Verwaltungsgericht Trier Urteil, 30. Sept. 2013 - 5 K 987/13.TR
Gericht
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2013 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte. hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten über die Unzulässigkeit des von ihm gestellten Asylantrags und die Anordnung der Abschiebung nach Italien.
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Am 21. Februar 2013 wurde der Kläger – ohne Ausweispapiere – in ... von der Polizei aufgegriffen und bat um Asyl, wobei sein Geburtsdatum in der vom Antragsteller unterzeichneten und in ... ausgestellten Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender mit dem ... 1997 erfasst und er zweifelsfrei als Minderjähriger angesehen wurde.
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In der am 25. Februar 2013 von der ... ausgestellten Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender und in dem am 26. März 2013 bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in ... gestellten förmlichen Asylantrag – beide Schriftstücke sind vom Kläger unterzeichnet - ist sein Geburtsdatum alsdann mit dem ... 1994 angegeben.
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Aufgrund einer EURODAC-Recherche wurde außerdem festgestellt, dass der Kläger am ... 2012 in Italien einen Asylantrag gestellt hat. Auf entsprechende Nachfrage bejahten die italienischen Behörden unter dem 13. März 2013 ihre Zuständigkeit zur Bearbeitung des Asylantrags, wobei in Italien das Geburtsdatum des Klägers mit dem ... 1994 erfasst worden ist.
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Ein gegen den Kläger bei der Staatsanwaltschaft ... anhängig gemachtes Verfahren, in dem der Kläger als am ... 1997 geborener Minderjähriger geführt wurde, wurde am 15. März 2013 eingestellt. Außerdem teilte die Beklagte der Stadtverwaltung ... unter dem 14. März 2013 mit, dass eine Überstellung des minderjährigen Klägers bis zum 13. September 2013 möglich sei.
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Mit Bescheid vom 11. Juni 2013, der am 26. Juli 2013 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, entschied die Beklagte alsdann, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei, weil Italien für eine Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Außerdem heißt es in dem Bescheid, dass die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet werde.
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Am 31. Juli 2013 hat der Kläger alsdann Klage erhoben, zu deren Begründung er geltend macht, dass er minderjährig sei und in Italien kein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt werde. Er kenne sein genaues Geburtsdatum nicht, wisse aber, dass er noch keine 18 Jahre alt sei. Soweit er in Italien sein Geburtsdatum mit dem ... 1994 angegeben habe, habe dies seine Ursache darin gehabt, dass er dort als Minderjähriger keine Möglichkeit gesehen habe, einen Asylantrag zu stellen und in eine Schutzeinrichtung aufgenommen zu werden. Dass er minderjährig sei, hätten im Übrigen auch die Beklagte im Verwaltungsverfahren und die Staatsanwaltschaft ... angenommen. In Italien sei er nach der Asylbeantragung – er sei am 24. Oktober 2012 in Lampedusa angekommen und habe dann den Asylantrag gestellt – in der Einrichtung ... untergebracht worden. Eine Entscheidung über den in Italien gestellten Asylantrag sei bislang nicht ergangen. Er befürchte, in Italien nach sechs Monaten aus einer Einrichtung für Asylbewerber entlassen und obdachlos zu werden.
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Der Kläger, der sich ebenso wie die Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hat, beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Asylantrag des Klägers im Wege des Selbsteintrittsrechts gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 der Dublin-II-VO nach nationalem Recht zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und trägt vor, dass in Italien keine systemischen Mängel im Sinne der europarechtlichen Rechtsprechung vorlägen. Auf die vom Antragsteller in den Vordergrund seines Vorbringens gestellte Minderjährigkeit ist die Beklagte im Rahmen der Klageerwiderung nicht eingegangen.
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Mit Beschluss vom 16. August 2013 hat das Gericht des Rechtsstreits dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Dem Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung hat das Gericht mit Beschluss vom 15. August 2013 stattgegeben und zur Begründung der Entscheidung ausgeführt, dass es sich bei dem Kläger nach Aktenlage um einen unbegleiteten Minderjährigen handele, bei dem Deutschland für eine sachliche Bearbeitung des Asylantrags zuständig sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungsvorgänge, die vorlagen und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist insoweit, als sie sich als Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2013 richtet, zulässig. Dies gilt auch insoweit, als die Beklagte den Asylantrag des Klägers als unzulässig bescheiden hat. In den Fällen, in denen die Beklagte einen von einem Ausländer gestellten ersten Asylantrag noch nicht in der Sache beschieden hat, ist nämlich kein Raum für eine Verpflichtungsklage dahingehend, dass die Beklagte zur Asylanerkennung sowie Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder von Abschiebungsverboten oder auch (nur) zur Ausübung des ihr durch Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) eingeräumten Selbsteintrittsrechts verpflichtet werden könnte.
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Zwar sind auch im Bereich des Asylrechts die Verwaltungsgerichte bei einer Verpflichtungsklage – als solches ist das mit der Klage geltend gemachte Verpflichtungsbegehren auszulegen - grundsätzlich gehalten, die Sache spruchreif zu machen und das Verfahren nicht an die Behörde zurückzuverweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, juris). Dies gilt indessen in den Fällen, in denen ein Asylbewerber erstmals einen Asylantrag gestellt hat, nur dann, wenn bereits eine behördliche Sachentscheidung über das Asylbegehren ergangen ist. Ist hingegen noch keine behördliche Sachentscheidung ergangen, so würde eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung der Sache und zum Durchentscheiden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29 a und 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle der Bundesamtsentscheidung und gegebenenfalls eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) nicht aussprechen. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Abs. 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes völlig widerspricht (vgl. zu alledem: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264/94 -, juris). Von daher kommt ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts bei einer Asylverpflichtungsklage nur in Betracht, wenn der Kläger mit seinem erstmals in Deutschland gestellten Asylantrag beim Bundesamt in der Sache erfolglos gebliebenen ist (vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 juris, rechtskräftiges Urteil der erkennenden Kammer vom .30. Mai 2012 - 5 K 967/11.TR -, ESOVGRP, VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 – 5 A 212/11 -, juris).
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Dies hat zur Folge, dass in den Fällen der vorliegenden Art (nur) eine (isolierte) Anfechtungsklage statthaft ist und keine Verpflichtungsklage. Das Bundesamt hat sich in den Fällen des § 27 a AsylVfG lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorrangigen – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylverfahrens der Kläger zuständig ist. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiter zu führen (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 - RN 5 K 13.30029 -, juris).
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Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch begründet, denn Deutschland ist aufgrund der Minderjährigkeit des Klägers, von der das Gericht nach Aktenlage überzeugt ist, zumal sich die Beklagte zu ihr in Kenntnis des im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschlusses nicht mehr geäußert hat, für eine Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig.
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Minderjährigen, die in keinem EU-Mitgliedstaat Angehörige haben, kommt aufgrund von Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union besonderer Schutz zu, der es nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 6. Juni 2013 – C-648/11 -, juris) gebietet, sie bei einer Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union grundsätzlich nicht in einen anderen EU-Mitgliedstaat zu überstellen, weil jedenfalls solange, als – wie vorliegend - ein in einem anderen EU-Staat gestellter Asylantrag noch nicht beschieden wurde, regelmäßig der EU-Staat zuständiger Staat im Sinne des Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ist, in dem er einen Asylantrag gestellt hat und sich tatsächlich aufhält, ohne dass es auf die vorherige Asylantragstellung in dem anderen EU-Staat ankommt.
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Von daher kann der Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2013 keinen Bestand haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, weil dem – unzulässigen – Verpflichtungsbegehren aufgrund der sich aus der gerichtlichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides ergebenden gesetzlichen Rechtsfolge letztlich keine eigenständige Bedeutung zukommt; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.
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Annotations
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.