Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 18. Jan. 2019 - W 2 E 19.28

bei uns veröffentlicht am18.01.2019

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen begehren mit Schriftsatz vom 14. Januar 2019 den Widerruf, hilfsweise die Unterlassung von Äußerungen des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin im Rahmen der Vorbereitung der für Sonntag, den 20. Januar 2019, angesetzten Abstimmung über ein Rats- und Bürgerbegehren bis spätestens 19. Januar 2019.

Unter Verweisung auf die Antragsbegründung wird beantragt,

I. Die Antragsgegnerin wird verurteilt, den folgenden Widerruf binnen angemessener Frist - spätestens am Samstag, den 19.01.2019 - vor dem Bürgerentscheid der Antragstellerinnen bzw. vor dem Entscheid über das Ratsbegehren der Antragsgegnerin auf eigene Kosten in geeigneter, gut wahrnehmbarer Layout-/Druckposition im S. Tagblatt, bekannt zu geben:

1. „Die Stadt S. hat in der Bürgerunterrichtung zu den Bürgerentscheiden über das Bürgerbegehren „Für einen klimaschützenden und kostengünstigen Stadtwald“ und über das Ratsbegehren „Stadtgrün mit Zukunft: Bürgerpark für alle“ die folgenden unrichtigen Behauptungen aufgestellt, die sie hiermit widerruft:

a) Unrichtig ist die Behauptung der Stadt S. auf Seite 1 der Bürgerunterrichtung, dass die Stadt auf dem Konversionsgelände einen „der Größe nach nicht näher festgelegten Wald“ anlegen muss, wenn die Bürger für den Bürgerentscheid 2 (Stadtwald) mit JA stimmen.

Unrichtig ist auch die Behauptung der Stadt S. auf Seite 1 der Bürgerunterrichtung, dass der Stadtwald auf die Konversionsfläche der ehemaligen L.-Kaserne beschränkt ist, mit „dem Konversionsgelände“ in der Fragestellung des Bürgerentscheid 2 (Stadtwald) sei nur die ehemalige L.-Kaserne gemeint.

Unrichtig ist auch die Behauptung der Stadt S., dass der Stadtwald eine maximal mögliche zusätzliche Waldfläche von 7 ha umfassen würde.

Diese Behauptungen werden nicht weiter aufrechterhalten.

Richtig ist vielmehr, dass der Stadtwald nach den Bürgerentscheid 2 den gleichen Flächenumfang wie die Grünfläche der geplanten Landesgartenschau, nämlich mindestens ca. 10 ha haben soll.

b) Unrichtig ist die Behauptung der Stadt S. auf Seite 2 der Bürgerunterrichtung, ein neu anzulegender Stadtwald schließe über viele Jahre alle Menschen aus.

Diese Behauptung wird nicht weiter aufrechterhalten.

Richtig ist vielmehr, dass bei einem neu angelegten Wald keine solchen Schutzmaßnahmen vorgesehen werden müssen, sodass dieser sehr wohl betreten werden könnte.

c) Unrichtig ist die Behauptung der Stadt S. auf Seite 2 der Bürgerunterrichtung, es gäbe „bereits einen Stadtwald in und unmittelbar um S.“ und auch der erweckte Eindruck, dass sich 1.800 ha Wald in Stadtnähe befinden.

Diese Behauptung wird nicht weiter aufrechterhalten.

Richtig ist vielmehr, dass es im Westen und Süden von S. keine Waldbestände gibt und daher die von Bürgerentscheid 2 vorgesehene zusätzliche Waldfläche von ca. 10 ha eine erhebliche Zunahme der Waldfläche bedeutet.

d) Unrichtig ist die Behauptung der Stadt S. auf Seite 2 der Bürgerunterrichtung, dass die auf dem Areal verlaufende Fernwärmeleitung kostspielig verlegt werden müsste, sollte dort ein Wald realisiert werden, dadurch würden gegenüber dem Bürgerpark Zusatzkosten entstehen.

Diese Behauptung wird nicht weiter aufrechterhalten.

Richtig ist vielmehr, dass Schutzstreifen von beidseits 2,5-5 m neben der Fernwärmeleitung ausreichen, die mit der Anlage von Wegen oder Freiflächen (Lichtungen) etc. kombiniert werden können.

2. „Der Oberbürgermeister der Stadt S. hat in der Öffentlichkeit unrichtige Feststellungen getroffen, die hiermit widerrufen werden.

a) Der Oberbürgermeister der Stadt S. hat in der Sondersendung „LGS“ von Radio Primaton am 7. Oktober 2018 in einem Redebeitrag behauptet, dass die Entsiegelung des LGS-Areals in den veranschlagten Kosten des Investitionshaushalts von 12 Millionen Euro für die Landesgartenschau enthalten sei, während die Entsiegelung vor der Anpflanzung des Stadtwalds Millionen Euro koste, die gesondert aufgebracht werden müssten. Die Stadt S. widerruft diese Erklärung, weil sie unrichtig ist.

Richtig ist, dass die Kosten für die Entsiegelung des Areals nicht im Budget der Landesgartenschau enthalten sind und sowohl zu den vom Bürgerentscheid 1 als auch vom Bürgerentscheid 2 verursachten Kosten hinzukommen und damit keinen spezifischen Nachteil für den Bürgerentscheid 2 „Stadtwald“ darstellen.

b) Unrichtig ist auch die Behauptung des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin, dass der geplante Stadtwald ein Nadelholzwald werden soll.

Diese Behauptung wird nicht weiter aufrechterhalten.

Richtig ist, dass der geplante Stadtwald nicht als Nadelholzwald angelegt werden soll.“

II.

Höchst hilfsweise für den Fall, dass das Gericht dem Antrag in Ziffer l nicht folgen und nicht zum Widerruf der aufgeführten Äußerungen verpflichten sollte, wird beantragt,

Die Antragsgegnerin wird dazu verurteilt, folgende Erklärung binnen angemessener Frist - spätestens am Samstag den 19.1.2019 - vor dem Bürgerentscheid der Antragstellerinnen bzw. vor dem Entscheid über das Ratsbegehren der Antragsgegnerin auf eigene Kosten in geeigneter, gut wahrnehmbarer Layout/Druckposition im S.er Tagblatt bekannt zu geben:

1. „Die Stadt S. hat in der Bürgerunterrichtung zu den Bürgerentscheiden über das Bürgerbegehren „Für einen klimaschützenden und kostengünstigen Stadtwald“ und über das Ratsbegehren „Stadtgrün mit Zukunft: Bürgerpark für alle“ die folgenden unrichtigen Behauptungen aufgestellt, die sie nicht mehr wiederholen wird:

- Die Behauptung der Stadt S. auf Seite 1 der Bürgerunterrichtung, dass die Stadt auf dem Konversionsgelände einen der Größe nach nicht näher festgelegten Wald anlegen muss, wenn die Bürger für den Bürgerentscheid 2 (Stadtwald) mit JA stimmen.

- Die Behauptung der Stadt S. auf Seite 1 der Bürgerunterrichtung, dass der Stadtwald auf die Konversionsfläche der ehemaligen L.-Kaserne beschränkt ist, mit „dem Konversionsgelände“ in der Fragestellung des Bürgerentscheid 2 (Stadtwald) sei nur die ehemalige L.-Kaserne gemeint.

- Die Behauptung der Stadt S., dass der Stadtwald eine maximal mögliche zusätzliche Waldfläche von 7 ha umfassen würde.

- Die Behauptung der Stadt S. auf Seite 2 der Bürgerunterrichtung, es gäbe „bereits einen Stadtwald in und unmittelbar um S.“, im Zusammenhang mit der weiteren und insoweit irreführenden Aussage, dass es sich um eine Fläche von 1800 ha der Stadt S. und der Hospitalstiftung handelt.

- Die Behauptung der Stadt S. auf Seite 2 der Bürgerunterrichtung, ein neu anzulegender Stadtwald schließe über viele Jahre alle Menschen aus.

- Die Behauptung der Stadt S. auf Seite 2 der Bürgerunterrichtung, dass die auf dem Areal verlaufende Fernwärmeleitung kostspielig verlegt werden müsste, sollte dort ein Wald realisiert werden, dadurch würden gegenüber dem Bürgerpark Zusatzkosten entstehen.

2. „Der Oberbürgermeister der Stadt S. hat in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit den Bürgerentscheiden mehrere unrichtige Feststellungen getroffen, die nicht wiederholt werden.

a) Der Oberbürgermeister der Stadt S. hat in der Sondersendung „LGS“ von Radio Primaton am 7.Oktober 2018 in einem Redebeitrag behauptet, dass die Entsiegelung des LGS-Areals in den veranschlagten Kosten des Investitionshaushalts von 12 Millionen Euro für die Landesgartenschau enthalten sei, während die Entsiegelung vor der Anpflanzung des Stadtwalds Millionen Euro koste, die gesondert aufgebracht werden müssten.

b) Die Behauptung des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin, dass der geplante Stadtwald ein Nadelholzwald werden soll.

Die Stadt S. wiederholt diese Behauptungen nicht.“

Auf den Inhalt der Schriftsätze vom 17. Januar 2019 wird verwiesen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 17. Januar 2019 und die beigefügten Anlagen wird Bezug genommen.

Auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vorgelegten Anlagen und Behördenakten wird verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

1. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor oder mit Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerinnen vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung ist demnach, das Vorliegen eines Rechts, dessen Sicherung die Anordnung dient (Anordnungsanspruch) sowie die drohende Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs (Anordnungsgrund). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind von der Antragstellerin glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

1.1 Die Antragsgegnerin ist für das Begehren der Antragstellerinnen passivlegitimiert (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil der Antrag grundsätzlich gegen den Rechtsträger zu richten ist, dem die angegriffene Handlung zuzurechnen ist.

Mit seinen in amtlicher Eigenschaft abgegebenen öffentlichen Stellungnahmen zum Rats- bzw. Bürgerbegehren hat der Oberbürgermeister (ebenso wie andere Organe oder die Stadtverwaltung) von den Möglichkeiten seines (bzw. des jeweiligen) Amtes Gebrauch gemacht (BayVGH, B.v. 24.5.2006 - 4 CE 06.1217 - juris); diese sind allesamt der Antragsgegnerin zuzurechnen (BayVGH, U.v. 10.12. 1986 - 4 B 85 A. 916 - BayVBl 1987).

1.2 Die Antragstellerinnen haben jedoch schon einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) nicht hinreichend glaubhaft gemacht Sie tragen lediglich vor, wegen der erheblichen Auswirkungen auf den Wahlgang (vom 20.1.2019) sei ein Widerruf wegen der „Fehlinformationen“ und „arglistigen Täuschung“ der Bürger „zwingend“; jedenfalls sei die „Unterlassung“ anzuordnen. Wegen der „Hinhaltetaktik des Oberbürgermeisters“ verblieben nur noch wenige Tage bis zur Abstimmung. Eine nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle eines Bürgerentscheides sei nicht vorgesehen.

Dabei fällt auf, dass die Antragstellerinnen den Oberbürgermeister bereits mit Schreiben vom 20. Dezember 2018 zur Richtigstellung aufgefordert haben. Nach der zitierten Mitteilung der Pressestelle befand sich der Oberbürgermeister damals im Urlaub. Nachdem er sich immer noch nicht geäußert habe, sei nunmehr gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen worden, so die Antragstellerinnen zur Begründung. Das zeigt, dass die Antragstellerinnen die vermeintliche Eilbedürftigkeit selbst durch ihr Abwarten verursacht haben. Es war ihre Obliegenheit, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den beanstandeten Stellungnahmen auf eine gerichtliche Klärung hinzuwirken. Das gilt umso mehr, als nach dem Schreiben der Antragstellerinnen vom 20. Dezember 2018 die Ausführungen des Oberbürgermeisters zur Entsiegelung bereits vom 21. September 2018 stammen sollen. Insoweit wäre noch wesentlich früher gerichtlicher Rechtsschutz möglich gewesen. Es kommt hinzu, dass nicht substantiiert dargelegt ist, welchen Einfluss die begehrte Widerrufs- bzw. Unterlassungserklärung auf die am nächsten Tag stattfindende Abstimmung zu Bürger- und Ratsbegehren haben soll. So fehlt beispielsweise in einigen Punkten bereits der unmittelbare Bezug zum alleine maßgeblichen Abstimmungstext.

Unzutreffend ist zudem die Rechtsauffassung der Antragstellerinnen, eine nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle sei nicht möglich. Denn Verstöße gegen das Wahrheits- und Sachlichkeitsgebot durch Stellungnahmen und Äußerungen von Organen der Kommune können grundsätzlich geeignet sein, das Ergebnis eines Rats- bzw. Bürgerbegehrens rechtlich in Frage zu stellen und letztlich auch im Wege der Rechtsaufsicht zu einer Ungültigkeitserklärung und Wiederholung der Abstimmung führen (vgl. Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand: Mai 2018, Anm. 8 a), dd) zu Art. 18a Abs. 15 GO). Voraussetzung ist aber auch hier, die Verstöße gegen die Wahrheitspflicht und das Sachlichkeitsgebot zeitnah gerichtlich klären zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2011 - 4 CE 11.407 - juris). Auch die weitere Möglichkeit, die Aufsichtsbehörde einzuschalten, haben die Antragstellerinnen nicht wahrgenommen.

1.3 Die erstrebte Regelungsanordnung scheitert aber jedenfalls am Verbot, die Hauptsache im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in unzulässiger Weise vorwegzunehmen.

Der einstweilige Rechtsschutz darf grundsätzlich nicht das gewähren, was nur im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann. Würden die Antragstellerinnen mit ihren Anträgen durchdringen, also die Antragsgegnerin verpflichtet werden, eine Widerrufs- bzw. Unterlassungserklärung abzugeben, würden sie so gestellt, wie nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren; ein solches wäre folglich entbehrlich. Eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Entscheidung könnte nur dann ausnahmsweise ergehen, wenn ein wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen wäre, den Antragstellerinnen ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohten und die Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach obsiegen würden (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2018, § 123 Rn. 66a unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 18.4.2013 - 10 C 9/12 - BVerwGE 146, 189).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor; das ergibt sich aus Folgendem:

1.3.1 Wie bereits dargelegt (siehe oben 1.2), ist auch bei Bürgerentscheiden über Rats- bzw. Bürgerbegehren eine nachträgliche Kontrolle hinsichtlich der Wahrung des Wahrheits- bzw. Sachlichkeitsgebotes aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

1.3.2 Es ist auch nicht hinreichend dargelegt, dass den Antragstellerinnen ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen. Zum einen gibt es die nachträgliche Kontrollmöglichkeit und zum anderen fehlt es an der Darlegung, dass eine entscheidende Beeinflussung der Abstimmung durch die Bürger innerhalb von ein oder zwei Tagen noch möglich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch gemeinsame Diskussionsrunden unter Beteiligung der Antragstellerinnen und dem Oberbürgermeister stattgefunden haben, in denen die Möglichkeit bestand, den Äußerungen des Oberbürgermeisters auch in Anwesenheit der Presse entgegenzutreten. Was auch geschehen ist (vgl. nachgereichte Anlage zur Radiosendung). So wären Äußerungen beider Seiten in diesem Kontext auch immer als auf einander bezogener Teil eines - gleichberechtigten - Diskurses zu sehen, dessen Sinn gerade in Rede und Gegenrede begründet ist und mithin einen anderen rhetorischen Spielraum eröffnet, als es beispielsweise amtliche Verlautbarungen ohne einen solchen diskursiven Bezug haben.

1.3.3 Bei der im Eilverfahren - hier insbesondere aufgrund des äußerst kurzen Zeitfensters für eine Entscheidung - allein möglichen summarischen Prüfung, kann nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit eine Aussage darüber getroffen werden, die Antragstellerinnen würden im noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach obsiegen (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 - 10 C 9/12 - BVerwGE 146, 189).

Insoweit ist exemplarisch auf Folgendes hinzuweisen:

Von den Antragstellerinnen wird beispielsweise beanstandet, der Oberbürgermeister habe behauptet (Podiumsdiskussion 12.12.2018), dass der geplante Wald (Bürgerbegehren) ein „Nadelholzwald“ sein werde. Dabei wird zur Glaubhaftmachung auf das eigene Schreiben an die Antragsgegnerin vom 20. Dezember 2018 verwiesen, das sich auf einen Bericht im S.er Tagblatt vom 14. Dezember 2018 bezieht. Dort wird aber nur berichtet, der Oberbürgermeister habe einen etwa sechs Jahre alten 40 Zentimeter großen Fichtensetzling mitgebracht und gesagt, es werde mehrere Jahrzehnte dauern, bis daraus ein Wald entstehe. Die behauptete Aussage der Antragstellerinnen, der Oberbürgermeister habe gesagt, dass der Wald ein „Nadelholz“ sein werde, findet sich dort nicht. Sie wird erst von den Antragstellerinnen selbst hineingelesen und ist alleine Gegenstand deren Interpretation. Mithin fehlt es bereits an einem Anknüpfungspunkt für einen möglichen Widerruf oder eine Unterlassungserklärung.

Bei der Frage, ob bei der Anlegung eines Waldes für „viele Jahre“ in der Anwachszeit die Menschen ausgeschlossen werden müssten (Information zum Bürgerentscheid, Anlage 2), stehen sich die Aussagen lediglich gegenüber. Die Antragstellerinnen stellen der beanstandeten Aussage nur ihre eigene Behauptung gegenüber, dass die Bäume auch ohne Schutzmaßnahmen wachsen könnten und Aufzuchtzäune nicht erforderlich seien, weil im Süden und Westen von S. der Wildbestand gering sei. Damit ist die Unrichtigkeit der städtischen Information schon nicht glaubhaft gemacht, weil es an jeder fachlichen Expertise zu dieser Frage fehlt. Es ist offensichtlich, dass Schäden an Neuanpflanzungen nicht nur durch Wildtiere, sondern auch von sonstigen Tieren und auch Menschen verursacht werden können. Üblicherweise werden solche Neuanpflanzungen deshalb - was gerichtsbekannt ist - eingezäunt. Die Antragstellerinnen wollen mit dem Bürgerbegehren nach dem insoweit allein maßgeblichen Inhalt der Fragestellung einen „Stadtwald“ errichten lassen. Dabei ist die Annahme keineswegs sachfremd oder abwegig, dass dieser während der Aufwuchszeit vor dem Betreten zu schützen wäre und deshalb jedenfalls zunächst nicht betreten werden könnte. Insoweit ist die Aussage des Oberbürgermeisters mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutreffend. Abgesehen davon geht es beim Bürgerbegehren nur um das „Ob“ der Anlage eines „Stadtwaldes“, nicht um die Art der Bepflanzung, die dann wohl - ebenso wie die Gestaltung von Schutzmaßnahmen in der Aufwuchszeit - von fortwirtschaftlichen Fachkräften zu planen und nach entsprechendem Stadtratsbeschluss durchzuführen wäre. Auf die Bepflanzungsideen der Antragstellerinnen bzw. des Oberbürgermeisters kommt es deshalb nicht entscheidungserheblich an. Ob dabei allein die Anpflanzung schnellwachsender Baumarten sinnvoll im Sinne einer Nachhaltigkeit wäre, muss hier deshalb ebenfalls nicht entschieden werden. Ob auch bei einer Landesgartenschau Zäune zum Schutz der Anpflanzungen notwendig wären, ist ebenfalls unerheblich. Es ist aber gerichtsbekannt, dass solche Zäune in Würzburg bei der Landesgartenschau vorhanden waren. Ein Zugang zum LGS-Gelände war vor Beginn der Landesgartenschau nur in besonderen Ausnahmefällen mit Führung möglich und nach Beginn nur mit Eintrittskarte.

Die Frage, ob bei Anlage des Waldes die unstreitig bestehende Fernwärmeleitung verlegt werden müsste oder nicht - wie die Antragstellerinnen meinen - kann bei summarischer Prüfung nicht entschieden werden, weil es sich um technische Fragestellungen handelt, die gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren durch ein Sachverständigengutachten zu klären wären. Eine solche objektive fachliche Stellungnahme ist durch den Hinweis auf das angesprochene Merkblatt nicht entbehrlich, zumal diese Aussage durch den technischen Bereichsleiter der Stadtwerke substantiiert bestritten wird.

Die Frage, ob die Kosten für die Entsiegelung des LGS-Areals in den veranschlagten Kosten des Investitionshaushaltes enthalten sind oder nicht, ist durch die Stellungnahme der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren nunmehr dahin geklärt, dass die Kosten für die Entsiegelung nicht im Investitionshaushalt für die Landesgartenschau enthalten sind. Allerdings stammen die entgegenstehenden Äußerungen des Oberbürgermeisters aufgrund der von den Antragstellerinnen nachgereichten Unterlagen aus einem Radio-Interview bereits vom 7. Oktober 2018. Das war noch vor der Zulassung des Bürgerbegehrens am 23. Oktober 2018. Die Antragstellerinnen haben insoweit nicht substantiiert vorgetragen, dass die Frage der Entsiegelungskosten bereits zum Zeitpunkt der Äußerung, also am 7. Oktober 2018 eindeutig dahingehend geklärt war, dass sich die Äußerung des Oberbürgermeisters bereits zum damaligen Zeitpunkt als sachlich falsch darstellt. Insoweit ist nicht ausgeschlossen, dass die gerichtlich angeführten Zitate lediglich den inzwischen überholten Sach- und Diskussionsstand zum Zeitpunkt des Interviews wiedergeben. Jedenfalls hätte auch und gerade im Hinblick auf diese Stellungnahme eine wesentlich frühere Klärung durch den Oberbürgermeister oder die Rechtsaufsichtbehörde erfolgen können und im Hinblick auf den Anordnungsgrund zwingend erfolgen müssen, nicht erst drei Tage vor der Abstimmung.

Soweit die Antragstellerinnen Aussagen zur Größe der zu bepflanzenden Waldfläche beanstanden, ist vom allein maßgeblichen Wortlaut der Fragestellung auszugehen, auch weil die Antragstellerinnen im Eilantrag selbst die Beziehung zum Bürgerbegehren bzw. -entscheid herstellen. Die Fragestellung lautet allgemein „auf dem Konversionsgelände“ ohne die betroffenen Flächen näher zu konkretisieren; vielmehr ist ebenfalls allgemein von den Kosten für eine „bestockte Fläche von 10 ha“ die Rede. Die jetzt aufgeworfenen Fragen haben ihre Ursache darin, dass die Antragsgegnerin das Bürgerbegehren trotz dieser Unbestimmtheit über die Lage der „10 ha“ zugelassen hat. Das ermöglicht nunmehr unterschiedliche Interpretationen durch die Beteiligten und die abstimmenden Bürger wissen nicht, worüber sie eigentlich abstimmen. Das hat infolge dieser ersichtlichen Unbestimmtheit allenfalls die Unzulässigkeit der Fragestellung zur Folge.

Gleiches gilt, soweit die Antragstellerinnen den Begriff aus der Fragestellung „Stadtwald“ mit „parkähnlicher Stadtwald“ (vorgelegter Auszug aus oben genannter Radiosendung) oder in sonstiger Weise interpretieren, ohne dass das in die Fragestellung oder der Begründung auf den Unterschriftslisten dazu zu finden ist. Auf solche Interpretationen der Antragstellerinnen und der Antragsgegnerin und ihrer Organe kommt es rechtlich aber nicht an. Gleiches gilt für die weiteren nachträglichen Interpretationen beider Seiten.

Auf die weiteren aufgeworfenen Fragen kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an, weil aufgrund der obigen Ausführungen überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Antragstellerinnen im noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach nicht bzw. allenfalls zu einem geringen Teil obsiegen werden.

Hinzu kommt, dass es hinsichtlich des (wohl) hilfsweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs an jeglicher Darlegung und Glaubhaftmachung der erforderlichen Wiederholungsgefahr hinsichtlich künftiger Aussagen fehlt.

Der Antrag ist deshalb abzulehnen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO.

3. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 GKG.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 123


(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ant

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 53 Einstweiliger Rechtsschutz und Verfahren nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes


(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung: 1. über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlas

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Zivilprozessordnung - ZPO | § 920 Arrestgesuch


(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. (2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. (3) Das Gesuch kann vor der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 159


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(1) Die Klage ist zu richten 1. gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat; zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde,2

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Die Klage ist zu richten

1.
gegen den Bund, das Land oder die Körperschaft, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat; zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde,
2.
sofern das Landesrecht dies bestimmt, gegen die Behörde selbst, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat.

(2) Wenn ein Widerspruchsbescheid erlassen ist, der erstmalig eine Beschwer enthält (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2), ist Behörde im Sinne des Absatzes 1 die Widerspruchsbehörde.

Tatbestand

1

Die sechs Kläger sind irakische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 begehrt als Mutter, die Kläger zu 2 bis 6 begehren als Geschwister die Erteilung von Visa zur Familienzusammenführung mit ihrem in Deutschland lebenden Sohn bzw. Bruder A.

2

Der am 1. Dezember 1992 geborene A., ebenfalls irakischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2008 als Minderjähriger nach Deutschland ein. Ihm wurde wegen einer ihm drohenden Gefahr der Gruppenverfolgung als Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Yeziden im Juni 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Er erhielt zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und im Juli 2012 eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG.

3

Seine Eltern beantragten für sich und ihre weiteren fünf Kinder im November 2009 bei der Deutschen Botschaft in Damaskus Visa zur Familienzusammenführung. Da die Botschaft nur zur Erteilung eines Visums an einen Elternteil bereit war, entschieden die Eheleute, dass der Vater nach Deutschland einreisen solle. Dieser erhielt im Februar 2010 das beantragte Visum und nach Einreise auch eine bis zum 3. März 2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 1 AufenthG. Die Visumanträge der Kläger zu 1 bis 6 lehnte die Botschaft hingegen zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 11. April 2010 ab.

4

Der Vater reiste nach Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis im März 2011 aus Deutschland aus, um seine Familie bei ihrer Rückkehr in den irakischen Herkunftsort zu begleiten. Die auf Erteilung des begehrten Visums gerichtete Verpflichtungsklage der Klägerin zu 1 hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg, nicht hingegen die Klagen ihrer fünf Kinder. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Dezember 2011 auch die Klage der Klägerin zu 1 abgewiesen und die Abweisung der Klagen der Kläger zu 2 bis 6 bestätigt.

5

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Erteilungsvoraussetzungen für den Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 nach § 36 Abs. 1 AufenthG und der Kläger zu 2 bis 6 nach §§ 32 und 36 Abs. 2 AufenthG müssten zum Zeitpunkt der Erlangung der Volljährigkeit des A. und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts vorgelegen haben. Für das personenbezogene Merkmal der Minderjährigkeit des A. sei hingegen auf den Zeitpunkt der Stellung der Visumanträge abzustellen. Insoweit sei der Nachzugsanspruch der Eltern und Geschwister wie der Nachzugsanspruch minderjähriger Kinder zu ihren Eltern nach § 32 AufenthG zu behandeln.

6

Der Anspruch der Klägerin zu 1 scheitere daran, dass der Vater des A. in Deutschland gelebt habe, als A. volljährig geworden sei. Damit fehle es an der Voraussetzung des § 36 Abs. 1 AufenthG, dass sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Allerdings habe bei Antragstellung beiden Eltern der Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG zugestanden, so dass auch beiden das beantragte Visum hätte erteilt werden müssen. Dem stünden etwaige Belange des Kindeswohls der im Irak verbleibenden Kinder - der Kläger zu 2 bis 6 - nicht entgegen. Vielmehr obliege es den Eltern, die sachgerechte Entscheidung über die Versorgung ihrer Kinder zu treffen. Auch sei ein Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 nicht wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, da sie weder an der Schleusung ihres Sohnes nach Deutschland mitgewirkt noch aus dessen Aufenthalt in Deutschland einen persönlichen Vorteil erlangt habe. Der ursprünglich bestehende Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 sei aber durch den Nachzug des Vaters zum Sohn nachträglich entfallen. Denn danach sei der minderjährige Sohn nicht mehr ohne elterliche Obhut gewesen.

7

Die Kläger zu 2 bis 6 hätten keine Nachzugsansprüche zu ihrem in Deutschland lebenden Bruder. Hierfür fehle es an einer außergewöhnlichen Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Ein Nachzugsrecht zu den Eltern nach § 32 AufenthG bestehe nicht, da die Eltern über keine Aufenthaltsrechte in Deutschland verfügten und auch nicht beanspruchen könnten. Außerdem fehle es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.

8

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihren Revisionen. Die Klägerin zu 1 macht insbesondere geltend, der Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG stehe beiden Elternteilen zu und dürfe nicht dadurch vereitelt werden, dass zunächst nur einem Elternteil ein Visum gewährt und dessen Nachzug zum Kind dann dem anderen Elternteil entgegengehalten werde. Die Kläger zu 2 bis 6 vertreten die Auffassung, die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts stehe ihrem Nachzugsanspruch nicht entgegen, es liege vielmehr ein Ausnahmefall vor, weil andernfalls die Familieneinheit nicht gesichert werden könne. Für die Klägerinnen zu 2 und 3 liege zudem eine außergewöhnliche Härte vor, weil sie als junge yezidische Frauen im Irak unter einem erhöhten Verfolgungsdruck stünden.

9

Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie teilt die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass ein Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG nicht besteht, wenn sich ein Elternteil beim Kind aufhält. Weiter ist die Beklagte der Auffassung, dass ein etwaiger Nachzugsanspruch jedenfalls mit Erreichen der Volljährigkeit des A. erloschen ist.

Entscheidungsgründe

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Die Revisionen der Kläger haben keinen Erfolg. Zwar verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht, soweit es den Anspruch der Klägerin zu 1 auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug betrifft. Denn das Berufungsgericht hat im Rahmen der Prüfung des § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für das personenbezogene Merkmal der Minderjährigkeit des Flüchtlings zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Stellung des Visumantrags abgestellt. Die Ablehnung eines Nachzugsanspruchs für die Klägerin zu 1 erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn der ursprünglich bestehende Anspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG ist mit Erreichen der Volljährigkeit des Sohnes am 1. Dezember 2010 erloschen.

11

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher sind die Nachzugsbegehren der Kläger an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

12

1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin zu 1 auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verneint. Nach § 36 Abs. 1 AufenthG ist den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG oder eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG besitzt, abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Die Vorschrift wurde durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 neu eingeführt und setzt Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG um (vgl. BTDrucks 16/5065 S. 176). Sie dient dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern.

13

a) Der Klägerin zu 1 stand der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG allerdings zum Zeitpunkt der Antragstellung im November 2009 zu. Denn ihr minderjähriger Sohn war zu jener Zeit im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG und es hielt sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet auf. Die Beklagte handelte rechtswidrig, indem sie - obwohl von beiden Eltern zeitgleich beantragt - nur einem Elternteil das Visum für den Nachzug zum Sohn erteilte. Der Nachzugsanspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG steht beiden Elternteilen zu. Das ergibt sich schon aus dem insoweit klaren Wortlaut ("den Eltern"), und nur dieses Verständnis der Vorschrift entspricht auch einer korrekten Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG. Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG erlegt den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, zugunsten eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings den Nachzug "seiner Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades" zu gestatten. Damit gewährt die Richtlinie grundsätzlich beiden Eltern einen Nachzugsanspruch und nicht nur einem Elternteil (so auch Hailbronner/Carlitz, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 253 Rn. 9). Denn die Vorschrift dient dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern (vgl. die Kommissionsbegründung zur Richtlinie vom 1. Dezember 1999 - KOM <1999> 638 endgültig, S. 17 f.). Nach Art. 24 Abs. 3 GR-Charta hat jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen. Die Wiederherstellung dieser persönlichen Beziehung zu den Eltern fällt zudem in den Schutzbereich des Familienlebens nach Art. 7 GR-Charta, Art. 8 EMRK.

14

§ 36 Abs. 1 AufenthG ist auch nicht etwa teleologisch zu reduzieren, wenn neben dem unbegleiteten Sohn in Deutschland weitere minderjährige Kinder im Heimatland zu betreuen sind. Denn die Entscheidung über die Sorge für ihre Kinder obliegt gemäß Art. 6 Abs. 2 GG vorrangig den Eltern (so auch Marx, in: GK-AufenthG, § 36 Stand: Februar 2013, Rn. 25). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum im vorliegenden Fall das Kindeswohl eine Korrektur der elterlichen Entscheidung gebieten sollte.

15

b) Dem Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 steht weder das Vorliegen eines Ausweisungstatbestandes noch der Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen Mitwirkung an einer strafbaren Schleusung ihres Sohnes nach Deutschland im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG entgegen. Denn die Klägerin zu 1 hat nach den von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht an der Schleusung ihres Sohnes mitgewirkt.

16

c) Der Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 ist - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - auch nicht dadurch erloschen, dass der minderjährige Sohn seit Anfang März 2010 nicht mehr ohne elterlichen Beistand war, nachdem sein Vater mit dem von der Beklagten erteilten Visum nach Deutschland eingereist war. Das Berufungsgericht kann sich für seine Auffassung zwar auf den Wortlaut des § 36 Abs. 1 AufenthG stützen, der einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nur dann vorsieht, "wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält". Diese Einschränkung des grundsätzlich beiden Eltern zustehenden Nachzugsanspruchs findet eine Entsprechung in Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2003/86/EG, wonach eine Person nur solange als "unbegleiteter" Minderjähriger anzusehen ist, als sie sich "nicht tatsächlich in der Obhut" eines für ihn verantwortlichen Erwachsenen befindet. Zwar greift der Nachzugsanspruch u.a. dann nicht, wenn von vornherein ein Elternteil mit dem Minderjährigen nach Deutschland eingereist ist oder ihn dort in Empfang genommen hat, denn dann war er nicht unbegleitet. Demgegenüber ist die Voraussetzung, dass sich kein sorgerechtsberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält, jedenfalls auch dann erfüllt, wenn ein Elternteil zeitgleich oder in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem anderen Elternteil den Lebensmittelpunkt ins Bundesgebiet verlagert (vgl. BTDrucks 16/5065 S. 176). In den zuletzt genannten Fällen erfordert die effektive Durchsetzung des Minderjährigenschutzes nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG, dass die für den Familiennachzug und die Visumerteilung zuständigen Behörden den grundsätzlich beiden Eltern zustehenden Nachzugsanspruch nicht durch eine rechtswidrige Verwaltungspraxis vereiteln können. Das wäre aber der Fall, wenn die Behörden ein Visum zum Familiennachzug nur einem Elternteil - trotz gleichzeitiger Antragstellung beider Eltern - erteilten und dem anderen dann entgegenhalten könnten, das Kind sei jetzt nicht mehr ohne elterlichen Beistand.

17

d) Der Nachzugsanspruch der Klägerin zu 1 ist allerdings mit Eintritt der Volljährigkeit ihres Sohnes am 1. Dezember 2010 erloschen. Denn der Anspruch auf Nachzug der Eltern zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG besteht nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind volljährig wird. Anders als beim Kindernachzug nach § 32 AufenthG reicht eine Antragstellung vor Erreichen der Volljährigkeit nicht aus, um den Anspruch zu erhalten. Zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht im Dezember 2011, auf den es für die Entscheidung des Nachzugsbegehrens ankommt, war der Anspruch der Klägerin zu 1 schon entfallen.

18

Bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ist - wie oben dargelegt - der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen regelmäßig die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz zugrunde zu legen. Etwas anders gilt beim Anspruch auf Kindernachzug nach § 32 AufenthG u.a. für die Einhaltung der Höchstaltersgrenze. Insoweit ist der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich, weil andernfalls der mit der Regelung verfolgte Zweck, Kindern unter 16 oder 18 Jahren die Herstellung der Familieneinheit im Bundesgebiet zu ermöglichen, vielfach aufgrund des Zeitablaufs während des Verfahrens entfiele (vgl. grundlegend Urteil vom 18. November 1997 - BVerwG 1 C 22.96 - Buchholz 402.240 § 20 AuslG 1990 Nr. 4 S. 18 f.; ferner Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 17 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 1 Rn. 17). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die für den Kindernachzug entwickelte Rechtsprechung zur Einhaltung der Altersgrenze nicht auf den Elternnachzug nach § 36 Abs. 1 AufenthG zu übertragen. Das ergibt sich aus den verschiedenen Zwecken der genannten Vorschriften, die in den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zur Verfestigung der aufenthaltsrechtlichen Stellung beim Kinder- und Erwachsenennachzug deutlich werden.

19

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt beim Kindernachzug wurde - beginnend mit dem zitierten Urteil vom 18. November 1997 - damit begründet, dass für die Höchstaltersgrenze im Interesse eines effektiven Minderjährigenschutzes auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen ist. Dies ist insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil das Aufenthaltsgesetz dem nachgezogenen minderjährigen Kind in § 34 Abs. 2 und 3 AufenthG eine über die Minderjährigkeit hinausreichende, verfestigungsfähige aufenthaltsrechtliche Stellung zuweist. So wandelt sich die einem Minderjährigen nach § 32 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Eintritt der Volljährigkeit gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht. Diese eigenständige Aufenthaltserlaubnis kann nach § 34 Abs. 3 AufenthG verlängert werden, bis die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder der Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG vorliegen. Wird Kindern, die ihren Nachzugsantrag als Minderjährige vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze gestellt haben, aufgrund der Dauer des Visumverfahrens ggf. einschließlich eines Gerichtsverfahrens das Visum und die Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG erst zu einem Zeitpunkt erteilt, zu dem sie schon volljährig sind, wandelt sich die Aufenthaltserlaubnis, zu deren Erteilung die Ausländerbehörde verpflichtet (worden) ist, unmittelbar in eine solche nach § 34 Abs. 2 AufenthG. Das gilt auch für die einem Minderjährigen erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG, wie sich aus dem Verweis auf § 34 AufenthG in § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ergibt. Die nachgezogenen Kinder haben zudem unter den erleichterten Voraussetzungen des § 35 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

20

Für den Elternnachzug nach § 36 Abs. 1 AufenthG fehlt es hingegen an vergleichbaren Regelungen, die einen dauerhaften oder jedenfalls längerfristigen Aufenthalt in Deutschland eröffnen. Anders als die Aufenthaltserlaubnis des Kindes nach § 32 AufenthG wandelt sich die der Eltern mit Erreichen der Volljährigkeit des Kindes nicht in ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Vielmehr endet der Rechtsgrund für den Aufenthalt der Eltern mit Ablauf der Befristung einer nach § 36 Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis. Eine Verlängerung nach Erreichen der Volljährigkeit des Kindes, die sich mangels besonderer Vorschriften nach § 8 Abs. 1 AufenthG richtet (vgl. Marx, in: GK-AufenthG, Stand: Februar 2013, § 36 Rn. 27), ist insoweit nicht möglich. Anders als für volljährige Familienangehörige, denen Aufenthaltserlaubnisse nach § 36 Abs. 2 AufenthG zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erteilt worden sind, ist für Inhaber eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 1 AufenthG auch keine Verfestigung ihres Aufenthalts in entsprechender Anwendung von § 31 AufenthG möglich. Der deutsche Gesetzgeber war unionsrechtlich zur Ermöglichung einer solchen Aufenthaltsverfestigung auch nicht verpflichtet. Zwar ist nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG den Ehegatten, den nicht ehelichen Lebenspartnern und den volljährig gewordenen Kindern nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt das Recht auf einen eigenen Aufenthaltstitel einzuräumen, der unabhängig ist von jenem des Zusammenführenden, sofern kein Aufenthaltstitel aus anderen Gründen als denen der Familienzusammenführung erteilt wurde. Die Richtlinie erstreckt diese Verpflichtung aber nicht auf Eltern, denen - wie im Fall des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings - ihr Kind den Familiennachzug vermittelt hat. Vielmehr stellt sie es in Art. 15 Abs. 2 den Mitgliedstaaten frei, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht auch für Verwandte in gerader aufsteigender Linie (wie hier die Eltern) vorzusehen. Der deutsche Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie für den hier maßgeblichen Personenkreis der Eltern im Sinne von § 36 Abs. 1 AufenthG aber keinen Gebrauch gemacht.

21

Auch der Zweck des Elternnachzugs nach § 36 Abs. 1 AufenthG erfordert keine Sicherung einer mit der Visumbeantragung eröffneten aufenthaltsrechtlichen Perspektive. Denn das Nachzugsrecht des § 36 Abs. 1 AufenthG dient - wie bereits ausgeführt - dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der Familieneinheit mit seinen Eltern, nicht jedoch eigenständigen Interessen der Eltern am Zusammenleben mit dem Kind.

22

Diese Auffassung führt nicht dazu, dass die Behörden einen Anspruch aus § 36 Abs. 1 AufenthG durch Verfahrensverzögerung vereiteln können. Denn die Betroffenen haben die Möglichkeit zur Erhebung einer Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO. Darüber hinaus steht ihnen die Möglichkeit offen, ihren Visumanspruch mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO rechtzeitig vor Erreichen der Volljährigkeit des Kindes effektiv durchzusetzen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass in einem solchen Fall die einstweilige Anordnung die Hauptsache teilweise vorwegnimmt. Denn das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache steht einer Anordnung nach § 123 VwGO dann nicht entgegen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 - BVerfGE 79, 69 <74 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 - BVerwG 2 VR 1.99 - BVerwGE 109, 258 <261 ff.> = Buchholz 11 Art. 44 GG Nr. 2 S. 5 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 123 Rn. 14). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein Anspruch nach § 36 Abs. 1 AufenthG glaubhaft ist, seine Durchsetzung aber bei Erreichen der Volljährigkeit des Kindes im Verlauf des Hauptsacheverfahrens vereitelt würde.

23

2. Das Berufungsgericht hat die Nachzugsbegehren der Kläger zu 2 bis 6 mit Recht als unbegründet angesehen. Bei den im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen Klägern zu 4 bis 6 scheidet ein Anspruch nach § 32 AufenthG schon deshalb aus, weil sich zu keinem der maßgeblichen Zeitpunkte beide Eltern in Deutschland aufgehalten haben, im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht einmal mehr der Vater. Eine außergewöhnliche Härte gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG ist nicht ersichtlich. Sie liegt entgegen der Rechtsauffassung der Klägerinnen zu 2 und 3 auch nicht darin, dass sie - so ihr Vorbringen - als junge yezidische Frauen im Irak einem erhöhten Verfolgungsdruck ausgesetzt seien. Denn eine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG setzt voraus, dass die Härte im Hinblick auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft besteht, etwa weil der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann. Hieraus folgt, dass Nachteile im Heimatland, die allein - wie hier - wegen der dortigen politischen Verhältnisse drohen, nicht zur Begründung einer außergewöhnlichen Härte im Zusammenhang mit der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft herangezogen werden können (vgl. Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Im Übrigen hat das Berufungsgericht die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts zutreffend als Umstand gewürdigt, der der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG entgegen steht.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so gilt § 100 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Kann das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber nur einheitlich entschieden werden, so können die Kosten den mehreren Personen als Gesamtschuldnern auferlegt werden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.