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| Die Feststellungklage ist zulässig. |
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| Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung u. a. des Bestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungklage). Unter einem Rechtsverhältnis sind in diesem Zusammenhang die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts sich ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person oder - wie hier - zu einer Sache zu verstehen (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage, § 43 Rdnr. 11). Ob über den Hofraum des Beklagten ein öffentlicher Weg im Sinne des § 2 Abs. 1 StrG führt mit der Folge, dass nach § 13 Abs. 1 StrG jedermann der Gebrauch des Weges im Rahmen der Widmung innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen gestattet ist (Gemeingebrauch), stellt ein feststellbares Rechtsverhältnis dar. Die Klägerin hat schon als mögliche Trägerin der Straßenbaulast (vgl. § 44 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Nr. 4 d) StrG) ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Rechtslage. |
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| Dem steht bei der vorliegenden Konstellation auch nicht der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage entgegen. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit die Klägerin ihre Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Mit der Subsidiarität der Feststellungsklage sollen unnötige Feststellungsklagen verhindert werden, wenn für die Rechtsverfolgung unmittelbarere, sachnähere und wirksamere Verfahren zur Verfügung stehen. Es soll weiter vermieden werden, dass die für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen vorgesehenen Sonderregelungen wie das Vorverfahren unterlaufen und die Gerichte mit nicht oder noch nicht erforderlichen Feststellungsklagen belastet werden. Der Grundsatz der Subsidiarität steht einer Feststellungsklage nicht entgegen, wenn diese dem Ziel der Prozessökonomie entspricht und den effektiveren Rechtsschutz bietet (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage, § 43 Rdnrn. 26, 29; Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, § 43 Rdnrn. 113, 122). |
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| Eine Duldungsverfügung betreffend den Gemeingebrauch oder eine polizeirechtliche Beseitigungsverfügung betreffend den den Durchgang hindernden Zaun seitens der Klägerin gegenüber dem Beklagten mit der möglichen Folge einer Anfechtungsklage wäre hier nicht effektiver, da die Frage der Öffentlichkeit des Weges nur als Vorfrage ohne Rechtsverbindlichkeit entschieden werden könnte. |
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| Auch die denkbare Herangehensweise über einen feststellenden Verwaltungsakt der Klägerin, dass der betroffene Weg ein öffentlicher ist, vermag nicht dahin zu führen, dass die Feststellungsklage als unzulässig ausscheidet. Zwar bietet der Verwaltungsakt die Möglichkeit der vorgelagerten verwaltungsinternen Kontrolle im Vorverfahren, bevor eine Anfechtungsklage (hier des Beklagten) in Betracht kommt. Ein feststellender Verwaltungsakt kann allerdings ebenso wenig vollstreckt werden wie ein Feststellungsurteil; er bietet von diesem Blickwinkel her keinen Vorteil. |
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| In der vorliegenden atypischen Situation, in der eine Gemeinde, die befugt ist, Maßnahmen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zu treffen, agiert, hat diese ein Wahlrecht. So wäre wohl ein feststellender Verwaltungsakt möglich gewesen, gegen den sich der Beklagte hätte zur Wehr setzen können. Die Vorgehensweise unmittelbar über eine (positive) Feststellungsklage ist damit aber nicht ausgeschlossen. Ein feststellender Verwaltungsakt der Klägerin, dass der betroffene Weg ein öffentlicher ist, existiert nicht. Zum Erlass einer derartigen Verfügung bestand auch keine Verpflichtung. Es droht daher im konkreten Fall auch keine Umgehung von Sonderregelungen wegen der Einhaltung von Fristen oder der Durchführung eines Vorverfahrens. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht deshalb der Feststellungsklage nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 08.09.1972 - IV C 17.71 -, BVerwGE 40, 323, 327f., juris Rdnr. 32 und vom 02.07.1976 - VII C 71.75 -, BVerwGE 51, 69, 75, juris Rdnr. 21). Überdies kann mit einer Sachentscheidung im vorliegenden Verfahren die Öffentlichkeit des Wegestücks, wenn auch nicht mit Rechtskraft für alle Fälle oder mit allgemeiner Wirkung, so doch aber mit einer gewissen präjudiziellen Wirkung geklärt und mithin weiteren Rechtsstreitigkeiten vorgebeugt werden (vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.06.2000 - 11 A 1045/97 -, juris Rdnr. 47). |
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| Die Feststellungsklage ist begründet. |
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| Bei dem im Streit stehenden privaten Grundstücksteil des Beklagten handelt es sich um einen öffentlichen Weg im Sinne des Straßengesetzes von Baden-Württemberg. Nach § 2 Abs. 1 StrG sind solche Straßen, Wege und Plätze straßenrechtlich „öffentliche Straßen“, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind. Eine förmliche Widmung des Weges nach § 5 Abs. 1 StrG hat unstreitig nicht stattgefunden. Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 StrG i.d.F. vom 20.03.1964 (GBl. 1964, 127, 145) sind öffentliche Straßen im Sinne des Straßengesetzes die vorhandenen Straßen, Wege und Plätze, die nach bisherigem Recht öffentliche Straßen, Wege und Plätze waren. Zwar wurde die Vorschrift des § 57 Abs. 1 Satz 1 StrG a.F. im Zuge der Neufassung des Straßengesetzes durch Gesetz vom 26.09.1987 (GBl. 1987, 478) ersatzlos gestrichen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dadurch die vor Inkrafttreten des Straßengesetzes gewidmeten Straßen ihre Eigenschaft als öffentliche Straßen verloren hätten. Der Gesetzgeber hielt eine Übergangsregelung für alte Wege lediglich wegen Zeitablaufs für nicht mehr erforderlich und hat sie insoweit gestrichen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.12.1992 - 5 S 315/90 -, VBlBW 1993, 183). |
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| Für Jahrzehnte vor dem Inkrafttreten des Straßengesetzes am 01.07.1964 gab es für das Land keine neue Rechtsgrundlage, nach der das streitbefangene Wegestück den Charakter eines öffentlichen Weges erhalten haben könnte. Die einzig ersichtliche Rechtsgrundlage, aus der sich ein öffentlicher Charakter des Weges ergeben kann, ist das württembergische Wegerecht vom 23.10.1808 (RGBl. 1809, 19). Das Württembergische Wegerecht ist grundsätzlich auch anwendbar, da die Klägerin spätestens seit 1806 der Gesetzgebung des Königreichs Württemberg unterstand. Das frühere württembergische Wegerecht, das in der Württembergischen Wegeordnung vom 23.10.1808 seinen Niederschlag gefunden hatte, enthielt jedoch keine Regelung über die Öffentlichkeit eines Weges, sondern setzte diese vielmehr voraus. Nach der gewohnheitsrechtlich verfestigten Rechtspraxis war ein öffentlicher Weg dann gegeben, wenn eine erkennbare Wegeanlage vorhanden war und der Weg von der zuständigen Behörde ausdrücklich oder stillschweigend zur Benutzung für jedermann oder einem bestimmten Personenkreis gewidmet worden war (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.05.1989 - 5 S 3298/88, juris, RdNr. 2 sowie Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., 1999, Kapitel 4 RdNr. 4.4, S. 131). |
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| Soweit eine derartige Widmung - wie im vorliegenden Fall - nicht nachweisbar ist, kann auf die Widmung durch Rechtsvermutung kraft unvordenklicher Verjährung geschlossen werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Weg nachweislich seit 40 Jahren vor Inkrafttreten des Straßengesetzes im Jahr 1964 als öffentlicher Weg benutzt wurde und für die vorausgegangenen 40 Jahre eine gegenteilige Erinnerung nicht feststellbar ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.12.1992 - 5 S 315/90 -, VBlBW 1993, 183). Das Rechtsinstitut der unvordenklichen Verjährung ist grundsätzlich als gültiges Gewohnheitsrecht weiterhin anwendbar. Es begründet eine widerlegliche Vermutung für die Öffentlichkeit einer Verkehrsfläche (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.04.2008 - 5 S 2858/06 -, juris, RdNr. 24). Die Rechtsvermutung der unvordenklichen Verjährung ist ein geeignetes Mittel, um die Beständigkeit einer in früherer Zeit getroffenen Widmung eines über ein Privatgrundstück verlaufenden Weges zu sichern. Dieses Rechtsinstitut ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil es für die entscheidungserheblichen Zeiträume von 1884 bis 1924 sowie von 1924 bis 1964 keine verlässlichen Zeugenaussagen mehr geben könnte. Denn es genügen vielmehr für den Nachweis der Nutzung eines Weges mit der Rechtsüberzeugung seiner Öffentlichkeit von 1924 bis 1964 sowie für den Nachweis des Nichtbestehens einer anderweitigen Erinnerung für die Zeit von 1884 bis 1924 auch urkundliche Beweismittel, wenn Zeugenaussagen zumindest ergänzend herangezogen werden (BVerfG, Beschluss vom 15.04.2009 - 1 BvR 3478/08 -, juris, RdNr. 31). Weiter vermag die Darstellung eines Weges in amtlichen Lageplänen ein Indiz für die Öffentlichkeit sein (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.05.1989 - 5 S 3298/88 -, juris, RdNr. 2). |
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| Nach diesen Grundsätzen ist aufgrund der Rechtsvermutung kraft unvordenklicher Verjährung hier von einem öffentlichen Weg auszugehen. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, dass im Hofraum des Beklagten südlich seines Wohnhauses mit der angrenzenden Scheune eine Wegeanlage nicht erkennbar ist. Denn zum einen ist der gesamte Hofraum seit Jahren gepflastert und war nach Angaben des Zeugen Schö. zuvor gekiest. Der auf dem Grundstück im Einzelnen nicht erkennbare Weg verläuft, wie später noch auszuführen sein wird, vom Grundstück Flst.Nr. 64 her kommend südlich der Scheune und des Wohnhauses des Beklagten in westliche Richtung direkt auf die B.-Straße zu. Zum anderen ist festzustellen, dass auf dem erwähnten Grundstück Flst.Nr. 64 der Klägerin und nachfolgend über den Bach bis zum K.-Weg eine Wegeanlage erkennbar ist, welche zwischen dem K.-Weg und dem Bach gekiest ist und danach bis zum Grundstück des Beklagten inzwischen mangels Benutzbarkeit mit Gras bewachsen ist. Der Zeuge Schm. gibt an, dass nach seiner Erinnerung der Weg viel benutzt worden sei, sodass auf der Wegstrecke früher kein Gras mehr gewachsen sei. Dieses längere Wegstück zwischen dem K.-Weg und dem Grundstück des Beklagten ist links und rechts durch Zäune, das Geländer bei der Überbrückung des Baches sowie teilweise auch durch Hecken eingefasst. Die eben beschriebene Wegeanlage wäre sinn- und funktionslos, wenn sie im Westen über das Grundstück des Beklagten keine Fortsetzung bis zur B.-Straße hätte. Dies gilt trotz des Umstandes, dass auf Höhe des östlichen Beginns des klägerischen Grundstücks Flst.Nr. 64 y-förmig ein Wegstück nach Norden in Richtung zum früheren Gasthaus „S.“ abgezweigt ist, wie dies die Zeugen T. und L. angaben. Im Übrigen geht selbst der Beklagte von einem Weg über seinen Hofraum aus. Denn sonst hätte er die weitere Durchgangsmöglichkeit zum Bach hin nicht durch den Zaun versperrt. |
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| Die zur Sache vernommenen Zeugen haben übereinstimmend, zurückgehend teils bis in die 1930er-Jahre, Angaben zur damaligen Existenz und Benutzung des streitbefangenen Wegestücks und seiner Fortsetzung nach Osten hin gemacht. Danach sind die Bewohner der W. Straße über das Grundstück des Beklagten und durch das „Gängle“ zum K.-Weg und von dort zur Kirche gegangen. Das sei früher ein „normaler Weg“ gewesen, den die Bevölkerung benutzt habe. Den Angaben, man habe sich dabei nichts gedacht, lässt sich entnehmen, dass die Benutzer wie selbstverständlich davon ausgingen, der Weg stehe jedermann unbeschränkt durch private Rechte zur Verfügung. Im Bewusstsein der Bevölkerung war dies bis zur Einrichtung der örtlichen Wasserversorgung 1927 auch der jedermann zur Verfügung stehende Weg zum Waschhaus am Bach. Die Benutzung des Wegs ist auch ehemals von den Rechtsvorgängern des Beklagten widerspruchslos geduldet worden. Eine dem Zeitraum vor 1924 betreffende gegenteilige Erinnerung wurde vor dem geschilderten Hintergrund nicht geäußert. Daher kann festgestellt werden, dass das streitbefangene Wegestück zusammen mit seinem Anschluss nach Osten hin für den Personenkreis der Bewohner jedenfalls des südlichen Bereichs der W. Straße den K. Weg und ehemals auch den Weg zum Waschhaus am Bach darstellte. |
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| Diese Angaben werden indiziell gestützt durch die von der Klägerin vorgelegte Karte von 1821. Auf dieser ist das „Gängle“ von der Südostecke der Scheune des Beklagten in östliche Richtung verlaufend bis zu einem eingetragenen Teich verzeichnet. Die Einzeichnung entspricht in etwa dem gegenwärtigen Grundstück Flst.Nr. 64 der Klägerin. Dieses Wegestück wäre ohne einen Anschluss an die B.-Straße, welcher nur über den Hofraum des Beklagten erfolgen kann, ohne jeden Sinn. |
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| Nach Auffassung des Gerichts, liegt daher eine Widmung des streitbefangenen Wegestücks durch Rechtsvermutung kraft unvordenklicher Verjährung vor. Auf die Bedeutung der (wohl handschriftlich eingetragenen) „Strich-3 Punkte-Strich“-Signatur in der erwähnten historischen Karte kommt es nicht entscheidend an. Eine diesbezügliche Beweiserhebung erübrigt sich daher. |
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| Beschluss vom 16. Mai 2017 |
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| Das Gericht orientiert sich im vorliegenden Fall nicht am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013 (dort Nr. 43.3 i.V.m. Nr. 1.3.: mindestens 7.500 EUR), sondern hält angesichts der relativ geringen Bedeutung des Wegs den Auffangstreitwert für angemessen. |
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