Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I.

Ziffer 2 und die Androhung der Abschiebung nach Afghanistan in Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Januar 2013 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1. Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein am ... in A. in der Provinz G. geborener afghanischer Staatsangehöriger und Volkszugehöriger der Hazara. Er gibt an, verheiratet zu sein und drei Kinder zu haben, aber bei seiner Ausreise an der Grenze zum Iran von seiner Familie getrennt worden zu sein. Er habe sein Herkunftsland im Jahre 2007 verlassen, zunächst etwa zwei Jahre lang in Pakistan und dann etwa ein halbes Jahr im Iran gelebt und sei danach in die Türkei weitergereist. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Türkei sei er mit einem Lkw nach Griechenland gereist und von dort aus weiter auf einer Fähre nach Italien. Nach kurzem Aufenthalt in Italien sei er per Pkw nach Deutschland gereist, wo er am 29. November 2010 polizeilich aufgegriffen wurde. Am 9. Dezember 2010 beantragte der Kläger Asyl.

2. In seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 27. Januar 2011 (Bl. 60 ff. der Bundesamtsakte) gab der Kläger zunächst an, er sei nach Pakistan gegangen, weil sein Vater verstorben sei, als er neun Jahre alt gewesen sei. Er sei dann von zwei Onkeln unterdrückt worden, die sein Land hätten haben wollen. Deswegen sei er ausgereist. In Pakistan habe er einen Dorfbewohner kennengelernt, der sein Land in Afghanistan gekauft habe. Mit dem Geld habe er seine Ausreise nach Deutschland finanziert. Aus Sicherheitsgründen habe er auch nicht in Pakistan leben können. Nach seinem Verfolgungsschicksal befragt, gab der Kläger an, seine Schwester sei von Zuhause ausgerissen, weil einer der Onkel sie nach dem Tode des Vaters mit einem älteren Mann habe verheiraten wollen. Der Kläger habe seine Schwester überall gesucht, auch in der Provinz Kandahar. Auf der Rückkehr von dort sei er von Taliban aufgegriffen worden, die seine Tazkira und seinen Dienstausweis weggenommen und ihn selbst entführt hätten. Sie hätten ihn zwei Monate lang in Aguhjan festgehalten und ihn verhört, insbesondere über sein Heimatdorf. Er sei auch gefoltert worden. Er sei dann an einen anderen Ort verlegt worden. Ein Kommandant namens Qayomham habe dann die Taliban angegriffen und sie vertrieben. Er habe den Kläger und andere entführte Personen nach Qarabagh gebracht. Dort habe er sie wiederum verhört. Danach sei der Kläger weggelaufen. Ein Freund habe ihm geraten, wegen der ganzen Probleme nach Pakistan zu gehen. Die Taliban hätten Ende des Jahres 1385 nach afghanischer Zeitrechnung sein Heimatdorf angegriffen und danach habe der Kommandant die Taliban angegriffen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das umfangreiche Protokoll der Anhörung Bezug genommen (Bl. 60/68 der Bundesamtsakte).

3. Mit Bescheid vom 29. Januar 2013 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1 des Bescheides), entschied, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides) sowie dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 3), und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (Ziffer 4). Auf die Gründe des Bescheides wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

4. Gegen diesen ihm am 5. Februar 2013 zugestellten Bescheid (Bl. 108/109 der Bundesamtsakte) ließ der Kläger mit am 19. Februar 2013 eingegangenem Schriftsatz Klage erheben. Zur Begründung wurde zunächst den Gründen des Bescheides entgegengetreten.

Ergänzend wurde mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2014 ausgeführt, dass der Kläger inzwischen zum Christentum konvertiert sei. Auch vor diesem Hintergrund sei ihm eine Rückkehr nach Afghanistan unmöglich. Auf ein vorgelegtes Gutachten der Frau Prof. Dr. C. Sch. über die rechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen des Abfalls vom Islam in islamischen Staaten wurde verwiesen.

Vorgelegt wurde des Weiteren eine Bescheinigung der Baptistenkirche Aschaffenburg vom 8. September 2014, aus der hervorgeht, dass der Kläger am 28. Juli 2014 in der Baptistengemeinde getauft wurde, sowie eine Video-DVD der Kirchengemeinde, auf der auch der Kläger zu sehen ist.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen,

hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,

hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in der Person des Klägers festzustellen,

sowie den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29. Januar 2013 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

5. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6. Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 3. Februar 2015 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

7. Mit Beschluss vom 3. März 2015 wurde dem Kläger unter Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe gegen monatliche Ratenzahlung bewilligt.

Verschiedene, in der Liste der Erkenntnismittel für Afghanistan, Stand Oktober 2014, verzeichnete Dokumente waren Gegenstand des Verfahrens.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die trotz des Ausbleibens von Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und im Hauptantrag begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 29. Januar 2013 ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylVfG (BT-Drs. 16/5065 S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Danach wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Ausschlussgründe des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist Flüchtling i. S. des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Herkunftsland).

Gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG ist vorliegend das Asylverfahrensgesetz in der ab1. Dezember 2013 geltenden, durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) geschaffenen Fassung anzuwenden. In den §§ 3a bis 3e AsylVfG sind nunmehr in Umsetzung von Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 v. 20.12.2011) - QRL - (vgl. BT Drs. 17/13063 S. 19) die Voraussetzungen für Verfolgungshandlungen, Verfolgungsgründe, Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann und Akteure, die Schutz bieten können, und für internen Schutz geregelt. Nach § 3c AsylVfG kann eine Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG gelten als Verfolgung i. S. des § 3 Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - (BGBl. 1952 - II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb seines Heimatlandes. Aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben droht ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung i. S. d. § 3a Abs. 1 AsylVfG (1.1). Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative i. S. d. § 3e AsylVfG zur Verfügung (1.2).

1.1 Eine Verfolgung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 a) QRL, der durch § 3a Abs. 1 AsylVfG umgesetzt wurde, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - BayVBl. 2013, 234, juris Rn. 57 ff.) sowie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 21 ff.; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 23 ff.) auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG a. a. O. Rn. 21). Zur Qualifizierung eines Eingriffs in das Recht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta als „erheblich“ kommt es nicht auf die im Rahmen des Art. 16a Abs. 1 GG sowie des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 maßgebliche Unterscheidung an, ob in den Kernbereich der Religionsfreiheit, das „religiöse Existenzminimum“ (forum internum) eingegriffen wird oder ob die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit (forum externum) betroffen ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.1.2004 - 1 C 9/03 - BVerwGE 120, 16/20 f., juris Rn. 12 ff. m. w. N.). Vielmehr kann ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (EuGH a. a. O. Rn. 62 f.; BVerwG a. a. O. Rn. 24 ff.; VGH BW a. a. O. Rn. 43; OVG NRW a. a. O. Rn. 29 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher abzustellen auf die Art der Repressionen und deren Folgen für den Betroffenen (EuGH a. a. O. Rn. 65 ff.), mithin auf die Schwere der Maßnahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (BVerwG a. a. O. Rn. 28 ff.; VGH BW a. a. O.; OVG NRW a. a. O.). Dieser Rechtsprechung hat sich das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (vgl. VG Würzburg, U. v. 19.12.2014 - W 1 K 12.30183 - juris Rn. 23; U. v. 25.2.2014 - W 1 K 13.30164 - juris Rn. 23; U. v. 7.2.2014 - W 1 K 13.30044 und W 1 K 1W 1 K 13.30045, juris Rn. 19; U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 19).

Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - juris Rn. 70; BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 28 ff.).

Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z. B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere - aber nicht nur - dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 28 m. w. N.).

Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - juris Rn. 70; BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 29; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 48; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, B. v. 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; VGH BW a. a. O.). Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U. v. 20.2.2013 a. a. O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG a. a. O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG a. a. O.; VGH BW a. a. O. Rn. 49).

Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 30; B. v. 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; OVG NRW, B. v. 11.10.2013 - 13 A 2041/13.A - juris Rn. 7; U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 13). Dabei ist das Gericht nicht an kirchliche Bescheinigungen und Einschätzungen gebunden (BayVGH, 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - juris Rn. 5; OVG Lüneburg, B. v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - juris Rn. 6). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG v. 20.2.2013 a. a. O. Rn. 31; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris 50).

Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im Falle des Klägers die erforderliche objektive (1.1.1) und subjektive Schwere (1.1.2) der ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vor. Ihm droht deshalb aufgrund eines anzuerkennenden subjektiven Nachfluchtgrundes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung i. S. d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG.

1.1.1 Nach der Überzeugung des Gerichtes sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit - auch nur in bestimmten Landesteilen - nicht erreichbar (OVG NRW, U. v. 19.6.2008 - 20 A 3886/05.A - juris Rn. 25 ff.; VG Würzburg, U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 25; U. v. 24.9.2012 - W 2 K 11.30303 - UA S. 11 ff.; U. v. 16.2.2012 - W 2 K 11.30264 - UA S. 8 ff.; VG Augsburg, U. v. 8.4.2013 - Au 6 K 13.30004 - juris Rn. 24 ff.; U. v. 9.6.2010 - Au 6 K 10.30098 - juris Rn. 39 ff.; VG Saarland, U. v. 21.3.2012 - 5 K 1037/10 - juris Rn. 33 ff.). Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar wird den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Somit gewährleistet die Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Dieses Grundrecht umfasst jedoch nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren, und schützt somit nicht die freie Religionswahl (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004 Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, September 2012, S. 18). Vielmehr kommt im Fall des Wechsels vom Islam zu einer anderen Religion Scharia-Recht zur Anwendung. Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (sog. Apostasie). Die Todesstrafe wegen Konversion wurde allerdings nach Kenntnissen des Auswärtigen Amtes bisher nie vollstreckt (Lagebericht a. a. O. S. 11). Konvertiten drohen jedoch Gefahren oft auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, da der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird (Lagebericht a. a. O.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, zusammenfassende Übersetzung vom 24.3.2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte - IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan - Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 8 ff.; Dr. M. D., Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig, S. 1 ff.). Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Der Betroffene hat dann drei Tage Bedenkzeit. Widerruft er bis dahin seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt (IGFM, Stellungnahme vom 27.2.2008, S. 8; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6). Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten, und sie können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Dr. M. D. a. a. O., S. 2 f.). Es wäre Christen auch nicht möglich, sich der Teilnahme an muslimischen Riten wie dem fünf Mal täglichen Gebet, dem Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten zu entziehen (Dr. M. D. a. a. O., S. 6 f.). Im Februar 2014 wurde durch die Taliban ein Anschlag auf ein „Guesthouse“ verübt, in welchem auch christliche Gottesdienste stattfanden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17/18). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM a. a. O., S. 1, 5, 8 f.; Dr. M. D. a. a. O., S. 1 f., 3 ff.). Anderweitige Erkenntnisse ergeben sich auch nicht aus dem aktuellen Lagebericht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand Oktober 2014, v. 2.3.2015, S. 10, 12).

1.1.2 Im Falle des Klägers liegt auch die erforderliche subjektive Schwere vor, weil es nach der Überzeugung des Gerichtes ein unverzichtbarer Bestandteil seiner religiösen Identität ist, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn gemeinsam mit anderen auszuüben, insbesondere an Gottesdiensten teilzunehmen, und seinen Glauben an andere weiter zu geben.

Der formale Glaubenswechsel des Klägers ist durch den bereits vollzogenen Akt der Taufe am 28. Juli 2014 belegt. Darüber hinaus ist jedoch für die Annahme einer Verfolgungsgefahr und damit für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass der Glaubenswechsel, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr die religiöse Identität des Betroffenen prägt (BayVGH, B. v. 20.4.2015 - 14 ZB 13.30257 - juris Rn. 4; B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - juris Rn. 7; HessVGH, U. v. 26.7.2007 - 8 UE 3140/05.A - juris Rn. 20 ff.; B. v. 26.6.2007 - 8 UZ 1463/06.A - juris Rn. 12 ff.; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 37 ff.). Auf eine solche echte Glaubensüberzeugung kommt es nur dann nicht an, wenn im Herkunftsland bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde (HessVGH a. a. O.; OVG NRW a. a. O.). Letzteres ist in Afghanistan nach der Erkenntnislage und der Rechtsprechung (vgl. z. B. HessVGH a. a. O.; OVG NRW a. a. O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch nicht der Fall.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive seines Glaubenswechsels zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht. Er hat nachvollziehbar angegeben, sich nach seiner Trennung von der Familie bei der Ausreise und der Inhaftierung bei der Einreise in das Bundesgebiet in einer Phase der inneren Orientierungslosigkeit befunden zu haben, die er auch seelisch und körperlich in Form von Suizidgedanken und Atembeschwerden wahrgenommen habe. Durch die Begegnung mit einem anderen, bereits konvertierten afghanischen Staatsangehörigen in der Asylbewerberunterkunft sei er zur Baptistenkirche A. gekommen, wo er zunächst an Gottesdiensten und dann auch einem religiösen Hauskreis teilgenommen habe. Diese Angaben sind durch die vorgelegte Bescheinigung der Baptistenkirche A., auch in zeitlicher Hinsicht, belegt. Mit dem Beginn seiner Gottesdienstbesuche habe er zunehmend eine Besserung seiner seelischen und körperlichen Beschwerden verspürt, was für ihn das entscheidende Erlebnis (Schlüsselerlebnis) dargestellt habe, zum christlichen Glauben überzutreten.

Der Kläger hat dieses Schlüsselerlebnis seiner „Heilung“, wie er es selbst bezeichnet, für das Gericht nachvollziehbar religiös gedeutet. Er hat in der mündlichen Verhandlung aus der von ihm mitgebrachten persischen Bibel Textstellen des Matthäus-Evangeliums zitiert, nach denen Jesus Kranke heilte. Aufgrund dieser Heilungsgeschichten in der Heiligen Schrift und seines von ihm so erlebten Heilungsprozesses sei er zu der festen Überzeugung gekommen, dass die biblischen Verheißungen Wahrheit seien. Damit hat der Kläger einen gewissensgeleiteten, durch religiöse Werte und Normen hervorgerufenen Akt der inneren Umkehr und damit einen Wendepunkt in seinem Leben glaubhaft geschildert und damit hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei seiner Hinwendung zum Christentum um eine Gewissensentscheidung handelt, die von einer echten Glaubensüberzeugung geleitet ist. Zugleich hat er Kenntnisse von wesentlichen Glaubensinhalten nachgewiesen, dies auch durch seine Bezugnahme auf den Missionsbefehl im Matthäus-Evangelium, Kapitel 28, Vers 18-20 im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung.

Der Kläger konnte auch darlegen, dass er seinen neuen Glauben im Bundesgebiet praktiziert und dies auch im Herkunftsland tun wollen würde. Er nimmt ausweislich der vorgelegten Bescheinigung regelmäßig an den Gottesdiensten und Bibelkreisen der Baptistenkirche in A. teil und ist seit dem Ausscheiden eines afghanischen Landsmannes aus der Asylbewerberunterkunft selbst Gastgeber eines wöchentlich stattfindenden Hauskreises. Außerdem hat der Kläger erklärt, dass er den Befehl zur Missionierung für sich als verbindlich betrachte. Er würde auch in Afghanistan auf jeden Fall als Christ leben wollen. Denn die von ihm erlebte seelische Heilung sei sein größter Schatz, den er nicht preisgeben wolle. Mit diesen Verhaltensweisen und Überzeugungen würde der Kläger in der muslimisch geprägten Gesellschaft Afghanistans unweigerlich auffallen und landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sein. Damit hat er glaubhaft gemacht, auch in Afghanistan unter Inkaufnahme von Risiken als Christ leben zu wollen. Es steht somit fest, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure i. S. d. § 3c Nr. 1, 3 AsylVfG ausgesetzt zu sein.

1.2 Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die oben (Punkt 1.1.1) geschilderten Gefahren für zum Christentum konvertierte Moslems drohen in Afghanistan landesweit, auch in der Stadt Kabul. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten sein (vgl. Lagebericht, S. 11). Selbst dort gibt es aber für christliche Afghanen keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Schutz vor Übergriffen Privater ist für Christen in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM, Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1). In der Rechtsprechung wird diese Einschätzung teilweise geteilt (z. B. OVG NRW, U. v. 19.6.2008 - 20 A 3886/05.A - InfAuslR 2008, 411, juris Rn. 33 ff., dort auch explizit zu Kabul; VG Würzburg, U. v. 25.2.2014 - W 1 K 13.30164 - juris Rn. 37; U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 32; U. v. 24.9.2012 - W 2 K 11.30303 - UA S. 13 ff.; U. v. 16.2.2012 - W 2 K 11.30264 - UA S. 12 ff.; VG Augsburg, U. v. 8.4.2013 - Au 6 K 13.30004 - juris Rn. 27 ff.; U. v. 18.1.2011 - Au 6 K 10.30647 - juris Rn. 46; eine Fluchtalternative in Kabul bejahend VG Augsburg, U. v. 22.6.2012 - Au 6 K 11.30345 - juris Rn. 20 ff.). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage, soweit ersichtlich, offen gelassen (vgl. BayVGH v. 16.5.2013 - 13a ZB 12.30297 - juris Rn. 3 f.); in der genannten Entscheidung war dies nicht entscheidungserheblich. Das erkennende Gericht schließt sich somit auch im vorliegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der erstgenannten Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für Christen in Afghanistan ausscheidet, wenn sie ihren Glauben nicht verheimlichen oder gar verleugnen wollen (vgl. VG Würzburg, U. v. 19.12.2014 - W 1 K 12.30183 - juris Rn. 36; U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 32). Ein derartiges Verhalten wäre dem Kläger nicht zumutbar, da es, wie im Gerichtsverfahren deutlich wurde, seine religiöse Identität verletzen würde.

Nach alledem hat die Klage im Hauptantrag Erfolg.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylVfG).

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708, 711 ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis


In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 16a


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
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Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
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Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
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Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
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b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Tenor

I.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juli 2012 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.

Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am ... in H. geborener afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit, verließ sein Herkunftsland am 15. Oktober 2010 und reiste auf dem Landweg über den Iran und die Türkei nach Griechenland. Nach einem etwa einmonatigen Aufenthalt in Athen reiste er am 8. Dezember 2010 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein. Hier beantragte er am 12. Januar 2011 Asyl.

In seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Februar 2011 gab der Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal im Wesentlichen an, er habe acht Jahre lang im Iran in M. die Schule besucht. Anschließend habe er sich fünf Jahre lang wieder in Afghanistan aufgehalten, wo sie ein Haus und noch nicht verteiltes Land gehabt hätten. Bevor er wieder nach Afghanistan zu einem Freund zurückgekehrt sei, habe er nochmals zwei Jahre lang in M. gelebt. Die fünf Jahre in Afghanistan habe er in H. verbracht. Sie seien damals wegen ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage zurück nach Afghanistan gegangen. Das Stoffgeschäft seines Vaters sei „pleite“ gegangen. Sie hätten im Iran eine Flüchtlingskarte gehabt. Während der fünf Jahre in H. habe er in einer Drogerie gearbeitet. Am 8. Dezember 2010 sei er am Flughafen in Frankfurt angekommen. Mit welcher Airline er gereist sei, könne er nicht mehr sagen, weil er große Angst vor dem Fliegen gehabt habe. Der Schleuser sei mit ihm an Bord gewesen. Seine Mutter habe die Ausreise mit Hilfe eines Onkels finanziert.

Er habe Afghanistan verlassen müssen, weil sein Vater ihn wegen seiner Konversion zum Christentum verstoßen habe. Fünf bis sechs Monate vor seiner Konversion habe er aufgehört zu beten. Seine Familie sei sehr religiös gewesen und sein Vater habe ihn gefragt, weshalb er nicht mehr bete. Er habe seinem Vater erklärt, dass seine Schwester, die gezittert habe und halbseitig gelähmt gewesen sei, geheilt worden sei. Deshalb habe er seine Religion gewechselt. Sein Vater habe ihn deshalb geschlagen. Seine Schwester sei krank gewesen, sie habe gezittert und sei halbseitig gelähmt gewesen. Seine Eltern hätten zu Allah, den Propheten und dem Imam gebetet. Er selbst habe seine Augen geschlossen und zu Jesus gesagt, wenn es Dich wirklich gibt, dann heile meine Schwester. Er sei dann zu ihr gegangen, Ärzte und Krankenschwestern seien um ihr Bett herumgestanden und dann habe sie sich plötzlich bewegen können. Das sei für ihn das Erlebnis gewesen, das ihn zum Wechsel zum Christentum motiviert habe. Er habe alle Bedingungen, die für einen richtigen Moslem gelten, beachtet. Er habe täglich gebetet, im Ramadan-Monat gefastet, zuletzt etwa im Herbst. Dann sei er beim Schrein von Imam Reza gewesen, dem 8. Imam. Er sei dorthin gepilgert. In H. sei er bei einer heiligen Moschee namens Abu Moschee gewesen, die für die Schiiten sehr heilig sei. Zu Hause hätten sie Satelliten-Fernsehen gehabt. Dort sei ein Kanal namens Rahe Nejat, übersetzt: Weg zur Befreiung, gelaufen. Dabei handele es sich um einen amerikanischen Sender, der von in Amerika lebenden Iranern betrieben werde. Dort habe er eine Sendung angesehen, in der man einen großen Raum mit vielen Kranken gesehen habe. Sie hätten Halleluja gesagt und hätten sich plötzlich wieder bewegen können. Sie seien gesund gewesen. Im Iran habe er im Fitness-Center einen Freund gehabt, einen Armenier, der ihm Informationen gegeben habe. In dem Augenblick, als seine Schwester wieder gesund geworden sei, sei er Christ geworden. Den Sender Rahe Nejat habe er immer nur dann gesehen, wenn sein Vater nicht zu Hause gewesen sei. Er hätte es ihm sicher verboten, diesen Sender anzusehen. In der zeitlichen Abfolge habe er zuerst den Sender gesehen, dann sei einige Monate, bevor er aus Afghanistan ausgereist sei, das Ereignis mit seiner Schwester im Krankenhaus passiert und zuvor noch habe er den Armenier im Fitness-Center kennengelernt und zu den Dingen befragt, die er in dem Fernsehprogramm gesehen habe. Aber vor der Heilung seiner Schwester sei alles aus Neugierde passiert. Die Entscheidung zur Konversion habe er erst später getroffen. Der Armenier habe ihm vom Christentum erzählt, dass es, wie auch im Islam, Säulen gebe und man ihnen folgen müsse. Sie sagten z. B., dass man nicht töten solle, nicht vor der Heirat eine Beziehung eingehen solle, dass man sonntags beten solle, dass man nicht schlecht über andere reden solle. Man solle nicht in der Öffentlichkeit spenden usw. Es gebe das Vater-Gebet, das ihm sein Anwalt vom Deutschen in die Dari-Sprache übersetzt habe. Er habe vieles gesehen, auch über die Verse und Abschnitte aus dem Heiligen Buch. Er erinnere sich an die Erzählung über den Bruder von Maria, der eines Tages gestorben und begraben worden sei. Dann sei Jesus gekommen und sie habe zu ihm gesagt: „Wärst Du doch früher gekommen, dann wäre mein Bruder noch am Leben.“ Jesus habe gesagt: „Ich komme, um ihn auferstehen zu lassen.“ Und so sei er wieder lebendig geworden. Dann habe er noch etwas gesehen, es sei eine Hochzeitsfeier gewesen. Jesus habe einen Eimer Wasser zu Wein gemacht, was ein weiteres Zeichen für seine Existenz gewesen sei. Das sei ein Wunder gewesen.

Als er aus H. zurückgekommen sei und sich noch über ein Jahr lang in M. aufgehalten habe, habe er dort im Stoffgeschäft seines Vaters gearbeitet. Er habe damit gerechnet, dass sein Vater mit ihm streiten würde. Aber dass er ihn verstoßen würde, wenn er erfahre, dass er zum Christentum konvertiert sei, damit hätte er nicht gerechnet. Die Ärzte hätten über seine Schwester gesagt, dass sie sich in einem Stadium befinde, in dem man nichts mehr machen könne, und dass sie gelähmt bleiben werde. Der genannte Sender sei im Iran verboten, aber über 90% der Haushalte hätten Satelliten-Fernsehen und könnten den Sender sehen. Er wisse auch relativ viel über Mohammed oder über islamische Propheten. Mohammed habe die Menschen dazu aufgerufen, keine weiteren Götzenbilder mehr neben sich zu haben. Man solle nur noch an den einen Gott glauben. Vieles, was es im Christentum gebe, gebe es auch im Islam. Im Islam folge man aber den Vorschriften nicht.

Zwischen dem Ereignis im Krankenhaus und seiner Ausreise hätten etwa vier Monate gelegen. In diesen vier Monaten habe er Informationen über die Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum gesammelt. Er habe einen armenischen Freund besucht und befragt. Dieser habe ihm auch ein Gebet beigebracht, das er anstelle des muslimischen Gebetes gesprochen habe. Als Reaktion auf seine Konversion habe sich das Verhalten seiner Familie und seiner Freunde ihm gegenüber sehr geändert. Das Verhalten seiner Freunde sei sehr unterschiedlich gewesen, die Gebildeten hätten ihn nicht geschnitten, aber die anderen seien nicht mal mehr in die Nähe seines Geschäftes gekommen und hätten ihn nicht mehr angeschaut. Sein Bruder habe seine Cousine geheiratet und sei deswegen zu ihr nach Deutschland gegangen. Der wesentlichste und positivste Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum seien aus seiner Sicht die Zehn Gebote, denen im Christentum gefolgt werde, im Islam aber nicht. Für jemanden, der sehr gläubig sei, sei es negativ, wenn andere nicht den Regeln des Islam folgten. In den drei Monaten bis zu seiner Rückkehr nach H. habe er sich die meiste Zeit damit beschäftigt, sich über die Religion zu informieren. Sonst sei nichts passiert. Er habe dann auch nicht mehr im Geschäft seines Vaters geholfen. Er habe sich dann bei seiner Großmutter aufgehalten, bis er nach H. gegangen sei.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 20. Januar 2012 legte der Kläger eine Taufbescheinigung der Baptisten-Gemeinde, A., vom 4. September 2011 vor. Des Weiteren wurden mehrere Bescheinigungen der Baptisten-Gemeinde über die regelmäßige Teilnahme des Klägers an den Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen vorgelegt.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2012 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1 des Bescheides), verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 2) sowie von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Ziffer 3) und forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (Ziffer 4 des Bescheides). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht nachvollziehbar und deshalb unglaubhaft, dass die Mutter des Klägers ohne das Wissen ihres Ehemannes, des Vaters des Klägers, die Summe in Höhe von 12.000,00 Euro aufgebracht haben solle, um die Ausreise zu finanzieren. Angesichts der in Afghanistan vorherrschenden gesellschaftlichen Umstände sei es nicht vorstellbar - zumal in einer streng religiösen Familie -, dass die Mutter logistisch derart agiere und zudem ihre eigene Existenz in Frage stelle. Ebenso unglaubhaft sei es, dass der vermeintliche Glaubenswechsel in der vom Kläger geschilderten Art und Weise in die Öffentlichkeit gelangt sein solle, so dass Geschäftskunden ihn beispielsweise nicht mehr beachtet hätten. Insofern sei bereits in keiner Weise ersichtlich, inwieweit er überhaupt in den Fokus möglicher Verfolger geraten könne. Nach Würdigung seines Sachvortrages sei der Kläger zu keiner Zeit exponiert aufgetreten, so dass er in den Fokus möglicher Verfolger hätte geraten können. Des Weiteren habe der Kläger nicht hinreichend darzulegen vermocht, dass er dem christlichen Glauben in voller Überzeugung zugeneigt sei. So sei es ihm nicht möglich gewesen, die Grundprinzipien und Wertevermittlung des christlichen Glaubens darzulegen, die auch nur annähernd eine Überzeugung zu dieser Religion erkennen lassen würde. Die pauschale Angabe, durch das Ereignis der Heilung seiner Schwester konvertiert zu sein, erscheine geradezu konstruiert, weil er gerade nicht in der Lage gewesen sei, seine intensive vorherige Befassung mit der neuen Religion nachvollziehbar zu schildern. Dies spiegele sich auch in dem Sachvortrag wieder, dass er erste Informationen über einen armenischen Freund und das Satelliten-Fernsehen erhalten habe, was er inhaltlich derart unkonkret vorgetragen habe, dass ihm die Hinwendung zum neuen Glauben nicht abgenommen werden könne. Wenn der Kläger beispielsweise der Nachfrage, welches der Hauptunterschied zwischen Islam und Christentum sei, in der Weise begegne, dass den Zehn Geboten im Christentum gefolgt werde, im Islam hingegen nicht, lasse sich bereits eine von religiöser Überzeugung getragene Gewissensentscheidung nicht nachvollziehen. Der Kläger habe vorgetragen, er wolle zwar seit dem Sommer 2010 Christ sein, eine Taufe habe es aber bisher nicht gegeben. Insofern sei auch keine Konversion zum christlichen Glauben erfolgt. Ganz abgesehen davon lebe er seit nunmehr über 18 Monaten in der Bundesrepublik Deutschland, auch hier sei eine Konversion offenbar nicht erfolgt, zumindest habe der Kläger keine Taufbescheinigung vorgelegt. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Angesichts der im Gebiet der Stadt H. herrschenden Situation sei das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu verneinen. Rückkehrer seien bei einer Einreise nach Afghanistan über Kabul und einer Weiterreise nach H. nicht auf den unsicheren Landweg angewiesen, sondern hätten die Möglichkeit, mit einer der afghanischen Fluggesellschaften dorthin zu gelangen. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liege nicht vor. Aus dem Vorbringen des Klägers ergäben sich auch keine konkreten, individuellen Anhaltspunkte dafür, dass ihm eine Rückkehr nach Afghanistan i. S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zugemutet werden könne. Es seien keine Umstände ersichtlich, die dafür sprächen, dass der gesunde und arbeitsfähige Kläger, der zudem mit den Verhältnissen in H. vertraut sei, sein Existenzminimum dort nicht selbst sichern könne.

Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit am 24. Juli 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Klage erheben. Wie er im Rahmen seiner Anhörung vorgetragen habe, sei der Kläger vom christlichen Glauben überzeugt und sei durch die Taufe vom 4. September 2011 in Aschaffenburg endgültig zum Christentum übergetreten. Der Kläger besuche in Aschaffenburg regelmäßig die Kirche und die Gottesdienste der United Church, die in persischer Sprache abgehalten wird. Eine entsprechende schriftliche Bestätigung der United Church vom 22. August 2012 wurde vorgelegt. Der Kläger habe bereits vor seiner Taufe regelmäßig die Baptisten-Gemeinde in Aschaffenburg besucht. Dies gehe aus den vorgelegten Bescheinigungen der Baptisten-Gemeinde vom 19. Juli 2012 sowie vom 3. Dezember 2012 hervor. Mithin sei entgegen dem Vortrag der Beklagten die Konversion erfolgt und die Urkunde sowie die Bescheinigungen seien der Beklagten zur Verfügung gestellt worden. Fehlerhaft sei die Entscheidung auch deshalb, weil die Anhörung in Zirndorf und die Entscheidung in der Außenstelle Chemnitz erfolgt sei, so dass der Entscheider nicht in der Lage gewesen sei, die Glaubwürdigkeit des Klägers zu beurteilen. Der Kläger habe im Rahmen seiner Anhörung ausführlich die Gründe für seinen Übertritt zum christlichen Glauben vorgetragen. Er missioniere in Deutschland den christlichen Glauben und habe auch schon mehrere seiner Landsleute davon überzeugt. Nicht nachvollziehbar sei, dass die Beklagte davon ausgehe, dass der Kläger seine Hinwendung zum christlichen Glauben nicht überzeugend dargelegt habe. Der Kläger habe sowohl in spiritueller Hinsicht von einem ausschlaggebenden Moment berichtet, der ihn dazu bewegt habe, den christlichen Glauben anzunehmen, als auch in rationaler Hinsicht berichtet, dass er sich durch die Fernsehsendung und durch seinen armenischen Freund Informationen über das Christentum beschafft habe. In erster Linie habe sich der Kläger jedoch nach der plötzlichen und unerwarteten Heilung seiner gelähmten Schwester dem Christentum zugewandt. Allein dieses Ereignis sei letztlich für seinen Glaubenswechsel ausschlaggebend gewesen. Der Kläger sei zuvor nicht mit dem Christentum in Berührung gekommen. Nach diesem Ereignis, in dem sich für ihn die wahre Religion offenbart habe, habe er, ohne sich auch tatsächlich mit dem Christentum auseinandergesetzt zu haben, an eine andere Religion glauben können. Es sei zunächst keine bewusste Entscheidung gewesen, dem Christentum beizutreten. Es sei nicht so gewesen, dass er Christentum und Islam miteinander verglichen und sich letztlich für das Christentum entschieden habe. Es gehe bei der Entscheidung für einen Glauben nicht um eine rationale Entscheidung. Der Kläger habe durch die unerwartete Heilung seiner Schwester, nachdem er sich an Jesus gewandt hatte, eine Art Erleuchtung gehabt. Er sehe dieses Ereignis als Botschaft Gottes, mit der ihm die wahre Religion offenbart worden sei. Die Befassung mit der Bibel sowie die Informationsweitergabe über das Christentum durch den armenischen Freund seien danach erfolgt, und dadurch sei das starke Interesse des Klägers am Christentum entwickelt worden. Durch seine Kenntnisse über das Christentum sei sein Glaube bestärkt und fundiert worden. Aufgrund seines Übertritts vom muslimischen zum christlichen Glauben, der sogenannten Apostasie, drohe dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Todesstrafe. Daher seien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juli 2012 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen;

hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung von Ziffern 3 und 4 des Bescheides zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen;

hilfsweise, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG in der Person des Klägers festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2014 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 wurde dem Kläger unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwaltes Prozesskostenhilfe bewilligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der vorgelegten Behördenakten, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung insbesondere auf die Niederschrift vom 19. Dezember 2014 Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 16. Juli 2012 ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylVfG (BT-Drs. 16/5065 S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Danach wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist Flüchtling i. S. des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Herkunftsland).

Gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG ist vorliegend das Asylverfahrensgesetz in der ab1. Dezember 2013 geltenden, durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) geschaffenen Fassung anzuwenden. In den §§ 3a bis 3e AsylVfG sind nunmehr in Umsetzung von Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 v. 20.12.2011) - QRL - (vgl. BT Drs. 17/13063 S. 19) die Voraussetzungen für Verfolgungshandlungen, Verfolgungsgründe, Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann und Akteure, die Schutz bieten können, und für internen Schutz geregelt. Nach § 3c AsylVfG kann eine Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG gelten als Verfolgung i. S. des § 3 Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - (BGBl. 1952 - II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb seines Heimatlandes. Aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben droht ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung i. S. d. § 3a Abs. 1 AsylVfG (1.1). Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative i. S. d. § 3e AsylVfG zur Verfügung (1.2).

1.1 Eine Verfolgung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 a) QRL, der durch § 3a Abs. 1 AsylVfG umgesetzt wurde, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - BayVBl. 2013, 234, juris Rn. 57 ff.) sowie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 21 ff.; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 23 ff.), der sich das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung anschließt (vgl. VG Würzburg, U. v. 25.2.2014 - W 1 K 13.30164 - juris Rn. 23; U. v. 7.2.2014 - W 1 K 13.30044 und W 1 K 1W 1 K 13.30045, juris Rn. 19; U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 19), auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (EuGH a. a. O. Rn. 59). Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG a. a. O. Rn. 21). Zur Qualifizierung eines Eingriffs in das Recht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta als „erheblich“ kommt es nicht auf die im Rahmen des Art. 16a Abs. 1 GG sowie des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 maßgebliche Unterscheidung an, ob in den Kernbereich der Religionsfreiheit, das „religiöse Existenzminimum“ (forum internum) eingegriffen wird oder ob die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit (forum externum) betroffen ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.1.2004 - 1 C 9/03 - BVerwGE 120, 16/20 f., juris Rn. 12 ff. m. w. N.). Vielmehr kann ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (EuGH a. a. O. Rn. 62 f.; BVerwG a. a. O. Rn. 24 ff.; VGH BW a. a. O. Rn. 43; OVG NRW a. a. O. Rn. 29 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher abzustellen auf die Art der Repressionen und deren Folgen für den Betroffenen (EuGH a. a. O. Rn. 65 ff.), mithin auf die Schwere der Maßnahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (BVerwG a. a. O. Rn. 28 ff.; VGH BW a. a. O.; OVG NRW a. a. O.).

Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - juris Rn. 70; BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 28 ff.).

Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z. B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere

- aber nicht nur - dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 28 m. w. N.).

Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - juris Rn. 70; BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 29; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 48; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, B. v. 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; VGH BW a. a. O.). Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U. v. 20.2.2013 a. a. O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG a. a. O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG a. a. O.; VGH BW a. a. O. Rn. 49).

Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 30; B. v. 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 13 ff.). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG v. 20.2.2013 a. a. O. Rn. 31; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris 50).

Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im Falle des Klägers sowohl die objektive als auch die subjektive Schwere der ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vor, so dass ihm jedenfalls aufgrund eines subjektiven Nachfluchtgrundes eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.

Nach der Überzeugung des Gerichtes sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit - auch nur in bestimmten Landesteilen - nicht erreichbar (OVG NRW, U. v. 19.6.2008 - 20 A 3886/05.A - juris Rn. 25 ff.; VG Würzburg, U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 25; U. v. 24.9.2012 - W 2 K 11.30303 - UA S. 11 ff.; U. v. 16.2.2012 - W 2 K 11.30264 - UA S. 8 ff.; VG Augsburg, U. v. 8.4.2013 - Au 6 K 13.30004 - juris Rn. 24 ff.; U. v. 9.6.2010 - Au 6 K 10.30098 - juris Rn. 39 ff.; VG Saarland, U. v. 21.3.2012 - 5 K 1037/10 - juris Rn. 33 ff.). Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar wird den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Somit gewährleistet die Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Dieses Grundrecht umfasst jedoch nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren, und schützt somit nicht die freie Religionswahl (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004 Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, September 2012, S. 18). Vielmehr kommt im Fall des Wechsels vom Islam zu einer anderen Religion Scharia-Recht zur Anwendung. Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (sog. Apostasie). Die Todesstrafe wegen Konversion wurde allerdings nach Kenntnissen des Auswärtigen Amtes bisher nie vollstreckt (Lagebericht a. a. O. S. 11). Konvertiten drohen jedoch Gefahren oft auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, da der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird (Lagebericht a. a. O.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, zusammenfassende Übersetzung vom 24.3.2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte - IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan - Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 8 ff.; Dr. Mostafa Danesch, Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig, S. 1 ff.). Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Der Betroffene hat dann drei Tage Bedenkzeit. Widerruft er bis dahin seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt (IGFM, Stellungnahme vom 27.2.2008, S. 8; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6). Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten, und können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Dr. Mostafa Danesch a. a. O., S. 2 f.). Es wäre Christen auch nicht möglich, sich der Teilnahme an muslimischen Riten wie dem fünf Mal täglichen Gebet, dem Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten zu entziehen (Dr. Mostafa Danesch a. a. O., S. 6 f.). Im Februar 2014 wurde durch die Taliban ein Anschlag auf ein „Guesthouse“ verübt, in welchem auch christliche Gottesdienste stattfanden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17/18). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM a. a. O., S. 1, 5, 8 f.; Dr. Mostafa Danesch a. a. O., S. 1 f., 3 ff.).

Im Falle des Klägers liegt auch die erforderliche subjektive Schwere vor, weil es nach der Überzeugung des Gerichtes zu seinem religiösen Existenzminimum bzw. seiner religiösen Identität gehört, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn gemeinsam mit anderen auszuüben, insbesondere an Gottesdiensten teilzunehmen, und seinen Glauben an andere weiter zu geben.

Der formale Glaubenswechsel des Klägers ist durch den bereits vollzogenen Akt der Taufe am 4. September 2011 belegt. Darüber hinaus ist jedoch für die Annahme einer Verfolgungsgefahr und damit für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass der Glaubenswechsel, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern Ausdruck einer echten Glaubensüberzeugung ist (HessVGH, U. v. 26.7.2007 - 8 UE 3140/05.A - juris Rn. 20 ff.; B. v. 26.6.2007 - 8 UZ 1463/06.A - juris Rn. 12 ff.; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 37 ff.). Auf eine solche echte Glaubensüberzeugung kommt es nur dann nicht an, wenn im Herkunftsland bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde (HessVGH a. a. O.; OVG NRW a. a. O.). Letzteres ist in Afghanistan nach der Erkenntnislage und der Rechtsprechung (vgl. z. B. HessVGH a. a. O.; OVG NRW a. a. O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch nicht der Fall.

Der Kläger gibt glaubhaft an, bereits im Herkunftsland seinen Glauben gewechselt zu haben. Er hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass er sich zunächst aus reiner Neugier aus verschiedenen Quellen über das Christentum informiert hat. Des Weiteren hat er ein Schlüsselerlebnis angeführt, welches ihn zu dem Entschluss geführt hat, den christlichen Glauben anzunehmen. Bei diesem Schlüsselerlebnis handelte es sich um eine Art Spontanheilung seiner an Epilepsie erkrankten Schwester nach seinem Gebet zu Jesus Christus. Das Gericht teilt die Zweifel des Bundesamtes an der Glaubhaftigkeit dieser Ausführungen des Klägers nicht. Zum einen vermag das Gericht dem Bundesamt nicht darin zu folgen, dass es offenbar die naturwissenschaftlich-logische Schlüssigkeit der als Schlüsselerlebnis angegebenen Heilung als (mit) ausschlaggebendes Kriterium ansieht. Ein Schlüsselerlebnis, das zum Entschluss eines Glaubenswechsels führt, ist kein sich rein in der Außenwelt abspielender, sondern auch ein innerer (geistiger) Vorgang. Maßgeblich für das Vorliegen eines Schlüsselerlebnisses ist, dass bestimmte erlebte Tatsachen in einer religiösen Art und Weise interpretiert werden und ihnen damit nachvollziehbar die Bedeutung eines Schlüsselerlebnisses zukommt. Mit anderen Worten kommt es nicht darauf an, dass die Krankheit der Schwester des Klägers tatsächlich geheilt wurde und dass dies im naturwissenschaftlich-logischen Sinne ursächlich auf die Gebete des Klägers zurückgeführt werden könnte. Maßgeblich ist allein, dass die äußeren Umstände des Schlüsselerlebnisses glaubhaft vorgetragen sind, dass das Erlebnis als solches vom Kläger in einer schlüssigen Art und Weise religiös interpretiert wird und dass der darauf gegründete Entschluss zum Glaubenswechsel nachvollziehbar erscheint. Der Kläger hat sowohl in der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung die äußeren Umstände der Heilung seiner Schwester plausibel und widerspruchsfrei vorgetragen. Er hat erklärt, dass seine Schwester seit ihrer Geburt an Epilepsie erkrankt sei und dass die Krankheitssymptome während des Aufenthaltes der Familie im Iran aufgetreten seien. Bei einer anfalls- oder intervallartig auftretenden Erkrankung wie der Epilepsie (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl. 1986, Stichwort „Epilepsie“ S. 459 ff.) ist der geschilderte Krankheitsverlauf nicht unplausibel. Dies gilt auch für die geschilderte „Heilung“, selbst wenn man diese nicht als vollständige Heilung im medizinischen Sinne, sondern als eine Phase der Anfallfreiheit interpretiert, wie sie bei der Epilepsie auch über einen längeren Zeitraum hinweg eintreten kann. Auf dieser Grundlage ist es plausibel, dass der Kläger sich angesichts der Erkrankung seiner Schwester daran erinnert hat, dass Jesus Christus nach der biblischen Überlieferung Kranke heilen konnte, und deshalb für die Heilung seiner Schwester zu ihm gebetet hat. Die dann tatsächlich eingetretene Heilung bzw. Remission hat er dann folgerichtig auf seine Gebete zurückgeführt. Darauf hat er wiederum konsequent den Entschluss gegründet, sich dem Christentum anzuschließen. Dieser Entschluss kam also nicht von ungefähr, sondern war gleichsam der Schlusspunkt einer auf äußere und innere Erlebnisse gegründeten nachvollziehbaren Entwicklung. Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger seinen Entschluss zur Konversion bereits im Herkunftsland gefasst hat. Denn der Kläger hat einen gewissensgeleiteten, durch religiöse Werte und Normen hervorgerufenen Akt der inneren Umkehr und damit einen Wendepunkt in seinem Leben glaubhaft geschildert und damit hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei seiner Hinwendung zum Christentum um eine Gewissensentscheidung handelt, die von einer echten Glaubensüberzeugung geleitet ist. Diesen bereits im Herkunftsland innerlich vollzogenen Glaubenswechsel hat der Kläger nach der Ausreise durch die Taufe im Bundesgebiet nach außen hin bekräftigt, so dass auch ein subjektiver Nachfluchtgrund vorliegt.

Der Kläger hat auch glaubhaft machen, mit zentralen Inhalten des christlichen Glaubens vertraut zu sein, indem er bestimmte Gebote des christlichen Glaubens und Ereignisse aus dem Leben und Wirken Jesu Christi benannte, insbesondere von diesem nach der biblischen Überlieferung gewirkte Wunder sowie den Missionsbefehl im Matthäus-Evangelium, Kapitel 28, Vers 18 - 20. Auch dies spricht für die Glaubhaftigkeit der Konversion.

Der Kläger konnte auch darlegen, dass er seinen neuen Glauben im Bundesgebiet praktiziert und dies auch im Herkunftsland würde tun wollen. Er nimmt ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen regelmäßig an den Gottesdiensten und Bibelkreisen der Baptistenkirche in Aschaffenburg teil und hält selbst einen wöchentlichen Hauskreis in seinem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft ab. Außerdem hat der Kläger erklärt, es sei aus seiner Sicht eine Pflicht eines jeden Christen, zu missionieren. Daher würde er auch in seinem Herkunftsland auf jeden Fall missionieren wollen. Er könne sich auch nicht vorstellen, wieder als Moslem zu leben und zu Allah zu beten. Derartige Verhaltensweisen würden in Afghanistan unweigerlich auffallen und den Kläger landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erheblichen Gefahren für Leib und Leben aussetzen. Damit hat er glaubhaft gemacht, auch in Afghanistan unter Inkaufnahme von Risiken als Christ leben zu wollen. Es steht somit fest, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung (zumindest) durch nicht-staatliche Akteure ausgesetzt zu sein.

1.2 Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die geschilderten Gefahren für zum Christentum konvertierte Moslems drohen in Afghanistan landesweit, auch in der Stadt Kabul. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten sein (vgl. Lagebericht, S. 11). Selbst dort gibt es aber für christliche Afghanen keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Schutz vor Übergriffen Privater ist für Christen in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM, Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1). In der Rechtsprechung wird diese Einschätzung teilweise geteilt (z. B. OVG NRW, U. v. 19.6.2008 - 20 A 3886/05.A - InfAuslR 2008, 411, juris Rn. 33 ff., dort auch explizit zu Kabul; VG Würzburg, U. v. 25.2.2014 - W 1 K 13.30164 - juris Rn. 37; U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 32; U. v. 24.9.2012 - W 2 K 11.30303 - UA S. 13 ff.; U. v. 16.2.2012 - W 2 K 11.30264 - UA S. 12 ff.; VG Augsburg, U. v. 8.4.2013 - Au 6 K 13.30004 - juris Rn. 27 ff.; U. v. 18.1.2011 - Au 6 K 10.30647 - juris Rn. 46; eine Fluchtalternative in Kabul bejahend VG Augsburg, U. v. 22.6.2012 - Au 6 K 11.30345 - juris Rn. 20 ff.). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage, soweit ersichtlich, offen gelassen (vgl. BayVGH v. 16.5.2013 - 13a ZB 12.30297 - juris Rn. 3 f.); in der genannten Entscheidung war dies nicht entscheidungserheblich. Das erkennende Gericht schließt sich somit auch im vorliegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der erstgenannten Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für Christen in Afghanistan ausscheidet, wenn sie ihren Glauben nicht verheimlichen oder gar verleugnen wollen (vgl. VG Würzburg U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 32). Ein derartiges Verhalten wäre dem Kläger nicht zumutbar, da es, wie im Gerichtsverfahren deutlich wurde, seine religiöse Identität verletzen würde.

Nach alledem hat die Klage Erfolg.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylVfG).

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708, 711 ZPO.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
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II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
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III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
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„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
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Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
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2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
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2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
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2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
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2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
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Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
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2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
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Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
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2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
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Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
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1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
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Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 VwGO) sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) dargelegt bzw. liegen jedenfalls nicht vor.

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wurde bereits nicht in der gebotenen Weise dargelegt und liegt im Übrigen auch nicht vor.

Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Rechtsfrage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt; Darlegungen zu offensichtlichen Punkten sind dabei entbehrlich (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72 m. w. N.). Hiervon ausgehend haben die Kläger schon keine den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügende Rechtsfrage formuliert.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt aber auch nicht vor. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein in Deutschland zum Christentum übergetretener Asylbewerber, der sich darauf beruft, wegen der Betätigung seines christlichen Glaubens in seinem Heimatland von Verfolgung bedroht zu sein, die innere Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen muss (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus (BayVGH, B. v. 12.1.2012 - 14 ZB 11.30346 - juris Rn. 4). Welcher Beweiswert der Taufbestätigung einer Religionsgemeinschaft für die Frage der Ernsthaftigkeit eines Glaubenswechsels zukommt ist ebenso wenig klärungsbedürftig wie die Frage, ob die Überprüfung der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts die nach innerkirchlichem Recht zuständige Stelle vorzunehmen hat und staatliche Behörden und Gerichte daran staatskirchenrechtlich gebunden sind. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass es für die Frage, ob ein ernsthafter Glaubenswechsel vorliegt, entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Schilderung und die Glaubwürdigkeit der Person des Asylbewerbers ankommt, die das Gericht selbst im Rahmen einer persönlichen Anhörung des Asylbewerbers zu überprüfen und tatrichterlich zu würdigen hat (BVerwG, U. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - juris Rn. 19; BayVGH, B. v. 8.8.2013 - 14 ZB 13.30199 - juris Rn. 8 m. w. N.). Dies ist ureigene Aufgabe des Gerichts. An die Ausstellung eines Taufscheins sowie an die Einschätzung der Glaubensüberzeugung eines Konvertiten durch eine Kirchengemeinde bzw. einen Pastor ist das Gericht nicht gebunden (vgl. BayVGH a. a. O.). Da die Klärung, ob ein Glaubenswechsel vorliegt, jeweils nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts erfolgen kann, kommt diesen Fragen regelmäßig auch keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (BayVGH a. a. O.; vgl. auch OVG NW, B. v. 24.5.2013 - 5 A 062/12.A - juris Rn. 10).

2. Soweit die Kläger zudem rügen, das Urteil sei i. S. v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 (wohl Nr. 6 gemeint) VwGO nicht mit Gründen versehen, da sich das Verwaltungsgericht in der Urteilsbegründung nicht mit der Grundgesetzproblematik des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften auseinandergesetzt habe und daher dem Urteil jedwede Begründung für die Verneinung der Nachfluchtgründe fehle, können sie ebenfalls nicht durchdringen.

Ein Verfahrensmangel nach § 138 Nr. 6 VwGO (Fehlen von Entscheidungsgründen) scheidet bei einer - wie hier - auf den allein entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin zu 1 eingehenden und die maßgeblichen Gründe erläuternden Begründung des Urteils aus. Ein solcher Verfahrensmangel wäre nur gegeben, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind oder die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind (vgl. BayVGH, B. v. 23.6.2014 - 14 ZB 14.30157 - juris Rn. 3 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht hat vorliegend auf den Seiten 25 bis 27 seines Urteils begründet, warum es aufgrund des - allein maßgeblichen - Vortrags der Klägerin zu 1 die notwendige Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen konnte, dass die behauptete Hinwendung zum christlichen Glauben auf einer ernsthaften Gewissensentscheidung, d. h. auf einem ernstgemeinten religiösen Einstellungswandel mit identitätsprägender fester Überzeugung beruht. Die Kläger legen nichts dafür dar, inwieweit dies nicht in verständlicher Form geschehen sein sollte. Mit dem in diesem Zusammenhang allein erfolgten Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ist nicht dargetan, warum die Bewertungen des Verwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar sein sollten.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger erstrebt im Wege des Asylfolgeverfahrens die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der 1979 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und gehört der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an; er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab.
Zum Nachweis seiner Glaubenszugehörigkeit hat er Bescheinigungen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Frankfurt vom 02.10.2000, 28.10.2010 sowie vom 06.12.2011 vorgelegt.
Nach seinen eigenen Angaben reiste er am 23.07.2000 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24.07.2000 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 04.08.2000 brachte er im Wesentlichen vor, er gehöre von Geburt an der Religionsgemeinschaft der Ahmadis an und habe deshalb Verfolgungsmaßnahmen erlitten. So sei er beim Besuch der Moschee geschlagen worden. Gleiches sei ihm beim Tragen von religiösen Abzeichen widerfahren. Eines Nachts im Mai des Jahres 2000 sei er beim Bewachen von Getreide durch Diebe zusammengeschlagen worden. Am nächsten Tag habe sein Vater zusammen mit Freunden die Diebe zur Rede gestellt, worüber diese sehr erbost gewesen seien und gedroht hätten, ihn zu töten. Die Familie habe deshalb beschlossen, dass er sein Heimatland verlassen solle.
Mit Bescheid vom 15.09.2000 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zugleich wurde dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan angedroht. Der Kläger erhob hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die mit Urteil vom 22.05.2001 (A 8 K 12809/00) abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es fehle an einem glaubhaften individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers. Im Übrigen könne bei der gegenwärtigen Erkenntnislage eine Gruppenverfolgung von Ahmadis in Pakistan nicht angenommen werden. Das Urteil wurde durch Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 09.10.2001 (A 6 S 688/01) rechtskräftig.
In den Jahren 2001 bis 2005 stellte der Kläger insgesamt fünf erfolglose Folgeanträge.
Am 08.12.2008 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten einen weiteren Asylfolgeantrag und trug zur Begründung vor: Durch die Richtlinie 2004/83/EG habe sich die Rechtslage zu seinen Gunsten nachträglich verändert. Nunmehr sei von einer Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan auszugehen. Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie (QRL) - präzisiere den Verfolgungsgrund der Religion dahingehend, dass nunmehr auch Glaubensausübungen im öffentlichen Bereich mit umfasst seien. Damit sei unter anderem auch das aktive Missionieren vom Schutzbereich umfasst. Die bisherige Rechtsprechung zum religiösen Existenzminimum könne vor dem veränderten europarechtlichen Hintergrund nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Kläger werde von diesen Einschränkungen vor allem der öffentlichen Religionsausübungsmöglichkeiten in Pakistan persönlich betroffen, da er eine religiös geprägte Persönlichkeit sei. So bete der Kläger regelmäßig und besuche die Moschee; er sehe es als seine religiöse Pflicht an, sich zu seinem Glauben zu bekennen und für diesen bei Andersgläubigen aktiv zu werben. Auch bekleide er Ämter innerhalb der religiösen Gemeinde. Im Übrigen habe sich die Verfolgungssituation der Ahmadis in Pakistan erheblich verschärft. Er habe erstmalig Anfang November 2008 von zwei Glaubensgenossen erfahren, dass diese aufgrund von Europarecht durch das Verwaltungsgericht Karlsruhe als Flüchtlinge anerkannt worden seien; er habe sich deshalb am 01.12.2008 an seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gewandt.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Ziffer 1) und auf Abänderung des Bescheids vom 15.09.2000 hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Ziffer 2) ab.
Am 31.03.2010 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart mit dem Ziel einer Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Zur Begründung nahm er im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug. Ergänzend trug er zur aktuellen Lage der Ahmadis in Pakistan vor. Im Übrigen führte er aus, er selbst sei eine religiös geprägte Persönlichkeit und seinem Glauben eng verbunden. Er bete regelmäßig, besuche die Moschee und nehme an den Gemeindeveranstaltungen teil. Insbesondere habe er auch eine Aufgabe innerhalb der Gemeinde, er sei als sog. „Ziafat“ tätig und als solcher für die Organisation der Essenszubereitung bei Gemeindeveranstaltungen zuständig.
10 
Mit Urteil vom 09.07.2010 - A 4 K 1179/10 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, und hob die Ziffern 1 und 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 30.03.2010 auf, soweit sie dem entgegenstehen. Zur Begründung wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 20.11.2007   - A 10 S 70/06 - und vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07) hin. Der Kläger sei von den Restriktionen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in den genannten Urteilen für die öffentliche Glaubensausübung von Ahmadis in Pakistan zu verzeichnen seien, selbst betroffen. Aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft sei. Das Gericht habe in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger eng mit seinem Glauben verbunden sei, diesen in der Vergangenheit regelmäßig ausgeübt habe und dies auch gegenwärtig in einer Weise tue, dass er im Fall einer Rückkehr von der vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschriebenen Situation selbst betroffen werde. So habe der Kläger nachvollziehbar geschildert, dass und wie er seinen Glauben hier in Deutschland lebe; er sei aktives Mitglied seiner jetzigen religiösen Gemeinde. Über die geschilderte gemeindeinterne Betätigung hinaus habe der Kläger dargelegt, auch an öffentlichkeitswirksamen überörtlichen Veranstaltungen der Ahmadis teilgenommen zu haben. Nach der Überzeugung des Gerichts sei es ihm ein inneres Bedürfnis, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen und für diesen aktiv zu werben.
11 
Am 02.08.2010 beantragte die Beklagte die Zulassung der Berufung.
12 
Mit Beschluss vom 10.01.2011 wurde die Berufung ohne Beschränkung zugelassen.
13 
Am 01.02.2011 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines förmlichen Antrags und führte dabei im Wesentlichen aus: Es bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die formellen Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehe auch in der Sache kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht folge in fehlerhafter Weise der vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 20.05.2008 vertretenen Auffassung, dass sich der Schutzbereich der Religionsausübungsfreiheit unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie wesentlich erweitert habe. An dieser vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats könne im Hinblick auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.03.2009 (10 C 51.07) nicht uneingeschränkt festgehalten werden. In rechtsfehlerhafter Weise habe das Verwaltungsgericht auch die Ziffer 2 des Bescheids vom 30.03.2010 aufgehoben, mit der das Bundesamt die Abänderung des nach altem Recht ergangenen Bescheids vom 15.09.2000 bezüglich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG abgelehnt habe. Die knappe und nicht näher nachvollziehbare Begründung des Urteils deute darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Regelungsgehalt des § 31 Abs. 3 AsylVfG verkenne. Die Voraussetzungen für derartige Abschiebungsverbote lägen im Übrigen nicht vor.
14 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2011 informatorisch angehört; insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
15 
Durch Urteil vom 13.12.2011 (A 10 S 69/11) wurde die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wurde: „Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30.03.2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.“ Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen vor. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 am 28.08.2007 sei eine relevante Änderung der Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. VwVfG eingetreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289; Urteil des Senats vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris). Auch sei die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der Antragstellung am 05.12.2008 gewahrt worden.
16 
Das Gericht gehe im Anschluss an seine Urteile vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) sowie vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) davon aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage bei Anwendung der Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie sowohl hinsichtlich des hier in Rede stehenden Schutzbereichs der Religionsausübungsfreiheit als auch des Prognosemaßstabs für die festzustellende Verfolgungswahrscheinlichkeit geändert habe.
17 
Wie im Urteil vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07 - a.a.O.) näher dargelegt, gehe die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 lit. b) QRL nach ihrem eindeutigen Wortlaut über den Schutz hinaus, der nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 16a Abs. 1 GG unter dem Aspekt der religiösen Verfolgungsgründe eingeräumt worden sei, jedenfalls wenn nicht die Gefahr eines Eingriffs in Leib, Leben oder Freiheit aufgrund einer bereits vor Ausreise aus dem Heimatland ausgeübten religiösen Betätigung in Rede stehe (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221). Zur Glaubensfreiheit gehöre somit nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensinhalten und Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Teil der Religionsausübung seien nicht nur alle kultischen Handlungen und die Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche, wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen etc., sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und alle Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens in der Öffentlichkeit. Umfasst würden schließlich auch das Recht, den Glauben werbend zu verbreiten und andere von ihm zu überzeugen. Die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes setze darüber hinaus voraus, dass eine relevante Verfolgungshandlung des maßgeblichen Verfolgers (vgl. hierzu Art. 6 f. QRL) festgestellt werde, die allein oder in der Gesamtheit mit anderen Verfolgungshandlungen eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts ausmache (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b QRL). Erst an dieser Stelle erweise sich im jeweils konkreten Einzelfall, sofern auch die nach Art. 9 Abs. 3 QRL erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund festgestellt werden könne, ob der oder die Betreffende die Flüchtlingseigenschaft besitze.
18 
Auf der Grundlage der Feststellungen in den Urteilen vom 20.05.2008 (A 10 S 3032/07) und vom 27.09.2010 (A 10 S 689/08) und deren Fortschreibung bis zur mündlichen Verhandlung drohe einem bekennenden Ahmadi, der zu seinem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehe und seinen Glauben in Pakistan öffentlich betätigen wolle, eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts und damit eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL.
19 
Das Gericht habe, insbesondere auch aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung des Klägers, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziere, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Nach dem in der informatorischen Befragung gewonnen Gesamteindruck halte das Gericht die Angaben des Klägers zu seiner Glaubensausübung in Pakistan für uneingeschränkt glaubhaft. Im übrigen habe der Kläger im Rahmen der informatorischen Befragung überzeugend ausgeführt, ein religiös geprägtes Leben in Pakistan geführt zu haben, auch wenn er keine herausgehobene Funktion oder ein Amt in seiner Gemeinde bekleidet habe. Er habe jedoch glaubhaft dargelegt, so oft als möglich, mindestens jedoch dreimal am Tag, das Gebet in der Moschee der Ahmadis verrichtet zu haben. Dies spreche im vorliegenden Fall bereits deshalb für einen engen Glaubensbezug, weil das Aufsuchen der Moschee aufgrund der Berufstätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft und der Entfernung der Felder zu der Moschee mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger glaubhaft geschildert, bei Bedarf in seiner religiösen Gemeinde untergeordnete Tätigkeiten, etwa Reinigungsdienste, ausgeübt zu haben. Auch wenn es sich dabei wohl nicht um eine religiöse Betätigung gehandelt haben dürfte, die über die übliche Glaubensausübung in Pakistan hinausgehe, spreche sie doch für eine enge und verpflichtende Verbundenheit zu dem Glauben der Ahmadiyyas. Was die Angaben des Klägers zu seiner Religionsausübung im Bundesgebiet angehe, seien diese nach dem gewonnenen Eindruck glaubhaft. Das Gericht glaube dem Kläger uneingeschränkt, dass er sich seit seiner Einreise im Jahre 2000 jeweils in der zuständigen Gemeinde der Ahmadis betätige, regelmäßig zum Gebet in die Moschee gehe und verschiedene untergeordnete Tätigkeiten ausübe. So habe der Kläger etwa überzeugend und glaubhaft geschildert, wie er sich unmittelbar nach seiner Einreise zu der Ahmadi-Gemeinde nach XXX begeben und sich dort in vielfältiger Weise sozial und kulturell engagiert habe. Insbesondere habe der Kläger in der Gemeinde XXX nicht nur die in der Heimat bereits geleisteten Hilfsdienste fortgesetzt, sondern sich nunmehr auch öffentlichkeitswirksam religiös betätigt. So habe er sich bereits in XXX monatlich an einem Bücherstand vor dem Bahnhof beteiligt und Andersgläubige in missionarischer Absicht angesprochen. Gerade diese missionarischen Aktivitäten stellten ein wesentliches, wenn auch nicht zwingend erforderliches Indiz für die Annahme einer verpflichtenden Verbundenheit mit dem Glauben der Ahmadis dar. Nach seinem Umzug nach XXX habe der Kläger vor allem auch diese missionarischen Aktivitäten fortgesetzt und intensiviert. Der Senat glaube dem Kläger, im Jahre 2010 einen Landsmann zum ahmadischen Glauben bekehrt zu haben. In diesem Zusammenhang habe der Kläger weiterhin glaubhaft ausgeführt, ihm wohlgesonnene Landsleute regelmäßig zum Besuch seiner eigenen Moschee in missionarischer Absicht eingeladen zu haben. Dies zeige, dass es dem Kläger in Übereinstimmung mit den Glaubensgrundsätzen der Ahmadis ein inneres Anliegen sei, eigene Landsleute von seinem Glauben zu überzeugen. Darüber hinaus nehme der Kläger regelmäßig an überregionalen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft teil. Auch habe er nachvollziehbar geschildert, in seiner Familie ein streng glaubensgebundenes Leben zu führen und sich insbesondere für die religiöse Erziehung seiner kleinen Tochter einzusetzen. Diesem Eindruck stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger lediglich über ein eingeschränktes theologisches Wissen verfüge. Nach der Überzeugung des Gerichts handele es sich bei dem Kläger um einen „einfachen“ Ahmadi, der seinem Glauben jedoch verpflichtend verbunden sei und diesen insbesondere auch öffentlichkeitswirksam, vor allem durch Entfaltung missionarischer Aktivitäten, leben wolle. Damit gehöre der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stünden und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen seien.
20 
Da dem Kläger nach dem oben Gesagten die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen sei, bedürfe es keiner Entscheidung über die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht Ziffer 2 des versagenden Bescheides des Bundesamtes vom 30.03.2010 aufgehoben; insoweit sei der Tenor wie erfolgt neu zu fassen.
21 
Das Urteil wurde der Beklagten am 17.01.2012 zugestellt.
22 
Am 16.02.2012 legte die Beklagte die zugelassene Revision ein und begründete diese am 16.03.2012.
23 
Mit Beschluss vom 12.05.2012 setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.12.2010 aus. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen durch Urteil vom 05.09.2012 (C-71/11 u.a.) beantwortet hatte, wurde das Verfahren fortgesetzt.
24 
Durch Urteil vom 20.02.2013 (10 C 23.12) hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil vom 13.12.2011 auf und wies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Nicht mit Bundesrecht vereinbar sei die vom Berufungsgericht gestellte Verfolgungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof habe das Ergebnis, dass die beschriebenen Verfolgungsgefahren für bekennende Ahmadis bestünden, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten, nicht auf der Grundlage einer nachvollziehbaren Gefahrenprognose entwickelt. Nicht zu beanstanden sei der Ausgangspunkt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf eine begründete Furcht vor Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer augenblicklich bestehenden Gruppenverfolgung berufen könne. Das Urteil lasse jedoch nicht erkennen, aufgrund welcher Tatsachen und nach welchem Prognosemaßstab es dann die hinreichende Verfolgungsbetroffenheit für bekennende Ahmadis bejahe, die ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollten. Hänge die Verfolgungsgefahr von einem willensgesteuerten Verhalten ab - hier: der Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit -, sei für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben genau in dieser Weise praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Das sei in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Das Berufungsgericht habe weder - wie geboten - die Zahl der ihren Glauben entgegen den genannten Verboten öffentlich praktizierenden Ahmadis jedenfalls annäherungsweise bestimmt noch festgestellt, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe träfen. Nur wenn eine wertende Betrachtung ergebe, dass für die Gruppe der ihren Glauben öffentlich praktizierenden Ahmadis in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko bestehe, könne daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die vom Berufungsgericht als verfolgungsbetroffen gewertete Gesamtgruppe der Ahmadis, zu deren religiösem Selbstverständnis die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit gehöre, einem beachtlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sei.
25 
Der Kläger und die Beklagte haben sich durch Schriftsätze jeweils vom 08.05.2013 sowie vom 29.05.2013 zum Revisionsurteil sowie zu der vom Senat aufgeworfenen Frage nach weiteren Ermittlungsansätzen für die Erstellung der Verfolgungsprognose geäußert. Hierauf wird im Einzelnen verwiesen.
26 
Auf Anregung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ Frankfurt unter dem 06.06.2013 eine Stellungnahme vorgelegt u.a. zu Einzelheiten des Berichts- und Dokumentationssystem zu Übergriffen gegen Ahmadis in Pakistan, das der von der Londoner Organisation betriebenen Website „thepersecution.org“ zugrunde liegt.
27 
Die Beklagte beantragt,
28 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Juli 2010 - A 4 K 1179/10 - zu ändern, soweit die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgesprochen sowie die Ziffer 1 des Bescheids vom 30. März 2010 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
29 
Der Kläger beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung erneut informatorisch angehört; wegen der dabei gemachten Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift verwiesen.
32 
Auf die den Beteiligten mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste wird verwiesen.
33 
Dem Senat liegen die Asylverfahrensakten des Bundesamts (7 Bd), die Ausländerakten (3 Bd), die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart sowie die Akten des 10. Senats hinsichtlich des streitgegenständlichen Folgeverfahrens vor.

Entscheidungsgründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Gründe

 
34 
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die ergänzende Aufhebung der dem entgegenstehenden Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 30.03.2010. Denn im Berufungsurteil vom 13.12.2011 wurde, wenn auch nicht ausdrücklich im Tenor, die Klage hinsichtlich der Ziffer 2 des Bescheids abgewiesen (vgl. insbesondere auch UA S. 35 unten). Da die Beklagte auch nur in diesem Umfang durch das Urteil beschwert war, muss davon ausgegangen werden, dass sie nur insoweit die zugelassene Revision eingelegt hat, mit der Folge, dass auch die Aufhebung des Urteils vom 13.12.2011 durch das Bundesverwaltungsgericht nur diesen Teil betreffen kann. Die Beteiligten sehen dies nicht anders.
35 
II. Dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 VwVfG vorliegen, wurde im Urteil vom 13.12.2011 im Einzelnen dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
36 
III. Grundlage für das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
37 
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 20.02.2013, mit dem der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, in maßstäblicher Hinsicht folgendes ausgeführt:
38 
„2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) - im Folgenden: Richtlinie - geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen .
39 
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
40 
2.2 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung gewertet (UA S. 13). Denn Ahmadis droht in Pakistan die Gefahr einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer bloßen Zugehörigkeit zu der Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahr hängt vielmehr von dem willensgesteuerten Verhalten des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit. In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb - unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft - unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt .
41 
2.3 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Senats durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden können .
42 
2.3.1 Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a.a.O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61) .
43 
2.3.2 Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an der vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung für den Flüchtlingsschutz (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>) nicht mehr fest. Folglich ist bei der Bestimmung der Handlungen, die aufgrund ihrer Schwere verbunden mit der ihrer Folgen für den Betroffenen als Verfolgung gelten können, nicht darauf abzustellen, in welche Komponente der Religionsfreiheit eingegriffen wird, sondern auf die Art der ausgeübten Repressionen und ihre Folgen für den Betroffenen (Rn. 65 mit Verweis auf Rn. 52 der Schlussanträge des Generalanwalts) .
44 
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Der Gerichtshof verwendet in der verbindlichen deutschen Sprachfassung des Urteils (vgl. Art. 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, ABI L 265/1 vom 29. September 2012) zwar nur den Begriff „verfolgt", ohne dies ausdrücklich auf eine strafrechtliche Verfolgung zu beziehen. Es wäre jedoch zirkulär, den Begriff der „asylerheblichen Verfolgung" durch „Verfolgung" zu definieren. Dafür spricht zudem ein Vergleich der deutschen mit der französischen, englischen und italienischen Fassung des Urteils. In allen drei zum Vergleich herangezogenen Sprachfassungen ist von strafrechtlicher Verfolgung die Rede. Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten .
45 
2.3.3 Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an .
46 
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit" (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung" (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Senats auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>). Diese Erstreckung auch auf einen erzwungenen Verzicht entspricht dem Verständnis des britischen Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in seinem Grundsatzurteil vom 14. November 2012 - MN and others [2012] UKUT 00389(IAC) Rn. 79) betreffend die religiöse Verfolgung von Ahmadis in Pakistan und dem Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität vom 7. Juli 2010 (HJ v. Secretary of State for the Home Department [2010] UKSC 31 Rn. 82). Der Senat folgt dieser Auslegung und hält daher an seiner vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG vertretenen, hiervon abweichenden Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <23>) nicht mehr fest .
47 
2.3.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11, Rn. 82) .
48 
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71). Dabei bestätigt der EuGH die Auffassung des Senats, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43). Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist .
49 
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste (vgl. zu den strengeren Maßstäben der Rechtsprechung zur Gewissensnot von Kriegsdienstverweigerern: Urteil vom 1. Februar 1982 - BVerwG 6 C 126.80 - BVerwGE 64, 369 <371> m.w.N.). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (so schon Beschluss vom 9. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 43) .
50 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London - insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan - zurückgreifen kann (so auch das britische Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14. November 2012 a.a.O. Leitsatz 5). Nähere Feststellungen über die religiöse Betätigung eines Ausländers vor seiner Ausreise verringern auch das Risiko einer objektiv unzutreffenden Zuordnung zu einer Glaubensgemeinschaft (s.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. November 2012, S. 14). Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen .
51 
2.3.5 Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (Richtlinie 2011/95/EU: Art. 2 Buchst. d) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24). Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung in Pakistan, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.4) .
52 
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr (UA S. 32). Eine solche droht nur „bekennenden Ahmadis", die „ihren Glauben im Heimatland auch öffentlich ausüben wollen" (UA S. 33). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist - bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten - jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist .
53 
2.4 Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Antragsteller ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5. September 2012 a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt. Buchstabe a erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach Buchstabe b kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Die Maßnahmen im Sinne von Buchstabe b können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen .
54 
In Buchstabe a beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition"). Während die „Art" der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung" eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen kann. Der Qualifizierung als „ein" Verbot steht nicht entgegen, dass dieses in mehreren Strafvorschriften des Pakistan Penal Code mit unterschiedlichen Straftatbeständen normiert ist. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art" sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot .
55 
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Buchstabe a mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative des Buchstabe b in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht .
56 
Daher sind bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. In dieser Prüfungsphase dürfen Handlungen, wie sie beispielhaft in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie genannt werden, nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen (ähnlich Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz - Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie, 2. Aufl. 2012, Kapitel 4 § 13 Rn. 18). Zunächst ist aber zu prüfen, ob die Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach Buchstabe b zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Ohne eine fallbezogene Konkretisierung des Maßstabs für eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie kann die bewertende Beurteilung nach Buchstabe b, ob der einzelne Asylbewerber unterschiedlichen Maßnahmen in einer so gravierenden Kumulation ausgesetzt ist, dass seine Betroffenheit mit der in Buchstabe a vergleichbar ist, nicht gelingen. Stellt das Gericht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der „Betroffenheit in ähnlicher Weise" keine Vergleichsbetrachtung mit den von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfassten Verfolgungshandlungen an, liegt darin ein Verstoß gegen Bundesrecht“ .
57 
IV. Ausgehend hiervon besteht zwar kein Grund zu der Annahme, dass bereits aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya unterschiedslos die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung vorliegen. Etwas anderes ergibt sich jedoch für die bekennenden Ahmadis, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansehen, ihren Glauben – auch werbend – in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. hierzu im Folgenden und auch noch unten 2 e); vgl. schon VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2008 - A 11 S 3032/07 - juris; vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris).
58 
1. a) Zum Hintergrund der heutigen Situation der Ahmadis in Pakistan hatte der HessVGH bereits im Urteil vom 31.08.1999 (10 UE 864/98.A - juris) u.a. das Folgende ausgeführt, von dem auch der Senat ausgeht:
59 
„Die Ahmadiyya-Gemeinschaft wurde 1889 durch Mirza Ghulam Ahmad (1835 - 1908) in der Stadt Qadian (im heutigen indischen Bundesstaat Punjab) gegründet und versteht sich als eine innerislamische Erneuerungsbewegung. Ihr Gründer behauptete von sich, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, nach denen er der den Muslimen verheißene Messias und Mahdi, der herabgestiegene Krishna, der wiedergekehrte Jesus und der wiedererschienene Mohammed sei. An der Frage seiner Propheteneigenschaft spaltete sich die Bewegung im Jahre 1914. Die Minderheitengruppe der Lahoris (Ahmadiyya-Anjuman Lahore), die ihren Hauptsitz nach Lahore/Pakistan verlegte und die Rechtmäßigkeit der Kalifen als Nachfolger des Religionsgründers nicht mehr anerkannte, sieht in Ahmad lediglich einen Reformer im Sinne eines "wieder neubelebten" Mohammed, während die Hauptgruppe der Quadianis (Ahmadiyya Muslim Jamaat) ihn als einen neuen Propheten nach Mohammed verehrt, allerdings mit der Einschränkung, dass er nicht ermächtigt sei, ein neues Glaubensgesetz zu verkünden, denn Mohammed sei der letzte "gesetzgebende" Prophet gewesen. Die Bewegung betrachtet sich als die einzig wahre Verkörperung des Islam, den ihr Gründer wiederbelebt und neu offenbart habe. Während die orthodoxen Muslime aus der Sicht der Ahmadis zur Glaubens- und Welterneuerung hingeführt werden müssen, sind die Ahmadis aus der Sicht der orthodoxen Muslime Apostaten, die nach der Ideologie des Islam ihr Leben verwirkt haben.
60 
Im Zuge der Teilung des indischen Subkontinents und der Gründung eines islamischen Staates Pakistan am 13. August 1947 siedelten viele Ahmadis dorthin über, vor allem in den pakistanischen Teil des Punjab. Mitglieder der Hauptgruppe des Qadianis erwarben dort Land und gründeten die Stadt Rabwah im Punjab, die sich zum Zentrum der Bewegung entwickelte. Mehr als 95 % der Bevölkerung gehören der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an und die Stadt ist der Hauptsitz der Gemeinschaft (Ahmadiyya Verfolgungsbulletin Mai 1996, S. 28). Heute heißt die Stadt nach einem Beschluss des Parlaments von Punjab gegen den Willen der Bevölkerung Tschinab Nagar (Ahmadiyya Rundschreiben vom 30.04.1999).
61 
Die Angaben über die Zahl der Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gehen weit auseinander und reichen etwa von 103.000 bis 4 Millionen (vgl. Gutachten Dr. Wohlgemuth an Hamb. OVG vom 22.02.1988, S. 454 f.), wobei die Minderheitengruppe der Lahoris mit ca. 5.000 Mitgliedern (AA an Hess. VGH vom 20.07.1994) hier unberücksichtigt bleiben kann. Nach Angaben der Ahmadiyya Muslim Jamaat selbst lag deren Mitgliederzahl im Jahr 1994 bei etwa 2 bis 3 Millionen (vgl. AA an Hess. VGH vom 20.07.1994, S. 1); weltweit sollen es 12 Millionen Mitglieder in über 140 Staaten sein (Ahmadiyya Mitteilung vom 04.09.1996), nach Stanek etwa 1 bis 3 Millionen (Referat vom 15.12.1997, S. 4). Nach Schätzung des der Ahmadiyya-Bewegung zugehörigen Gutachters Prof. Chaudhry lag die Zahl der Ahmadis in Pakistan in diesem Zeitraum dagegen nur bei ein bis zwei Millionen (vgl. Gutachten an Hess. VGH vom 22.05.1994, S. 6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ahmadis möglicherweise stärker noch als andere muslimische Glaubensgemeinschaften in Pakistan dazu neigen, ihre Anhängerschaft verdoppelt und verdreifacht anzugeben, und dass ihre Stärke deshalb und aufgrund ihrer früher regen Missionstätigkeit überschätzt worden sein kann (vgl. Ende/Steinbach, Der Islam in der Gegenwart, 1991, S. 295 f.). Die bisweilen genannte Mitgliederzahl von 4 Millionen (vgl. Ahmadiyya an Bundesamt vom 14.07.1991) dürfte deshalb zu hoch (vgl. Gutachten Dr. Conrad an Hess. VGH vom 31.10.1994, S. 4) und eine Schätzung auf 1 bis 2 Millionen - auch für den Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin - eher realistisch sein (vgl. Ende/Steinbach, S. 295 für 1983; Dr. Khalid vor dem Bay. VGH am 22.01.1985, S. 7).
62 
Auch für den Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Senats sind verlässliche Zahlen über die Entwicklung der Zahl der Ahmadis in Pakistan aus öffentlich zugänglichen Quellen nicht feststellbar; die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Pakistan im März 1998 (UNHCR Report vom 01.05.1998, S. 8) sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Dass die bereits dem Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1994 (10 UE 77/94) zugrunde gelegte Mitgliederzahl von ca. 1 bis 2 Millionen aber auch heute noch zutreffen dürfte, lässt sich trotz des allgemeinen Bevölkerungswachstums Pakistans von jährlich 2,9 % bei rund 133 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach 1999, "Pakistan") oder 136 Millionen (Statistisches Jahrbuch 1995 für das Ausland, S. 210; Microsoft Encarta Enzyklopädie 1999, "Pakistan") oder 126 Millionen Einwohnern (Encyclopaedia Universalis, Chiffres du Monde 1998, "Pakistan") damit erklären, dass die Ahmadiyya-Bewegung seit 1974 und insbesondere seit 1984 so gut wie keine Missionserfolge in Pakistan mehr verzeichnen konnte und durch die gegen sie gerichteten Repressalien Hunderttausende ihrer Mitglieder durch Austritt und Auswanderung verloren haben dürfte (vgl. bereits Gutachten Dr. Ahmed an VG Ansbach vom 05.06.1978, S. 23) Dem steht eine Gesamtbevölkerung Pakistans gegenüber, die zu etwa 75 bis 77 % aus sunnitischen und zu 15 bis 20 % aus schiitischen Muslimen besteht und in unterschiedlichste Glaubensrichtungen zerfällt (vgl. Ende/Steinbach, S. 281; AA an VG Schleswig vom 26.08.1993).“
63 
b) Auch die aktuell verfügbaren Zahlen zur Größe der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya sind nach wie vor nicht eindeutig und weitgehend ungesichert, was nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Ahmadis bedingt durch die noch darzustellenden Verbote, sich als Moslems zu bekennen und zu bezeichnen, seit 1974 in großem Umfang die Teilnahme an Volkszählungen verweigern bzw. diese boykottieren (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.02.2008, Ziff. 19.41 und vom 07.12.2012, Ziff. 19.98, das von 291.000 bis 600.000 bekennenden Ahmadis ausgeht). Das Auswärtige Amt teilt im jüngsten Lagebericht (vom 02.11.2012, S. 13) wiederum nur mit, dass nach eigenen Angaben die Ahmadis etwa vier Millionen Mitglieder zählen sollen, wobei allerdings allenfalls 500.000 bis 600.000 bekennende Mitglieder seien. Der vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 im Verfahren A 12 K 2890/12 vernommene Raja Muhammad Yousaf Khan, der Mitarbeiter des „Ahmadiyya Muslim Jamaat e.V., Frankfurt“ ist, hat ausgesagt, dass der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ von etwa 400.000 bekennenden Ahmadis in Pakistan ausgeht, die er als solche Personen beschreibt, die regelmäßig Kontakt zu den lokalen Gemeinden haben, wobei sich aus der Niederschrift keine genauer nachvollziehbaren Hinweise ablesen lassen, wie diese Zahl ermittelt bzw. hergeleitet wurde. Der Umstand, dass in den anlässlich der jüngst abgehaltenen Wahl erstellten Wählerverzeichnissen (sog. „Nada-Dateien“) nur rund 200.000 wahlberechtigte Ahmadis geführt werden, stellt die Zahl von 400.000 nicht grundsätzlich infrage, weil Ahmadis seit Jahren schon die Wahlen selbst boykottieren (vgl. unten Ziffer 2 a). Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass alle etwa 400.000 „bekennenden Ahmadis“ auch solche sind, für die das Leben ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und ggf. das Werben für den Glauben identitätsbestimmend und daher unverzichtbar sind (vgl. zur Eingrenzung der Gruppe noch unten 2 e), was allerdings nach der – auch offiziellen – Lehre der Ahmadiyya-Bewegung von zentraler Bedeutung ist (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16). Denn der bloße regelmäßige Kontakt zur lokalen Gemeinde ist hierfür sicher unzureichend, zumal, wie noch auszuführen sein wird, das gemeinsame Gebet jedenfalls in kleineren Gebetshäusern in der Regel faktisch möglich ist, selbst wenn es auch hier vermutlich immer wieder Übergriffe und Einschränkungen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gibt. Nach dem International Religious Freedom Report Pakistan des United States Department of State für das Jahr 2011 (S. 2) waren allerdings überhaupt keine verlässlichen Daten über die Anzahl der Ahmadis, die sich aktiv an religiösen Ritualen oder Gottesdiensten beteiligen, verfügbar oder von den amerikanischen Stellen zu ermitteln, was dann gleichermaßen für diejenigen gelten muss, die aktiv den Glauben vertretend und praktizierend in der Öffentlichkeit auftreten. Vergleichbares gilt im Übrigen – angesichts der Größe des Landes für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – für die Ermittlung verlässlicher Daten zur Frage der Häufigkeit von Übergriffen auf Ahmadis in Pakistan von Seiten privater Akteure (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2011 Ziff. 19.162). Zwar werden von den im Inland- und Ausland ansässigen Organisationen der Ahmadiyya-Gemeinschaft regelmäßig (monatliche und jährliche) Zusammenstellungen über – v.a. von nicht staatlichen Akteuren ausgehende – Übergriffe auf Ahmadis herausgegeben und ins Internet gestellt (www.thepersecution.org/), es ist aber auch nach dem Vortrag der Beteiligten für den Senat kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass diese auf einem lückenlosen und landesweit vernetzten Berichtssystem beruhen und daher auch nur annäherungsweise vollständig sein könnten, was die Stellungnahme des „Ahmadiyya Muslim Jammaat“ vom 06.06.2013 bestätigt. Abgesehen davon ist auch nicht gesichert, dass die Betroffenen ausschließlich oder jedenfalls überwiegend solche Ahmadis sind, die ihrem Glauben in einer Weise innerlich verpflichtet sind, dass sie diesen bekennend und ggf. werbend bzw. sogar missionierend in die Öffentlichkeit tragen bzw. tragen wollen. Eine Durchsicht der Zusammenstellung für Januar bis Dezember 2011 ergab, dass eindeutige Aussagen nur für einen Teil der beschriebenen Vorfälle gemacht werden können.
64 
Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keinen erfolgsversprechenden Ermittlungsansatz, um die so beschriebene Teilmenge (Ahmadis, für die das öffentlich Bekennen und ggf. Werben für den Glauben identitätsbestimmend ist) aus der Teilmenge der „bekennenden Ahmadis“ der Größe nach präziser festzustellen, zumal dann in diesem Zusammenhang landesweit auch sehr subjektiven Voraussetzungen und Merkmalen, d.h. inneren Tatsachen nachgegangen werden müsste. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass in Pakistan die Zahl dieser Personen überhaupt statistisch erfasst wird, bzw. dass es eine Stelle geben könnte, die über solches Zahlenmaterial verfügt. Die Ausführungen von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart machen hinreichend deutlich, dass nicht einmal die offiziellen Vertreter der Ahmadis in Westeuropa in diesem Zusammenhang über belastbare Zahlen hinsichtlich dieser Personengruppe verfügen, was nach dessen Ausführungen letztlich darin begründet ist, dass aus Furcht vor Verfolgung heute praktisch kein Ahmadi mehr in der Öffentlichkeit seinen Glauben lebt und für diesen wirbt. Dabei hatte Herr Khan nicht ausgeschlossen, dass auf individueller Ebene in einem privaten Gespräch noch für den Glauben geworben würde, wie oft dies heute noch geschehe, lasse sich – zu Recht – nicht seriös beziffern, da es niemanden gebe, der hierüber Aufzeichnungen mache, die Fälle auswerte und dann zähle. Auch das vom Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber in seinem Urteil „MN and others“ (Pakistan CG <2012> UKUT 00389) vom 14.11.2012 verwertete Zahlenmaterial führt hier letztlich nicht weiter, weil dieses sich nicht direkt auf die Zahl des hier festzustellenden Personenkreises und dessen Größe bezieht. Das Bundesamt wie auch der Kläger haben keine Wege aufgezeigt, wie verlässliches und nicht nur spekulatives Zahlenmaterial zu erlangen sein könnte. Der Senat sieht sich – ungeachtet der völkerrechtlichen Hindernisse – auch im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht gehalten, ein Institut mit einer repräsentativen Untersuchung in Pakistan oder einer erstmals dort durchzuführenden statischen Erhebung zu betrauen, abgesehen davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verlässliche Untersuchung in Pakistan überhaupt in angemessener Zeit geleistet werden kann. Umso weniger lassen sich verlässliche Zahlen darüber ermitteln, wie viele Ahmadis aus der Teilmenge der Ahmadis, für die das öffentliche Bekennen oder sogar Werben identitätsbestimmend ist, trotz aller Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gewichtigen Übergriffe privater Akteure gleichwohl ihren Glauben öffentlich leben und für ihn öffentlich eintreten oder gar werben (vgl. zur der vom Bundesverwaltungsgericht in Rdn. 33 geforderten Relationsbetrachtung im Einzelnen noch unten 2c).
65 
2. Die Lage der Ahmadis in Pakistan wird maßgeblich durch die folgenden rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen bestimmt:
66 
a) Der Islam wurde in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt. Die Freiheit der Religionsausübung ist zwar von Verfassung wegen garantiert (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 2 f.). Durch eine Verfassungsänderung von 1974 wurden die Ahmadis allerdings ausdrücklich zu Nicht-Muslimen erklärt und in der Verfassung als religiöse Minderheit qualifiziert und geführt. Nach der Verfassung ist hiernach kein Muslim im Sinne der gesamten pakistanischen Rechtsordnung, wer nicht an die absolute und uneingeschränkte Finalität des Prophetenamtes Mohammeds glaubt bzw. wer auch andere Propheten als Mohammed anerkennt.
67 
Dieses hat unmittelbare Konsequenzen für den Bereich des Wahlrechts insofern, als Ahmadis nur auf besonderen Minderheitenlisten kandidieren und nur solche Personen auf diesen Listen wählen können. Um hingegen ohne Einschränkungen als Muslim kandidieren bzw. wählen zu können, muss eine eidesähnliche Erklärung zur Finalität des Prophetenamtes Mohammeds abgegeben sowie ausdrücklich beteuert werden, dass der Gründer der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft ein falscher Prophet ist. Aufgrund dessen werden seitdem die Wahlen durch die Ahmadis regelmäßig und in erheblichem Umfang boykottiert (vgl. (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4; U.S. State Department, Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 38; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.104 ff.; Rashid, Pakistan’s failed Commitment: How Pakistan’s institutionalised Persecution of the Ahmadiyya Muslim Community violates the international Convenant on civil and political Rights, S. 25). In den Pässen werden die Ahmadis ausdrücklich (wieder) als “non-muslim” geführt (vgl. AA, Lagebericht vom 02.11.2012, S. 13).
68 
b) Seit 1984 bzw. 1986 gelten namentlich drei Vorschriften des pakistanischen Strafgesetzbuches, die sich speziell mit den Ahmadis befassen und die gewissermaßen der Absicherung und Unterfütterung ihrer verfassungsrechtlichen Behandlung dienen.
69 
Sec. 298 B lautet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143):
70 
„(1) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung
71 
a) eine Person, ausgenommen einen Kalifen oder Begleiter des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ameerui Mumineen’, ‚Khalifar-ul-Mimineem’, ’Shaabi’ oder ‚Razi-Allah-Anho’ bezeichnet oder anredet;
72 
b) eine Person, ausgenommen eine Ehefrau des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ummul-Mumineen’ bezeichnet oder anredet;
73 
c) eine Person, ausgenommen ein Mitglied der Familie des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) als ‚Ahle-bait’ bezeichnet oder anredet;
74 
d) sein Gotteshaus als ‚Masjid’ bezeichnet, es so nennt oder benennt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe bestraft.
75 
(2) Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung die Art oder Form des von seiner Glaubensgemeinschaft befolgten Gebetsrufs als ‚Azan’ bezeichnet oder den ‚Azan’ so rezitiert wie die Muslime es tun, wird mit Freiheitsstrafe der beiden Arten und mit Geldstrafe bestraft.“
76 
Sec. 298 C lautet:
77 
„Wer als Angehöriger der Qadani-Gruppe oder der Lahorj-Gruppe (die sich ‚Ahmadis’ oder anders nennen) durch Worte, seien sie gesprochen oder geschrieben, oder durch sichtbare Darstellung mittelbar oder unmittelbar den Anspruch erhebt, Muslim zu sein, oder seinen Glauben als Islam bezeichnet oder ihn so nennt oder seinen Glauben predigt oder propagiert oder andere auffordert, seinen Glauben anzunehmen, oder wer in irgendeiner anderen Weise die religiösen Gefühle der Muslime verletzt, wird mit Freiheitsstrafe einer der beiden Arten bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft.“
78 
Sec. 295 C schließlich hat folgenden Wortlaut:
79 
„Wer in Worten, schriftlich oder mündlich oder durch sichtbare Übung, oder durch Beschuldigungen, Andeutungen oder Beleidigungen jeder Art, unmittelbar oder mittelbar den geheiligten Namen des heiligen Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verunglimpft, wird mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft.“
80 
Der Vollständigkeit halber sollen in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden (vgl. auch Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.32):
81 
- Sec. 298 A (Gebrauch abschätziger bzw. herabsetzender Bemerkungen in Bezug auf heilige Personen; Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, Geldstrafe oder beides);
82 
- Sec. 295 (Beleidigung oder Schändung von Orten der Verehrung mit dem Zweck bzw. Ziel, eine Religion jeder Art herabzusetzen, Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre, Geldstrafe oder beides);
83 
- Sec. 295 A (Vorsätzliche und böswillige Handlungen mit dem Zweck die religiösen Gefühle jeden Standes zu verletzen durch Beleidigung der Religion oder des Glaubens, Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren, Geldstrafe oder beides) und
84 
- Sec. 295 B (Beleidigung bzw. Verächtlichmachung des Heiligen Korans, lebenslange Freiheitsstrafe).
85 
Alle genannten Vorschriften, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut im Übrigen nicht nur die öffentliche Sphäre der Religionsausübung betreffen (in diesem Sinne auch schon ausführlich HessVGH, Urteil vom 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris, Rdn. 92 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.05.2008 - A 10 S 3032/07 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.1992 - 2 BvR 1263/92 - juris, m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - NVwZ 1994, 500; vom 25.01.1995 - 9 C 279.94 - NVwZ 1996, 82, insbesondere dort auch noch zur mittlerweile irrelevanten Abgrenzung zwischen forum internum und zur Glaubensbetätigung mit Öffentlichkeitsbezug), stellen in weiten Teilen diskriminierende, nicht mit Art. 18 Abs. 3 IPbpR (vgl. auch Art. 52 Abs. 1 GRCh) zu vereinbarende Strafbestimmungen dar, die zugleich die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83/EG (identisch mit RL 2011/95/EU) erfüllen (vgl. auch etwa EGMR, Urteil vom 24.02.1998 - 140/1996/759/958-960, Larissis - http://www.echr.coe.int/echr/), wonach ein Verbot des Missionierens, sofern keine besonderen Umstände gegeben sind, eine unzulässige Beschränkung der Religionsfreiheit darstellt). Soweit man einzelne Bestimmungen im Ansatz noch als zulässige Begrenzung der Religionsfreiheit ansehen wollte (etwa Sec. 298 C letzte Variante), fehlt allerdings schon jede tatbestandliche Eingrenzung, vielmehr wird mit ihrer begrifflichen Weite ein Einfallstor für Willkür eröffnet (vgl. hierzu noch unten d). Es handelt sich nicht um staatliche Maßnahmen, die der Durchsetzung des öffentlichen Friedens und der verschiedenen, in ihrem Verhältnis zueinander möglicherweise aggressiv-intoleranten Glaubensrichtungen dienen, und weshalb zu diesem Zweck etwa einer religiösen Minderheit mit Rücksicht auf eine religiöse Mehrheit untersagt wird, gewisse Bezeichnungen, Merkmale, Symbole oder Bekenntnisformen in der Öffentlichkeit zu verwenden, obschon sie nicht nur für die Mehrheit, sondern auch für die Minderheit identitätsbestimmend sind (so noch BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143 im Kontext des Asylgrundrechts), weshalb auch offen bleiben kann, ob unter dem Regime der Qualifikationsrichtlinie eine derart weitgehende Beschränkung der Religionsfreiheit für die Betroffenen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das Asylgrundrecht noch für richtig gehalten hat, hinzunehmen und unionsrechtskonform wäre. Dies gilt nicht nur mit Rücksicht auf die fehlende Beschränkung auf die öffentliche Sphäre, sondern auch deshalb, weil hier der pakistanische Staat, auch wenn er stark durch Glaubensüberzeugungen der Mehrheitsbevölkerung geprägt sein mag, nicht die Rolle eines um Neutralität bemühten vermittelnden Staatswesens einnimmt. Vielmehr werden einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in Haftung genommen und in ihren Freiheitsrechten und in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt, obwohl von einem aggressiven Auftreten gegenüber anderen Religionen, namentlich auch anderen Strömungen des Islam nichts bekannt geworden ist und den inneren Frieden störende Handlungen gerade nicht von ihnen ausgehen (vgl. hierzu auch Rashid, Pakistan’s Failed Commitment, S. 32), sondern weitgehend allein von zunehmend aggressiv agierenden orthodoxen Teilen der Mehrheitsbevölkerung sowie mittlerweile auch direkt und unmittelbar von staatlichen Behörden (vgl. hierzu schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 14 ff.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan vom 10.09.2007, S. 6 und 10 und nunmehr Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.12, 19.27, 19.44, 19.121, 19.127 und 19.145). Von einer legitimen Begrenzung der religiösen Betätigung von Ahmadis kann auch deshalb keine Rede sein, weil der pakistanische Staat keine effektiven legislativen und exekutiven Maßnahmen ergreift, um dem aggressiven Wirken entgegenzutreten und den Minderheiten – als Kehrseite möglicher ihnen auferlegter maßvoller Beschränkungen – einen wirklich geschützten Freiraum für ihr Wirken bereitstellt (vgl. zur Weite der Vorschriften und ihrer grenzenlosen Auslegung bzw. Anwendung unten d).
86 
c) Seit Einführung der spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung nach Sec. 295 C, die neben weiteren ähnlichen Bestimmungen steht, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, wurden nach dem Bericht „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (Annex II), den auch das Upper Tribunal in seinem Urteil vom 14.11.2012 als relevant angesehen hat (dort Rdn. 30, Fn. 6), im Zeitraum April 1984 bis 31.12.2011 offiziell insgesamt 3.820 „Police Cases“ gegen Ahmadis registriert, davon 299 wegen „Blasphemie“, zuzüglich über 60.000 Verfahren (wegen Sec. 298 C) gegen den sich am 28. Mai 2008 ausdrücklich aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Begründung des Khalifentums öffentlich zu den Ahmadis bekennenden Teil der Bevölkerung von Rabwah (jetzt Chenab Nagar oder Tschinab Nagar; vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.59; ai, Jahresbericht 2006), die 2009 noch anhängig gewesen waren (Home Office Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.136; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorités religieuses, 31.08.2009, S. 9), mittlerweile aber eingestellt wurden (vgl. Khan an das VG Stuttgart vom 09.05.2013). Bereits im Jahre 1989 waren schon einmal Verfahren gegen alle Ahmadis von Rabwah wegen des Vorwurfs nach Sec. 298 C eingeleitet worden, die im Jahre 2006 noch anhängig waren (vgl. hierzu Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 10 f. und 35), aber vermutlich auch eingestellt wurden; diese nach dem genannten Bericht nicht genauer bezifferten Verfahren müssen daher im Grundsatz noch bei der Zahl von Ermittlungsverfahren berücksichtigt werden. Auch wenn diese augenscheinlich nicht konsequent oder nur gegenüber Einzelnen betrieben werden, so ist doch aus der Tatsache, dass sie erst nach einigen Jahre förmlich eingestellt und immerhin im Abstand von 10 Jahren zweimal eingeleitet wurden, nur der Schluss zu ziehen, dass sie instrumentalisiert wurden, um die Betroffenen massiv einzuschüchtern. Aus diesem Grund können diese Verfahren bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nicht mathematisch exakt in eine quantitative Bewertung eingerechnet werden, weil es in der Regel jedenfalls zu keinen Anklagen gekommen ist und andernfalls ein unzutreffendes Bild von der Wirklichkeit ergäbe.
87 
Das Home Office (Ziff. 19.49) spricht für den Zeitraum 1986 bis 2006 allein von 695 Verfahren spezifisch wegen Blasphemie (sec. 295 C), in denen es auch zu Anklagen gekommen ist, darunter 239 Ahmadis; insgesamt wurden im Zeitraum 1984 bis 2004 über 5.000 Anklagen gegen Ahmadis mit einem religiösen Hintergrund erhoben. Im Juni 2011 waren mindestens 14 Verfahren gegen Ahmadis anhängig gewesen, in denen (nicht rechtskräftig) die Todesstrafe verhängt worden war (Ziff. 19.39). Nach vermutlich anderen Quellen sind von 1984 bzw. 1987 bis 2011 1.117 Personen wegen Blasphemie angeklagt worden (Ziff. 19.50). Allerdings ist es bislang zu keinen Todesurteilen gekommen, die auch in letzter Instanz bestätigt worden wären (Ziff. 19.134 ff.). Weitere aussagekräftige Informationen über die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen liegen dem Senat nicht vor. Die Beklagte hat solche auch nicht mitgeteilt bzw. aufgezeigt, wie noch verlässliche Informationen zu erlangen sein könnten.
88 
Bei Rashid (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 und 28 f.) finden sich folgende Zahlen: Seit 1984 wurden 764 Ahmadis angeklagt, weil sie die Kalima gezeigt bzw. gelesen hatten, 38 wurden wegen der Verwendung des Gebetsrufs angeklagt; 434 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich als Muslim bezeichnet hatten, 161 Ahmadis wurden angeklagt, weil sie sich islamischer Terminologie in der Öffentlichkeit bedient hatten; 93 Anklagen bezogen sich auf das Verrichten von Gebeten in der Öffentlichkeit und 719 Anklagen wurden wegen öffentlichen Predigens und Werbens für den Glauben erhoben. Auch bei Rashid werden die Verfahren gegen 60.000 Ahmadis aus Rabwah erwähnt. Insbesondere erwähnt Rashid, dass allein im Jahre 2009 mindestens 74 Ahmadis eines Deliktes nach Sec. 295 C Penal Code beschuldigt worden seien.
89 
Mit Blick auf die grundsätzlich vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung (Rdn. 33) ist in diesem Zusammenhang allerdings zu bemerken, dass nicht alle vorgenannten Verfahren notwendigerweise und uneingeschränkt Glaubensbetätigungen betreffen müssen, die gerade in der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Annahme liegt deshalb nahe, weil etwa falsche Verdächtigungen und Anschuldigungen (vgl. hierzu auch unten d) auch andere Hintergründe und Vorwürfe zum Inhalt haben können. Diese Zahlen sind daher von ihrer Struktur wenig geeignet, als Grundlage der Relationsbetrachtung zu dienen. Der Senat sieht aber auch hier keinen konkreten erfolgversprechenden Ermittlungsansatz, wie der Anteil verlässlich festzustellen sein sollte, der spezifisch Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit betrifft, und zum anderen, um wie viele Personen es sich dabei gehandelt haben könnte, für die ein öffentlichkeitswirksames Agieren zum identitätsbestimmenden und unverzichtbaren Merkmal des eigenen Glaubensverständnisses zählt.
90 
d) Faire Gerichtsverfahren sind, v.a. in erster Instanz, oftmals nicht garantiert, weil den Gerichtsorganen die erforderliche Neutralität fehlt, wobei dies nicht zuletzt auch darauf beruht, dass sie häufig durch örtliche Machthaber oder islamistische Extremisten unter Druck gesetzt werden oder aber in hohem Maße korrupt sind (vgl. AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 14; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.59 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 15 ff., und 2012, S. 17 ff.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2). In der Regel werden die eines Verstoßes gegen die Blasphemiebestimmungen Beschuldigten bis zum Abschluss des Verfahrens nicht gegen Kaution freigelassen (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.53; UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing The International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, 14.05.2012, S. 6). Dieser Umstand ist vor allem auch deshalb so gravierend, weil Folter auf Polizeistationen und in Haft an der Tagesordnung ist (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 23; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2011, S. 6; Asia Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 21 ff.). Die Haftbedingungen werden als teilweise sogar lebensbedrohend bezeichnet (vgl. SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 4 f.; United States Departement of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, S. 9). Anwälte von Betroffenen werden gleichfalls häufig von privater Seite eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Die Bestimmung der Sec. 295 C wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Pakistan auch keineswegs restriktiv verstanden und ausgelegt. Nach dem Urteil des Lahore High Court vom 17.09.1991 (bestätigt durch Urteil des Supreme Court vom 03.07.1993), mit dem ein Verbot der 100-Jahr-Feiern der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gebilligt wurde, stellt das Rezitieren der Glaubensformel „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet“ durch einen Ahmadi nicht nur ein strafbares „Sich-Ausgeben“ als Muslim im Sinne von Sec. 298 C dar, sondern eine Lästerung des Namens des Propheten im Sinne von Sec. 295 C (vgl. hierzu im Einzelnen schon HessVGH, U. v. 31.08.1999 - 10 UE 864/98.A - juris - Tz. 46 und 69). Generell werden alle genannten Vorschriften wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit bzw. der schwammigen Formulierungen weit und zulasten der Ahmadis ausgelegt und angewendet. Sie sind daher ein (offenes) Einfallstor für blanke Willkür. So kommt es etwa zu Anklagen gegen Eltern, wenn sie ihre Kinder Mohammed nennen (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.103; vgl. auch Ziffer 19.139).
91 
Die Strafvorschriften werden dabei nicht selten auch gezielt genutzt, um – auch aus eigensüchtigen Motiven – Ahmadis mit falschen Anschuldigungen unter Druck zu setzen und zu terrorisieren (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.57 f.; SFH, Pakistan: Justizsystem und Haftbedingungen, vom 05.05.2010, S. 2; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 15). Die Anzeigeerstatter laufen dabei keine Gefahr, wegen falscher Anschuldigung verfolgt zu werden. Eine Anzeige kann zudem erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen und ihre Familien haben. So wurden zwischen 1986 bis 2010 34 Personen, die nach den Blasphemiegesetzen angeklagt worden waren, von privaten Akteuren umgebracht; im Jahre 2010 wurden allein vier Personen (zwei Christen und zwei Muslime) getötet (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47); auch die Familien werden in Drohungen und Einschüchterungen einbezogen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.47 und 19.52; AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12). In diesem Zusammenhang ist etwa die radikal-islamische Gruppierung „Khatm-e-Nabuwwat“ („Siegel der Prophetenschaft“) zu erwähnen, die u.a. mit diesen Mitteln gezielt und völlig ungestraft gegen Ahmadis vorgeht (vgl. auch AA, Lagebericht 02.11.2012, S. 14; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 13 ff.; vgl. zu der Organisation noch im Folgenden unter Ziff. 2.g). Zwar hat die Gruppierung in der Vergangenheit etwa gegenüber der „Parliamentary Human Rights Group“ (vgl. S. 8 f.) den Versuch unternommen, ihr Verhältnis zu den Ahmadis und ihre Vorgehensweise diesen gegenüber als wesentlich offener und zurückhaltender darzustellen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte dem aber etwa der Präsident von amnesty international Pakistan deutlich widersprochen (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8). Durch die neueren Entwicklungen sind diese Aussagen der Gruppierung ohnehin eindeutig überholt bzw. widerlegt (vgl. unten Ziffer 2 g; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013).
92 
Die Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen die Blasphemiebestimmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen und zu keinem Ende gebracht werden, was einschneidende Folgen für die Betroffenen hat, selbst wenn sie sich in Freiheit befinden. Denn sie müssen sich in der Regel alle 15 bis 30 Tage bei der ermittelnden Polizeistation, die sich oftmals nicht an ihrem Wohnort befindet, melden, auch wenn das Verfahren gar nicht konkret gefördert wird (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 12 f.).
93 
Demgegenüber werden Strafbestimmungen, die den Schutz der religiösen Gefühle aller Religionen, somit auch der Minderheitsreligionen, gewährleisten sollen (vgl. Sec. 295 und 295 A), in der Rechtswirklichkeit nicht oder selten angewandt, wenn religiöse Gefühle der Ahmadis und anderer religiöser Minderheiten durch Angehörige der Mehrheitsreligion verletzt worden sind (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 3; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.33).
94 
Der Versuch einer Reform der Blasphemiegesetze ist vollständig gescheitert, insbesondere im Kontext der Ermordung des Gouverneurs von Punjab und des Minsters für Minderheiten im Jahre 2011 (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.76; UNHCHR, Guidelines, S.11 f.; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2011, March 2012, S. 82 und 89 f.; vgl. auch Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 29 f., mit Hinweisen auf öffentliche Äußerungen des pakistanischen Ministers Babar Awan sowie des Premierministers Gilani aus Anlass der Verurteilung der christlichen Frau Asia Bibi). Eine Änderung zum Positiven ist auch mit Rücksicht auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen im Mai diesen Jahres, die der Vorsitzende der Muslimliga Nawaz Sharif gewonnen hat, nicht zu erwarten.
95 
Eine im Jahre 2004 eingeführte Reformmaßnahme, wonach nur höhere Offiziere die Ermittlungen führen dürfen, hat nach übereinstimmender Einschätzung keine Verbesserungen gebracht (AA, Lagebericht vom 02.12.2012, S. 12; UNHCR, Guidelines, S. 15).
96 
In den verwerteten Dokumenten wird auch von einem völligen Scheitern und Versagen der Strafjustiz und der Strafverfolgungsorgane gesprochen (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.42 f.; UNHCR, Guidelines, S. 6; Parlamentary Human Rights Group (PHRG), Report of PHRG Fact Finding Mission To Pakistan, 24.09.2010, S. 9 f.).
97 
Zwar wurde im September 2008 eine Kommission für Angelegenheiten der Minderheiten installiert (vgl. UNHCR, „Guidelines“, S. 4). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass diese irgendwelche substantiellen Verbesserungen gebracht hat (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.29; vgl. hierzu auch Upper Tribunal Urteil vom 14.11.2012, S. 15; vgl. auch U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, S. 121 f., wonach zwar von einigen positiven Schritten in jüngster Zeit berichtet wird, die die pakistanische Regierung an höchster Stelle unternommen haben soll, von wirkungsvollen Ergebnissen, insbesondere für das tägliche Leben landesweit, spricht der Report jedoch nicht; es liegt dem Senat auch keine andere Quelle vor, die diesbezüglich verwertbare Informationen enthielte).
98 
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser rechtliche Rahmen und seine faktische Umsetzung in der Metropole der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft Rabwah keine Gültigkeit haben sollte, was exemplarisch durch die in den Jahren 1998 und 2008 gegen alle Einwohner eingeleiteten Verfahren deutlich wird (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff.19.132 ff.). Abgesehen davon ist nichts dafür ersichtlich, dass alle im Geltungsbereich der Qualifikationsrichtlinie schutzsuchenden gläubigen Ahmadis dort einen zumutbaren internen Schutz im Sinne von Art. 8 QRL finden könnte, zumal auch dort keine Sicherheit vor Übergriffen durch radikale Muslime bestehen dürfte (vgl. hierzu im Einzelnen unten Ziff. 3.b).
99 
e) Den Ahmadis ist es seit 1983 oder 1984 untersagt, öffentliche Versammlungen bzw. religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet wird (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 4, und von 2011, S. 14; U.S. State Department: Human Rights Report Pakistan for 2012, S. 30; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.143; Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 32). Das gilt insbesondere für die nach ihrem gelebten Glaubensverständnis essentielle jährliche Versammlung („Jalsa Salana“), die letztmals 1983 stattfinden konnte und an der damals 200.000 Gläubige teilnahmen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Jalsa_Salana).
100 
Allerdings wird es Ahmadis nicht von vornherein unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies sicherlich oftmals der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben wird (vgl. schon AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 16; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan von 2011, S. 4), jedenfalls wird dies im Grundsatz faktisch hingenommen (vgl. auch Upper Tribunal, Urteil vom 14.11.2012, S. 18). Möglich ist dieses aber nur noch in kleineren Gebetshäusern, die einen eingeschränkten Bezug zur Öffentlichkeit haben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Angeben von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, wonach an Stelle der früheren, 18.000 bis 19.000 Gläubige fassenden Moschee in Rabwah mittlerweile viele kleine Gebetshäuser entstanden sind; vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Gefahrlos ist dieses aber auch nicht. Denn die gemeinsame Ausübung des Glaubens wird immer wieder dadurch behindert bzw. unmöglich gemacht, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden bzw. deren Errichtung verhindert wird oder solche auch von staatlichen Organen zerstört werden (vgl. etwa Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.132, 19.141 ff., 154; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 4 und 13 ff.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3), während gleichzeitig orthodoxe Sunniten ungehindert an der gleichen Stelle ohne jede Genehmigung eine Moschee errichten können; Gebetshäuser oder Versammlungsstätten werden immer wieder von Extremisten überfallen (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan,10.09.2007, S. 5, 7 und 10 f.). Gleichwohl geht der Senat in Ermangelung gegenteiliger aussagekräftiger Informationen davon aus, dass Angehörige der Ahmadiyya, die nur derartige Glaubensbetätigungen an den Tag legen und für sich als verbindlich betrachten, damit noch kein „real risk“ eingehen, (von wem auch immer) verfolgt zu werden. Die vom Kläger benannten Fälle, in denen in diesem Jahr auch Verfahren wegen einer Versammlung in (kleineren) Gebetshäusern eingeleitet wurden, stellen diese Annahme nicht grundsätzlich infrage. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme lassen sich insbesondere auch nicht der Aussage von Herrn Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013 entnehmen (vgl. auch die Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Insbesondere ergibt sich aus der Aussage nicht, dass auch diese Personen ihre Aktivitäten vollständig eingestellt haben und etwa die Ahmadi-Gemeinden in Pakistan gewissermaßen nur noch auf dem Papier existieren würden. Im Gegenteil: Allen verwerteten Erkenntnismitteln wie auch den Angaben von Herrn Khan liegt nach Überzeugung des Senats – wenn auch mehr oder weniger unausgesprochen – zugrunde, dass es noch ein, wenn auch eingeschränktes, lokales Gemeindeleben gibt. Treffen in großem Stil zu in erheblichem Maße identitätsstiftenden gemeinsamen Gebeten in ihren großen Moscheen, die die Ahmadis jedoch nicht so nennen dürfen, finden hingegen nicht mehr statt (vgl. die Aussage von Khan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 13.03.2013). Allerdings ist der Umstand, dass heute auch das gemeinsame Gebet abseits der großen Öffentlichkeit immer wieder behindert und gestört wird bzw. Auslöser für Strafverfahren und Übergriffe privater Akteure sein kann, für die gerichtlicherseits vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 34 ff.) gleichwohl nicht irrelevant, da sie die Lage auch der bekennenden, ihren Glauben in die Öffentlichkeit tragenden Ahmadis mit prägen.
101 
Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen ist den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und wird auch regelmäßig strafrechtlich verfolgt (vgl. U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 7). In diesem Zusammenhang ist aber hervorzuheben, dass sich die Ahmadis als „predigende Religion” verstehen, zu deren sittlichen Verpflichtung es rechnet, den Glauben zu verbreiten und zu verkünden (vgl. Report of the Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 16).
102 
Den Ahmadis ist die Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka verboten, wenn sie dabei als Ahmadis auftreten bzw. sich zu erkennen geben (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan for 2011, S. 14).
103 
Literatur und andere Veröffentlichungen mit Glaubensinhalten von Ahmadis im weitesten Sinn werden regelmäßig beschlagnahmt und verboten; allerdings finden Publikationen in internen Kreisen durchaus noch Verbreitung (U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 3 und 4 und von 2011, S. 7 und 13 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 30 ff.; vgl. zur Zeitung „Alfzal“ auch Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 37, mit einer Kopie der Verbotsverfügung des Innenministers von Pakistan vom 08.05.2006 und S. 49 f.).
104 
Die Ahmadyyia Gemeinde ist die einzige Gruppe, der ihre im Jahre 1972 verstaatlichten Bildungseinrichtungen (seit 1996) nicht zurückgegeben wurden (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 13 f.)
105 
f) Nur der Vollständigkeit halber soll zur Abrundung des Gesamteindrucks noch auf folgenden Umstand hingewiesen werden: Die frühere (überdurchschnittliche) Repräsentanz von Ahmadis im öffentlichen Dienst sinkt seit Jahren bedingt durch eine zunehmende Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen ständig (vgl. AA, Lagebericht vom 18.05.2007, S. 17; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148 f. und 19.164; U.S. Department of State, Pakistan, International Religious Freedom Report for 2011, S. 5 und 15 f.; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 10; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 3 f.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6). Desgleichen wird von weit verbreiteten Diskriminierungen beim Zugang zum öffentlichen Bildungswesen und in demselben berichtet (Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 119; Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.65, vom 07.12.2012, Ziff. 19.123, 19.142, 19.148, 19.149, 19.164; Immigration and Refugee Board of Canada, S. 3).
106 
g) Ahmadis sind seit Jahren und in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen werden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewähren würden; in nicht wenigen Fällen haben auch Angehörige der Polizei unmittelbar derartige Aktionen mit unterstützt, zumindest aber diesen bewusst untätig zugesehen und sie geschehen lassen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices Pakistan, 11.03.2008, S. 17 f.; U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 10.09.2007, S. 6 f. und 10 f.; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, 119; Human Rights Commission of Pakistan, 01.02.2006, S. 124 mit Beispielen; OSAR – SFH, Pakistan: Situation des minorité religieuses, 31.08.2009, S. 9 f.; Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 2 und 4). Dabei wurden in jüngster Vergangenheit auch gezielt Häuser und Geschäfte von Ahmadis niedergebrannt (Immigration and Refugee Board of Canada vom 11.01.2013, S. 4). Dies gilt selbst für ihre „Metropole“ Rabwah. Diese bereits für frühere Zeiträume beschriebene Situation hat sich mittlerweile erheblich verschärft. Es wird übereinstimmend ein vorherrschendes Klima von privaten Akteuren verursachter Gewalt beschrieben, wobei die Gewaltakte bzw. die Aufrufe hierzu regelmäßig sowohl in ordnungsrechtlicher wie erst recht in strafrechtlicher Hinsicht für die Urheber folgenlos bleiben. Es werden regelmäßig regelrechte Hasskampagnen, insbesondere auch Versammlungen und Kundgebungen durchgeführt, auf denen gegen die Ahmadis gehetzt wird und die Besucher aufgewiegelt werden (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.127 f., und sehr ausführlich und anschaulich „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“, S. 2 ff.). Die Wirkungsmächtigkeit der Aktivitäten der maßgeblichen Organisationen sowie einer Vielzahl radikaler Mullahs beruht zu einem guten Teil auf dem Umstand, dass weite Teile der Bevölkerung ungebildet, wenn nicht gar des Schreibens und Lesens nicht mächtig und daher leicht beeinflussbar sind und vor allem das glauben, was sie in den Moscheen hören (Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6).
107 
Effektiver Schutz ist regelmäßig nicht zu erlangen (vgl. etwa UNHCR, Guidelines, S. 22; Parliamantary Human Rights Group (PHRG), Fact Finding Mission To Pakistan, S. 3; vgl. beispielhaft zur offensichtlich fehlenden Bereitschaft, den erforderlichen Schutz zu gewähren Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 19, 24 f. und 33 f.). Besonders tut sich in diesem Zusammenhang die Organisation „Khatm-e-Nabuwwat“ hervor (vgl. ausführlich hierzu Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.112 bis 19.119; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 8 f.), aber auch die Taliban werden als Urheber benannt (vgl. Rahsid, Pakistan’s failed Commitment, S. 31 ff.). Exemplarisch ist ein Vorfall vom 28.05.2010 anzuführen, bei dem Extremisten der „Khatm-e-Nabuwwat“ anlässlich des Freitagsgebets in Lahore gut koordinierte Angreifer vor zwei Ahmadi-Moscheen „Kill-all“-Rufe skandieren und schließlich die Moscheen stürmen ließen; am Ende wurden 85 Ahmadis getötet und 150 weitere verletzt (Ziff. 19.125; vgl. zum Angriff auf eine Moschee in Rawalpindi am 02.02.2012, Ziff. 19.154). Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass die Organisation mit einem Schwerpunkt auch in Rabwah tätig wird (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.114 f.).
108 
Insgesamt vermittelt die Zusammenstellung des Home Office (Ziff. 19.112 bis 19.147) ein gutes und informatives, aber auch äußerst bedrückendes Bild. Seit 1974 wurden fast 300 Ahmadis allein wegen ihres Glaubens von nicht staatlichen Akteuren getötet. Im Jahre 2010 waren es allein 99. Wie schon erwähnt (vgl. oben IV 1), sind aber verlässliche und aussagekräftige Zahlen nicht zu ermitteln (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.162). Im Hinblick auf die anzustellende Relationsbetrachtung (vgl. hierzu unten Ziffer 3 a) ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit der Benennung der Zahlen nicht zum Ausdruck gebracht wird, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der die Glaubensbestätigung in der Öffentlichkeit als einen identitätsbestimmenden Teil ihres Glaubens betrachtet. Eine Durchsicht der Zusammenstellung „Persecution of Ahmadis in Pakistan during the Year 2011“ (S. 23 ff.) zeigt dies nur zu deutlich; teilweise lässt sich nicht bestimmen, ob der oder die Betreffende dieses Merkmal erfüllt oder nicht. Über das Ausmaß (nur) schwerer nicht tödlich endender Eingriffe in die körperliche Integrität liegen überhaupt keine verlässlichen Zahlen vor (vgl. auch Stellungnahme des Ahmadiyya Muslim Jamaat vom 06.06.2013). Diese Eingriffe und ihr Ausmaß sind aber für die Beurteilung bzw. Qualifizierung des Bedrohungspotentials gleichfalls von erheblicher Relevanz, da sie – neben den staatlichen Verboten und strafrechtlichen Sanktionen - ebenfalls von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung sein können, ob jemand seinen Glauben aktiv in die Öffentlichkeit trägt oder dieses unterlässt.
109 
Nicht speziell in Bezug auf Ahmadis berichtet Rashid zu Todesfällen aufgrund religiös motivierter Gewalt: 2007 seien es über 1.500 gewesen, im Jahre 2008 2.155, im Jahre 2009 über 2.300. Im Jahre 2010 sei die Zahl zwar auf 1.796 zurückgegangen, um dann aber im Jahre 2011 wiederum auf mindestens 2.545 Fälle zu steigen (vgl. Pakistan’s failed Commitment, S. 24 f., dort auch zu Zahlen von Todesopfern unter den Minderheiten der Christen und Hindus; vgl. auch Asian Human Rights Commission, The State of Human Rights in Pakistan in 2012, S. 8, wonach in den letzten drei Jahren über 800 Shia Muslime (Schiiten) durch religiöse Gewalt getötet worden seien, ohne dass staatliche Organe irgendwelche glaubwürdigen Gegenmaßnahmen ergriffen hätten; vgl. hierzu auch U.S. Department of State, International Religious Freedom Report Pakistan, 2012, S. 124). Die sanktionslosen Gewaltexzesse gehen sogar so weit, dass etwa im Juni 2006 ein ganzer von Ahmadis bewohnter Teil eines Dorfes (Jhando Sahi) niedergemacht und zerstört wurde, ohne dass dieses Konsequenzen nach sich gezogen hätte (vgl. Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 18 und 45 ff.). Andere Quellen sprechen davon, dass nachweisbar 210 Ahmadis wegen ihres Glaubens getötet worden seien; zudem weiß man hiernach von 254 entsprechenden Mordversuchen zu berichten (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.131). In diesen Zahlen dürften die Opfer des Anschlags vom 28.05.2010 in Lahore (siehe oben) allerdings noch nicht enthalten sein.
110 
Dieses Bild der Schutzlosigkeit der Ahmadis wird ergänzt durch die seit 2011 zunehmenden Berichte von Schändungen von Ahmadi-Gräbern im gesamten Punjab (vgl. Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012, Ziff. 19.156). Zudem schwenken in jüngerer Zeit die Medien, nicht nur das staatliche Fernsehen, sondern auch die traditionell eigentlich eher liberale englischsprachige Presse auf die Anti-Ahmadi-Rhetorik ein. Dies hat zur Folge, dass sich die Auffassung, Ahmadis folgten einer Irrlehre und seien keine Muslime bzw. Apostaten, in der Mehrheitsbevölkerung allgemein durchzusetzen und zum Allgemeingut zu werden beginnt, was zu einer weiteren Verschärfung der allgegenwärtigen Diskriminierungen der Ahmadis führt (Ziff. 19.150). Die Parliamentary Human Rights Group prognostiziert, dass Pakistan – nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf seinen Umgang mit den Ahmadis - dabei sei, zu einem „failed state“ zu verkommen (vgl. S. 3). Nach Überzeugung des Senats sind die Ahmadis mittlerweile in eine Situation geraten, in der sie mit guten Gründen im traditionellen mittelalterlichen Sinn als „vogelfrei“ bezeichnet werden können. Dies gilt im Ausgangspunkt für alle „bekennenden“ Ahmadis, auch wenn sie ihren Glauben nicht bekennend und für ihn werbend bewusst in die Öffentlichkeit tragen (wollen). Für den Senat bestehen aber, wie bereits eingangs ausgeführt, keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Angehörigen dieser Gruppe bereits ein „reales Risiko“ besteht.
111 
Typisch für das Klima der Gewalt ist etwa eine Äußerung des früheren Ministers für Religionsangelegenheiten Amir Liaquat Hussain, die dieser ungestraft im Jahre 2008 in einer beliebten Fernsehshow gemacht hatte, wonach es sowohl notwendig sei, aber auch dem Islam entspreche, alle Ahmadis zu töten (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 23). Im Dezember 2010 konnte ein einflussreicher Kleriker, Yousef Qureshi, 6.000 US Dollar für die Ermordung der Christin Asia Bibi ausloben, ohne dass dieses irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte. Nach der Ermordung des Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für eine Reform der Blasphemiegesetze stark gemacht hatte, am 03.01.2011, wurde dessen Tod richtiggehend gefeiert. Dabei konnten ungestraft 500 Kleriker öffentlich verkünden, dass dessen Tod ein Sieg für das gesamte Land sei (vgl. Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 30).
112 
Von der Parlamantary Human Rights Group wird – gut nachvollziehbar – bereits bezogen auf das Jahr 2006 die Lage so eingeschätzt, dass der gesamte Prozess der Regierung nicht mehr umkehrbar entglitten ist und sie gewissermaßen die Geister, die sie rief, nicht mehr in los wird (vgl. Januar 2007, S. 8).
113 
3. a) Die so beschriebene Situation der Ahmadis in Pakistan, die von der „Fédération Internationale des Droits Humaines“ (FIDH) schon im Jahre 2005 und somit vor der mittlerweile stattgefundenen und weiter stattfindenden Verschärfung der Lage in der Weise zusammenfassend charakterisiert worden war, dass „die Ahmadis wohl die einzige der am meisten betroffenen Gruppen sei, bei der die Verweigerung des Rechts auf öffentliche Meinungsäußerung, Religionsausübung und Versammlungsfreiheit nahezu umfassend sei“ (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.56), stellte und stellt nunmehr umso mehr für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen und in diesem verwurzelten Ahmadi, zu dessen identitätsbestimmender Glaubensüberzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, eine schwerwiegende Menschrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL dar. Der Präsident von amnesty international Pakistan wurde dahingehend zitiert, die Ahmadis seien die am meisten unterdrückte Gruppe in Pakistan, was er nicht zuletzt darauf zurückführe, dass es niemanden gebe, der sich für diese wirkungsvoll einsetze und den erforderlichen Druck ausübe (zitiert nach Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.63 a. E.; vgl. aber zur gleichfalls prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen U.S. Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, 121 ff., 125 f.; UNHCR, Guidelines, S. 25 ff.)
114 
Von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der Lage der Ahmadis durch den Senat ist dabei das gegen sie gerichtete verfassungsunmittelbare Verbot, sich als Muslime zu begreifen bzw. zu verstehen und dieses Verständnis in vielfältiger Weise insoweit auch in die Öffentlichkeit zu tragen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. b) QRL). Denn hieraus leiten sich letztlich alle oben beschriebenen weiteren Verbote, insbesondere soweit sie auch strafbewehrt sind (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. c) QRL), ab. Dieses Verbot und seine Folgeumsetzungen müssen das Selbstverständnis der Ahmadis im Kern treffen, wenn namentlich jegliches Agieren in der Öffentlichkeit, insbesondere auch ein Werben für den Glauben und ein friedliches Missionieren nicht zugelassen werden und nur unter dem Risiko einer erheblichen Bestrafung oder sonstiger Leib und Leben gefährdender Übergriffe möglich sind. Diese Verbote sind auch eine wesentliche ideologische Absicherung und Grundlage für das zunehmend aggressiv werdende Handeln privater Akteure gegenüber Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Ahmadis. Die Blasphemiegesetze werden von Human Rights Watch Asia als ein wesentlicher Nährboden für die zunehmende extremistische und religiös begründete Gewalt beschrieben und bewertet (so Rashid, Pakistan’s failed Commitment, S. 16 f.; vgl. auch ders. S. 9 mit dem Hinweis, dass eine weitere Ursache der Gewalt jedenfalls gegenüber den Ahmadis darin zu erblicken sei, dass es diese konsequent und einschränkungslos ablehnen, den Islam mit Gewalt zu verbreiten; vgl. auch Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 6 und 9 die zusätzlich darauf hinweist, dass in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung die Ansicht weit verbreitet ist, die Ahmadiyya Bewegung sei ein Produkt der britischen Kolonisatoren, um die Muslime zu spalten). Die Kehrseite von alledem ist dann, dass auch der solchermaßen erzwungene Verzicht auf öffentlichkeitsbezogenes Glaubensleben bei dem hier in den Blick zu nehmenden Personenkreis eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt, die für sich betrachtet bereits die maßgebliche Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 QRL darstellt und die selbst auf Eingriffshandlungen zurückzuführen ist, die ihrer Art und Wiederholung nach keine gleichartigen Eingriffshandlungen ausmachen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL; vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12, Rdn. 37). Denn bezogen auf das jeweilige betroffene Subjekt ist gewissermaßen in erster Linie das Ergebnis bzw. der Erfolg relevant, nämlich den Glauben nicht mehr öffentlichkeitswirksam in zumutbarer Weise auszuüben oder ausüben zu können. Eine Unterscheidung zwischen einem durch staatliche Maßnahmen induzierten Verzicht (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL) und einem solchen, der auf das Handeln nicht staatlicher Akteure zurückgeht ist (vgl. dann Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL), ist dabei nicht möglich und wäre völlig lebensfremd. Sie würde namentlich an der Realität in Pakistan vorbeigehen. Die Beweggründe für einen bekennenden Ahmadi, entgegen seinem verpflichtenden Glaubensverständnis den Glauben gleichwohl nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, können und werden notwendigerweise nicht eindimensional sein.
115 
Bei diesem Ausgangspunkt kann für die bei einem – wie hier – unverfolgt ausgereisten Ahmadi, der glaubhaft erklärt hat, er werde im Falle der Rückkehr aus Furcht seinen Glauben nicht öffentlich bekennen bzw. für ihn werben, anzustellende Verfolgungsprognose nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob die bislang bzw. gegenwärtig festgestellten Verurteilungen bzw. Strafverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungsdichte die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gruppenverfolgung bezogen auf den hier zu betrachtenden Personenkreis rechtfertigen würden. Geht man von deutlich mehr als 60.000 eingeleiteten Strafverfahren (zuzüglich der im Jahre 1989 gegen die Bewohner Rabwahs eingeleiteten Verfahren, deren Zahl nicht bekannt ist) in einem Zeitraum von knapp dreißig Jahren aus, so darf allerdings nicht unterstellt werden, dass jedes dieser Verfahren schon mit einem relevanten Verfolgungseingriff verbunden war (vgl. hierzu auch oben 2 c). Daher erscheint auf den ersten Blick dann eine darunter liegende Zahl eher zu gering und nicht geeignet zu sein, eine ausreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu begründen. Hiermit kann es aber nicht sein Bewenden haben. Hinzugezählt werden müssen, wie bereits erwähnt, nämlich die vielfältigen und unzweifelhaft zahlreichen, strafrechtlich bzw. ordnungsrechtlich nicht geahndeten Verfolgungsakte privater Akteure, die das tägliche Leben eines gläubigen und in der Öffentlichkeit bekennenden Ahmadi unmittelbar in sicherheitsrelevanter Weise berühren, wenn nicht gar prägen und in dieses eingreifen, wobei allerdings, wie bereits ausgeführt, die Eingriffe seriös und belastbar nicht quantifiziert werden können. Entgegen dem in Rdn. 33 des Revisionsurteils vermittelten Eindruck kann bei der Relationsbeurteilung auch nicht allein darauf abgestellt werden, in wie viel Fällen Strafverfahren eingeleitet und durchgeführt wurden bzw. werden. Denn das erzwungene Schweigen der hier interessierenden Personengruppe, das den relevanten Verfolgungseingriff darstellen kann, beruht, wie bereits ausgeführt, auch, wenn nicht gar überwiegend, auf den gewalttätigen, Leib und Leben gefährdenden bzw. sogar verletzenden Handlungen privater Akteure, die ungehindert und ungestraft vorgehen können und die damit nach Art. 6 lit. c) QRL flüchtlingsrechtlich relevant sind. Wollte man diesen Faktor unberücksichtigt lassen, würde ein völlig falsches Bild von der Situation der Ahmadis und deren Motivationslage gewonnen. Der Senat sieht sich nicht durch § 144 Abs. 6 VwGO gehindert, im Kontext der Relationsbetrachtung eine (unerlässliche) Ergänzung um diesen Gesichtspunkt vorzunehmen, weil er – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Ausführungen unter Rdn. 25 des Revisionsurteils - nicht zu erkennen vermag, dass die Vorgaben des Revisionsurteils an dieser Stelle abschließenden Charakter haben. Wenn das Bundesverwaltungsgericht dort davon spricht, dass die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene Verfolgung eine strafrechtlich relevante sein müsse, so wird diese Interpretation zwar vom Kläger infrage gestellt, gleichwohl sprechen aus der Sicht des Senats die besseren Gründe für die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar führt dieses dann dazu, dass die Verfolgungshandlungen der strafrechtlichen Verfolgung wie auch der Bestrafung nur solche sein können, die von staatlichen Akteuren ausgehen. Dieses gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung, die ohne weiteres auch nicht staatlichen Akteuren zugeordnet werden kann. Leibes- und lebensbedrohende Übergriffe privater Akteure auf einen Andersgläubigen sind aber zwanglos als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu begreifen.
116 
Aus allen vorliegenden Informationen kann nach Überzeugung des Senats auch der hinreichend verlässliche Schluss gezogen werden, dass für diejenigen Ahmadis, die ihren Glauben in einer verfolgungsrelevanten Weise praktizieren und das Bekenntnis aktiv in die Öffentlichkeit tragen, in Pakistan ein reales Verfolgungsrisiko besteht, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben und bekennen (würden). Denn bei dieser wertenden Betrachtung ist auch das erhebliche Risiko für Leib und Leben - insbesondere einer jahrelangen Inhaftierung mit Folter bzw. unmenschlichen Haftbedingungen und von Attentaten bzw. gravierenden Übergriffen privater Akteure - zu berücksichtigen, sodass an den Nachweis der Verfolgungswahrscheinlichkeit keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Es entspricht der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auch schon dann vorliegen kann, wenn aufgrund einer „quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für die Realisierung eines Verfolgungseingriffs besteht. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise eher nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er sein Heimatstaat verlassen soll oder in dieses zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber - wie im Falle der Ahmadi in Pakistan - jahrelange Haft, Folter oder gar Todesstrafe oder Tod oder schwere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit seitens Dritter riskiert (BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162; vgl. nunmehr auch Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - Rdn. 32). Handelt es sich demnach um einen aktiv bekennenden Ahmadi, für den die öffentliche Glaubensbetätigung zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, muss landesweit von einem realen Verfolgungsrisiko ausgegangen werden.
117 
Selbst wenn man realistischer Weise nicht der Einschätzung des vom Verwaltungsgericht Stuttgart am 12.03.2013 vernommenen Herr Khan folgt, dass es etwa 400.000 bekennende Ahmadis in Pakistan gebe und im Wesentlichen alle aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen auf eine öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigung verzichten und nicht etwa teilweise auch aus Opportunität, weil sie letztlich doch nicht so eng dem Glauben verbunden sind bzw. weil für sie der spezifische Öffentlichkeitsbezug nicht Teil ihres bestimmenden religiösen Selbstverständnisses ist, so kann doch nicht von der Hand gewiesen werden, dass es angesichts der angedrohten erheblichen, ja drakonischen Strafen sowie der zahlreichen nicht enden wollenden ungehinderten, lebens- und leibesbedrohenden Übergriffe extremistischer Gruppen für viele gläubige Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegen, wenn nicht gar gebieten wird, öffentlichkeitswirksame Glaubensbetätigungen zu unterlassen bzw. äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Da die öffentliche Glaubensbetätigung für viele Ahmadis (nach ihrem Selbstverständnis gerade auch als Teil der Gemeinschaft der Muslime) als unverzichtbarer Teil des Menschenrechts auf freie Religionsausübung verstanden werden muss, kann auch nicht eingewandt werden, das gegenwärtige festzustellende weitgehende Schweigen in der Öffentlichkeit sei nur Ausdruck eines latenten flüchtlingsrechtlich irrelevanten und daher hinzunehmenden Anpassungsdrucks. Diese seit nunmehr weit über nahezu 30 Jahre währenden rechtlichen und sozialen Gesamtumstände und -bedingungen der Glaubenspraxis werden auch einen nicht unwesentlichen Faktor für die festgestellte Stagnation der gesamten Ahmadiyya-Bewegung ausmachen. Eine verlässliche Zahl derer, die aus Furcht vor staatlichen und/oder privaten Eingriffen auf eine Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit verzichten, ist in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht zu ermitteln, da hierüber keine Aufzeichnungen gemacht und Statistiken geführt werden und es sich regelmäßig auch um innere Meinungsbildungsprozesse handeln wird.
118 
Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine besondere und zusätzliche Relationsbetrachtung (vgl. Rdn. 33 des Revisionsurteils), die der Absicherung der Einschätzung und zur Plausibilisierung des Verfolgungsrisikos dienen soll, in quantitativer Hinsicht vollständig anzustellen. Wie bereits ausgeführt, lässt sich der in diesem Zusammenhang einzusetzende Faktor der Zahl derjenigen Ahmadi, die trotz aller Verbote, Strafandrohungen, Strafverfahren, verhängter Strafen sowie Leib oder Leben gefährdender Angriffe privater Akteure weiter öffentlichkeitswirksam agieren, nicht annähernd zuverlässig ermitteln, woran die Relationsbetrachtung bereits scheitern muss, wobei ergänzend anzumerken ist, dass nach den einleuchtenden Ausführungen von Herrn Khan gegenüber dem VG Stuttgart alles dafür spricht, dass es eine relevante Anzahl überhaupt nicht mehr gibt. Diese faktischen Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten dürfen allerdings nicht zwangsläufig zu Lasten der Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen gehen. Wenn sich aus anderen Erkenntnisquellen plausible Schlussfolgerungen ziehen lassen, die noch hinreichend verlässlich sind, gebietet es im Interesse eines wirksamen und menschenrechtsfreundlichen Flüchtlingsschutzes der unionsrechtliche Grundsatz des „effet utile“, damit sein Bewenden haben zu lassen.
119 
Der Senat verwertet allerdings die von Herrn Khan beim Verwaltungsgericht Stuttgart gemachten Angaben, wonach grundsätzlich jeder Ahmadi, der heute auf öffentlichen Plätzen für seinen Glauben werben würde, damit zu rechnen hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar erhebliche Nachteile zu erleiden (wie Gewaltanwendung staatlicher Organe oder privater Akteure, Strafverfahren und strafrechtliche Sanktionen), weshalb derartiges faktisch kaum mehr stattfindet. Da diese Einschätzung nach den oben gemachten Feststellungen ohne weiteres plausibel ist, sieht der Senat keinen Anlass an deren Zuverlässigkeit zu zweifeln, auch wenn Herr Khan, der als Flüchtling anerkannt ist, sicherlich insoweit gewissermaßen „Partei“ ist, als er selber Ahmadi und unmittelbar den Institutionen der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis in Deutschland verbunden ist. Nimmt man noch den von Herrn Khan geschilderten Gesichtspunkt hinzu, dass heute praktisch kein Ahmadi mehr in den großen Moscheen bzw. Gebetshäusern erscheint, um in Gemeinschaft mit anderen am öffentlichen Gebet teilzunehmen, sei es aus Furcht vor staatlichen Eingriffen, sei es (noch wahrscheinlicher) vor privaten Akteuren, so muss nach Überzeugung des Senats von einer (ausreichend) hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass ein Ahmadi, der sich nicht um Verbote etc. kümmert und gleichwohl in der Öffentlichkeit agiert, Opfer erheblicher Ein- und Übergriffe werden wird, und deshalb der Verzicht auf ein öffentlichkeitswirksames Glaubensbekenntnis in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Verboten und dem Verhalten privater feindlicher Akteure steht und maßgeblich hierauf beruht.
120 
Selbst wenn man der Auffassung sein wollte, dass der auf die dargestellte Art und Weise verursachte Verzicht auf jede öffentliche Glaubensbetätigung allein noch nicht die Qualität eines relevanten Verfolgungseingriffs hat, so ergibt sich ein solcher jedenfalls aus einer wertenden Zusammenschau dieses Aspekts mit den oben beschriebenen vielfältigen Diskriminierungen und Einschränkungen, die für sich betrachtet entweder noch keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall begründen bzw. nicht die erforderliche Schwere aufweisen mögen. Wegen dieser letztlich maßgeblichen Gesamtschau liegt dann in jedem Fall eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL vor.
121 
b) Einem seinem Glauben innerlich verbundenen Ahmadi, zu dessen verpflichtender Überzeugung es gehört, den Glauben auch in der Öffentlichkeit zu leben und diesen in die Öffentlichkeit zu tragen und ggfs. auch zu werben oder zu missionieren, steht kein interner Schutz im Sinne des Art. 8 QRL offen, d.h. es gibt keinen Landesteil, in dem er in zumutbarer Weise und ungefährdet seinen Glauben öffentlich leben kann. Was die dem pakistanischen Staat unmittelbar zuzurechnenden Eingriffe betrifft, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen landesweit die gleichen. Gerade der Umstand, dass 1989 und 2008 Strafverfahren gegen alle Ahmadis in Rabwah eingeleitet worden waren, belegt dieses eindringlich. Was die Aktionen privater Akteure betrifft, geht die Einschätzung der Parliamentary Human Rights Group - PHRG - (Report of the PHRG Fact Finding Mission to Pakistan vom 24.10.2010, S. 2) und der von ihr angehörten Gewährspersonen dahin, dass eine ausreichende Sicherheit auch nicht in Rabwah besteht. Der Präsident von amnesty international von Pakistan wird dahin gehend zitiert, dass Ahmadis nirgends sicher seien, auch nicht in Rabwah, denn die Polizei würde auch den erforderlichen Schutz dort nicht gewähren, was er plausibel damit erklärt, dass die bereits erwähnte Gruppierung Khatm-e Nabuwwat einen Schwerpunkt ihrer Betätigung in Rabwah hat, wenn er auch nicht gänzlich in Abrede stellt, dass das Sicherheitsniveau dort etwas höher sei, besser wäre hier allerdings davon zu sprechen, dass das Unsicherheitsniveau etwas niedriger ist (vgl. zu alledem Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan, 07.02.2008, Ziff. 19.145 ff.; Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 20 ff. mit vielen Einzelaspekten). Die Situation wird – in erster Linie in Bezug auf nicht staatliche Akteure – auch so beschrieben, dass die Bedrohung von Ort zu Ort unterschiedlich ist und von Jahr zu Jahr wechselt (Home Office, Country of Origin Information Report Pakistan vom 07.12.2012 Ziff. 19.151). Ganz abgesehen davon ist für den Senat nicht ersichtlich, dass alle landesweit lebenden Ahmadis in Rabwah eine den Anforderungen des Art. 8 QRL genügende wirtschaftliche Existenz finden könnten (vgl. UNHCR, Guidelines, S. 43, und ausführlich zur wirtschaftlichen Situation in Rabwah Parliamentary Human Rights Group vom Januar 2007, S. 7 und 24 ff.).
122 
4. Gläubige Ahmadis hingegen, die nicht zu der oben beschriebenen Gruppe rechnen, weil für sie der Aspekt des aktiven Bekenntnisses in der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung hat, können hiernach nur dann von einem Verfolgungseingriff aufgrund einer kumulativen Betrachtungsweise nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL betroffen sein, wenn nach den Verhältnissen in Pakistan diese Betroffenheit sich generell aufgrund sonstiger Diskriminierungen als eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen würde. Von einer generellen Betroffenheit aller Mitglieder der Teilmenge der gläubigen, ihren Glauben auch (ohne direkten Öffentlichkeitsbezug) praktizierenden Ahmadi kann, was die die oben angesprochenen Diskriminierungen im Bildungswesen und beruflicher Art betrifft, noch nicht gesprochen werden. Hier kann sich allein im Einzelfall aus einer Gesamtschau eine ausreichende Schwere der Verletzung ergeben. Allerdings besteht eine generelle Betroffenheit insoweit, als sie sich nicht einmal als Moslems bezeichnen dürfen und die Finalität des Propheten Mohamed anerkennen müssen, was dann mittelbar eine gleichberechtigte Teilhabe an den staatsbürgerlichen Rechten, wie dem Wahlrecht unmöglich macht. Da jedoch die eigentlich Glaubensbetätigung auch außerhalb des eigentlichen „forum internum“ – vorbehaltlich weiterer künftiger Verschärfungen insbesondere von Seiten privater Akteure – noch möglich ist, ohne dass dieses mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Beeinträchtigungen führt, liegt nach Auffassung des Senats, obwohl diese Betätigungen keineswegs risikofrei sind, noch keine auf diese bezogene schwerwiegende Menschenrechtsverletzung nach der vom Europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung verbindlich entwickelten Auslegung des Art. 9 Abs. 1 QRL vor.
123 
Etwas anderes gilt selbstverständlich auch dann, wenn ein solcher Ahmadi unmittelbar und konkret von einem staatlichen Verfolgungsakt betroffen ist, der an seine religiöse Überzeugung anknüpft (vgl. Art. 10 Abs. 2 QRL), der mit einem Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit (im engeren Sinn) verbunden ist; ebenso dann, wenn ein derartiger Eingriff von nicht staatlichen Akteuren ausgeht und die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 QRL nicht vorliegen, wovon aber nach vom Senat getroffenen Feststellungen (vgl. oben 2 g) auszugehen ist.
124 
V. Der Senat ist gleichfalls überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden ist und diesen in der Vergangenheit sowie gegenwärtig in einer Weise praktiziert, dass er im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan auch unmittelbar von der vorbeschriebenen Situation und insbesondere den Einschränkungen für die öffentliche Ausübung seines Glaubens betroffen wäre. Er kann zunächst auf die Ausführungen im Urteil vom 13.12.2011 verweisen. An dieser Einschätzung ist auch nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung festzuhalten. Er hat – wenn auch mit einfachen Worten – dem Senat die Überzeugung vermittelt, dass das öffentliche und auch werbende Bekenntnis für seinen Glauben für ihn selbst von großer Bedeutung ist, er tatsächlich danach lebt und es ihn erheblich belasten würde, wenn er dieses aus Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen unterlassen müsste.
125 
Damit gehört der Kläger zu dem Kreis der bekennenden Ahmadis, die zu ihrem Glauben in innerer und verpflichtender Verbundenheit stehen und die von den oben geschilderten Einschränkungen der öffentlichen Glaubensbetätigung in Pakistan individuell betroffen sind.
126 
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
127 
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) liegt nicht vor.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob „die Freiheit, die Religion zu wechseln, bereits dann beeinträchtigt wird und somit ein flüchtlingsrelevanter Eingriff in die Religionsfreiheit i. S. des § 60 Abs. 1 AufenthG i. V. m. Art. 9 Abs. 1 a) der Richtlinie 2004/83/EG vorliegt, wenn der Betroffene durch die Rückkehr in den Heimatstaat gezwungen sein wird, den eingeschlagenen Weg der Glaubensüberzeugung und des Religionswechsels zum Christentum wieder umzukehren, da ihm ansonsten flüchtlingsrelevante Verfolgung droht“, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren.

Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, wann ein asylrechtsrelevanter Eingriff in die Religionsfreiheit im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG (jetzt: § 3 AsylVfG i. d. F. vom 2.9.2008, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.20142014, BGBl I S. 2439) i. V. m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG vorliegt (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 26 ff.). Weiter geklärt ist, dass ein in Deutschland zum Christentum übergetretener Asylbewerber sich erst dann darauf berufen kann, wegen der Betätigung seines christlichen Glaubens in seinem Heimatland von Verfolgung bedroht zu sein, wenn er die innere Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen hat (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 a. a. O. Rn. 30). Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung sowie einem ernst gemeinten, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (vgl. OVG NW, B. v. 11.11.2013 - 13 A 2252/13.A - juris Rn. 5 m. w. N.). Damit ist geklärt, dass ein asylrechtsrelevanter Eingriff in die Religionsfreiheit nicht vorliegen kann, wenn sich der Asylbewerber lediglich auf einem „eingeschlagenen Weg der Glaubensüberzeugung“ befindet, eine Konversion im Sinne dieser Rechtsprechung jedoch noch nicht vollzogen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

2. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil ihr Antrag auf Zulassung der Berufung aus den unter Nr. 1 genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1, § 115 ZPO).

Einer Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben werden und eine Kostenerstattung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen ist.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 VwGO) sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) dargelegt bzw. liegen jedenfalls nicht vor.

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wurde bereits nicht in der gebotenen Weise dargelegt und liegt im Übrigen auch nicht vor.

Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Rechtsfrage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt; Darlegungen zu offensichtlichen Punkten sind dabei entbehrlich (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72 m. w. N.). Hiervon ausgehend haben die Kläger schon keine den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügende Rechtsfrage formuliert.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt aber auch nicht vor. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein in Deutschland zum Christentum übergetretener Asylbewerber, der sich darauf beruft, wegen der Betätigung seines christlichen Glaubens in seinem Heimatland von Verfolgung bedroht zu sein, die innere Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen muss (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus (BayVGH, B. v. 12.1.2012 - 14 ZB 11.30346 - juris Rn. 4). Welcher Beweiswert der Taufbestätigung einer Religionsgemeinschaft für die Frage der Ernsthaftigkeit eines Glaubenswechsels zukommt ist ebenso wenig klärungsbedürftig wie die Frage, ob die Überprüfung der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts die nach innerkirchlichem Recht zuständige Stelle vorzunehmen hat und staatliche Behörden und Gerichte daran staatskirchenrechtlich gebunden sind. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass es für die Frage, ob ein ernsthafter Glaubenswechsel vorliegt, entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Schilderung und die Glaubwürdigkeit der Person des Asylbewerbers ankommt, die das Gericht selbst im Rahmen einer persönlichen Anhörung des Asylbewerbers zu überprüfen und tatrichterlich zu würdigen hat (BVerwG, U. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - juris Rn. 19; BayVGH, B. v. 8.8.2013 - 14 ZB 13.30199 - juris Rn. 8 m. w. N.). Dies ist ureigene Aufgabe des Gerichts. An die Ausstellung eines Taufscheins sowie an die Einschätzung der Glaubensüberzeugung eines Konvertiten durch eine Kirchengemeinde bzw. einen Pastor ist das Gericht nicht gebunden (vgl. BayVGH a. a. O.). Da die Klärung, ob ein Glaubenswechsel vorliegt, jeweils nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts erfolgen kann, kommt diesen Fragen regelmäßig auch keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (BayVGH a. a. O.; vgl. auch OVG NW, B. v. 24.5.2013 - 5 A 062/12.A - juris Rn. 10).

2. Soweit die Kläger zudem rügen, das Urteil sei i. S. v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 (wohl Nr. 6 gemeint) VwGO nicht mit Gründen versehen, da sich das Verwaltungsgericht in der Urteilsbegründung nicht mit der Grundgesetzproblematik des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften auseinandergesetzt habe und daher dem Urteil jedwede Begründung für die Verneinung der Nachfluchtgründe fehle, können sie ebenfalls nicht durchdringen.

Ein Verfahrensmangel nach § 138 Nr. 6 VwGO (Fehlen von Entscheidungsgründen) scheidet bei einer - wie hier - auf den allein entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin zu 1 eingehenden und die maßgeblichen Gründe erläuternden Begründung des Urteils aus. Ein solcher Verfahrensmangel wäre nur gegeben, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind oder die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind (vgl. BayVGH, B. v. 23.6.2014 - 14 ZB 14.30157 - juris Rn. 3 m. w. N.). Das Verwaltungsgericht hat vorliegend auf den Seiten 25 bis 27 seines Urteils begründet, warum es aufgrund des - allein maßgeblichen - Vortrags der Klägerin zu 1 die notwendige Überzeugungsgewissheit nicht gewinnen konnte, dass die behauptete Hinwendung zum christlichen Glauben auf einer ernsthaften Gewissensentscheidung, d. h. auf einem ernstgemeinten religiösen Einstellungswandel mit identitätsprägender fester Überzeugung beruht. Die Kläger legen nichts dafür dar, inwieweit dies nicht in verständlicher Form geschehen sein sollte. Mit dem in diesem Zusammenhang allein erfolgten Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ist nicht dargetan, warum die Bewertungen des Verwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar sein sollten.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

I.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juli 2012 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.

Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am ... in H. geborener afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit, verließ sein Herkunftsland am 15. Oktober 2010 und reiste auf dem Landweg über den Iran und die Türkei nach Griechenland. Nach einem etwa einmonatigen Aufenthalt in Athen reiste er am 8. Dezember 2010 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein. Hier beantragte er am 12. Januar 2011 Asyl.

In seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 28. Februar 2011 gab der Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal im Wesentlichen an, er habe acht Jahre lang im Iran in M. die Schule besucht. Anschließend habe er sich fünf Jahre lang wieder in Afghanistan aufgehalten, wo sie ein Haus und noch nicht verteiltes Land gehabt hätten. Bevor er wieder nach Afghanistan zu einem Freund zurückgekehrt sei, habe er nochmals zwei Jahre lang in M. gelebt. Die fünf Jahre in Afghanistan habe er in H. verbracht. Sie seien damals wegen ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage zurück nach Afghanistan gegangen. Das Stoffgeschäft seines Vaters sei „pleite“ gegangen. Sie hätten im Iran eine Flüchtlingskarte gehabt. Während der fünf Jahre in H. habe er in einer Drogerie gearbeitet. Am 8. Dezember 2010 sei er am Flughafen in Frankfurt angekommen. Mit welcher Airline er gereist sei, könne er nicht mehr sagen, weil er große Angst vor dem Fliegen gehabt habe. Der Schleuser sei mit ihm an Bord gewesen. Seine Mutter habe die Ausreise mit Hilfe eines Onkels finanziert.

Er habe Afghanistan verlassen müssen, weil sein Vater ihn wegen seiner Konversion zum Christentum verstoßen habe. Fünf bis sechs Monate vor seiner Konversion habe er aufgehört zu beten. Seine Familie sei sehr religiös gewesen und sein Vater habe ihn gefragt, weshalb er nicht mehr bete. Er habe seinem Vater erklärt, dass seine Schwester, die gezittert habe und halbseitig gelähmt gewesen sei, geheilt worden sei. Deshalb habe er seine Religion gewechselt. Sein Vater habe ihn deshalb geschlagen. Seine Schwester sei krank gewesen, sie habe gezittert und sei halbseitig gelähmt gewesen. Seine Eltern hätten zu Allah, den Propheten und dem Imam gebetet. Er selbst habe seine Augen geschlossen und zu Jesus gesagt, wenn es Dich wirklich gibt, dann heile meine Schwester. Er sei dann zu ihr gegangen, Ärzte und Krankenschwestern seien um ihr Bett herumgestanden und dann habe sie sich plötzlich bewegen können. Das sei für ihn das Erlebnis gewesen, das ihn zum Wechsel zum Christentum motiviert habe. Er habe alle Bedingungen, die für einen richtigen Moslem gelten, beachtet. Er habe täglich gebetet, im Ramadan-Monat gefastet, zuletzt etwa im Herbst. Dann sei er beim Schrein von Imam Reza gewesen, dem 8. Imam. Er sei dorthin gepilgert. In H. sei er bei einer heiligen Moschee namens Abu Moschee gewesen, die für die Schiiten sehr heilig sei. Zu Hause hätten sie Satelliten-Fernsehen gehabt. Dort sei ein Kanal namens Rahe Nejat, übersetzt: Weg zur Befreiung, gelaufen. Dabei handele es sich um einen amerikanischen Sender, der von in Amerika lebenden Iranern betrieben werde. Dort habe er eine Sendung angesehen, in der man einen großen Raum mit vielen Kranken gesehen habe. Sie hätten Halleluja gesagt und hätten sich plötzlich wieder bewegen können. Sie seien gesund gewesen. Im Iran habe er im Fitness-Center einen Freund gehabt, einen Armenier, der ihm Informationen gegeben habe. In dem Augenblick, als seine Schwester wieder gesund geworden sei, sei er Christ geworden. Den Sender Rahe Nejat habe er immer nur dann gesehen, wenn sein Vater nicht zu Hause gewesen sei. Er hätte es ihm sicher verboten, diesen Sender anzusehen. In der zeitlichen Abfolge habe er zuerst den Sender gesehen, dann sei einige Monate, bevor er aus Afghanistan ausgereist sei, das Ereignis mit seiner Schwester im Krankenhaus passiert und zuvor noch habe er den Armenier im Fitness-Center kennengelernt und zu den Dingen befragt, die er in dem Fernsehprogramm gesehen habe. Aber vor der Heilung seiner Schwester sei alles aus Neugierde passiert. Die Entscheidung zur Konversion habe er erst später getroffen. Der Armenier habe ihm vom Christentum erzählt, dass es, wie auch im Islam, Säulen gebe und man ihnen folgen müsse. Sie sagten z. B., dass man nicht töten solle, nicht vor der Heirat eine Beziehung eingehen solle, dass man sonntags beten solle, dass man nicht schlecht über andere reden solle. Man solle nicht in der Öffentlichkeit spenden usw. Es gebe das Vater-Gebet, das ihm sein Anwalt vom Deutschen in die Dari-Sprache übersetzt habe. Er habe vieles gesehen, auch über die Verse und Abschnitte aus dem Heiligen Buch. Er erinnere sich an die Erzählung über den Bruder von Maria, der eines Tages gestorben und begraben worden sei. Dann sei Jesus gekommen und sie habe zu ihm gesagt: „Wärst Du doch früher gekommen, dann wäre mein Bruder noch am Leben.“ Jesus habe gesagt: „Ich komme, um ihn auferstehen zu lassen.“ Und so sei er wieder lebendig geworden. Dann habe er noch etwas gesehen, es sei eine Hochzeitsfeier gewesen. Jesus habe einen Eimer Wasser zu Wein gemacht, was ein weiteres Zeichen für seine Existenz gewesen sei. Das sei ein Wunder gewesen.

Als er aus H. zurückgekommen sei und sich noch über ein Jahr lang in M. aufgehalten habe, habe er dort im Stoffgeschäft seines Vaters gearbeitet. Er habe damit gerechnet, dass sein Vater mit ihm streiten würde. Aber dass er ihn verstoßen würde, wenn er erfahre, dass er zum Christentum konvertiert sei, damit hätte er nicht gerechnet. Die Ärzte hätten über seine Schwester gesagt, dass sie sich in einem Stadium befinde, in dem man nichts mehr machen könne, und dass sie gelähmt bleiben werde. Der genannte Sender sei im Iran verboten, aber über 90% der Haushalte hätten Satelliten-Fernsehen und könnten den Sender sehen. Er wisse auch relativ viel über Mohammed oder über islamische Propheten. Mohammed habe die Menschen dazu aufgerufen, keine weiteren Götzenbilder mehr neben sich zu haben. Man solle nur noch an den einen Gott glauben. Vieles, was es im Christentum gebe, gebe es auch im Islam. Im Islam folge man aber den Vorschriften nicht.

Zwischen dem Ereignis im Krankenhaus und seiner Ausreise hätten etwa vier Monate gelegen. In diesen vier Monaten habe er Informationen über die Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum gesammelt. Er habe einen armenischen Freund besucht und befragt. Dieser habe ihm auch ein Gebet beigebracht, das er anstelle des muslimischen Gebetes gesprochen habe. Als Reaktion auf seine Konversion habe sich das Verhalten seiner Familie und seiner Freunde ihm gegenüber sehr geändert. Das Verhalten seiner Freunde sei sehr unterschiedlich gewesen, die Gebildeten hätten ihn nicht geschnitten, aber die anderen seien nicht mal mehr in die Nähe seines Geschäftes gekommen und hätten ihn nicht mehr angeschaut. Sein Bruder habe seine Cousine geheiratet und sei deswegen zu ihr nach Deutschland gegangen. Der wesentlichste und positivste Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum seien aus seiner Sicht die Zehn Gebote, denen im Christentum gefolgt werde, im Islam aber nicht. Für jemanden, der sehr gläubig sei, sei es negativ, wenn andere nicht den Regeln des Islam folgten. In den drei Monaten bis zu seiner Rückkehr nach H. habe er sich die meiste Zeit damit beschäftigt, sich über die Religion zu informieren. Sonst sei nichts passiert. Er habe dann auch nicht mehr im Geschäft seines Vaters geholfen. Er habe sich dann bei seiner Großmutter aufgehalten, bis er nach H. gegangen sei.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 20. Januar 2012 legte der Kläger eine Taufbescheinigung der Baptisten-Gemeinde, A., vom 4. September 2011 vor. Des Weiteren wurden mehrere Bescheinigungen der Baptisten-Gemeinde über die regelmäßige Teilnahme des Klägers an den Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen vorgelegt.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2012 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1 des Bescheides), verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 2) sowie von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Ziffer 3) und forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (Ziffer 4 des Bescheides). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht nachvollziehbar und deshalb unglaubhaft, dass die Mutter des Klägers ohne das Wissen ihres Ehemannes, des Vaters des Klägers, die Summe in Höhe von 12.000,00 Euro aufgebracht haben solle, um die Ausreise zu finanzieren. Angesichts der in Afghanistan vorherrschenden gesellschaftlichen Umstände sei es nicht vorstellbar - zumal in einer streng religiösen Familie -, dass die Mutter logistisch derart agiere und zudem ihre eigene Existenz in Frage stelle. Ebenso unglaubhaft sei es, dass der vermeintliche Glaubenswechsel in der vom Kläger geschilderten Art und Weise in die Öffentlichkeit gelangt sein solle, so dass Geschäftskunden ihn beispielsweise nicht mehr beachtet hätten. Insofern sei bereits in keiner Weise ersichtlich, inwieweit er überhaupt in den Fokus möglicher Verfolger geraten könne. Nach Würdigung seines Sachvortrages sei der Kläger zu keiner Zeit exponiert aufgetreten, so dass er in den Fokus möglicher Verfolger hätte geraten können. Des Weiteren habe der Kläger nicht hinreichend darzulegen vermocht, dass er dem christlichen Glauben in voller Überzeugung zugeneigt sei. So sei es ihm nicht möglich gewesen, die Grundprinzipien und Wertevermittlung des christlichen Glaubens darzulegen, die auch nur annähernd eine Überzeugung zu dieser Religion erkennen lassen würde. Die pauschale Angabe, durch das Ereignis der Heilung seiner Schwester konvertiert zu sein, erscheine geradezu konstruiert, weil er gerade nicht in der Lage gewesen sei, seine intensive vorherige Befassung mit der neuen Religion nachvollziehbar zu schildern. Dies spiegele sich auch in dem Sachvortrag wieder, dass er erste Informationen über einen armenischen Freund und das Satelliten-Fernsehen erhalten habe, was er inhaltlich derart unkonkret vorgetragen habe, dass ihm die Hinwendung zum neuen Glauben nicht abgenommen werden könne. Wenn der Kläger beispielsweise der Nachfrage, welches der Hauptunterschied zwischen Islam und Christentum sei, in der Weise begegne, dass den Zehn Geboten im Christentum gefolgt werde, im Islam hingegen nicht, lasse sich bereits eine von religiöser Überzeugung getragene Gewissensentscheidung nicht nachvollziehen. Der Kläger habe vorgetragen, er wolle zwar seit dem Sommer 2010 Christ sein, eine Taufe habe es aber bisher nicht gegeben. Insofern sei auch keine Konversion zum christlichen Glauben erfolgt. Ganz abgesehen davon lebe er seit nunmehr über 18 Monaten in der Bundesrepublik Deutschland, auch hier sei eine Konversion offenbar nicht erfolgt, zumindest habe der Kläger keine Taufbescheinigung vorgelegt. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Angesichts der im Gebiet der Stadt H. herrschenden Situation sei das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu verneinen. Rückkehrer seien bei einer Einreise nach Afghanistan über Kabul und einer Weiterreise nach H. nicht auf den unsicheren Landweg angewiesen, sondern hätten die Möglichkeit, mit einer der afghanischen Fluggesellschaften dorthin zu gelangen. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liege nicht vor. Aus dem Vorbringen des Klägers ergäben sich auch keine konkreten, individuellen Anhaltspunkte dafür, dass ihm eine Rückkehr nach Afghanistan i. S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zugemutet werden könne. Es seien keine Umstände ersichtlich, die dafür sprächen, dass der gesunde und arbeitsfähige Kläger, der zudem mit den Verhältnissen in H. vertraut sei, sein Existenzminimum dort nicht selbst sichern könne.

Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit am 24. Juli 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Klage erheben. Wie er im Rahmen seiner Anhörung vorgetragen habe, sei der Kläger vom christlichen Glauben überzeugt und sei durch die Taufe vom 4. September 2011 in Aschaffenburg endgültig zum Christentum übergetreten. Der Kläger besuche in Aschaffenburg regelmäßig die Kirche und die Gottesdienste der United Church, die in persischer Sprache abgehalten wird. Eine entsprechende schriftliche Bestätigung der United Church vom 22. August 2012 wurde vorgelegt. Der Kläger habe bereits vor seiner Taufe regelmäßig die Baptisten-Gemeinde in Aschaffenburg besucht. Dies gehe aus den vorgelegten Bescheinigungen der Baptisten-Gemeinde vom 19. Juli 2012 sowie vom 3. Dezember 2012 hervor. Mithin sei entgegen dem Vortrag der Beklagten die Konversion erfolgt und die Urkunde sowie die Bescheinigungen seien der Beklagten zur Verfügung gestellt worden. Fehlerhaft sei die Entscheidung auch deshalb, weil die Anhörung in Zirndorf und die Entscheidung in der Außenstelle Chemnitz erfolgt sei, so dass der Entscheider nicht in der Lage gewesen sei, die Glaubwürdigkeit des Klägers zu beurteilen. Der Kläger habe im Rahmen seiner Anhörung ausführlich die Gründe für seinen Übertritt zum christlichen Glauben vorgetragen. Er missioniere in Deutschland den christlichen Glauben und habe auch schon mehrere seiner Landsleute davon überzeugt. Nicht nachvollziehbar sei, dass die Beklagte davon ausgehe, dass der Kläger seine Hinwendung zum christlichen Glauben nicht überzeugend dargelegt habe. Der Kläger habe sowohl in spiritueller Hinsicht von einem ausschlaggebenden Moment berichtet, der ihn dazu bewegt habe, den christlichen Glauben anzunehmen, als auch in rationaler Hinsicht berichtet, dass er sich durch die Fernsehsendung und durch seinen armenischen Freund Informationen über das Christentum beschafft habe. In erster Linie habe sich der Kläger jedoch nach der plötzlichen und unerwarteten Heilung seiner gelähmten Schwester dem Christentum zugewandt. Allein dieses Ereignis sei letztlich für seinen Glaubenswechsel ausschlaggebend gewesen. Der Kläger sei zuvor nicht mit dem Christentum in Berührung gekommen. Nach diesem Ereignis, in dem sich für ihn die wahre Religion offenbart habe, habe er, ohne sich auch tatsächlich mit dem Christentum auseinandergesetzt zu haben, an eine andere Religion glauben können. Es sei zunächst keine bewusste Entscheidung gewesen, dem Christentum beizutreten. Es sei nicht so gewesen, dass er Christentum und Islam miteinander verglichen und sich letztlich für das Christentum entschieden habe. Es gehe bei der Entscheidung für einen Glauben nicht um eine rationale Entscheidung. Der Kläger habe durch die unerwartete Heilung seiner Schwester, nachdem er sich an Jesus gewandt hatte, eine Art Erleuchtung gehabt. Er sehe dieses Ereignis als Botschaft Gottes, mit der ihm die wahre Religion offenbart worden sei. Die Befassung mit der Bibel sowie die Informationsweitergabe über das Christentum durch den armenischen Freund seien danach erfolgt, und dadurch sei das starke Interesse des Klägers am Christentum entwickelt worden. Durch seine Kenntnisse über das Christentum sei sein Glaube bestärkt und fundiert worden. Aufgrund seines Übertritts vom muslimischen zum christlichen Glauben, der sogenannten Apostasie, drohe dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Todesstrafe. Daher seien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juli 2012 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen;

hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung von Ziffern 3 und 4 des Bescheides zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen;

hilfsweise, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG in der Person des Klägers festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2014 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 wurde dem Kläger unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwaltes Prozesskostenhilfe bewilligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der vorgelegten Behördenakten, wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung insbesondere auf die Niederschrift vom 19. Dezember 2014 Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 16. Juli 2012 ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylVfG (BT-Drs. 16/5065 S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Danach wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Ausschlussvoraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist Flüchtling i. S. des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Herkunftsland).

Gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG ist vorliegend das Asylverfahrensgesetz in der ab1. Dezember 2013 geltenden, durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) geschaffenen Fassung anzuwenden. In den §§ 3a bis 3e AsylVfG sind nunmehr in Umsetzung von Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 v. 20.12.2011) - QRL - (vgl. BT Drs. 17/13063 S. 19) die Voraussetzungen für Verfolgungshandlungen, Verfolgungsgründe, Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann und Akteure, die Schutz bieten können, und für internen Schutz geregelt. Nach § 3c AsylVfG kann eine Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG gelten als Verfolgung i. S. des § 3 Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - (BGBl. 1952 - II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb seines Heimatlandes. Aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben droht ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung i. S. d. § 3a Abs. 1 AsylVfG (1.1). Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative i. S. d. § 3e AsylVfG zur Verfügung (1.2).

1.1 Eine Verfolgung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 a) QRL, der durch § 3a Abs. 1 AsylVfG umgesetzt wurde, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - BayVBl. 2013, 234, juris Rn. 57 ff.) sowie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 21 ff.; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 23 ff.), der sich das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung anschließt (vgl. VG Würzburg, U. v. 25.2.2014 - W 1 K 13.30164 - juris Rn. 23; U. v. 7.2.2014 - W 1 K 13.30044 und W 1 K 1W 1 K 13.30045, juris Rn. 19; U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 19), auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (EuGH a. a. O. Rn. 59). Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG a. a. O. Rn. 21). Zur Qualifizierung eines Eingriffs in das Recht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta als „erheblich“ kommt es nicht auf die im Rahmen des Art. 16a Abs. 1 GG sowie des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 maßgebliche Unterscheidung an, ob in den Kernbereich der Religionsfreiheit, das „religiöse Existenzminimum“ (forum internum) eingegriffen wird oder ob die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit (forum externum) betroffen ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.1.2004 - 1 C 9/03 - BVerwGE 120, 16/20 f., juris Rn. 12 ff. m. w. N.). Vielmehr kann ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (EuGH a. a. O. Rn. 62 f.; BVerwG a. a. O. Rn. 24 ff.; VGH BW a. a. O. Rn. 43; OVG NRW a. a. O. Rn. 29 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher abzustellen auf die Art der Repressionen und deren Folgen für den Betroffenen (EuGH a. a. O. Rn. 65 ff.), mithin auf die Schwere der Maßnahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (BVerwG a. a. O. Rn. 28 ff.; VGH BW a. a. O.; OVG NRW a. a. O.).

Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - juris Rn. 70; BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 28 ff.).

Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z. B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere

- aber nicht nur - dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 28 m. w. N.).

Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U. v. 5.9.2012 - Y und Z, C-71/11 und C-99/11 - juris Rn. 70; BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 29; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris Rn. 48; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, B. v. 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; VGH BW a. a. O.). Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U. v. 20.2.2013 a. a. O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG a. a. O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG a. a. O.; VGH BW a. a. O. Rn. 49).

Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 30; B. v. 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270, juris Rn. 43; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 13 ff.). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG v. 20.2.2013 a. a. O. Rn. 31; VGH BW, U. v. 12.6.2013 - A 11 S 757/13 - juris 50).

Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im Falle des Klägers sowohl die objektive als auch die subjektive Schwere der ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vor, so dass ihm jedenfalls aufgrund eines subjektiven Nachfluchtgrundes eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.

Nach der Überzeugung des Gerichtes sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit - auch nur in bestimmten Landesteilen - nicht erreichbar (OVG NRW, U. v. 19.6.2008 - 20 A 3886/05.A - juris Rn. 25 ff.; VG Würzburg, U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 25; U. v. 24.9.2012 - W 2 K 11.30303 - UA S. 11 ff.; U. v. 16.2.2012 - W 2 K 11.30264 - UA S. 8 ff.; VG Augsburg, U. v. 8.4.2013 - Au 6 K 13.30004 - juris Rn. 24 ff.; U. v. 9.6.2010 - Au 6 K 10.30098 - juris Rn. 39 ff.; VG Saarland, U. v. 21.3.2012 - 5 K 1037/10 - juris Rn. 33 ff.). Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar wird den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften das Recht eingeräumt, im Rahmen der Gesetze ihren Glauben auszuüben und ihre religiösen Bräuche zu pflegen. Somit gewährleistet die Verfassung grundsätzlich das Recht auf freie Religionsausübung. Dieses Grundrecht umfasst jedoch nicht die Freiheit, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren, und schützt somit nicht die freie Religionswahl (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004 Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, September 2012, S. 18). Vielmehr kommt im Fall des Wechsels vom Islam zu einer anderen Religion Scharia-Recht zur Anwendung. Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (sog. Apostasie). Die Todesstrafe wegen Konversion wurde allerdings nach Kenntnissen des Auswärtigen Amtes bisher nie vollstreckt (Lagebericht a. a. O. S. 11). Konvertiten drohen jedoch Gefahren oft auch aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld, da der Abfall vom Islam in der streng muslimisch geprägten Gesellschaft als Schande für die Familienehre angesehen wird (Lagebericht a. a. O.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, zusammenfassende Übersetzung vom 24.3.2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte - IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan - Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 8 ff.; Dr. Mostafa Danesch, Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig, S. 1 ff.). Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Der Betroffene hat dann drei Tage Bedenkzeit. Widerruft er bis dahin seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt (IGFM, Stellungnahme vom 27.2.2008, S. 8; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6). Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten, und können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; Dr. Mostafa Danesch a. a. O., S. 2 f.). Es wäre Christen auch nicht möglich, sich der Teilnahme an muslimischen Riten wie dem fünf Mal täglichen Gebet, dem Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten zu entziehen (Dr. Mostafa Danesch a. a. O., S. 6 f.). Im Februar 2014 wurde durch die Taliban ein Anschlag auf ein „Guesthouse“ verübt, in welchem auch christliche Gottesdienste stattfanden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17/18). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; UNHCR-Richtlinien 2011, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM a. a. O., S. 1, 5, 8 f.; Dr. Mostafa Danesch a. a. O., S. 1 f., 3 ff.).

Im Falle des Klägers liegt auch die erforderliche subjektive Schwere vor, weil es nach der Überzeugung des Gerichtes zu seinem religiösen Existenzminimum bzw. seiner religiösen Identität gehört, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn gemeinsam mit anderen auszuüben, insbesondere an Gottesdiensten teilzunehmen, und seinen Glauben an andere weiter zu geben.

Der formale Glaubenswechsel des Klägers ist durch den bereits vollzogenen Akt der Taufe am 4. September 2011 belegt. Darüber hinaus ist jedoch für die Annahme einer Verfolgungsgefahr und damit für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass der Glaubenswechsel, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern Ausdruck einer echten Glaubensüberzeugung ist (HessVGH, U. v. 26.7.2007 - 8 UE 3140/05.A - juris Rn. 20 ff.; B. v. 26.6.2007 - 8 UZ 1463/06.A - juris Rn. 12 ff.; OVG NRW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 37 ff.). Auf eine solche echte Glaubensüberzeugung kommt es nur dann nicht an, wenn im Herkunftsland bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde (HessVGH a. a. O.; OVG NRW a. a. O.). Letzteres ist in Afghanistan nach der Erkenntnislage und der Rechtsprechung (vgl. z. B. HessVGH a. a. O.; OVG NRW a. a. O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch nicht der Fall.

Der Kläger gibt glaubhaft an, bereits im Herkunftsland seinen Glauben gewechselt zu haben. Er hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass er sich zunächst aus reiner Neugier aus verschiedenen Quellen über das Christentum informiert hat. Des Weiteren hat er ein Schlüsselerlebnis angeführt, welches ihn zu dem Entschluss geführt hat, den christlichen Glauben anzunehmen. Bei diesem Schlüsselerlebnis handelte es sich um eine Art Spontanheilung seiner an Epilepsie erkrankten Schwester nach seinem Gebet zu Jesus Christus. Das Gericht teilt die Zweifel des Bundesamtes an der Glaubhaftigkeit dieser Ausführungen des Klägers nicht. Zum einen vermag das Gericht dem Bundesamt nicht darin zu folgen, dass es offenbar die naturwissenschaftlich-logische Schlüssigkeit der als Schlüsselerlebnis angegebenen Heilung als (mit) ausschlaggebendes Kriterium ansieht. Ein Schlüsselerlebnis, das zum Entschluss eines Glaubenswechsels führt, ist kein sich rein in der Außenwelt abspielender, sondern auch ein innerer (geistiger) Vorgang. Maßgeblich für das Vorliegen eines Schlüsselerlebnisses ist, dass bestimmte erlebte Tatsachen in einer religiösen Art und Weise interpretiert werden und ihnen damit nachvollziehbar die Bedeutung eines Schlüsselerlebnisses zukommt. Mit anderen Worten kommt es nicht darauf an, dass die Krankheit der Schwester des Klägers tatsächlich geheilt wurde und dass dies im naturwissenschaftlich-logischen Sinne ursächlich auf die Gebete des Klägers zurückgeführt werden könnte. Maßgeblich ist allein, dass die äußeren Umstände des Schlüsselerlebnisses glaubhaft vorgetragen sind, dass das Erlebnis als solches vom Kläger in einer schlüssigen Art und Weise religiös interpretiert wird und dass der darauf gegründete Entschluss zum Glaubenswechsel nachvollziehbar erscheint. Der Kläger hat sowohl in der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung die äußeren Umstände der Heilung seiner Schwester plausibel und widerspruchsfrei vorgetragen. Er hat erklärt, dass seine Schwester seit ihrer Geburt an Epilepsie erkrankt sei und dass die Krankheitssymptome während des Aufenthaltes der Familie im Iran aufgetreten seien. Bei einer anfalls- oder intervallartig auftretenden Erkrankung wie der Epilepsie (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl. 1986, Stichwort „Epilepsie“ S. 459 ff.) ist der geschilderte Krankheitsverlauf nicht unplausibel. Dies gilt auch für die geschilderte „Heilung“, selbst wenn man diese nicht als vollständige Heilung im medizinischen Sinne, sondern als eine Phase der Anfallfreiheit interpretiert, wie sie bei der Epilepsie auch über einen längeren Zeitraum hinweg eintreten kann. Auf dieser Grundlage ist es plausibel, dass der Kläger sich angesichts der Erkrankung seiner Schwester daran erinnert hat, dass Jesus Christus nach der biblischen Überlieferung Kranke heilen konnte, und deshalb für die Heilung seiner Schwester zu ihm gebetet hat. Die dann tatsächlich eingetretene Heilung bzw. Remission hat er dann folgerichtig auf seine Gebete zurückgeführt. Darauf hat er wiederum konsequent den Entschluss gegründet, sich dem Christentum anzuschließen. Dieser Entschluss kam also nicht von ungefähr, sondern war gleichsam der Schlusspunkt einer auf äußere und innere Erlebnisse gegründeten nachvollziehbaren Entwicklung. Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger seinen Entschluss zur Konversion bereits im Herkunftsland gefasst hat. Denn der Kläger hat einen gewissensgeleiteten, durch religiöse Werte und Normen hervorgerufenen Akt der inneren Umkehr und damit einen Wendepunkt in seinem Leben glaubhaft geschildert und damit hinreichend deutlich gemacht, dass es sich bei seiner Hinwendung zum Christentum um eine Gewissensentscheidung handelt, die von einer echten Glaubensüberzeugung geleitet ist. Diesen bereits im Herkunftsland innerlich vollzogenen Glaubenswechsel hat der Kläger nach der Ausreise durch die Taufe im Bundesgebiet nach außen hin bekräftigt, so dass auch ein subjektiver Nachfluchtgrund vorliegt.

Der Kläger hat auch glaubhaft machen, mit zentralen Inhalten des christlichen Glaubens vertraut zu sein, indem er bestimmte Gebote des christlichen Glaubens und Ereignisse aus dem Leben und Wirken Jesu Christi benannte, insbesondere von diesem nach der biblischen Überlieferung gewirkte Wunder sowie den Missionsbefehl im Matthäus-Evangelium, Kapitel 28, Vers 18 - 20. Auch dies spricht für die Glaubhaftigkeit der Konversion.

Der Kläger konnte auch darlegen, dass er seinen neuen Glauben im Bundesgebiet praktiziert und dies auch im Herkunftsland würde tun wollen. Er nimmt ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen regelmäßig an den Gottesdiensten und Bibelkreisen der Baptistenkirche in Aschaffenburg teil und hält selbst einen wöchentlichen Hauskreis in seinem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft ab. Außerdem hat der Kläger erklärt, es sei aus seiner Sicht eine Pflicht eines jeden Christen, zu missionieren. Daher würde er auch in seinem Herkunftsland auf jeden Fall missionieren wollen. Er könne sich auch nicht vorstellen, wieder als Moslem zu leben und zu Allah zu beten. Derartige Verhaltensweisen würden in Afghanistan unweigerlich auffallen und den Kläger landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erheblichen Gefahren für Leib und Leben aussetzen. Damit hat er glaubhaft gemacht, auch in Afghanistan unter Inkaufnahme von Risiken als Christ leben zu wollen. Es steht somit fest, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung (zumindest) durch nicht-staatliche Akteure ausgesetzt zu sein.

1.2 Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die geschilderten Gefahren für zum Christentum konvertierte Moslems drohen in Afghanistan landesweit, auch in der Stadt Kabul. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten sein (vgl. Lagebericht, S. 11). Selbst dort gibt es aber für christliche Afghanen keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Schutz vor Übergriffen Privater ist für Christen in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft v. 22.12.2004, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage, Oktober 2014, S. 17; IGFM, Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1). In der Rechtsprechung wird diese Einschätzung teilweise geteilt (z. B. OVG NRW, U. v. 19.6.2008 - 20 A 3886/05.A - InfAuslR 2008, 411, juris Rn. 33 ff., dort auch explizit zu Kabul; VG Würzburg, U. v. 25.2.2014 - W 1 K 13.30164 - juris Rn. 37; U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 32; U. v. 24.9.2012 - W 2 K 11.30303 - UA S. 13 ff.; U. v. 16.2.2012 - W 2 K 11.30264 - UA S. 12 ff.; VG Augsburg, U. v. 8.4.2013 - Au 6 K 13.30004 - juris Rn. 27 ff.; U. v. 18.1.2011 - Au 6 K 10.30647 - juris Rn. 46; eine Fluchtalternative in Kabul bejahend VG Augsburg, U. v. 22.6.2012 - Au 6 K 11.30345 - juris Rn. 20 ff.). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage, soweit ersichtlich, offen gelassen (vgl. BayVGH v. 16.5.2013 - 13a ZB 12.30297 - juris Rn. 3 f.); in der genannten Entscheidung war dies nicht entscheidungserheblich. Das erkennende Gericht schließt sich somit auch im vorliegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der erstgenannten Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für Christen in Afghanistan ausscheidet, wenn sie ihren Glauben nicht verheimlichen oder gar verleugnen wollen (vgl. VG Würzburg U. v. 27.8.2013 - W 1 K 12.30200 - juris Rn. 32). Ein derartiges Verhalten wäre dem Kläger nicht zumutbar, da es, wie im Gerichtsverfahren deutlich wurde, seine religiöse Identität verletzen würde.

Nach alledem hat die Klage Erfolg.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylVfG).

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708, 711 ZPO.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.