Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 01. Sept. 2014 - 2 B 395/14

bei uns veröffentlicht am01.09.2014

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

2. Der Streitwert wird auf 500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wehrt sich mit seiner Klage zum Aktenzeichen 2 A 758/14 gegen eine den Beigeladenen nachträglich unter Abweichung von abstandsrechtlichen Vorschriften erteilte Baugenehmigung für ein Doppelgaragen- und Nebengebäude mit Satteldach.

2

Wegen des ohne Baugenehmigung auf dem Flurstück … der Flur 2 der Gemarkung A-Stadt ca. 13 m langen und 6 m breiten sowie im Abstand von 0,65 m zur Grundstücksgrenze zwischen dem Flurstück … und dem antragstellerischen Flurstück … errichteten Garagen- und Nebengebäudes ordnete die Antragsgegnerin gegenüber den Beigeladenen mit Bescheid vom 14. März 2013 dessen Beseitigung an. Bereits im Jahre 2009 hatte die Antragsgegnerin gegen die Beigeladenen wegen des Gebäudes und eines 6 m langen und 5 m breiten Carports und der sich damit ergebenden Bebauung an der Grundstücksgrenze zum Antragsteller in einer Gesamtlänge von 18 m ein bauordnungsrechtliches Verfahren eingeleitet. Dessen Fortgang oder Abschluss lässt sich den dem Gericht vorgelegten Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin nicht entnehmen.

3

Gegen die Beseitigungsverfügung vom 14. März 2013 erhoben die Beigeladenen Widerspruch, den sie in der Folge zurücknahmen. Hintergrund dafür war nach Vermerken in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin, dass die Beigeladenen sich bereit fanden, das Gebäude gegenüber der Grundstücksgrenze auf eine Länge von 9,50 m zurückzubauen und das Dach auf mindestens 3 m zu senken „bzw. ein Satteldach“ zu errichten. Im November 2013 beantragten sie daraufhin bei der Antragsgegnerin eine Baugenehmigung, wobei sie das Vorhaben bezeichneten als „Rückbau Doppelgarage nach Absprache mit dem Bauamt“. Nach den mit Grünstempel versehenen Bauvorlagen sollte das Gebäude eine Länge von 9,5 m, eine Wandhöhe von 2,64 m und eine Firsthöhe von 3,72 m bei einer Dachhöhe von 1,08 m aufweisen. Die Gemeinde erteilte ihr Einvernehmen. Die Antragsgegnerin erteilte die Baugenehmigung mit Bescheid vom 24. Februar 2014 und zugleich eine Abweichung „um 0,50 m von der die Abstandsflächentiefe von 3,00 m gegenüber der Grundstücksgrenze nicht einhaltenden Bebauung von 9,00 m“.

4

Gegen diese Baugenehmigung erhob der Antragsteller Widerspruch, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 9. April 2014 zurückwies.

5

Am 15. April 2014 hat der Antragsteller dagegen Klage erhoben (Az.: 2 A 758/14) und gleichzeitig die „Durchführung des Verwaltungsstreitverfahrens im Eilverfahren“ beantragt.

6

Die Antragsgegnerin stellte bei einer Ortsbesichtigung nach dem Rückbau fest, dass die Beigeladenen im Verfahren zur Erteilung der Baugenehmigung vom 24. Februar 2014 bei der Angabe der Wandhöhe eine Aufschüttung nicht dargestellt hatten, auf der sich das Gebäude befindet. Wegen des danach nach ihrer Auffassung weiterhin im Blick auf die Überschreitung der mittleren Wandhöhe von 3,00 m abstandsflächenrechtlich unzulässigen Gebäudes hörte die Antragsgegnerin die Beigeladenen mit Schreiben vom 10. Juli 2014 zur Absicht an, die Entfernung des Gebäudes anzuordnen. Zudem erklärte die Antragsgegnerin schriftsätzlich im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren, „dass in Kürze eine Rücknahme der Baugenehmigung gemäß §§ 50, 48 VwVfG M-V“ erfolge.

7

Die Beigeladenen berufen sich auf erfolgte Gesprächsangebote an den Antragsteller. Der zwischenzeitlich verstorbene Vater des Antragstellers habe seinerzeit keinerlei Einwände gegen das Vorhaben der Modernisierung des ehemals vorhandenen Gebäudes gehabt. Der Antragsteller habe durch die Garage keinerlei Nachteile, Schattenwirkung schaffe er sich selbst, indem sein Haus fast zugerankt sei und Bäume bis zu ca. 15 m Höhe vor seinem Haus und auf dem ganzen Grundstück bis hin zur gemeinsamen Grundstücksgrenze stünden.

II.

8

Der dem Antragstellervorbringen sinngemäß und sachdienlicherweise zu entnehmende Antrag,

9

die aufschiebende Wirkung der Klage zum Az.: 2 A 758/14 gegen die Baugenehmigung vom 24. Februar 2014 anzuordnen,

10

ist unzulässig.

11

Zwar fehlt dem Kläger nicht die Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Denn obschon im hier in Rede stehenden vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht grundsätzlich nicht zum Prüfprogramm der Baugenehmigungsbehörde gehört und mithin auch nicht zum Inhalt einer erteilten Baugenehmigung wird, sind die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften der LBauO M-V im vorliegenden Fall gleichwohl von der Antragsgegnerin rechtmäßigerweise geprüft worden mit der Folge, dass sich die Feststellungswirkung der Baugenehmigung vom 24. Februar 2014 auch auf die Einhaltung des Abstandsflächenrechts durch das streitgegenständliche Doppelgaragen- und Nebengebäude erstreckt. Das folgt aus § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBauO M-M. Danach prüft die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren auch beantragte Abweichungen im Sinne des § 67 Abs. 1 und 2 Satz 2 LBauO M-V. Das ist hier der Fall, weil mit der Baugenehmigung vom 24. Februar 2014 den Beigeladenen zugleich eine Abweichung von § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 LBauO M-V im Blick darauf erteilt worden ist, dass das streitgegenständliche Gebäude eine Länge von 9,50 m anstatt der gesetzlich maximal zulässigen 9,00 m aufweisen soll.

12

Dem Antragsteller fehlt es indessen an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse für den hier zu entscheidenden Antrag im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

13

Ziel eines von dem Nachbarn des Bauherrn gegen eine Baugenehmigung gerichteten Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs ist es in erster Linie, die Schaffung vollendeter Tatsachen und die damit verbundene Rechtsbeeinträchtigung zu verhindern. Geht es um die Verletzung von (ausnahmsweise zum bauaufsichtlichen Prüfprogramm zählenden und damit vom Inhalt der angefochtenen Baugenehmigung erfassten) Abstandsflächen, wie hier, ist die mit einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren erstrebte Verhinderung oder wenigstens Minimierung der besorgten Rechtsbeeinträchtigung allerdings nicht mehr möglich, wenn die Nachbarrechtsverletzung (allein) durch den Baukörper ausgelöst wird und dieser bereits fertiggestellt ist. So liegt es hier.

14

Mit der angefochtenen und im Klageverfahren 2 A 758/14 auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfenden Baugenehmigung vom 24. Februar 2014 ist – entgegen der irreführenden Vorhabenbezeichnung durch die Beigeladenen – nicht ein Rückbauvorhaben in Bezug auf ein genehmigtes Bestandsgebäude genehmigt worden. Vielmehr sollte mit der Baugenehmigung vom 24. Februar 2014 erstmals für das bereits vor Jahren von den Beigeladenen unter Verlust des Bestandsschutzes für das ehemals vorhandene Nebengebäude errichtete Garagengebäude überhaupt die erforderliche (vgl. §§ 59 Abs. 1 Satz 2, 61 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b (LBauO M-V) Baugenehmigung erteilt und damit eine nachträgliche Legalisierung herbeigeführt werden. In einer solchen Konstellation des Nachbarantrags gegen eine nachträglich erteilte Baugenehmigung für ein bereits fertiggestelltes Gebäude fehlt es regelmäßig an dem Rechtsschutzbedürfnis für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren, weil dessen Ziel, nämlich die Verhinderung vollendeter Tatsachen, nach Fertigstellung grundsätzlich nicht mehr erreicht werden kann (vgl. z.B. OVG Münster, Beschl. v. 17.10.2000 – 10 B 1053/00 -, BRS 63 Nr. 198; zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses bereits im Zeitpunkt der Fertigstellung des Rohbaus, vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 06.01.2010 – 3 M 231/09 -, juris; vgl. auch VG Schwerin, Beschl. v. 06.08.2012 – 2 B 309/12 -; zur Teilbarkeit einer Baugenehmigung im Fall nachträglicher Legalisierung, vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 12.11.2010 – 2 M 142/10 -, BRS 76 Nr. 169). An dieser Situation ändert sich im vorliegenden Fall nichts dadurch, dass in Ausnutzung der Baugenehmigung ein teilweiser Rückbau des fertiggestellten Gebäudes erfolgt. Denn mit dem Rückbau ist keine weitergehende, über den vorhandenen Bestand hinausgehende Beeinträchtigung für den Antragsteller, sondern vielmehr eine begrenzte Reduzierung derselben verbunden. Dann aber gilt weiterhin, dass mit einer gerichtlichen Außervollzugsetzung der erteilten Baugenehmigung im Wege der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage für den Antragsteller keinerlei Nutzen verbunden ist (vgl. OVG Münster, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.09.2013 – OVG 2 S 60.13 -, juris).

15

Etwas anderes könnte nur anzunehmen sein, wenn die Rechtsbeeinträchtigung über das Vorhandensein des beanstandeten Baukörpers hinaus auch anderweitig, etwa von dessen Nutzung, ausgelöst wird (vgl. auch OVG Greifswald, Beschl. v. 11.03.2014 – 3 M 218/13 - unter Hinweis auf OVG Greifswald, Beschl. v. 06.12.2013 – 3 M 147/13 -). In einem solchen Fall kann mit der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs die (weitere) Ausnutzung der Baugenehmigung unterbunden und damit eine weitergehende, etwa nutzungsbedingte, Rechtsbeeinträchtigung vorläufig vermieden werden. Dass ein solcher Fall hier gegeben ist, ist für das Gericht derzeit nicht erkennbar. Vielmehr geht es um ein Garagen- und Nebengebäude, in Bezug auf dessen Abstandsflächenverstoß nicht ersichtlich ist, dass von ihm (auch) nutzungsbedingte Nachteile zu Lasten des Antragstellers ausgehen. Insbesondere steht weder die Art der baulichen Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes in Rede (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 11.03.2014 – 3 M 218/13) noch geht es um – durch den Abstandsflächenverstoß erweiterte – Einsichtsmöglichkeiten auf das antragstellerische Grundstück (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 06.01.2010 – 3 M 231/09 -, juris), die hier vorliegend bereits deshalb nicht in Frage kommen, weil das streitgegenständliche Gebäude ausweislich der in den Bauantragsunterlagen befindlichen „Ansicht hinten“ keinerlei antragstellerseitige Fenster aufweist.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, erscheint es billig, sie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst tragen zu lassen.

17

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei das Gericht den Hauptsachestreitwert geschätzt und für das vorläufige Rechtsschutzverfahren halbiert hat.

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(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 42


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

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(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erhebliche

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 50 Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren


§ 48 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 4 sowie § 49 Abs. 2 bis 4 und 6 gelten nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufge

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Tenor Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 10. Dezember 2009 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten

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§ 48 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 4 sowie § 49 Abs. 2 bis 4 und 6 gelten nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch oder der Klage abgeholfen wird.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 10. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung, die der Antragsgegner dem Beigeladenen erteilt hat.

2

Der Beigeladene ist nach eigenen Angaben Eigentümer des Flurstücks B der Flur C der Gemarkung A. Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben Eigentümerin des benachbarten Anwesens mit der Straßenbezeichnung B.straße 6. Dieses besteht aus zwei Flurstücken, für die eine Vereinigungsbaulast bestellt ist (Flurstücke D und E) und ist bebaut mit einem Wohnhaus, dessen Firsthöhe 6,80 m beträgt. Ein spitzgiebeliger Eingangsbereich überragt die Dachfläche des Segmentbodengiebels. In der B.straße finden sich nach einer Aufstellung des Antragsgegners mehrere denkmalgeschützte Wohngebäude. Die maximale Traufhöhe der Bebauung in der B.straße beträgt 10,60 m und die maximale Firsthöhe 15 m. Mehr als drei Geschosse finden sich nach dieser Auflistung in keinem der vorhandenen Gebäude. In der C.straße erreicht ein Haus eine Firsthöhe von 16,00 m; die Traufhöhe und die Zahl der Geschosse ist nirgendwo höher als in der B.straße. Gleiches gilt für die D.straße, in der die maximale Firsthöhe 14,00 m beträgt.

3

Der Beklagte erteilte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung, die in der Fassung des ersten Nachtrages vom 07.08.2009 folgendes Bauvorhaben zum Gegenstand hat: es soll ein Wohnhaus errichtet werden, das neben einem Kellergeschoss, das mit einer Höhe von 1,20 m aus dem Erdboden herausragt, drei Geschosse und einen Spitzboden aufweist. Die natürliche Geländehöhe wird mit 14,60 HN in den Bauzeichnungen angegeben. Die Oberkante des dritten Geschosses endet bei 12,95 m, wobei die östliche Außenwand des dritten Geschosses um 13 cm zurückspringt. Die Traufhöhe wird mit 14,30 m über OFF (entspricht 15,50 m über Gelände) angegeben. Diese wird gemessen am Schnittpunkt der Dachhaut über dem Spitzboden mit der Außenwand des Spitzbodens. Die Firsthöhe beträgt 17,50 m über Gelände. Nach den vorgelegten Bauunterlagen beträgt der Abstand des geplanten Gebäudes zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin an der schmalsten Stelle 5,65 m.

4

Die Antragstellerin wurde am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt. Sie legte gegen die Baugenehmigung in der Fassung des ersten Nachtrages am 04.11.2009 Widerspruch ein. Über den Widerspruch ist bislang nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner ab, weil die Baugenehmigung offensichtlich rechtmäßig sei. Die von der Antragstellerin als verletzt gerügten Abstandsflächen seien - wie sich aus Nachmessungen am Rohbau ergeben hätte - eingehalten. Das Gebäude sei auch nicht rücksichtslos.

5

Die Antragstellerin beantragte am 03.12.2009 beim Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz. Das Bauvorhaben füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Diese sei davon geprägt, dass der Hauseingang auf einer Gebäude(längs)seite liege und der Wohnbereich zur anderen Gebäudeseite ausgerichtet sei. So schaue der jeweilige Wohnbereich auf den Eingangsbereich des Nachbarn. Dem entspreche das Bauvorhaben des Antragstellers nicht. Es weise auf der zum Grundstück der Antragstellerin gerichteten Gebäudeseite insgesamt acht Fenster auf, so dass der Rückzugsraum auf diesem Grundstück unter Beobachtung stehe und wegfalle. Das Vorhaben hause das Grundstück der Antragstellerin ein. Die Grenzgarage verstärke diesen Eindruck. Die Abstandsfläche zum Grundstück der Antragstellerin sei nicht eingehalten. Die bei der Nachmessung von der Behörde vorgegebene Grundstückshöhe von 14,70 m sei willkürlich. Die Berechnungen der Abstandsfläche beruhten auf fehlerhaften Zahlen, weil unterschiedliche Höhensysteme HN und NN verwendet worden seien. Zudem seien die Höhenangaben in den Schnittzeichnungen des ersten Nachtrages nicht nachvollziehbar, weil die Erhöhung der OKG um 20 cm nicht berücksichtigt worden sei. Der Rücksprung sei rechtlich unbeachtlich. Der Rohbau sei tatsächlich um 0,755 m höher ausgefallen als genehmigt.

6

Die Antragstellerin hat beantragt,

7

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 29.04.2009 in Gestalt des ersten Nachtrages vom 07.08.2009 anzuordnen,

8

dem Beigeladenen vorläufig bei Meidung eines festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe bis zu 250.000 EUR aufzugeben, die Bauarbeiten einstweilen, längstens bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag, einzustellen und

9

hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, einen vorläufigen Baustopp gegenüber dem Beigeladenen auszusprechen.

10

Der Beklagte hat die Nachmessungen im Widerspruchsverfahren und die dort ermittelten Höhenwerte erläutert und verteidigt.

11

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 10.12.2009 die Anträge abgelehnt. Ein Abwehrrecht der Antragstellerin aus dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme aus § 34 BauGB liege erst vor, wenn der Verstoß gegen das Einfügen bei den Merkmalen Vollgeschoss und Gebäudehöhe schwer und unerträglich sowie unzumutbar beeinträchtigend sei. Dies sei nicht zu erkennen. Jedenfalls in der C.straße befinde sich ein noch höheres Gebäude und die Überschreitung der vorhandenen Geschosszahl sei als solche keine unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbarschaft. Das Vorhaben wirke auch nicht erdrückend. Eine Verletzung der Abstandsflächen durch die Baugenehmigung liege nicht vor. Allerdings verletze der abweichend von der Baugenehmigung errichtete Rohbau geringfügig die erforderlichen Abstandsflächen. Wegen der Fertigstellung des Rohbaus scheide eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung eines vorläufigen Baustopps aus. Ein solcher Baustopp sei zudem unverhältnismäßig. Der Beigeladene könne die Abstandsflächen durch noch mögliche Veränderungen am Rohbau einhalten. Eine Verurteilung des Beigeladenen zur Einstellung der Bauarbeiten sei nicht möglich.

12

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht im wesentlichen geltend, ihr stehe ein Gebietserhaltungsanspruch zur Seite. Auch die vom Verwaltungsgericht nicht beachtete Erhaltungssatzung räume ihr einen solchen Anspruch ein. Wegen der Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung, wie es in der näheren Umgebung zu finden sei, und der dadurch hervorgerufenen Störung des Ortsbildes werde sie in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Auch die Verletzung der Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse könne sie als subjektives Recht geltend machen. Sie verliere durch die Einsichtsmöglichkeiten vom Vorhaben in ihren Wohnbereich den erforderlichen Schutz ihrer Privatsphäre. Das Vorhaben habe auch deshalb erdrückende Wirkung. Selbst wenn die Abstandsflächen eingehalten sein sollten, folge daraus nicht, dass das Vorhaben dem Gebot der Rücksichtnahme entspreche. Die städtebaulichen Abstandsflächen seien von denen des Bauordnungsrechts zu unterscheiden, zudem sei durch die Verringerung der bauordnungsrechtlichen Mindestabstände die frühere Rechtsprechung zu diesem Punkt nicht mehr anwendbar. Die erforderlichen Abstandsflächen seien nicht eingehalten. Die Einhaltung der Abstandsflächen sei von dem Antragsgegner geprüft und damit zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht worden. Das Ermessen des Antragsgegners sei auf den Erlass eines Baustopps reduziert, weil anders rechtmäßige Zustände nicht hergestellt werden könnten.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

14

den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und nach den bisherigen Anträgen zu 1. und 3. zu beschließen.

15

Der Antragsgegner beantragt,

16

die Beschwerde zurückzuweisen.

17

Er ist der Auffassung, das Rechtschutzinteresse der Antragstellerin an dem beantragten Baustopp sei nach Fertigstellung des Rohbaus entfallen. Die Abstandsflächen seien eingehalten; zu Lasten der Antragstellerin könne maximal eine Überschreitung der Mindestabstandsfläche von 40 cm² angenommen werden. Das Vorhaben des Beigeladenen sei weder unter dem Gesichtspunkt der Art noch dem des Maßes der baulichen Nutzung rücksichtlos. Gleiches gelte für die Verschattung und die Einsichtnahmemöglichkeit. Eine erdrückende Wirkung gehe von dem Vorhaben nicht aus. Die Erhaltungssatzung begründe kein subjektives Recht der Antragstellerin.

18

Der anwaltlich nicht vertretene Beigeladene hat sich über seinen Architekten zur Akte gemeldet.

19

Der Senat hat am 05.01.2010 das Vorhaben und die nähere Umgebung in Augenschein genommen und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.

II.

20

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

21

A. Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde ist nicht deswegen unzulässig, weil zwischenzeitlich der Rohbau der genehmigten baulichen Anlage fertig gestellt wurde. Allerdings hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, mit der Fertigstellung des Rohbaus einer genehmigten baulichen Anlage entfalle das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz, wenn die Verletzung subjektiver Rechte des Nachbarn allein durch den Baukörper ausgelöst wird (so bereits B. v. 22.03.1994 - 3 M 66/93; B. v. 31.05.1994 - 3 M 11/04 -, NVwZ 1995, 400). Der Senat hat aber in den genannten Beschlüssen auch ausgeführt, dass anderes gelte, wenn auch die Nutzung der baulichen Anlage eine Verletzung subjektiver Rechte der Nachbarn bewirkt und beispielhaft die Einsichtsmöglichkeiten in den Ruhebereich eines Hausgrundstücks benannt (vgl. weiter Beschluss des Senats v. 17.01.2005 - 3 M 37/04 -, BRS 69 [2005] Nr. 134). Aus dieser bisherigen ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 19.08.2009 - 3 M 127/09), an der der Senat festhält, ergibt sich für den hier zu entscheidenden Einzelfall, dass die Fertigstellung des Rohbaus nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Antragstellers führt. Ausweislich der Baugenehmigung weist die zum Grundstück der Antragstellerin gerichtete Wand des Vorhabens eine Reihe von Fenstern in jedem Geschoss auf, durch die Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück der Antragstellerin eröffnet werden. Unabhängig von der Frage der Einhaltung der Abstandsflächen macht die Antragstellerin geltend, das streitbefangene Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein. Angesichts dieses substantiierten Vorbringens kann nicht mit Wirkung der Verneinung des Rechtsschutzinteresses angenommen werden, eine Verbesserung der Rechtslage könne die Antragstellerin im Eilverfahren nicht mehr erreichen.

22

Der vorliegende Fall gibt dem Senat keine Veranlassung zur Entscheidung, ob zukünftig an dieser Rechtsprechung festgehalten wird oder gewichtigen Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur (VGH Mannheim, B. v. 07.03.1995 - 3 S 174/95 - NVwZ-RR 1995, 488; OVG Münster, B. v. 17.10.2000 - 10 B 1053/00 - BRS 63 Nr. 198; OVG Bautzen, B. v. 09.09.1994 - 1 S 259/94 - BRS 56 Nr. 115; Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 80a Rdn. 67; alle zit. nach OVG Berlin-Brandenburg B. v. 23.03.2006 - 10 S 21.05 -, juris) zu folgen ist, dass erst eine weitgehende oder endgültige Fertigstellung des baulichen Vorhabens das Rechtsschutzinteresse entfallen lässt.

23

Der Senat sieht auch im vorliegenden konkreten Einzelfall keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine prozessuale Verwirkung des nachbarlichen Anfechtungsrechts wegen einer erst im Zeitpunkt der weitgehenden Errichtung des Rohbaus erfolgten Widerspruchseinlegung und Beantragung gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes. In den Fällen, in denen - wie hier - die einmonatige Widerspruchsfrist des § 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen beginnt, weil die Baugenehmigung dem Nachbarn nicht bekannt gegeben worden ist, gelten die folgenden Grundsätze (vgl. Beschluss des Senats vom 14.07.2005 - 3 M 69/05 -, NordÖR 2005, 424):

24

Das Rechtsverhältnis zwischen - wie hier - unmittelbar benachbarten Grundstückseigentümern ist durch ein besonderes nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis gekennzeichnet, das nach Treu und Glauben besondere Rücksicht der Nachbarn aufeinander fordert. Der Nachbar des Bauherrn ist danach verpflichtet, durch zumutbares aktives Verhalten mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst gering zu halten. Hat er von der dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung, obwohl sie ihm nicht bekanntgegeben worden ist, auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt, muss er sich in aller Regel nach Treu und Glauben bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung amtlich bekannt gegeben worden. Die Frist zur Einlegung des Widerspruchs richtet sich daher für ihn vom Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung an regelmäßig nach den Fristvorschriften der § 70 Abs. 2, § 58 Abs. 2 VwGO, d.h. er muss seinen Widerspruch - da ihm eine amtliche Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt worden sein wird - regelmäßig innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einlegen. Gleiches gilt für den Fall, dass der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen der Genehmigung aufdrängen musste, und weil es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber - etwa durch Anfrage bei dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde - Gewissheit zu verschaffen. Dann beginnt für ihn die Frist der §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO für die Einlegung des Widerspruchs von dem Zeitpunkt an zu laufen, in dem er zuverlässige Kenntnis von der Genehmigung hätte erlangen müssen. Allerdings kann es sich dabei nur um solche Zeitpunkte handeln, die zeitlich der Genehmigung nachfolgen, denn die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO kann frühestens mit der Erteilung der Baugenehmigung in Lauf gesetzt werden (OVG Weimar, U. v. 26.02.2002 - 1 KO 305/99 -, BRS 65 Nr. 130). Überdies setzt die Verwirkung des prozessualen nachbarlichen Abwehrrechts voraus, dass der Betroffene die Rechtsverletzung erkannt hat oder jedenfalls hätte erkennen müssen, d.h. es kommt für den Fristbeginn auf die hinreichende Erkennbarkeit eines Eingriffs in seine geschützte Rechtsstellung an. Dabei kann auch ein Nachbar zunächst einmal von rechtmäßigem Verwaltungshandeln ausgehen und es kann ihm nicht angesonnen werden, gleichsam auf Verdacht Bautätigkeit auf dem benachbarten Grundstück zum Anlass zu nehmen, sich über den Inhalt einer Baugenehmigung kundig zu machen (OVG Saarlouis, B. v. 19.09.1997 - 2 V 10/97 -, BRS 59 Nr. 111). Die Nichterweislichkeit des Verwirkungstatbestandes geht zu Lasten desjenigen, der sich auf diesen Ausnahmetatbestand beruft (VG Potsdam, U. v. 26.10.2000 - 5 K 2871/99 -, zitiert nach juris).

25

Die Antragstellerin macht geltend, dass das Maß der baulichen Nutzung und die Problematik der Einhaltung der Abstandsflächen erst Ende Oktober 2009 erkennbar geworden sei, als das 3. Geschoss errichtet wurde. Sie habe nach zeitnaher Einsicht in die Baugenehmigungsakte am 04.11.2009 Widerspruch eingelegt. Unter diesen Umständen, die der Antragsgegner nicht substantiiert in Frage gestellt hat, ergibt sich keine prozessuale Verwirkung.

26

B. Die Beschwerde führt aber nicht zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses, weil sich aus der für die Entscheidung maßgebenden Beschwerdebegründung nicht ergibt, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts fehlerhaft ist.

27

1. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

28

a. Die Beschwerde macht zunächst geltend, die Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil sich das Vorhaben nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfüge. Dadurch verletze die Baugenehmigung zum einen den sich aus § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. der Erhaltungssatzung der Stadt Neubrandenburg vom 17.11.1994 ergebenden Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin und verletze sie zum anderen in ihrem Anspruch auf Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 1 BauGB.

29

aa. Die Antragstellerin leitet - so kann die Beschwerdebegründung verstanden werden - aus der Rechtsprechung des BVerwG einen Gebietserhaltungsanspruch, der konkrete Beeinträchtigungen nicht voraussetzt, auch für den Fall ab, dass sich das Vorhaben zwar nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, nicht aber nach dem Maß der baulichen Nutzung. Die Antragstellerin stützt sich dabei insbesondere auf das Urteil des BVerwG vom 16.09.1993 (4 C 28/91 - BVerwGE 94, 151). Der Senat entnimmt - anders als die Antragstellerin - dieser Entscheidung nicht die Rechtsauffassung, dass auch das Maß der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich Drittschutz vermittelt. Das BVerwG hat in der genannten Entscheidung eingangs seiner Überlegung zum Nachbarschutz verdeutlicht, dass die Gemeinde bezüglich des Nachbarschutzes grundsätzlich frei ist und regelmäßig selbst entscheidet, ob eine Festsetzung im Bebauungsplan auch zum Schutze Dritter ergeht. Die Festsetzungen eines Bebauungsplanes sind nicht bereits deshalb drittschützend, weil sie die Grundstückseigentümer im Bebauungsplangebiet Nutzungsvorgaben unterwerfen und diese dies nur hinnehmen müssen, weil es sich um für alle geltende Regelungen handelt mit der Folge, dass der einzelne die Befolgung einklagen kann. Dies muss, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, auch für den unbeplanten Innenbereich gelten. Für die Art der baulichen Nutzung allerdings hat das BVerwG im Wege einer Ausnahme von dem dargestellten Grundsatz einen generellen Drittschutz bejaht, der sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergebe. Zudem verweise § 34 Abs. 2 BauGB nicht mehr auf das Einfügensgebot, sondern ausschließlich auf die Regelungen der BauNVO. Daraus lässt sich der Rechtssatz entnehmen, dass nur dann und soweit das im Begriff des Einfügens enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot im unbeplanten Innenbereich nicht gilt, eine den Festsetzungen der Baunutzungsverordnung entsprechende faktische Bebauung generell drittschützende Wirkung entfalten kann. Für das Maß der baulichen Nutzung gilt dies nicht: dieses ist für den unbeplanten Innenbereich in § 34 Abs. 1 BauGB erfasst. Die Norm vermittelt den Drittschutz über das Tatbestandsmerkmal des Einfügens und damit über das subjektive Recht auf Rücksichtnahme. Drittschutz gegen ein sich nicht einfügendes Maß der baulichen Nutzung setzt voraus, dass dadurch eine den Nachbarn unzumutbar beeinträchtigende Situation entsteht.

30

bb. Soweit der Beschwerdebegründung die Rechtsauffassung entnommen werden kann, aus § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB i.V.m. § 172 BauGB und der darauf fußenden Erhaltungssatzung der Stadt N vom 17.11.1994 ergebe sich eine Regelung der Gebietsart im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, vermag der Senat diesem Gedanken nicht zu folgen. Die Bestimmung des § 172 BauGB findet sich im ersten Abschnitt des sechsten Teils des BauGB und damit innerhalb des BauGB in einem völlig anderem systematischen Zusammenhang als § 34 BauGB, der sich im Ersten Abschnitt des dritten Teils findet. Die Erhaltungssatzung, die im sechsten Teil des BauGB geregelt ist, ist ein eigenständiges Rechtsinstitut, als dessen Rechtsfolge eine spezielle Genehmigung erforderlich ist (§ 172 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Im übrigen ist das Ortsbild ungeeignet, eine Gebietsart im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, die sich nur auf die nähere Umgebung erstrecken kann, zu prägen, weil es einen größeren Bereich erfasst als die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (vgl. BVerwG U. v. 11.05.2000 - 4 C 14/98 -, NVwZ 2000, 1169). Eine rechtliche Verbindung zu § 34 Abs. 1 BauGB lässt sich den einschlägigen Normen auch dann nicht entnehmen, wenn berücksichtigt wird, dass §34 Abs. 1 Satz 2 BauGB das Ortsbild als vor einer Beeinträchtigung zu schützen regelt. Darin mag ein identischer Schutzgegenstand gesehen werden, doch ist der Gesetzgeber frei, für diesen unterschiedliche Schutzsysteme zu ermöglichen, ohne dass dies erlaubt, ohne Gesetzebefehl eine gegenseitige rechtliche Wechselwirkung anzunehmen.

31

Im Übrigen enthält § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB keine drittschützenden Regelungen (vgl. BVerwG U. v. 23.05.1986 - 4 C 34/85 -, NVwZ 1987, 34; BVerwG B. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98 -, BRS 62 Nr. 102). Daher ergibt sich auch aus den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse kein Drittschutz.

32

cc. Soweit der Beschwerde der Vortrag entnommen werden kann, das Vorhaben des Beigeladenen verstoße gegen das in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung, führt dies nicht zum Erfolg der Beschwerde.

33

Nach Auffassung des Senats, die er auch auf das Ergebnis des Augenscheins stützt, fügt sich das Vorhaben des Beigeladenen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Bei der Konkretisierung des Begriffs der näheren Umgebung muss die Umgebung einmal insoweit berücksichtigt werden, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei muss zwar die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden, und es muss alles außer acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint; aber es darf doch nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muss auch die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt werden, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt (BVerwG U. v. 18.10.1974 - BVerwG IV C 77.73 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 4 5 S 111 (114)).

34

Nach dieser Vorgabe erstreckt sich die nähere Umgebung entlang der B.straße, umfasst den südlichen Teil der C.straße und den nordwestlichen Teil der D.straße jeweils mit der dort befindlichen Bebauung sowie die Fläche zwischen der Bebauung entlang des nordwestlichen Teils der D.straße bis hin zur Wohnbebauung entlang der nordwestlichen C.straße, wobei diese Bebauung nicht mehr prägend auf das Grundstück des Beigeladenen einwirkt. Innerhalb dieses Gebietes findet sich sehr unterschiedliche Bebauung, die zwischen einem eingeschossigen Flachbau mit aus dem Erdboden herausragenden Kellergeschoss und Gründerzeitvillen mit zwei Geschossen und ausgebautem Dachgeschoss sowie aus dem Erdboden herausragendem Kellergeschoss variiert. Das Maß der baulichen Nutzung ist unterschiedlich, wobei eine Bebauung von mehr als zwei Geschossen und einem ausgebauten Dachgeschoss oder drei Geschossen nicht zu finden ist. Gebäude mit einer Firsthöhe über 15,00 m sind nach den Feststellungen des Antragsgegners nicht vorhanden. Der Beigeladene trägt demgegenüber vor, jedenfalls ein Haus in der B.straße habe eine Firsthöhe von 17,50 m und ein anderes eine solche von 16,30 m. Streitig ist ebenfalls die Firsthöhe eines Gebäudes in der C.straße, die der Antragsgegner mit 16,00 m und der Beigeladenen mit 18,00 m angibt. Maßgebend für die Überzeugung des Senats, dass sich das Vorhaben des Beigeladenen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist der Umstand, dass das Vorhaben nach außen erkennbar über vier Geschosse und einen für Aufenthaltszwecke verwendeten Spitzboden verfügt, dessen Firsthöhe 17,50 m beträgt. Ein solches Maß der baulichen Nutzung hat der Senat in der näheren Umgebung nicht vorgefunden. Nach dem Eindruck, den der Senat beim Augenschein gewonnen hat, bringt das Vorhaben des Beigeladenen durch das in seiner Geschosszahl zum Ausdruck kommende Maß der baulichen Nutzung die nähere Umgebung in Bewegung und löst so bodenrechtliche Spannungen aus.

35

Das objektiv-rechtliche Nichteinfügen in die Eigenart der näheren Umgebung führt nicht automatisch zu einer Verletzung von Nachbarrechten. Das Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung ist nur dann verletzt, wenn die Bebauung sich als dem Nachbarn gegenüber unzumutbar erweist. Wann dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtsnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist, beurteilt werden (BVerwG, U. v. 25.02.1977 - IV C 22/75 -, BVerwGE 52, 122).

36

Eine Bebauung ist jedenfalls dann rücksichtslos, wenn sie eine erdrückende Wirkung auslöst. Diese geht vom Vorhaben des Beigeladenen nicht aus. Es wird nicht grenzständig errichtet, sondern ganz überwiegend unter Einhaltung der landesrechtlich verlangten Abstandsflächen. Das genügt für sich genommen nicht in jedem Fall, um das Gebot der Rücksichtnahme zu erfüllen, auch wenn nach der Rechtsprechung des BVerwG davon ausgegangen werden kann, dass im Regelfall die Einhaltung der landesrechtlich verlangten Abstandsflächen die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme indiziert (BVerwG B. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98 - , BRS 62 Nr. 102). Auch wenn diese Rechtsprechung noch unter der Geltung der früheren landesrechtlichen Regelungen über den Mindestabstand ergangen ist, die im Vergleich zur jetzt geltenden Regelung größere Abstandsflächen vorsahen, vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der vom BVerwG aufgestellte Grundsatz nicht mehr anwendbar ist. Die indizielle Wirkung mag sich in der Weise abgeschwächt haben, dass die Zahl der tatsächlich das Gebot der Rücksichtnahme nicht mehr erfüllenden Vorhaben größer geworden ist, die das geltende bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht einhalten. Doch folgt daraus nur, dass sich im Einzelfall die Prüfungspflicht erhöht, wenn besondere Umstände es nahelegen, dass aus städtebaulichen Gründen ein größerer Abstand als landesrechtlich gefordert erforderlich ist.

37

Weder für das unbebaute im Eigentum der Antragstellerin stehende und unmittelbar an das Grundstück des Beigeladenen angrenzende Flurstück D noch für das sich daran in östlicher Richtung anschließende Flurstück E der Antragstellerin, das mit einem Wohnhaus bebaut ist, ist eine vom Vorhaben des Beigeladenen ausgehende erdrückende Wirkung festzustellen. Die Unterschreitung der Mindestgrenzabstände in Richtung des Flurstücks D betrifft nach den nicht substantiiert bestrittenen Feststellungen des Antragsgegners maximal 40 cm². Das Gebäude enthält an dieser Seite keine Balkone oder andere aus der Wand herausspringende Bauteile. Das Anwesen der Antragstellerin ist zur B.straße hin offen. Nördlich angrenzend ist es nur einem eingeschossigen Flachbau ausgesetzt, der auf einem aus dem Erdboden herausragenden Kellergeschoss errichtet wurde. In nordwestlicher Richtung öffnet sich eine mit Gartenhäusern (Datschen) bebaute Fläche, die im wesentlichen als Garten genutzt wird. In östlicher Richtung ist sowohl die Bebauung der Antragstellerin wie des Nachbarn nicht grenzständig und es liegt zwischen beiden Gebäuden eine freie Fläche. Eine Einmauerung des Anwesens der Antragstellerin ist nicht erkennbar. Dass sie sich einer gut 14 m hohen Außenwand gegenübersieht, begründet für sich keine erdrückende Wirkung, weil diese Wand durch mehrere Fensteröffnungen gegliedert ist.

38

Die Antragstellerin macht weiter geltend, die durch das Vorhaben des Beigeladenen eröffneten Einsichtsmöglichkeiten seien rücksichtslos, weil sie dadurch jeglicher Rückzugsmöglichkeiten ins Private beraubt würde. Jeder Punkt des Grundstücks, auf dem sie bisher vor neugierigen Augen geschützt hätte leben können, sei einer Einsicht durch Nutzer des Vorhabens des Beigeladenen ausgesetzt. Der Senat hat sich davon überzeugt, dass jedenfalls aus den beiden oberen Geschossen des Vorhabens des Beigeladenen die Möglichkeit besteht, umfassend auf das Anwesen der Antragstellerin zu schauen. Doch ist die Einsichtsmöglichkeit für sich regelmäßig nicht geeignet, das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme zu verletzen (BVerwG B. v. 03.01.1983 - 4 B 224/82 -, BRS 40 Nr. 192; B. v. 24.04.1999 - 4 B 72/89). Mit der Möglichkeit der Einsichtnahme auf sein Grundstück muss ein Grundstückseigentümer grundsätzlich rechnen. Das mag in Sonderfällen anders sein (zu einem solchen Sonderfall vgl. Beschluss des Senats v. 19.08.2009 - 3 M 127/09), doch liegt ein solcher Sonderfall hier nicht vor. Die Bebauung der näheren Umgebung ist unterschiedlich und nicht dadurch geprägt, dass die Grundstücke so bebaut sind, dass keine oder allenfalls geringfügige Einsichtsmöglichkeiten vorhanden waren. Das Grundstück der Antragstellerin ist davon geprägt, dass das Grundstück des Beigeladenen mit einem bis zu 15 m hohen Gebäude mit einem ausgebauten Dachgeschoss bebaut werden kann, dessen Ostwand Fenster enthält. Die damit gegebenen Einsichtsmöglichkeiten sind von der Antragstellerin hinzunehmen. Die durch die Errichtung des Vorhabens des Beigeladenen quantitativ verstärkten Einsichtsmöglichkeiten bewirken keine qualitative Erhöhung der Beeinträchtigung der Nutzungssituation der Antragstellerin.

39

b. Die Antragstellerin kann aus den Bestimmungen der Erhaltungsatzung unmittelbar - die Wirksamkeit dieser Satzung unterstellt - keine subjektiven Rechte ableiten. Die Erhaltungssatzung beruht auf § 172 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine solche Erhaltungsatzung individualisierte Belange Dritter nicht berücksichtigen will (Urteil vom 14.12.2000 - 3 K 25/99 -, NVwZ-RR 2001, 719). Die Einwände der Antragstellerin dagegen greifen nicht durch. Sie beruhen auf einer Übertragung der Argumentation des BVerwG zum Gebietserhaltungsanspruch durch die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung in einem Bebauungsplan auf die Erhaltungsatzung. Diese Übertragung ist nicht möglich. Der Regelungszweck einer Erhaltungssatzung ist ein anderer als der eines Bebauungsplanes. Die Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann gerade nicht die Interessen einzelner berücksichtigen und zu ihrem Schutz Bestimmungen enthalten, wie sich aus den sehr engen Genehmigungsversagungstatbeständen des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergibt. Den Versagungstatbeständen lässt sich nicht entnehmen, dass sie auch dem Schutz individueller Interessen zu dienen bestimmt sind. Es handelt sich ausschließlich um objektive städtebauliche Gründe.

40

c. Die Baugenehmigung ist auch nicht deswegen überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, weil sie rechtswidrige Abstandsflächen genehmigt. Vielmehr enthält die Baugenehmigung keine Regelung über die Abstandsflächen.

41

Die Baugenehmigung wird im so genannten vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 63 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern vom 18.04.2006 (GVOBl. M-V S.102 - LBauO M-V) erteilt. Nach dieser Vorschrift prüft die Bauaufsichtsbehörde bei Wohngebäuden - um ein solches im Sinne der §§ 63 Abs. 1 lit. a), 2 Abs. 2 S. 2 LBauO M-V handelt es sich - nicht die Einhaltung der Abstandsflächen, wie sich aus § 63 Abs. 1 LBauO M-V ergibt. Die Baugenehmigung wird folgerichtig nach § 72 Abs. 1 LBauO M-V erteilt, wenn keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Der Prüfumfang kann in diesen Fällen hinter den öffentlich-rechtlichen Anforderungen, die nach der Landesbauordnung und anderen Vorschriften an eine bauliche Anlage gestellt werden, zurückbleiben. Dies ist vom Gesetzgeber so gewollt und kann im Einzelfall dazu führen, dass eine Baugenehmigung für ein Vorhaben erteilt wird, dass nicht zu prüfenden Anforderungen nicht entspricht.

42

Enthält die Baugenehmigung keine Hinweise darauf, dass abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen zusätzliche, über § 63 Abs. 1 LBauO M-V hinausgehende rechtliche Anforderungen geprüft und zum Gegenstand der Genehmigung gemacht worden sind, beschränkt sich die Baugenehmigung hinsichtlich der geprüften Vorschriften auf das gesetzlich vorgegebene eingeschränkte Prüfprogramm. Einen solchen Hinweis meint die Beschwerde in dem Umstand sehen zu können, dass Teile des Bauantrages, die sich mit den Abstandsflächen befassen, einen so genannten Grünstempel erhalten haben. Dieser Grünstempel hat den Inhalt "Gehört zum Bescheid". Damit wird schon dem Wortlaut nach nicht ausgedrückt, dass eine bauaufsichtliche Prüfung des Inhalts der Bauantragsunterlagen erfolgt ist. Der Stempel dokumentiert nur, dass ein bestimmtes, durch die Antragsunterlagen konkretisiertes Vorhaben verwirklicht werden soll und sichert, dass später kontrolliert werden kann, ob das durch die Genehmigung erfasste Vorhaben auch so wie beantragt errichtet wird. Aus diesem Grund macht es Sinn, wenn § 63 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V i.V.m. der Bauvorlagenverordnung M-V (vom 10. Juli 2006 - GVOBl. S. 612) die Vorlage des vollständigen Bauantrages verlangt. Zum Umfang einer bauaufsichtlichen Prüfung lässt sich dem Grünstempel nichts entnehmen.

43

Der Senat hat an dieser Stelle nicht zu entscheiden, wie eine zur Erteilung der Baugenehmigung zuständige Bauaufsichtsbehörde zu reagieren hat, wenn sie feststellt, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zwar im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu genehmigen ist, trotzdem aber ersichtlich gegen nicht zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (dazu Beschluss des Senats vom 21.08.2009 - 3 M 50/09). Denn jedenfalls führt der Verstoß gegen nicht zu prüfende Anforderung dann nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung, wenn nicht dadurch ausnahmsweise das Sachbescheidungsinteresse des Bauherrn entfällt. Für den Wegfall des Sachbescheidungsinteresses bieten weder die Beschwerdebegründung noch der Sachverhalt Anhaltspunkte. Ebensowenig hat der Senat der Frage nachzugehen, ob durch die Erteilung der Baugenehmigung bei fehlendem Sachbescheidungsinteresse der Nachbar in seinen Rechten verletzt sein kann, wenn das fehlende Sachbescheidungsinteresse in dem offenkundigen Verstoß gegen ihn schützende Vorschriften liegen könnte.

44

2. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich kein Anspruch der Antragstellerin auf Verpflichtung des Antragsgegners auf Erlass eines vorläufigen Baustopps gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V gegenüber dem Beigeladenen, der durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gesichert werden kann. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass die Antragstellerin durch das Vorhaben des Beigeladenen in eigenen Rechten verletzt wird und die Verpflichtung des Antragstellers auf Erlass einer Baueinstellungsverfügung gegen den Beigeladenen verhältnismäßig ist. Jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung fehlt es nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur summarisch möglichen Ermittlung des Sachverhaltes.

45

a. Die Antragstellerin macht die Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen durch das Vorhaben des Beigeladenen geltend. Eine solche Abstandsflächenverletzung räumt der Antragsgegner ein und sie ergibt sich auch aus den im Widerspruchsverfahren vorgenommenen Ermittlungen zum Sachverhalt.

46

Der Antragsgegner hat im Widerspruchsverfahren den Beigeladenen aufgefordert, die Abstandsflächen des Rohbaues, soweit er im Zeitpunkt der Ermittlung errichtet war, zu messen. Diese Messung erfolgte durch das Büro des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs E.. Der Senat hat keine substantiierten Zweifel daran, dass die vorgelegten Unterlagen (Blatt 142-144 des dem Gericht vorgelegten Verwaltungsvorganges; die Paginierung der Akte des Antragsgegners weicht von dieser Zählung ab) von diesem Vermessungsbüro stammen und der öffentlich beeidigte Vermessungsingenieur durch seine Unterschrift die Unterlagen als von ihm stammend legitimiert. Seine Unterschrift erfasst entgegen den Ausführungen der Beschwerdebegründung den über ihr stehenden Text und die Zeichnungen. Mit dieser Unterschrift übernimmt Herr E. - anders als die Antragsgegnerin meint - die Verantwortung für alle in den Unterlagen vorfindlichen Angaben, soweit es sich um solche handelt, die für die Vermessung von Bedeutung sind.

47

Aus diesen Angaben ergibt sich, dass an dem vom Vermesser herangezogenen Eckpunkt H 1 bei einer zugrundegelegten Geländehöhe von 14,70 m HN das Gebäude eine Endhöhe von 28,80 m HN hat. Der Senat ist der Überzeugung, dass es sich um Höhenmaße nach HN handelt, weil, wie die Antragstellerin wenn auch in anderem Zusammenhang herausstellt, diese Vermessung auf dem Lageplan vom 11.03.2009 (Bl. 34 des zu den Gerichtsakten gereichten Verwaltungsvorgangs) gründet. Dort wird als Höhenbezug HN angegeben. Dass der Antragsgegner ausweislich des Vermerks Blatt 131 des dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgangs den Vermesser aufgefordert hat, den Höhenbezug NN zu wählen, hat der Antragsgegner nachvollziehbar als Schreibversehen bezeichnet; unabhängig davon fehlt es an Erkenntnissen, dass der Vermesser anders als bei dem erwähnten Lageplan das Höhenmaß NN angewandt hat. Denn dann wären signifikante Unterschiede in den einzelnen Geländehöhen zu erwarten gewesen, die aber fehlen. Die vom Vermesser übernommenen Geländehöhen beziehen sich ersichtlich auf HN.

48

Aus der Vermessung vom 24.11.2009 ergibt sich eine Abstandsfläche von 5,64 m, die nach den Messungen des Vermessers exakt eingehalten wird. Zu Recht wendet die Antragstellerin ein, dass die zugrundegelegte Geländehöhe von 14,70 m nicht vor Beginn der Bauarbeiten ermittelt wurde, sondern auf einer Mittelung beruht, deren Richtigkeit angezweifelt werden kann. Zudem sind im Bauantrag die Abstandsflächen bei einer Geländehöhe von 14,60 m errechnet worden. Der Senat folgt dem Einwand der Antragstellerin nicht, die Abstandsfläche sei weiter zu erhöhen, weil bei der Verwirklichung des Vorhabens die ursprüngliche Geländeoberfläche rings um das Gebäude abgegraben worden sei, damit die Fenster des Kellergeschosses ausreichend belichtet werden. Eine solche Abgrabung ist bei der Augenscheineinnahme nicht festgestellt worden.

49

Bei einer angenommenen Geländehöhe von 14,60 m erhöht sich die Abstandsfläche um 4 cm und liegt dann nicht mehr vollständig auf dem Grundstück des Beigeladenen. Wird weiter zugunsten der Antragstellerin berücksichtigt, dass die Festlegung des Eckpunktes H 1 davon ausgeht, dass dieser am oberen Ende des Rücksprungs des obersten Geschosses liegt und damit den Rücksprung berücksichtigt, könnte sich die Abstandsfläche weiter erhöhen, wenn aus Rechtsgründen dieser Rücksprung nicht bei der Ermittlung der Abstandsfläche zu berücksichtigen wäre. Ob dies rechtlich zwingend ist, muss der Senat nicht entscheiden, weil es nicht entscheidungserheblich ist. Denn bei der für den Beigeladenen ungünstigsten Berechnung der Abstandsfläche ergibt sich eine Abstandsfläche von 5,73 m. Der tatsächliche Grenzabstand liegt an der dem Grundstück der Antragstellerin nächsten Stelle des Gebäudes bei 5,65 m. An dieser Stelle ragt - bei dieser dem Beigeladenen ungünstigsten Betrachtung - die Abstandsfläche des Vorhabens des Beigeladenen um 8 cm auf das Grundstück der Antragstellerin. Der Grenzverlauf zwischen dem Flurstück 546/2 und dem Grundstück des Beigeladenen (Flurstück 545) verläuft vom Schnittpunkt der Abstandsfläche des Eckpunktes H 1 in südliche Richtung gesehen (dem Verlauf der Gebäudewand nach Süden folgend) schräg nach Osten. Der Abstand des Gebäudes zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin vergrößert sich kontinuierlich. Der Antragsgegner hat daraus eine maximale Überschreitung der Abstandsfläche von 40 cm² errechnet. Auch wenn diese Fläche zugunsten der Antragstellerin um die bei fehlender Berücksichtigung des Rücksprungs dargestellte Erhöhung der Abstandsfläche vergrößert wird, ergibt sich eine Abstandsflächenüberschreitung im Bereich von etwa 1 m². Dass diese Überschreitung der erforderlichen Abstandsfläche nicht durch bauliche Maßnahmen bei der Vollendung des im Rohbau bereits fertiggestellten Gebäudes abgefangen werden kann, ergibt sich im summarischen Verfahren nicht. Der Beigeladene hat bereits eine entsprechende Änderung des Vorhabens angekündigt und durch seinen Architekten fachlich beurteilen lassen. Dem Vorbringen der Antragstellerin lässt sich nicht entnehmen, dass diese Planung nicht zu verwirklichen ist. Unter diesen Umständen: geringfügige Überschreitung der Mindestabstandsfläche und Möglichkeit der Beseitigung durch Veränderung des Baukörpers ist die von der Antragstellerin begehrte Verpflichtung des Antragsgegners zum Erlass einer Baueinstellungsverfügung, die das gesamte Gebäude betrifft, unverhältnismäßig und damit nicht ermessensgerecht.

50

b. Durch dieses Ergebnis wird die Antragstellerin auch nicht rechtsschutzlos gestellt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin in einem eventuellen Hauptsacheverfahren den von ihr begehrten Rechtsschutz erlangen kann. Ob und in welchem Umfang die Abstandsflächen tatsächlich nicht eingehalten worden sind, kann erst nach Abschluss der Bauarbeiten mit der erforderlichen endgültigen Sicherheit festgestellt werden. In diesem Zusammenhang kann die Antragstellerin auch unter Beweis stellen und ermitteln lassen, ob das Vorhaben des Beigeladenen entsprechend den Bauunterlagen errichtet wurde. Bei der Ermessensentscheidung der Behörde über eine Beseitigungsanordnung bei festgestellter Verletzung der Abstandsflächenvorschriften kann der Beigeladene sich nicht auf darauf berufen, dass er im Vertrauen auf eine Baugenehmigung gebaut habe, weil die Baugenehmigung nicht die Einhaltung der gesetzlichen Mindestabstandsflächen regelt oder feststellt. Der Beigeladene hat das Vorhaben in Kenntnis der Abstandsflächenproblematik errichtet und damit auf eigenes Risiko gebaut, wenn sich später herausstellt, dass das Gebäude die Mindestabstandsflächen nicht einhält. Soweit sich herausstellen sollte, dass das Gebäude abweichend von den eingereichten Bauantragsunterlagen errichtet wurde und dadurch Nachbarrechte verletzt werden, kann sich der Beigeladene ebenfalls nicht auf Vertrauensschutz berufen. Dies wäre bei der Ermessensausübung zu beachten.

51

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der anwaltlich nicht vertretene Beigeladene war im Beschwerdeverfahren nicht postulationsfähig, so dass die die Antragstellerin treffende Auferlegung seiner außergerichtlichen Kosten nicht angemessen erscheint.

52

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG.

53

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 3, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 13. Juni 2013 wird für unwirksam erklärt.

Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch ¾ und der Antragsgegner ¼ der Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf je 3.750,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller und der Beklagte haben übereinstimmend die Erledigung des Rechtstreites in der Hauptsache erklärt.

2

Ursprünglich stritten die Beteiligten um den Anspruch der Antragsteller auf bauordnungsrechtliches Einschreiten des Antragsgegners gegen den Beigeladenen.

3

Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks Flurbezirk X Flur A Flurstücke NN und PP. Das Flurstück NN ist mit einem Wohnhaus bebaut. Die Antragsteller sind zudem Miteigentümer zu 40/280 des Flurstücks RR, das als Erschließungsstrasse, die nicht öffentlich gewidmet ist, dient. Die Eintragung ins Grundbuch erfolgte am 25.05.2011.

4

Gegenüber dem Antragsgegner wurde am 11.10.2012 eine Baulasterklärung des Inhalts abgegeben, dass sich der jeweilige Eigentümer des Grundstücks Flurbezirk X Flur A Flurstück Nr. RR verpflichtet, dieses Flurstück zugunsten der Flurstücke Flurbezirk X Flur A Flurstücke TT und UU mit der gemäß § 6 LBauO M-V erforderlichen Abstandsfläche zu belasten, die aus dem auf diesen Flurstücken errichteten Einfamilienhaus resultiert. Diese Baulastfläche beträgt 32 m². Aus dem Verwaltungsvorgang ist nicht unmittelbar erkennbar, wer diese Baulasterklärung abgegeben hat; als Eigentümer sind 12 natürliche Personen und die „K. mbH“ (GmbH) angegeben. Die Unterschrift ist keiner dieser Personen zugeordnet. Eine Vollmachtsurkunde oder ein Vertretungsnachweis fehlen. Es findet sich nur die Kopie eines notariellen Kaufvertrages zwischen der GmbH und zwei natürlichen Personen u.a. über das Miteigentum an dem Flurstück RR aus dem Jahr 2010. Die Unterschrift des Vertreters der GmbH und des Bewilligenden der Baulast unterscheiden sich. Die Baulast wurde am 18.10.2012 in das Baulastenverzeichnis eingetragen. Die Antragsteller haben gegen die Baulast am 21.11.2012 Widerspruch eingelegt, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2012 (gemeint wohl 2013) zurückgewiesen hat. Zur Begründung wird angeführt, die der GmbH von den Antragstellern erteilte Vollmacht (§ 10 des Kaufvertrages) decke auch die Bewilligung einer Baulast zugunsten der Errichtung eines Wohngebäudes zugunsten eines Dritten; jedenfalls sei aus öffentlich-rechtlicher Sicht nicht erkennbar, dass die Baulasterklärung rechtswidrig abgegeben worden sei. Die Bauaufsichtsbehörde habe nicht zu prüfen, ob die Vollmacht rechtmäßig erteilt oder im vertraglichen Rahmen genutzt würde. Dagegen haben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin erhoben (2 A 345/13), über die noch nicht entschieden ist.

5

Der Beigeladene ist nach eigenen Angaben Eigentümer der Flurstücke Flurbezirk X Flur A Flurstücke TT und UU. Er beantragte am 09.10.2012 beim Antragsgegner eine Baugenehmigung zum Anbau und Sanierung des auf den Flurstücken stehenden denkmalgeschützten alten Stellwerks und Errichtung einer Garage. Der Nutzungszweck wurde nicht angegeben. Im Bauantrag gab er an, dass eine Abstandsflächenbaulast zu Gunsten des Baugrundstücks eingetragen sei. Die Flurstücke lägen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 12345. Ausweislich des Bauantrages sollte das Gebäude nicht direkt an der Grundstücksgrenze zum Flurstück RR errichtet werden, sondern mit einem geringfügigen Abstand von 32 cm zu ihr. Der Antragsgegner erteilte dem Beigeladenen am 20.02.2013 im vereinfachten Genehmigungsverfahren die beantragte Baugenehmigung unter anderem mit dem Hinweis, dass die Privatstrasse auf Flurstück RR zugunsten des Baugrundstücks mit der Baulast für die erforderliche Abstandsfläche belastet worden sei. Zugleich erteilte der Beklagte eine Befreiung gemäß § 67 LBauO M-V von der südlichen Baugrenze.

6

Die Antragsteller haben beim Verwaltungsgericht Schwerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht mit dem Ziel,

7

dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, die in Ausnutzung der Baugenehmigung des Antragsgegners vom 20.02.2013 begonnenen Bauarbeiten auf dem Baugrundstück Flurstücke TT und UU Gemarkung Flurbezirk X Flur A insoweit durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Ordnungsverfügung vorläufig einzustellen und die Bauarbeiten vorläufig stillzulegen, als das Bauvorhaben innerhalb der Abstandsflächen zum Grundstück Flurstück RR der Flur A der Gemarkung Flurbezirk X errichtet werden soll.

8

Der Antragsgegner hat beantragt,

9

den Antrag abzulehnen.

10

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

11

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 13.06.2013 abgelehnt. Ein Anspruch der Nachbarn auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sei grundsätzlich dann zu bejahen, wenn das Bauvorhaben nachbarschützende öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt und die nachbarlichen Belange mehr als nur geringfügig verletzt werden (OVG Greifswald B.v. 09.04.2003 – 3 M 1/03, juris). Die Beeinträchtigung der Antragsteller sei aber nur geringfügig. Es sei nur eine Wegeparzelle betroffen, bei der der Wegfall der Nutzung als Privatstrasse sehr unwahrscheinlich und nicht absehbar sei. Auch bei einer Interessenabwägung komme der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Die Beeinträchtigung der Antragsteller sei mehr formaler Natur, wohingegen den Beigeladenen erhebliche finanzielle Nachteile träfen. Das Bauvorhaben entspreche den Planabsichten des Plangebers und den Interessen der das Baugebiet entwickelnden Gesellschaft. Aus dem privatrechtlichen Grundstückskaufvertrag könnten sich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung oder aus Treu und Glauben unter Umständen schon privatrechtliche Pflichten ergeben, die im Ergebnis das Interesse des Beigeladenen durchsetzten.

12

Gegen diesen ihnen am 17.06.2013 zugestellten Beschluss richtet sich die am 26.06.2013 eingelegte und mit Schriftsatz vom 09.07.2013 begründete Beschwerde. Das Verwaltungsgericht verkenne die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort. Das Gebäude des Beigeladenen verschatte das Grundstück der Antragsteller und wirke optisch erdrückend. Schneeräumen zur Seite sei über die gesamte Länge des Anbaus (knapp 12 m) nicht möglich. Die Abstandsflächenverletzung ergebe den Anordnungsanspruch. Wenn der Beigeladene trotzdem baue, trage er das Risiko. Der Widerspruch gegen die Baulasteintragung entfalte aufschiebende Wirkung, so dass sich der Beigeladene und der Antragsgegner nicht auf die Baulasteintragung berufen könnten. Die Baulasterklärung sei auch nicht wirksam in ihrem Namen abgegeben worden. Die in § 10 des zwischen ihnen und der Bauträgergesellschaft geschlossenen Vertrages enthaltene Vollmacht umfasse nicht solche Baulasterklärungen, die nicht dem von den Antragstellern erworbenen Grundstück zu dienen bestimmt seien. Zivilrechtlich seien die Antragsteller nicht verpflichtet, dem Beigeladenen die Errichtung des Gebäudes zu ermöglichen.

13

Die Antragsteller haben zunächst beantragt,

14

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 13.06.2013 zu ändern und dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, die in Ausnutzung der Baugenehmigung des Antragsgegners vom 20.02.2013 begonnenen Bauarbeiten auf dem Baugrundstück Flurstücke TT und UU Gemarkung Flurbezirk X Flur A insoweit durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Ordnungsverfügung vorläufig einzustellen und die Bauarbeiten vorläufig stillzulegen, als das Bauvorhaben innerhalb der Abstandsflächen zum Grundstück Flurstück RR der Flur A der Gemarkung Flurbezirk X errichtet werden soll.

15

Der Antragsgegner hat zunächst beantragt,

16

die Beschwerde zurückzuweisen.

17

Er verteidigt den angegriffenen Beschluss unter Hinweis auf die wirksame Baulasteintragung. Der alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der GmbH sei durch § 10 des Kaufvertrages bevollmächtigt, eine entsprechende Erklärung abzugeben. Der Antragsgegner sei nicht verpflichtet gewesen, die abgegebene Erklärung auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit zu prüfen. Das öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens des Beigeladenen überwiege das Interesse der Antragsteller an der Einhaltung der Abstandsfläche.

18

Nach gerichtlichem Hinweis auf die bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Möglichkeit eines Abweichungsantrages nach § 67 LBauO und Einreichung eines solchen durch den Beigeladenen haben die Antragsteller den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt mit dem zusätzlichen Antrag, die Verfahrenskosten dem Antragsgegner aufzuerlegen und hilfsweise - für den Fall, dass der Senat zu der Auffassung kommen sollte, dass der Abweichungsantrag den Anspruch der Antragsteller auf behördliches Einschreiten nicht zu Fall bringt – den ursprünglichen Hauptantrag aufrechterhalten.

19

Der Antragsgegner hat ebenfalls den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

20

Der Beigeladene stellt keinen Antrag und verteidigt den angegriffenen Beschluss. Der Bebauungsplan für das Gebiet habe eine grenzständige Bebauung gewollt, doch habe eine genaue Vermessung ergeben, dass das im Bebauungsplan eingezeichnete Baufeld nicht direkt an der Grundstücksgrenze liege. Daher sei die Eintragung der Baulast notwendig gewesen. Die Zielsetzung des Bebauungsplanes hätte den Antragstellern bekannt sein müssen, jedenfalls aber die Absicht des Bauträgers, der GmbH, das Vorhaben des Beigeladenen verwirklichen zu können.

II.

21

Das Verfahren ist nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Hauptbeteiligten einzustellen und das Gericht hat nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

22

Nach Überzeugung des für die Entscheidung nach §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 87a Abs. 1 Nr. 3 VwGO zuständigen Berichterstatters hatte die Beschwerde auch vor Beantragung der Abweichungsentscheidung nach § 67 LBauO M-V nur geringe Aussichten auf Erfolg, denn den Antragstellern stand – wenn überhaupt – nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über ihren Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten zu. Dies ergibt sich aus den nachstehenden Überlegungen:

23

Ob sich die Beschwerde bereits deswegen als unzulässig erweist, weil der Rohbau nach den Angaben des Beigeladenen im August 2013 fertig gestellt war, ist zweifelhaft. Der Senat hat allerdings in seiner bisherigen Rechtsprechung mit der h.M. die Rechtsauffassung vertreten, dass ein Rechtsschutzinteresse an einer Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entfallen ist, wenn eine bauliche Anlage im Rohbau fertig gestellt worden ist und die Rechte des Antragstellers nur durch die bauliche Anlage als solche, nicht aber durch ihre Nutzung beeinträchtigt werden (OVG Greifswald B.v. 31.5.1994 -3 M 11/94, NVwZ 1995, 400). Im Rahmen der nach § 161 Abs. VwGO nur möglichen und gebotenen überschlägigen Würdigung der Sach- und Rechtslage durch den Berichterstatter muss offen bleiben, ob an dieser Rechtsprechung festgehalten werden soll (vgl. OVG Berlin-Brandenburg B.v. 18.09.2013 – 2 S 60/13, juris unter Hinweis auf OVG Münster B.v. 17.10.2000 – 10 B 1053/00, juris). Für eine andere Auffassung könnte sprechen, dass der Bauherr durch die Fertigstellung der baulichen Anlage im Sinne einer Nutzbarmachung die rechtswidrige Situation weiter verfestigen und so die Anforderungen einer eventuellen Beseitigungsverfügung zu seinen Gunsten verändern kann. Hingegen ist der Antragsteller nur begrenzt in der Lage, die rechtliche Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen, weil er auf die Dauer der Entscheidungsfindung des Gerichts ebenso wenig Einfluss hat wie auf die Errichtung der baulichen Anlage. Ob dem Nachbarn die Überlegung zugute kommen kann, dass in einem Fall der Erledigung des Eilrechtschutzverfahrens wegen Fertigstellung des Rohbaus die Anforderungen an die Ermessensentscheidung über die Beseitigungsverfügung in der Weise herabgesetzt werden, dass in der Regel von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen wird, wird der Senat erneut zu bedenken haben. Diese Überlegung verlagert die fortdauernde Rechtsbeeinträchtigung des Nachbarn auf der einen Seite und die Nutzung der rechtwidrig errichteten baulichen Anlage auf der anderen Seite durch den Bauherrn in das Vollstreckungsverfahren. In dieser einem Wettlauf ähnelnden Situation könnte es einer angemessenen Risikoverteilung entsprechen, wenn das Rechtsschutzinteresse nicht bereits dann entfällt, wenn nur der Rohbau fertig gestellt ist.

24

Diese für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO geltenden vorläufigen Überlegungen könnten auch auf das einstweilige Anordnungsverfahren auf Erlass einer vorläufigen Baueinstellungsverfügung übertragen werden. Auch hier geht es letztlich darum, dass im Sinne effektiven Rechtsschutzes verhindert werden muss, dass ein Bauherr sich durch die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens Vorteile verschafft, in dem er den Nachbarn vor vollendete Tatsachen stellt, die später nur unter besonderen Anforderungen rückgängig gemacht werden können. Das Rechtsschutzinteresse könnte bei Zugrundelegen dieser Überlegungen bei einer beantragten vorläufigen Baueinstellungsverfügung allenfalls dann entfallen, wenn die bauliche Maßnahme endgültig abgeschlossen ist, weil eine Baustilllegung dann ins Leere läuft.

25

Die Beschwerde hätte mit dem Ziel der Verpflichtung zur vorläufigen Einstellung der Bauarbeiten und Stilllegung der Baustelle keinen Erfolg gehabt. Zwar lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Baueinstellungsverfügung nach § 79 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V vor. Danach kann die Bauaufsichtbehörde die Einstellung der Bauarbeiten anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgen. So liegt der Fall hier. Der Berichterstatter ist bei der im summarischen Verfahren nur eingeschränkt möglichen Prüfung der Sach- und Rechtslage der Überzeugung, dass die Bewilligung der Baulast gegenwärtig nicht vollzogen werden kann, d.h. auch keine Rechtswirkungen auslöst, so dass das vom Beigeladenen geplante und teilweise verwirklichte Vorhaben nicht den nach § 6 Abs. 5 LBauO M-V notwendigen Abstand zur Grundstücksgrenze einhält.

26

Nach den Baugenehmigungsunterlagen ist das Gebäude nicht an die Grundstücksgrenze gebaut worden, sondern hält einen Abstand von 32 cm zur Grundstücksgrenze ein. Das Bauwerk kann daher unabhängig von der Frage, ob nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes an die Grenze gebaut werden darf, nicht die Privilegierung des § 6 Abs. 1 Satz 3 LBauO M-V für sich in Anspruch nehmen. Weil es mit dem genannten Grenzabstand auch nicht die erforderliche Mindestabstandsfläche von 3 m einhält, bedarf es für die Beanspruchung des Nachbarflurstücks RR des Eintrages einer entsprechenden Baulast.

27

Die Eintragung einer entsprechenden Baulast in das Baulastenverzeichnis ist erfolgt. Die Eintragung wirkt nach § 83 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V konstitutiv. Durch sie wird die öffentlich-rechtliche Belastung des Grundstücks des Baulastverpflichteten wirksam. Es handelt sich daher um einen Verwaltungsakt, den von dem belasteten Grundstückseigentümer jedenfalls mit der Begründung angefochten werden kann, bei der Eintragung in das Baulastenverzeichnis hätten die Voraussetzungen einer wirksamen Baulastbewilligung nicht vorgelegen. Hier haben die Antragsteller gegen die Eintragung der Baulast erfolglos Widerspruch eingelegt und Klage erhoben mit der Begründung, die Bewilligung der Baulast sei durch einen vollmachtlosen Vertreter erfolgt und die Eintragung daher rechtswidrig erfolgt. Die dadurch nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgelöste aufschiebende Wirkung bewirkt, dass aus der Baulast keine Rechtsfolgen abgeleitet werden dürfen, so dass gegenwärtig die Abstandsfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen liegen muss.

28

Die Klage gegen die Eintragung der Baulast ist auch nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Es bestehen gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bewilligungserklärung, die zu der Eintragung geführt hat. Die Bewilligung einer Baulast erfolgt nach § 83 Abs. 1 LBauO durch eine Erklärung des Grundstückseigentümer. Steht das Grundstück im Miteigentum mehrerer Personen, bedarf es der Bewilligung durch alle Miteigentümer. Die Antragsteller persönlich haben die Baulast nicht bewilligt, sondern die Bewilligung ist mutmaßlich und hier einmal unterstellt durch den alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH erklärt worden. Zweifel bestehen allerdings an der Personenidentität, weil sich die Unterschriften auf der Bewilligung und unter dem nachgehend angesprochenen Kaufvertrag deutlich unterscheiden.

29

Der Geschäftsführer der GmbH hat sich mutmaßlich gegenüber dem Antragsgegner auf eine Bevollmächtigung durch die Antragsteller berufen, die sich aus dem zwischen ihnen und der GmbH abgeschlossenen Vertrag ergeben soll. Dieser Vertrag befindet sich nicht bei den Verwaltungsvorgängen über die Bewilligung der Baulast. In den Verwaltungsvorgängen findet sich aber ein Vertrag zwischen der GmbH und anderen Personen, die in der näheren Umgebung des Baugrundstücks und des Grundstücks der Antragsteller Eigentum erworben haben und auch Miteigentümer an dem Flurstück RR geworden sind, so dass anzunehmen ist, dass der Antragsgegner davon ausging, dass zwischen den Antragstellern und der GmbH ein hinsichtlich der Bevollmächtigung gleichlautender Vertrag geschlossen worden ist. Die entsprechende Vertragsbestimmung lautet:

30

㤠10 Dienstbarkeiten/Baulasten/Hinweise

31

Zur Ver- und Entsorgung des Bauvorhabens bzw. zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften wird es ggf. erforderlich werden, Grunddienstbarkeiten, Baulasten und ggf. beschränkt persönliche Dienstbarkeiten zur Eintragung zu bringen, insbesondere Wege- und Fahrrechte, Leitungsrechte für Frischwasser, Abwasser, Wärmeversorgung, Telekommunikationsanlagen, Strom etc..

32

Der Käufer bevollmächtigt hiermit den Verkäufer, und zwar unter Befreiung von den Einschränkungen des § 181 BGB, die Dienstbarkeiten und Baulasten, die für die Ver- und Entsorgung des Bauvorhabens sowie zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften erforderlich oder zweckmäßig sind, zu bestellen und zur Eintragung zu bringen. Den Inhalt bestimmt der Verkäufer gemäß § 315 BGB. Auch diese Belastungen werden vom Käufer übernommen.

33

( )“.

34

Dieser notariell beurkundeten Vollmachtserklärung ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass sie auch die Bewilligung von Baulasten zugunsten von Bauvorhaben Dritter umfasst. Der Wortlaut lässt dies zwar zu, ebenso lässt er aber das Verständnis der Antragsteller zu, dass die Bewilligung von Baulasten nur in dem Umfang Gegenstand der Vollmacht ist, wie sie zur Verwirklichung der von den Antragstellern beabsichtigen Baumaßnahmen notwendig ist. Es liegt jedenfalls nicht nahe und ist aus dem Wortlaut nicht zwingend ableitbar, dass die Antragsteller als Vollmachtgeber den Vollmachtnehmer ermächtigen, zu ihren Lasten Vorhaben Dritter genehmigungsfähig zu machen. Die erteilte Vollmacht bedarf zur Klärung ihres Umfanges der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB. Dafür ist neben dem Wortlaut vorrangig der systematische Zusammenhang mit den übrigen Vertragsbestimmungen heranzuziehen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der objektivierte Empfängerhorizont maßgebend ist. Die Überlegung des Antragsgegners, er müsse bei der Entgegennahme der Bewilligung bzw. bei der Eintragung der Baulast nicht die Wirksamkeit der Willenserklärung oder hier der Vollmacht oder deren Umfang prüfen, so dass die Eintragung unbeschadet etwaiger Mängel bei der Abgabe der Willenserklärung unangreifbar wirksam sei, trifft nicht zu. Es gehört wegen des konstitutiven Charakters der Eintragung zu den Pflichten der Behörde zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den darin liegenden Verwaltungsakt vorliegen, insbesondere ob eine wirksame Bewilligung abgegeben wurde. Dies gilt umso mehr, als hier nicht der Eigentümer, sondern ein Dritter in Vollmacht handelte. Wirksamkeit und Umfang der Vollmacht sind zu prüfen, ebenso die formellen Voraussetzungen an die Vollmachtsurkunde, die sich § 83 Abs. LBauO M-V ergeben (vgl. OVG Saarlouis U.v. 29.08.2000 – 2 R 7/99, juris).

35

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass das Gebäude des Beigeladenen unter Verletzung des § 6 Abs. 5, Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V errichtet worden ist. Weil sich die von dem Gebäude in Anspruch genommene Abstandsfläche auf ein Flurstück erstreckt, dass im Miteigentum der Antragsteller steht, sind diese in ihren Rechten verletzt.

36

Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Anspruch auf Baueinstellung in aller Regel bereits dann zu bejahen, wenn absehbar ist, dass ein Vorhaben gegen nachbarschützende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (B.v.09.04.2003 – 3 M 1/03, juris; vgl. Decker in Simon BayBO 2008 Art. 75 Rn. 147). Der Senat hat aber offen gelassen, ob zusätzlich erforderlich ist, dass ein bestimmtes Maß an Rechtsbeeinträchtigung des Nachbarn erforderlich ist. In der Rechtsprechung wird eine mehr als nur geringfügige Betroffenheit in eigenen Rechten für eine Ermessenreduzierung auf Null verlangt (VGH Mannheim B.v.26.10.1994 – 8 S 2763/94, BauR 1995, 219; vgl die Rechtsprechungsnachweise bei Decker in Simon BayBauO 2008 Art. 76 Rn. 489 ff.). Der Berichterstatter folgt dieser Rechtsauffassung. Mit Rücksicht darauf, dass auch beim intendierten Ermessen eine Ermessensentscheidung zu treffen ist, bei der aber das Gewicht der gegenläufigen Interessen in weitem Umfang zu Lasten des sich rechtswidrig Verhaltenden festgelegt ist, führt eine nur geringfügige Verletzung in eigenen Rechten zu dem Ergebnis, dass eine Ermessensreduzierung auf Null fehlt und sich der nachbarliche Anspruch auf die ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Einschreiten reduziert. Es ist in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob eine nur geringfügige Verletzung in eigenen Rechten vorliegt. Dabei ist auch zu bedenken, dass keine zu strengen Anforderungen an die Überschreitung der Geringfügigkeitsschwelle gestellt werden dürfen, um zu verhindern, dass subjektive Rechte nicht mehr verteidigt werden können.

37

Im vorliegenden Fall werden die Antragsteller nur geringfügig in ihrem Eigentumsrecht an dem mit der Baulast belasteten Grundstück verletzt. Der Fall zeichnet sich dadurch aus, dass zum einen die Abstandsfläche auf einem Flurstück liegt, dass wirtschaftlich nur zu einem Anteil von 1/7 im Eigentum der Antragsteller steht und das zum anderen als für die innere Erschließung notwendiges Strassengrundstück verwendet wird. Es ist auch auf längere Sicht nicht absehbar, dass diese Nutzung aufgegeben werden wird. Eine andere Nutzung kann als wesentliche Änderung nicht durch Mehrheit beschlossen werden (§ 745 Abs. 3 BGB). Die in der Verletzung des Abstandsflächenrechts liegende Rechtsbeeinträchtigung wirkt sich in der Nutzungsmöglichkeit des allein betroffenen Flurstücks RR tatsächlich kaum aus, weil mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass auf diesem Flurstück eine bauliche Anlage errichtet werden wird. Das Flurstück NN wird von der Abstandsfläche der baulichen Anlage des Beigeladenen nicht berührt und muss bei der rechtlichen Betrachtung unberücksichtigt bleiben. Auch der Schutzzweck des § 6 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V wird im konkreten Fall nicht berührt. Soweit die Antragsteller eine erdrückende Wirkung behaupten, Verschattung gelten machen und ein erschwertes Schneeräumen geltend machen, ist ihr Vortrag entweder unsubstantiiert (erdrückende Wirkung), oder der Schutzzweck der verletzten Norm erfasst die Beeinträchtigung des Flurstücks NN nicht (Schattenwurf) oder betrifft rechtlich nicht geschützte Interessen (Schneeräumen: die Antragsteller wollen anscheinend den Schnee von der Strasse auf das Grundstück des Beigeladenen schieben/abladen). Unter diesen Umständen haben die Antragsteller keinen Anspruch auf den Erlass der begehrten Baustilllegungsverfügung.

38

Die Antragsteller hätten daher grundsätzlich gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung. Dieser Anspruch wäre nicht daran gescheitert, dass die Antragsteller vor Einleitung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens keinen Antrag bei der Behörde auf Baustilllegung gestellt haben. Ein solcher Antrag ist regelmäßig erforderlich, weil dies der schnellere und einfachere Weg ist, um den begehrten Verwaltungsakt zu erlangen. Im vorliegenden Fall hat sich der Antragsgegner im Widerspruchsverfahren gegen die Eintragung der Baulast dahingehend positioniert, dass er die Eintragung der Baulast für rechtmäßig hält. Unter diesen Umständen ist ein Antrag auf Entscheidung über die Baustilllegung von vorneherein ohne Aussicht auf Erfolg, weil der Antragsgegner bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung über das Einschreiten verneint hat.

39

Es spricht aber manches dafür, dass die Ermessensentscheidung des Antragsgegners rechtsfehlerfrei nur zu Ungunsten der Antragsteller hätte ergehen können. Zwar löst der Widerspruch gegen die Eintragung der Baulast die aufschiebende Wirkung aus, so dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Errichtung des Gebäudes durch den Beigeladenen nicht vorliegen und – wie dargelegt - der Antragsgegner nach pflichtgemäßen Ermessen über ein Einschreiten zu entscheiden gehabt hätte. Dabei hätte er maßgeblich zu berücksichtigen müssen, dass der Grad der rechtswidrigen Beeinträchtigung der Antragsteller zum einen flächenmäßig gering ist und zum anderen auch deswegen, weil es sich um eine zur Erschließung des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks der Antragsteller erforderliche Wegefläche handelt, die aus diesem Grund auf absehbare Zeit nicht bebaut werden kann, so dass die Beanspruchung von Abstandsflächen auf diesem Wegegrundstück ausnahmsweise nicht in die Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts eingreift. Auch wenn diesen Ermessensgesichtspunkten gegenübergestellt wird, dass möglicherweise die Bewilligung der Baulast ohne entsprechende Bevollmächtigung erfolgt ist, spricht vieles dafür, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehlerfrei (wohl nur) zugunsten des Beigeladenen ausüben hätte können.

40

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 GKG und §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

41

Hinweis:

42

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 10. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung, die der Antragsgegner dem Beigeladenen erteilt hat.

2

Der Beigeladene ist nach eigenen Angaben Eigentümer des Flurstücks B der Flur C der Gemarkung A. Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben Eigentümerin des benachbarten Anwesens mit der Straßenbezeichnung B.straße 6. Dieses besteht aus zwei Flurstücken, für die eine Vereinigungsbaulast bestellt ist (Flurstücke D und E) und ist bebaut mit einem Wohnhaus, dessen Firsthöhe 6,80 m beträgt. Ein spitzgiebeliger Eingangsbereich überragt die Dachfläche des Segmentbodengiebels. In der B.straße finden sich nach einer Aufstellung des Antragsgegners mehrere denkmalgeschützte Wohngebäude. Die maximale Traufhöhe der Bebauung in der B.straße beträgt 10,60 m und die maximale Firsthöhe 15 m. Mehr als drei Geschosse finden sich nach dieser Auflistung in keinem der vorhandenen Gebäude. In der C.straße erreicht ein Haus eine Firsthöhe von 16,00 m; die Traufhöhe und die Zahl der Geschosse ist nirgendwo höher als in der B.straße. Gleiches gilt für die D.straße, in der die maximale Firsthöhe 14,00 m beträgt.

3

Der Beklagte erteilte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung, die in der Fassung des ersten Nachtrages vom 07.08.2009 folgendes Bauvorhaben zum Gegenstand hat: es soll ein Wohnhaus errichtet werden, das neben einem Kellergeschoss, das mit einer Höhe von 1,20 m aus dem Erdboden herausragt, drei Geschosse und einen Spitzboden aufweist. Die natürliche Geländehöhe wird mit 14,60 HN in den Bauzeichnungen angegeben. Die Oberkante des dritten Geschosses endet bei 12,95 m, wobei die östliche Außenwand des dritten Geschosses um 13 cm zurückspringt. Die Traufhöhe wird mit 14,30 m über OFF (entspricht 15,50 m über Gelände) angegeben. Diese wird gemessen am Schnittpunkt der Dachhaut über dem Spitzboden mit der Außenwand des Spitzbodens. Die Firsthöhe beträgt 17,50 m über Gelände. Nach den vorgelegten Bauunterlagen beträgt der Abstand des geplanten Gebäudes zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin an der schmalsten Stelle 5,65 m.

4

Die Antragstellerin wurde am Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt. Sie legte gegen die Baugenehmigung in der Fassung des ersten Nachtrages am 04.11.2009 Widerspruch ein. Über den Widerspruch ist bislang nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner ab, weil die Baugenehmigung offensichtlich rechtmäßig sei. Die von der Antragstellerin als verletzt gerügten Abstandsflächen seien - wie sich aus Nachmessungen am Rohbau ergeben hätte - eingehalten. Das Gebäude sei auch nicht rücksichtslos.

5

Die Antragstellerin beantragte am 03.12.2009 beim Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz. Das Bauvorhaben füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Diese sei davon geprägt, dass der Hauseingang auf einer Gebäude(längs)seite liege und der Wohnbereich zur anderen Gebäudeseite ausgerichtet sei. So schaue der jeweilige Wohnbereich auf den Eingangsbereich des Nachbarn. Dem entspreche das Bauvorhaben des Antragstellers nicht. Es weise auf der zum Grundstück der Antragstellerin gerichteten Gebäudeseite insgesamt acht Fenster auf, so dass der Rückzugsraum auf diesem Grundstück unter Beobachtung stehe und wegfalle. Das Vorhaben hause das Grundstück der Antragstellerin ein. Die Grenzgarage verstärke diesen Eindruck. Die Abstandsfläche zum Grundstück der Antragstellerin sei nicht eingehalten. Die bei der Nachmessung von der Behörde vorgegebene Grundstückshöhe von 14,70 m sei willkürlich. Die Berechnungen der Abstandsfläche beruhten auf fehlerhaften Zahlen, weil unterschiedliche Höhensysteme HN und NN verwendet worden seien. Zudem seien die Höhenangaben in den Schnittzeichnungen des ersten Nachtrages nicht nachvollziehbar, weil die Erhöhung der OKG um 20 cm nicht berücksichtigt worden sei. Der Rücksprung sei rechtlich unbeachtlich. Der Rohbau sei tatsächlich um 0,755 m höher ausgefallen als genehmigt.

6

Die Antragstellerin hat beantragt,

7

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 29.04.2009 in Gestalt des ersten Nachtrages vom 07.08.2009 anzuordnen,

8

dem Beigeladenen vorläufig bei Meidung eines festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe bis zu 250.000 EUR aufzugeben, die Bauarbeiten einstweilen, längstens bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag, einzustellen und

9

hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, einen vorläufigen Baustopp gegenüber dem Beigeladenen auszusprechen.

10

Der Beklagte hat die Nachmessungen im Widerspruchsverfahren und die dort ermittelten Höhenwerte erläutert und verteidigt.

11

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 10.12.2009 die Anträge abgelehnt. Ein Abwehrrecht der Antragstellerin aus dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme aus § 34 BauGB liege erst vor, wenn der Verstoß gegen das Einfügen bei den Merkmalen Vollgeschoss und Gebäudehöhe schwer und unerträglich sowie unzumutbar beeinträchtigend sei. Dies sei nicht zu erkennen. Jedenfalls in der C.straße befinde sich ein noch höheres Gebäude und die Überschreitung der vorhandenen Geschosszahl sei als solche keine unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbarschaft. Das Vorhaben wirke auch nicht erdrückend. Eine Verletzung der Abstandsflächen durch die Baugenehmigung liege nicht vor. Allerdings verletze der abweichend von der Baugenehmigung errichtete Rohbau geringfügig die erforderlichen Abstandsflächen. Wegen der Fertigstellung des Rohbaus scheide eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung eines vorläufigen Baustopps aus. Ein solcher Baustopp sei zudem unverhältnismäßig. Der Beigeladene könne die Abstandsflächen durch noch mögliche Veränderungen am Rohbau einhalten. Eine Verurteilung des Beigeladenen zur Einstellung der Bauarbeiten sei nicht möglich.

12

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht im wesentlichen geltend, ihr stehe ein Gebietserhaltungsanspruch zur Seite. Auch die vom Verwaltungsgericht nicht beachtete Erhaltungssatzung räume ihr einen solchen Anspruch ein. Wegen der Überschreitung des Maßes der baulichen Nutzung, wie es in der näheren Umgebung zu finden sei, und der dadurch hervorgerufenen Störung des Ortsbildes werde sie in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Auch die Verletzung der Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse könne sie als subjektives Recht geltend machen. Sie verliere durch die Einsichtsmöglichkeiten vom Vorhaben in ihren Wohnbereich den erforderlichen Schutz ihrer Privatsphäre. Das Vorhaben habe auch deshalb erdrückende Wirkung. Selbst wenn die Abstandsflächen eingehalten sein sollten, folge daraus nicht, dass das Vorhaben dem Gebot der Rücksichtnahme entspreche. Die städtebaulichen Abstandsflächen seien von denen des Bauordnungsrechts zu unterscheiden, zudem sei durch die Verringerung der bauordnungsrechtlichen Mindestabstände die frühere Rechtsprechung zu diesem Punkt nicht mehr anwendbar. Die erforderlichen Abstandsflächen seien nicht eingehalten. Die Einhaltung der Abstandsflächen sei von dem Antragsgegner geprüft und damit zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht worden. Das Ermessen des Antragsgegners sei auf den Erlass eines Baustopps reduziert, weil anders rechtmäßige Zustände nicht hergestellt werden könnten.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

14

den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und nach den bisherigen Anträgen zu 1. und 3. zu beschließen.

15

Der Antragsgegner beantragt,

16

die Beschwerde zurückzuweisen.

17

Er ist der Auffassung, das Rechtschutzinteresse der Antragstellerin an dem beantragten Baustopp sei nach Fertigstellung des Rohbaus entfallen. Die Abstandsflächen seien eingehalten; zu Lasten der Antragstellerin könne maximal eine Überschreitung der Mindestabstandsfläche von 40 cm² angenommen werden. Das Vorhaben des Beigeladenen sei weder unter dem Gesichtspunkt der Art noch dem des Maßes der baulichen Nutzung rücksichtlos. Gleiches gelte für die Verschattung und die Einsichtnahmemöglichkeit. Eine erdrückende Wirkung gehe von dem Vorhaben nicht aus. Die Erhaltungssatzung begründe kein subjektives Recht der Antragstellerin.

18

Der anwaltlich nicht vertretene Beigeladene hat sich über seinen Architekten zur Akte gemeldet.

19

Der Senat hat am 05.01.2010 das Vorhaben und die nähere Umgebung in Augenschein genommen und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.

II.

20

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

21

A. Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde ist nicht deswegen unzulässig, weil zwischenzeitlich der Rohbau der genehmigten baulichen Anlage fertig gestellt wurde. Allerdings hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, mit der Fertigstellung des Rohbaus einer genehmigten baulichen Anlage entfalle das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz, wenn die Verletzung subjektiver Rechte des Nachbarn allein durch den Baukörper ausgelöst wird (so bereits B. v. 22.03.1994 - 3 M 66/93; B. v. 31.05.1994 - 3 M 11/04 -, NVwZ 1995, 400). Der Senat hat aber in den genannten Beschlüssen auch ausgeführt, dass anderes gelte, wenn auch die Nutzung der baulichen Anlage eine Verletzung subjektiver Rechte der Nachbarn bewirkt und beispielhaft die Einsichtsmöglichkeiten in den Ruhebereich eines Hausgrundstücks benannt (vgl. weiter Beschluss des Senats v. 17.01.2005 - 3 M 37/04 -, BRS 69 [2005] Nr. 134). Aus dieser bisherigen ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 19.08.2009 - 3 M 127/09), an der der Senat festhält, ergibt sich für den hier zu entscheidenden Einzelfall, dass die Fertigstellung des Rohbaus nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Antragstellers führt. Ausweislich der Baugenehmigung weist die zum Grundstück der Antragstellerin gerichtete Wand des Vorhabens eine Reihe von Fenstern in jedem Geschoss auf, durch die Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück der Antragstellerin eröffnet werden. Unabhängig von der Frage der Einhaltung der Abstandsflächen macht die Antragstellerin geltend, das streitbefangene Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein. Angesichts dieses substantiierten Vorbringens kann nicht mit Wirkung der Verneinung des Rechtsschutzinteresses angenommen werden, eine Verbesserung der Rechtslage könne die Antragstellerin im Eilverfahren nicht mehr erreichen.

22

Der vorliegende Fall gibt dem Senat keine Veranlassung zur Entscheidung, ob zukünftig an dieser Rechtsprechung festgehalten wird oder gewichtigen Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur (VGH Mannheim, B. v. 07.03.1995 - 3 S 174/95 - NVwZ-RR 1995, 488; OVG Münster, B. v. 17.10.2000 - 10 B 1053/00 - BRS 63 Nr. 198; OVG Bautzen, B. v. 09.09.1994 - 1 S 259/94 - BRS 56 Nr. 115; Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 80a Rdn. 67; alle zit. nach OVG Berlin-Brandenburg B. v. 23.03.2006 - 10 S 21.05 -, juris) zu folgen ist, dass erst eine weitgehende oder endgültige Fertigstellung des baulichen Vorhabens das Rechtsschutzinteresse entfallen lässt.

23

Der Senat sieht auch im vorliegenden konkreten Einzelfall keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine prozessuale Verwirkung des nachbarlichen Anfechtungsrechts wegen einer erst im Zeitpunkt der weitgehenden Errichtung des Rohbaus erfolgten Widerspruchseinlegung und Beantragung gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes. In den Fällen, in denen - wie hier - die einmonatige Widerspruchsfrist des § 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen beginnt, weil die Baugenehmigung dem Nachbarn nicht bekannt gegeben worden ist, gelten die folgenden Grundsätze (vgl. Beschluss des Senats vom 14.07.2005 - 3 M 69/05 -, NordÖR 2005, 424):

24

Das Rechtsverhältnis zwischen - wie hier - unmittelbar benachbarten Grundstückseigentümern ist durch ein besonderes nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis gekennzeichnet, das nach Treu und Glauben besondere Rücksicht der Nachbarn aufeinander fordert. Der Nachbar des Bauherrn ist danach verpflichtet, durch zumutbares aktives Verhalten mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst gering zu halten. Hat er von der dem Bauherrn erteilten Baugenehmigung, obwohl sie ihm nicht bekanntgegeben worden ist, auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt, muss er sich in aller Regel nach Treu und Glauben bezüglich der Widerspruchseinlegung so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung amtlich bekannt gegeben worden. Die Frist zur Einlegung des Widerspruchs richtet sich daher für ihn vom Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung an regelmäßig nach den Fristvorschriften der § 70 Abs. 2, § 58 Abs. 2 VwGO, d.h. er muss seinen Widerspruch - da ihm eine amtliche Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt worden sein wird - regelmäßig innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einlegen. Gleiches gilt für den Fall, dass der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis hätte haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen der Genehmigung aufdrängen musste, und weil es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber - etwa durch Anfrage bei dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde - Gewissheit zu verschaffen. Dann beginnt für ihn die Frist der §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO für die Einlegung des Widerspruchs von dem Zeitpunkt an zu laufen, in dem er zuverlässige Kenntnis von der Genehmigung hätte erlangen müssen. Allerdings kann es sich dabei nur um solche Zeitpunkte handeln, die zeitlich der Genehmigung nachfolgen, denn die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO kann frühestens mit der Erteilung der Baugenehmigung in Lauf gesetzt werden (OVG Weimar, U. v. 26.02.2002 - 1 KO 305/99 -, BRS 65 Nr. 130). Überdies setzt die Verwirkung des prozessualen nachbarlichen Abwehrrechts voraus, dass der Betroffene die Rechtsverletzung erkannt hat oder jedenfalls hätte erkennen müssen, d.h. es kommt für den Fristbeginn auf die hinreichende Erkennbarkeit eines Eingriffs in seine geschützte Rechtsstellung an. Dabei kann auch ein Nachbar zunächst einmal von rechtmäßigem Verwaltungshandeln ausgehen und es kann ihm nicht angesonnen werden, gleichsam auf Verdacht Bautätigkeit auf dem benachbarten Grundstück zum Anlass zu nehmen, sich über den Inhalt einer Baugenehmigung kundig zu machen (OVG Saarlouis, B. v. 19.09.1997 - 2 V 10/97 -, BRS 59 Nr. 111). Die Nichterweislichkeit des Verwirkungstatbestandes geht zu Lasten desjenigen, der sich auf diesen Ausnahmetatbestand beruft (VG Potsdam, U. v. 26.10.2000 - 5 K 2871/99 -, zitiert nach juris).

25

Die Antragstellerin macht geltend, dass das Maß der baulichen Nutzung und die Problematik der Einhaltung der Abstandsflächen erst Ende Oktober 2009 erkennbar geworden sei, als das 3. Geschoss errichtet wurde. Sie habe nach zeitnaher Einsicht in die Baugenehmigungsakte am 04.11.2009 Widerspruch eingelegt. Unter diesen Umständen, die der Antragsgegner nicht substantiiert in Frage gestellt hat, ergibt sich keine prozessuale Verwirkung.

26

B. Die Beschwerde führt aber nicht zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses, weil sich aus der für die Entscheidung maßgebenden Beschwerdebegründung nicht ergibt, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts fehlerhaft ist.

27

1. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.

28

a. Die Beschwerde macht zunächst geltend, die Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil sich das Vorhaben nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfüge. Dadurch verletze die Baugenehmigung zum einen den sich aus § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. der Erhaltungssatzung der Stadt Neubrandenburg vom 17.11.1994 ergebenden Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin und verletze sie zum anderen in ihrem Anspruch auf Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 1 BauGB.

29

aa. Die Antragstellerin leitet - so kann die Beschwerdebegründung verstanden werden - aus der Rechtsprechung des BVerwG einen Gebietserhaltungsanspruch, der konkrete Beeinträchtigungen nicht voraussetzt, auch für den Fall ab, dass sich das Vorhaben zwar nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, nicht aber nach dem Maß der baulichen Nutzung. Die Antragstellerin stützt sich dabei insbesondere auf das Urteil des BVerwG vom 16.09.1993 (4 C 28/91 - BVerwGE 94, 151). Der Senat entnimmt - anders als die Antragstellerin - dieser Entscheidung nicht die Rechtsauffassung, dass auch das Maß der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich Drittschutz vermittelt. Das BVerwG hat in der genannten Entscheidung eingangs seiner Überlegung zum Nachbarschutz verdeutlicht, dass die Gemeinde bezüglich des Nachbarschutzes grundsätzlich frei ist und regelmäßig selbst entscheidet, ob eine Festsetzung im Bebauungsplan auch zum Schutze Dritter ergeht. Die Festsetzungen eines Bebauungsplanes sind nicht bereits deshalb drittschützend, weil sie die Grundstückseigentümer im Bebauungsplangebiet Nutzungsvorgaben unterwerfen und diese dies nur hinnehmen müssen, weil es sich um für alle geltende Regelungen handelt mit der Folge, dass der einzelne die Befolgung einklagen kann. Dies muss, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, auch für den unbeplanten Innenbereich gelten. Für die Art der baulichen Nutzung allerdings hat das BVerwG im Wege einer Ausnahme von dem dargestellten Grundsatz einen generellen Drittschutz bejaht, der sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergebe. Zudem verweise § 34 Abs. 2 BauGB nicht mehr auf das Einfügensgebot, sondern ausschließlich auf die Regelungen der BauNVO. Daraus lässt sich der Rechtssatz entnehmen, dass nur dann und soweit das im Begriff des Einfügens enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot im unbeplanten Innenbereich nicht gilt, eine den Festsetzungen der Baunutzungsverordnung entsprechende faktische Bebauung generell drittschützende Wirkung entfalten kann. Für das Maß der baulichen Nutzung gilt dies nicht: dieses ist für den unbeplanten Innenbereich in § 34 Abs. 1 BauGB erfasst. Die Norm vermittelt den Drittschutz über das Tatbestandsmerkmal des Einfügens und damit über das subjektive Recht auf Rücksichtnahme. Drittschutz gegen ein sich nicht einfügendes Maß der baulichen Nutzung setzt voraus, dass dadurch eine den Nachbarn unzumutbar beeinträchtigende Situation entsteht.

30

bb. Soweit der Beschwerdebegründung die Rechtsauffassung entnommen werden kann, aus § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB i.V.m. § 172 BauGB und der darauf fußenden Erhaltungssatzung der Stadt N vom 17.11.1994 ergebe sich eine Regelung der Gebietsart im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, vermag der Senat diesem Gedanken nicht zu folgen. Die Bestimmung des § 172 BauGB findet sich im ersten Abschnitt des sechsten Teils des BauGB und damit innerhalb des BauGB in einem völlig anderem systematischen Zusammenhang als § 34 BauGB, der sich im Ersten Abschnitt des dritten Teils findet. Die Erhaltungssatzung, die im sechsten Teil des BauGB geregelt ist, ist ein eigenständiges Rechtsinstitut, als dessen Rechtsfolge eine spezielle Genehmigung erforderlich ist (§ 172 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Im übrigen ist das Ortsbild ungeeignet, eine Gebietsart im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB, die sich nur auf die nähere Umgebung erstrecken kann, zu prägen, weil es einen größeren Bereich erfasst als die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (vgl. BVerwG U. v. 11.05.2000 - 4 C 14/98 -, NVwZ 2000, 1169). Eine rechtliche Verbindung zu § 34 Abs. 1 BauGB lässt sich den einschlägigen Normen auch dann nicht entnehmen, wenn berücksichtigt wird, dass §34 Abs. 1 Satz 2 BauGB das Ortsbild als vor einer Beeinträchtigung zu schützen regelt. Darin mag ein identischer Schutzgegenstand gesehen werden, doch ist der Gesetzgeber frei, für diesen unterschiedliche Schutzsysteme zu ermöglichen, ohne dass dies erlaubt, ohne Gesetzebefehl eine gegenseitige rechtliche Wechselwirkung anzunehmen.

31

Im Übrigen enthält § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB keine drittschützenden Regelungen (vgl. BVerwG U. v. 23.05.1986 - 4 C 34/85 -, NVwZ 1987, 34; BVerwG B. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98 -, BRS 62 Nr. 102). Daher ergibt sich auch aus den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse kein Drittschutz.

32

cc. Soweit der Beschwerde der Vortrag entnommen werden kann, das Vorhaben des Beigeladenen verstoße gegen das in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung, führt dies nicht zum Erfolg der Beschwerde.

33

Nach Auffassung des Senats, die er auch auf das Ergebnis des Augenscheins stützt, fügt sich das Vorhaben des Beigeladenen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Bei der Konkretisierung des Begriffs der näheren Umgebung muss die Umgebung einmal insoweit berücksichtigt werden, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei muss zwar die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden, und es muss alles außer acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint; aber es darf doch nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muss auch die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt werden, als auch sie noch prägend auf dasselbe einwirkt (BVerwG U. v. 18.10.1974 - BVerwG IV C 77.73 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 4 5 S 111 (114)).

34

Nach dieser Vorgabe erstreckt sich die nähere Umgebung entlang der B.straße, umfasst den südlichen Teil der C.straße und den nordwestlichen Teil der D.straße jeweils mit der dort befindlichen Bebauung sowie die Fläche zwischen der Bebauung entlang des nordwestlichen Teils der D.straße bis hin zur Wohnbebauung entlang der nordwestlichen C.straße, wobei diese Bebauung nicht mehr prägend auf das Grundstück des Beigeladenen einwirkt. Innerhalb dieses Gebietes findet sich sehr unterschiedliche Bebauung, die zwischen einem eingeschossigen Flachbau mit aus dem Erdboden herausragenden Kellergeschoss und Gründerzeitvillen mit zwei Geschossen und ausgebautem Dachgeschoss sowie aus dem Erdboden herausragendem Kellergeschoss variiert. Das Maß der baulichen Nutzung ist unterschiedlich, wobei eine Bebauung von mehr als zwei Geschossen und einem ausgebauten Dachgeschoss oder drei Geschossen nicht zu finden ist. Gebäude mit einer Firsthöhe über 15,00 m sind nach den Feststellungen des Antragsgegners nicht vorhanden. Der Beigeladene trägt demgegenüber vor, jedenfalls ein Haus in der B.straße habe eine Firsthöhe von 17,50 m und ein anderes eine solche von 16,30 m. Streitig ist ebenfalls die Firsthöhe eines Gebäudes in der C.straße, die der Antragsgegner mit 16,00 m und der Beigeladenen mit 18,00 m angibt. Maßgebend für die Überzeugung des Senats, dass sich das Vorhaben des Beigeladenen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist der Umstand, dass das Vorhaben nach außen erkennbar über vier Geschosse und einen für Aufenthaltszwecke verwendeten Spitzboden verfügt, dessen Firsthöhe 17,50 m beträgt. Ein solches Maß der baulichen Nutzung hat der Senat in der näheren Umgebung nicht vorgefunden. Nach dem Eindruck, den der Senat beim Augenschein gewonnen hat, bringt das Vorhaben des Beigeladenen durch das in seiner Geschosszahl zum Ausdruck kommende Maß der baulichen Nutzung die nähere Umgebung in Bewegung und löst so bodenrechtliche Spannungen aus.

35

Das objektiv-rechtliche Nichteinfügen in die Eigenart der näheren Umgebung führt nicht automatisch zu einer Verletzung von Nachbarrechten. Das Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung ist nur dann verletzt, wenn die Bebauung sich als dem Nachbarn gegenüber unzumutbar erweist. Wann dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtsnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist, beurteilt werden (BVerwG, U. v. 25.02.1977 - IV C 22/75 -, BVerwGE 52, 122).

36

Eine Bebauung ist jedenfalls dann rücksichtslos, wenn sie eine erdrückende Wirkung auslöst. Diese geht vom Vorhaben des Beigeladenen nicht aus. Es wird nicht grenzständig errichtet, sondern ganz überwiegend unter Einhaltung der landesrechtlich verlangten Abstandsflächen. Das genügt für sich genommen nicht in jedem Fall, um das Gebot der Rücksichtnahme zu erfüllen, auch wenn nach der Rechtsprechung des BVerwG davon ausgegangen werden kann, dass im Regelfall die Einhaltung der landesrechtlich verlangten Abstandsflächen die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme indiziert (BVerwG B. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98 - , BRS 62 Nr. 102). Auch wenn diese Rechtsprechung noch unter der Geltung der früheren landesrechtlichen Regelungen über den Mindestabstand ergangen ist, die im Vergleich zur jetzt geltenden Regelung größere Abstandsflächen vorsahen, vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der vom BVerwG aufgestellte Grundsatz nicht mehr anwendbar ist. Die indizielle Wirkung mag sich in der Weise abgeschwächt haben, dass die Zahl der tatsächlich das Gebot der Rücksichtnahme nicht mehr erfüllenden Vorhaben größer geworden ist, die das geltende bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht einhalten. Doch folgt daraus nur, dass sich im Einzelfall die Prüfungspflicht erhöht, wenn besondere Umstände es nahelegen, dass aus städtebaulichen Gründen ein größerer Abstand als landesrechtlich gefordert erforderlich ist.

37

Weder für das unbebaute im Eigentum der Antragstellerin stehende und unmittelbar an das Grundstück des Beigeladenen angrenzende Flurstück D noch für das sich daran in östlicher Richtung anschließende Flurstück E der Antragstellerin, das mit einem Wohnhaus bebaut ist, ist eine vom Vorhaben des Beigeladenen ausgehende erdrückende Wirkung festzustellen. Die Unterschreitung der Mindestgrenzabstände in Richtung des Flurstücks D betrifft nach den nicht substantiiert bestrittenen Feststellungen des Antragsgegners maximal 40 cm². Das Gebäude enthält an dieser Seite keine Balkone oder andere aus der Wand herausspringende Bauteile. Das Anwesen der Antragstellerin ist zur B.straße hin offen. Nördlich angrenzend ist es nur einem eingeschossigen Flachbau ausgesetzt, der auf einem aus dem Erdboden herausragenden Kellergeschoss errichtet wurde. In nordwestlicher Richtung öffnet sich eine mit Gartenhäusern (Datschen) bebaute Fläche, die im wesentlichen als Garten genutzt wird. In östlicher Richtung ist sowohl die Bebauung der Antragstellerin wie des Nachbarn nicht grenzständig und es liegt zwischen beiden Gebäuden eine freie Fläche. Eine Einmauerung des Anwesens der Antragstellerin ist nicht erkennbar. Dass sie sich einer gut 14 m hohen Außenwand gegenübersieht, begründet für sich keine erdrückende Wirkung, weil diese Wand durch mehrere Fensteröffnungen gegliedert ist.

38

Die Antragstellerin macht weiter geltend, die durch das Vorhaben des Beigeladenen eröffneten Einsichtsmöglichkeiten seien rücksichtslos, weil sie dadurch jeglicher Rückzugsmöglichkeiten ins Private beraubt würde. Jeder Punkt des Grundstücks, auf dem sie bisher vor neugierigen Augen geschützt hätte leben können, sei einer Einsicht durch Nutzer des Vorhabens des Beigeladenen ausgesetzt. Der Senat hat sich davon überzeugt, dass jedenfalls aus den beiden oberen Geschossen des Vorhabens des Beigeladenen die Möglichkeit besteht, umfassend auf das Anwesen der Antragstellerin zu schauen. Doch ist die Einsichtsmöglichkeit für sich regelmäßig nicht geeignet, das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme zu verletzen (BVerwG B. v. 03.01.1983 - 4 B 224/82 -, BRS 40 Nr. 192; B. v. 24.04.1999 - 4 B 72/89). Mit der Möglichkeit der Einsichtnahme auf sein Grundstück muss ein Grundstückseigentümer grundsätzlich rechnen. Das mag in Sonderfällen anders sein (zu einem solchen Sonderfall vgl. Beschluss des Senats v. 19.08.2009 - 3 M 127/09), doch liegt ein solcher Sonderfall hier nicht vor. Die Bebauung der näheren Umgebung ist unterschiedlich und nicht dadurch geprägt, dass die Grundstücke so bebaut sind, dass keine oder allenfalls geringfügige Einsichtsmöglichkeiten vorhanden waren. Das Grundstück der Antragstellerin ist davon geprägt, dass das Grundstück des Beigeladenen mit einem bis zu 15 m hohen Gebäude mit einem ausgebauten Dachgeschoss bebaut werden kann, dessen Ostwand Fenster enthält. Die damit gegebenen Einsichtsmöglichkeiten sind von der Antragstellerin hinzunehmen. Die durch die Errichtung des Vorhabens des Beigeladenen quantitativ verstärkten Einsichtsmöglichkeiten bewirken keine qualitative Erhöhung der Beeinträchtigung der Nutzungssituation der Antragstellerin.

39

b. Die Antragstellerin kann aus den Bestimmungen der Erhaltungsatzung unmittelbar - die Wirksamkeit dieser Satzung unterstellt - keine subjektiven Rechte ableiten. Die Erhaltungssatzung beruht auf § 172 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine solche Erhaltungsatzung individualisierte Belange Dritter nicht berücksichtigen will (Urteil vom 14.12.2000 - 3 K 25/99 -, NVwZ-RR 2001, 719). Die Einwände der Antragstellerin dagegen greifen nicht durch. Sie beruhen auf einer Übertragung der Argumentation des BVerwG zum Gebietserhaltungsanspruch durch die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung in einem Bebauungsplan auf die Erhaltungsatzung. Diese Übertragung ist nicht möglich. Der Regelungszweck einer Erhaltungssatzung ist ein anderer als der eines Bebauungsplanes. Die Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann gerade nicht die Interessen einzelner berücksichtigen und zu ihrem Schutz Bestimmungen enthalten, wie sich aus den sehr engen Genehmigungsversagungstatbeständen des § 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergibt. Den Versagungstatbeständen lässt sich nicht entnehmen, dass sie auch dem Schutz individueller Interessen zu dienen bestimmt sind. Es handelt sich ausschließlich um objektive städtebauliche Gründe.

40

c. Die Baugenehmigung ist auch nicht deswegen überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, weil sie rechtswidrige Abstandsflächen genehmigt. Vielmehr enthält die Baugenehmigung keine Regelung über die Abstandsflächen.

41

Die Baugenehmigung wird im so genannten vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 63 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern vom 18.04.2006 (GVOBl. M-V S.102 - LBauO M-V) erteilt. Nach dieser Vorschrift prüft die Bauaufsichtsbehörde bei Wohngebäuden - um ein solches im Sinne der §§ 63 Abs. 1 lit. a), 2 Abs. 2 S. 2 LBauO M-V handelt es sich - nicht die Einhaltung der Abstandsflächen, wie sich aus § 63 Abs. 1 LBauO M-V ergibt. Die Baugenehmigung wird folgerichtig nach § 72 Abs. 1 LBauO M-V erteilt, wenn keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Der Prüfumfang kann in diesen Fällen hinter den öffentlich-rechtlichen Anforderungen, die nach der Landesbauordnung und anderen Vorschriften an eine bauliche Anlage gestellt werden, zurückbleiben. Dies ist vom Gesetzgeber so gewollt und kann im Einzelfall dazu führen, dass eine Baugenehmigung für ein Vorhaben erteilt wird, dass nicht zu prüfenden Anforderungen nicht entspricht.

42

Enthält die Baugenehmigung keine Hinweise darauf, dass abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen zusätzliche, über § 63 Abs. 1 LBauO M-V hinausgehende rechtliche Anforderungen geprüft und zum Gegenstand der Genehmigung gemacht worden sind, beschränkt sich die Baugenehmigung hinsichtlich der geprüften Vorschriften auf das gesetzlich vorgegebene eingeschränkte Prüfprogramm. Einen solchen Hinweis meint die Beschwerde in dem Umstand sehen zu können, dass Teile des Bauantrages, die sich mit den Abstandsflächen befassen, einen so genannten Grünstempel erhalten haben. Dieser Grünstempel hat den Inhalt "Gehört zum Bescheid". Damit wird schon dem Wortlaut nach nicht ausgedrückt, dass eine bauaufsichtliche Prüfung des Inhalts der Bauantragsunterlagen erfolgt ist. Der Stempel dokumentiert nur, dass ein bestimmtes, durch die Antragsunterlagen konkretisiertes Vorhaben verwirklicht werden soll und sichert, dass später kontrolliert werden kann, ob das durch die Genehmigung erfasste Vorhaben auch so wie beantragt errichtet wird. Aus diesem Grund macht es Sinn, wenn § 63 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V i.V.m. der Bauvorlagenverordnung M-V (vom 10. Juli 2006 - GVOBl. S. 612) die Vorlage des vollständigen Bauantrages verlangt. Zum Umfang einer bauaufsichtlichen Prüfung lässt sich dem Grünstempel nichts entnehmen.

43

Der Senat hat an dieser Stelle nicht zu entscheiden, wie eine zur Erteilung der Baugenehmigung zuständige Bauaufsichtsbehörde zu reagieren hat, wenn sie feststellt, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zwar im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu genehmigen ist, trotzdem aber ersichtlich gegen nicht zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (dazu Beschluss des Senats vom 21.08.2009 - 3 M 50/09). Denn jedenfalls führt der Verstoß gegen nicht zu prüfende Anforderung dann nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung, wenn nicht dadurch ausnahmsweise das Sachbescheidungsinteresse des Bauherrn entfällt. Für den Wegfall des Sachbescheidungsinteresses bieten weder die Beschwerdebegründung noch der Sachverhalt Anhaltspunkte. Ebensowenig hat der Senat der Frage nachzugehen, ob durch die Erteilung der Baugenehmigung bei fehlendem Sachbescheidungsinteresse der Nachbar in seinen Rechten verletzt sein kann, wenn das fehlende Sachbescheidungsinteresse in dem offenkundigen Verstoß gegen ihn schützende Vorschriften liegen könnte.

44

2. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich kein Anspruch der Antragstellerin auf Verpflichtung des Antragsgegners auf Erlass eines vorläufigen Baustopps gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V gegenüber dem Beigeladenen, der durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gesichert werden kann. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass die Antragstellerin durch das Vorhaben des Beigeladenen in eigenen Rechten verletzt wird und die Verpflichtung des Antragstellers auf Erlass einer Baueinstellungsverfügung gegen den Beigeladenen verhältnismäßig ist. Jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung fehlt es nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur summarisch möglichen Ermittlung des Sachverhaltes.

45

a. Die Antragstellerin macht die Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen durch das Vorhaben des Beigeladenen geltend. Eine solche Abstandsflächenverletzung räumt der Antragsgegner ein und sie ergibt sich auch aus den im Widerspruchsverfahren vorgenommenen Ermittlungen zum Sachverhalt.

46

Der Antragsgegner hat im Widerspruchsverfahren den Beigeladenen aufgefordert, die Abstandsflächen des Rohbaues, soweit er im Zeitpunkt der Ermittlung errichtet war, zu messen. Diese Messung erfolgte durch das Büro des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs E.. Der Senat hat keine substantiierten Zweifel daran, dass die vorgelegten Unterlagen (Blatt 142-144 des dem Gericht vorgelegten Verwaltungsvorganges; die Paginierung der Akte des Antragsgegners weicht von dieser Zählung ab) von diesem Vermessungsbüro stammen und der öffentlich beeidigte Vermessungsingenieur durch seine Unterschrift die Unterlagen als von ihm stammend legitimiert. Seine Unterschrift erfasst entgegen den Ausführungen der Beschwerdebegründung den über ihr stehenden Text und die Zeichnungen. Mit dieser Unterschrift übernimmt Herr E. - anders als die Antragsgegnerin meint - die Verantwortung für alle in den Unterlagen vorfindlichen Angaben, soweit es sich um solche handelt, die für die Vermessung von Bedeutung sind.

47

Aus diesen Angaben ergibt sich, dass an dem vom Vermesser herangezogenen Eckpunkt H 1 bei einer zugrundegelegten Geländehöhe von 14,70 m HN das Gebäude eine Endhöhe von 28,80 m HN hat. Der Senat ist der Überzeugung, dass es sich um Höhenmaße nach HN handelt, weil, wie die Antragstellerin wenn auch in anderem Zusammenhang herausstellt, diese Vermessung auf dem Lageplan vom 11.03.2009 (Bl. 34 des zu den Gerichtsakten gereichten Verwaltungsvorgangs) gründet. Dort wird als Höhenbezug HN angegeben. Dass der Antragsgegner ausweislich des Vermerks Blatt 131 des dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgangs den Vermesser aufgefordert hat, den Höhenbezug NN zu wählen, hat der Antragsgegner nachvollziehbar als Schreibversehen bezeichnet; unabhängig davon fehlt es an Erkenntnissen, dass der Vermesser anders als bei dem erwähnten Lageplan das Höhenmaß NN angewandt hat. Denn dann wären signifikante Unterschiede in den einzelnen Geländehöhen zu erwarten gewesen, die aber fehlen. Die vom Vermesser übernommenen Geländehöhen beziehen sich ersichtlich auf HN.

48

Aus der Vermessung vom 24.11.2009 ergibt sich eine Abstandsfläche von 5,64 m, die nach den Messungen des Vermessers exakt eingehalten wird. Zu Recht wendet die Antragstellerin ein, dass die zugrundegelegte Geländehöhe von 14,70 m nicht vor Beginn der Bauarbeiten ermittelt wurde, sondern auf einer Mittelung beruht, deren Richtigkeit angezweifelt werden kann. Zudem sind im Bauantrag die Abstandsflächen bei einer Geländehöhe von 14,60 m errechnet worden. Der Senat folgt dem Einwand der Antragstellerin nicht, die Abstandsfläche sei weiter zu erhöhen, weil bei der Verwirklichung des Vorhabens die ursprüngliche Geländeoberfläche rings um das Gebäude abgegraben worden sei, damit die Fenster des Kellergeschosses ausreichend belichtet werden. Eine solche Abgrabung ist bei der Augenscheineinnahme nicht festgestellt worden.

49

Bei einer angenommenen Geländehöhe von 14,60 m erhöht sich die Abstandsfläche um 4 cm und liegt dann nicht mehr vollständig auf dem Grundstück des Beigeladenen. Wird weiter zugunsten der Antragstellerin berücksichtigt, dass die Festlegung des Eckpunktes H 1 davon ausgeht, dass dieser am oberen Ende des Rücksprungs des obersten Geschosses liegt und damit den Rücksprung berücksichtigt, könnte sich die Abstandsfläche weiter erhöhen, wenn aus Rechtsgründen dieser Rücksprung nicht bei der Ermittlung der Abstandsfläche zu berücksichtigen wäre. Ob dies rechtlich zwingend ist, muss der Senat nicht entscheiden, weil es nicht entscheidungserheblich ist. Denn bei der für den Beigeladenen ungünstigsten Berechnung der Abstandsfläche ergibt sich eine Abstandsfläche von 5,73 m. Der tatsächliche Grenzabstand liegt an der dem Grundstück der Antragstellerin nächsten Stelle des Gebäudes bei 5,65 m. An dieser Stelle ragt - bei dieser dem Beigeladenen ungünstigsten Betrachtung - die Abstandsfläche des Vorhabens des Beigeladenen um 8 cm auf das Grundstück der Antragstellerin. Der Grenzverlauf zwischen dem Flurstück 546/2 und dem Grundstück des Beigeladenen (Flurstück 545) verläuft vom Schnittpunkt der Abstandsfläche des Eckpunktes H 1 in südliche Richtung gesehen (dem Verlauf der Gebäudewand nach Süden folgend) schräg nach Osten. Der Abstand des Gebäudes zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin vergrößert sich kontinuierlich. Der Antragsgegner hat daraus eine maximale Überschreitung der Abstandsfläche von 40 cm² errechnet. Auch wenn diese Fläche zugunsten der Antragstellerin um die bei fehlender Berücksichtigung des Rücksprungs dargestellte Erhöhung der Abstandsfläche vergrößert wird, ergibt sich eine Abstandsflächenüberschreitung im Bereich von etwa 1 m². Dass diese Überschreitung der erforderlichen Abstandsfläche nicht durch bauliche Maßnahmen bei der Vollendung des im Rohbau bereits fertiggestellten Gebäudes abgefangen werden kann, ergibt sich im summarischen Verfahren nicht. Der Beigeladene hat bereits eine entsprechende Änderung des Vorhabens angekündigt und durch seinen Architekten fachlich beurteilen lassen. Dem Vorbringen der Antragstellerin lässt sich nicht entnehmen, dass diese Planung nicht zu verwirklichen ist. Unter diesen Umständen: geringfügige Überschreitung der Mindestabstandsfläche und Möglichkeit der Beseitigung durch Veränderung des Baukörpers ist die von der Antragstellerin begehrte Verpflichtung des Antragsgegners zum Erlass einer Baueinstellungsverfügung, die das gesamte Gebäude betrifft, unverhältnismäßig und damit nicht ermessensgerecht.

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b. Durch dieses Ergebnis wird die Antragstellerin auch nicht rechtsschutzlos gestellt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin in einem eventuellen Hauptsacheverfahren den von ihr begehrten Rechtsschutz erlangen kann. Ob und in welchem Umfang die Abstandsflächen tatsächlich nicht eingehalten worden sind, kann erst nach Abschluss der Bauarbeiten mit der erforderlichen endgültigen Sicherheit festgestellt werden. In diesem Zusammenhang kann die Antragstellerin auch unter Beweis stellen und ermitteln lassen, ob das Vorhaben des Beigeladenen entsprechend den Bauunterlagen errichtet wurde. Bei der Ermessensentscheidung der Behörde über eine Beseitigungsanordnung bei festgestellter Verletzung der Abstandsflächenvorschriften kann der Beigeladene sich nicht auf darauf berufen, dass er im Vertrauen auf eine Baugenehmigung gebaut habe, weil die Baugenehmigung nicht die Einhaltung der gesetzlichen Mindestabstandsflächen regelt oder feststellt. Der Beigeladene hat das Vorhaben in Kenntnis der Abstandsflächenproblematik errichtet und damit auf eigenes Risiko gebaut, wenn sich später herausstellt, dass das Gebäude die Mindestabstandsflächen nicht einhält. Soweit sich herausstellen sollte, dass das Gebäude abweichend von den eingereichten Bauantragsunterlagen errichtet wurde und dadurch Nachbarrechte verletzt werden, kann sich der Beigeladene ebenfalls nicht auf Vertrauensschutz berufen. Dies wäre bei der Ermessensausübung zu beachten.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der anwaltlich nicht vertretene Beigeladene war im Beschwerdeverfahren nicht postulationsfähig, so dass die die Antragstellerin treffende Auferlegung seiner außergerichtlichen Kosten nicht angemessen erscheint.

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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 3, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.