Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Urteil, 14. Dez. 2016 - 2 A 235/15
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte oder die Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt vom Beklagten ein bauordnungsrechtliches Einschreiten gegenüber der Bebauung auf seinem Nachbargrundstück.
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Der Kläger ist u.a. – seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge noch im Grundbuch eingetragener – (Mit-) Eigentümer des 490 m² großen Grundstücks G1 in S... (Flst. 9/5, Fl. 5, Gemarkung T…), das in einem Abstand von ca. 0,80 m zur Ostgrenze des westlich anschließenden Grundstücks G2 (Flst. 9/4) giebelständig mit einer Breite von ca. 7,30 m mit einem 12,90 m langen eingeschossigen Einfamilienhaus mit einem ca. 45° geneigten Satteldach mit einer Firsthöhe von ca. 7 m bebaut ist. Die Traufhöhe beträgt ca. 3 m.
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Den Angaben des Klägers zufolge ist die Lage der Grundstücke zueinander die Folge einer 1999 durchgeführten Grundstücksteilung, wobei seinerzeit das Einfamilienhaus auf dem Flurstück 9/5 bereits vorhanden war.
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Auf dem westlich anschließenden Nachbargrundstück G2 der Beigeladenen wurde im Jahre 2014 aufgrund einer im vereinfachten Verfahren nach § 69 LBO erteilten Baugenehmigung vom 4.11.2013 ein Einfamilienhaus mit einer unmittelbar auf einer Länge von 9 m an deren Ostgrenze von Süden aus zu befahrenden Garage mit Abstellraum und einem 2,98 m breiten Flachdach mit einer Wandhöhe zwischen 2,67 m und 2,68 m bebaut. In ca. 3,10 m Entfernung zur östlichen Grundstücksgrenze schließt sich an den nördlichen Teil der Garage westlich ein Hauswirtschaftsraum mit Zugang sowohl zur Garage als auch zu der daran westlich wiederum anschließenden Küche an. Im Obergeschoss, das einen Abstand von genehmigten 2,98 m zur östlichen Grundstücksgrenze aufweist, befinden sich mit einer ca. 6,40 m breiten östlichen Außenwand Wohnräume.
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Der Kläger legte am 3.12.2013 Widerspruch gegen diese Baugenehmigung ein und nahm diesen Widerspruch am 8.04.2014 wieder zurück.
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Mit Schreiben vom 29.04.2015 vertrat der Kläger gegenüber dem Beklagten die Auffassung, die Garage der Beigeladenen erfülle nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 7 LBO, da sie eine statische Stütze des darüber liegenden Wohngebäudes sei und deshalb die vorgeschriebenen Abstandsflächen einzuhalten habe. Die angesichts dessen fälschlicherweise erteilte Baugenehmigung verpflichte den Beklagten zum ordnungsbehördlichen Einschreiten.
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Mit Schreiben vom 28.07.2015 nahm der Beklagte dazu gegenüber dem Kläger mit dem Ergebnis Stellung, dass er keinen Anlass sehe, tätig zu werden.
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Mit Schreiben vom 3.09.2015 setzte der Kläger dem Beklagten eine Frist für eine „Abhilfeentscheidung“ bis zum 15.09.2015.
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In einer weiteren Stellungnahme vom 22.09.2015 hielt der Beklagte an seiner Auffassung fest.
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Der Kläger hat am 16.12.2015 Klage auf Verpflichtung des Beklagten zum Erlass einer Rückbau- bzw. Beseitigungsanordnung hinsichtlich des Garagenanbaus mit Abstellraum auf dem Nachbargrundstück G2 in S... erhoben. Zur Begründung trägt er vor, er werde durch die Garage, die die Wohnräume im Obergeschoss statisch trage, in seinen Rechten verletzt, da für die Nichteinhaltung der Abstandsflächen nicht auf die Privilegierung des § 6 Abs. 7 LBO zurückgegriffen werden könne. Dazu beruft er sich auf eine Entscheidung des OVG Münster (Urt. v. 17.5.04, 7 A 3556.02).
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.1016 zu verpflichten, den Rückbau bzw. die Beseitigung des „Garagenanbaus mit Abstellraum“ auf dem Grundstück G2 in S... anzuordnen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch auf das von ihm begehrte Einschreiten gegen das Gebäude der Beigeladene habe.
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Die Beigeladene beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Bescheid vom 17.02.2016 hat der Beklagte den Antrag des Klägers auf bauaufsichtliches Tätigwerden abgelehnt. Über den dagegen am 15.03.2016 eingelegten Widerspruch ist nicht entschieden worden.
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Mit Beschluss vom 18.10.2016 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Dieser hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 14.12.2016 die Örtlichkeiten in Augenschein genommen und mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes einschließlich des Ergebnisses der Ortsbesichtigung und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 22
Nachdem der Kläger in die ursprünglich als Untätigkeitsklage erhobene Verpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten den nunmehr von dem Beklagten erlassenen Ablehnungsbescheid vom 17.02.2016 einbezogen hat, ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf das begehrte Einschreiten des Beklagten zu.
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Als Anspruchsgrundlage für das von dem Kläger begehrte Einschreiten des Beklagten in seiner Funktion als untere Bauaufsichtsbehörde kommt allein § 59 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LBO in Verbindung mit den nachbarschützenden Bestimmungen – wegen der Bestandskraft der das Bauplanungsrecht regelnden, nach § 69 LBO erteilten Baugenehmigung – hier allein des Bauordnungsrechts, namentlich des in § 6 LBO geregelten Abstandsflächenrechts in Betracht.
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Gemäß § 59 Abs. 1 LBO haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung von Anlagen nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Sie haben die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Nach Abs. 2 S. 1 Nr. 3 dieser Vorschrift können die Bauaufsichtsbehörden insbesondere die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
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Wie bei Nachbarklagen gegen bauaufsichtliche Zulassungen gilt auch bei einem vom Nachbarn geltend gemachten Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, dass ein solcher Anspruch nicht bereits dann besteht, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3 LBO vorliegen, sondern vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, dass der Nachbar in subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist.
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Maßgebend ist, ob das Bauvorhaben gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Ein Verstoß gegen Rechtsnormen, die zumindest auch dem Schutz des um Rechtsschutz suchenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, ist bereits tatbestandliche Voraussetzung für einen Anspruch des Nachbarn auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens der Bauaufsichtsbehörde bei der Entscheidung darüber, ob sie gegen einen rechtswidrigen Zustand - etwa durch Erlass einer Beseitigungsanordnung - einschreiten soll.
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Erst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, entsteht für den Nachbarn ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein mögliches bauaufsichtliches Einschreiten. Eine sog. „Ermessensreduzierung auf Null“, bei der sich dieses Ermessen dahingehend verdichtet, dass sich nur ein Einschreiten als rechtmäßige Entscheidung erweist, liegt erst dann vor, wenn geschützte Nachbarrechte in besonders gravierender Weise beeinträchtigt werden (OVG Schleswig, Beschluss vom 05.09.2008, - 1 LA 53/08 -).
- 29
Bauordnungsrechtliche Abstandsflächenvorschriften gehören mit ihrem unmittelbaren räumlichen Bezug zu Nachbargrundstücken zum Kernbestand des öffentlichen Baunachbarrechts. Ihre nachbarschützende Wirkung besteht nach Sinn und Zweck der Abstandsflächenvorschriften grundsätzlich unabhängig von einer tatsächlich feststellbaren Beeinträchtigung des Nachbarn. Soweit sie Nachbarschutz vermitteln, indiziert bereits ihre Verletzung die Beeinträchtigung des Nachbarn in Belangen, deren Schutz die Abstandsflächenvorschriften dienen.
- 30
Allerdings muss nicht jede derart indizierte Beeinträchtigung nachbarlicher Belange auch - im Sinne eines besonders intensiven oder ein wesentliches Rechtsgut des Nachbarn gefährdenden Rechtsverstoßes - stets unzumutbar sein. Diese Bewertung setzt vielmehr eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalles voraus, ob und inwieweit die bauliche Nutzbarkeit des Nachbargrundstücks tatsächlich spürbar eingeschränkt wird (vgl. VGH München, Beschl. v. 04.07.2011, - 15 ZB 09.1237 -; OVG Lüneburg, Urt. v. 16.02.2012, - 1 LB 19/10 -; OVG Schleswig, Beschl. v. 6.01.2015, - 1 LA 60/14 -; Beschl. v. 12.12.2014, - 1 LA 57 14 -, Beschl. v. 19.04.2012, - 1 LB 4/12 -). Insoweit ist von wesentlicher Bedeutung, welche tatsächlichen negativen Auswirkung mit der streitbefangenen baulichen Anlage gerade unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Abstandsflächenvorschriften, gegen die sie verstößt, verbunden sind.
- 31
Es kann im vorliegenden Fall allerdings offen bleiben, ob und in wie schwerwiegender Weise überhaupt die vom Kläger behauptete Verletzung der nachbarschützenden Abstandsflächenvorschriften gegeben ist, insbesondere, ob es sich um eine solche Konstellation handelt, wie sie der Entscheidung des OVG Münster (Urt. v. 17.5.04, - 7 A 3556.02 -) zugrunde lag, und sich zudem das Erschließungsermessen der Bauaufsichtsbehörde im Sinne einer Pflicht zum Einschreiten „auf Null“ reduziert hat.
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Denn ein Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen einen etwaigen Abstandsflächenverstoß durch den als Garage mit Abstellraum genehmigten Teil des Wohngebäudes der Beigeladenen ist zum einen schon nach Treu und Glauben wegen der vorhandenen Bebauung auf seinem eigenen Grundstück ausgeschlossen (dazu unter 1.) und zudem aufgrund seines Verhaltens während der Errichtung des Gebäudes der Beigeladenen verwirkt (dazu unter 2.).
- 33
1. Der Kläger kann sich auf eine Verletzung seiner subjektiv-öffentlichen Rechte in Form der Abstandsflächenvorschriften durch das beanstandete Bauvorhaben der Beigeladenen nicht berufen.
- 34
Auf einen Verstoß gegen § 6 Abs. 5 Satz 1 LBO kann sich der Kläger nach dem Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben jedenfalls deshalb nicht berufen, weil sich dies angesichts des auf dem eigenen Grundstück des Klägers in Abweichung von den Abstandsflächenvorgaben des § 6 LBO nur mit einem Grenzabstand von ca. 0,80 m vorhandenen Wohnhauses als unzulässige Rechtsausübung darstellt.
- 35
a) Die Geltendmachung eines Abwehrrechts gegen einen nachbarlichen Verstoß gegen § 6 LBO stellt sich als unzulässige Rechtsausübung und damit als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar, wenn der Grundstückseigentümer selbst in vergleichbarer Weise gegen Abstandrecht verstößt (vgl. OVG Schleswig, Beschl. V. 4.05.2010, - 1 MB 5/10 -, u. v. 8.09.1992, - 1 M 45/92 -).
- 36
Die Unzulässigkeit der Rechtsausübung ist dabei nicht bezogen auf ein zielgerichtetes Verhalten in der Vergangenheit zu beurteilen, sie knüpft vielmehr an die gegenwärtige Geltendmachung des Abwehrrechts an. Maßgeblich ist, ob der Eigentümer mit der Wahrung von Abstandflächen nach § 6 LBO die Beachtung einer Vorschrift einfordert, deren Anforderungen er selbst nicht einhält. Das allgemeine Rechtsverständnis billigt es einem Grundstückseigentümer nicht zu, rechtliche Abwehrmaßnahmen gegen eine durch einen Nachbarn hervorgerufene Beeinträchtigung zu ergreifen und zugleich diesem Nachbarn quasi spiegelbildlich dieselbe Beeinträchtigung zuzumuten. Denn der öffentlich-rechtliche Nachbarschutz beruht auf einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit, das maßgeblich durch die objektiven Grundstücksverhältnisse geprägt ist. Erst aus der Störung des nachbarlichen Gleichgewichts und nicht schon aus der Abweichung von öffentlich-rechtlichen Normen ergibt sich deshalb der Abwehranspruch des Nachbarn.
- 37
b) Der Vorwurf treuwidrigen Verhaltens entfällt auch nicht dadurch, dass das Wohnhaus des Klägers ursprünglich in Einklang mit dem damals geltenden Baurecht errichtet worden sein mag und erst die Grundstücksteilung zu den heutigen Verhältnissen geführt hat; maßgeblich ist insoweit allein, dass er mit seinem Gebäude den (jetzt) erforderlichen Grenzabstand nicht einhält (vgl. OVG Schleswig, Beschl. V. 30.11.1999, - 1 M 122/99 -). Denn die Versagung des Abwehranspruchs beruht darauf, dass es unbillig wäre, einen Nachbarn den durch die grenznahen baulichen Anlagen des anderen Nachbar ausgehenden Nachteilen auszusetzen, ihm selbst aber eine Ausnutzung seines Grundstücks im Grenzbereich zu verwehren (VGH Mannheim, Urt. V. 18.11.2002, - 3 S 882/02 -).
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c) Die Berufung auf einen etwaigen Verstoß des Gebäudes der Beigeladenen gegen § 6 Abs. 5 Satz 1 LBO ist hier eine solche unzulässige Rechtsausübung, weil der Kläger selbst zulasten des Grundstücks der Beigeladenen – mindestens - in vergleichbarer Weise gegen Abstandsrecht verstößt. Bei wertender Betrachtung ist der wechselseitige Abstandsflächenverstoß in seinen Wirkungen vergleichbar.
- 39
Zwar müsste, unterstellt, der als Garage genehmigte Gebäudeteil könnte nicht als iSv § 6 Abs. 7 LBO eingestuft werden, dieser einen Abstand von 3 m zur Grundstücksgrenze einhalten. Dabei geht es um einen 9 m breiten und bis zu 2,68 m hohen Gebäudeteil mit Flachdach, während von der nur mit 0,80 m Grenzabstand vorhandenen Giebelwand des klägerischen Einfamilienhauses bei einer Breite von ca. 7,30 m, einer Traufhöhe von ca. 3 m und einer Firsthöhe von ca. 7 m sowohl quantitativ als auch qualitativ mindestens ebenso starke Wirkungen auf das Grundstück der Beigeladenen ausgehen. Bereits die Erdgeschosswandflächen mit 24,12 m² (Garagenostwand) und ca. 22 m² (fensterlose Erdgeschosswestwand des klägerischen Hauses) erreichen vergleichbare Ausmaße, wobei zur Erdgeschosswandfläche des klägerischen Hauses noch die ca. 7 m hohe Giebelwand mit weiteren mindestens 12 m² Wandfläche - noch dazu oberhalb einer Höhe von 3 m - hinzukommt.
- 40
Im Übrigen teilt das Gericht die vom OVG Münster in der von dem Kläger herangezogenen Entscheidung (Urt. v. 17.05.2004, - 7 A 3556.02 -) vertretene, aber nicht näher begründete Auffassung, dass auch die bauliche Ausgestaltung einer Grenzgarage außerhalb der einzuhaltenden Abstandsfläche für die Einstufung als Garage iSv § 6 Abs. 7 LBO von Bedeutung sei, ausdrücklich nicht. Vielmehr ist das Gericht mit den Kommentatoren der Schleswig-Holsteinischen Landesbauordnung (Domning/Möller/Bebensee Rn 98 zu § 6 LBO) der Ansicht, dass der Umstand, dass eine solche Garage an das Hauptgebäude angegliedert oder sogar in dasselbe integriert ist, dieser nicht den Charakter einer abstandsflächenrechtlich privilegierten untergeordneten Anlage nimmt. So wird etwa auch eine Nutzung des Daches einer Grenzgarage in den Maßen des § 6 Abs. 7 LBO als Dachterrasse als unschädlich angesehen, wenn dessen Bereich außerhalb der einzuhaltenden Abstandsfläche liegt.
- 41
2. Darüber hinaus sind etwaige nachbarliche Abwehrrechte gegen den beanstandeten Gebäudeteil und die damit angeblich verbundenen Abstandsflächenverstöße durch das Verhalten des Klägers während der Errichtung des Gebäudes bereits verwirkt.
- 42
a) Für die Verwirkung des materiellen Rechts kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 07.02.1974, - 3 C 115.71 -, BVerwGE 44, 339; vom 20.01.1977, - 5 C 18.76 - BVerwGE 52, 16 und vom 16.05.1991, - 4 C 4.89 -, NVwZ 1991, 1182) und dem folgend auch der Obergerichte (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 28.08.1989 - 8 S 1345/87-, NVwZ 1989, 76; OVG Schleswig, Urt. v. 7.03.1995, - 1 L 26/94 -; OVG Greifswald, Beschl. vom 05.11.2001 - 3 M 93/01 -, NVwZ-RR 2003, 15) darauf an, ob der Berechtigte während eines längeren Zeitraums ein ihm zustehendes Recht nicht geltend macht, obwohl er hierfür Anlass hat, und ob ein solches Verhalten geeignet ist, bei dem Verpflichteten den Eindruck zu erwecken, der Berechtigte werde sein Recht nicht (mehr) ausüben.
- 43
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass zu der Frage, welche (genaue) Dauer der Nichtausübung eines - ausübbaren - Rechts zu dessen Verwirkung führt, keine allgemein geltenden Bemessungskriterien angegeben werden können; dies sei von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Grundsätzlich gelte allerdings ein „Mindestzeitraum“, der sich „nach oben hin deutlich von der jeweils in Betracht kommenden regelmäßigen Rechtsbehelfsfrist“ unterscheide; eine Verwirkung des materiellen Abwehrrechts komme „erst dann in Betracht, wenn der Berechtigte deutlich länger als einen Monat untätig geblieben ist“ (BVerwG, Urt. v. 16.05.1991, - 4 C 4.89 -).
- 44
Danach ist eine Verwirkung des nachbarlichen Abwehrrechts unabhängig von der Erteilung einer Baugenehmigung und sogar gegenüber einem ungenehmigten Bauvorhaben sowie deutlich vor Ablauf einer einjährigen Frist möglich (OVG Schleswig, Urt. v. 26.03.1997, - 1 L 322/97 -; vgl. auch Beschl. v. 11.08.2003, - 1 LA 137/02 -, NordÖR 2004, 244).
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Die Verwirkung eines Rechtes setzt außer der Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraumes ferner voraus, dass besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Das Verhalten des Berechtigten muss beim Verpflichteten also nicht nur die Vorstellung begründet haben, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werde, der Verpflichtete muss sich hierauf auch tatsächlich eingerichtet haben.
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Diese Grundsätze, wonach ein Rechtsverlust durch Verwirkung nur dann eintritt, wenn die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten ist und gerade im Hinblick auf das durch Untätigkeit des Berechtigten geschaffene und betätigte Vertrauen des Verpflichteten die verspätete Geltendmachung des Rechts treuwidrig erscheint, gelten auch im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zwischen Bauherrn und Grundstücksnachbarn.
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b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist eine Verwirkung gegenüber dem beanstandeten Gebäudeteil deshalb anzunehmen, weil der Kläger nicht nur die Bauphase im Jahre 2014 hat verstreichen lassen, ohne gegenüber dem Vorhaben in beachtlicher Weise Einwände zu erheben, sondern sogar seinen zuvor gegen die Baugenehmigung erhobenen Widerspruch im Frühjahr 2014 ausdrücklich zurückgenommen hat.
- 48
Zwar erlangte die im vereinfachten Verfahren gem. § 69 LBO ohne ausdrückliche Prüfung der Abstandsflächenvorschriften erteilte Baugenehmigung aufgrund ihres deshalb nur eingeschränkten Regelungsgehalts durch die Rücknahme des Widerspruchs gegenüber dem Kläger keine Bestandskraft hinsichtlich der Abstandsflächen.
- 49
Gleichwohl durfte die Beigeladene nach der Rücknahme des Widerspruchs und der gleichzeitigen Untätigkeit des Klägers jedenfalls bis zur Rohbaufertigstellung davon ausgehen, dass der Kläger gegen ihr Vorhaben auch hinsichtlich des Standortes und der Abstandsflächen keine Einwände mehr erhebt. Im Vertrauen darauf stellte sie das Vorhaben jedenfalls im Rohbau fertig, bevor der Kläger erneut versuchte, gegen ihr Vorhaben vorzugehen.
- 50
Insoweit sei nur klarstellend darauf hingewiesen, dass der zurückgenommene Widerspruch ohnehin keinen Erfolg gehabt hätte, weil gegenüber der Baugenehmigung eine Verletzung bauordnungsrechtlicher nachbarschützender Vorschriften wie der Regelungen in § 6 LBO nicht eingewandt werden konnte, da die im vereinfachten Verfahren gem. § 69 LBO ohne ausdrückliche Prüfung der Abstandsflächenvorschriften erteilte Baugenehmigung aufgrund ihres deshalb nur eingeschränkten Regelungsgehalts insoweit bereits nicht in Nachbarrechte aus § 6 LBO eingreifen konnte. Dem darüber hinaus – vor Bestandskraft der Baugenehmigung - noch möglichen Einwand eines Verstoßes gegen das – bauplanungsrechtliche - Gebot der Rücksichtnahme wegen der Wirkungen des Gebäudes, stand bereits seinerzeit entgegen, dass sich der Kläger die zweifellos beengte Lage durch die Bebauung seines eigenen Grundstücks selbst entscheidend mit zurechnen lassen muss.
- 51
Da der Kläger unabhängig davon, ob er in subjektiv-öffentlichen Rechten durch das Gebäude der Beigeladenen verletzt ist, aus zwei selbstständig tragenden Gründen jeweils gehindert ist, sich auf diese Rechte zu berufen, besteht kein Anspruch auf das begehrte Einschreiten.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 167 Abs. 2 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeit für erstattungsfähig erklärt worden, weil sie einen eigenen Antrag gestellt hat und damit das Risiko eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VwGO eingegangen ist.
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Annotations
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.