 des Zusatzprotokolls sowie aus dem Zweck des ARB 1/80 her, dass die im Rahmen des Art. 39 ff. EGV geltenden Grundsätze soweit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 54 m.w.Nachw.). Dies gilt aber für die in der Rechtsprechung des EuGH erarbeiteten allgemeinen Grundsätze z.B. zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung von Grundfreiheiten und nicht für besondere prozessuale Rechte, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Interesse der möglichst effektiven Verwirklichung der ihnen unmittelbar zustehenden Grundfreiheiten erst durch besondere sekundärrechtliche Vorschriften, hier die Richtlinie 64/221/EWG, eingeräumt worden sind. So wendet der EuGH z.B. die von ihm entwickelten Grundsätze zur Rechtmäßigkeit der Beschränkung der Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 39 Abs. 3 EGV auch auf die Ausweisung von türkischen Staatsangehörigen an, die die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen (Urt. v. 10.02.2000, Nazli, DVBl 2000, 550, 552, Rn. 56). Dieses Vorgehen ist aber allein im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass die in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehene Ausnahme der öffentlichen Ordnung nahezu denselben Wortlaut hat wie Art. 39 Abs. 3 EGV. Für den Bereich der in der Richtlinie 64/221/EWG geregelten besonderen prozessualen Rechte, die der effektiven Wahrnehmung der Grundfreiheiten durch die Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union dienen, findet sich aber gerade keine Entscheidung des Assoziationsrates, die eine Gleichstellung von Unionsangehörigen und türkischen Staatsangehörigen gestattet.
35 
2) Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht erweist sich die Ausweisung als rechtmäßig.
36 
a) Nach innerstaatlichem Ausländerrecht ist die Ausweisung nicht zu beanstanden.
37 
Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung der Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten Behördenentscheidung (BVerwG, Beschl. v. 17.01.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137 f.; Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, 251), hier der Zustellung der Verfügung vom 01.10.2001. Nachträglich eingetretene Umstände können im Rahmen der Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338, 342 m.w.Nachw.).
38 
Durch das Verhalten, das den Gegenstand des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.2001 bildet (Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten), erfüllt der Kläger die Voraussetzungen der Regel-Ausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Da der Kläger im Bundesgebiet geboren ist und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, genießt er besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG, wonach ein Ausländer nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Derartige Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor einer Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung aus spezialpräventiven Zwecken sind erforderlich ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 253 f.; Urt. v. 28.01.1997 - 1 C 17.94 -, NVwZ 1997, 1119; Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338). Die Ausweisungsentscheidung des Regierungspräsidiums genügt diesen Anforderungen. Denn die Straftaten des Klägers nach dem Betäubungsmittelgesetz bilden einen ausreichenden Ausweisungsanlass. Das mit dem Urteil des Landgerichts vom 09.01.2001 geahndete strafrechtliche Verhalten ist schwerwiegend. Aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart ist zu entnehmen, dass der Kläger spätestens im September 1999 erstmals mit Cannabis in Kontakt geraten war. Er konsumierte dieses Rauschgift in einem Maße, dass sich bei ausbleibendem Konsum allmählich Schlafprobleme einstellten. Er setzte den Drogenkonsum auch fort, nachdem seine Mutter ebenfalls nach Stuttgart verzogen war und wieder mit dem Kläger zusammen lebte. In nicht unerheblichem Umfang beteiligte sich der Kläger am Straßenhandel mit Cannabis. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 führte der Kläger bei seiner ersten Verhaftung am 05.02.2000 sieben Kanten Haschisch mit insgesamt 18,4 Gramm (netto) bei sich. Bei der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung wurden 54 kleine Tütchen mit Marihuanablatt-Aufdruck gefunden, die nach der - auch vom Senat geteilten - Einschätzung des Amtsgerichts Stuttgart als Verpackungsmaterial für Rauschgift dienen sollten. Trotz dieser ersten Verhaftung und der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung, bei der die zur Aufbewahrung von Rauschgift dienenden Tütchen gefunden worden waren, setzte der Kläger den Straßenhandel mit Cannabis fort. Denn nur neun Tage später versuchte der Kläger wiederum in Stuttgart 2,8 Gramm (netto) Haschisch an eine verdeckt arbeitende Polizeibeamtin zu verkaufen. Diese Betäubungsmitteldelikte können auch nicht durch den Hinweis auf das jugendliche Alter des Täters relativiert werden. Denn der Kläger war zum Zeitpunkt dieser beiden Taten bereits 20 ½ Jahre alt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger diese beiden Straftaten noch in der sogenannten Vorbewährungszeit beging. Im vorangegangenen Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 19.05.1999, durch das der Kläger wegen gemeinschaftlichen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in sechs Fällen, davon in einem Fall lediglich versucht, unter Einbeziehung einer vorherigen Strafe wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt worden war, war dem Kläger noch keine Bewährung gewährt worden. Strafaussetzung zur Bewährung erhielt er erst im Beschluss vom 28.03.2000, wobei dem Amtsgericht Tiergarten die beiden Betäubungsmitteldelikte vom Februar 2000 nicht bekannt waren. Zum Nachteil des Klägers ist auch die im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 09.01.20001 getroffene tatsächliche Feststellung zu werten, dass der Kläger in der Nacht zum 29.11.2000 - und damit nur zwei Monate nach dem die Bewährung versagenden Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.09.2000 - von der Polizei im Stadtgebiet von Stuttgart mit 1,9 Gramm Marihuana angetroffen wurde, welches er in einem in seiner Unterhose versteckten Tütchen bei sich führte. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Kläger auch von einer im Schreiben der Stadt Stuttgart vom 20.12.1999 im Hinblick auf seine bis dahin begangenen Straftaten enthaltenen Androhung der Ausweisung nicht von der Begehung der gravierenden Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz hat abhalten lassen. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Ausweisungsverfügung bestand auch die ernsthafte, nicht nur entfernte Möglichkeit erneuter gravierender Verfehlungen des Klägers. Der Kläger hatte noch nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 14.09.2000 Kontakt zu illegalen Betäubungsmitteln. Auch hatte sich der Kläger durch mehrere Bewährungsstrafen nicht von der Begehung weiterer, erheblicher Straftaten abhalten lassen. Dies rechtfertigte die Einschätzung, dass der Kläger ein großes kriminelles Potential besaß. Der Kläger verfügte auch nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung, die Anlass für die Erwartung bot, er könne seinen notwendigen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen. Obwohl die Wertungen der Strafgerichte hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr für die Ausländerbehörden nicht bindend sind, ist im Hinblick auf die hier anzustellende Vorhersage auch zu beachten, dass sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Stuttgart in ihren Urteilen von einer sehr ungünstigen Prognose ausgegangen sind.
39 
Infolge des besonderen Ausweisungsschutzes wird die Regelausweisung nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu einer Ausweisung nach Ermessen herabgestuft (§ 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG). Die Ausführungen in der Verfügung lassen aber einen Ermessensfehler (§ 40 LVwVfG) nicht erkennen. Das Regierungspräsidium hat insbesondere die für einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte (§ 45 Abs. 2 AuslG), wie z.B. die Geburt und seinen ständigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, die fehlenden engen Beziehungen zur Türkei, die zu erwartenden Schwierigkeiten nach einer zwangsweisen Rückkehr in die Türkei und das Zusammenleben mit seiner Mutter und seinem Bruder in familiärer Lebensgemeinschaft, in die Ermessensentscheidung eingestellt. Diesen Gesichtspunkten hat das Regierungspräsidium das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten des Klägers im Bundesgebiet (Spezialprävention) gegenübergestellt. Dass das Regierungspräsidium zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Verfügung von einem Überwiegen der für eine Ausweisung des Klägers sprechenden öffentlichen Interessen ausgegangen ist, kann auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beanstandet werden.
40 
b) Im Gegensatz zur Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als rechtmäßig.
41 
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, der in der Bundesrepublik Deutschland infolge des Zustimmungsgesetzes im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt und an dem Ausweisungen nach §§ 45 ff. AuslG gemessen werden müssen, hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers als Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen (§ 47 Abs. 2 Nr. 2, § 48 Abs.1, § 47 Abs. 3 Satz 2 und § 45 AuslG). Sie dient auch dem berechtigten Ziel der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch die Anordnung der Ausweisung wegen strafbarer Handlungen verurteilter Ausländer. Ferner muss die Maßnahme, um Art. 8 Abs. 2 EMRK zu genügen, notwendig in einer demokratischen Gesellschaft sein. Sie muss einem dringenden sozialen Bedürfnis entsprechen und insbesondere verhältnismäßig zu dem verfolgten legitimen Ziel sein (vgl. EGMR, Urt. v. 27.09.1999, NJW 2000, 2089, 2092, Rn. 87; Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 128, Rn. 41 m.w.Nachw.). Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung, sondern auf den Zeitpunkt an, in dem diese Verfügung vom Gericht bestätigt wird (vgl. Urt. v. 31.10.2002, InfAuslR 2003, 126, 127, Rn. 34 f m.w.Nachw., Rn. 44; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53, Rn. 36). Auch im Hinblick auf diesen Zeitpunkt erweist sich die Ausweisung als verhältnismäßig.
42 
Der inzwischen 24 Jahre alte Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Seit seiner Haftentlassung am 19.04.2002 lebt der Kläger wieder bei seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder. Vom EGMR wird der Begriff des Familienlebens in Art. 8 Abs. 1 EMRK außerordentlich weit verstanden, so dass auch dieses Zusammenleben von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfasst ist. Bei der im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gebotenen Abwägung ist aber zu berücksichtigen, dass sich Hinweise auf ein Abhängigkeitsverhältnis des Klägers zu seiner Mutter oder zu seinem Bruder bzw. umgekehrt weder aus den dem Senat vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers ergeben. Zugunsten des Klägers sind seine Geburt im Bundesgebiet und der ständige rechtmäßige Aufenthalt zu berücksichtigen. Auch hat er 1996 einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Die Beziehungen zu seinem Heimatland sind gering ausgeprägt. Letztmals hielt er sich im Jahr 1996 aus Anlass des einjährigen Todestages seines Vaters für die Dauer einer Woche in der Türkei auf. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger noch über ausreichende Kenntnisse der türkischen Sprache verfügt. Denn nach seinen Aussagen in der mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist in der Familie des Klägers Deutsch und Türkisch gesprochen worden. Auch ist er in Anbetracht seines Alters in der Lage, seine Türkischkenntnisse wenn nötig zu vervollkommnen. Bemühungen des Klägers, aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, ergeben sich weder aus den vorliegenden Akten noch aus dem Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren. Vielmehr hat der Kläger nach seiner Aussage in der Berufungsverhandlung z.B. die Zurückstellung vom Wehrdienst in der Türkei erreicht. Zwar kommt eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist. Die Annahme von besonderen Bindungen an die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland setzt aber eine irreversible Einfügung in die hiesigen Lebensverhältnisse voraus, die beim Kläger nicht festgestellt werden kann. Der Kläger ist ledig und hat keine Kinder. Insbesondere fehlt es an einer dauerhaften Eingliederung in das Berufsleben in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar verfügt der Kläger über einen Hauptschulabschluss (1996) und absolvierte auch erfolgreich die einjährige Berufsfachschule (Elektrotechnik). Eine anschließende Ausbildung als Fahrradmechaniker brach der Kläger bereits nach einem Monat ab. Danach war er arbeitslos, eine Tätigkeit als Lüftungsmonteur übte der Kläger lediglich für zweieinhalb Monate aus. Dann war er in Teilzeit als Spüler in einem Restaurant und anschließend als Maler im Rahmen eines Arbeitsprojekts der Sozialberatung tätig. Während der bis zum 19.04.2002 andauernden Haft hat der Kläger keine weitere Schulausbildung oder Berufsausbildung durchlaufen. Im Dezember 2002 begann er eine Ausbildung als Maler, die jedoch nach sechs Monaten wiederum endete. Bei einer Zeitarbeitsfirma ist der Kläger seit seiner Haftentlassung nur gelegentlich tätig, sofern diese selbst entsprechende Aufträge hat. Bemühungen des Klägers um einen Ausbildungsplatz waren erfolglos.
43 
Der Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten kommt nach dem EGMR für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung besondere Bedeutung zu. In der Rechtsprechung des EGMR wird hinsichtlich des Gewichts der für eine Ausweisung sprechenden Gründe bei Straftaten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln insbesondere danach unterschieden, ob es um den bloßen Besitz/Gebrauch von Drogen geht oder um den Handel mit Betäubungsmitteln (vgl. z.B. Urt. v. 13.02.2001, InfAuslR 2001, 480, Rn. 34; Urt. v. 30.11.1999, InfAuslR 2000, 53; Urt. v. 19.02.1998, InfAuslR 1998, 201). Auch in Anbetracht der wegen des Fehlens eines persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem bereits 24 Jahre alten Kläger und seiner Mutter bzw. seinem Bruder geringeren Schutzwürdigkeit des Familienlebens des Klägers im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt dem Umstand, dass er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, maßgebliche Bedeutung zu. Wiederum ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bei diesen Straftaten mit ganz erheblicher krimineller Energie vorgegangen ist. Er hat sich weder von vorherigen Verurteilungen zu Bewährungsstrafen, noch von einer noch ausstehenden Entscheidung über die Einräumung einer Bewährung, noch von einer erstmaligen Verhaftung wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung, die Hinweise auf eine ganz erhebliche Beteiligung am illegalen Drogenhandel ergeben hatte, noch von der ihm bereits im Dezember 1999 im Hinblick auf die bis dahin abgeurteilten Straftaten angedrohten Ausweisung aus dem Bundesgebiet von einer Fortsetzung seiner Drogengeschäfte abhalten lassen. Auch nach seiner Haftentlassung ist dem Kläger bisher insbesondere keine Verbesserung seiner beruflichen Situation gelungen, die Anlass zu der Annahme geben könnte, er werde seine erhebliche kriminelle Energie zurückdrängen und seinen Lebensunterhalt zukünftig durch eine ordnungsgemäße Erwerbstätigkeit sicherstellen können.
44 
c) Auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens (BGBl. 1959 II, S. 997, ENA) erweist sich die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig. Danach dürfen Staatsangehörige eines Vertragsstaates, die, wie der Kläger, seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines Vertragsstaates haben, nur aus Gründen der Sicherheit des Staates, oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe besonders schwerwiegend sind, ausgewiesen werden. Im Hinblick auf den für die Ausweisung des Klägers danach erforderlichen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann auf die vorstehenden Ausführungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden. Denn die Voraussetzungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA entsprechen denen der schwerwiegenden Gründe im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; Urt. v. 11.06.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, 262 f.; Urt. v. 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338).
45 
Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12. Januar 1927 (RGBl II S. 76), das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei angewendet wird (BGBl II 1952 S. 608), begründet ebenfalls keinen besonderen Ausweisungsschutz. Denn nach dieser Vertragsvorschrift sind Ausweisungen als Einzelmaßnahmen gemäß den Gesetzen der Vertragsstaaten zulässig (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54, 58 m.w.Nachw.).
46 
d) Die Vorschriften des ARB 1/80 stehen der Ausweisung des Klägers ebenfalls nicht entgegen. Zwar erscheint es sehr zweifelhaft, ob der Kläger die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 erfüllt. Näher liegt die Heranziehung von Art. 7 ARB 1/80. Jedenfalls ist die Ausweisung des Klägers auch nach Maßgabe von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zulässig, wonach der Abschnitt 1 des ARB 1/80 vorbehaltlich der Beschränkungen gilt, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Ausnahme ebenso auszulegen wie die des Art. 39 Abs. 3 EGV (vgl. Urt. v. 10.02.2000, Nazli, NVwZ 2000, 1029, Rn. 56). Danach ist eine Ausweisung zum Zweck der Generalprävention mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 unvereinbar und eine Ausweisung deshalb nur zulässig, wenn das persönliche Verhalten des betreffenden Ausländers auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet und damit eine Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urt. v. 10.02.2000, a.a.O., Rn. 61 ff.; Urt. v. 19.01.1999, Calfa, EuZW 1999, 345, Rn. 22-27). Auch im Hinblick auf diese Grundsätze begegnet die Ausweisung des Klägers keinen rechtlichen Bedenken. Denn diese ist nicht ausschließlich generalpräventiv begründet worden, sondern ist vom Regierungspräsidium in erster Linie im Hinblick auf die berechtigte Annahme verfügt worden, der Kläger werde wegen seiner in den abgeurteilten Taten zum Ausdruck kommenden erheblichen kriminellen Energie weitere Straftaten begehen. Auch insoweit kann auf die Darlegungen zu den schwerwiegenden Gründen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG verwiesen werden.
47 
Hinsichtlich des nicht übereinstimmend für erledigt erklärten Teils folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Auch die hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens (Abschiebungsandrohung) nach § 161 Abs. 2 VwGO zu treffende Entscheidung führt zur Kostentragung des Klägers. Denn der Kläger wäre voraussichtlich auch mit seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums unterlegen.
49 
Der nicht zur Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag verpflichtete Senat sieht in Bezug auf die sich hinsichtlich der Richtlinie 64/221/EWG stellenden Fragen von einer Vorlage an den EuGH ab. Die Rechtssache hat aber grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), so dass die Revision zuzulassen ist. Hierdurch wird im Interesse der Einheit der nationalen Rechtsprechung vor der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs ermöglicht.
50 
Die in diesem Urteil enthaltene Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO ist unanfechtbar (§ 158 Abs. 2 VwGO). Im Übrigen gilt folgende

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2004 - 1 K 560/02 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der am 10.12.1964 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit April 1987 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er als Textilarbeiter erwerbstätig war. Am 10.6.1997 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt.
Am 22.3.1991 schloss der Kläger mit einer französischen Staatsangehörigen die Ehe. Aus dieser Ehe gingen ein (am 20.5.1991 geborener) Sohn und eine (am 3.12.1994 geborene) Tochter hervor. Die Ehefrau und die Kinder des Klägers leben inzwischen in Frankreich.
Der Kläger wurde im Jahr 1998 psychisch auffällig und ab September/Oktober 1998 gegen seine Ehefrau und gegen seine Kinder gewalttätig. Am 13.10.1998 schlug er sich nackt in der Garage mit einem Gürtel. Daraufhin erfolgte seine erste Einweisung in das Zentrum für Psychiatrie Reichenau, wo er in der Zeit vom 14.10.1998 bis zum 13.11.1998 stationär aufgenommen wurde. Aus dem Entlassbericht (vom 7.12.1998) ergibt sich die Abschlussdiagnose: „Akute psychogene Psychose mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung (ICD-9:298.4)“. In der Folgezeit wurde der Kläger medikamentös behandelt. Im November 1999 lehnte er eine weitere Medikation mit einem Neuroleptikum ab und setzte seine Medikamente ab, wodurch sich eine psychische Dekompensation anbahnte. Nachdem er in der Öffentlichkeit auffällig geworden war, indem er seine Ehefrau (auf einem Friedhof) misshandelt hatte, erfolgte sein zweiter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 15.11.1999 bis zum 19.11.1999 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 25.11.1999 -: „Anpassungsstörung vorwiegend im Sozialverhalten [ICD-9 309.3] mit aggressivem Verhalten gegenüber der Ehefrau nach bekannter psychotischer Episode mit paranoid-halluzinatorischer Ausprägung im Oktober 1998“; als Differentialdiagnose wurde eine „gereizte manische Episode“ erwogen). Nachdem der Kläger am 20.11.1999 in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht hatte, indem er ungebremst auf einen gut beleuchteten Anhänger aufgefahren war, erfolgte sein dritter stationärer Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in der Zeit vom 22.11.1999 bis zum 1.2.2000 (Abschlussdiagnose - gemäß Entlassbericht vom 14.2.2000 -: „Schizoaffektive Psychose, depressive Phase [ICD-10 F 25.1]“). Als Abschlussbefund wurde in dem Entlassbericht mitgeteilt: „Bewusstseinsklar und allseits orientiert, im Kontakt offen. Kein Anhalt für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Einfach strukturiert, Auffassung ausreichend. Geringe Umstellfähigkeit, im sozialen Verhalten fordernd, oft ungeschickt wirkend. Affekt unausgeglichen, Stimmung depressiv, gereizt, z.T. gespannt, auch nachdenklich und ratlos. Er erscheint mit den Anforderungen des Alltagslebens rasch überfordert. Traditionell männliche Einstellung. Keine Suizidalität.“ Im Dezember 1999 wurde für den Kläger ein Betreuer bestellt (Aufgabenkreis: Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung).
Als der Kläger am 24.7.2000 mit seiner Ehefrau in der Küche beim Kaffeetrinken saß, zog er plötzlich und unvermittelt aus einem Messerblock ein großes, spitz zulaufendes Küchenmesser (Klingenlänge 19,7 cm, Breite 4 cm) und stach seiner Ehefrau zweimal wenigstens je ca. 15 cm und maximal je ca. 30 cm tief in den linken Ober- und den rechten Unterbauch, um sie in einem Wahn aus Eifersucht und Wut zu töten. Er lebte in der Wahnvorstellung, seine Frau betrüge ihn mit anderen Männern und sei für seinen psychischen Zustand verantwortlich, da sie ihn verhext habe. Nachdem die Ehefrau des Klägers bis zur Wohnungstür geflüchtet war, versetzte ihr der Kläger von hinten vier, mit großer Kraft geführte, ca. 15 cm tiefe Stiche in den Hals, wodurch die harte, knöcherne Halswirbelsäule erheblich verletzt wurde; es erfolgte eine weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes sowie eine Speiseröhrenverletzung. Nach dem letzten Stich ließ der Kläger das Messer im Hals seiner Frau stecken und verließ die Wohnung. Gegenüber herbeigeeilten Nachbarinnen erklärte der Kläger: „Holet die Polizei, ich hab meine Frau tot gemacht“ und „Frau kaputt gemacht, Hure“. Durch die Tat erlitt die Ehefrau des Klägers schwerste Stichverletzungen im Hals- und Abdominalbereich. Die weitgehende Durchtrennung des Halsmarkes verursachte eine hohe Querschnittslähmung, welche nicht nur zu einer Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraplegie) führte, sondern auch die Atemmuskulatur in Mitleidenschaft zog. Wäre das Helikopterrettungsteam, das die Ehefrau des Klägers in eine Klinik nach Zürich brachte, einige Minuten später eingetroffen, hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt. Ihre Ernährung findet über eine Sonde direkt durch die Bauchwand in den Magen und die Beatmung größtenteils mit Hilfe eine Beatmungsgeräts über eine Trachealkanüle statt.
Diese Feststellungen des Geschehens ergeben sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 20.9.2001, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. Die Schwurgerichtskammer stellte fest, dass der Kläger im Zustand der Schuldunfähigkeit einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen hat. Der Kläger habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden, in dem seine Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, nämlich einer endogenen Psychose, aufgehoben gewesen sei. Dabei sei die endogene Psychose entweder als schizophrene Erkrankung oder als schizoaffektive Psychose einzuordnen. Die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zeichne sich bei dem genetisch vorbelasteten Kläger durch einen Eifersuchts- und Beeinträchtigungswahn aus. Ohne medikamentöse Behandlung leide der Kläger unter akustischen Halluzinationen in Form von kommentierenden und imperativen Stimmen. Ohne die gebotene stationäre psychiatrische Behandlung sei bei einem Wiederaufleben der Psychose mit einer weiteren aggressiven Entgleisung des Klägers und daher mit erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen. Er sei damit als für die Allgemeinheit gefährlich im Sinne des § 63 StGB anzusehen. Günstig für den Kläger sei zwar zu werten, dass er sich unter der jeweils verordneten neuroleptischen Medikation schnell von seinen Wahnideen und Halluzinationen habe distanzieren können und die bei ihm diagnostizierte endogene Psychose zumindest eine gewisse Nähe zu den sogenannten schizoaffektiven Psychosen aufweise, bei denen eine signifikant günstigere Langzeitprognose als bei den übrigen Schizophrenien festzustellen sei. Im Ergebnis müsse die Langzeitprognose für den Kläger jedoch ungünstig ausfallen. Er zeige zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, indem er eingestehe, unter einer Psychose zu leiden. Andererseits beteilige er sich in keiner Weise an seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Reichenau; es sei bisher lediglich seine medikamentöse Ruhigstellung gelungen. Die Allgemeingefährlichkeit des Klägers lasse sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt verneinen, dass sich die Anlasstat nur gegen eine bestimmte Person - seine Ehefrau - gerichtet habe. Es handle sich nämlich gerade nicht um eine reine Affekttat, die Tat sei vielmehr wahnhaft motiviert gewesen. Der Kläger habe in der Vergangenheit Veränderungen an sich wahrgenommen und sie auf die Annahme zurückgeführt, seine Frau habe ihn verhext. Der - vom Strafgericht beauftragte - Sachverständige habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen eines - bei einer jetzigen Entlassung aus der stationären Behandlung sehr wahrscheinlichen - neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich machen werde und sich seine Aggressionen im folgenden dann gegen diese Person richten würden. In 85 bis 90 Prozent handle es sich bei diesen Personen um engste Familienangehörige, so dass vor allem die Familie des Klägers in Italien und seine Kinder in Frankreich in Betracht kämen. Für die zu treffende Prognose stelle es sich weiter als ungünstig dar, dass der Kläger seinen Wahn nicht als für ihn lebensbedrohlich empfunden habe. Unter diesem Gesichtspunkt komme den in ihrer Wucht mit Vernichtungswillen geführten Stichen in den Halsbereich der Verletzten für die Bewertung der künftigen Allgemeingefährlichkeit des Klägers eine signifikante Bedeutung zu. Der Kläger habe sich durch die Tötung seiner Ehefrau nicht einer in seinem Wahn als lebensbedrohlich eingestuften Situation erwehren, sondern vor allem seiner Ehefrau die Kränkung heimzahlen wollen, die sie ihm durch wahnhaft angenommene Intimverhältnisse zu anderen Männern zugefügt habe. Eine kritische Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Tat sei nur eingeschränkt festzustellen.
Nach Anhörung wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger mit Verfügung vom 7.3.2002 - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - aus dem Bundesgebiet aus und drohte seine Abschiebung nach Italien an, die nicht vor einem Monat nach Bekanntgabe der Verfügung erfolgen dürfe; zugleich wurde die Abschiebung aus dem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Diese Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, es lägen die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG vor. Da der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG besitze, sei er den in § 48 Abs. 1 AuslG genannten Personen gleichgestellt. Sein Fehlverhalten stelle jedoch einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund in dem dafür erforderlichen Sinne dar. Die Ausübung des Ermessens führe in seinem Fall zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung und Entfernung aus dem Bundesgebiet sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib oder einer erneuten Einreise als Tourist überwiege. Der in § 2 Abs. 2 AuslG geregelte Vorrang des Europäischen Gemeinschaftsrechts und das Aufenthaltsgesetz/EWG stünden der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
Der vom Kläger gegen diese Verfügung erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 16.1.2004 stattgegeben und die Verfügung vom 7.3.2002 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Verfügung sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zwar seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 AuslG erfüllt, da vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Gefahr ausgehe, dass er krankheitsbedingt erneut in einem erheblichen Maße gegenüber Dritten gewalttätig werde. Die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auf Grund des Urteils des Landgerichts Waldshut-Tiengen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, da diese freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung die Möglichkeiten der Ordnungsbehörden nicht verdränge, den Betroffenen auszuweisen und somit die der Unterbringung zugrunde liegende Gefahr für die Allgemeinheit sowie die Verantwortlichkeit für deren Bekämpfung in den Heimatstaat des Ausländers zu verlagern. Allerdings stehe der Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über die Ausweisung des Klägers die Regelung des Art. 4 der Richtlinie 64/221/EWG entgegen. Die beim Kläger gegebene endogene Psychose sei eine Krankheit, die im Anhang  B der Richtlinie  aufgeführt sei. Diese Krankheit könne seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen, da sie lange nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG an den Kläger aufgetreten sei. Dies schließe auch aus, ihn wegen der krankheitsbedingten Gefahr wahngesteuerter aggressiver Verhaltensweisen gegenüber Dritten auszuweisen. Denn den in Anhang B der Richtlinie 64/221/EWG genannten Krankheiten sei es immanent, dass sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht durch ihr bloßes Auftreten gefährden, sondern immer nur durch ein krankheitsbedingtes weiteres Verhalten des Betroffenen. Eine Ausweisung nach Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei zumindest in all den Fällen ausgeschlossen, in denen die vom Unionsbürger ausgehenden Gefahren ausschließlich auf seine Krankheit zurückgeführt werden können, weil die Handlungen - wie im Fall des Klägers - in einem solchen Maße durch die psychische Krankheit bedingt seien, dass es sogar an einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für diese mangle. Die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei auch unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Es werde offen gelassen, ob die Ausweisung des Klägers auch in formeller Hinsicht wegen des Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG rechtswidrig sei. Gerade der Fall des Klägers zeige, dass der Ausländerbehörde noch ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt gewesen sei, der im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht vollständig überprüft werden könne. Da sich die Ausweisungsentscheidung als rechtswidrig darstelle, seien auch die Abschiebungsandrohung und die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter - hat in diesem Urteil die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage nach der Ausschlusswirkung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG bei krankheitsbedingten Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit habe grundsätzliche Bedeutung.
Gegen dieses Urteil, das ihm am 22.1.2004 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 17.2.2004 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 12.3.2004, eingegangen am 16.3.2004, eine Begründung dazu vorgelegt.
10 
Der Beklagte trägt vor, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung sei unzutreffend. Aus den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG, die mit § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG in deutsches Recht umgesetzt worden seien, ergebe sich, dass die dort aufgeführten Krankheiten nicht mehr zur Grundlage einer auf Entfernung aus dem Bundesgebiet gerichteten ausländerrechtlichen Maßnahme gemacht werden könnten, wenn sie erst aufträten, nachdem der Ausländer die Erlaubnis für seinen Aufenthalt erhalten habe. Die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 64/221/EWG und von § 12 Abs. 6 Satz 2 AufenthG/EWG schlössen jedoch nicht aus, dass Personen, die an den dort genannten Krankheiten leiden, aus anderen Gründen ausgewiesen werden könnten. Der Kläger sei nicht deshalb ausgewiesen worden, weil er an einer Psychose leide, sondern weil er einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit einer schweren Körperverletzung begangen habe und die konkrete Gefahr bestehe, dass er auch in Zukunft Gewalttaten begehen werde.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.1.2004 - 1 K 560/02 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger verweist auf die Gründe des angefochtenen Urteils und trägt ergänzend vor: Das bloße Leiden an einer Krankheit allein könne niemals die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einer Weise gefährden, die eine Ausweisung rechtfertige. Art. 4 der Richtlinie betreffe nur die Fälle, in denen die vom Ausländer ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar auf seine Krankheit zurückgeführt werden könnten. Dies sei hier eindeutig der Fall.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
61 
5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
62 
 
63 
a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
64 
b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
65 
Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
66 
Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
67 
Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
69 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Gründe

 
17 
Die vom Beklagten eingelegte Berufung, die vom Verwaltungsgericht - durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) - zugelassen wurde, ist statthaft und auch sonst zulässig. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 2 und 3 VwGO sind erfüllt.
18 
Die Berufung des Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die angefochtene Ausweisungsverfügung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19 
Die Ausweisung des Klägers erweist sich bei der - gleichsam auf einer ersten Stufe vorzunehmenden - rechtlichen Beurteilung nach nationalem deutschem Ausländerrecht  als rechtmäßig (dazu unter I.) und ist auch nach der - gleichsam auf einer zweiten Stufe vorzunehmenden - Prüfung der Vereinbarkeit dieser aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit hier zu beachtendem Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter II.)
20 
I. Für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Aufhebung einer Ausweisungsverfügung, die nach nationalem deutschem Ausländerrecht als rechtliche Folge sowohl die Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts - durch Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung und das Entstehen der Ausreisepflicht (vgl. §§ 44 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) - herbeiführt als auch ein Wiedereinreiseverbot enthält (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG), das auch gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140 = NVwZ 2000, 688 = InfAuslR 2000, 176 = VBlBW 2000, 273), ist eine rechtliche Beurteilung gleichsam auf zwei Stufen vorzunehmen (sog. „Zwei-Stufen-Modell“, vgl. Alber/Schneider, DÖV 2004, 313, 315; dazu auch VGH Bad.-Württ., Urteile vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13, und vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - EZAR 034 Nr. 14). Dabei ist es zunächst ausschließlich – und unabhängig vom Europäischen Gemeinschaftsrecht – die Aufgabe der deutschen Gerichte, nach der hier geltenden (nationalen) Rechtsordnung die behördliche Eingriffsmaßnahme der Ausweisung auf ihre Rechtmäßigkeit nach deutschem Recht zu überprüfen und damit über den Rechtsschutz nach innerstaatlichem deutschem Recht zu entscheiden. Denn es unterliegt nicht der Prüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), über die Auslegung und Anwendung nationaler Vorschriften zu entscheiden (vgl. dazu u.a. EuGH, Urteil vom 29.4.2004 in den verbundenen Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , RdNr. 42). Nur für den Fall, dass im Rahmen einer Überprüfung nach deutschem Recht dem Begehren des Unionsbürgers nicht bereits entsprochen werden kann, muss eine Prüfung unter Beachtung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts erfolgen, wobei zu prüfen ist, ob insoweit der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine andere rechtliche Beurteilung gebietet. Die europarechtliche Prüfung hat selbständig und unabhängig von der Systematik und den Vorgaben der nationalen Prüfungsebene (etwa: Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) zu erfolgen. Diese differenzierte Beurteilung auf zwei Stufen ist im Fall eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers - wie hier des Klägers - angezeigt. Die Ausweisung regelt zwar nach dem differenzierten Regelungssystem des deutschen Ausländerrechts für sich genommen (noch) nicht unmittelbar eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts des davon betroffenen Ausländers. Vielmehr führt erst die Abschiebung (§ 49 AuslG), die unabhängig von der Ausweisung geregelt ist und der Vollstreckung der - durch die Ausweisung entstandenen - Ausreisepflicht dient, zur Entfernung des Ausländers aus dem deutschen Hoheitsgebiet. Unter Beachtung des Regelungszusammenhangs der insoweit maßgebenden Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts ist jedoch davon auszugehen, dass bereits die Ausweisung unmittelbare Auswirkungen auf die Ausübung des aus der Freizügigkeit folgenden Rechts auf freie und ungehinderte Einreise und dementsprechenden Aufenthalt eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.
21 
Im Fall des Klägers ist - nach deutschem Recht - das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Ausländerbehörde (§ 7 Abs. 1 AAZuVO) zu Recht davon ausgegangen, dass die §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG als erforderliche gesetzliche Grundlagen für die Ausweisung den Erlass dieser Maßnahme nach Ermessen ermöglicht haben. Zu dem für die gerichtliche Beurteilung insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (s. dazu im Folgenden unter 1.) waren die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsmaßnahme (s. dazu im Folgenden unter 2.) gegeben, und die Behörde hat sowohl beachtet, dass dem Kläger ein besonderer Schutz vor einer Ausweisung zukommt (s. dazu im Folgenden unter 3.), als auch das ihr eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt (s. dazu im Folgenden unter 4.).
22 
1. Für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsverfügung ist nach innerstaatlichem deutschem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 17.11.1994 - 1 B 224.94 -, InfAuslR 1995, 150; vom 17.1.1996 - 1 B 3.96 -, InfAuslR 1996, 137; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - ; vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288, vom 18.9.2001 - 1 C 17.00 -, NVwZ 2002, 339, und vom 8.1.2003 - 1 B 253.02 -; Urteile vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, und - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296 und vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; sowie VGH Bad.-Württ., Urteile vom 4.12.1996  -  11 S 2511/96 -,  vom  28.7.1999 - 11 S 2387/98 -, vom 19.4.2000 - 11 S
23 
1387/99 -, VBlBW 2001, 25, vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 - und vom 27.1.2004 -10 S 1610/03 -). Dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass des letzten Behördenbescheides entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Be-schlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218; vom 27.6.1997 - 1 B 132.97 - und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288).
24 
2. Als Maßnahme, die in den Rechtskreis des betroffenen Ausländers belastend eingreift, bedarf die Ausweisung nach geltendem deutschem Recht - unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes, der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) seine Grundlage hat - einer gesetzlichen Grundlage. Die insoweit erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für eine Ausweisung sind in den §§ 45 ff AuslG in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise geregelt und im Geltungsbereich des Grundgesetzes von den Behörden und Gerichten auch in Bezug auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger zu beachten, da es im Recht der Europäischen Gemeinschaften keine Rechtsgrundlage für den Erlass einer Ausweisung gibt (vgl. dazu VGH Bad.-Württ.,  Urteil vom 17.4.2002 - 11 S 1823/01 -, InfAuslR 2002, 375 = EZAR 034 Nr. 13). Die Ausweisung - als eine ausschließlich im nationalen Recht angelegte Maßnahme - muss vielmehr nur in Bezug auf die damit eintretende Beschränkung des aus der Freizügigkeit folgenden Aufenthaltsrechts den Anforderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts entsprechen (s. dazu unter II.). Dementsprechend regelt auch das - derzeit noch geltende - (deutsche) Gesetz über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG - AufenthG/EWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.1980, BGBl. I S. 116 - mit Änderungen -), durch das die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964 S. 850 - im Folgenden: RL 64/221/EWG), in geltendes deutsches Recht umgesetzt worden ist, keine tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen Personen, die unter dieses Gesetz fallen, sondern setzt die Möglichkeit des rechtmäßigen Erlasses einer solchen Verfügung nach deutschem Recht voraus und regelt (nur) die - aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgenden - Voraussetzungen für die Einschränkung der Freizügigkeit.
25 
Im Fall des Klägers wurde die Ausweisung nach nationalem Recht zutreffend auf der rechtlichen Grundlage der §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG verfügt.
26 
§ 45 Abs. 1 AuslG - als die Grundnorm für alle Formen der Ausweisung - regelt, dass ein Ausländer ausgewiesen werden kann, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Gemäß § 46 Nr. 2 AuslG kann ein Ausländer nach § 45 Abs. 1 AuslG insbesondere ausgewiesen werden, wenn er - soweit hier maßgeblich - einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese tatbestandliche Voraussetzung hat der Kläger erfüllt, da er durch seine Tat (versuchter Totschlag in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung) einen schweren Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung in hohem Maße beeinträchtigt hat. Es kommt für die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht darauf an, dass der Kläger wegen dieser Tat strafrechtlich mangels Schuldfähigkeit nicht bestraft wurde. Denn die Ausweisung ist keine (weitere) Strafe, sondern ausschließlich eine ordnungsrechtliche Maßnahme, die der Abwehr und Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient.
27 
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügung - durch ihre Bekanntgabe an den Kläger am 11.3.2002 - bestanden keine rechtserheblichen Bedenken gegen die Annahme, dass vom Kläger Gefahren für die Allgemeinheit ausgingen, die ein ausländerrechtliches Einschreiten geboten haben. Wie sich aus den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 20.9.2001 ergibt, mit dem die Maßregel der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, war der Kläger als für die Allgemeinheit gefährlich (im Sinne des § 63 StGB) anzusehen. Es bestanden insoweit in seinem Fall keine rechtserheblichen Unterschiede in der Beurteilung der Sachlage in Bezug auf die durch das Strafgericht als freiheitsentziehende Maßregel angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) und in Bezug auf die durch die Ausländerbehörde verfügte - nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich unterschiedlich zu beurteilende - ordnungsrechtliche Maßnahme der Ausweisung. Die vom Kläger ausgehenden Gefahren waren - und sind - auch nicht etwa wegen seiner Unterbringung entfallen, zumal da mit dieser Maßregel kein auf Dauer angelegter stationärer Aufenthalt unter medizinischer Überwachung verbunden ist (vgl. dazu auch § 67e StGB) und die unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten zu treffende Prognose auch den Fall der Beendigung der Unterbringung berücksichtigen muss. Insoweit ist die Situation mit der tatsächlichen Lage im Fall der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vergleichbar. Wie sich im Übrigen aus der - vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vorgelegten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des Zentrums für Psychiatrie, in dem der Kläger untergebracht ist, ergibt, halten es die ihn behandelnden Ärzte ersichtlich wegen der von ihm noch immer ausgehenden Gefahren für erforderlich, dass er im Maßregelvollzug verbleibt, bis ein - bisher aus ärztlicher Sicht (noch) nicht gewährleisteter - sozialer  Empfangsraum für ihn vorhanden ist.
28 
3. Die Ausländerbehörde hat auch zu Recht berücksichtigt, dass dem Kläger nach nationalem deutschem Recht ein besonderer Ausweisungsschutz nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG zugute kommt, da ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde. Dieser Ausweisungsschutz entspricht inhaltlich der Schutznorm des § 48 Abs. 1 AuslG. Nach der Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG, die über die Vorgaben durch die RL 64/221/EWG hinaus eine weitere innerstaatlich beachtliche Ausweisungsschranke enthält, darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgewiesen werden. Solche Gründe liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken - wie im Fall des Klägers - ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Zum anderen müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247, und vom 26.2.2002 - 1 C 21.00 -, BVerwGE 116, 55 = NVwZ 2002, 1512). Die Behörde und das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass der Ausweisungsschutz des § 12 Abs. 1 Satz 2 AufenthG/EWG der Ausweisung des Klägers nicht entgegensteht, da in seinem Fall angesichts der erheblichen Gefahren, die von ihm - auch weiterhin - ausgehen, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem hier maßgeblichen Sinne vorliegen. Dies ergibt sich besonders daraus, dass er durch sein - wenngleich strafrechtlich schuldloses - Verhalten einen Anlass von außerordentlichem Gewicht für ein Einschreiten zur Gefahrenabwehr geschaffen hat, indem er seine Ehefrau töten wollte und durch sein entsprechendes Vorgehen ihr Leben in höchstem Maße gefährdet und ihr schwerste Verletzungen zugefügt hat, die auf Dauer in außerordentlich schwerwiegender Weise ihre Gesundheit beeinträchtigen werden. Die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens ist auch nicht deshalb entfallen oder von geringerem Gewicht, weil die Ehefrau und die Kinder des Klägers sich derzeit in Frankreich aufhalten. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem beim Landgericht Waldshut-Tiengen anhängig gewesenen Verfahren besteht die Gefahr, dass der Kläger beim Auftreten eines neuen Krankheitsschubes eine andere Bezugsperson für die Veränderungen an seiner Person verantwortlich macht und sich seine Aggressionen dann gegen diese Person richten können.
29 
4. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde hat dem öffentlichen Interesse an einer Entfernung des Klägers aus dem Bundesgebiet und der Verhinderung seiner Wiedereinreise wegen der von ihm ausgehenden Gefahren ohne Rechtsfehler Vorrang vor seinem entgegenstehenden privaten Interesse eingeräumt. Auch unter Beachtung der nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte erweist sich die behördliche Entscheidung als rechtsfehlerfrei. Die Ausweisung des Klägers ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Dabei ist zu beachten, dass sich allein aus der Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG) seit dem Jahr 1987, während der er keine besonderen Beziehungen oder Bindungen zu Deutschland geschaffen hat, keine schutzwürdige aufenthaltsrechtliche Position ergibt, deren Beendigung unter Beachtung seiner hohen Gefährlichkeit außer Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck der Abwehr weiterer vom Kläger drohender Gefahren steht. Den in § 45 Abs. 2 Nr. 2 AuslG genannten Gesichtspunkten - der Berücksichtigung der Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben - kommt im Fall des Klägers keine ausschlaggebende Rolle zu, da seine unmittelbaren Familienangehörigen (seine Ehefrau und seine beiden Kinder) sich nicht mehr in Deutschland aufhalten und seine weiteren Verwandten ebenfalls im Ausland leben. Die Ausweisung erscheint auch nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil etwa ein in § 55 Abs. 2 AuslG genannter Duldungsgrund zu beachten gewesen wäre (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG).
30 
II. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung  des Klägers auch als vereinbar mit Europäischem Gemeinschaftsrecht.
31 
1. Der Kläger besitzt als italienischer Staatsangehöriger die Unionsbürgerschaft und hat daher die im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der konsolidierten Fassung durch den Vertrag von Amsterdam - im Folgenden: EG) vorgesehenen Rechte und Pflichten (Art. 17 EG). Dementsprechend hat er das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen aufzuhalten (Art. 18 Abs. 1 EG). Als (Wander-)Arbeitnehmer steht ihm zudem Freizügigkeit nach Art. 39 Abs. 1 EG zu, die ihm ein Aufenthaltsrecht vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen gibt (vgl. Art. 39 Abs. 3 EG). Seine Rechtsstellung zur Inanspruchnahme der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Kläger bereits durch den Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis-EG nachgewiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288 = InfAuslR 2001, 312).  Anhaltspunkte dafür, dass diese Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt erloschen wäre, sind nicht ersichtlich.
32 
2. Die im vorliegenden Fall zu beachtenden Beschränkungen der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts ergeben sich unter Berücksichtigung der in der hier maßgeblichen Durchführungsvorschrift (RL 64/221/EWG) vorgegebenen Schranken. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Richtlinie grundsätzlich (nur) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt (vgl. Art. 249 Abs. 3 EG). Daher wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum zur Umsetzung eröffnet; der Einzelne kann sich grundsätzlich nicht unmittelbar auf die Regelungen einer Richtlinie berufen. Lediglich ausnahmsweise ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien dann anerkannt, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, nicht fristgemäß oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden (vgl. dazu Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Komm. zu Art. 249 EG, RdNr. 155 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).
33 
3. Die Ausweisung des Klägers ist als eine Beschränkung seiner Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung (im Sinne von Art. 39 Abs. 3 EG) gerechtfertigt.
34 
a) Im Fall des Klägers ist die Einschränkung seiner Freizügigkeit und seines daraus folgenden Aufenthaltsrechts durch die Ausweisung nicht unmittelbar an den - die Vorbehalte des Art. 39 Abs. 3 EG konkretisierenden - Bestimmungen der RL 64/221/EWG zu messen, sondern vorrangig nach den Regelungen in § 12 AufenthG/EWG zu beurteilen, die inhaltlich mit den Vorgaben der RL 64/221/EWG in Einklang stehen. Mit der gesetzlichen Vorschrift des § 12 AufenthG/EWG wurde die RL 64/221/EWG, soweit sie im vorliegenden Fall maßgeblich ist, ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt.
35 
b) Die Ausweisung des Klägers, dem in Deutschland als Arbeitnehmer Freizügigkeit gewährt wird (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG/EWG), ist unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 AufenthG/EWG aus Gründen der öffentlichen Ordnung rechtmäßig verfügt worden. Insoweit ist zu beachten, dass die durch die Ausweisung eintretende Beschränkung der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts als Ausnahme von dieser gemeinschaftsrechtlichen Freiheit eng auszulegen und - unter Beachtung der Vorgaben aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht - nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Betroffenen gestützt ist und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. EuGH, Urteile vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 - , Slg. 1977, 1999, und vom 29.4.2004 - verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 ).  Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Die Beschränkung seiner Freizügigkeit erfolgt ausschließlich auf Grund seines eigenen Verhaltens, mit dem er in äußerst schwer wiegender Weise ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt hat, indem er einen anderen Menschen durch mehrere Messerstiche töten wollte und ihm dabei schwerste Verletzungen zugefügt hat, die das Opfer seiner Tat  lebenslang in schwerster Weise behindern werden. Auch im Bereich des Europäischen Gemeinschaftsrechts kommt es im Zusammenhang mit einer Beendigung des Aufenthalts eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung nicht darauf an, ob er strafrechtlich wegen seines Verhaltens zur Rechenschaft gezogen werden kann oder ob wegen Schuldunfähigkeit eine Bestrafung nicht erfolgen kann. Denn insoweit ist - wie im innerstaatlichen deutschen Recht - der Eingriff zur Abwehr von Gefahren gerechtfertigt, die von dem Betroffenen ausgehen. Diesen Anforderungen entspricht die Ausweisung des Klägers. In seinem Fall besteht auch eine hohe Gefahr der erneuten Begehung entsprechender Taten, da - wie in dem gerichtlichen Verfahren festgestellt wurde, in dem seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erfolgte - keine günstige Langzeitprognose möglich ist, der Kläger sich in keiner Weise an seiner Behandlung beteiligt und von ihm auch künftig eine Allgemeingefährlichkeit - insbesondere für jeweilige Bezugspersonen - ausgeht.
36 
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass etwa zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats eine Änderung in der Beurteilung der Gefährlichkeit des Klägers eingetreten wäre. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass in Anbetracht der Zeit zwischen dem Eintritt der Wirksamkeit der Ausweisung (11.3.2002) und dem Zeitpunkt der heutigen Entscheidung des Senats (21.7.2004) ein „längerer Zeitraum“ (im Sinne des Entscheidungssatzes Nr. 3 des Urteils des EuGH vom 29.4.2004, a.a.O.) vergangen ist und daher eine nachträgliche Veränderung der Sachlage zu berücksichtigen wäre, die nach der letzten Behördenentscheidung - zu Gunsten wie zu Lasten des Klägers - eingetreten wäre. Dies kann zu einer Änderung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts aus Gründen des Europäischen Gemeinschaftsrechts führen (vgl. EuGH, Urteil vom 29.4.2004, a.a.O.). Ob einer nachträglichen, für den ausgewiesenen Ausländer günstigen Veränderung der Sachlage dadurch Rechnung getragen wird, dass die Ausweisung ab dem Zeitpunkt des Wegfalls oder der nicht unerheblichen Verminderung der europarechtlich erforderlichen Gefährdungslage aufgehoben oder aber - gemäß dem System des nationalen deutschen Ausländerrechts - auf diesen Zeitpunkt (gegebenenfalls auch rückwirkend) nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG befristet wird, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn im Fall des Klägers ist nichts dafür ersichtlich, dass etwa zwischenzeitlich ein Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefahr eingetreten ist. Insoweit ergibt sich vielmehr aus der - genannten - Stellungnahme vom 13.7.2004 des psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Kläger noch immer untergebracht ist, dass er nach wie vor gefährlich ist.
37 
4. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts erweist sich die Ausweisung des Klägers auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig, weil sie mit Art. 4 der RL 64/221/EWG nicht vereinbar wäre.
38 
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Regelung des Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG sei unmittelbar zugunsten des Klägers anwendbar, da es - jedenfalls im konkreten Fall des Klägers - an der notwendigen fristgerechten und vollständigen Umsetzung der Regelung in das nationale Ausländerrecht fehle. Die deutsche Regelung entspreche nicht der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Art. 4 RL 64/221/EWG. Im deutschen Recht sei die Möglichkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Regelung bei Vorliegen der in § 12 Abs. 6 Satz 1 AufenthG/EWG genannten Krankheiten „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ eröffnet und die in Satz 2 festgelegte Einschränkung - durch die Bezugnahme auf Satz 1 - sei auch nur auf Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bezogen, obwohl die ihr zugrunde liegende Norm des Art. 4 RL 64/221/EWG bei der Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen im Anhang zu der Richtlinie ausdrücklich zwischen Krankheiten differenziere, die die öffentliche Gesundheit gefährden und solchen, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden können. Damit entnimmt das Verwaltungsgericht der Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG ein allgemeines Ausweisungsverbot für alle Fälle, in denen Krankheiten nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis-EG auftreten und in denen der Kranke über das „Auftreten“ der Krankheit hinaus die öffentliche Ordnung konkret und schwerwiegend gefährdet. Dies ist nicht gerechtfertigt. Die rechtlichen und praktischen Konsequenzen, die sich aus dieser Auslegung ergeben würden (z.B. das Verbot der Ausweisung eines Alkohol- oder Drogenabhängigen - und damit Suchtkranken - ungeachtet von ihm im Rahmen der Beschaffungskriminalität begangener Straftaten oder eines geisteskranken Terroristen, falls dem Freizügigkeitsberechtigten bereits eine Aufenthaltserlaubnis-EG erteilt wurde), sind durch das Europäische Gemeinschaftsrecht nicht geboten.
39 
b) Die Regelungen der Richtlinie 64/221/EWG sind auch in Bezug auf Art. 4 dieser Richtlinie ordnungsgemäß in deutsches Recht umgesetzt worden und stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
40 
aa) Die Richtlinie, die aus dem Jahr 1964 stammt und an die Mitgliedstaaten gerichtet war, sieht in Art. 4 die Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit und des daraus folgenden Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Gesundheit wie folgt vor:
41 
 „(1) Als Krankheiten oder Gebrechen, die eine Verweigerung der Einreise oder der ersten Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen, gelten nur diejenigen, die im Anhang aufgeführt sind.
42 
(2) Das Auftreten von Krankheiten oder Gebrechen nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis kann die Verweigerung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet nicht rechtfertigen.“
43 
Dazu enthält der Anhang folgende Liste der Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen, die als Grund für eine Maßnahme nach Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG in Frage kommen:
44 
„A. Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können:
45 
1.    quarantänepflichtige Krankheiten,...
46 
2.    Tuberkulose ....
47 
3.    Syphilis;
48 
4.    andere ansteckende oder übertragbare parasitäre Krankheiten und Leiden, ...
49 
B. Krankheiten und Gebrechen, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können:
50 
1.    Suchtkrankheiten;
51 
2. schwere geistige und seelische Störungen; offensichtliche Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen und mit Verwirrungszuständen.“
52 
Die (seit 1.1.2001 geänderte) gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG entspricht den Vorgaben des Art. 4 der RL 64/221/EWG. Die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AufenthG/EWG hat folgenden Wortlaut:
53 
„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit dürfen die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen nur getroffen werden, wenn der Ausländer
54 
1.    an einer Krankheit im Sinne von § 6 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) leidet oder mit einem Krankheitserreger im Sinne von § 7 des Infektionsschutzgesetzes infiziert ist, oder
55 
2.    an Suchtkrankheiten, schweren geistigen oder seelischen Störungen, manifesten Psychosen mit Erregungszuständen, Wahnvorstellungen oder Sinnestäuschungen mit Verwirrungszuständen leidet.
56 
Tritt die Krankheit oder das Gebrechen erst nach der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis-EG auf, so kann dies die Versagung der Verlängerung oder die nachträgliche zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis-EG, die Ausweisung oder Abschiebung nicht begründen.“
57 
bb) Die Regelungen der RL 64/221/EWG konkretisieren die Vorgaben, die - soweit hier maßgeblich - in Art. 39 Abs. 3 EG als Vorbehalte für die Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ausdrücklich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit als gerechtfertigt anerkannt werden. Dabei ist danach zu unterscheiden, aus welchem dieser Gründe die Beschränkung erfolgt. Dementsprechend sind die Gründe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit von den Gründen der öffentlichen Gesundheit (d.h. der Volksgesundheit, vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 25.5.2004 in der Rs. C-275/02, RdNr. 30) zu unterscheiden. Dem trägt auch die RL 64/221/EWG Rechnung. Die Regelungen in Art. 4 RL 64/221/EWG lassen erkennen, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers, die ausschließlich wegen gesundheitlicher Gründe - d.h. wenn eine der Krankheiten vorliegt, die im Anhang zu der Richtlinie aufgeführt sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 64/221/EWG) - erfolgt, nur vor einem Aufenthalt (durch Verweigerung der Einreise) oder zu Beginn des Aufenthalts in dem Aufnahmemitgliedstaat (durch Verweigerung der ersten Aufenthaltserlaubnis, über die spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung entschieden werden muss, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der RL 64/221/EWG) als gerechtfertigt angesehen wird. Damit kommt deutlich zum Ausdruck, dass nicht eine konkrete Gefahrenlage in gesundheitlicher Hinsicht, sondern - zum einen - eine Belastung des Gesundheitswesens des Aufnahmemitgliedstaats und - zum anderen - zugleich eine abstrakte Gefährdung durch eine dieser Krankheiten vermieden werden soll. Dafür spricht auch der Wortlaut des Anhangs zu der RL 64/221/EWG, da dort die Krankheiten aufgeführt sind, welche die öffentliche Gesundheit (unter A.) oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (unter B.) gefährden können. Insoweit ist auch die (letzte) Begründungserwägung zur RL 64/221/EWG aufschlussreich; dort heißt es: „Eine Aufzählung der Krankheiten und Gebrechen, die die öffentliche Gesundheit, Ordnung und Sicherheit gefährden können, hätte wenig praktischen Wert und wäre kaum erschöpfend, und es genügt, diese Leiden nach Gruppen zu ordnen“. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass mit der gruppenweisen Aufzählung der Krankheiten für die Mitgliedstaaten lediglich die - sehr eingeschränkte - Möglichkeit der Beschränkung der Freizügigkeit wegen der abstrakten Gefährdungen, die durch die aufgeführten Krankheiten eintreten können, eröffnet werden sollte.
58 
Aus der Unterscheidung - A. und B. - im Anhang zur RL 64/221/EWG ergibt sich nicht etwa eine inhaltliche Differenzierung dahingehend, dass bei Vorliegen einer der Krankheiten oder Gebrechen, „welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden können“, generell - und ungeachtet des Vorliegens eines sonstigen Grundes, der eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt - im Blick auf die Regelung in Art. 4 Abs. 2 RL 64/221/EWG nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats nicht mehr möglich sein soll. Aus dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelung mit Art. 3 der RL 64/221/EWG ergibt sich vielmehr, dass eine Beendigung des Aufenthalts nach der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis allein aus Gründen der Gesundheit nicht mehr möglich ist, dass jedoch eine entsprechende Beschränkung der Freizügigkeit (z.B. durch eine Ausweisung) aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit des Mitgliedstaats durchaus noch gerechtfertigt sein kann. Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass für eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine abstrakte Gefährdung nicht ausreicht, sondern eine erhebliche konkrete (gegenwärtige) Gefahr durch das persönliche Verhalten des Betroffenen vorliegen muss, d.h. eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Abwehr weiterer von dem Ausländer drohender Gefährdungen berührt. Dies kommt auch in der (nicht datierten) Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zu den Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (dort unter Nr. 3.1.3) zum Ausdruck. Danach schränkt Art. 4 der RL 64/221/EWG (nur) „die Möglichkeit ein, eine Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu treffen“.
59 
Für eine solche Auslegung spricht weiter die - bereits am 1.5.2004 in Kraft getretene, jedoch erst innerhalb von zwei Jahren umzusetzende - Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), mit der die Ausübung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts erleichtert (vgl. dazu die Begründungserwägung [4]) und eine genauere Definition der Umstände und Verfahrensgarantien sichergestellt  werden soll, unter denen Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen die Erlaubnis zur Einreise verweigert werden kann und unter denen sie ausgewiesen werden können (vgl. dazu die Begründungserwägung [22]). In Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie wird darauf abgestellt, dass „als Krankheiten, die eine die Freizügigkeit beschränkende Maßnahme rechtfertigen“, „ausschließlich“ Krankheiten „mit epidemischem Potenzial“ und „sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten“ gelten. In Abs. 2 dieser Richtlinie ist geregelt, dass Krankheiten, die nach Ablauf einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise eintreten, keinen Ausweisungsgrund darstellen. Auch darin kommt zum Ausdruck, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Gesundheit nur in sehr eingeschränktem Maße zulässig sein soll; damit ist aber nichts darüber gesagt, dass etwa deshalb eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nach Ablauf dieser Frist ausgeschlossen sein soll, wenn durch ein - krankheitsbedingtes - persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr eingetreten oder zu erwarten ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie).
60 
cc) Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung des Klägers ausdrücklich nicht auf Gründe der Gesundheit, sondern auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt und dies in der Begründung der angefochtenen Verfügung zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Bedeutung der Begründung einer Entscheidung über die Beschränkung der Freizügigkeit auch Art. 6 der RL 64/221/EWG). Diese Gründe rechtfertigen - wie ausgeführt - die Ausweisung. Insbesondere ist zu beachten, dass das Regierungspräsidium nicht etwa nach dem ersten Auftreten der Krankheit des Klägers und seiner Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus bereits die Beendigung seines Aufenthalts - aus Gründen der Gesundheit - verfügt hat, sondern erst zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger ein erhebliches gefährliches Verhalten gezeigt hat, die Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung angeordnet hat.
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5. Die Ausweisung des Klägers verstößt auch nicht gegen Verfahrensgarantien des Europäischen Gemeinschaftsrechts.
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a) Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG deshalb vorliege, weil das Regierungspräsidium die angefochtene Verfügung erlassen hat und nach innerstaatlichem deutschem Recht - hier: in Baden-Württemberg - gegen diese Verfügung kein Widerspruchsverfahren stattfindet (vgl. § 6a [bad.-württ.] AGVwGO), dem Betroffenen vielmehr unmittelbar die Möglichkeit der Anrufung des Verwaltungsgerichts im Wege der Anfechtungsklage eröffnet ist. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29.4.2004 (verb. Rs. C-482/01 und C-493/01 , a.a.O.) bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte gewährte Rechtsschutz den Anforderungen dieser Richtlinie genügt.
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b) Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) zur Erfüllung der Voraussetzungen in Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221/EWG - nämlich dass die Rechtsmittel nicht nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen - eine „umfassende materiell-rechtliche Prüfung“ nicht als ausreichend angesehen (RdNr. 109 des Urteils). Vielmehr verlangt der EuGH hierfür zusätzlich eine erschöpfende Prüfung (bzw. Entscheidung) in Bezug auf die „Zweckmäßigkeit“ der Ausweisung im Hinblick auf die Erfordernisse eines hinreichend effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. RdNr. 110 des Urteils). Um den Inhalt dieses Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ zu bestimmen, ist jedoch nicht vom deutschen Rechtsverständnis dieses Begriffs (etwa im Zusammenhang mit der Zweckmäßigkeits-Kontrolle im Widerspruchsverfahren, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auszugehen, sondern davon, welcher Bereich außer der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ zur Gewährleistung des (vom EuGH geforderten) „effektiven gerichtlichen Schutzes“ Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein muss. Daher ist zunächst zu untersuchen, was der EuGH unter einer „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ versteht. Auch dabei ist nicht vom deutschen Rechtsverständnis auszugehen, sondern – ausgehend von dem auf einem europäischen Mindestkonsens beruhenden Begriffsniveau - von der Vorstellung einer zwar vertieften, aber doch auf die Übereinstimmung mit dem materiellen Gesetz (d.h. der Eingriffsnorm; unter Beachtung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes) beschränkten Kontrolle, wie sich dies auch aus der französischen Übersetzung der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ („ vérification approfondie du droit matériel “, RdNr. 109 des Urteils) ersehen lässt. Die Bedeutung des Begriffs der „Zweckmäßigkeit“ in dem hier maßgeblichen Sinne ist demnach unter Abgrenzung gegenüber diesem Begriffsinhalt der „umfassenden materiell-rechtlichen Prüfung“ aus dem Normgefüge und -verständnis des Europäischen Gemeinschaftsrechts nach Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG zu bestimmen. Um den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, der vom EuGH - insbesondere zur Garantie des „effet utile“ (der praktischen Wirksamkeit) des EG-Rechts - zu Recht gefordert wird, ist als eine „erschöpfende“ (= uneingeschränkte) Prüfung einer Ausweisung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ im gemeinschaftsrechtlichen Sinn eine umfassende inhaltliche (Rechts-) Kontrolle der Maßnahme in Bezug auf ihre (rechtliche) Übereinstimmung mit dem Zweck der Norm zu verstehen. Zwar hat der EuGH in dem Urteil vom 29.4.2004 (a.a.O.) insoweit das dafür maßgebliche Prüfprogramm nicht aufgeführt. Jedoch lässt sich aus den Anforderungen, die der EuGH im Entscheidungssatz 5 dieses Urteils für die gemeinschaftsrechtliche Unbedenklichkeit einer Ausweisung aufgeführt hat, ersehen, welche Kriterien für die Prüfung der „Zweckmäßigkeit“ maßgeblich sein sollen. Der EuGH hat an dieser Stelle entschieden, dass Art. 39 EG und die RL 64/221/EWG der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen stehen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, „unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt“. Daraus ergibt sich, dass im Fall der Ausweisung und anderer aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger eine strenge rechtliche Prüfung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (in seinen Ausprägungen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit des Ausgleichs zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen [sog. Mittel-Zweck-Relation]) sowie anhand der gemeinschaftsrechtlichen Grundrechte stattfinden muss, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist (zu den einzelnen Kriterien vgl. insbesondere die Begründung in RdNrn. 95 – 99 des Urteils). Hingegen verlangt der EuGH nicht, dass eine Ausweisung ausschließlich nach Ermessen erfolgen darf. Dies folgt auch deutlich aus der französischen Fassung des Urteils. Darin wird der deutsche Rechtsbegriff der „Zweckmäßigkeit“ mit „opportunité“ übersetzt (vgl. RdNr. 110), während in der französischen Rechtssprache Ermessen „pouvoir discrétionnaire“ und freies Ermessen „pouvoir discrétionnaire libre“ bedeutet (vgl. Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, 1977, Band 2, S. 130 z. Stichwort Ermessen/Verwaltungsermessen).
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Die demnach vom EuGH geforderte rechtliche Prüfungsdichte ist in Deutschland durch die Verwaltungsgerichte in vollem Umfang garantiert. Wie der Senat bereits in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 – 11 S 1270/02 – (EZAR 034 Nr. 14 = VBlBW 2003, 289 [Ls]) ausgeführt hat, unterliegt die erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer Ausweisung im jeweiligen Einzelfall keiner prozessualen Beschränkung; die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung wird in vollem Umfang geprüft und der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen aufgeklärt (s. UA S. 31 ff). Alle Umstände, die von rechtlicher Bedeutung für die Ausweisung sind, werden berücksichtigt und an den rechtlichen Vorgaben - in einer „ersten Stufe“ - des nationalen und - in einer „zweiten Stufe“ - des supranationalen Rechts sowie des zwischenstaatlichen und des Völkerrechts geprüft. Dabei werden die Anforderungen an eine strenge, an den Grundrechten orientierte Verhältnismäßigkeitskontrolle erfüllt. Diese Kontrolle bezieht sich - unter Beachtung des im deutschen Recht gewährleisteten subjektiven Rechtsschutzes - ausschließlich auf den jeweiligen Einzelfall. Ob im nationalen deutschen Recht eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung vorliegt, ist für die europarechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unerheblich. Eine solche stringente Rechts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle wird den Anforderungen des EuGH an einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gerecht; eine weitergehende „Zweckmäßigkeits“-Entscheidung, bei der etwa außer-rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt würden, wäre zudem mit den Anforderungen der Art. 8 und 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG schwerlich vereinbar. Der Befassung einer - weiteren - „zuständigen Stelle“ bedarf es demnach nicht.
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Diese Auslegung wird schließlich bestätigt durch die Regelungen in Art. 31 Abs. 1 und Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 28) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 S. 77), die „Verfahrensgarantien“ regeln und ersichtlich nicht hinter dem Schutzstandard der RL 64/221/EWG zurückbleiben sollen. In dieser Richtlinie ist die Stellungnahme einer anderen „zuständigen Stelle“ nicht mehr vorgesehen. Nach Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Gemäß Art. 31 Abs. 3 dieser Richtlinie sind im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 („Schutz vor Ausweisung“) nicht unverhältnismäßig ist. Insoweit ist insbesondere Art. 28 Abs. 1 dieser Richtlinie von Bedeutung, der einen Beispielskatalog der wichtigsten in diesem Zusammenhang beachtlichen Beurteilungskriterien enthält. In  Art. 28 Abs. 1 ist geregelt, dass der Aufnahmemitgliedstaat - bevor er eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt - insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigt.
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Mit der vorliegenden Entscheidung führt der Senat seine Rechtsprechung fort, die er in dem (rechtskräftigen) Urteil vom 28.11.2002 (a.a.O.) zu den hier maßgeblichen Fragen eingeleitet hat.
68 
III. Die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung der Abschiebung in der angefochtenen Verfügung begegnen im Übrigen weder nach nationalem deutschem Ausländerrecht noch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht rechtlichen Bedenken.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
70 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.