Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Berufung wird zugelassen.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger und am 21. März 2001 geboren.

Am ... September 2016 wurde der Kläger von der Polizeiinspektion ... am ... erkennungsdienstlich behandelt und aufgrund seiner Angabe, am 21. März 2001 geboren zu sein, in die Aufnahmeeinrichtung ... in München verbracht. Am 5. September 2016 fand ein Alterseinschätzungsgespräch beim Jugendamt der Beklagten statt. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass der Kläger volljährig sei. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurde das Geburtsdatum auf den 21. März 1998 festgesetzt und eine Inobhutnahme gemäß § 42a Abs. 1 SGB VIII abgelehnt. Als Begründung wurde angegeben, dass der Kläger keine beweiskräftigen Ausweispapiere oder sonstige Papiere vorgelegt habe und seine Minderjährigkeit auch nicht durch eine schlüssige mündliche Sachverhaltsdarstellung habe begründen können. Der Bescheid wurde dem Kläger ausgehändigt. Daraufhin wurde der Kläger in die Gemeinschaftsunterkunft für Erwachsene in der ...straße in München verlegt.

Am ... September 2016 erhob der Kläger zur Niederschrift Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 und stellte weiter den Antrag, die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, ihn umgehend in Obhut zu nehmen (M 18 E 16.4362).

Als Begründung gab der Kläger an, dass die Ablehnung der Inobhutnahme mit Bescheid vom 5. September 2016 falsch sei. Er sei tatsächlich noch minderjährig und am 21. März 2001 geboren. Das festgesetzte Datum 21. März 1998 sei unzutreffend.

Die Beklagte beantragte in ihrem Schriftsatz zum Eilrechtsverfahren (M 18 E 16.4362) vom 11. Oktober 2016, den Antrag des Klägers abzuweisen: Der Antrag des Klägers müsse dahingehend ausgelegt werden, dass dieser die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII begehre. Ein Anordnungsanspruch sei jedoch nicht glaubhaft gemacht worden. Die Volljährigkeit des Klägers sei in einem 60-minütigem Altersfeststellungsgespräch durch zwei erfahrene Mitarbeiter festgestellt worden. Die Handlungsempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen seien dabei beachtet worden.

Die Entscheidung des BayVGH (Az. 12 CE 14.1833) führe zu keinem anderen Ergebnis, da hier keine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher Merkmale vorgenommen worden sei. Stattdessen seien im Verlauf des Altersfeststellungsgesprächs Fragen zur Person, zu den Eltern, zur Familie, zum eigenen Lebenslauf, zur Angabe des Fluchtwegs und zur individuellen Situation des Befragten geklärt worden. Auch das Verhalten des Befragten werde als Anzeichen für Minderjährigkeit oder Volljährigkeit für die Bewertung herangezogen, sodass eine verlässliche Alterseinschätzung erfolgt sei. Ein Zweifelsfall im Sinne des § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII liege daher nicht vor.

Mit Schriftsatz der Beklagten vom gleichen Tag, die streitgegenständliche Klage betreffend, wurde vollumfänglich auf die Begründung im Eilrechtsverfahren verwiesen und eine Stellungnahme der Sozialpädagogen vorgelegt, die das Alterseinschätzungsgespräch mit dem Kläger führten.

In einem daraufhin ergangenen Eilrechtsbeschluss des Verwaltungsgerichts München vom 17. Oktober 2016 (M 18 E 16.4362) wurde die Beklagte einstweilen verpflichtet, den Kläger vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinderoder Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

In der mündlichen Verhandlung am 7. Dezember 2016 stellte der Kläger die Anträge:

Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, mich in Obhut zu nehmen.

Der Beklagtenvertreter beantragte,

die Klage abzuweisen.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten sowie der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2016 verwiesen.

Gründe

Der Klage ist zulässig und begründet.

Das Klagebegehren ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Kläger mit der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII erreichen will. Ein Anspruch auf eine endgültige Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII scheidet aus. Die §§ 42a ff SGB VIII begründen ein chronologisch gestuftes System, das zunächst nur eine vorläufige Inobhutnahme zulässt. Eine endgültige Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII kommt nur in Betracht, wenn die Zuweisung oder der Ausschluss aus dem Verteilungsverfahren nach § 42b SGB VIII bereits stattgefunden hat.

Der Kläger hat einen Anspruch auf eine vorläufige Inobhutnahme durch die Beklagte, der nicht erfüllt wurde. Der Bescheid vom 5. September 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Der Kläger hat einen Anspruch auf eine vorläufige Inobhutnahme durch die Beklagte nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.

Nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist das Jugendamt verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Nach den §§ 42a Abs. 1 Satz 2, 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII umfasst die Inobhutnahme die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen. Anspruchsberechtigt nach den vorgenannten Normen sind ausschließlich Kinder und Jugendliche. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII ist im Sinne des SGB VIII Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Volljährige dürfen dahingegen nicht in Obhut genommen werden.

Die unbegleitete Einreise nach Deutschland und die örtliche Zuständigkeit der Beklagten sind zwischen den Parteien unstreitig. Streitig ist allein, ob der Kläger minderjährig oder volljährig ist. Das in § 42f SGB VIII normierte Alterseinschätzungsverfahren ist im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme durchzuführen, sodass vor dem Abschluss eines fehlerfreien Alterseinschätzungsverfahrens die vorläufige Inobhutnahme wegen einer angenommenen Volljährigkeit nicht beendet werden kann.

Die Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme durch die Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2016 ist rechtswidrig, da das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit nach § 42f SGB VIII nicht vollständig durchgeführt wurde. Nach § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42a SGB VIII die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen. Eine solche qualifizierte Inaugenscheinnahme nach § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII fand am 5. September 2016 durch die Beklagte statt. Das Ergebnis dieser Inaugenscheinnahme war, dass die Beklagte den Kläger als volljährig einschätzte und daher eine vorläufige Inobhutnahme mit Bescheid vom 5. September 2016 beendete.

Die Beklagte hat jedoch von Amts wegen wegen des Vorliegens eines Zweifelsfalles angesichts der nicht offensichtlichen Volljährigkeit des Klägers eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durchzuführen, bevor sie eine vorläufige Inobhutnahme wegen Volljährigkeit des Klägers beenden kann. Nach § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung durch das Jugendamt stattzufinden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Beschlüssen vom 16. August 2016 (Az. 12 CS 16.1550) und vom 18. August 2016 (12 CE 16.1570) das Tatbestandsmerkmal des Zweifelsfalles in § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausgelegt. Demzufolge liegen Zweifel bei der Feststellung des Alters vor, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig. Eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamtes kann allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein sich Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis von seinem genauem Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss (BayVGH B.v. 16.8.2016 Az. 12 CS 16.1550, juris, Rn. 23 und BayVGH B.v. 18.8.2016 12 CS 1570, juris, Rn. 19). In allen anderen Fällen ist vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, sodass das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII veranlassen muss. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu 5 Jahren, wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren 2 bis 3 Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken (vgl. BayVGH B.v. 16.8.2016 Az. 12 CS 16.1550, Rn. 24 und BayVGH B.v. 18.8.2016 Az. 12 CE 16.1570 Rn. 20).

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ist im vorliegenden Fall eine ärztliche Untersuchung gem. § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII für die Alterseinschätzung durchzuführen. Hierbei kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht darauf an, ob im Rahmen des Gesprächs zur Altersfeststellung lediglich die körperlichen Merkmale des Klägers in Augenschein genommen wurden oder ob sein Verhalten und seine Aussagen auch miteinbezogen wurden, da nach Ansicht des BayVGH lediglich das Aussortieren von ganz offensichtlichen Fällen der Volljährigkeit durch die qualifizierte Inaugenscheinnahme nach § 42f Abs. 1 SGB VIII bezweckt wird (BayVGH B.v. 16.8.2016 Az. 12 CS 16.1550, Rn. 24 und BayVGH B.v. 18.8.2016 Az. 12 CE 16.1570 Rn. 20).

Es erscheint angesichts des Bildes, das das Gericht sich in der mündlichen Verhandlung vom Kläger machen konnte, nicht ausgeschlossen, dass der Kläger minderjährig sein könnte. Die Beklagte hatte als Geburtsdatum den 21. März 1998 festgesetzt. Sie ist daher selbst von einem erst seit einem halben Jahr volljährig gewordenen Kläger ausgegangen. Dies ist innerhalb des oben erwähnten Sicherheitszuschlages, in dem nach der Rechtsprechung des BayVGH (a.a.O.) auf jeden Fall medizinische Untersuchungen durchgeführt werden müssen, um Fehlbeurteilungen zu Lasten von Minderjährigen zu vermeiden.

Da der Anspruch auf vorläufige Inobhutnahme besteht, ist der die Inobhutnahme beendender Bescheid vom 5. September 2016 rechtswidrig und daher aufzuheben.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO.

Die Berufung und die Sprungrevision sind von Amts wegen gemäß der §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 1, 2 Nr. 3, 134 Abs. 1, 2 S. 1, 132 Abs. 1, 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung hat. Eine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist anzunehmen, wenn sie eine rechtliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz bzw. Revisionsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf. Eine solche Klärung ist im Sinne der Rechtseinheit möglich, wenn die klärungsbedürftige Frage mit Auswirkungen über den Einzelfall hinaus in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden kann (Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 18. Auflage 2012, § 124 Rz. 10). Vorliegend ist die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in Zweifelsfällen“ des § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII klärungsbedürftig und somit die Frage, wann das Jugendamt von Amts wegen zur Bestimmung des Alters ein ärztliches Gutachten wegen Zweifel am Alter des Klägers einholen muss. Dies ist im vorliegenden Streitfall entscheidungserheblich, jedoch ist die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in Zweifelsfällen“ für alle weiteren Alterseinschätzungsverfahren nach § 42f SGB VIII bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen entscheidend. Soweit der BayVGH in den o.g. Beschlüssen eine abschließende Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Zweifelsfalls vorgenommen hat, geschah dies im Rahmen von Eilverfahren, wobei die Entscheidung überdies wegen besonderer Eilbedürftigkeit ohne vorherige bzw. weitere Gewährung rechtlichen Gehörs erging. Da eine obergerichtliche oder gar höchstrichterliche Auslegung des o.g. Tatbestandsmerkmals im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens bislang aber nicht vorliegt, sieht das erkennende Gericht eine grundsätzliche Bedeutung noch als gegeben.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Dez. 2016 - M 18 K 16.4361

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Dez. 2016 - M 18 K 16.4361

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Dez. 2016 - M 18 K 16.4361 zitiert 13 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 123


(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ant

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 188


Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in e

Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB 8 | § 42 Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen


(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn 1. das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder2. eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhut

Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB 8 | § 7 Begriffsbestimmungen


(1) Im Sinne dieses Buches ist 1. Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, soweit nicht die Absätze 2 bis 4 etwas anderes bestimmen,2. Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist,3. junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt i

Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB 8 | § 42a Vorläufige Inobhutnahme von ausländischen Kindern und Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise


(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Ein ausländisches Kind oder ein ausl

Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB 8 | § 42f Behördliches Verfahren zur Altersfeststellung


(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzusc

Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB 8 | § 42b Verfahren zur Verteilung unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher


(1) Das Bundesverwaltungsamt benennt innerhalb von zwei Werktagen nach Anmeldung eines unbegleiteten ausländischen Kindes oder Jugendlichen zur Verteilung durch die zuständige Landesstelle das zu dessen Aufnahme verpflichtete Land. Maßgebend dafür is

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Dez. 2016 - M 18 K 16.4361 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Dez. 2016 - M 18 K 16.4361 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgericht München Beschluss, 17. Okt. 2016 - M 18 E 16.4362

bei uns veröffentlicht am 17.10.2016

Tenor I. Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, den Antragssteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. II. Die Antragsgegnerin trägt die Ko

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 18. Aug. 2016 - 12 CE 16.1570

bei uns veröffentlicht am 18.08.2016

Tenor I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Juli 2016 - M 18 E 16.2783 - wird aufgehoben. II. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zur endgültig

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. Aug. 2016 - 12 CS 16.1550

bei uns veröffentlicht am 16.08.2016

Tenor I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) wird aufgehoben und der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wird abgelehnt. Dadurch wird der Beschluss d
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Dez. 2016 - M 18 K 16.4361.

Verwaltungsgericht München Beschluss, 17. Okt. 2016 - M 18 E 16.4362

bei uns veröffentlicht am 17.10.2016

Tenor I. Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, den Antragssteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. II. Die Antragsgegnerin trägt die Ko

Referenzen

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher ist grundsätzlich dann als unbegleitet zu betrachten, wenn die Einreise nicht in Begleitung eines Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten erfolgt; dies gilt auch, wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. § 42 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 und 3, Absatz 5 sowie 6 gilt entsprechend.

(2) Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen,

1.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung des Verteilungsverfahrens gefährdet würde,
2.
ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält,
3.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen erfordert und
4.
ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.
Auf der Grundlage des Ergebnisses der Einschätzung nach Satz 1 entscheidet das Jugendamt über die Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung.

(3) Das Jugendamt ist während der vorläufigen Inobhutnahme berechtigt und verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen und der mutmaßliche Wille der Personen- oder der Erziehungsberechtigten angemessen zu berücksichtigen.

(3a) Das Jugendamt hat dafür Sorge zu tragen, dass für die in Absatz 1 genannten Kinder oder Jugendlichen unverzüglich erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 49 Absatz 8 und 9 des Aufenthaltsgesetzes durchgeführt werden, wenn Zweifel über die Identität bestehen.

(4) Das Jugendamt hat der nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen zuständigen Stelle die vorläufige Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen innerhalb von sieben Werktagen nach Beginn der Maßnahme zur Erfüllung der in § 42b genannten Aufgaben mitzuteilen. Zu diesem Zweck sind auch die Ergebnisse der Einschätzung nach Absatz 2 Satz 1 mitzuteilen. Die nach Landesrecht zuständige Stelle hat gegenüber dem Bundesverwaltungsamt innerhalb von drei Werktagen das Kind oder den Jugendlichen zur Verteilung anzumelden oder den Ausschluss der Verteilung anzuzeigen.

(5) Soll das Kind oder der Jugendliche im Rahmen eines Verteilungsverfahrens untergebracht werden, so umfasst die vorläufige Inobhutnahme auch die Pflicht,

1.
die Begleitung des Kindes oder des Jugendlichen und dessen Übergabe durch eine insofern geeignete Person an das für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständige Jugendamt sicherzustellen sowie
2.
dem für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständigen Jugendamt unverzüglich die personenbezogenen Daten zu übermitteln, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 42 erforderlich sind.
Hält sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland auf, hat das Jugendamt auf eine Zusammenführung des Kindes oder des Jugendlichen mit dieser Person hinzuwirken, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Das Kind oder der Jugendliche ist an der Übergabe und an der Entscheidung über die Familienzusammenführung angemessen zu beteiligen.

(6) Die vorläufige Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder an das aufgrund der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde nach § 88a Absatz 2 Satz 1 zuständige Jugendamt oder mit der Anzeige nach Absatz 4 Satz 3 über den Ausschluss des Verteilungsverfahrens nach § 42b Absatz 4.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher ist grundsätzlich dann als unbegleitet zu betrachten, wenn die Einreise nicht in Begleitung eines Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten erfolgt; dies gilt auch, wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. § 42 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 und 3, Absatz 5 sowie 6 gilt entsprechend.

(2) Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen,

1.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung des Verteilungsverfahrens gefährdet würde,
2.
ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält,
3.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen erfordert und
4.
ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.
Auf der Grundlage des Ergebnisses der Einschätzung nach Satz 1 entscheidet das Jugendamt über die Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung.

(3) Das Jugendamt ist während der vorläufigen Inobhutnahme berechtigt und verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen und der mutmaßliche Wille der Personen- oder der Erziehungsberechtigten angemessen zu berücksichtigen.

(3a) Das Jugendamt hat dafür Sorge zu tragen, dass für die in Absatz 1 genannten Kinder oder Jugendlichen unverzüglich erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 49 Absatz 8 und 9 des Aufenthaltsgesetzes durchgeführt werden, wenn Zweifel über die Identität bestehen.

(4) Das Jugendamt hat der nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen zuständigen Stelle die vorläufige Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen innerhalb von sieben Werktagen nach Beginn der Maßnahme zur Erfüllung der in § 42b genannten Aufgaben mitzuteilen. Zu diesem Zweck sind auch die Ergebnisse der Einschätzung nach Absatz 2 Satz 1 mitzuteilen. Die nach Landesrecht zuständige Stelle hat gegenüber dem Bundesverwaltungsamt innerhalb von drei Werktagen das Kind oder den Jugendlichen zur Verteilung anzumelden oder den Ausschluss der Verteilung anzuzeigen.

(5) Soll das Kind oder der Jugendliche im Rahmen eines Verteilungsverfahrens untergebracht werden, so umfasst die vorläufige Inobhutnahme auch die Pflicht,

1.
die Begleitung des Kindes oder des Jugendlichen und dessen Übergabe durch eine insofern geeignete Person an das für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständige Jugendamt sicherzustellen sowie
2.
dem für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständigen Jugendamt unverzüglich die personenbezogenen Daten zu übermitteln, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 42 erforderlich sind.
Hält sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland auf, hat das Jugendamt auf eine Zusammenführung des Kindes oder des Jugendlichen mit dieser Person hinzuwirken, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Das Kind oder der Jugendliche ist an der Übergabe und an der Entscheidung über die Familienzusammenführung angemessen zu beteiligen.

(6) Die vorläufige Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder an das aufgrund der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde nach § 88a Absatz 2 Satz 1 zuständige Jugendamt oder mit der Anzeige nach Absatz 4 Satz 3 über den Ausschluss des Verteilungsverfahrens nach § 42b Absatz 4.

(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.

(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.

Tenor

I.

Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, den Antragssteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

II.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger und am ... ... 2001 geboren.

Am 2. September 2016 wurde der Antragsteller von der Polizeiinspektion ... am Hauptbahnhof München erkennungsdienstlich behandelt und aufgrund seiner Angabe, am ... ... 2001 geboren zu sein, in die Aufnahmeeinrichtung ... ... ... in München verbracht. Am 5. September 2016 fand ein Alterseinschätzungsgespräch bei der Antragsgegnerin statt. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass der Antragsteller volljährig sei. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurde das Geburtsdatum auf den ... ... 1998 festgesetzt und eine Inobhutnahme gemäß § 42a Abs. 1 SGB VIII abgelehnt. Als Begründung wurde angegeben, dass der Antragsteller keine beweiskräftigen Ausweispapiere oder sonstige Papiere vorgelegt habe und seine Minderjährigkeit auch nicht durch eine schlüssige mündliche Sachverhaltsdarstellung begründen habe können. Der Bescheid wurde dem Antragsteller ausgehändigt. Daraufhin wurde der Antragsteller in die Gemeinschaftsunterkunft Bayernkaserne in der Heidemannstrasse in München verlegt.

Am 26. September 2016 erhob der Antragssteller zur Niederschrift Klage (M 18 K 16.4361) gegen die Landeshauptstadt München.

Am gleichen Tag stellte der Antragsteller zur Niederschrift folgenden Antrag:

Die Beklagte wird im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO verpflichtet, mich umgehend in Obhut zu nehmen.

Als Begründung gab der Antragsteller an, dass die Ablehnung der Inobhutnahme mit Bescheid vom 5. September 2016 falsch sei. Er sei tatsächlich noch minderjährig und am ... ... 2001 geboren. Das festgesetzte Datum ... ... 1998 sei unzutreffend. Des Weiteren verweise er auf die in Kopie beigefügten Unterlagen.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 11.10.2016

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag des Antragstellers müsse dahingehend ausgelegt werden, dass dieser die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII begehre. Ein Anordnungsanspruch sei jedoch nicht glaubhaft gemacht worden. Die Volljährigkeit des Antragsstellers sei in einem 60-minütigem Altersfeststellungsgespräch durch zwei erfahrene Mitarbeiter festgestellt worden. Die Handlungsempfehlungen der von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen seien dabei beachtet worden.

Die Entscheidung des BayVGH (Az. 12 CE 14.1833) führe zu keinem anderen Ergebnis, da hier keine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher Merkmale vorgenommen worden sei. Stattdessen seien im Verlauf des Altersfeststellungsgesprächs Fragen zur Person, zu den Eltern, zur Familie, zum eigenen Lebenslauf, zur Angabe des Fluchwegs und zur individuellen Situation des Befragten geklärt worden. Auch das Verhalten des Befragten werde auf Anzeichen für Minderjährigkeit oder Volljährigkeit für die Bewertung herangezogen, so dass eine verlässliche Alterseinschätzung erfolgt sei. Ein Zweifelsfall im Sinne des § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII liege daher nicht vor.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Der Antrag des Antragstellers ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.

Der Antrag des Antragstellers ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er mit der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII erreichen will. Ein Anspruch auf eine endgültige Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII scheidet offensichtlich aus. Die §§ 42a ff SGB VIII begründen ein chronologisch gestuftes System, das zunächst nur eine vorläufige Inobhutnahme zulässt. Eine endgültige Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII kommt nur in Betracht, wenn die Zuweisung oder der Ausschluss aus dem Verteilungsverfahren nach § 42b SGB VIII bereits stattgefunden hat.

2. Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zu Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheinen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohenden Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

2.1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Nach § 42a Abs.1 Satz 2, 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII umfasst die Inobhutnahme die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen.

Anspruchsberechtigt nach den vorgenannten Normen sind ausschließlich Kinder und Jugendliche. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII ist im Sinne des SGB VIII Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Volljährige dürfen dagegen nicht in Obhut genommen werden.

Die Ablehnung der vorläufigen Inobhutnahme durch die Antragsgegnerin aufgrund der von ihr festgestellten Volljährigkeit ist rechtswidrig, da sie das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit nach § 42f SGB VIII nicht vollständig durchgeführt hat. Nach § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42a SGB VIII die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen. Eine solche qualifizierte Inaugenscheinnahme nach § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII fand am 5. September 2016 statt. Das Ergebnis dieser Inaugenscheinnahme war, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller als volljährig ansah und daher eine vorläufige Inobhutnahme mit Bescheid vom 05. September 2016 ablehnte.

Die Antragsgegnerin hat jedoch von Amts wegen des Vorliegens eines Zweifelsfalles angesichts der nicht offensichtlichen Volljährigkeit des Antragstellers eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durchzuführen, bevor sie eine vorläufige Inobhutnahme wegen Volljährigkeit des Antragstellers ausschließen kann. Nach § 42f Abs. 2 Satz 1 hat auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung durch das Jugendamt stattzufinden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 16.8.2016 (Az. 12 CS 16.1550) und vom 18.8.2016 (12 CE 16.1570) das Tatbestandsmerkmal des Zweifelsfalles in § 42f Abs. 2 Satz 1 ausgelegt. Dementsprechend liegen Zweifel bei der Feststellung des Alters vor, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig. Eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamtes kann allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein sich Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigenen Unkenntnis von seinem genauem Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss (BayVGH B.v. 16.8.2016 Az. 12 CS 16.1550, juris, Rn. 23 und BayVGH B.v. 18.8.2016 12 CS 1570, juris, Rn. 19). In allen anderen Fällen ist vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, so dass das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42f Abs. 2 Satz 1 veranlassen muss. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu 5 Jahren, wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren 2 bis 3 Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken (vgl. BayVGH B.v. 16.8.2016 Az. 12 CS 16.1550, Rn. 24 und BayVGH B.v. 18.8.2016 Az. 12 CE 16.1570 Rn. 20).

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ist im vorliegenden Fall ein ärztliches Gutachten gem. § 42f Abs. 2 Satz 1 von der Antragsgegnerin zu veranlassen. Hierbei kommt es entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht darauf an, ob lediglich die körperlichen Merkmale des Antragstellers in Augenschein genommen wurden oder sein Verhalten und seine Aussagen auch miteinbezogen wurden, da nach Ansicht des BayVGH lediglich das Aussortieren von ganz offensichtlichen Fällen der Volljährigkeit durch die qualifizierte Inaugenscheinnahme nach § 42f Abs. 1 SGB VIII bezweckt wird (BayVGH B.v. 16.8.2016 Az. 12 CS 16.1550, Rn. 24 und BayVGH B.v. 18.8.2016 Az. 12 CE 16.1570 Rn. 20).

Es erscheint angesichts der in der Akte vorliegenden Fotos nicht in jeglicher Hinsicht ausgeschlossen, dass der Kläger minderjährig sein könnte. Die Beklagte selbst hatte als Geburtsdatum den ... ... 1998 festgesetzt. Sie ist daher von einem erst seit einem halben Jahr volljährig gewordenen Kläger ausgegangen. Dies liegt innerhalb des oben erwähnten Sicherheitszuschlages, in dem auf jeden Fall medizinische Untersuchungen durchgeführt werden müssen, um Fehlbeurteilungen zulasten von Minderjährigen zu vermeiden.

2.2 Der Antragsteller konnte auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen.

Der Antragsteller kann nicht darauf verwiesen werden, bis zur ordnungsgemäß durchgeführten Alterseinschätzung einstweilen in einer Asylbewerberunterkunft für Erwachsene zu verbleiben, da eine Unterbringung dort und eine solche in einer Jugendhilfeeinrichtung oder einer Pflegefamilie nicht annähernd gleichwertig sind (BayVGH v. 23.9.2014 Az. 12 CE 14. 1833 - juris Rn.26).

3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 188 Satz 2 VwGO.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher ist grundsätzlich dann als unbegleitet zu betrachten, wenn die Einreise nicht in Begleitung eines Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten erfolgt; dies gilt auch, wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. § 42 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 und 3, Absatz 5 sowie 6 gilt entsprechend.

(2) Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen,

1.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung des Verteilungsverfahrens gefährdet würde,
2.
ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält,
3.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen erfordert und
4.
ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.
Auf der Grundlage des Ergebnisses der Einschätzung nach Satz 1 entscheidet das Jugendamt über die Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung.

(3) Das Jugendamt ist während der vorläufigen Inobhutnahme berechtigt und verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen und der mutmaßliche Wille der Personen- oder der Erziehungsberechtigten angemessen zu berücksichtigen.

(3a) Das Jugendamt hat dafür Sorge zu tragen, dass für die in Absatz 1 genannten Kinder oder Jugendlichen unverzüglich erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 49 Absatz 8 und 9 des Aufenthaltsgesetzes durchgeführt werden, wenn Zweifel über die Identität bestehen.

(4) Das Jugendamt hat der nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen zuständigen Stelle die vorläufige Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen innerhalb von sieben Werktagen nach Beginn der Maßnahme zur Erfüllung der in § 42b genannten Aufgaben mitzuteilen. Zu diesem Zweck sind auch die Ergebnisse der Einschätzung nach Absatz 2 Satz 1 mitzuteilen. Die nach Landesrecht zuständige Stelle hat gegenüber dem Bundesverwaltungsamt innerhalb von drei Werktagen das Kind oder den Jugendlichen zur Verteilung anzumelden oder den Ausschluss der Verteilung anzuzeigen.

(5) Soll das Kind oder der Jugendliche im Rahmen eines Verteilungsverfahrens untergebracht werden, so umfasst die vorläufige Inobhutnahme auch die Pflicht,

1.
die Begleitung des Kindes oder des Jugendlichen und dessen Übergabe durch eine insofern geeignete Person an das für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständige Jugendamt sicherzustellen sowie
2.
dem für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständigen Jugendamt unverzüglich die personenbezogenen Daten zu übermitteln, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 42 erforderlich sind.
Hält sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland auf, hat das Jugendamt auf eine Zusammenführung des Kindes oder des Jugendlichen mit dieser Person hinzuwirken, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Das Kind oder der Jugendliche ist an der Übergabe und an der Entscheidung über die Familienzusammenführung angemessen zu beteiligen.

(6) Die vorläufige Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder an das aufgrund der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde nach § 88a Absatz 2 Satz 1 zuständige Jugendamt oder mit der Anzeige nach Absatz 4 Satz 3 über den Ausschluss des Verteilungsverfahrens nach § 42b Absatz 4.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn

1.
das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder
2.
eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und
a)
die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder
b)
eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
3.
ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen; im Fall von Satz 1 Nummer 2 auch ein Kind oder einen Jugendlichen von einer anderen Person wegzunehmen.

(2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen umfassend und in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form über diese Maßnahme aufzuklären, die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen; § 39 Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 gehört zu den Rechtshandlungen nach Satz 4, zu denen das Jugendamt verpflichtet ist, insbesondere die unverzügliche Stellung eines Asylantrags für das Kind oder den Jugendlichen in Fällen, in denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Kind oder der Jugendliche internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes benötigt; dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen.

(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten, sie in einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form umfassend über diese Maßnahme aufzuklären und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich

1.
das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder
2.
eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.
Sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht erreichbar, so gilt Satz 2 Nummer 2 entsprechend. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren zur Gewährung einer Hilfe einzuleiten.

(4) Die Inobhutnahme endet mit

1.
der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten,
2.
der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.

(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.

(6) Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen.

(1) Das Bundesverwaltungsamt benennt innerhalb von zwei Werktagen nach Anmeldung eines unbegleiteten ausländischen Kindes oder Jugendlichen zur Verteilung durch die zuständige Landesstelle das zu dessen Aufnahme verpflichtete Land. Maßgebend dafür ist die Aufnahmequote nach § 42c.

(2) Im Rahmen der Aufnahmequote nach § 42c soll vorrangig dasjenige Land benannt werden, in dessen Bereich das Jugendamt liegt, das das Kind oder den Jugendlichen nach § 42a vorläufig in Obhut genommen hat. Hat dieses Land die Aufnahmequote nach § 42c bereits erfüllt, soll das nächstgelegene Land benannt werden.

(3) Die nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen zuständige Stelle des nach Absatz 1 benannten Landes weist das Kind oder den Jugendlichen innerhalb von zwei Werktagen einem in seinem Bereich gelegenen Jugendamt zur Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zu und teilt dies demjenigen Jugendamt mit, welches das Kind oder den Jugendlichen nach § 42a vorläufig in Obhut genommen hat. Maßgeblich für die Zuweisung sind die spezifischen Schutzbedürfnisse und Bedarfe unbegleiteter ausländischer Minderjähriger. Für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen ist das Landesjugendamt zuständig, es sei denn, dass Landesrecht etwas anderes regelt.

(4) Die Durchführung eines Verteilungsverfahrens ist bei einem unbegleiteten ausländischen Kind oder Jugendlichen ausgeschlossen, wenn

1.
dadurch dessen Wohl gefährdet würde,
2.
dessen Gesundheitszustand die Durchführung eines Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42a nicht zulässt,
3.
dessen Zusammenführung mit einer verwandten Person kurzfristig erfolgen kann, zum Beispiel aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), und dies dem Wohl des Kindes entspricht oder
4.
die Durchführung des Verteilungsverfahrens nicht innerhalb von einem Monat nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme erfolgt.

(5) Geschwister dürfen nicht getrennt werden, es sei denn, dass das Kindeswohl eine Trennung erfordert. Im Übrigen sollen unbegleitete ausländische Kinder oder Jugendliche im Rahmen der Aufnahmequote nach § 42c nach Durchführung des Verteilungsverfahrens gemeinsam nach § 42 in Obhut genommen werden, wenn das Kindeswohl dies erfordert.

(6) Der örtliche Träger stellt durch werktägliche Mitteilungen sicher, dass die nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen zuständige Stelle jederzeit über die für die Zuweisung nach Absatz 3 erforderlichen Angaben unterrichtet wird. Die nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen zuständige Stelle stellt durch werktägliche Mitteilungen sicher, dass das Bundesverwaltungsamt jederzeit über die Angaben unterrichtet wird, die für die Benennung des zur Aufnahme verpflichteten Landes nach Absatz 1 erforderlich sind.

(7) Gegen Entscheidungen nach dieser Vorschrift findet kein Widerspruch statt. Die Klage gegen Entscheidungen nach dieser Vorschrift hat keine aufschiebende Wirkung.

(8) Das Nähere regelt das Landesrecht.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher ist grundsätzlich dann als unbegleitet zu betrachten, wenn die Einreise nicht in Begleitung eines Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten erfolgt; dies gilt auch, wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. § 42 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 und 3, Absatz 5 sowie 6 gilt entsprechend.

(2) Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen,

1.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung des Verteilungsverfahrens gefährdet würde,
2.
ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält,
3.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen erfordert und
4.
ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.
Auf der Grundlage des Ergebnisses der Einschätzung nach Satz 1 entscheidet das Jugendamt über die Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung.

(3) Das Jugendamt ist während der vorläufigen Inobhutnahme berechtigt und verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen und der mutmaßliche Wille der Personen- oder der Erziehungsberechtigten angemessen zu berücksichtigen.

(3a) Das Jugendamt hat dafür Sorge zu tragen, dass für die in Absatz 1 genannten Kinder oder Jugendlichen unverzüglich erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 49 Absatz 8 und 9 des Aufenthaltsgesetzes durchgeführt werden, wenn Zweifel über die Identität bestehen.

(4) Das Jugendamt hat der nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen zuständigen Stelle die vorläufige Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen innerhalb von sieben Werktagen nach Beginn der Maßnahme zur Erfüllung der in § 42b genannten Aufgaben mitzuteilen. Zu diesem Zweck sind auch die Ergebnisse der Einschätzung nach Absatz 2 Satz 1 mitzuteilen. Die nach Landesrecht zuständige Stelle hat gegenüber dem Bundesverwaltungsamt innerhalb von drei Werktagen das Kind oder den Jugendlichen zur Verteilung anzumelden oder den Ausschluss der Verteilung anzuzeigen.

(5) Soll das Kind oder der Jugendliche im Rahmen eines Verteilungsverfahrens untergebracht werden, so umfasst die vorläufige Inobhutnahme auch die Pflicht,

1.
die Begleitung des Kindes oder des Jugendlichen und dessen Übergabe durch eine insofern geeignete Person an das für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständige Jugendamt sicherzustellen sowie
2.
dem für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständigen Jugendamt unverzüglich die personenbezogenen Daten zu übermitteln, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 42 erforderlich sind.
Hält sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland auf, hat das Jugendamt auf eine Zusammenführung des Kindes oder des Jugendlichen mit dieser Person hinzuwirken, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Das Kind oder der Jugendliche ist an der Übergabe und an der Entscheidung über die Familienzusammenführung angemessen zu beteiligen.

(6) Die vorläufige Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder an das aufgrund der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde nach § 88a Absatz 2 Satz 1 zuständige Jugendamt oder mit der Anzeige nach Absatz 4 Satz 3 über den Ausschluss des Verteilungsverfahrens nach § 42b Absatz 4.

(1) Im Sinne dieses Buches ist

1.
Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, soweit nicht die Absätze 2 bis 4 etwas anderes bestimmen,
2.
Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist,
3.
junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist,
4.
junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist,
5.
Personensorgeberechtigter, wem allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Personensorge zusteht,
6.
Erziehungsberechtigter, der Personensorgeberechtigte und jede sonstige Person über 18 Jahre, soweit sie auf Grund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt.

(2) Kinder, Jugendliche, junge Volljährige und junge Menschen mit Behinderungen im Sinne dieses Buches sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Kinder, Jugendliche, junge Volljährige und junge Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(3) Kind im Sinne des § 1 Absatz 2 ist, wer noch nicht 18 Jahre alt ist.

(4) Werktage im Sinne der §§ 42a bis 42c sind die Wochentage Montag bis Freitag; ausgenommen sind gesetzliche Feiertage.

(5) Die Bestimmungen dieses Buches, die sich auf die Annahme als Kind beziehen, gelten nur für Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.

(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.

(1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher ist grundsätzlich dann als unbegleitet zu betrachten, wenn die Einreise nicht in Begleitung eines Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten erfolgt; dies gilt auch, wenn das Kind oder der Jugendliche verheiratet ist. § 42 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 und 3, Absatz 5 sowie 6 gilt entsprechend.

(2) Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen,

1.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen durch die Durchführung des Verteilungsverfahrens gefährdet würde,
2.
ob sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält,
3.
ob das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten ausländischen Kindern oder Jugendlichen erfordert und
4.
ob der Gesundheitszustand des Kindes oder des Jugendlichen die Durchführung des Verteilungsverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme ausschließt; hierzu soll eine ärztliche Stellungnahme eingeholt werden.
Auf der Grundlage des Ergebnisses der Einschätzung nach Satz 1 entscheidet das Jugendamt über die Anmeldung des Kindes oder des Jugendlichen zur Verteilung oder den Ausschluss der Verteilung.

(3) Das Jugendamt ist während der vorläufigen Inobhutnahme berechtigt und verpflichtet, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind. Dabei ist das Kind oder der Jugendliche zu beteiligen und der mutmaßliche Wille der Personen- oder der Erziehungsberechtigten angemessen zu berücksichtigen.

(3a) Das Jugendamt hat dafür Sorge zu tragen, dass für die in Absatz 1 genannten Kinder oder Jugendlichen unverzüglich erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 49 Absatz 8 und 9 des Aufenthaltsgesetzes durchgeführt werden, wenn Zweifel über die Identität bestehen.

(4) Das Jugendamt hat der nach Landesrecht für die Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen zuständigen Stelle die vorläufige Inobhutnahme des Kindes oder des Jugendlichen innerhalb von sieben Werktagen nach Beginn der Maßnahme zur Erfüllung der in § 42b genannten Aufgaben mitzuteilen. Zu diesem Zweck sind auch die Ergebnisse der Einschätzung nach Absatz 2 Satz 1 mitzuteilen. Die nach Landesrecht zuständige Stelle hat gegenüber dem Bundesverwaltungsamt innerhalb von drei Werktagen das Kind oder den Jugendlichen zur Verteilung anzumelden oder den Ausschluss der Verteilung anzuzeigen.

(5) Soll das Kind oder der Jugendliche im Rahmen eines Verteilungsverfahrens untergebracht werden, so umfasst die vorläufige Inobhutnahme auch die Pflicht,

1.
die Begleitung des Kindes oder des Jugendlichen und dessen Übergabe durch eine insofern geeignete Person an das für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständige Jugendamt sicherzustellen sowie
2.
dem für die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 zuständigen Jugendamt unverzüglich die personenbezogenen Daten zu übermitteln, die zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 42 erforderlich sind.
Hält sich eine mit dem Kind oder dem Jugendlichen verwandte Person im Inland oder im Ausland auf, hat das Jugendamt auf eine Zusammenführung des Kindes oder des Jugendlichen mit dieser Person hinzuwirken, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Das Kind oder der Jugendliche ist an der Übergabe und an der Entscheidung über die Familienzusammenführung angemessen zu beteiligen.

(6) Die vorläufige Inobhutnahme endet mit der Übergabe des Kindes oder des Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder an das aufgrund der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde nach § 88a Absatz 2 Satz 1 zuständige Jugendamt oder mit der Anzeige nach Absatz 4 Satz 3 über den Ausschluss des Verteilungsverfahrens nach § 42b Absatz 4.

(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.

(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) wird aufgehoben und der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wird abgelehnt.

Dadurch wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wiederhergestellt, kraft dessen der Antragsgegner verpflichtet ist, den Antragsteller auch weiterhin in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

II.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Abänderungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur (vorläufigen) Inobhutnahme des Antragstellers als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Der Antragsteller, nach seinen eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, erhob durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. März 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Januar 2016, mit dem sein Antrag vom 12. Januar 2016 auf Inobhutnahme abgelehnt worden war, aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihn ärztlich untersuchen zu lassen. Die Klage Ist derzeit unter dem Az. M 18 K 16.1266 beim Verwaltungsgericht München anhängig.

Ferner ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. März 2016 beantragen, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen (M 18 E 16.1267). Die vom Antragsgegner im Aktenvermerk vom 11. November 2015 festgehaltene Aussage, „der junge Mann wurde sowohl vom Foto her als auch im Gesamteindruck auf 19 Jahre geschätzt“, beinhalte keine sachgerechte Altersfeststellung.

2. Mit Beschluss vom 2. Mai 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen (§ 123 VwGO). Seitens des Antragsgegners sei bislang keine ordnungsgemäße Alterseinschätzung durchgeführt worden.

3. Mit Schreiben vom 22. Juni 2016 beantragte der Antragsgegner, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 aufzuheben. Eine am 3. Juni 2016 durchgeführte Altersfeststellung habe (erneut) die Volljährigkeit des Antragstellers ergeben. Dessen äußeres Erscheinungsbild sei durch eine tiefe Stimmlage, dichte Haare, ausgeprägte Stirnfalten und Bartwuchs, kantige Gesichtszüge, einen erwachsenen Körperbau sowie eine abgeschlossene körperliche Entwicklung gekennzeichnet. Art und Ausdrucksweise seien während des am 3. Juni 2016 von drei Mitarbeitern des Jugendamtes unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers geführten Gesprächs bewusst und überlegt gewesen. So habe der Antragsteller erklärt, fünf Brüder und eine Schwester zu haben, zu deren Alter er allerdings keine genauen Angaben machen könne. Seine Familie habe überwiegend von der Landwirtschaft gelebt, er selbst habe außer der Koranschule keine Schule besucht, aber rund drei bis vier Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet. Das Alter, das er angeblich von seiner Mutter erfahren habe, habe er mit 16 Jahren angegeben. Während des Gesprächs habe der Antragsteller sicher, gefasst und rational reagiert, auf genauere Nachfragen zu seiner Biographie jedoch ausweichend geantwortet.

4. Mit Beschluss vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) hob das Verwaltungsgericht München seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 auf und lehnte den Antrag des Antragstellers vom 15. März 2016, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen, ab (§ 80 Abs. 7 VwGO analog). Die für die Entscheidung vom 2. Mai 2016 maßgebliche Sachlage habe sich geändert. Aufgrund der vom Antragsgegner am 3. Juni 2016 durchgeführten Alterseinschätzung sei nunmehr von der Volljährigkeit des Antragstellers auszugehen, so dass dieser nicht mehr in Obhut genommen werden könne und dürfe. Der Antragsteller verfüge über keine aussagekräftigen Ausweispapiere, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden. Die in den Akten enthalte Ablichtung bzw. Fotographie einer Tazkira stelle kein Dokument mit Beweiswert dar. Der Antragsgegner sei daher gehalten gewesen eine Alterseinschätzung durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme des Antragstellers, die eine Befragung einschließe, durchzuführen (§42 f Abs. 1 Satz 1 SGBVIII). Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme sei der Antragsgegner, für das Gericht, das sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild von dem Antragsteller machen könne, nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antragsteller volljährig sei. Der Antragsteller habe selbst wechselnde Angaben zu seinem Alter gemacht. Gegenüber der Bundespolizei in Deggendorf habe er sein Alter anlässlich der Einreise am 18. Oktober 2015 mit 15 Jahren (entsprechend Geburtsjahr 2000) angegeben, gegenüber den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma in der Gemeinschaftsunterkunft in Markt Indersdorf jedoch behauptet, am 20. Januar 1999 geboren zu sein. Im Antrag auf Inobhutnahme vom 12. Januar 2016 sei schließlich das Geburtsdatum 1. Januar 1999 angegeben worden. Zum Alter seiner Geschwister habe er keine genaueren Angaben machen können. Klaren Aussagen zu seiner Biographie, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden, sei er nach den Feststellungen des Antragsgegners ausgewichen. Von einem unbegleiteten Minderjährigen könne grundsätzlich erwartet werden, dass er Angaben zu seinem Lebenslauf mache, die eine gewisse zeitliche Einordnung ermöglichten. Die wenigen Angaben des Antragstellers seien nicht geeignet, die ausreichend dokumentierte Feststellung des Antragsgegners zu erschüttern, der Antragsteller sei nach seinem äußerem Erscheinungsbild und seinem Verhalten volljährig. Es liege auch kein Zweifelsfall vor, der eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) erfordern würde. Für die Annahme eines Zweifelsfalls sei es nicht ausreichend, dass der Antragsteller seine Minderjährigkeit lediglich behaupte.

5. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter, aufgrund des ursprünglichen, ihm günstigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 weiterhin in vorläufiger Obhut zu verbleiben. Über die Durchführung der Alterseinschätzung vom 3. Juni 2016 sei kein Protokoll vorgelegt worden. Es existiere lediglich ein Schreiben an den Antragsteller vom 13. Juni 2016, in dem der Antragsgegner die getroffenen Feststellungen aus seiner Sicht schildere. Diese Darstellung habe das Verwaltungsgericht - wie es selbst auch ausdrücklich einräume - ohne jede weitere Prüfung mit der Erwägung übernommen, es könne sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild machen. Ob überhaupt eine qualifizierte Inaugenscheinnahme stattgefunden habe, wie § 42 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dies vorsehe, habe das Verwaltungsgericht nicht geprüft und - mangels Protokoll - auch gar nicht näher prüfen können. Ungeachtet dessen seien die Feststellungen zum äußeren Erscheinungsbild des Antragstellers auch keineswegs zwingend. Dichte Haare, kantige Gesichtszüge oder ausgeprägte Stirnfalten seien keine eindeutigen Alterskriterien. Auch ein ausgeprägter Bart sei kein zwingendes Indiz für ein höheres Alter. Desgleichen bedeute eine tiefe Stimmlage lediglich, dass der Stimmbruch stattgefunden habe, sage aber über die Vollendung des 18. Lebensjahres nichts aus. Für die Feststellung, die körperliche Entwicklung des Antragstellers sei abgeschlossen, fehle den Mitarbeitern des Jugendamtes die fachliche Kompetenz. Dem Begehren des Antragstellers, eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durchzuführen, habe deshalb entsprochen werden müssen.

Der Antragsgegner tritt dem entgegen und verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016. Der Antragsteller habe zwischenzeitlich mittels eines Antrags auf Gewährung von Jugendhilfe für junge Volljährige die schriftliche Erklärung abgegeben, volljährig zu sein. Auf die möglichen Folgen eines solchen Antrags für das vorliegende Verfahren sei er hingewiesen worden (vgl. Aktenvermerk vom 28.7.2016, Bl. 39 d. Senatsakten).

Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilt hierzu mit, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sei eine Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller noch nicht möglich gewesen. Die Beantragung von Hilfe für junge Erwachsene beinhalte nicht notwendig, dass der Antragsteller seine Behauptung, minderjährig zu sein, aufgegeben habe. Das Antragsformular sei ersichtlich nicht vom Antragsteller ausgefüllt worden. Dass der Antragsgegner den Antragsteller in eine Zwickmühle gebracht habe, zwischen einer Unterbringung in einer Unterkunft für Volljährige oder einer Unterzeichnung des Antragsformulars und einem Verbleib in der Jugendhilfeeinrichtung zu wählen, mache deutlich, dass der Antragsteller in seiner Entscheidungsfreiheit zumindest eingeengt gewesen sei.

6. Die Landesanwaltschaft Bayern ist dem Verfahren als Vertreterin des öffentlichen Interesses beigetreten, allerdings ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Sie unter- stützt die Rechtsauffassung des Antragsgegners. Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel daran hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 zu Unrecht aufgehoben. Der Antragsgegner ist in dieser Entscheidung zu Recht verpflichtet worden, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Diese Entscheidung war durch Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 und Ablehnung des Abänderungsantrags des Antragsgegners vom 22. Juni 2016 wiederherzustellen.

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vor- läufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und Ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in §42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B. v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu §42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemissphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014- 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B. v. 18.11.2015-2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und Ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamtes durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 -1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGBVIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sqbwiesner.de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind.

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen.

§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.)

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, In: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamtes ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht.

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar.

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannte Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß §42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sieh-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss.

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken.

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B. v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 4.3.2013 -OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist.

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B. v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, §42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden.

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satzl Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegen- stehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen.

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Aufhebung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 und die damit verbundene Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht keinen Bestand haben. Die vom Antragsgegner unter dem 3. Juni 2016 durchgeführte Alterseinschätzung genügt den oben beschriebenen Anforderungen nicht entfernt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden - wie der Antragsteller zu Recht rügt - nicht in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise dokumentiert. Es fehlt - auch wenn man das Schreiben vom 13. Juni 2016 zugrunde legt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild des Antragstellers und dem aus dessen Verhalten gewonnenen - persönlichen -Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund einer mutmaßlichen Herkunft des betroffenen Antragstellers aus Afghanistan, einem Land, in dem dem Geburtsdatum eines Menschen keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20), widersprüchliche Angaben des Antragstellers zu seinem Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet vielmehr im Gegenteil Zweifel an der Selbstauskunft des Antragstellers, welchen im Rahmen des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist.

Ungeachtet dessen gehört der Antragsteller nach dem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 15. November 2015, in dem sein Alter auf 19 Jahre geschätzt wird, gerade in den in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Dass der Antragsteller, vom Antragsgegner vor die Wahl gestellt, aufgrund der (wegen des Laufs der Rechtsmittelfrist im Übrigen noch gar nicht rechtskräftigen) Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 wieder in die Unterkunft für Asylbewerber zurückkehren zu müssen oder unter der Voraussetzung, dass er einen Antrag auf Jugendhilfe für Volljährige stelle, weiterhin in der Jugendhilfeeinrichtung verbleiben zu dürfen, sich am 28. Juli 2016 aus nachvollziehbaren Gründen für Letzteres „entschieden“ hat, sagt angesichts der bereits zuvor offen zutage getretenen Zweifel an der Voll- bzw. Minderjährigkeit des Antragstellers über dessen tatsächliches Lebensalter nicht das Geringste aus. Vielmehr wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob der Antragsteller vor dem Hintergrund des zum damaligen Zeitpunkt bereits angekündigten Rechtsmittels in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt wurde und wer hierfür gegebenenfalls die Verantwortung trägt, statt einfach den Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abzuwarten.

Der Antragsgegner wird gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII die ärztliche Untersuchung des Antragstellers unverzüglich in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis dahin dauert die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 getroffene Anordnung der vorläufigen Inobhutnahme des Antragstellers fort.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache ergeht die Entscheidung ohne weitere Gewährung rechtlichen Gehörs.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Juli 2016 - M 18 E 16.2783 - wird aufgehoben.

II.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zur endgültigen Klärung ihres Alters im Rahmen des anhängigen Hauptsacheverfahrens in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

III.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur vorläufigen Inobhutnahme der Antragstellerin als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Die Antragstellerin ist ihren eigenen Angaben zufolge somalische Staatsangehörige und reiste am 25. Mai 2016 in das Bundesgebiet ein. Am 30. Mai 2016 führten drei Mitarbeiter der Antragsgegnerin unter Einschaltung eines Sprachmittlers ein Inobhutnahmegespräch mit der Antragstellerin durch. In einem stichpunktartig geführten Protokoll ist dabei hinsichtlich der äußeren Merkmale der Antragstellerin festgehalten, Stimmlage: hoch; Haare: bedeckt (gefärbt); Halsfalten: erkennbar tief; Gesichtszüge: nasolabiale Falten, Falten um die Augen (tiefe Augenfalte); Körperbau: kräftig, weibliche Rundungen; Hände: größere Hände, dicke Finger. Hinsichtlich des Verhaltens der Antragstellerin ist im Wesentlichen vermerkt, diese sitze ruhig mit verschlossener Haltung und habe einen traurigen Blick. Sie besitze genaue Vorstellungen, was sie erreichen möchte (Schule, Gesundheit, …), was auf ein reifes Verhalten hindeute. Einerseits habe sie angegeben, ihr Geburtsdatum sei niemanden bekannt, andererseits habe sie jedoch mitgeteilt, sie sei am 2. Juli 1999 geboren. Ihre Mutter habe ihr dies kurz vor ihrer Ausreise gesagt. Darüber hinaus wolle sie ihr Geburtsdatum aber auch von ihrem Verlobten gekannt haben. Aufgrund dieser Wahrnehmungen, Angaben und Verhaltensweisen gelangte die Antragsgegnerin zu dem Gesamteindruck, die Antragstellerin sei volljährig.

2. Mit Bescheid vom 30. Mai 2016 lehnte die Antragsgegnerin daraufhin eine Inobhutnahme der Antragstellerin ab und setzte ihr Geburtsdatum fiktiv auf den 31. Dezember 1997 fest.

3. Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 19. Juni 2016 ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 30. Mai 2016 erheben (Az. M 18 K 16.2782) und darüber hinaus beantragen, sie im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig in Obhut zu nehmen. Zwar stehe ihr Alter derzeit nicht fest, da Urkunden nicht vorlägen, die Alterseinschätzung unzutreffend und eine ärztliche Untersuchung nicht durchgeführt worden sei, obwohl ein Zweifelsfall im Sinne des § 42 f SGB VIII vorliege. Da die Antragstellerin jedoch die Richtigkeit der Einschätzung bestreite, seien Zweifel an ihrer Minder- bzw. Volljährigkeit gegeben.

4. Mit Beschluss vom 18. Juli 2016 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegründet ab. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können. Im Rahmen des Inobhutnahmegesprächs und der Entscheidung vom 30. Mai 2016 seien alle zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zur Beurteilung der Minderjährigkeit herangezogen worden. Die Antragsgegnerin habe insbesondere auch berücksichtigen dürfen, dass die Antragstellerin hinsichtlich ihres Geburtsdatums widersprüchliche Angaben gemacht habe, nämlich zum einen, ihr genaues Geburtsdatum nicht zu kennen (da niemand in Somalia ein Geburtsdatum kenne), zum anderen aber, den 2. Juli 1999 als Geburtstag anzugeben und hinsichtlich ihres Geburtsdatums dann auch zunächst vorzubringen, dies hätte sie von ihrer Mutter erfahren, in der Folge aber, ihr künftiger Ehemann habe ihr das Geburtsdatum genannt. Zusammenfassend sei festzustellen, dass weder Anhaltspunkte für eine fehlerhaft durchgeführte qualifizierte Inaugenscheinnahme noch Anhaltspunkte für die Annahme eines Zweifelsfalls vorlägen. Auch die von der Antragsgegnerin erstellte Dokumentation genüge den Anforderungen.

5. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Die durchgeführte qualifizierte Inaugenscheinnahme sei fehlerhaft. Eine hohe Stimmlage, gefärbtes Haar, eine eher kräftige Statur und eine deutlich weibliche Figur sagten über das Alter nichts aus. Auch Falten seien nicht zwangsläufig ein Altersmerkmal. Insbesondere die Nasubialfalte sei bereits von Geburt an angelegt und auch bei Säuglingen schon erkennbar. Die Schlussfolgerung des Jugendamts, die Antragstellerin sei „körperlich ausgereift“, erweise sich daher als nicht auf Fakten gestützt. Ebenso wenig lägen widersprüchliche Altersangaben der Antragstellerin vor. Die Antragstellerin habe durchgehend angegeben, ihr Alter nicht zu wissen. Sie schätze es auf 17 Jahre. (Nur) ihre Mutter habe ihr gesagt, sie sei am 2. Juli 1999 geboren. Ein Widerspruch sei in diesen Aussagen nicht zu erkennen. Dass sie das Geburtsdatum auch von ihrem künftigen Ehemann erfahren habe, habe die Antragstellerin niemals behauptet. Eine solche Erklärung sei von ihr auch nirgends protokolliert. Auch lasse das Verhalten der Antragstellerin anlässlich des Gesprächs mit dem Jugendamt nicht auf Volljährigkeit schließen. Ein ruhiges Sitzen mit verschlossener Haltung und das Geben ruhiger und ernster Antworten sei eine Charaktereigenschaft, die man auch mit 17 Jahren schon entwickelt haben könne. Gleiches gelte im Hinblick auf Vorstellungen bezüglich der eigenen Zukunft. Damit bestünden die Zweifel hinsichtlich des Alters der Antragstellerin fort und seien durch die begehrte ärztliche Untersuchung zu klären.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht kann keinen Bestand haben. Nach den gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfenden Gründen hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO).

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vorläufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in § 42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B.v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgb-wiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu § 42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurisPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgb-wiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B.v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamts durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurisPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9; siehe auch BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 18).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 19).

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.).

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 21).

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern im bereits entschiedenen Parallelverfahren 12 CS 16.1550, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16.1550 -, Umdruck Rn. 22).

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannten Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß § 42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sich-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 23).

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 24).

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B.v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 4.3.2013 - OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 25).

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B.v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 26).

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegenstehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 27).

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2016 keinen Bestand haben. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild der Antragstellerin und dem aus ihrem Verhalten gewonnenen - persönlichen - Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Es fehlt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Eine hohe Stimmlage, bedeckte (gefärbte) Haare, tiefe Hals- und Augenfalten, ein kräftiger Körperbau und ausgeprägte weibliche Rundungen sowie große Hände und dicke Finger sind nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch bereits bei minderjährigen Personen zu beobachten. Diesen Feststellungen des Jugendamts kommt deshalb keinerlei Erkenntniswert zu. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund der mutmaßlichen Herkunft der Antragstellerin aus Somalia, einem Land der südlichen Hemisphäre, in dem das Geburtsdatum nicht regelmäßig in Geburtenregistern erfasst und dem dort auch keine besondere Bedeutung beigemessen wird, widersprüchliche Angaben zum Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet allenfalls Zweifel an der Selbstauskunft, welchen im Rahmen des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist. Ungeachtet dessen hat die Antragstellerin vorliegend auch durchgehend angegeben, sie kenne ihr Alter nicht und schätze sich selbst auf 17 Jahre. (Lediglich) ihre Mutter habe ihr gesagt, dass sie am 2. Juli 1999 geboren sei. Inwieweit hieraus ein Widerspruch erwachsen soll, bleibt unerfindlich.

Darüber hinaus gehört die Antragstellerin aufgrund des von der Antragsgegnerin fiktiv auf den 31. Dezember 1997 festgesetzten Geburtsdatums zu dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL 2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Die Antragsgegnerin wird deshalb unverzüglich eine ärztliche Untersuchung der Antragstellerin gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis zur endgültigen Klärung ihres Alters im Hauptsacheverfahren ist die Antragstellerin deshalb in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache - die mutmaßlich minderjährige Antragstellerin befindet sich derzeit in einer Asylbewerberunterkunft für Erwachsene - muss die Entscheidung ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs ergehen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.

(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) wird aufgehoben und der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wird abgelehnt.

Dadurch wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wiederhergestellt, kraft dessen der Antragsgegner verpflichtet ist, den Antragsteller auch weiterhin in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

II.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Abänderungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur (vorläufigen) Inobhutnahme des Antragstellers als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Der Antragsteller, nach seinen eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, erhob durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. März 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Januar 2016, mit dem sein Antrag vom 12. Januar 2016 auf Inobhutnahme abgelehnt worden war, aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihn ärztlich untersuchen zu lassen. Die Klage Ist derzeit unter dem Az. M 18 K 16.1266 beim Verwaltungsgericht München anhängig.

Ferner ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. März 2016 beantragen, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen (M 18 E 16.1267). Die vom Antragsgegner im Aktenvermerk vom 11. November 2015 festgehaltene Aussage, „der junge Mann wurde sowohl vom Foto her als auch im Gesamteindruck auf 19 Jahre geschätzt“, beinhalte keine sachgerechte Altersfeststellung.

2. Mit Beschluss vom 2. Mai 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen (§ 123 VwGO). Seitens des Antragsgegners sei bislang keine ordnungsgemäße Alterseinschätzung durchgeführt worden.

3. Mit Schreiben vom 22. Juni 2016 beantragte der Antragsgegner, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 aufzuheben. Eine am 3. Juni 2016 durchgeführte Altersfeststellung habe (erneut) die Volljährigkeit des Antragstellers ergeben. Dessen äußeres Erscheinungsbild sei durch eine tiefe Stimmlage, dichte Haare, ausgeprägte Stirnfalten und Bartwuchs, kantige Gesichtszüge, einen erwachsenen Körperbau sowie eine abgeschlossene körperliche Entwicklung gekennzeichnet. Art und Ausdrucksweise seien während des am 3. Juni 2016 von drei Mitarbeitern des Jugendamtes unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers geführten Gesprächs bewusst und überlegt gewesen. So habe der Antragsteller erklärt, fünf Brüder und eine Schwester zu haben, zu deren Alter er allerdings keine genauen Angaben machen könne. Seine Familie habe überwiegend von der Landwirtschaft gelebt, er selbst habe außer der Koranschule keine Schule besucht, aber rund drei bis vier Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet. Das Alter, das er angeblich von seiner Mutter erfahren habe, habe er mit 16 Jahren angegeben. Während des Gesprächs habe der Antragsteller sicher, gefasst und rational reagiert, auf genauere Nachfragen zu seiner Biographie jedoch ausweichend geantwortet.

4. Mit Beschluss vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) hob das Verwaltungsgericht München seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 auf und lehnte den Antrag des Antragstellers vom 15. März 2016, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen, ab (§ 80 Abs. 7 VwGO analog). Die für die Entscheidung vom 2. Mai 2016 maßgebliche Sachlage habe sich geändert. Aufgrund der vom Antragsgegner am 3. Juni 2016 durchgeführten Alterseinschätzung sei nunmehr von der Volljährigkeit des Antragstellers auszugehen, so dass dieser nicht mehr in Obhut genommen werden könne und dürfe. Der Antragsteller verfüge über keine aussagekräftigen Ausweispapiere, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden. Die in den Akten enthalte Ablichtung bzw. Fotographie einer Tazkira stelle kein Dokument mit Beweiswert dar. Der Antragsgegner sei daher gehalten gewesen eine Alterseinschätzung durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme des Antragstellers, die eine Befragung einschließe, durchzuführen (§42 f Abs. 1 Satz 1 SGBVIII). Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme sei der Antragsgegner, für das Gericht, das sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild von dem Antragsteller machen könne, nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antragsteller volljährig sei. Der Antragsteller habe selbst wechselnde Angaben zu seinem Alter gemacht. Gegenüber der Bundespolizei in Deggendorf habe er sein Alter anlässlich der Einreise am 18. Oktober 2015 mit 15 Jahren (entsprechend Geburtsjahr 2000) angegeben, gegenüber den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma in der Gemeinschaftsunterkunft in Markt Indersdorf jedoch behauptet, am 20. Januar 1999 geboren zu sein. Im Antrag auf Inobhutnahme vom 12. Januar 2016 sei schließlich das Geburtsdatum 1. Januar 1999 angegeben worden. Zum Alter seiner Geschwister habe er keine genaueren Angaben machen können. Klaren Aussagen zu seiner Biographie, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden, sei er nach den Feststellungen des Antragsgegners ausgewichen. Von einem unbegleiteten Minderjährigen könne grundsätzlich erwartet werden, dass er Angaben zu seinem Lebenslauf mache, die eine gewisse zeitliche Einordnung ermöglichten. Die wenigen Angaben des Antragstellers seien nicht geeignet, die ausreichend dokumentierte Feststellung des Antragsgegners zu erschüttern, der Antragsteller sei nach seinem äußerem Erscheinungsbild und seinem Verhalten volljährig. Es liege auch kein Zweifelsfall vor, der eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) erfordern würde. Für die Annahme eines Zweifelsfalls sei es nicht ausreichend, dass der Antragsteller seine Minderjährigkeit lediglich behaupte.

5. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter, aufgrund des ursprünglichen, ihm günstigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 weiterhin in vorläufiger Obhut zu verbleiben. Über die Durchführung der Alterseinschätzung vom 3. Juni 2016 sei kein Protokoll vorgelegt worden. Es existiere lediglich ein Schreiben an den Antragsteller vom 13. Juni 2016, in dem der Antragsgegner die getroffenen Feststellungen aus seiner Sicht schildere. Diese Darstellung habe das Verwaltungsgericht - wie es selbst auch ausdrücklich einräume - ohne jede weitere Prüfung mit der Erwägung übernommen, es könne sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild machen. Ob überhaupt eine qualifizierte Inaugenscheinnahme stattgefunden habe, wie § 42 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dies vorsehe, habe das Verwaltungsgericht nicht geprüft und - mangels Protokoll - auch gar nicht näher prüfen können. Ungeachtet dessen seien die Feststellungen zum äußeren Erscheinungsbild des Antragstellers auch keineswegs zwingend. Dichte Haare, kantige Gesichtszüge oder ausgeprägte Stirnfalten seien keine eindeutigen Alterskriterien. Auch ein ausgeprägter Bart sei kein zwingendes Indiz für ein höheres Alter. Desgleichen bedeute eine tiefe Stimmlage lediglich, dass der Stimmbruch stattgefunden habe, sage aber über die Vollendung des 18. Lebensjahres nichts aus. Für die Feststellung, die körperliche Entwicklung des Antragstellers sei abgeschlossen, fehle den Mitarbeitern des Jugendamtes die fachliche Kompetenz. Dem Begehren des Antragstellers, eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durchzuführen, habe deshalb entsprochen werden müssen.

Der Antragsgegner tritt dem entgegen und verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016. Der Antragsteller habe zwischenzeitlich mittels eines Antrags auf Gewährung von Jugendhilfe für junge Volljährige die schriftliche Erklärung abgegeben, volljährig zu sein. Auf die möglichen Folgen eines solchen Antrags für das vorliegende Verfahren sei er hingewiesen worden (vgl. Aktenvermerk vom 28.7.2016, Bl. 39 d. Senatsakten).

Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilt hierzu mit, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sei eine Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller noch nicht möglich gewesen. Die Beantragung von Hilfe für junge Erwachsene beinhalte nicht notwendig, dass der Antragsteller seine Behauptung, minderjährig zu sein, aufgegeben habe. Das Antragsformular sei ersichtlich nicht vom Antragsteller ausgefüllt worden. Dass der Antragsgegner den Antragsteller in eine Zwickmühle gebracht habe, zwischen einer Unterbringung in einer Unterkunft für Volljährige oder einer Unterzeichnung des Antragsformulars und einem Verbleib in der Jugendhilfeeinrichtung zu wählen, mache deutlich, dass der Antragsteller in seiner Entscheidungsfreiheit zumindest eingeengt gewesen sei.

6. Die Landesanwaltschaft Bayern ist dem Verfahren als Vertreterin des öffentlichen Interesses beigetreten, allerdings ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Sie unter- stützt die Rechtsauffassung des Antragsgegners. Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel daran hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 zu Unrecht aufgehoben. Der Antragsgegner ist in dieser Entscheidung zu Recht verpflichtet worden, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Diese Entscheidung war durch Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 und Ablehnung des Abänderungsantrags des Antragsgegners vom 22. Juni 2016 wiederherzustellen.

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vor- läufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und Ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in §42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B. v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu §42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemissphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014- 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B. v. 18.11.2015-2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und Ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamtes durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 -1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGBVIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sqbwiesner.de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind.

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen.

§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.)

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, In: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamtes ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht.

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar.

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannte Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß §42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sieh-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss.

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken.

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B. v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 4.3.2013 -OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist.

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B. v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, §42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden.

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satzl Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegen- stehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen.

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Aufhebung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 und die damit verbundene Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht keinen Bestand haben. Die vom Antragsgegner unter dem 3. Juni 2016 durchgeführte Alterseinschätzung genügt den oben beschriebenen Anforderungen nicht entfernt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden - wie der Antragsteller zu Recht rügt - nicht in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise dokumentiert. Es fehlt - auch wenn man das Schreiben vom 13. Juni 2016 zugrunde legt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild des Antragstellers und dem aus dessen Verhalten gewonnenen - persönlichen -Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund einer mutmaßlichen Herkunft des betroffenen Antragstellers aus Afghanistan, einem Land, in dem dem Geburtsdatum eines Menschen keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20), widersprüchliche Angaben des Antragstellers zu seinem Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet vielmehr im Gegenteil Zweifel an der Selbstauskunft des Antragstellers, welchen im Rahmen des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist.

Ungeachtet dessen gehört der Antragsteller nach dem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 15. November 2015, in dem sein Alter auf 19 Jahre geschätzt wird, gerade in den in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Dass der Antragsteller, vom Antragsgegner vor die Wahl gestellt, aufgrund der (wegen des Laufs der Rechtsmittelfrist im Übrigen noch gar nicht rechtskräftigen) Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 wieder in die Unterkunft für Asylbewerber zurückkehren zu müssen oder unter der Voraussetzung, dass er einen Antrag auf Jugendhilfe für Volljährige stelle, weiterhin in der Jugendhilfeeinrichtung verbleiben zu dürfen, sich am 28. Juli 2016 aus nachvollziehbaren Gründen für Letzteres „entschieden“ hat, sagt angesichts der bereits zuvor offen zutage getretenen Zweifel an der Voll- bzw. Minderjährigkeit des Antragstellers über dessen tatsächliches Lebensalter nicht das Geringste aus. Vielmehr wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob der Antragsteller vor dem Hintergrund des zum damaligen Zeitpunkt bereits angekündigten Rechtsmittels in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt wurde und wer hierfür gegebenenfalls die Verantwortung trägt, statt einfach den Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abzuwarten.

Der Antragsgegner wird gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII die ärztliche Untersuchung des Antragstellers unverzüglich in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis dahin dauert die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 getroffene Anordnung der vorläufigen Inobhutnahme des Antragstellers fort.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache ergeht die Entscheidung ohne weitere Gewährung rechtlichen Gehörs.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.

(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) wird aufgehoben und der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wird abgelehnt.

Dadurch wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wiederhergestellt, kraft dessen der Antragsgegner verpflichtet ist, den Antragsteller auch weiterhin in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

II.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Abänderungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur (vorläufigen) Inobhutnahme des Antragstellers als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Der Antragsteller, nach seinen eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, erhob durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. März 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Januar 2016, mit dem sein Antrag vom 12. Januar 2016 auf Inobhutnahme abgelehnt worden war, aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihn ärztlich untersuchen zu lassen. Die Klage Ist derzeit unter dem Az. M 18 K 16.1266 beim Verwaltungsgericht München anhängig.

Ferner ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. März 2016 beantragen, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen (M 18 E 16.1267). Die vom Antragsgegner im Aktenvermerk vom 11. November 2015 festgehaltene Aussage, „der junge Mann wurde sowohl vom Foto her als auch im Gesamteindruck auf 19 Jahre geschätzt“, beinhalte keine sachgerechte Altersfeststellung.

2. Mit Beschluss vom 2. Mai 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen (§ 123 VwGO). Seitens des Antragsgegners sei bislang keine ordnungsgemäße Alterseinschätzung durchgeführt worden.

3. Mit Schreiben vom 22. Juni 2016 beantragte der Antragsgegner, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 aufzuheben. Eine am 3. Juni 2016 durchgeführte Altersfeststellung habe (erneut) die Volljährigkeit des Antragstellers ergeben. Dessen äußeres Erscheinungsbild sei durch eine tiefe Stimmlage, dichte Haare, ausgeprägte Stirnfalten und Bartwuchs, kantige Gesichtszüge, einen erwachsenen Körperbau sowie eine abgeschlossene körperliche Entwicklung gekennzeichnet. Art und Ausdrucksweise seien während des am 3. Juni 2016 von drei Mitarbeitern des Jugendamtes unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers geführten Gesprächs bewusst und überlegt gewesen. So habe der Antragsteller erklärt, fünf Brüder und eine Schwester zu haben, zu deren Alter er allerdings keine genauen Angaben machen könne. Seine Familie habe überwiegend von der Landwirtschaft gelebt, er selbst habe außer der Koranschule keine Schule besucht, aber rund drei bis vier Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet. Das Alter, das er angeblich von seiner Mutter erfahren habe, habe er mit 16 Jahren angegeben. Während des Gesprächs habe der Antragsteller sicher, gefasst und rational reagiert, auf genauere Nachfragen zu seiner Biographie jedoch ausweichend geantwortet.

4. Mit Beschluss vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) hob das Verwaltungsgericht München seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 auf und lehnte den Antrag des Antragstellers vom 15. März 2016, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen, ab (§ 80 Abs. 7 VwGO analog). Die für die Entscheidung vom 2. Mai 2016 maßgebliche Sachlage habe sich geändert. Aufgrund der vom Antragsgegner am 3. Juni 2016 durchgeführten Alterseinschätzung sei nunmehr von der Volljährigkeit des Antragstellers auszugehen, so dass dieser nicht mehr in Obhut genommen werden könne und dürfe. Der Antragsteller verfüge über keine aussagekräftigen Ausweispapiere, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden. Die in den Akten enthalte Ablichtung bzw. Fotographie einer Tazkira stelle kein Dokument mit Beweiswert dar. Der Antragsgegner sei daher gehalten gewesen eine Alterseinschätzung durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme des Antragstellers, die eine Befragung einschließe, durchzuführen (§42 f Abs. 1 Satz 1 SGBVIII). Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme sei der Antragsgegner, für das Gericht, das sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild von dem Antragsteller machen könne, nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antragsteller volljährig sei. Der Antragsteller habe selbst wechselnde Angaben zu seinem Alter gemacht. Gegenüber der Bundespolizei in Deggendorf habe er sein Alter anlässlich der Einreise am 18. Oktober 2015 mit 15 Jahren (entsprechend Geburtsjahr 2000) angegeben, gegenüber den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma in der Gemeinschaftsunterkunft in Markt Indersdorf jedoch behauptet, am 20. Januar 1999 geboren zu sein. Im Antrag auf Inobhutnahme vom 12. Januar 2016 sei schließlich das Geburtsdatum 1. Januar 1999 angegeben worden. Zum Alter seiner Geschwister habe er keine genaueren Angaben machen können. Klaren Aussagen zu seiner Biographie, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden, sei er nach den Feststellungen des Antragsgegners ausgewichen. Von einem unbegleiteten Minderjährigen könne grundsätzlich erwartet werden, dass er Angaben zu seinem Lebenslauf mache, die eine gewisse zeitliche Einordnung ermöglichten. Die wenigen Angaben des Antragstellers seien nicht geeignet, die ausreichend dokumentierte Feststellung des Antragsgegners zu erschüttern, der Antragsteller sei nach seinem äußerem Erscheinungsbild und seinem Verhalten volljährig. Es liege auch kein Zweifelsfall vor, der eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) erfordern würde. Für die Annahme eines Zweifelsfalls sei es nicht ausreichend, dass der Antragsteller seine Minderjährigkeit lediglich behaupte.

5. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter, aufgrund des ursprünglichen, ihm günstigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 weiterhin in vorläufiger Obhut zu verbleiben. Über die Durchführung der Alterseinschätzung vom 3. Juni 2016 sei kein Protokoll vorgelegt worden. Es existiere lediglich ein Schreiben an den Antragsteller vom 13. Juni 2016, in dem der Antragsgegner die getroffenen Feststellungen aus seiner Sicht schildere. Diese Darstellung habe das Verwaltungsgericht - wie es selbst auch ausdrücklich einräume - ohne jede weitere Prüfung mit der Erwägung übernommen, es könne sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild machen. Ob überhaupt eine qualifizierte Inaugenscheinnahme stattgefunden habe, wie § 42 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dies vorsehe, habe das Verwaltungsgericht nicht geprüft und - mangels Protokoll - auch gar nicht näher prüfen können. Ungeachtet dessen seien die Feststellungen zum äußeren Erscheinungsbild des Antragstellers auch keineswegs zwingend. Dichte Haare, kantige Gesichtszüge oder ausgeprägte Stirnfalten seien keine eindeutigen Alterskriterien. Auch ein ausgeprägter Bart sei kein zwingendes Indiz für ein höheres Alter. Desgleichen bedeute eine tiefe Stimmlage lediglich, dass der Stimmbruch stattgefunden habe, sage aber über die Vollendung des 18. Lebensjahres nichts aus. Für die Feststellung, die körperliche Entwicklung des Antragstellers sei abgeschlossen, fehle den Mitarbeitern des Jugendamtes die fachliche Kompetenz. Dem Begehren des Antragstellers, eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durchzuführen, habe deshalb entsprochen werden müssen.

Der Antragsgegner tritt dem entgegen und verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016. Der Antragsteller habe zwischenzeitlich mittels eines Antrags auf Gewährung von Jugendhilfe für junge Volljährige die schriftliche Erklärung abgegeben, volljährig zu sein. Auf die möglichen Folgen eines solchen Antrags für das vorliegende Verfahren sei er hingewiesen worden (vgl. Aktenvermerk vom 28.7.2016, Bl. 39 d. Senatsakten).

Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilt hierzu mit, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sei eine Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller noch nicht möglich gewesen. Die Beantragung von Hilfe für junge Erwachsene beinhalte nicht notwendig, dass der Antragsteller seine Behauptung, minderjährig zu sein, aufgegeben habe. Das Antragsformular sei ersichtlich nicht vom Antragsteller ausgefüllt worden. Dass der Antragsgegner den Antragsteller in eine Zwickmühle gebracht habe, zwischen einer Unterbringung in einer Unterkunft für Volljährige oder einer Unterzeichnung des Antragsformulars und einem Verbleib in der Jugendhilfeeinrichtung zu wählen, mache deutlich, dass der Antragsteller in seiner Entscheidungsfreiheit zumindest eingeengt gewesen sei.

6. Die Landesanwaltschaft Bayern ist dem Verfahren als Vertreterin des öffentlichen Interesses beigetreten, allerdings ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Sie unter- stützt die Rechtsauffassung des Antragsgegners. Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel daran hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 zu Unrecht aufgehoben. Der Antragsgegner ist in dieser Entscheidung zu Recht verpflichtet worden, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Diese Entscheidung war durch Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 und Ablehnung des Abänderungsantrags des Antragsgegners vom 22. Juni 2016 wiederherzustellen.

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vor- läufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und Ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in §42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B. v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu §42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemissphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014- 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B. v. 18.11.2015-2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und Ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamtes durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 -1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGBVIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sqbwiesner.de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind.

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen.

§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.)

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, In: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamtes ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht.

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar.

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannte Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß §42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sieh-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss.

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken.

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B. v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 4.3.2013 -OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist.

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B. v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, §42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden.

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satzl Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegen- stehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen.

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Aufhebung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 und die damit verbundene Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht keinen Bestand haben. Die vom Antragsgegner unter dem 3. Juni 2016 durchgeführte Alterseinschätzung genügt den oben beschriebenen Anforderungen nicht entfernt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden - wie der Antragsteller zu Recht rügt - nicht in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise dokumentiert. Es fehlt - auch wenn man das Schreiben vom 13. Juni 2016 zugrunde legt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild des Antragstellers und dem aus dessen Verhalten gewonnenen - persönlichen -Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund einer mutmaßlichen Herkunft des betroffenen Antragstellers aus Afghanistan, einem Land, in dem dem Geburtsdatum eines Menschen keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20), widersprüchliche Angaben des Antragstellers zu seinem Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet vielmehr im Gegenteil Zweifel an der Selbstauskunft des Antragstellers, welchen im Rahmen des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist.

Ungeachtet dessen gehört der Antragsteller nach dem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 15. November 2015, in dem sein Alter auf 19 Jahre geschätzt wird, gerade in den in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Dass der Antragsteller, vom Antragsgegner vor die Wahl gestellt, aufgrund der (wegen des Laufs der Rechtsmittelfrist im Übrigen noch gar nicht rechtskräftigen) Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 wieder in die Unterkunft für Asylbewerber zurückkehren zu müssen oder unter der Voraussetzung, dass er einen Antrag auf Jugendhilfe für Volljährige stelle, weiterhin in der Jugendhilfeeinrichtung verbleiben zu dürfen, sich am 28. Juli 2016 aus nachvollziehbaren Gründen für Letzteres „entschieden“ hat, sagt angesichts der bereits zuvor offen zutage getretenen Zweifel an der Voll- bzw. Minderjährigkeit des Antragstellers über dessen tatsächliches Lebensalter nicht das Geringste aus. Vielmehr wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob der Antragsteller vor dem Hintergrund des zum damaligen Zeitpunkt bereits angekündigten Rechtsmittels in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt wurde und wer hierfür gegebenenfalls die Verantwortung trägt, statt einfach den Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abzuwarten.

Der Antragsgegner wird gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII die ärztliche Untersuchung des Antragstellers unverzüglich in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis dahin dauert die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 getroffene Anordnung der vorläufigen Inobhutnahme des Antragstellers fort.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache ergeht die Entscheidung ohne weitere Gewährung rechtlichen Gehörs.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Juli 2016 - M 18 E 16.2783 - wird aufgehoben.

II.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zur endgültigen Klärung ihres Alters im Rahmen des anhängigen Hauptsacheverfahrens in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

III.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur vorläufigen Inobhutnahme der Antragstellerin als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Die Antragstellerin ist ihren eigenen Angaben zufolge somalische Staatsangehörige und reiste am 25. Mai 2016 in das Bundesgebiet ein. Am 30. Mai 2016 führten drei Mitarbeiter der Antragsgegnerin unter Einschaltung eines Sprachmittlers ein Inobhutnahmegespräch mit der Antragstellerin durch. In einem stichpunktartig geführten Protokoll ist dabei hinsichtlich der äußeren Merkmale der Antragstellerin festgehalten, Stimmlage: hoch; Haare: bedeckt (gefärbt); Halsfalten: erkennbar tief; Gesichtszüge: nasolabiale Falten, Falten um die Augen (tiefe Augenfalte); Körperbau: kräftig, weibliche Rundungen; Hände: größere Hände, dicke Finger. Hinsichtlich des Verhaltens der Antragstellerin ist im Wesentlichen vermerkt, diese sitze ruhig mit verschlossener Haltung und habe einen traurigen Blick. Sie besitze genaue Vorstellungen, was sie erreichen möchte (Schule, Gesundheit, …), was auf ein reifes Verhalten hindeute. Einerseits habe sie angegeben, ihr Geburtsdatum sei niemanden bekannt, andererseits habe sie jedoch mitgeteilt, sie sei am 2. Juli 1999 geboren. Ihre Mutter habe ihr dies kurz vor ihrer Ausreise gesagt. Darüber hinaus wolle sie ihr Geburtsdatum aber auch von ihrem Verlobten gekannt haben. Aufgrund dieser Wahrnehmungen, Angaben und Verhaltensweisen gelangte die Antragsgegnerin zu dem Gesamteindruck, die Antragstellerin sei volljährig.

2. Mit Bescheid vom 30. Mai 2016 lehnte die Antragsgegnerin daraufhin eine Inobhutnahme der Antragstellerin ab und setzte ihr Geburtsdatum fiktiv auf den 31. Dezember 1997 fest.

3. Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 19. Juni 2016 ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 30. Mai 2016 erheben (Az. M 18 K 16.2782) und darüber hinaus beantragen, sie im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig in Obhut zu nehmen. Zwar stehe ihr Alter derzeit nicht fest, da Urkunden nicht vorlägen, die Alterseinschätzung unzutreffend und eine ärztliche Untersuchung nicht durchgeführt worden sei, obwohl ein Zweifelsfall im Sinne des § 42 f SGB VIII vorliege. Da die Antragstellerin jedoch die Richtigkeit der Einschätzung bestreite, seien Zweifel an ihrer Minder- bzw. Volljährigkeit gegeben.

4. Mit Beschluss vom 18. Juli 2016 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegründet ab. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können. Im Rahmen des Inobhutnahmegesprächs und der Entscheidung vom 30. Mai 2016 seien alle zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zur Beurteilung der Minderjährigkeit herangezogen worden. Die Antragsgegnerin habe insbesondere auch berücksichtigen dürfen, dass die Antragstellerin hinsichtlich ihres Geburtsdatums widersprüchliche Angaben gemacht habe, nämlich zum einen, ihr genaues Geburtsdatum nicht zu kennen (da niemand in Somalia ein Geburtsdatum kenne), zum anderen aber, den 2. Juli 1999 als Geburtstag anzugeben und hinsichtlich ihres Geburtsdatums dann auch zunächst vorzubringen, dies hätte sie von ihrer Mutter erfahren, in der Folge aber, ihr künftiger Ehemann habe ihr das Geburtsdatum genannt. Zusammenfassend sei festzustellen, dass weder Anhaltspunkte für eine fehlerhaft durchgeführte qualifizierte Inaugenscheinnahme noch Anhaltspunkte für die Annahme eines Zweifelsfalls vorlägen. Auch die von der Antragsgegnerin erstellte Dokumentation genüge den Anforderungen.

5. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Die durchgeführte qualifizierte Inaugenscheinnahme sei fehlerhaft. Eine hohe Stimmlage, gefärbtes Haar, eine eher kräftige Statur und eine deutlich weibliche Figur sagten über das Alter nichts aus. Auch Falten seien nicht zwangsläufig ein Altersmerkmal. Insbesondere die Nasubialfalte sei bereits von Geburt an angelegt und auch bei Säuglingen schon erkennbar. Die Schlussfolgerung des Jugendamts, die Antragstellerin sei „körperlich ausgereift“, erweise sich daher als nicht auf Fakten gestützt. Ebenso wenig lägen widersprüchliche Altersangaben der Antragstellerin vor. Die Antragstellerin habe durchgehend angegeben, ihr Alter nicht zu wissen. Sie schätze es auf 17 Jahre. (Nur) ihre Mutter habe ihr gesagt, sie sei am 2. Juli 1999 geboren. Ein Widerspruch sei in diesen Aussagen nicht zu erkennen. Dass sie das Geburtsdatum auch von ihrem künftigen Ehemann erfahren habe, habe die Antragstellerin niemals behauptet. Eine solche Erklärung sei von ihr auch nirgends protokolliert. Auch lasse das Verhalten der Antragstellerin anlässlich des Gesprächs mit dem Jugendamt nicht auf Volljährigkeit schließen. Ein ruhiges Sitzen mit verschlossener Haltung und das Geben ruhiger und ernster Antworten sei eine Charaktereigenschaft, die man auch mit 17 Jahren schon entwickelt haben könne. Gleiches gelte im Hinblick auf Vorstellungen bezüglich der eigenen Zukunft. Damit bestünden die Zweifel hinsichtlich des Alters der Antragstellerin fort und seien durch die begehrte ärztliche Untersuchung zu klären.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht kann keinen Bestand haben. Nach den gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfenden Gründen hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO).

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vorläufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in § 42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B.v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgb-wiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu § 42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurisPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgb-wiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B.v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamts durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurisPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9; siehe auch BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 18).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 19).

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.).

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 21).

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern im bereits entschiedenen Parallelverfahren 12 CS 16.1550, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16.1550 -, Umdruck Rn. 22).

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannten Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß § 42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sich-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 23).

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 24).

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B.v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 4.3.2013 - OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 25).

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B.v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 26).

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegenstehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 27).

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2016 keinen Bestand haben. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild der Antragstellerin und dem aus ihrem Verhalten gewonnenen - persönlichen - Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Es fehlt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Eine hohe Stimmlage, bedeckte (gefärbte) Haare, tiefe Hals- und Augenfalten, ein kräftiger Körperbau und ausgeprägte weibliche Rundungen sowie große Hände und dicke Finger sind nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch bereits bei minderjährigen Personen zu beobachten. Diesen Feststellungen des Jugendamts kommt deshalb keinerlei Erkenntniswert zu. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund der mutmaßlichen Herkunft der Antragstellerin aus Somalia, einem Land der südlichen Hemisphäre, in dem das Geburtsdatum nicht regelmäßig in Geburtenregistern erfasst und dem dort auch keine besondere Bedeutung beigemessen wird, widersprüchliche Angaben zum Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet allenfalls Zweifel an der Selbstauskunft, welchen im Rahmen des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist. Ungeachtet dessen hat die Antragstellerin vorliegend auch durchgehend angegeben, sie kenne ihr Alter nicht und schätze sich selbst auf 17 Jahre. (Lediglich) ihre Mutter habe ihr gesagt, dass sie am 2. Juli 1999 geboren sei. Inwieweit hieraus ein Widerspruch erwachsen soll, bleibt unerfindlich.

Darüber hinaus gehört die Antragstellerin aufgrund des von der Antragsgegnerin fiktiv auf den 31. Dezember 1997 festgesetzten Geburtsdatums zu dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL 2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Die Antragsgegnerin wird deshalb unverzüglich eine ärztliche Untersuchung der Antragstellerin gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis zur endgültigen Klärung ihres Alters im Hauptsacheverfahren ist die Antragstellerin deshalb in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache - die mutmaßlich minderjährige Antragstellerin befindet sich derzeit in einer Asylbewerberunterkunft für Erwachsene - muss die Entscheidung ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs ergehen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.

(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) wird aufgehoben und der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wird abgelehnt.

Dadurch wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 (M 18 E 16.1267) wiederhergestellt, kraft dessen der Antragsgegner verpflichtet ist, den Antragsteller auch weiterhin in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

II.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Abänderungs- und Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur (vorläufigen) Inobhutnahme des Antragstellers als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Der Antragsteller, nach seinen eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, erhob durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. März 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Januar 2016, mit dem sein Antrag vom 12. Januar 2016 auf Inobhutnahme abgelehnt worden war, aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihn ärztlich untersuchen zu lassen. Die Klage Ist derzeit unter dem Az. M 18 K 16.1266 beim Verwaltungsgericht München anhängig.

Ferner ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. März 2016 beantragen, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen (M 18 E 16.1267). Die vom Antragsgegner im Aktenvermerk vom 11. November 2015 festgehaltene Aussage, „der junge Mann wurde sowohl vom Foto her als auch im Gesamteindruck auf 19 Jahre geschätzt“, beinhalte keine sachgerechte Altersfeststellung.

2. Mit Beschluss vom 2. Mai 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen (§ 123 VwGO). Seitens des Antragsgegners sei bislang keine ordnungsgemäße Alterseinschätzung durchgeführt worden.

3. Mit Schreiben vom 22. Juni 2016 beantragte der Antragsgegner, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 aufzuheben. Eine am 3. Juni 2016 durchgeführte Altersfeststellung habe (erneut) die Volljährigkeit des Antragstellers ergeben. Dessen äußeres Erscheinungsbild sei durch eine tiefe Stimmlage, dichte Haare, ausgeprägte Stirnfalten und Bartwuchs, kantige Gesichtszüge, einen erwachsenen Körperbau sowie eine abgeschlossene körperliche Entwicklung gekennzeichnet. Art und Ausdrucksweise seien während des am 3. Juni 2016 von drei Mitarbeitern des Jugendamtes unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers geführten Gesprächs bewusst und überlegt gewesen. So habe der Antragsteller erklärt, fünf Brüder und eine Schwester zu haben, zu deren Alter er allerdings keine genauen Angaben machen könne. Seine Familie habe überwiegend von der Landwirtschaft gelebt, er selbst habe außer der Koranschule keine Schule besucht, aber rund drei bis vier Jahre in einer Autowerkstatt gearbeitet. Das Alter, das er angeblich von seiner Mutter erfahren habe, habe er mit 16 Jahren angegeben. Während des Gesprächs habe der Antragsteller sicher, gefasst und rational reagiert, auf genauere Nachfragen zu seiner Biographie jedoch ausweichend geantwortet.

4. Mit Beschluss vom 7. Juli 2016 (M 18 S7 16.2804) hob das Verwaltungsgericht München seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 auf und lehnte den Antrag des Antragstellers vom 15. März 2016, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn vorläufig in Obhut zu nehmen, ab (§ 80 Abs. 7 VwGO analog). Die für die Entscheidung vom 2. Mai 2016 maßgebliche Sachlage habe sich geändert. Aufgrund der vom Antragsgegner am 3. Juni 2016 durchgeführten Alterseinschätzung sei nunmehr von der Volljährigkeit des Antragstellers auszugehen, so dass dieser nicht mehr in Obhut genommen werden könne und dürfe. Der Antragsteller verfüge über keine aussagekräftigen Ausweispapiere, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden. Die in den Akten enthalte Ablichtung bzw. Fotographie einer Tazkira stelle kein Dokument mit Beweiswert dar. Der Antragsgegner sei daher gehalten gewesen eine Alterseinschätzung durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme des Antragstellers, die eine Befragung einschließe, durchzuführen (§42 f Abs. 1 Satz 1 SGBVIII). Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme sei der Antragsgegner, für das Gericht, das sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild von dem Antragsteller machen könne, nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antragsteller volljährig sei. Der Antragsteller habe selbst wechselnde Angaben zu seinem Alter gemacht. Gegenüber der Bundespolizei in Deggendorf habe er sein Alter anlässlich der Einreise am 18. Oktober 2015 mit 15 Jahren (entsprechend Geburtsjahr 2000) angegeben, gegenüber den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma in der Gemeinschaftsunterkunft in Markt Indersdorf jedoch behauptet, am 20. Januar 1999 geboren zu sein. Im Antrag auf Inobhutnahme vom 12. Januar 2016 sei schließlich das Geburtsdatum 1. Januar 1999 angegeben worden. Zum Alter seiner Geschwister habe er keine genaueren Angaben machen können. Klaren Aussagen zu seiner Biographie, die Rückschlüsse auf sein Alter zulassen würden, sei er nach den Feststellungen des Antragsgegners ausgewichen. Von einem unbegleiteten Minderjährigen könne grundsätzlich erwartet werden, dass er Angaben zu seinem Lebenslauf mache, die eine gewisse zeitliche Einordnung ermöglichten. Die wenigen Angaben des Antragstellers seien nicht geeignet, die ausreichend dokumentierte Feststellung des Antragsgegners zu erschüttern, der Antragsteller sei nach seinem äußerem Erscheinungsbild und seinem Verhalten volljährig. Es liege auch kein Zweifelsfall vor, der eine ärztliche Untersuchung des Antragstellers (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) erfordern würde. Für die Annahme eines Zweifelsfalls sei es nicht ausreichend, dass der Antragsteller seine Minderjährigkeit lediglich behaupte.

5. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter, aufgrund des ursprünglichen, ihm günstigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 weiterhin in vorläufiger Obhut zu verbleiben. Über die Durchführung der Alterseinschätzung vom 3. Juni 2016 sei kein Protokoll vorgelegt worden. Es existiere lediglich ein Schreiben an den Antragsteller vom 13. Juni 2016, in dem der Antragsgegner die getroffenen Feststellungen aus seiner Sicht schildere. Diese Darstellung habe das Verwaltungsgericht - wie es selbst auch ausdrücklich einräume - ohne jede weitere Prüfung mit der Erwägung übernommen, es könne sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein eigenes Bild machen. Ob überhaupt eine qualifizierte Inaugenscheinnahme stattgefunden habe, wie § 42 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dies vorsehe, habe das Verwaltungsgericht nicht geprüft und - mangels Protokoll - auch gar nicht näher prüfen können. Ungeachtet dessen seien die Feststellungen zum äußeren Erscheinungsbild des Antragstellers auch keineswegs zwingend. Dichte Haare, kantige Gesichtszüge oder ausgeprägte Stirnfalten seien keine eindeutigen Alterskriterien. Auch ein ausgeprägter Bart sei kein zwingendes Indiz für ein höheres Alter. Desgleichen bedeute eine tiefe Stimmlage lediglich, dass der Stimmbruch stattgefunden habe, sage aber über die Vollendung des 18. Lebensjahres nichts aus. Für die Feststellung, die körperliche Entwicklung des Antragstellers sei abgeschlossen, fehle den Mitarbeitern des Jugendamtes die fachliche Kompetenz. Dem Begehren des Antragstellers, eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durchzuführen, habe deshalb entsprochen werden müssen.

Der Antragsgegner tritt dem entgegen und verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016. Der Antragsteller habe zwischenzeitlich mittels eines Antrags auf Gewährung von Jugendhilfe für junge Volljährige die schriftliche Erklärung abgegeben, volljährig zu sein. Auf die möglichen Folgen eines solchen Antrags für das vorliegende Verfahren sei er hingewiesen worden (vgl. Aktenvermerk vom 28.7.2016, Bl. 39 d. Senatsakten).

Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilt hierzu mit, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sei eine Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller noch nicht möglich gewesen. Die Beantragung von Hilfe für junge Erwachsene beinhalte nicht notwendig, dass der Antragsteller seine Behauptung, minderjährig zu sein, aufgegeben habe. Das Antragsformular sei ersichtlich nicht vom Antragsteller ausgefüllt worden. Dass der Antragsgegner den Antragsteller in eine Zwickmühle gebracht habe, zwischen einer Unterbringung in einer Unterkunft für Volljährige oder einer Unterzeichnung des Antragsformulars und einem Verbleib in der Jugendhilfeeinrichtung zu wählen, mache deutlich, dass der Antragsteller in seiner Entscheidungsfreiheit zumindest eingeengt gewesen sei.

6. Die Landesanwaltschaft Bayern ist dem Verfahren als Vertreterin des öffentlichen Interesses beigetreten, allerdings ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Sie unter- stützt die Rechtsauffassung des Antragsgegners. Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel daran hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss vom 2. Mai 2016 zu Unrecht aufgehoben. Der Antragsgegner ist in dieser Entscheidung zu Recht verpflichtet worden, den Antragsteller vorläufig in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen. Diese Entscheidung war durch Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 und Ablehnung des Abänderungsantrags des Antragsgegners vom 22. Juni 2016 wiederherzustellen.

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vor- läufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und Ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in §42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B. v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu §42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemissphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014- 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B. v. 18.11.2015-2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und Ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamtes durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B. v. 22.2.2016 -1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGBVIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurlsPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sqbwiesner.de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind.

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen.

§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.)

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, In: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamtes ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht.

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar.

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannte Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß §42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sieh-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss.

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken.

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B. v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 4.3.2013 -OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgbwiesner.de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist.

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B. v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, §42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden.

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satzl Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegen- stehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B. v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B. v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen.

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Aufhebung des Beschlusses vom 2. Mai 2016 und die damit verbundene Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht keinen Bestand haben. Die vom Antragsgegner unter dem 3. Juni 2016 durchgeführte Alterseinschätzung genügt den oben beschriebenen Anforderungen nicht entfernt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden - wie der Antragsteller zu Recht rügt - nicht in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise dokumentiert. Es fehlt - auch wenn man das Schreiben vom 13. Juni 2016 zugrunde legt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild des Antragstellers und dem aus dessen Verhalten gewonnenen - persönlichen -Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund einer mutmaßlichen Herkunft des betroffenen Antragstellers aus Afghanistan, einem Land, in dem dem Geburtsdatum eines Menschen keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20), widersprüchliche Angaben des Antragstellers zu seinem Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet vielmehr im Gegenteil Zweifel an der Selbstauskunft des Antragstellers, welchen im Rahmen des §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist.

Ungeachtet dessen gehört der Antragsteller nach dem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 15. November 2015, in dem sein Alter auf 19 Jahre geschätzt wird, gerade in den in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß §42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Dass der Antragsteller, vom Antragsgegner vor die Wahl gestellt, aufgrund der (wegen des Laufs der Rechtsmittelfrist im Übrigen noch gar nicht rechtskräftigen) Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2016 wieder in die Unterkunft für Asylbewerber zurückkehren zu müssen oder unter der Voraussetzung, dass er einen Antrag auf Jugendhilfe für Volljährige stelle, weiterhin in der Jugendhilfeeinrichtung verbleiben zu dürfen, sich am 28. Juli 2016 aus nachvollziehbaren Gründen für Letzteres „entschieden“ hat, sagt angesichts der bereits zuvor offen zutage getretenen Zweifel an der Voll- bzw. Minderjährigkeit des Antragstellers über dessen tatsächliches Lebensalter nicht das Geringste aus. Vielmehr wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob der Antragsteller vor dem Hintergrund des zum damaligen Zeitpunkt bereits angekündigten Rechtsmittels in unzulässiger Weise unter Druck gesetzt wurde und wer hierfür gegebenenfalls die Verantwortung trägt, statt einfach den Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abzuwarten.

Der Antragsgegner wird gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII die ärztliche Untersuchung des Antragstellers unverzüglich in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis dahin dauert die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Mai 2016 getroffene Anordnung der vorläufigen Inobhutnahme des Antragstellers fort.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache ergeht die Entscheidung ohne weitere Gewährung rechtlichen Gehörs.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 18. Juli 2016 - M 18 E 16.2783 - wird aufgehoben.

II.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zur endgültigen Klärung ihres Alters im Rahmen des anhängigen Hauptsacheverfahrens in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

III.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung zur vorläufigen Inobhutnahme der Antragstellerin als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling (umF) nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).

1. Die Antragstellerin ist ihren eigenen Angaben zufolge somalische Staatsangehörige und reiste am 25. Mai 2016 in das Bundesgebiet ein. Am 30. Mai 2016 führten drei Mitarbeiter der Antragsgegnerin unter Einschaltung eines Sprachmittlers ein Inobhutnahmegespräch mit der Antragstellerin durch. In einem stichpunktartig geführten Protokoll ist dabei hinsichtlich der äußeren Merkmale der Antragstellerin festgehalten, Stimmlage: hoch; Haare: bedeckt (gefärbt); Halsfalten: erkennbar tief; Gesichtszüge: nasolabiale Falten, Falten um die Augen (tiefe Augenfalte); Körperbau: kräftig, weibliche Rundungen; Hände: größere Hände, dicke Finger. Hinsichtlich des Verhaltens der Antragstellerin ist im Wesentlichen vermerkt, diese sitze ruhig mit verschlossener Haltung und habe einen traurigen Blick. Sie besitze genaue Vorstellungen, was sie erreichen möchte (Schule, Gesundheit, …), was auf ein reifes Verhalten hindeute. Einerseits habe sie angegeben, ihr Geburtsdatum sei niemanden bekannt, andererseits habe sie jedoch mitgeteilt, sie sei am 2. Juli 1999 geboren. Ihre Mutter habe ihr dies kurz vor ihrer Ausreise gesagt. Darüber hinaus wolle sie ihr Geburtsdatum aber auch von ihrem Verlobten gekannt haben. Aufgrund dieser Wahrnehmungen, Angaben und Verhaltensweisen gelangte die Antragsgegnerin zu dem Gesamteindruck, die Antragstellerin sei volljährig.

2. Mit Bescheid vom 30. Mai 2016 lehnte die Antragsgegnerin daraufhin eine Inobhutnahme der Antragstellerin ab und setzte ihr Geburtsdatum fiktiv auf den 31. Dezember 1997 fest.

3. Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 19. Juni 2016 ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 30. Mai 2016 erheben (Az. M 18 K 16.2782) und darüber hinaus beantragen, sie im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufig in Obhut zu nehmen. Zwar stehe ihr Alter derzeit nicht fest, da Urkunden nicht vorlägen, die Alterseinschätzung unzutreffend und eine ärztliche Untersuchung nicht durchgeführt worden sei, obwohl ein Zweifelsfall im Sinne des § 42 f SGB VIII vorliege. Da die Antragstellerin jedoch die Richtigkeit der Einschätzung bestreite, seien Zweifel an ihrer Minder- bzw. Volljährigkeit gegeben.

4. Mit Beschluss vom 18. Juli 2016 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegründet ab. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können. Im Rahmen des Inobhutnahmegesprächs und der Entscheidung vom 30. Mai 2016 seien alle zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel zur Beurteilung der Minderjährigkeit herangezogen worden. Die Antragsgegnerin habe insbesondere auch berücksichtigen dürfen, dass die Antragstellerin hinsichtlich ihres Geburtsdatums widersprüchliche Angaben gemacht habe, nämlich zum einen, ihr genaues Geburtsdatum nicht zu kennen (da niemand in Somalia ein Geburtsdatum kenne), zum anderen aber, den 2. Juli 1999 als Geburtstag anzugeben und hinsichtlich ihres Geburtsdatums dann auch zunächst vorzubringen, dies hätte sie von ihrer Mutter erfahren, in der Folge aber, ihr künftiger Ehemann habe ihr das Geburtsdatum genannt. Zusammenfassend sei festzustellen, dass weder Anhaltspunkte für eine fehlerhaft durchgeführte qualifizierte Inaugenscheinnahme noch Anhaltspunkte für die Annahme eines Zweifelsfalls vorlägen. Auch die von der Antragsgegnerin erstellte Dokumentation genüge den Anforderungen.

5. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Die durchgeführte qualifizierte Inaugenscheinnahme sei fehlerhaft. Eine hohe Stimmlage, gefärbtes Haar, eine eher kräftige Statur und eine deutlich weibliche Figur sagten über das Alter nichts aus. Auch Falten seien nicht zwangsläufig ein Altersmerkmal. Insbesondere die Nasubialfalte sei bereits von Geburt an angelegt und auch bei Säuglingen schon erkennbar. Die Schlussfolgerung des Jugendamts, die Antragstellerin sei „körperlich ausgereift“, erweise sich daher als nicht auf Fakten gestützt. Ebenso wenig lägen widersprüchliche Altersangaben der Antragstellerin vor. Die Antragstellerin habe durchgehend angegeben, ihr Alter nicht zu wissen. Sie schätze es auf 17 Jahre. (Nur) ihre Mutter habe ihr gesagt, sie sei am 2. Juli 1999 geboren. Ein Widerspruch sei in diesen Aussagen nicht zu erkennen. Dass sie das Geburtsdatum auch von ihrem künftigen Ehemann erfahren habe, habe die Antragstellerin niemals behauptet. Eine solche Erklärung sei von ihr auch nirgends protokolliert. Auch lasse das Verhalten der Antragstellerin anlässlich des Gesprächs mit dem Jugendamt nicht auf Volljährigkeit schließen. Ein ruhiges Sitzen mit verschlossener Haltung und das Geben ruhiger und ernster Antworten sei eine Charaktereigenschaft, die man auch mit 17 Jahren schon entwickelt haben könne. Gleiches gelte im Hinblick auf Vorstellungen bezüglich der eigenen Zukunft. Damit bestünden die Zweifel hinsichtlich des Alters der Antragstellerin fort und seien durch die begehrte ärztliche Untersuchung zu klären.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht kann keinen Bestand haben. Nach den gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfenden Gründen hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO).

1. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind ausländische Kinder oder Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland einreisen, (vorläufig) in Obhut zu nehmen. Die Inobhutnahme erfolgt aus Gründen des Kindeswohls und ist unabhängig davon, ob der Betreffende die Eigenschaft eines Flüchtlings besitzt. Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall die Minderjährigkeit. Eine Inobhutnahme Volljähriger ist rechtswidrig (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21).

a) Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 1. November 2015 in § 42 f Abs. 1 und 2 SGB VIII ausdrücklich gesetzlich normiert (BGBl I, S. 1802). Danach ist die Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in die Ausweispapiere festzustellen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB VIII). Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betroffenen (vgl. OVG Bremen, B.v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]). Dieser kommt besondere Bedeutung zu (so mit Recht Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgb-wiesner.de § 42f N 6: „Primat der Selbstauskunft“). Begegnet diese Zweifeln, ist eine Alterseinschätzung und -feststellung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII). In Zweifelsfällen ist auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Dabei handelt es sich nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut („hat“) um eine gebundene Entscheidung mit der Folge, dass dem Jugendamt ein Ermessen nicht zukommt (vgl. Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42f Rn. 5).

Dieses abgeschichtete Verfahren entspricht im Wesentlichen den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“, die auf der 116. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom 14. bis 16. Mai 2014 in Mainz beschlossen wurden. Die Gesetzesbegründung zu § 42 f SGB VIII nimmt ausdrücklich auf diese Handlungsempfehlungen Bezug (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Durch dieses Verfahren wird dem Umstand Rechnung getragen, dass viele der Jugendlichen ohne gültige Papiere nach Europa kommen und auch sonst kaum Möglichkeiten besitzen, ihr Alter zu dokumentieren. In vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre besitzt das Geburtsdatum keine besondere Bedeutung und wird deshalb auch nicht in Geburtsregistern erfasst (vgl. Kirchhoff, in: jurisPK-SGB VIII, § 42f. Rn. 20). Gibt eine Person an, minderjährig zu sein, oder liegen anderweitige Hinweise vor, dass eine Person minderjährig sein kann, muss dies mit besonderer Sorgfalt geprüft werden. Da es keine Methode gibt, mit der das genaue Alter einer Person bestimmt werden kann, ist es umso notwendiger, dass dieser Unsicherheit in der Einschätzung des Alters durch transparente Verfahrensstandards, die kindgerecht auszugestalten sind, begegnet wird (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.sgb-wiesner.de § 42f N 1).

Das Ergebnis der Alterseinschätzung ist dabei nicht Voraussetzung für eine vorläufige Inobhutnahme, vielmehr ist die Alterseinschätzung selbst erst Aufgabe im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Eine vorläufige Inobhutnahme ist deshalb bereits dann möglich und geboten, wenn das Alter des jungen Menschen noch nicht sicher festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; OVG Bremen, B.v. 18.11.2015 - 2 B 221/15, 2 PA 223/15 -, JAmt 2016, 42 [43]; ebenso Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 4). Mit Blick auf das Ziel, Minderjährige wirksam vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, kann eine Inobhutnahme deshalb nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, die Minderjährigkeit des Betroffenen erscheine zweifelhaft. Vielmehr hat die Alterseinschätzung in einem solchen Fall nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme zu erfolgen (so zutreffend Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 14; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 4).

b) Kann der Betroffene kein aussagekräftiges Ausweispapier vorlegen und ist seine Selbstauskunft nicht zweifelsfrei, so ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme (§ 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII) durchzuführen. Diese erstreckt sich auf das äußere Erscheinungsbild, das nach nachvollziehbaren Kriterien zu würdigen ist. Darüber hinaus schließt sie - unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers - in jedem Fall eine Befragung des Betroffenen ein, in der dieser mit den Zweifeln an seiner Eigenangabe zu konfrontieren und ihm Gelegenheit zu geben ist, diese Zweifel auszuräumen (so zutreffend OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13). Die im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand sind im Einzelnen zu bewerten. Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 7). Gegebenenfalls sind weitere Unterlagen beizuziehen. Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeitern des Jugendamts durchzuführen (vgl. OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 13 unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/6392, S. 20 und die dort erwähnten „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter vom Mai 2014). Das Ergebnis dieses Verfahrens ist in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zu dokumentieren, insbesondere muss die Gesamtwürdigung in ihren einzelnen Begründungsschritten transparent sein (so zutreffend OVG Bremen, B.v. 22.2.2016 - 1 B 303/15 -, NVwZ-RR 2016, 592 f. Rn. 16).

c) Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, bleiben mit anderen Worten Zweifel, so ist eine medizinische Untersuchung zu veranlassen (§ 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Derartige Zweifel bestehen immer dann, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass ein fachärztliches Gutachten zu dem Ergebnis kommen wird, der Betroffene sei noch minderjährig (vgl. bereits BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833 u. 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23; siehe auch Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 26), denn im Hinblick auf die im Jugendhilfeverfahren entsprechend anwendbare Regelung des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. hierzu bereits BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 22 m. w. N.) ist bezüglich des Alters eines Antragstellers zwingend davon auszugehen, dass dieser noch minderjährig ist, solange entsprechende Zweifel nicht ausgeräumt werden können und deshalb weiter fortbestehen (vgl. Kirchhoff, in: jurisPK-SGB VIII, § 42f Rn. 27; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 9; Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, § 42 f SGB VIII Rn. 9; siehe auch BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 18).

d) Ob ein solcher Zweifelsfall vorliegt, unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum umfassender verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Dies schließt eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative des Jugendamts von vornherein aus. Das Ergebnis einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nach § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII ist daher von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf gleichwohl fortbestehende Zweifel an der Minder- bzw. Volljährigkeit des Betroffenen nicht lediglich daraufhin zu überprüfen, ob alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, sämtliche zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet und der Gehalt der anzuwendenden Begriffe und der gesetzliche Rahmen, in dem diese sich bewegen, erkannt wurde und keine sachfremden Erwägungen in die Beurteilung eingeflossen sind (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 19).

Ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn und soweit das Jugendamt durch das Achte Buch Sozialgesetzbuch zur abschließenden Beurteilung ermächtigt würde (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Stand: Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rn. 191 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 160 ff.). Gerade dies indes ist nicht der Fall, wie die in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII vorgesehene Verpflichtung des Jugendamts zeigt, in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. § 42 f Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGB VIII begründet daher keine normative Ermächtigung zur administrativen Letztentscheidung, die allein eine Reduzierung der Kontrolldichte zur Folge haben könnte (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 ff.). Fragen sachlicher und fachlicher Richtigkeit sind stets von den (Verwaltungs-)Gerichten zu überprüfen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 177 m. w. N.).

Ebenso wenig handelt es sich bei den die qualifizierte Inaugenscheinnahme durchführenden Mitarbeitern des Jugendamts um weisungsfreie, interessenpluralistisch zusammengesetzte, auf dem Gebiet der Altersfeststellung mit besonderer (medizinischer) Sachkunde ausgestattete Personen oder Gremien (vgl. hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 195; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 192, 204 ff.). Wenn bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet sind (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts ein weitergehender Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden. Bei der Feststellung von Tatsachenbegriffen - wie insbesondere dem der Minder- oder Volljährigkeit - ist die Annahme einer Beurteilungsermächtigung vielmehr im Gegenteil grundsätzlich abzulehnen (so ausdrücklich Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 211). Eine Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte kommt daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 21).

Die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern im bereits entschiedenen Parallelverfahren 12 CS 16.1550, Zweifel bei der Feststellung des Alters im Sinne von § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestünden nur dann, wenn die Altersbeurteilungen der mit der Einschätzung befassten Fachkräfte des Jugendamts nicht übereinstimmten oder die Prüfpersonen erhebliche Zweifel hätten, dass das Altersbegutachtungsverfahren ohne medizinischen Sachverstand zu einem schlüssigen Ergebnis führen könne, greift daher notgedrungen ins Leere. Ungeachtet dessen wäre eine solche Interpretation auch mit dem in § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ausdrücklich normierten Antragsrecht der Betroffenen unvereinbar (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16.1550 -, Umdruck Rn. 22).

e) Ausgehend von der Tatsache, dass eine exakte Bestimmung des Lebensalters weder auf medizinischem, psychologischem, pädagogischem oder anderem Wege möglich ist, alle bekannten Verfahren - auch eine ärztliche Untersuchung - allenfalls Näherungswerte liefern können, manche medizinischen Untersuchungsmethoden zum Teil eine Schwankungsbreite von bis zu fünf Jahren aufweisen (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.) und allgemein von einem so genannten „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren) auszugehen ist (vgl. hierzu näher Ziff. 5.1.2 der in der Gesetzesbegründung zu § 42f SGB VIII [BT-Drs. 18/6392 S. 20] ausdrücklich in Bezug genommenen „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“ vom Mai 2014, S. 15), kann eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Mitarbeiter eines Jugendamts gemäß § 42 f Abs. 1 Satz 2 2. Alt. SGB VIII allenfalls dann als zur Altersfeststellung geeignet angesehen werden, wenn es darum geht, für jedermann ohne Weiteres erkennbare (offensichtliche), gleichsam auf der Hand liegende, über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Fälle eindeutiger Volljährigkeit auszuscheiden, in welchen ein Sich-Berufen des Betroffenen auf den Status der Minderjährigkeit selbst vor dem Hintergrund möglicher eigener Unkenntnis vom genauen Geburtsdatum als evident rechtsmissbräuchlich erscheinen muss (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 23).

In allen anderen Fällen ist hingegen vom Vorliegen eines Zweifelsfalls auszugehen, der entweder auf Antrag des Betroffenen bzw. seines gesetzlichen Vertreters oder aber von Amts wegen durch das Jugendamt zur Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zwingt. Letzteres gilt namentlich in dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ angesprochenen „Graubereich“ von rund ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren). Mindestens in diesem Grenzbereich ist mit Blick auf die auf das Jugendhilferecht entsprechend anwendbare, in Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU enthaltene Zweifelsregel („im Zweifel pro Minderjährigkeit“) vom Vorliegen eines Anwendungsfalls des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auszugehen. Angesichts der erheblichen Schwankungsbreiten medizinischer Untersuchungsmethoden von bis zu fünf Jahren (vgl. näher Kirchhoff, in: jurisPR-SozR 2/2016 Anm. 1, S. 6 m. w. N.), wird es darüber hinaus eines „Sicherheitszuschlages“ von weiteren zwei bis drei Jahren bedürfen, um dem Kindeswohl angemessen Rechnung zu tragen und jeder vermeidbaren Fehlbeurteilung entgegenzuwirken (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 24).

f) In sich widersprüchlicher Vortrag des Betroffenen über sein Alter kann vor dem Hintergrund, dass dem Geburtsdatum in vielen Herkunftsländern der südlichen Hemisphäre keine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. hierzu näher Kirchhoff, in: juris PK-SGB VIII, § 42f Rn. 20; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 6) und entsprechenden Angaben in Ausweispapieren deshalb ein Beweiswert nicht zukommt (vgl. OVG NRW, B.v. 29.9.2014 - 12 B 923/14 - juris, Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 4.3.2013 - OVG 6 S 3.13, OVG 6 MOVG 6 M 5.13 - juris, Rn. 6), nicht zum Nachteil des betroffenen Antragstellers gewertet werden. Denn auch derjenige, der über sein Alter, etwa infolge von nicht auszuschließender Unkenntnis, widersprüchliche Angaben macht, kann gleichwohl (noch) minderjährig sein (verkannt von OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.4.2016 - OVG 6 S 7.16, OVG 6 M 20.16 -, NVwZ-RR 16, 594 f. - Leitsatz). Widersprüchlicher Vortrag begründet vielmehr im Gegenteil das Vorliegen von Zweifeln an der Selbstauskunft des Betroffenen (so zutreffend Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, Nachtrag unter www.s...de § 42f N 6), denen durch Anwendung des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII von Amts wegen durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung weiter nachzugehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 25).

Eine Alterseinschätzung allein aufgrund bestimmter äußerlicher körperlicher Merkmale stellt für sich genommen keine ausreichende Grundlage dar. Dies gilt auch dann, wenn sie durch Personal erfolgt, das in diesem Bereich erfahren ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21). Eine (einigermaßen) zuverlässige Altersdiagnostik setzt vielmehr voraus, dass im Wege einer zusammenfassenden Begutachtung die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, gegebenenfalls auch einer Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine, sowie einer zahnärztlichen Untersuchung zu einer abschließenden Altersdiagnose zusammengeführt werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 21; OLG München, B.v. 15.3.2012 - 26 UF 308/12 - juris, Rn. 9; s.a. Trenzcek, in: Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 42 Rn. 22 m. w. N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 42 f SGB VIII fest und sieht sich durch die in dieser Vorschrift getroffene Anordnung, dass in sämtlichen Zweifelsfällen auf Antrag des Betroffenen bzw. seines Vertreters oder von Amts wegen durch das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen ist, in seiner bisherigen Rechtsansicht ausdrücklich bestätigt. Sind bereits die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungsmethoden mit erheblichen Unwägbarkeiten und Schwankungsbreiten behaftet, so kann der Einschätzung von Mitarbeitern eines Jugendamts - mit Ausnahme der Feststellung auch von einem Facharzt nicht anders bewertbarer Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs - ein weiterer Erkenntniswert erst recht nicht beigemessen werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 26).

g) Ungeachtet dessen führen nach der ständigen Rechtsprechung des Senats betreffend die Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbleibende Zweifel am Alter des eine Inobhutnahme begehrenden Antragstellers im einstweiligen Anordnungsverfahren zu einer reinen Folgenabwägungsentscheidung, bei der angesichts der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG der Wertung des Gesetzgebers, die Unterbringung und Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge der Primärzuständigkeit der Jugendämter zu überantworten (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und des von Verfassungs wegen gebotenen Schutzes Minderjähriger (Art. 6 Abs. 1 GG) regelmäßig dazu, dass die persönlichen Interessen des Antragstellers möglicherweise entgegenstehende öffentliche Belange überwiegen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23 ff.; B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 23). Lässt sich mithin eine verlässliche Klärung des Alters nicht kurzfristig herbeiführen, so hat das Jugendamt dann, wenn die Minderjährigkeit des Betroffenen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, eine Inobhutnahme gleichwohl anzuordnen, bis das tatsächliche Alter des Betroffenen festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2014 - 12 CE 14.1833, 12 C 1412 C 14.1865 -, NVwZ-RR 2014, 959 [961] Rn. 23) oder aber die Zweifelsregel des entsprechend anwendbaren Art. 25 Abs. 5 UAbs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gebietet, wegen nicht ausräumbarer Ungewissheit weiterhin vom Vorliegen von Minderjährigkeit auszugehen (vgl. bereits BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 12 CE 16.1186 - juris, Rn. 24). Dabei ist zugunsten des Minderjährigen jeweils das geringstmögliche Lebensalter zu unterstellen (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2016 - 12 CS 16. 1550 -, Umdruck Rn. 27).

2. Entsprechend diesem Maßstab kann die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2016 keinen Bestand haben. Die Mitarbeiter des Jugendamts stellen letztlich allein auf das äußere Erscheinungsbild der Antragstellerin und dem aus ihrem Verhalten gewonnenen - persönlichen - Eindruck ab, ohne dass insoweit eine Objektivierung der gewonnenen Erkenntnisse stattfände und für einen außenstehenden Dritten nachvollziehbar würde. Es fehlt jede Transparenz der einzelnen Begründungsschritte und des Gesamtergebnisses. Eine hohe Stimmlage, bedeckte (gefärbte) Haare, tiefe Hals- und Augenfalten, ein kräftiger Körperbau und ausgeprägte weibliche Rundungen sowie große Hände und dicke Finger sind nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch bereits bei minderjährigen Personen zu beobachten. Diesen Feststellungen des Jugendamts kommt deshalb keinerlei Erkenntniswert zu. Ebenso wenig vermögen vor dem Hintergrund der mutmaßlichen Herkunft der Antragstellerin aus Somalia, einem Land der südlichen Hemisphäre, in dem das Geburtsdatum nicht regelmäßig in Geburtenregistern erfasst und dem dort auch keine besondere Bedeutung beigemessen wird, widersprüchliche Angaben zum Geburtsdatum, die Annahme von Volljährigkeit zu rechtfertigen. Dieser Umstand begründet allenfalls Zweifel an der Selbstauskunft, welchen im Rahmen des § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII durch Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung von Amts wegen weiter nachzugehen ist. Ungeachtet dessen hat die Antragstellerin vorliegend auch durchgehend angegeben, sie kenne ihr Alter nicht und schätze sich selbst auf 17 Jahre. (Lediglich) ihre Mutter habe ihr gesagt, dass sie am 2. Juli 1999 geboren sei. Inwieweit hieraus ein Widerspruch erwachsen soll, bleibt unerfindlich.

Darüber hinaus gehört die Antragstellerin aufgrund des von der Antragsgegnerin fiktiv auf den 31. Dezember 1997 festgesetzten Geburtsdatums zu dem in den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen vom Mai 2014“ beschriebenen „Graubereich“ von ca. ein bis zwei Jahren (über der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren), in dem nach dem oben entwickelten Maßstab des Senats auch in Ansehung der entsprechend anzuwendenden Zweifelsregel des Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der RL 2013/32/EU stets eine ärztliche Untersuchung gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII stattzufinden hat, ohne dass es insoweit auf einen zusätzlich zu berücksichtigenden „Sicherheitszuschlag“ entscheidungserheblich ankäme.

Die Antragsgegnerin wird deshalb unverzüglich eine ärztliche Untersuchung der Antragstellerin gemäß § 42 f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in die Wege leiten, um damit die Grundlage für eine einigermaßen verlässliche Entscheidung in der Hauptsache zu schaffen. Bis zur endgültigen Klärung ihres Alters im Hauptsacheverfahren ist die Antragstellerin deshalb in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung unterzubringen.

Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtssache - die mutmaßlich minderjährige Antragstellerin befindet sich derzeit in einer Asylbewerberunterkunft für Erwachsene - muss die Entscheidung ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs ergehen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. § 8 Absatz 1 und § 42 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Ist eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, ist die betroffene Person durch das Jugendamt umfassend über die Untersuchungsmethode und über die möglichen Folgen der Altersbestimmung aufzuklären. Ist die ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person zusätzlich über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären; die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Die §§ 60, 62 und 65 bis 67 des Ersten Buches sind entsprechend anzuwenden.

(3) Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung des Jugendamts, aufgrund der Altersfeststellung nach dieser Vorschrift die vorläufige Inobhutnahme nach § 42a oder die Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 abzulehnen oder zu beenden, haben keine aufschiebende Wirkung. Landesrecht kann bestimmen, dass gegen diese Entscheidung Klage ohne Nachprüfung in einem Vorverfahren nach § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung erhoben werden kann.