Verwaltungsgericht München Urteil, 28. Apr. 2015 - M 16 K 14.50056

bei uns veröffentlicht am28.04.2015

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamts vom ... März 2014 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Überstellung nach Österreich im Rahmen der Dublin II-VO.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger und am 5. November 2013 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 14. November 2013 stellte er einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter. Der Kläger ist im Besitz einer Asylverfahrenskarte der Republik Österreich, die auf den Namen ... mit dem Geburtsdatum ... Oktober 1997 ausgestellt ist.

Der Aufnahmeschein der Regierung von Oberbayern vom 5. November 2013 enthielt das Geburtsdatum ... Oktober 1997. Auf dem Auszug aus dem Ausländerzentralregister wurde das entsprechende Datum handschriftlich durch das Datum 31. Dezember 1994 mit dem Vermerk „Alter nicht glaubhaft“ ersetzt.

Im Rahmen seiner Befragung zur Identitätsfeststellung bei der Regierung von Oberbayern am 15. November 2013 gab der Kläger an, schon einmal im Oktober in Deutschland gewesen, aber wieder zurück nach Österreich geschickt worden zu sein. Sein Vater und seine Schwester seien noch in Afghanistan, seine Mutter und sein Bruder in Belgien. Zu seinem Vater habe Kontakt, zu seiner Mutter und seinem Bruder nicht.

Bei seiner Befragung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger an, Afghanistan im Mai 2013 verlassen zu haben und über Iran, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland eingereist zu sein. Er habe bisher in keinem anderen Land Asyl beantragt. Er wolle nur in Deutschland Asyl beantragen, da die Lebensbedingungen hier besser seien als in anderen Ländern.

Aufgrund eines Übernahmeersuchens des Bundesamts vom 29. Januar 2014 erklärten die österreichischen Behörden am 4. Februar 2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gem. Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin II-VO.

Mit Bescheid vom ... März 2014, zugestellt am 18. März 2014, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig sei (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Österreich an (Nr. 2).

Am 24. März 2014 hat der Bevollmächtigte des Klägers Klage erhoben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Kläger sei minderjährig. Das von den Behörden angenommene Geburtsdatum (31.12.1994) sei nicht richtig. Das richtige Geburtsdatum sei in dem übergebenen Personalpapier des Klägers aus Afghanistan nach islamischer Datierung angegeben. Der minderjährige Kläger dürfe nicht nach Österreich abgeschoben werden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundeamtes für Migration und Flüchtlinge vom ... März 2014 aufzuheben.

Das Bundesamt legte die Behördenakten vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt.

Mit Beschluss vom 30. Mai 2014 (M 16 S 14.50057) hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

Mit Beschluss der Kammer vom 11. Februar 2015 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 16 S 14. 50057 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Anfechtungsklage (vgl. BayVGH, U. v. 29.1.2015 - 13a B 14.50039 - juris - Rn. 17 m. w. N.) ist begründet. Der Bescheid vom 7. März 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und ebenfalls zu Unrecht auf Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Österreich angeordnet.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Zuständigkeit eines anderen Staates kann sich aus der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin II-VO bzw. aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 - Dublin III-VO ergeben. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).

Da der Kläger seinen Asylantrag nach dem 19. Juli 2013, aber vor dem 1. Januar 2014 gestellt hat, liegt ein sog. Übergangsfall vor, für den grundsätzlich die Dublin III-VO gilt (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO). Gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats aber weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO (vgl. VG Stuttgart, U. v. 28.2.2014 - A 12 K 383/14 - juris Rn. 13; VG Bremen, U. v. 16.7.2014 - 1 K 152/14 - juris).

Hier hat die Republik Österreich zwar wegen des dort ebenfalls gestellten Asylantrags die Zustimmung zur Übernahme des Klägers erteilt. Für die Durchführung des Asylverfahrens ist aber die Beklagte zuständig. Denn der Kläger war nach Überzeugung des Gerichts im Zeitpunkt der Stellung seines Asylantrags im Bundesgebiet noch minderjährig. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich hat ihn mit dem Geburtsdatum ... Oktober 1997 und damit als Minderjährigen erfasst. Auch nach dem Geburtsdatum, das der Kläger bei der Anhörung zur Identitätsklärung vor der Regierung von Oberbayern angegeben hat, war er im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig. Das von ihm bei der Befragung vor dem Bundesamt in afghanischer Zeitrechnung angegebene Geburtsdatum hat der dort eingesetzte Dolmetscher als „... April 1997“ übersetzt. Auch bei diesem Gespräch hat der Kläger ausdrücklich auf seine Minderjährigkeit hingewiesen. Aus den vorgelegten Unterlagen geht ebenfalls hervor, dass der Kläger im Jahr 2010 dem äußeren Erscheinungsbild nach auf 13 Jahre geschätzt wurde. Schließlich ist auch nach dem Eindruck, den das Gericht vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, davon auszugehen, dass die entsprechenden Angaben des Klägers hinsichtlich seines Alters der Wahrheit entsprechen. Wie die Beklagte zu ihrer abweichenden Einschätzung gelangt ist, ist hingegen nicht nachvollziehbar. In den Verwaltungsvorgängen finden sich im Zusammenhang mit der Aufnahme durch die Regierung von Oberbayern auf dem Auszug aus dem Ausländerzentralregister lediglich die Streichung des dort erfassten Geburtsdatums (...10.1997) und der Vermerk „Alter nicht glaubhaft“. Dies allerdings ohne nähere Begründung. In der Folgezeit wurde der Kläger mit dem Geburtsdatum 31. Dezember 1994 geführt. Das Bundesamt hat sich bei seiner Entscheidung mit der Frage der Minderjährigkeit des Kläger gar nicht befasst und auch im Laufe des Klageverfahrens keine Gründe dafür vorgetragen, weshalb von der Volljährigkeit des Klägers auszugehen wäre.

Da der unverheiratete Kläger ohne Begleitung eines für ihn nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen eingereist ist und er sich auch tatsächlich nicht in Obhut eines solchen Erwachsenen befunden hat, handelt es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen (vgl. Art. 2 Buchstabe h) Dublin II-VO). Einschlägig ist daher Art. 6 Dublin II-VO.

Nach Art. 6 Abs. 1 Dublin II-VO ist, wenn es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, der Mitgliedsstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt. Diese Vorschrift ist im Fall des Klägers nicht einschlägig, da - wie der Kläger nunmehr in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat - seine Mutter ihr Heimatland nicht verlassen hat und sein Bruder nicht Angehöriger im Sinne von Art. 2 Buchstabe i) iii) Dublin II-VO ist. Deshalb muss auch nicht geklärt werden, ob sich der Bruder überhaupt in Belgien aufhält und welchen Aufenthaltsstatus er dort ggf. inne hat.

Vorliegend findet Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO Anwendung. Nach dieser Vorschrift ist, wenn kein Familienangehöriger anwesend ist, der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige „seinen Asylantrag“ gestellt hat. Unbegleiteten Minderjährigen, die in keinem EU-Mitgliedstaat rechtmäßig sich aufhaltende Familienangehörige haben, kommt aufgrund von Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union besonderer Schutz zu. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U. v. 6.6.2013 - C-648/11- juris) gebietet dies, sie bei einer Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union grundsätzlich nicht in einen EU-Mitgliedstaat zu überstellen, weil zumindest solange ein in einem anderen EU-Staat gestellter Asylantrag noch nicht beschieden wurde, regelmäßig der EU-Staat zuständiger Staat im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO ist, in dem der Minderjährige einen Asylantrag gestellt hat und sich tatsächlich aufhält, ohne dass es auf die vorherige Asylantragstellung in dem anderen EU-Staat ankommt (vgl. OVG Saarl, U. v. 9.12.2014 - 2 A 313/13 - juris, wonach Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO auch auf unbegleitete Minderjährige Anwendung findet, deren erster Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat bereits abgelehnt wurde).

Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 30. Juli 2014 wird die Klage abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der im Jahr 1991 in Herat geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und Tadschike. Er reiste seinen Angaben zufolge im Februar 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Bei der Anhörung vor der Regierung von Oberbayern am 26. Februar 2014 führte der Kläger aus, er sei in der Stadt Herat geboren und nunmehr 23 Jahre alt. Neben Dari spreche er noch Farsi. Seine Mutter lebe im Iran; sein Vater sei letztes Jahr verstorben, als er, der Kläger, in der Türkei gewesen sei. Die letzten sechs oder sieben Jahre habe er ebenfalls im Iran, in der Stadt Karaj, gelebt. Vor ungefähr drei Monaten habe er den Iran verlassen.

Am 3. März 2014 stellte er Asylantrag. Beim Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Kläger an, Afghanistan vor ca. sieben Jahren verlassen zu haben. Über Iran, die Türkei, Griechenland, Bulgarien, Serbien und Ungarn sei er nach Deutschland gekommen. Einen Asylantrag habe er nicht gestellt, aber in Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden.

Aufgrund Übernahmeersuchens der Bundesrepublik Deutschland vom 8. April 2014 erklärte sich die Republik Bulgarien hiermit am 3. Juni 2014 einverstanden.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 4. Juni 2014 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet (2.). Zur Begründung ist ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Bulgarien zur Prüfung des Asylantrags zuständig sei aufgrund der Einreise über dieses Land nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zu einem Selbsteintrittsrecht führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Asylantrag werde daher nicht materiell geprüft.

Hiergegen erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht München am 17. Juni 2014 Klage mit der Begründung, er laufe Gefahr, in Bulgarien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Er würde dort nur unzureichend mit Basisleistungen versorgt. Außerdem herrschten extrem schlechte hygienische Bedingungen. Eine Abschiebung nach Bulgarien sei daher nicht durchzuführen und der Bescheid deshalb aufzuheben.

Auf seinen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. Juli 2014 (Verfahren M 24 S 14.50336) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung mit Zielstaat Bulgarien angeordnet. Mit Urteil vom 30. Juli 2014, das im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung erging, hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamts vom 4. Juni 2014 aufgehoben. Eine Abschiebung in den primär zuständigen Staat, Griechenland, komme aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel nicht in Betracht. Nachdem der somit zuständige Mitgliedstaat, Bulgarien, zugestimmt habe, könne der Kläger zwar nur geltend machen, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen dort bestünden, jedoch sei dies in Bulgarien der Fall. Es seien systemische Schwachstellen vorhanden, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung mit sich brächten. Grundlegend hierfür sei der Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom April 2014. Die dortigen Feststellungen würden durch weitere Berichte belegt. Allein die Tatsache, dass Bulgarien demnach nicht zuständig sei, führe zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids, unabhängig davon, ob eine Abschiebungsanordnung in einen weiteren Mitgliedstaat möglich wäre.

Auf Antrag der Beklagten hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. Oktober 2014 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien systemische Mängel aufweisen.

Zur Begründung ihrer Berufung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen im Zulassungsantrag und führt ergänzend aus, dass jedenfalls zwischenzeitlich systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen nicht mehr zu erkennen seien, insbesondere seien Unterbringungskapazitäten und entsprechende Versorgung gegeben. Hierzu wird eine Ausarbeitung des „State Agency for Refugees with the Council of Ministers“ des bulgarischen Staats vorgelegt, die belegten, dass systemische Schwachstellen nicht vorhanden seien. Ergänzend trägt die Beklagte vor, ein Klagebegehren, das nicht auf die Zuerkennung des in der Sache erstrebten Status gerichtet sei, sei nicht statthaft. Besonders deutlich werde dies bei einem in einem anderen Mitgliedstaat erfolglos durchgeführten Asylverfahren. Ein dann im Bundesgebiet gestellter Asylantrag sei zugleich ein Zweitantrag im Sinn des § 71a Abs. 1 AsylVfG, gegen den in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Folgeantrag nach § 71 AsylVfG(U.v. 10.2.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 = NVwZ 1998, 861) allein die auf Statuszuerkennung gerichtete Verpflichtungsklage statthaft sei.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils vom 30. Juli 2014 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist begründet (§ 125 Abs. 1, § 128 Abs. 1 VwGO). Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 4. Juni 2014 rechtmäßig und die Klage deshalb unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 30. Juli 2014 abzuweisen.

Die Klage ist zulässig.

Gegen den Bescheid des Bundesamts vom 4. Juni 2014, mit dem der Asylantrag nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung angeordnet wird, ist eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt.1 VwGO) die statthafte Klageart (BayVGH, U.v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628; ebenso OVG Hamburg, B.v. 2.2.2015 - 1 Bf 208/14.AZ - juris; VGH BW, U.v. 18.11.2014 - A 3 S 265/14 - n.v. und U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293; NdsOVG, B.v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - AuAS 2014, 273; OVG Saarl, B.v. 12.9.2014 - 2 A 191/14 - juris; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - AuAS 2014, 118 = DVBl 2014, 790; OVG LSA, U.v. 2.10.2013 - 3 L 643/12 - juris). Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist) bzw. der Dublin III-VO ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylverfahrens zu unterscheiden. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 = NVwZ 2014, 158; U.v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - NVwZ 1996, 80) im vergleichbaren Fall einer Einstellungsverfügung durch das Bundesamt nach §§ 32, 33 AsylVfG die vom Kläger beantragte (bloße) Aufhebung des Einstellungsbescheids für ausreichend erachtet mit der Folge, dass die Sachentscheidung zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleibt. Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass das Verwaltungsgericht zwar die Sache grundsätzlich spruchreif zu machen habe, dies aber nicht ausnahmslos gelte. Es könne nicht generell Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das mit der Sache noch gar nicht befasst gewesen sei und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht habe treffen können, über den Asylanspruch zu befinden. § 113 Abs. 3 VwGO lasse sich jedenfalls der Rechtsgedanke entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz stehe im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme. Darüber hinaus ginge dem Asylantragsteller eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien wie persönliche Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ausgestattet sei. Die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes ließen darauf schließen, dass die sachliche Prüfung vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen sei und nicht generell eine Pflicht zum „Durchentscheiden“ angenommen werden könne. Diese Ausführungen können auf vorliegende Konstellation übertragen werden.

Die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage wird auch nicht durch die Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts zum Folgeantrag in Frage gestellt (U.v. 10.2.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 = NVwZ 1998, 861), die die Beklagte auf die Konstellation eines Zweitantrags gemäß § 71a AsylVfG übertragen möchte. In diesem Urteil ist ausgeführt, dass der Aspekt, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden müsse, lediglich den geltend gemachten Anspruch auf Asylanerkennung betreffe. Dass die Anforderungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids erfüllt seien, sei Voraussetzung für den Anspruch auf Asyl, nicht aber gebe es einen selbstständig neben diesem stehenden und eigenständig einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch. Damit könne weder lediglich auf „Wiederaufgreifen“ geklagt noch vom Gericht „isoliert“ über die Frage, ob wiederaufzugreifen sei, entschieden werden. Eine derartige Fallkonstellation ist vorliegend aber nicht gegeben, weil hier lediglich als Vorfrage zum Anerkennungsanspruch des Klägers die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens nach den Anforderungen der Dublin III-VO im Streit steht. Zudem weist die Beklagte selbst darauf hin, dass die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Folgeantragsregelung nach § 71 AsylVfG ergangen ist, wohingegen vorliegend eine Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 27a AsylVfG Klagegegenstand ist. Das Bundesamt hat nur darüber entschieden und im Übrigen darauf verwiesen, dass eine materielle Prüfung nicht erfolgt ist.

Die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben.

Der Kläger kann geltend machen, durch die vom Bundesamt getroffene Feststellung möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Normen der Dublin-VO eigentlich organisatorische Vorschriften. Gleichwohl kann ein Asylbewerber im Rahmen des nach Art. 27 Dublin III-VO garantierten Rechtsschutzes geltend machen, dass in dem zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208 Rn. 56 ff. zur Dublin II-VO).

Die somit zulässige Anfechtungsklage ist aber unbegründet.

Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig. Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Eine solche Zuständigkeit ergibt sich aus der Dublin III-VO, auf die sich das Bundesamt im Bescheid gestützt hat. Diese Verordnung ist gemäß Art. 49 Abs. 2 auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten, also ab dem 1. Januar 2014, gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung - für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Letzteres ist vorliegend einschlägig, da das Übernahmeersuchen an Bulgarien am 8. April 2014 gestellt wurde.

Das Verfahren nach der Dublin III-VO dient zuerst dazu, den zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind übereingekommen, dass auf kurze Sicht eine klare und praktikable Form für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden sollte. Ziel der Dublin III-VO ist die Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (Erwägungsgründe Nr. 2, 3, 4, 5 und 40). Im Verfahren nach der Dublin III-VO steht deshalb insbesondere die Zuständigkeitsfrage im Raum. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran ist der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, weil der Kläger aus einem Drittstaat kommend die Grenze eines Mitgliedstaats, Bulgarien, überschritten hat, der damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies hat zur Folge, dass Bulgarien nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin III-VO verpflichtet ist, den Kläger aufzunehmen. Aufgrund Übernahmeersuchens der Bundesrepublik Deutschland vom 8. April 2014 erklärte sich die Republik Bulgarien hiermit am 3. Juni 2014 einverstanden. Entsprechend der Konzeption der Dublin III-VO hat das Bundesamt zu Recht den Asylantrag nicht inhaltlich geprüft, sondern die Unzulässigkeit festgestellt und die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet.

Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Bulgariens. Der Kläger befürchtet allerdings, dass ihm im Fall einer Abschiebung in Bulgarien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S.v. Art. 3 EMRK drohen würde. Davon ist jedoch nicht auszugehen.

Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers zugestimmt (bzw. nicht geantwortet hat), so kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin II-VO damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GR-Charta - ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208). Art. 3 Abs. 2 der hier maßgeblichen Dublin III-VO regelt nunmehr ausdrücklich, dass der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der im dortigen Kapitel III vorgesehenen Kriterien fortsetzt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen. Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) steht.

Vorliegend ist es nach diesen Grundsätzen nicht geboten, eine Überstellung nach Bulgarien zu unterlassen, weil dort nach den grundlegenden Veränderungen im Jahr 2014 derzeit nicht von systemischen Schwachstellen im dargestellten Sinn auszugehen ist. Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Bulgarien nicht ernsthaft zu befürchten ist.

Nachdem im Juli/August 2013 bei der Anzahl der Asylanträge in Bulgarien ein großer Anstieg zu verzeichnen gewesen war, nahm die Lage in der zweiten Jahreshälfte 2013 eine äußerst kritische Entwicklung an. Die bulgarische Regierung hatte sich deshalb mit der Bitte um Hilfe an das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office - EASO) gewandt, das durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen geschaffen wurde (siehe zusammenfassende Darstellung von EASO im „Operating Plan to Bulgaria, Stock taking report on the asylum situation in Bulgaria, Zwischenbilanz Mitte Februar 2014, S. 1 - EASO-Feb). In der Folge wurde am 17. Oktober 2013 der „EASO Operating Plan to Bulgaria” für den Zeitraum von November 2013 bis September 2014 beschlossen.

Noch im Januar 2014 ging UNHCR (Bulgaria, As a Country of Asylum, UNHCR Observations on the Moldova Turkey Current Situation of Asylum in Bulgaria vom 2.1.2014 - UNHCR-Jan) davon aus, dass in Bulgarien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestünden. Aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen seien Asylbewerber - auch über längere Zeiträume - der Gefahr willkürlicher Verhaftung ausgesetzt; sie hätten keinen Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren und das Refoulement-Verbot werde nicht beachtet. Unter diesen Umständen plädierte UNHCR dafür, Abschiebungen nach Bulgarien zunächst auszusetzen und die Situation am 1. April 2014 erneut zu überprüfen. Damit sollte UNHCR zufolge Bulgarien die Gelegenheit zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen und zur Verstärkung der Kapazitäten des Staatlichen Flüchtlingsamts (SAR) gegeben werden. Dieser Einschätzung schlossen sich amnesty international (Suspension of Returns of Asylum-Seekers to Bulgaria Must Continue vom 31.3.2014 - ai), European Council on Refugees and Exiles (ECRE reaffirms its call for the suspension of transfers of asylum seekers to Bulgaria under the recast Dublin Regulation vom 7.4.2014 - ecre) und Pro Asyl (Presseerklärung vom 23.5.2014: Schwere Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen in Bulgarien; News vom 23.5.2014: Flüchtlinge in Bulgarien: misshandelt, erniedrigt, im Stich gelassen; News vom 15.4.2014: Flüchtlinge in Bulgarien: Zurückgewiesen, inhaftiert oder katastrophal untergebracht) an.

Zur Halbzeit des erwähnten „Operating Plan“ überprüfte EASO mit einer Expertengruppe im Februar 2014 die Situation in Bulgarien und zog eine Zwischenbilanz (EASO-Feb). Hierin wird ausgeführt, dass im Parlament ein Gesetzesentwurf mit Verbesserungen unter Teilnahme internationaler Organisationen (einschließlich UNHCR und dem Bulgarischen Helsinki Komitee) erörtert worden sei, insbesondere hinsichtlich unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und besonders verletzlicher Personengruppen, sowie betreffend das Recht auf Information, Rechtsberatung und das Recht, im Land bleiben zu dürfen. Im Gegensatz zum Herbst 2013 sei die ordnungsgemäße Registrierung Asylsuchender einschließlich der notwenigen Information über den Zugang zum Asylverfahren gewährleistet; ein Rückstau bestehe nicht mehr. Die Durchführung der Asylverfahren sei - mit Ausnahme der Einrichtung Harmanli - verbessert worden, auch wenn noch viele Punkte offen seien. Eine sehr hohe Anerkennungsrate sei beobachtet worden, allerdings könne diese Personengruppe mangels Integrationsprogrammen die Zentren nicht verlassen. Syrische Asylbewerber würden bevorzugt behandelt, so dass die Verfahrensdauer im Übrigen länger sei. Eine gerichtliche Überprüfung sei gesetzlich vorgesehen; gegen eine negative Entscheidung könnten die Verwaltungsgerichte angerufen werden. Bei den Aufnahmebedingungen sei in einer kurzen Zeitspanne ein großer Fortschritt erzielt worden. Im Wesentlichen seien die Zentren in einem vernünftigen Zustand. Ein Hauptfortschritt sei, dass seit 1. Februar 2014 mindestens eine warme Mahlzeit in allen Aufnahmeeinrichtungen vorgesehen sei. Allerdings sei die Qualität der Aufnahmebedingungen noch uneinheitlich, insbesondere genügten sie bei unbegleiteten Minderjährigen und besonders verletzlichen Personengruppen noch nicht den Anforderungen. Zusammenfassend kommt EASO zum Ergebnis, dass in einer kurzen Zeitspanne viele Fortschritte stattgefunden hätten. Es habe sich gezeigt, dass Bulgarien konkrete Schritte zur Verbesserung des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen unternommen habe.

Asylum Information Database (National Country Report Bulgaria vom 18.4.2014, S. 9 - aida) berichtete mit dem Stand vom 18. April 2014, dass die Praxis der Bestrafung für eine illegale Einreise mit der Folge einer Inhaftierung beendet worden sei. Die Registrierung sei stark verbessert worden, lediglich in Ausnahmefällen träten Verzögerungen auf. Nach einer Gesetzesänderung seien gegen ablehnende Entscheidungen Rechtsmittel zu den regionalen Gerichten möglich. Die sieben Aufnahmezentren wiesen zum Stand 27. März 2014 eine Kapazität von 4.150 Plätzen mit einer Belegungsquote von 82% auf, wobei insgesamt 6.000 Plätze erreicht werden sollten. Gegenüber Dezember 2013 hätten sich die Bedingungen in den Zentren erheblich verbessert, insbesondere in Harmanli. Seit Februar 2014 sei durch die Regierung die Essensversorgung mit zwei warmen Mahlzeiten am Tag in allen Zentren sichergestellt. Asylsuchende hätten Zugang zu medizinischer Versorgung und zu sanitären Einrichtungen; im Asylverfahren würden Dolmetscher zur Verfügung gestellt und es werde eine monatliche finanzielle Grundversorgung geleistet, auch wenn es hierbei noch zu logistischen Verzögerungen komme. Banya sei als Zentrum für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ausgebildet worden. Noch auftretende Schwierigkeiten sollten durch ein geplantes Gesetz behoben werden. Ein Integrationsprogramm für anerkannte Flüchtlinge bestehe noch nicht. Nach den gesetzlichen Vorgaben müssten Asylbewerber, die an der Grenze einen Antrag stellen, binnen 24 Stunden in eine Aufnahmeeinrichtung gebracht werden. Tatsächlich würden sie aber erst in das neu errichtete Haftzentrum Elhovo gebracht und nach drei bis sieben Tagen in eine SAR-Einrichtung. Insgesamt seien die im Oktober 2013 initiierten Gesetzesänderungen betreffend die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen noch nicht vollständig umgesetzt.

Im April 2014 nahm UNHCR eine erneute Einschätzung vor (Bulgarien als Asylland, UNHCR Anmerkungen zur aktuellen Asylsituation in Bulgarien vom April 2014 - UNHCR-April). Danach waren zwischen dem 1. Januar und dem 31. März 2014 erhebliche Verbesserungen in Bulgarien bei der Registrierung, Bearbeitung von Anträgen auf internationalen Schutz und den allgemeinen Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in den Aufnahmezentren festzustellen. Ausschlaggebend sei, dass die Regierung ein umfassendes Integrationsprogramm für Personen, die internationalen Schutz genießen, entwickle und es umsetze. Schwächen bestünden noch im Hinblick auf den Zugang nach Bulgarien an den Grenzen, in zwei von sieben Zentren seien die Aufnahmebedingungen ungeeignet, auf Personen mit besonderen Bedürfnissen könne nicht entsprechend reagiert werden und die Asylverfahren müssten nach wie vor qualitativ verbessert werden, einschließlich der Bereitstellung von Informationen in einer Sprache, die die Asylsuchenden verstünden. Dringend notwendig sei es, den Personen mit Schutzstatus Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Integrationsmaßnahmen zu gewähren. Die Mängel seien aber nicht mehr derart, dass eine allgemeine Aussetzung der Dublin-Überstellungen nach Bulgarien gerechtfertigt wäre. Allerdings könnten Gründe vorliegen, Überstellungen für bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen auszuschließen. Empfohlen wurde, eine Einzelfallbewertung durchzuführen, insbesondere im Hinblick auf Asylsuchende mit besonderen Bedürfnissen oder Vulnerabilitäten.

Auch die Bundesregierung (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 18/1446 vom 20.5.2014 - BReg) ging im Mai 2014 unter Bezugnahme auf den UNHCR davon aus, dass bereits deutliche Verbesserungen im Asylverfahren und in den Aufnahmebedingungen eingetreten seien. Bulgarien unternehme u. a. mit Hilfe von EASO und in Kooperation mit dem UNHCR große Anstrengungen, insbesondere seien Maßnahmen zur Verbesserung des Aufnahmesystems, der Herkunftsländerinformationen, der Ausbildung neuer Kräfte, der Versorgung schutzbedürftiger Personen und der Registrierung von Schutzsuchenden getroffen worden. Es bestünden sieben Aufnahmeeinrichtungen mit einer Aufnahmekapazität von ca. 4.150 Plätzen bei einer Belegungsrate von 82%. Zusätzliche Mitarbeiter, auch Sozialarbeiter, seien eingestellt, Unterkünfte renoviert und Sanitärbereiche erneuert worden. Täglich würden zwei warme Mahlzeiten bereitgestellt, in vier Zentren gebe es Gemeinschaftsküchen. Eine monatliche Grundsicherung werde ausbezahlt. Jeder Antragsteller werde krankenversichert und erhalte eine kostenlose medizinische Behandlung im gleichen Umfang wie ein bulgarischer Staatsbürger. Bei unbegleiteten Minderjährigen und besonders Schutzbedürftigen leiste EASO seit Februar 2014 Unterstützung. Illegal eingereiste Personen würden bei der ersten Befragung polizeilich registriert; dabei könnten sie ihr Asylbegehren vorbringen. Jeder Asylantragsteller könne sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen zu jeder Zeit frei bewegen. Bei Rückkehrern mit noch nicht abgeschlossenem Verfahren werde der jeweilige Antrag weitergeprüft. Sei das Verfahren unterbrochen worden und spreche der Antragsteller nicht innerhalb von drei Monaten bei der staatlichen Flüchtlingsagentur vor, werde das Verfahren in seiner Abwesenheit beendet. Falls noch keine Anhörung stattgefunden habe, werde diese nachgeholt, da nach bulgarischem Recht grundsätzlich keine Entscheidung ohne Anhörung erfolgen könne. Sei der Antrag bereits rechtskräftig abgelehnt worden, bestehe bei Rückkehr die Möglichkeit, einen Folgeantrag zu stellen, ohne dass eine Abschiebehaft erfolge. Über den Asylantrag werde in drei Phasen - Zuständigkeit Bulgariens, Prüfung der offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit und allgemeines Verfahren - innerhalb von drei Monaten entschieden, die jeweils einer gerichtlichen Kontrolle unterlägen. Bei laufenden Asylverfahren finde keine Inhaftierung statt. Das bulgarische Recht sehe Haft nur zur Abschiebung und grundsätzlich nicht für Asylbewerber vor.

Im Anschluss an den „Operating Plan” vom 17. Oktober 2013 wurde am 5. Dezember 2014 zwischen EASO und Bulgarien der „Special Support Plan“ (EASO-Dez) unterzeichnet. EASO stellte darin fest, dass die Kapazitäten zur Aufnahme und Registrierung von Asylbewerbern signifikant angestiegen und entsprechende Reaktionsmöglichkeiten vorhanden seien. Trotz dieses bedeutenden Fortschritts sei Bulgarien aber wegen seiner EU-Außengrenzen weiterhin einem starken Druck ausgesetzt. Die Evaluation des „Operating Plan“ habe deshalb dazu geführt, dass ergänzende bzw. Folgeaktionen vorgeschlagen würden, vor allem für besonders schutzbedürftige Personen. Angesichts der Gesamtumstände bestehe noch - zunächst bis Juni 2016 - die Notwendigkeit zu weiterer, spezieller Unterstützung, deren Ausgestaltung im Einzelnen dargelegt wird. In Erwartung eines im Jahr 2015 weiter ansteigenden Migrationsdrucks sollen der laufende Aktionsplan fortgesetzt und ergänzende Aktionsmöglichkeiten geschaffen werden. Bereits während der letzten zwölf Monate habe das bulgarische Asylsystem wichtige Entwicklungen vollzogen, insbesondere bei der personellen und technischen Ausstattung sowie bei den Aufnahmeeinrichtungen, die derzeit eine Kapazität von 6000 Plätzen aufwiesen. Die dortigen Lebensbedingungen seien deutlich verbessert worden. Die Verpflegung sei mit entsprechenden neuen Küchen und Personal sichergestellt; medizinische Versorgung sei gewährleistet. Im Oktober 2015 solle auch beim „Special Support Plan“ eine Halbzeitbilanz erstellt werden.

Diese dargestellten Entwicklungen im Laufe des Jahres 2014 zeigen, dass derzeit bei der Durchführung des Asylverfahrens und bei den Aufnahmebedingungen systemische Schwachstellen nicht mehr zu erkennen sind.

Soweit es die Asylverfahren betrifft, sind die Kapazitäten signifikant gestiegen (EASO-Dez; aida) durch eine technische und personelle Aufrüstung (EASO-Feb; UNHCR-April; BReg) sowie eine gezielte Ausbildung neuer Kräfte. Damit ist zwischenzeitlich sowohl eine ordnungsgemäße Registrierung einschließlich der notwenigen Information der Asylbewerber über den Zugang zum Verfahren gewährleistet (EASO-Feb; UNHCR-Apr) als auch eine regelgerechte Durchführung der Asylverfahren. Die eingereisten Flüchtlinge können bei der Registrierung mit der ersten Befragung ihr Asylbegehren vorbringen; sie haben Zugang zu Dolmetschern (aida; BReg). Haft ist für Asylbewerber während des laufenden Asylverfahrens gesetzlich nicht mehr vorgesehen (BReg). Auch bei Rückkehrern ist eine Weiterprüfung ihres Verfahrens bzw. ein Folgeverfahren bei rechtskräftiger Ablehnung sichergestellt, ohne dass eine Abschiebehaft erfolgt. Der Zugang zu regionalen Gerichten ist eröffnet (aida).

Hinsichtlich der Aufnahmebedingungen hat EASO bereits im Februar 2014 die Zentren im Wesentlichen in einem vernünftigen Zustand vorgefunden. Die Unterkünfte wurden renoviert und die Sanitärbereiche erneuert (BReg). Nachdem UNHCR im April 2014 noch berichtet hatte, dass in zwei von sieben Zentren ungeeignete Rahmenbedingungen vorhanden seien, und aida im April 2014 sowie die Bundesregierung im Mai 2014 von einer Aufnahmekapazität von ca. 4.150 Plätzen bei einer Belegungsrate von 82% ausgegangen waren (BReg), stellte EASO im Dezember 2014 fest, dass die Kapazitäten signifikant auf nunmehr 6000 Plätze angestiegen und die dortigen Lebensbedingungen deutlich verbessert worden seien. Die Verpflegung sei mit entsprechenden neuen Küchen und Personal mit täglich zwei warmen Mahlzeiten sichergestellt; in vier Zentren gebe es Gemeinschaftsküchen. Zusätzliche Mitarbeiter, auch Sozialarbeiter, seien eingearbeitet worden (BReg). Zum Lebensunterhalt werde eine monatliche Grundsicherung ausbezahlt (aida; BReg). Da jeder Asylantragsteller krankenversichert wird und eine kostenlose medizinische Behandlung im gleichen Umfang wie ein bulgarischer Staatsbürger erhält, ist die medizinische Versorgung ebenfalls gewährleistet (aida; BReg; EASO-Dez).

Soweit demgegenüber von ai und ecre noch ein Überstellungsstopp gefordert wurde, beruht dies auf dem diesen Berichten zugrundeliegenden Stand der Entwicklung im Frühjahr 2014. Die oben erwähnten Anstrengungen des bulgarischen Staats zur Verbesserung der Situation werden auch von ai und ecre dargestellt; allerdings waren zu diesem Zeitpunkt die gesetzlichen Vorgaben in der Praxis erst zum Teil umgesetzt und in den Aufnahmezentren noch Baumaßnahmen im Gange. Das Gleiche gilt für die Ausarbeitung von Human Rights Watch (Containment Plan - Bulgaria’s Pushbacks and Detention of Syrian and Other Asylum Seekers and Migrants, April 2014 - HRW). Zudem befasst sich diese im Wesentlichen mit der Zuspitzung der Lage in der zweiten Jahreshälfte 2013. Schließlich trifft das auch auf die Berichte von Pro Asyl zu. Auch wenn deren Veröffentlichungen vom April, Mai und August 2014 datieren, nehmen sie auf die Lage im November 2013 Bezug und sind damit überholt.

Neueren Datums ist zwar die Darstellung von bordermonitoring (Trapped in Europe’s Quagmire: The Situation of Asylum Seekers and Refugees in Bulgaria vom 7.7.2014 - deutsche Übersetzung vom 22.12.2014: Gefangen in Europas Morast, Die Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Bulgarien). Sie befasst sich aber überwiegend mit den Problemen, denen sich Inhaber eines Aufenthaltstitels ausgesetzt sehen. Zudem basiert die Untersuchung ihrem Vorwort zufolge auf Interviews mit Asylsuchenden und Statusinhabern einerseits und mit Beamten, NGO-Vertretern, Anwälten und Freiwilligen andererseits. Zugleich werden Teile des öffentlichen Diskurses über Asylsuchende und Flüchtlinge analysiert. Der Bericht ist damit schon nach seiner eigenen Intention nicht auf eine systematische Gesamtanalyse ausgerichtet, sondern greift lediglich Einzelschicksale heraus und weist in diesem Zusammenhang auf vielfältige Unzulänglichkeiten der Situation in Bulgarien hin. Hieraus lässt sich nach Auffassung des Senats aber nicht der Schluss ziehen, dass systemische Schwachstellen vorlägen, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung von Dublin-Rückkehrern zur Folge hätten.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen schließt die Einschätzung des Senats mit ein, dass nach wie vor in bestimmten Bereichen Schwächen vorhanden und noch nicht alle gesetzlich vorgesehenen Änderungen vollständig umgesetzt sind.

Das gilt für das Problem der zum Teil noch vorkommenden - kurzfristigen - Inhaftierungen und für die Aufnahmebedingungen für besonders verletzliche Personengruppen, die den übereinstimmenden Aussagen der Erkenntnismittel zufolge nach wie vor nicht zufriedenstellend sind (EASO-Feb; UNHCR-April; BReg). EASO legt deshalb hierauf in den ergänzenden Unterstützungsmaßnahmen, die noch bis zum Jahr 2016 vorgesehen sind, ein besonderes Augenmerk. Schwächen bestehen weiterhin nach übereinstimmenden Aussagen im Hinblick auf den Zugang nach Bulgarien an den Grenzen (UNHCR-April). Die Tatsache, dass Bulgarien wegen seiner EU-Außengrenzen weiterhin einem starken Druck ausgesetzt ist, hat EASO im „Special Support Plan“ vom 5. Dezember 2014 berücksichtigt. In Erwartung eines im Jahr 2015 weiter ansteigenden Migrationsdrucks wurde der „Operating Plan“ fortgesetzt. Es ist ausdrücklich festgehalten, dass angesichts der Gesamtumstände noch - zunächst bis Juni 2016 - die Notwendigkeit zu weiterer, spezieller Unterstützung besteht. Unbefriedigend ist möglicherweise auch die Situation von Personen, denen ein Schutzstatus zuerkannt wurde. Für diese Personen endet der Anspruch auf Gewährleistung der Grundbedürfnisse, auch wenn ihnen wohl noch für eine gewisse Zeit Aufenthalt in einem Zentrum gewährt wird. Hierbei handelt es sich aber nicht um Probleme während des Asylverfahrens, sondern - da insoweit den Quellen zufolge kein Unterschied zu bulgarischen Staatsbürgern besteht - um die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Bulgarien und eine allgemeine soziale Problematik. Ein hinreichendes Indiz für systemische Schwachstellen im Asylverfahren wird dadurch nicht begründet.

Punktuelle Defizite vermögen nicht die Mangelhaftigkeit des Gesamtsystems zu begründen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417) wäre es nämlich nicht mit den Zielen und dem System der Dublin II- bzw. III-VO vereinbar, wenn geringste Verstöße genügen würden, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Vielmehr würde damit den in Kapitel III der Dublin II- bzw. III-VO genannten Kriterien ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, wenn jeder Verstoß zur Folge hätte, dass eine Überstellung unterbleiben müsste. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist. Da der Kläger vorliegend nicht zu einem schützenswerten Personenkreis gehört, bedarf es auch keiner gesonderten Überprüfung, ob ausnahmsweise von einer Überstellung abgesehen werden müsste.

Soweit sich der Kläger auf die Zustände im Lager Harmanli berufen hat, decken sich seine Aussagen mit der Darstellung in den Erkenntnismitteln. Wie dort beschrieben, hat auch der Kläger vorgetragen, dass die Einrichtung überbelegt, die hygienischen Bedingungen unakzeptabel gewesen seien und er nicht die nötigen Basisleistungen erhalten habe. Harmanli wurde aida (S. 41; siehe auch ai S. 6, 7; EASO-Feb S. 9) zufolge als eine von vier neuen Einrichtungen im September/Oktober 2013 eröffnet, jedoch war sie völlig überfüllt und weder die Infrastruktur noch die materiellen Bedingungen entsprachen zu diesem Zeitpunkt den Minimalanforderungen an angemessene Lebensbedingungen, insbesondere in Bezug auf Existenzsicherung sowie physische und mentale Gesundheit. In Harmanli, einer ehemaligen Militärkaserne, seien die Asylsuchenden unter extrem einfachen Lebensbedingungen und hygienischen Verhältnissen in Zelten und Containern ohne Strom und Kanalanschluss in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht worden (siehe auch UNHCR-Jan S. 9). Die Missstände seien so gravierend gewesen, dass die Gefahr von Epidemien bestanden habe. Das berichtete auch UNHCR im Januar 2014, der das Lager als die schlechteste aller Einrichtungen bezeichnete (S. 9 f.).

Allerdings haben dort gravierende Veränderungen stattgefunden, insbesondere auch bauliche Maßnahmen. So haben aida und ai (S. 10 bzw. 6) im März 2014 festgestellt, dass sich die Situation dort gegenüber Dezember 2013 wesentlich verbessert habe, wenngleich noch Bauarbeiten im Gange seien (S. 42; auch EASO-Feb S. 10). Das Zentrum werde auch nicht mehr als geschlossene Einrichtung betrieben. Weitergehende Verbesserungen werden von EASO im Dezember 2014 bestätigt (S. 7). Bei einer Rückkehr zum jetzigen Zeitpunkt ist deshalb eine unmenschliche Behandlung nicht mehr zu erwarten. Ebenso sind die zum damaligen Zeitpunkt noch vorhandenen Schwachstellen im Asylverfahren mittlerweile behoben. In der Gesamtschau ist damit derzeit in Bulgarien nicht von systemischen Schwachstellen im dargestellten Sinn auszugehen.

Die hier vertretene Einschätzung der Situation von Asylbewerbern in Bulgarien entspricht auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77) und des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts (BVwG, U.v. 3.10.2014 - W212 2009059-1 - RIS).

Die Befugnis zur Anordnung der Abschiebung ergibt sich aus § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der am … 1988 geborene Kläger ist gambischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20.05.2013 - u.a. von Italien kommend - in das Bundesgebiet ein und beantragte am 11.06.2013 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Dabei teilte er mit, dass er bereits in Italien erfolglos ein Asylverfahren betrieben habe, weshalb er nunmehr nach Deutschland weitergereist sei („I was already in Italy, after my asyl application, my case was rejected by the Italian government, that’s wyh I came in Germany to try my chance“).
Nach entsprechendem EURODAC-Treffer (registrierter Asylantrag in Italien am 27.08.2011) ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 14.11.2013 bei der italienischen Dublin-Koordinierungsstelle um die Wiederaufnahme des Klägers. Die Anfrage wurde am 16.12.2013 wiederholt. Nachdem die italienische Dublin-Koordinierungsstelle keine Antwort erteilte, lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 15.01.2014 den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 18.01.2014 zugestellt.
Am 28.01.2014 hat er diesbezüglich beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und sich zur Begründung im Wesentlichen auf systemische Mängel im italienischen Asylverfahren berufen.
Der Kläger beantragt sachdienlich,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15.01.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen sowie ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG zuzuerkennen;
hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, ihm den (subsidiären) Schutzstatus nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen;
höchst hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein (komplementäres) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheids.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter erklärt.
10 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die dem Gericht vorliegenden Akten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Soweit sich der Klageantrag auf ein Verpflichtungsbegehren bezieht, ist die Klage schon unzulässig. Denn der Kläger hat keine überlange Verfahrensdauer im Sinne des Art. 47 GRCh gerügt, die auch nicht ersichtlich ist, weswegen ihm von vorneherein kein Anspruch auf „Durchentscheiden“ zustehen kann (hierzu III.), es also insoweit an der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO fehlt. Bezüglich des Anfechtungsbegehrens hingegen ist die Klage zulässig, weil sich der Kläger auf ihn betreffende systemische Mängel im italienischen Asylverfahren beruft, sodass insoweit die Verletzung eigener Rechte aus Art. 4 GRCh möglich erscheint.
12 
Selbst wenn aber nicht nur das Anfechtungs-, sondern auch das Verpflichtungsbegehren als zulässig angesehen würde, ist die Klage in jedem Fall insgesamt unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung seines Asylverfahrens im Bundesgebiet sowie auf die geltend gemachten Rechtspositionen (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Ob im konkreten Fall das italienische Asylverfahren tatsächlich durch ablehnenden Bescheid bestandskräftig negativ abgeschlossen wurde, ist nicht hinreichend ersichtlich (nur: „my case was rejected by the Italian government“). Es kann im Ergebnis aber offen bleiben, ob ein Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylVfG vorliegt oder der Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. In beiden Fällen ist Italien für die Fortführung des Asylverfahrens zuständig im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (- GEAS -; hierzu: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., Vorb-AsylVfG Rn. 20 ff., sowie Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 34 ff., m.w.N.). Die angefochtene Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG in der Fassung von Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (- Qualifikationsrichtlinie n.F. / QRL -) vom 28.08.2013 (BGBl I Nr. 54 v. 05.09.2013, 3474) ist gerichtlich nicht zu beanstanden.
I.
13 
Gemäß Art. 49 (Abs. 2) der Dublin III-Verordnung 604/2013/EU (- Dublin III-VO -) ist für vor dem 19.07.2013 in Deutschland gestellte (Alt-)Anträge auf internationalen Schutz (i.S. von Art. 2 lit. h QRL: Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes) weiterhin die Dublin II-Verordnung 343/2003/EG (- Dublin II-VO -) anwendbar. Für (Neu-)Anträge ab 01.01.2014 gilt hingegen ausschließlich die Dublin III-VO. Für Anträge im Übergangszeitraum 19.07.2013 bis 31.12.2013 gilt grundsätzlich bereits die Dublin III-VO, nicht jedoch hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, die weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO erfolgt. Sämtliche Regelungen, die die Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaats für den Antrag normieren, sind für diese Übergangsfälle - nach Sinn und Zweck des Art. 49 (Abs. 2) Dublin III-VO (Verwaltungsvereinfachung auch bezüglich der verwendeten Formulare etc. im Übergangszeitraum ab Inkrafttreten der erst am 29.06.2013 veröffentlichten Dublin III-VO) - weiterhin der Dublin II-VO zu entnehmen. In deren Kapitel III ist die „Rangfolge“ der Kriterien geregelt; zu dieser Rangfolge gehören untrennbar die sonstigen Dublin II-Regelungen (insbesondere Kapitel V, in dem die Dublin II-VO etwa bei Fristablauf ebenfalls Zuständigkeitskriterien normiert). Dass Kapitel III der Dublin III-VO nunmehr die „Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats“ begrifflich enger fasst, spielt keine Rolle. Denn Art. 49 (Abs. 2) Dublin III-VO verweist ausdrücklich und pauschal auf die Kriterien der (eigentlich gemäß Art. 48 Dublin III-VO aufgehobenen) Dublin II-VO.
14 
Die Dublin II-VO ist im Übrigen (derzeit) weiterhin anwendbar bezüglich der Länder Norwegen, Island, Schweiz, Liechtenstein und Dänemark, die sich (bislang) nicht am Dublin III-System beteiligen.
15 
Die Dublin-Verordnungen dürften im Übrigen nicht nur bei bloßer Feststellung von subsidiärem Schutz, sondern selbst bei Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Dublin-Staat - jedenfalls analog - anwendbar sein (a.A. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 11/2013, § 27a Rn. 34). Denn in diesen Fällen behält der andere Dublin-Staat nach Sinn und Zweck der Verordnungen grundsätzlich weiterhin die Flüchtlingsverantwortung, wie dies auch Art. 4 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16.10.1980 (BGBl 1994 II 2645) dokumentiert (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 2 AsylVfG Rn. 6). Verstärkt wird dieser Ansatz durch die Regelung des Art. 24 Abs. 1 QRL, wonach anerkannte Flüchtlinge Anspruch auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels haben. Analog Art. 9 (i.V.m. Art. 2 lit. j) Dublin II-VO bzw. Art. 12 (i.V.m. Art. 2 lit. l) Dublin III-VO muss der Aussteller-Mitgliedstaat im Dublin-System für die Prüfung des erneuten Antrags auf internationalen Schutz (dem das Rechtsschutzbedürfnis fehlen dürfte) auch in der Zwischenzeit nach Flüchtlingsanerkennung und Titelausstellung zuständig sein. Alles andere wäre mit dem öffentlichen Beschleunigungsinteresse im Sinne einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Dublin-Staates unvereinbar. Denn es kann nicht richtig sein, dass das Bundesamt oder die Asylgerichte - gegebenenfalls unter Beiziehung, Übersetzung und Auswertung der ausländischen Verwaltungsakten sowie nach Studium des jeweiligen nationalen Asylverwaltungsverfahrensrechtes - zur Aufklärung verpflichtet wären, ob der Antragsteller nun tatsächlich eigentlich bereits bestandskräftig anerkannt oder (teil-)abgelehnt wurde bzw. ob ihm die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer oder komplementärer Schutz zuerkannt worden ist. Jedenfalls dann, wenn der ersuchte Dublin-Staat im Dublin-Verfahren der (Wieder-)Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat, was er völker- bzw. unionsrechtlich auch ohne entsprechende Rechtspflicht darf, steht grundsätzlich im Sinne des § 34a Abs. 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung in diesen Staat durchgeführt werden kann. Der Einwand des Antragstellers, er sei dort aber schon anerkannt worden, kann den „effet utile“ der Dublin-Verordnungen nicht außer Kraft setzen.
16 
Im Falle des Klägers, der seinen (Alt-)Asylantrag in Deutschland am 11.06.2013 gestellt hat und bei dem unklar ist, ob sein italienisches Asylverfahren bestandskräftig beendet wurde, ist nach diesen Grundsätzen (weiterhin) die Dublin II-VO anwendbar. Da er vor Einreise in das Bundesgebiet nach dem EURODAC-Treffer sowie seinen eigenen Angaben in Italien bereits ein Asylverfahren durchlaufen hatte, bleibt Italien nach Art. 13 i.V.m. Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für ihn zuständig und muss ihn nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufnehmen. Demgemäß hat Italien die Möglichkeit, der Wiederaufnahme ausdrücklich zuzustimmen oder die Wiederaufnahme durch Stillschweigen zu akzeptieren. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO wird davon ausgegangen, dass Italien die Wiederaufnahme akzeptiert, wenn es nach einem EURODAC-Treffer nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab dem deutschen Ersuchen eine Antwort erteilt. Im Falle des Klägers hat das Bundesamt (erstmals) am 14.11.2013 die italienische Dublin-Koordinierungsstelle um die Wiederaufnahme des Klägers ersucht. Gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin II-VO steht mithin seit 29.11.2013 fest, dass Italien der Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt hat. Damit steht zugleich auch bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung im Rechtssinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seit 29.11.2013 insoweit fest, dass die Abschiebung des Klägers nach Italien durchgeführt werden kann.
II.
17 
Hiergegen kann der Kläger - unionsrechtlich - ausschließlich einwenden, im Zielstaat der Abschiebung bestünden systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der EU ausgesetzt zu werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Sache nach in seinem Urteil vom 10.12.2013 (Rs. C-394/12 ) entschieden und damit das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie seine eigene Rechtsprechung in den Urteilen und fortgeschrieben.
18 
1. Im Urteil der Großen Kammer vom 21.01.2011 (Beschw.-Nr. 30696/09) entschied der EGMR, dass eine Dublin-Überstellung von Belgien nach Griechenland aufgrund der dort herrschenden Haft- und Lebensbedingungen für Asylbewerber insbesondere gegen Art. 3 EMRK verstoßen hat.
19 
2. Der EuGH übertrug dies entsprechend Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh im Urteil vom 21.12.2011 (Rs. C-411/10 und 493/10) unter Anwendung von Art. 4 GRCh (= Art. 3 EMRK) in das Unionsrecht und entwickelte hierbei den Begriff der „systemischen Mängel“ bzw. „Schwachstellen“ (vgl. heute: Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO). Herrschen in einem Dublin-Staat solche systemischen Mängel im Asylsystem, was Asylbehörde und gegebenenfalls Asylgericht selbst prüfen müssen und wobei die Darlegungsanforderungen an den Antragsteller nicht überspannt werden dürfen (vgl. UK Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) v SSHD 2014] UKSC 12 - http://supremecourt.uk/decided-cases/docs/UKSC_2012_0272_Judgment.pdf), darf der Asylbewerber dorthin nicht rücküberstellt werden (Rn. 112 f.). Eine unwiderlegbare Vermutung, dass in keinem Dublin-Staat systemische Mängel existieren, widerspricht - trotz des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ und dem politischen Ziel, „forum shopping“ zu vermeiden - Unionsrecht (Rn. 79, 104). Abstrakt definiert setzt die Annahme eines systemischen Mangels allerdings keine „flächendeckende Fehlfunktion im Asylsystem“ im Sinne von „griechischen Verhältnissen“ voraus, sondern eine Schwachstelle, Fehlstruktur oder strukturelle Lücke, die im Sinne einer ceteris paribus notwendigen, aber nicht notwendig hinreichenden Bedingung für Fälle, die diese Asylsystemstelle durchlaufen, zu Rechtsverletzungen führt - dies in Abgrenzung und Gegenüberstellung zu Rechtsverletzungen, die (nur) aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände entstehen (überzeugend: Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 3/2014, i.E.). Solche Rechtsverletzungen müssen jedoch hinreichend gravierend sein, denn nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den Dublin-Zielstaat führt zur Unbeachtlichkeit der Dublin-Zuständigkeitsbestimmungen (Rn. 82).
20 
Vorliegen muss vielmehr eine Verletzung von Art. 4 GRCh, die in Betracht kommen kann etwa hinsichtlich willkürlicher Haft oder katastrophaler Lebensbedingungen für Asylbewerber () oder wenn etwa aufgrund erheblicher Erkrankung und Nichtbehandelbarkeit im Dublin-Zielstaat dort der in Art. 15 der Aufnahme-RL 2003/9/EG garantierte medizinische Mindeststandard („Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten“) gefährlich unterschritten wäre (im Ergebnis ebenso: UK Supreme Court, a.a.O. Rn. 58 ff). Ausschließlich in solchen Fällen darf das Dublin-System außer Kraft gesetzt werden, auch um einen Wertungswiderspruch hinsichtlich der Art. 3 EMRK-Rechtsprechung des EGMR zu vermeiden (vgl. Urteil vom 27.05.2008 , Beschwerde Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334). Denn wegen der Unteilbarkeit der Menschenwürde, die hinter Art. 4 GRCh = Art. 3 EMRK steht, kann es schlechterdings nicht richtig sein, dass die Abschiebung in den Heimatstaat - hier Gambia - hiernach zulässig wäre, obwohl dort etwa keinerlei Unterbringung gesichert ist, die Abschiebung in den Dublin-Staat - hier Italien - hingegen nach dem Maßstab desselben Menschenrechtes etwa bei gesicherter, aber schlechter Unterbringung unzulässig sein soll. Dies wäre auch mit der effet utile-Rechtsprechung des EuGH unvereinbar, der im Urteil „N.S.“ bekräftigt, dass hinsichtlich des effektiven Funktionierens des Dublin-Systems „der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet“, auf dem Spiel stehen (Rn. 83).
21 
3. In Fortschreibung dieser Entscheidung entschied der EuGH sodann im Urteil am 14.11.2013 (Rs. C-4/11), dass bei Vorliegen systemischer Mängel, die beim konkreten Asylbewerber zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh führen, der eigentlich nicht zuständige Dublin-Staat zunächst weiter prüfen darf, ob anhand der Dublin-Regelungen ein anderer Dublin-Staat für eine Überstellung in Frage kommt (Rn. 33). Dabei hat der eigentlich nicht zuständige Dublin-Staat darauf zu achten, dass kein unangemessen langes Verfahren entsteht. Erforderlichenfalls sollte er den Asylantrag unter Inanspruchnahme des mitgliedstaatlichen Selbsteintrittsrechts (vgl. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO; Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO) selbst prüfen (Rn. 35). Der EuGH stellte allerdings ausdrücklich klar, dass der Asylbewerber hierauf keinen Rechtsanspruch besitzt (Rn. 26, 37). Damit hat er zugleich der Sache nach klargestellt, dass ein Asylbewerber nur Anspruch darauf hat, dass sein Antrag auf internationalen Schutz auf dem Gebiet des „unvollendeten Bundesstaates EU“ geprüft wird, nicht aber darauf, dass er gerade in einem bestimmten Dublin-Staat eigener Wahl geprüft wird (kein „forum shopping“), genauso wenig, wie etwa ein Anspruch besteht, dass dies in Baden-Württemberg und nicht beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern geschieht. Indem der EuGH dem Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO die drittschützende Wirkung absprach, hat er zugleich angelegt, dass auch den anderen Dublin-Verfahrensvorschriften, insbesondere den Fristenregelungen, grundsätzlich keine drittschützende Wirkung zukommt.
22 
4. Dies wurde nunmehr im Urteil vom 10.12.2013 (Rs. C-394/12) klargestellt, in dem ausdrücklich nach dem Drittschutz von Dublin-Zuständigkeitsverfahrensvorschriften gefragt worden war. Der EuGH antwortete wiederum verneinend und in aller Klarheit, dass in dem Moment, in dem ein Dublin-Zielstaat der (Wieder-)Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat, dieser hiergegen ausschließlich dortige systemische Mängel einwenden kann, die in seinem konkreten Einzelfall zu einer Verletzung von Art. 4 GRCh führen würden (Rn. 60). Denn die Dublin-Zuständigkeitsregelungen seien im Sinne von „organisatorischen Vorschriften“ der Mitgliedstaaten (Rn. 56) und nach dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ normiert worden, um - auch wegen des öffentlichen Beschleunigungsinteresses hinsichtlich einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Dublin-Staates - einem „forum shopping“ entgegenzuwirken (Rn. 53).
III.
23 
Damit steht nunmehr im Sinne eines „acte clair“ (genauer: „acte éclairé“) fest, dass sämtliche nicht grundrechtlich (wie Art. 6-8 Dublin II-VO bzw. Art. 8-11 Dublin III-VO) aufgeladenen Dublin-Zuständigkeitsregelungen vom Asylbewerber gerichtlich grundsätzlich nicht durchgesetzt werden können. Denn der EuGH hat in allen drei Leitentscheidungen zum Dublin-System der Sache nach pauschal insbesondere mit der Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems argumentiert („Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, „öffentliches Beschleunigungsinteresse“), sodass eindeutig ist, dass sich dies nicht nur auf die jeweilig spezifischen Normen der Dublin II-VO bezieht. Auch im Rahmen der nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar verbindlichen Dublin III-VO kann deshalb nichts anderes gelten. Ein Drittschutz für Dublin-Zuständigkeitsregelungen könnte allenfalls noch bei überlanger Verfahrensdauer gemäß dem über Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GRCh hier direkt anwendbaren Art. 47 Satz 2 GRCh (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl., Vorb-GRCh Rn. 1) anerkannt werden, um einen dauerhaft untätigen Mitgliedstaat zum Handeln zu zwingen, damit keine „refugee in orbit“-Situation entsteht. Nur in einer solchen Ausnahmekonstellation, die aufgrund der hintereinander geschalteten verschiedenen Wochen- und Monatsfristen der Dublin-Verordnungen sicherlich ein Untätigbleiben von weit über einem Jahr voraussetzt, könnte sich das private Beschleunigungsinteresse des Asylbewerbers an der inhaltlichen Bearbeitung seines Antrags gegenüber dem öffentlichen Beschleunigungsinteresse bezüglich der zeitnahen Klärung des für die Antragsbearbeitung nach den Dublin-Verordnungen zuständigen Staates durchsetzen.
24 
Ist diese Ausnahmekonstellation aber, wie im vorliegenden Fall, nicht gegeben, kann eine Klage allein mit dem Argument, etwa die Drei- bzw. Zwei-Monatsfrist des Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO oder Art. 21 Abs. 1 bzw. 23 Abs. 2 Dublin III-VO sei verletzt worden, keinen Erfolg haben. Gleiches muss gelten, wenn die Sechs-Monatsfrist des Art. 19 Abs. 4 bzw. 20 Abs. 2 Dublin II-VO oder Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO abgelaufen ist (insoweit von überholt: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.08.2013 - 12 S 675/13 - juris Rn. 13). Auch in diesem Fall kann eine Anfechtungsklage des Asylbewerbers unionsrechtlich allein dann Erfolg haben, wenn im Dublin-Zielstaat systemische Mängel vorliegen, die im konkreten Einzelfall zu einer Verletzung von Art. 4 GRCh führen würden. Dann müsste der angefochtene Bescheid des Bundesamts aufgehoben werden, damit dem Bundesamt die im Urteil (Rn. 33) beschriebene (und nun in Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO normierte) Möglichkeit eingeräumt wird, auf den dann weiter anhängigen Asylantrag einen anderen Dublin-Zielstaat für die Rücküberstellung zu finden bzw. vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
25 
Ein „Durchentscheiden“ zum (vom Bundesamt, anders als bei Folgeanträgen, nicht einmal angeprüften) Asyl- und Flüchtlingsrecht bzw. subsidiären oder komplementären Schutz im Sinne der Folgeantragsrechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.12.2000 - 9 B 426.00 - juris) scheidet hingegen aus, weil ansonsten entgegen dem Urteil unionsrechtswidrig dem Asylbewerber doch ein gerichtlich durchsetzbares Recht auf Selbsteintritt eingeräumt (insoweit von überholt: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 - juris Rn. 27/30) und dem Bundesamt die Möglichkeit, einen anderen (auch „freiwillig“) aufnehmenden Dublin-Staat zu finden, abgeschnitten würde. Zudem würde hierdurch das Gericht unter Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz zur „Erstbehörde“ gemacht. Solange also die Zustimmung eines Dublin-Zielstaates (faktisch fort-)besteht, den Asylbewerber wieder aufzunehmen (und diese Zustimmung nicht etwa befristet war oder wegen Fristablaufs vom Dublin-Zielstaat inzwischen widerrufen worden ist) sowie in diesem Zielstaat keine systemischen Mängel mit der Folge der Art. 4 GRCh-Verletzung bestehen, solange kann die Klage - unionsrechtlich - keinen Erfolg haben. Diese Zustimmung kann vom Zielstaat nach dem Dublin-System verwaltungstechnisch ausdrücklich oder stillschweigend im Sinne einer Fiktion erteilt worden sein (vgl. Art. 20 Abs. 1 Dublin II-VO bzw. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO).
26 
Im Falle des Klägers ist es hier deshalb ohne entscheidungserhebliche Relevanz, dass das Bundesamt die Drei-Monatsfrist des Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO verletzt hat (Asylantrag am 11.06.2013; Überstellungsersuchen erst am 14.11.2013). Denn Italien hat seiner Rücküberstellung (mittels Fiktion) gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO seit 29.11.2013 (stillschweigend) zugestimmt.
IV.
27 
Die Klage des Asylbewerbers könnte in dieser Konstellation allenfalls dann - nach nationalem Recht - Erfolg haben, wenn die Rücküberstellung aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse unmöglich ist, etwa weil aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung keine Transportfähigkeit, d.h. Reisefähigkeit im engeren Sinne (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.02.2008 - 11 S 2439/07 - juris Rn. 8), besteht. Denn dann steht im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, d.h. die Abschiebungsanordnung ist rechtswidrig. Das Bundesamt hat im Falle der Abschiebungsanordnung also nicht nur - unionsrechtlich - (Dublin-)zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote im Sinne von systemischen Mängeln i.V.m. Art. 4 GRCh zu prüfen, sondern (ausnahmsweise) auch - nationalrechtlich - inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse (ausführlich: Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 11/2013, § 34a Rn. 22). Diese Grundregel ist trotz der prozessualen Neuerungen des Art. 27 Abs. 3 lit. c Dublin III-VO bzw. § 34a Abs. 2 AsylVfG auch unter dem Rechtsregime der Dublin III-VO beizubehalten, um das öffentliche Beschleunigungsinteresse hinsichtlich der zeitnahen Feststellung des zuständigen Dublin-Staates nicht durch gegebenenfalls unkoordinierte Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bezüglich der Abschiebungsanordnung gegenüber dem Bundesamt einerseits und nach § 123 VwGO bezüglich Vollstreckungshindernissen gegenüber der Ausländerbehörde andererseits zu konterkarieren.
28 
Im Falle des verhältnismäßig jungen und offenbar gesunden Klägers gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme von inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen.
V.
29 
Bezüglich des Dublin-Zielstaates Italien liegen nach Überzeugung des erkennenden Gerichts (jedenfalls derzeit) auch keine systemischen Mängel im Sinne der dargestellten EuGH-Rechtsprechung (mehr) vor. Durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür, dass der junge und gesunde Kläger im italienischen Asylverfahren voraussichtlich im Sinne von Art. 4 GRCh „der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wird“, lassen sich nicht erkennen. Der Kläger selbst hat solche Gründe aufgrund eigener Erfahrungen in Italien zwischen seinem dortigen Asylerstantrag wohl am 27.08.2011 und der Ausreise aus Italien im Frühjahr 2013 im Übrigen auch nicht ansatzweise vorgetragen. Seine Begründung für die Weiterreise nach Deutschland war vielmehr, „to try my chance“.
30 
Zur aktuellen Situation in Italien hat insbesondere das Verwaltungsgericht Würzburg in seinem Beschluss vom 03.02.2014 - W 6 S 14.30087 - (juris) Folgendes dargelegt:
31 
„Nach der Erkenntnislage ist nicht anzunehmen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen. (…) Dabei ist festzuhalten, dass nicht schon jeder Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention oder jede Verletzung eines Grundrechts zur Bejahung systemischer Mängel führt. Auch der Umstand, dass in Italien die wirtschaftliche Situation oder die medizinische Versorgung für Asylsuchende schlechter sein mag als in der Bundesrepublik Deutschland, führt für sich nicht zur Annahme systemischen Mängel oder einer allgemeinen unmenschlichen Behandlung (vgl. VG Oldenburg, B.v. 21.1.2014 – 3 B 6802/13 – juris mit Bezug auf OVG LSA, B.v. 14.11.2013 – 4 L 44/13).
32 
Das Auswärtige Amt kommt etwa in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt zu der Einschätzung, dass für Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichende staatliche bzw. öffentliche und karitative Unterkunftsmöglichkeiten – bei teilweiser lokaler Überbelegung – zur Verfügung stehen, und insbesondere, dass alle Personen, die im Rahmen der Dublin-II-VO nach Italien zurückgeführt werden, in eine Unterkunft verteilt werden. Sie werden bei ihrer Ankunft am Flughafen empfangen, erkennungsdienstlich behandelt, einer Questura zugeteilt, von einer zuständigen Hilfsorganisation betreut und über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (vgl. auch Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NRW vom 11.09.2013).
33 
Soweit der vom Antragstellerbevollmächtigten zitierte Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013 erhebliche Missstände in Italien beschreibt, ebenso der UNHCR in einer Stellungnahme an das VG Freiburg vom Dezember 2013 (der daneben auch positive Aspekte honoriert), rechtfertigt dies nicht das Vorliegen von systemischen Mängeln, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, eine unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. allgemein EuGH, U.v. 10.12.2013 – C 394/12 – juris). Das Gericht verkennt nicht das Bestehen der in den vorliegenden Berichten dargestellten Missstände, auf die auch der Antragstellerbevollmächtigte hingewiesen hat. Aber weder dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe noch der Stellungnahme des UNHCR noch sonstigen Unterlagen ist es zurzeit im ausreichenden Maß zu entnehmen, dass ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen vorliegt bzw. dass das Asylverfahren und die Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Italien systemische Mängel aufweisen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der UNHCR weiterhin gerade keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Italien zu überstellen. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Mitgliedsstaat, der nach den Kriterien der Dublin-II-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachten ist, besonders relevant sind (vgl. EUGH, U.v. 30.5.2013 – C-528/11 – ABl EU 2013, Nr. C 225 S. 12 – juris). Soweit in Italien Missstände und Notstände aufgrund der stark gestiegenen Asylbewerberzahl festgestellt worden sind, sind sie dieser geschuldet und stellen als solche für sich keine systemischen Mängel dar. Allein aus dem Umstand, dass andere Verwaltungsgerichte jedenfalls im Sofortverfahren zu anderen Ergebnissen kommen, mag auf den zugrundeliegenden Prüfungsmaßstab zurückzuführen sein, belegt aber nicht das tatsächliche Vorhandensein von Mängeln im italienischen System.
34 
Die vorliegende Einschätzung deckt sich mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 2. April 2013 (27725/10 – ZAR 2013, 336). Der Hinweis des Antragstellerbevollmächtigten auf eine divergierende Rechtsauffassung der 5. Sektion des EGMR und die Befassung der Großen Kammer des EGMR rechtfertigt zurzeit keine andere Beurteilung. Die 3. Sektion des EGMR hat ihre Rechtsauffassung über die Einschätzung hinsichtlich der Situation von Asylsuchenden in Italien mit einer Entscheidung vom 10. September 2013 ausdrücklich bestätigt (2314/10 – http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-127054). Zudem ist auch in dem Zusammenhang zu betonen, dass tatsächlich bestehende Defizite im italienischen Asylsystem auch mit der Folge, dass die wirtschaftliche, die medizinische und die soziale Versorgung in Italien schlechter als in der Bundesrepublik Deutschland ist, nicht die Annahme systemischer Mängel oder einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention rechtfertigen. Denn an einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. auch Thym, ZAR 2013, 331). Zudem ist nicht allein auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bzw. auf die Rechtsauffassung einer einzelnen Sektion abzustellen, sondern die gesamten Umstände des Einzelfalls sind zu würdigen.
35 
Das Gericht schließt sich nach alledem dem Teil der Rechtsprechung an, der systemische Mängel in Italien verneint und nimmt darauf ergänzend Bezug (vgl. zuletzt VG Oldenburg, B.v. 21.1.2014 – 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, B.v. 18.12.2013 – RN 6 S 13.30720 – juris; VG Saarland, B.v. 6.12.2013 – 3 L 1989/13 – juris; VG Ansbach, B.v. 26.11.2013 – AN 1 S 13.31045 – juris; VG Trier, B.v. 6.11.2013 – 5 L 1539/13.TR – juris; OVG Berlin-Bbg, B.v. 17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 – juris; a. A. etwa VG Gießen, U.v. 25.11.2013 – 1 K 844/11.GI.A – AuAS 2014, 12, jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung und den dort zitierten Erkenntnisquellen).“
36 
Auch das erkennende Gericht schließt sich dieser Bewertung des derzeitigen Asylsystems in Italien an. Besonderes Gewicht wird dabei dem Umstand beigemessen, dass UNHCR im Bericht vom Dezember 2013 (anders als im Falle Bulgariens, vgl. Bericht vom 02.01.2014 - http://www.refworld.org/docid/52c598354.html) und bis heute bezüglich Italien aufgrund auch der eigenen Überprüfungen vor Ort keinen Überstellungsstopp fordert.
37 
Nach alledem begegnet die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG keinen Bedenken, denn Italien ist, wie ausgeführt, der für die Fortführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Staat.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Gründe

 
11 
Soweit sich der Klageantrag auf ein Verpflichtungsbegehren bezieht, ist die Klage schon unzulässig. Denn der Kläger hat keine überlange Verfahrensdauer im Sinne des Art. 47 GRCh gerügt, die auch nicht ersichtlich ist, weswegen ihm von vorneherein kein Anspruch auf „Durchentscheiden“ zustehen kann (hierzu III.), es also insoweit an der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO fehlt. Bezüglich des Anfechtungsbegehrens hingegen ist die Klage zulässig, weil sich der Kläger auf ihn betreffende systemische Mängel im italienischen Asylverfahren beruft, sodass insoweit die Verletzung eigener Rechte aus Art. 4 GRCh möglich erscheint.
12 
Selbst wenn aber nicht nur das Anfechtungs-, sondern auch das Verpflichtungsbegehren als zulässig angesehen würde, ist die Klage in jedem Fall insgesamt unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung seines Asylverfahrens im Bundesgebiet sowie auf die geltend gemachten Rechtspositionen (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Ob im konkreten Fall das italienische Asylverfahren tatsächlich durch ablehnenden Bescheid bestandskräftig negativ abgeschlossen wurde, ist nicht hinreichend ersichtlich (nur: „my case was rejected by the Italian government“). Es kann im Ergebnis aber offen bleiben, ob ein Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylVfG vorliegt oder der Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG unzulässig ist. In beiden Fällen ist Italien für die Fortführung des Asylverfahrens zuständig im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (- GEAS -; hierzu: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., Vorb-AsylVfG Rn. 20 ff., sowie Hoppe, Eilrechtsschutz gegen Dublin II-Überstellungen, 2013, S. 34 ff., m.w.N.). Die angefochtene Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG in der Fassung von Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (- Qualifikationsrichtlinie n.F. / QRL -) vom 28.08.2013 (BGBl I Nr. 54 v. 05.09.2013, 3474) ist gerichtlich nicht zu beanstanden.
I.
13 
Gemäß Art. 49 (Abs. 2) der Dublin III-Verordnung 604/2013/EU (- Dublin III-VO -) ist für vor dem 19.07.2013 in Deutschland gestellte (Alt-)Anträge auf internationalen Schutz (i.S. von Art. 2 lit. h QRL: Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären Schutzes) weiterhin die Dublin II-Verordnung 343/2003/EG (- Dublin II-VO -) anwendbar. Für (Neu-)Anträge ab 01.01.2014 gilt hingegen ausschließlich die Dublin III-VO. Für Anträge im Übergangszeitraum 19.07.2013 bis 31.12.2013 gilt grundsätzlich bereits die Dublin III-VO, nicht jedoch hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats, die weiterhin nach den Kriterien der Dublin II-VO erfolgt. Sämtliche Regelungen, die die Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaats für den Antrag normieren, sind für diese Übergangsfälle - nach Sinn und Zweck des Art. 49 (Abs. 2) Dublin III-VO (Verwaltungsvereinfachung auch bezüglich der verwendeten Formulare etc. im Übergangszeitraum ab Inkrafttreten der erst am 29.06.2013 veröffentlichten Dublin III-VO) - weiterhin der Dublin II-VO zu entnehmen. In deren Kapitel III ist die „Rangfolge“ der Kriterien geregelt; zu dieser Rangfolge gehören untrennbar die sonstigen Dublin II-Regelungen (insbesondere Kapitel V, in dem die Dublin II-VO etwa bei Fristablauf ebenfalls Zuständigkeitskriterien normiert). Dass Kapitel III der Dublin III-VO nunmehr die „Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats“ begrifflich enger fasst, spielt keine Rolle. Denn Art. 49 (Abs. 2) Dublin III-VO verweist ausdrücklich und pauschal auf die Kriterien der (eigentlich gemäß Art. 48 Dublin III-VO aufgehobenen) Dublin II-VO.
14 
Die Dublin II-VO ist im Übrigen (derzeit) weiterhin anwendbar bezüglich der Länder Norwegen, Island, Schweiz, Liechtenstein und Dänemark, die sich (bislang) nicht am Dublin III-System beteiligen.
15 
Die Dublin-Verordnungen dürften im Übrigen nicht nur bei bloßer Feststellung von subsidiärem Schutz, sondern selbst bei Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Dublin-Staat - jedenfalls analog - anwendbar sein (a.A. Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 11/2013, § 27a Rn. 34). Denn in diesen Fällen behält der andere Dublin-Staat nach Sinn und Zweck der Verordnungen grundsätzlich weiterhin die Flüchtlingsverantwortung, wie dies auch Art. 4 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16.10.1980 (BGBl 1994 II 2645) dokumentiert (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 2 AsylVfG Rn. 6). Verstärkt wird dieser Ansatz durch die Regelung des Art. 24 Abs. 1 QRL, wonach anerkannte Flüchtlinge Anspruch auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels haben. Analog Art. 9 (i.V.m. Art. 2 lit. j) Dublin II-VO bzw. Art. 12 (i.V.m. Art. 2 lit. l) Dublin III-VO muss der Aussteller-Mitgliedstaat im Dublin-System für die Prüfung des erneuten Antrags auf internationalen Schutz (dem das Rechtsschutzbedürfnis fehlen dürfte) auch in der Zwischenzeit nach Flüchtlingsanerkennung und Titelausstellung zuständig sein. Alles andere wäre mit dem öffentlichen Beschleunigungsinteresse im Sinne einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Dublin-Staates unvereinbar. Denn es kann nicht richtig sein, dass das Bundesamt oder die Asylgerichte - gegebenenfalls unter Beiziehung, Übersetzung und Auswertung der ausländischen Verwaltungsakten sowie nach Studium des jeweiligen nationalen Asylverwaltungsverfahrensrechtes - zur Aufklärung verpflichtet wären, ob der Antragsteller nun tatsächlich eigentlich bereits bestandskräftig anerkannt oder (teil-)abgelehnt wurde bzw. ob ihm die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer oder komplementärer Schutz zuerkannt worden ist. Jedenfalls dann, wenn der ersuchte Dublin-Staat im Dublin-Verfahren der (Wieder-)Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat, was er völker- bzw. unionsrechtlich auch ohne entsprechende Rechtspflicht darf, steht grundsätzlich im Sinne des § 34a Abs. 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung in diesen Staat durchgeführt werden kann. Der Einwand des Antragstellers, er sei dort aber schon anerkannt worden, kann den „effet utile“ der Dublin-Verordnungen nicht außer Kraft setzen.
16 
Im Falle des Klägers, der seinen (Alt-)Asylantrag in Deutschland am 11.06.2013 gestellt hat und bei dem unklar ist, ob sein italienisches Asylverfahren bestandskräftig beendet wurde, ist nach diesen Grundsätzen (weiterhin) die Dublin II-VO anwendbar. Da er vor Einreise in das Bundesgebiet nach dem EURODAC-Treffer sowie seinen eigenen Angaben in Italien bereits ein Asylverfahren durchlaufen hatte, bleibt Italien nach Art. 13 i.V.m. Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO für ihn zuständig und muss ihn nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufnehmen. Demgemäß hat Italien die Möglichkeit, der Wiederaufnahme ausdrücklich zuzustimmen oder die Wiederaufnahme durch Stillschweigen zu akzeptieren. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO wird davon ausgegangen, dass Italien die Wiederaufnahme akzeptiert, wenn es nach einem EURODAC-Treffer nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab dem deutschen Ersuchen eine Antwort erteilt. Im Falle des Klägers hat das Bundesamt (erstmals) am 14.11.2013 die italienische Dublin-Koordinierungsstelle um die Wiederaufnahme des Klägers ersucht. Gemäß Art. 25 Abs. 1 Dublin II-VO steht mithin seit 29.11.2013 fest, dass Italien der Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt hat. Damit steht zugleich auch bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung im Rechtssinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seit 29.11.2013 insoweit fest, dass die Abschiebung des Klägers nach Italien durchgeführt werden kann.
II.
17 
Hiergegen kann der Kläger - unionsrechtlich - ausschließlich einwenden, im Zielstaat der Abschiebung bestünden systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der EU ausgesetzt zu werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Sache nach in seinem Urteil vom 10.12.2013 (Rs. C-394/12 ) entschieden und damit das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie seine eigene Rechtsprechung in den Urteilen und fortgeschrieben.
18 
1. Im Urteil der Großen Kammer vom 21.01.2011 (Beschw.-Nr. 30696/09) entschied der EGMR, dass eine Dublin-Überstellung von Belgien nach Griechenland aufgrund der dort herrschenden Haft- und Lebensbedingungen für Asylbewerber insbesondere gegen Art. 3 EMRK verstoßen hat.
19 
2. Der EuGH übertrug dies entsprechend Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh im Urteil vom 21.12.2011 (Rs. C-411/10 und 493/10) unter Anwendung von Art. 4 GRCh (= Art. 3 EMRK) in das Unionsrecht und entwickelte hierbei den Begriff der „systemischen Mängel“ bzw. „Schwachstellen“ (vgl. heute: Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO). Herrschen in einem Dublin-Staat solche systemischen Mängel im Asylsystem, was Asylbehörde und gegebenenfalls Asylgericht selbst prüfen müssen und wobei die Darlegungsanforderungen an den Antragsteller nicht überspannt werden dürfen (vgl. UK Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) v SSHD 2014] UKSC 12 - http://supremecourt.uk/decided-cases/docs/UKSC_2012_0272_Judgment.pdf), darf der Asylbewerber dorthin nicht rücküberstellt werden (Rn. 112 f.). Eine unwiderlegbare Vermutung, dass in keinem Dublin-Staat systemische Mängel existieren, widerspricht - trotz des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ und dem politischen Ziel, „forum shopping“ zu vermeiden - Unionsrecht (Rn. 79, 104). Abstrakt definiert setzt die Annahme eines systemischen Mangels allerdings keine „flächendeckende Fehlfunktion im Asylsystem“ im Sinne von „griechischen Verhältnissen“ voraus, sondern eine Schwachstelle, Fehlstruktur oder strukturelle Lücke, die im Sinne einer ceteris paribus notwendigen, aber nicht notwendig hinreichenden Bedingung für Fälle, die diese Asylsystemstelle durchlaufen, zu Rechtsverletzungen führt - dies in Abgrenzung und Gegenüberstellung zu Rechtsverletzungen, die (nur) aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände entstehen (überzeugend: Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 3/2014, i.E.). Solche Rechtsverletzungen müssen jedoch hinreichend gravierend sein, denn nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den Dublin-Zielstaat führt zur Unbeachtlichkeit der Dublin-Zuständigkeitsbestimmungen (Rn. 82).
20 
Vorliegen muss vielmehr eine Verletzung von Art. 4 GRCh, die in Betracht kommen kann etwa hinsichtlich willkürlicher Haft oder katastrophaler Lebensbedingungen für Asylbewerber () oder wenn etwa aufgrund erheblicher Erkrankung und Nichtbehandelbarkeit im Dublin-Zielstaat dort der in Art. 15 der Aufnahme-RL 2003/9/EG garantierte medizinische Mindeststandard („Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten“) gefährlich unterschritten wäre (im Ergebnis ebenso: UK Supreme Court, a.a.O. Rn. 58 ff). Ausschließlich in solchen Fällen darf das Dublin-System außer Kraft gesetzt werden, auch um einen Wertungswiderspruch hinsichtlich der Art. 3 EMRK-Rechtsprechung des EGMR zu vermeiden (vgl. Urteil vom 27.05.2008 , Beschwerde Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334). Denn wegen der Unteilbarkeit der Menschenwürde, die hinter Art. 4 GRCh = Art. 3 EMRK steht, kann es schlechterdings nicht richtig sein, dass die Abschiebung in den Heimatstaat - hier Gambia - hiernach zulässig wäre, obwohl dort etwa keinerlei Unterbringung gesichert ist, die Abschiebung in den Dublin-Staat - hier Italien - hingegen nach dem Maßstab desselben Menschenrechtes etwa bei gesicherter, aber schlechter Unterbringung unzulässig sein soll. Dies wäre auch mit der effet utile-Rechtsprechung des EuGH unvereinbar, der im Urteil „N.S.“ bekräftigt, dass hinsichtlich des effektiven Funktionierens des Dublin-Systems „der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet“, auf dem Spiel stehen (Rn. 83).
21 
3. In Fortschreibung dieser Entscheidung entschied der EuGH sodann im Urteil am 14.11.2013 (Rs. C-4/11), dass bei Vorliegen systemischer Mängel, die beim konkreten Asylbewerber zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh führen, der eigentlich nicht zuständige Dublin-Staat zunächst weiter prüfen darf, ob anhand der Dublin-Regelungen ein anderer Dublin-Staat für eine Überstellung in Frage kommt (Rn. 33). Dabei hat der eigentlich nicht zuständige Dublin-Staat darauf zu achten, dass kein unangemessen langes Verfahren entsteht. Erforderlichenfalls sollte er den Asylantrag unter Inanspruchnahme des mitgliedstaatlichen Selbsteintrittsrechts (vgl. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO; Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO) selbst prüfen (Rn. 35). Der EuGH stellte allerdings ausdrücklich klar, dass der Asylbewerber hierauf keinen Rechtsanspruch besitzt (Rn. 26, 37). Damit hat er zugleich der Sache nach klargestellt, dass ein Asylbewerber nur Anspruch darauf hat, dass sein Antrag auf internationalen Schutz auf dem Gebiet des „unvollendeten Bundesstaates EU“ geprüft wird, nicht aber darauf, dass er gerade in einem bestimmten Dublin-Staat eigener Wahl geprüft wird (kein „forum shopping“), genauso wenig, wie etwa ein Anspruch besteht, dass dies in Baden-Württemberg und nicht beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern geschieht. Indem der EuGH dem Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO die drittschützende Wirkung absprach, hat er zugleich angelegt, dass auch den anderen Dublin-Verfahrensvorschriften, insbesondere den Fristenregelungen, grundsätzlich keine drittschützende Wirkung zukommt.
22 
4. Dies wurde nunmehr im Urteil vom 10.12.2013 (Rs. C-394/12) klargestellt, in dem ausdrücklich nach dem Drittschutz von Dublin-Zuständigkeitsverfahrensvorschriften gefragt worden war. Der EuGH antwortete wiederum verneinend und in aller Klarheit, dass in dem Moment, in dem ein Dublin-Zielstaat der (Wieder-)Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat, dieser hiergegen ausschließlich dortige systemische Mängel einwenden kann, die in seinem konkreten Einzelfall zu einer Verletzung von Art. 4 GRCh führen würden (Rn. 60). Denn die Dublin-Zuständigkeitsregelungen seien im Sinne von „organisatorischen Vorschriften“ der Mitgliedstaaten (Rn. 56) und nach dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ normiert worden, um - auch wegen des öffentlichen Beschleunigungsinteresses hinsichtlich einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Dublin-Staates - einem „forum shopping“ entgegenzuwirken (Rn. 53).
III.
23 
Damit steht nunmehr im Sinne eines „acte clair“ (genauer: „acte éclairé“) fest, dass sämtliche nicht grundrechtlich (wie Art. 6-8 Dublin II-VO bzw. Art. 8-11 Dublin III-VO) aufgeladenen Dublin-Zuständigkeitsregelungen vom Asylbewerber gerichtlich grundsätzlich nicht durchgesetzt werden können. Denn der EuGH hat in allen drei Leitentscheidungen zum Dublin-System der Sache nach pauschal insbesondere mit der Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems argumentiert („Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, „öffentliches Beschleunigungsinteresse“), sodass eindeutig ist, dass sich dies nicht nur auf die jeweilig spezifischen Normen der Dublin II-VO bezieht. Auch im Rahmen der nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar verbindlichen Dublin III-VO kann deshalb nichts anderes gelten. Ein Drittschutz für Dublin-Zuständigkeitsregelungen könnte allenfalls noch bei überlanger Verfahrensdauer gemäß dem über Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GRCh hier direkt anwendbaren Art. 47 Satz 2 GRCh (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl., Vorb-GRCh Rn. 1) anerkannt werden, um einen dauerhaft untätigen Mitgliedstaat zum Handeln zu zwingen, damit keine „refugee in orbit“-Situation entsteht. Nur in einer solchen Ausnahmekonstellation, die aufgrund der hintereinander geschalteten verschiedenen Wochen- und Monatsfristen der Dublin-Verordnungen sicherlich ein Untätigbleiben von weit über einem Jahr voraussetzt, könnte sich das private Beschleunigungsinteresse des Asylbewerbers an der inhaltlichen Bearbeitung seines Antrags gegenüber dem öffentlichen Beschleunigungsinteresse bezüglich der zeitnahen Klärung des für die Antragsbearbeitung nach den Dublin-Verordnungen zuständigen Staates durchsetzen.
24 
Ist diese Ausnahmekonstellation aber, wie im vorliegenden Fall, nicht gegeben, kann eine Klage allein mit dem Argument, etwa die Drei- bzw. Zwei-Monatsfrist des Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO oder Art. 21 Abs. 1 bzw. 23 Abs. 2 Dublin III-VO sei verletzt worden, keinen Erfolg haben. Gleiches muss gelten, wenn die Sechs-Monatsfrist des Art. 19 Abs. 4 bzw. 20 Abs. 2 Dublin II-VO oder Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO abgelaufen ist (insoweit von überholt: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.08.2013 - 12 S 675/13 - juris Rn. 13). Auch in diesem Fall kann eine Anfechtungsklage des Asylbewerbers unionsrechtlich allein dann Erfolg haben, wenn im Dublin-Zielstaat systemische Mängel vorliegen, die im konkreten Einzelfall zu einer Verletzung von Art. 4 GRCh führen würden. Dann müsste der angefochtene Bescheid des Bundesamts aufgehoben werden, damit dem Bundesamt die im Urteil (Rn. 33) beschriebene (und nun in Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO normierte) Möglichkeit eingeräumt wird, auf den dann weiter anhängigen Asylantrag einen anderen Dublin-Zielstaat für die Rücküberstellung zu finden bzw. vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
25 
Ein „Durchentscheiden“ zum (vom Bundesamt, anders als bei Folgeanträgen, nicht einmal angeprüften) Asyl- und Flüchtlingsrecht bzw. subsidiären oder komplementären Schutz im Sinne der Folgeantragsrechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.12.2000 - 9 B 426.00 - juris) scheidet hingegen aus, weil ansonsten entgegen dem Urteil unionsrechtswidrig dem Asylbewerber doch ein gerichtlich durchsetzbares Recht auf Selbsteintritt eingeräumt (insoweit von überholt: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 - juris Rn. 27/30) und dem Bundesamt die Möglichkeit, einen anderen (auch „freiwillig“) aufnehmenden Dublin-Staat zu finden, abgeschnitten würde. Zudem würde hierdurch das Gericht unter Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz zur „Erstbehörde“ gemacht. Solange also die Zustimmung eines Dublin-Zielstaates (faktisch fort-)besteht, den Asylbewerber wieder aufzunehmen (und diese Zustimmung nicht etwa befristet war oder wegen Fristablaufs vom Dublin-Zielstaat inzwischen widerrufen worden ist) sowie in diesem Zielstaat keine systemischen Mängel mit der Folge der Art. 4 GRCh-Verletzung bestehen, solange kann die Klage - unionsrechtlich - keinen Erfolg haben. Diese Zustimmung kann vom Zielstaat nach dem Dublin-System verwaltungstechnisch ausdrücklich oder stillschweigend im Sinne einer Fiktion erteilt worden sein (vgl. Art. 20 Abs. 1 Dublin II-VO bzw. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO).
26 
Im Falle des Klägers ist es hier deshalb ohne entscheidungserhebliche Relevanz, dass das Bundesamt die Drei-Monatsfrist des Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO verletzt hat (Asylantrag am 11.06.2013; Überstellungsersuchen erst am 14.11.2013). Denn Italien hat seiner Rücküberstellung (mittels Fiktion) gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO seit 29.11.2013 (stillschweigend) zugestimmt.
IV.
27 
Die Klage des Asylbewerbers könnte in dieser Konstellation allenfalls dann - nach nationalem Recht - Erfolg haben, wenn die Rücküberstellung aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse unmöglich ist, etwa weil aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung keine Transportfähigkeit, d.h. Reisefähigkeit im engeren Sinne (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 06.02.2008 - 11 S 2439/07 - juris Rn. 8), besteht. Denn dann steht im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, d.h. die Abschiebungsanordnung ist rechtswidrig. Das Bundesamt hat im Falle der Abschiebungsanordnung also nicht nur - unionsrechtlich - (Dublin-)zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote im Sinne von systemischen Mängeln i.V.m. Art. 4 GRCh zu prüfen, sondern (ausnahmsweise) auch - nationalrechtlich - inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse (ausführlich: Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 11/2013, § 34a Rn. 22). Diese Grundregel ist trotz der prozessualen Neuerungen des Art. 27 Abs. 3 lit. c Dublin III-VO bzw. § 34a Abs. 2 AsylVfG auch unter dem Rechtsregime der Dublin III-VO beizubehalten, um das öffentliche Beschleunigungsinteresse hinsichtlich der zeitnahen Feststellung des zuständigen Dublin-Staates nicht durch gegebenenfalls unkoordinierte Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bezüglich der Abschiebungsanordnung gegenüber dem Bundesamt einerseits und nach § 123 VwGO bezüglich Vollstreckungshindernissen gegenüber der Ausländerbehörde andererseits zu konterkarieren.
28 
Im Falle des verhältnismäßig jungen und offenbar gesunden Klägers gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme von inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen.
V.
29 
Bezüglich des Dublin-Zielstaates Italien liegen nach Überzeugung des erkennenden Gerichts (jedenfalls derzeit) auch keine systemischen Mängel im Sinne der dargestellten EuGH-Rechtsprechung (mehr) vor. Durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür, dass der junge und gesunde Kläger im italienischen Asylverfahren voraussichtlich im Sinne von Art. 4 GRCh „der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen wird“, lassen sich nicht erkennen. Der Kläger selbst hat solche Gründe aufgrund eigener Erfahrungen in Italien zwischen seinem dortigen Asylerstantrag wohl am 27.08.2011 und der Ausreise aus Italien im Frühjahr 2013 im Übrigen auch nicht ansatzweise vorgetragen. Seine Begründung für die Weiterreise nach Deutschland war vielmehr, „to try my chance“.
30 
Zur aktuellen Situation in Italien hat insbesondere das Verwaltungsgericht Würzburg in seinem Beschluss vom 03.02.2014 - W 6 S 14.30087 - (juris) Folgendes dargelegt:
31 
„Nach der Erkenntnislage ist nicht anzunehmen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen. (…) Dabei ist festzuhalten, dass nicht schon jeder Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention oder jede Verletzung eines Grundrechts zur Bejahung systemischer Mängel führt. Auch der Umstand, dass in Italien die wirtschaftliche Situation oder die medizinische Versorgung für Asylsuchende schlechter sein mag als in der Bundesrepublik Deutschland, führt für sich nicht zur Annahme systemischen Mängel oder einer allgemeinen unmenschlichen Behandlung (vgl. VG Oldenburg, B.v. 21.1.2014 – 3 B 6802/13 – juris mit Bezug auf OVG LSA, B.v. 14.11.2013 – 4 L 44/13).
32 
Das Auswärtige Amt kommt etwa in seiner Stellungnahme vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt zu der Einschätzung, dass für Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichende staatliche bzw. öffentliche und karitative Unterkunftsmöglichkeiten – bei teilweiser lokaler Überbelegung – zur Verfügung stehen, und insbesondere, dass alle Personen, die im Rahmen der Dublin-II-VO nach Italien zurückgeführt werden, in eine Unterkunft verteilt werden. Sie werden bei ihrer Ankunft am Flughafen empfangen, erkennungsdienstlich behandelt, einer Questura zugeteilt, von einer zuständigen Hilfsorganisation betreut und über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (vgl. auch Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NRW vom 11.09.2013).
33 
Soweit der vom Antragstellerbevollmächtigten zitierte Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013 erhebliche Missstände in Italien beschreibt, ebenso der UNHCR in einer Stellungnahme an das VG Freiburg vom Dezember 2013 (der daneben auch positive Aspekte honoriert), rechtfertigt dies nicht das Vorliegen von systemischen Mängeln, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, eine unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. allgemein EuGH, U.v. 10.12.2013 – C 394/12 – juris). Das Gericht verkennt nicht das Bestehen der in den vorliegenden Berichten dargestellten Missstände, auf die auch der Antragstellerbevollmächtigte hingewiesen hat. Aber weder dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe noch der Stellungnahme des UNHCR noch sonstigen Unterlagen ist es zurzeit im ausreichenden Maß zu entnehmen, dass ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen vorliegt bzw. dass das Asylverfahren und die Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Italien systemische Mängel aufweisen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der UNHCR weiterhin gerade keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Italien zu überstellen. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Mitgliedsstaat, der nach den Kriterien der Dublin-II-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachten ist, besonders relevant sind (vgl. EUGH, U.v. 30.5.2013 – C-528/11 – ABl EU 2013, Nr. C 225 S. 12 – juris). Soweit in Italien Missstände und Notstände aufgrund der stark gestiegenen Asylbewerberzahl festgestellt worden sind, sind sie dieser geschuldet und stellen als solche für sich keine systemischen Mängel dar. Allein aus dem Umstand, dass andere Verwaltungsgerichte jedenfalls im Sofortverfahren zu anderen Ergebnissen kommen, mag auf den zugrundeliegenden Prüfungsmaßstab zurückzuführen sein, belegt aber nicht das tatsächliche Vorhandensein von Mängeln im italienischen System.
34 
Die vorliegende Einschätzung deckt sich mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 2. April 2013 (27725/10 – ZAR 2013, 336). Der Hinweis des Antragstellerbevollmächtigten auf eine divergierende Rechtsauffassung der 5. Sektion des EGMR und die Befassung der Großen Kammer des EGMR rechtfertigt zurzeit keine andere Beurteilung. Die 3. Sektion des EGMR hat ihre Rechtsauffassung über die Einschätzung hinsichtlich der Situation von Asylsuchenden in Italien mit einer Entscheidung vom 10. September 2013 ausdrücklich bestätigt (2314/10 – http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-127054). Zudem ist auch in dem Zusammenhang zu betonen, dass tatsächlich bestehende Defizite im italienischen Asylsystem auch mit der Folge, dass die wirtschaftliche, die medizinische und die soziale Versorgung in Italien schlechter als in der Bundesrepublik Deutschland ist, nicht die Annahme systemischer Mängel oder einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention rechtfertigen. Denn an einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. auch Thym, ZAR 2013, 331). Zudem ist nicht allein auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bzw. auf die Rechtsauffassung einer einzelnen Sektion abzustellen, sondern die gesamten Umstände des Einzelfalls sind zu würdigen.
35 
Das Gericht schließt sich nach alledem dem Teil der Rechtsprechung an, der systemische Mängel in Italien verneint und nimmt darauf ergänzend Bezug (vgl. zuletzt VG Oldenburg, B.v. 21.1.2014 – 3 B 6802/13 -; VG Regensburg, B.v. 18.12.2013 – RN 6 S 13.30720 – juris; VG Saarland, B.v. 6.12.2013 – 3 L 1989/13 – juris; VG Ansbach, B.v. 26.11.2013 – AN 1 S 13.31045 – juris; VG Trier, B.v. 6.11.2013 – 5 L 1539/13.TR – juris; OVG Berlin-Bbg, B.v. 17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 – juris; a. A. etwa VG Gießen, U.v. 25.11.2013 – 1 K 844/11.GI.A – AuAS 2014, 12, jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung und den dort zitierten Erkenntnisquellen).“
36 
Auch das erkennende Gericht schließt sich dieser Bewertung des derzeitigen Asylsystems in Italien an. Besonderes Gewicht wird dabei dem Umstand beigemessen, dass UNHCR im Bericht vom Dezember 2013 (anders als im Falle Bulgariens, vgl. Bericht vom 02.01.2014 - http://www.refworld.org/docid/52c598354.html) und bis heute bezüglich Italien aufgrund auch der eigenen Überprüfungen vor Ort keinen Überstellungsstopp fordert.
37 
Nach alledem begegnet die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG keinen Bedenken, denn Italien ist, wie ausgeführt, der für die Fortführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Staat.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der nach seinen Angaben am … 1993 in Kirkuk geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er verließ am 19.9.2008 sein Heimatland und reiste am 4.10.2008 in Belgien ein. Dort stellte er insgesamt zwei Asylanträge, die abgelehnt wurden. Ferner stellte er auch in Finnland einen Asylantrag, der ohne Erfolg blieb; von dort wurde er nach Belgien zurückgeführt, ebenso von Schweden. Am 5.3.2010 reiste er aus Belgien kommend in Deutschland ein. Hier stellte er am 17.3.2010 einen Asylantrag, zu dessen Begründung er bei seiner Anhörung am selben Tag vortrug, er habe den Irak wegen der unsicheren Lage in Kirkuk verlassen.

Auf das Ersuchen der Beklagten vom 4.2.2011 erklärte sich Belgien am 16.2.2011 mit der Wiederaufnahme des Klägers einverstanden.

Mit Bescheid vom 28.2.2011 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass der Asylantrag unzulässig ist, und ordnete die Abschiebung nach Belgien an.

Unter dem 14.4.2011 teilte das Landesverwaltungsamt – Zentrale Ausländerbehörde – dem Bundesamt mit, dass der Bruder H… des Klägers, der seit dem 30.11.2010 über eine Niederlassungserlaubnis verfüge, am 12.1.2011 zu dessen Vormund bestellt worden sei. Außerdem wurde um Mitteilung gebeten, ob angesichts dieser neueren Erkenntnisse an der Überstellung des Klägers im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Belgien festgehalten werde.

Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 29.4.2011 wiederum fest, dass der Asylantrag unzulässig ist, und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Belgien an. Im Bescheid ist unter anderem – wiederum - zur Begründung ausgeführt, dass außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin-Verordnung auszuüben, nicht ersichtlich seien.

Am 23.5.2011 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.4.2011 erhoben. Auf den am selben Tag gestellten Eilrechtsschutz-Antrag des Klägers ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31.5.2011 – 2 L 458/11 – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten an und gab ihr auf, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Kläger vorläufig nicht nach Belgien abgeschoben werden dürfe.

Im Klageverfahren hat der Kläger schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 29.4.2011 zu verpflichten, für ihn ein Asylverfahren durchzuführen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 20.7.2012 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten vom 29.4.2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid vom 29.4.2011 sei rechtswidrig. Die in Nr. 1 des Bescheides getroffene Feststellung beruhe auf § 27 a AsylVfG. Die Zuständigkeit Belgiens für den Asylantrag des Klägers ergebe sich aus Art. 10 Abs. 1 der Verordnung. Vorliegend sei der Kläger aus dem Irak kommend zunächst illegal in Belgien eingereist und habe dort einen Asylantrag gestellt. Daher habe sich Belgien auf das Übernahmeersuchen der Beklagten gemäß Art. 16 Abs. 1e Dublin II-VO zur Wiederaufnahme des Klägers und Bearbeitung seines Asylantrags bereit erklärt. Demgegenüber könne der Kläger sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in seinem Fall gemäß Art. 6 Satz 1 oder Art. 7 Dublin II-VO Deutschland für die Prüfung seines Asylantrags zuständig sei. Art. 6 Satz 1 Dublin II-VO sei vorliegend nicht anwendbar, weil gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen sei, die zu dem Zeitpunkt gegeben sei, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stelle. Als der Kläger in Belgien seinen Asylantrag gestellt habe, sei der in der Bundesrepublik Deutschland lebende Bruder jedoch noch nicht zu seinem Vormund bestellt und damit kein Familienangehöriger im Sinne des Art. 6 Satz 1 Dublin II-VO gewesen. Daher sei nach Art. 6 Satz 2 Dublin II-VO der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt habe. Auch Art. 7 Dublin II-VO, der ebenfalls auf „Familienangehörige“ abstelle, sei daher nicht einschlägig. Der angefochtene Bescheid sei jedoch rechtswidrig, weil die Beklagte von dem in ihrem Ermessen stehenden Selbsteintrittsrecht fehlerhaft Gebrauch gemacht habe. Die Dublin II-VO sehe keine abschließende Festlegung der Zuständigkeit vor, sondern ermögliche trotz der nach den allgemeinen Zuständigkeitsregeln der Art. 6 - 14 gegebenen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats in Art. 3 Abs. 2 und Art. 15 jedem Mitgliedstaat die Übernahme der Zuständigkeit durch Ausübung des Selbsteintrittsrechts. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO könne jeder Mitgliedstaat abweichend von der in Art. 3 Abs. 1 enthaltenen Grundregelung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig wäre. Zwar richte sich Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung nach seinem Wortlaut an die Mitgliedstaaten. Der Kläger könne sich aber gleichwohl hierauf berufen, da die Regelung nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden sei, sondern den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht verleihe. Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Verordnung sähen vor, dass die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, dem Antragsteller mitzuteilen und zu begründen sei. Somit sei auch die Ermessensentscheidung zur Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts zu begründen. Als Maßstab für die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung sei mangels anderer Vorgaben deutsches Recht heranzuziehen. Daher habe die Behörde gemäß § 40 VwVfG ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Ob die Beklagte ihr Ermessen überhaupt ausgeübt habe, sei bereits zweifelhaft, da sie im Bescheid lediglich formelhaft ausgeführt habe, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die sie veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, lägen nicht vor. Der Bescheid sei aber jedenfalls ermessensfehlerhaft ergangen, weil sie den Gesichtspunkt der Familienzusammenführung bisher nicht ausreichend in ihre Erwägungen einbezogen habe. Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO, nach dessen Satz 1 jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergäben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammen führen könne, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig sei, habe keine ausreichende Berücksichtigung gefunden. So sei die Beklagte auf den ihr mitgeteilten Umstand, dass der im Bundesgebiet lebende Bruder des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei, zum Vormund für ihn bestellt worden sei und er sich ausweislich des Beschlusses des Familiengerichts seit längerem bemühe, den Kläger bei sich im Haushalt aufzunehmen und für diesen zu sorgen, mit keinem Wort eingegangen. Eine Auseinandersetzung mit diesen Umständen sei mit Blick auf Art. 15 Abs. 3 Dublin II-VO keineswegs entbehrlich gewesen. Danach sollten in den Fällen, in denen der Asylbewerber ein unbegleiteter Minderjähriger sei, der einen oder mehrere Familienangehörige habe, die sich in anderen Mitgliedstaaten aufhielten und ihn bei sich aufnehmen könnten, die Mitgliedstaaten nach Möglichkeit eine räumliche Annäherung dieses Minderjährigen an seinen bzw. seine Angehörigen vornehmen, es sei denn, dies liege nicht im Interesse des Minderjährigen. Da die Vormundschaft des Bruders und die enge Bindung des Klägers zu ihm bei der Entscheidung über dessen Überstellung nach Belgien völlig unberücksichtigt geblieben seien, habe die Beklagte von dem in ihrem Ermessen stehenden Selbsteintrittsrecht bisher fehlerhaft Gebrauch gemacht. Die bloße Erklärung der Beklagten im vorliegenden Prozess, den inzwischen volljährigen Kläger zurückführen zu wollen, stelle ebenfalls keine ordnungsgemäße Ermessensausübung dar. Stehe somit die Zuständigkeit des anderen Mitgliedstaats (Belgien) mangels ordnungsgemäßer Ermessensausübung noch nicht fest, sei auch der Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Belgien die Grundlage entzogen. Ein Anspruch des Klägers auf eine Verpflichtung der Beklagten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und für ihn ein Asylverfahren durchzuführen, bestehe dagegen mangels einer Ermessensreduzierung auf Null nicht.

Auf den Zulassungsantrag der Beklagten vom 21.8.2012, mit dem eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, ob den Regelungen der Dublin II-VO drittschützender Charakter dergestalt zukomme, dass sich der einzelne Ausländer hierauf vor Gericht berufen könne, insbesondere ob mit dem Selbsteintrittsrecht der Vertragsstaaten auch ein genereller subjektiv-öffentlicher Anspruch für den einzelnen Ausländer verbunden sei, geltend gemacht wurde, hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 29.4.2013 – 3 A 244/12 – die Berufung zugelassen.

Die Beklagte hat die Berufung zunächst durch Bezugnahme auf die Ausführungen in ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, soweit sie für ihre Position sprechen, begründet. Im Übrigen hat sie ausgeführt, auch der Generalanwalt beim EuGH komme in seinem Schlussantrag in der Rs. C-4/11 zum Ergebnis, dass Asylbewerbern kein durchsetzbarer Anspruch gegen einen bestimmten Mitgliedstaat auf Prüfung ihres Asylantrags gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zustehe. Dies gelte selbst dann, wenn nicht unbekannt sein könne, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem nach der Dublin II-VO zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, der Antragsteller laufe tatsächlich Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4GrCharta ausgesetzt zu werden und unbeschadet der dann bestehenden Pflicht, im Rahmen der Anwendung von Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO die Überstellung von Asylbewerbern an diesen Mitgliedstaat auszusetzen. Dessen Position streite ebenfalls dafür, dass die Dublin II-VO generell bzw. jedenfalls Art. 3 Abs. 2 oder Art. 15 der Verordnung nicht mit einem subjektiv-öffentlichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt Deutschlands einhergingen, sich vielmehr aus der Verordnung für den einzelnen Ausländer überhaupt keine subjektiven und gerichtlich durchsetzbaren Rechte ableiten ließen. Sie, die Beklagte, vertrete die Auffassung, dass die Rechtsstellung des Einzelnen durch das Zuständigkeitssystem der Dublin II-VO im Einzelfall insoweit geschützt sein könne, als ein zuständiger Vertragsstaat für die Prüfung des Asylbegehrens eines Drittstaatsangehörigen gewährleistet sein müsse. Die in der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitsregeln seien an die Mitgliedstaaten adressiert und sähen für diese Rechte und Pflichten vor. Ein subjektives Recht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auf Übernahme der Durchführung des Asylverfahrens in einem bestimmten Mitgliedstaat bestehe daher grundsätzlich nicht. Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens liege bislang nicht bei Deutschland, sondern bei Belgien. Einen hinreichenden Anlass für die angezeigte Ausübung des Rechts zum Selbsteintritt bestehe nicht, zumal insoweit keine Situation ersichtlich sei, die von etwaigen systemischen Mängeln des Asylverfahrens im zuständigen Staat gekennzeichnet werde. Der klägerische Einwand, dass, wenn den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO nicht der Charakter eines subjektiv-öffentlichen Anspruchs zukomme, es an effektivem Rechtsschutz gegen fehlerhaftes Verwaltungshandeln fehle, greife zu kurz. Jedermann stehe ein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz zu. Dieser Anspruch richte sich aber nur gegen Angriffe der öffentlichen Gewalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes, beziehe sich also auf die durch die nationale verfassungsgebundene deutsche öffentliche Gewalt. Vorliegend gehe es indes um eine Entscheidung zur Ausführung einer unionsrechtlichen bzw. zwischenstaatlichen Verordnung. Insoweit könnte bereits fraglich sein, ob bzw. inwieweit derlei im Rahmen der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit auf klageweise zu verfolgende und am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes zu bewertende Ansprüche führen könne bzw. solle, jedenfalls solange die Europäischen Gemeinschaften bzw. deren Institutionen wirksamen Schutz gewährleisteten. Unabhängig davon setzte der Anspruch effektiven Rechtsschutzes die Verletzung eigener Rechte voraus. Daher zeige sich die Herleitung eines subjektiv-öffentlichen Anspruchs mit dem Argument eines sonst fehlenden effektiven Rechtsschutzes als Zirkelschluss bzw. -begründung.

Letztlich gehe es dem Kläger um die Abwendung einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat. Zu einer etwaigen Gefährdung bzw. Rechtsgutbeeinträchtigung – im Zielstaat oder inlandsbezogen zum Beispiel mit Blick auf Art. 8 EMRK – würde es aber schon dann nicht mehr kommen können, wenn lediglich die Vollziehung der Rücküberstellung ausgesetzt würde. Deren Vollzug sei Aufgabe der Ausländerbehörde. Der insoweit sicherzustellende Rechtsschutz wäre schon im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens erreichbar und ließe sich somit auch diesem zuordnen. Eine solchermaßen differenzierende Zuordnung der unterschiedlichen Einwendungen sei der deutschen Rechtspraxis im Übrigen durchaus geläufig. Der EuGH habe mit der am 6.6.2013 getroffenen Entscheidung (Rs. C-648/11) kein subjektives Recht des Asylbewerbers in Frage gestellt, da hierüber weder zu entscheiden gewesen sei noch dieser Aspekt anderweitig Relevanz gehabt habe; es sei nämlich um die Klärung etwaiger Schadensersatzforderungen nach bereits ausgeübtem Selbsteintrittsrecht gegangen. Zu berücksichtigen bleibe, dass der EuGH in diesem Urteil zum Ergebnis gelangt sei, dass bei mehreren Asylanträgen eines unbegleiteten Minderjährigen der EU-Staat des letzten Asylantrags zuständig bzw. der zuständig sei, in dem sich der Asylbewerber aufhalte. Hieraus lasse sich für den vorliegend zu beurteilenden Einzelfall allerdings nichts entscheidend anderes herleiten, als es bislang mit der Berufung vertreten worden sei. Der EuGH habe dann - ganz unabhängig von der Frage des tatsächlichen Lebensalters des Klägers bei Antragstellung im Bundesgebiet – mit seiner Entscheidung vom 6.6.2013 klargestellt, dass auch einem Minderjährigen durch die Zuständigkeitsbestimmungen der Dublin II-VO kein Anspruch verschafft werden solle, einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines Asylantrags zwingen zu können, nachdem ein Asylantrag in einem ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen worden sei. Dies sei vorliegend der Fall gewesen.

Eine durchgreifende Rechtsverletzung im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO sei schließlich auch dann nicht gegeben, wenn nach erfolglosem Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat bei der Ablehnung, ein weiteres Verfahren im Bundesgebiet durchzuführen, sowie dem Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht weiter auf die Regelungen des § 71a AsylVfG eingegangen werde. Denn die im Streit stehenden Regelungen seien inhaltlich und im Ergebnis auf das gleiche Ziel gerichtet. Der Feststellung über die Unzulässigkeit des Asylantrags komme auch keine erkennbare Beschwer zu, die über diejenige einer Ablehnung im Sinne des § 71a AsylVfG hinausgehe, ein weiteres Asylverfahren im Bundesgebiet durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG nicht erfüllt seien. Mit der Einstufung als unzulässig seien insbesondere keine erstmaligen verfahrensrechtlichen Einschränkungen verbunden, wie sie die erfolglose Durchführung eines ersten Asylverfahrens auslöse. Denn diese Folge resultiere schon aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat erfolglos durchgeführten Asylverfahrens. Für den Erlass einer Abschiebungsanordnung verweise § 71a Abs. 4 AsylVfG mit der entsprechenden Anwendung unter anderem der §§ 34-36 – d.h. auch des § 34a AsylVfG – ohnedies auf dieselbe in Anspruch zu nehmende Rechtsgrundlage.

Befragungen des Klägers zur Feststellung des für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaates stellten noch keinen Eintritt in das inhaltliche Prüfverfahren bzw. keine (faktische) Verfahrensübernahme dar, und zwar auch dann nicht, wenn der Asylsuchende (vorsorglich bereits) zu seinem etwaigen Asylbegehren befragt werde. Eine Befragung gehöre gemäß § 24 Abs. 1 AsylVfG zu den grundsätzlichen Pflichten der Beklagten nach Stellung eines Asylantrags – unabhängig von den erst noch festzustellenden Zuständigkeiten. Die Fristbestimmungen der Dublin II-VO seien nicht mit subjektiven Rechten des Ausländers verbunden. Im Übrigen habe Belgien gemäß Art. 16 Abs. 1e Dublin II-VO dem Ersuchen der Beklagten auf Wiederaufnahme des Klägers zugestimmt. Für das Wiederaufnahmeverfahren bestünden gemäß Art. 20 Dublin II-VO für das Übernahmeersuchen keinerlei Fristvorgaben.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20.7.2012 – 6 K 457/11 – die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt im Wesentlichen vor: Zu den Konsequenzen der - mit der Verneinung eines subjektiven Rechts verbundenen - Annahme, dass sich Betroffene auf die Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns verlassen können sollten, ohne die Möglichkeit zu haben, fehlerhaftes Verwaltungshandeln zu rügen, werde auf ein aktuelles Überstellungsverfahren der Beklagten (Az: 5548 725-160 2) verwiesen. Würde man den Betroffenen ein subjektives Recht auf Überprüfung der Entscheidung der Beklagten und gegebenenfalls Gebrauchmachen vom Selbsteintrittsrecht absprechen, wären sie gegenüber evidenten, geradezu eklatanten Rechtsverstößen schutzlos gestellt. Der Generalanwalt habe in Rz. 47 seiner Schlussanträge vom 18.4.2013 (C-4/11) ausgeführt, dass er nur die Vorlagefrage unter den Gesichtspunkten untersucht habe, die für die Entscheidung des EuGH in Sachen N.S. maßgeblich gewesen seien. Um ein „Forum Shopping“ zu vermeiden, solle die Dublin II-VO dessen Meinung nach nur in außergewöhnlichen Situationen keine Anwendung finden. In der Entscheidung vom 6.6.2013 – Rs. C-648/11 - habe der EuGH zur Frage der Zulässigkeit einer Überstellung von Minderjährigen Stellung genommen. An keiner Stelle seiner Entscheidung habe er bezweifelt, dass die Betroffenen ein subjektives Recht auf Beachtung der Vorgaben der Dublin II-VO hätten und gerichtlich geltend machen könnten. Nach Ansicht des Klägers spreche deshalb alles dafür, dass der EuGH den Regelungen der Dublin II-VO auch individualschützende Wirkung beimesse. Wie sich Art. 8 VO 604/2013/EU (Dublin III-VO), wonach nunmehr ausdrücklich auch der Aufenthalt von Geschwistern eines unbegleiteten Minderjährigen im Bundesgebiet Zuständigkeit begründende Wirkung für die Durchführung des Asylverfahrens des Minderjährigen in Deutschland habe, entnehmen lasse, sei das europarechtliche Familienverständnis weit zu interpretieren und umfasse auch Geschwister. Daher sei die Tatsache, dass sich der Bruder des Klägers schon zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung des Klägers in Belgien im Bundesgebiet aufgehalten habe, bei der Prüfung eines Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO angemessen zu berücksichtigen. Im Übrigen habe die Beklagte ihr Selbsteintrittsrecht bereits konkludent durch seine - des Klägers - Anhörung zu seinen Verfolgungsgründen ausgeübt. Aufgrund von EURODAC-Treffern sei der Beklagten bekannt gewesen, dass er sich zuvor bereits in Belgien, Schweden und Finnland aufgehalten habe. Nachdem er u.a. zu seinem Aufenthalt in Belgien, Finnland und Schweden befragt worden sei, sei ihm bei seiner Anhörung erklärt worden, dass er nun zu seinem Verfolgungsschicksal und den Gründen für seinen Asylantrag angehört werde. Am Ende der Anhörung sei mitgeteilt worden, dass geprüft werde, ob er nach Belgien zurückkehren müsse, worauf er erklärt habe, dass er wiederkommen werde, wenn er nach Belgien abgeschoben werde. Ihn zu seinen Verfolgungsgründen anzuhören, habe in diesem Verfahrensstadium außer zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts keine Veranlassung bestanden. Für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts spreche ferner der Umstand, dass die Beklagte erst am 4.2.2011, also knapp ein Jahr nach der Anhörung, ein Übernahmeersuchen an die belgischen Behörden gerichtet habe. Bei einer Gesamtschau könne somit nicht davon ausgegangen werden, dass die Anhörung zu den Verfolgungsgründen lediglich informatorischen Charakter gehabt habe. Ferner sei die Beklagte nach Art. 17 Abs. 1 Unterabschnitt 2 Dublin II-VO zuständig geworden, da sie die Dreimonatsfrist des Art. 17 Abs. 1 Unterabschnitt 1 Dublin II-VO nicht eingehalten habe. Zwischen Asylantragstellung in Deutschland und dem Übernahmegesuch hätten 11 Monate gelegen. Dies sei mit dem Grundgedanken der Dublin II-VO nicht zu vereinbaren.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zugelassene und auch ansonsten zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 29.4.2011 im Ergebnis zu Recht aufgehoben, denn er ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Dies gilt zunächst für die in Nr. 1 des angegriffenen Bescheides getroffene, auf § 27a AsylVfG gestützte Feststellung der Beklagten, dass der - am 17.3.2010 in Deutschland gestellte - Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG sind vorliegend indes nicht erfüllt, da die Beklagte selbst insoweit zuständig (geworden) ist. Die Bestimmung der Zuständigkeit für die Prüfung des - erneuten - Asylbegehrens des Klägers richtet sich nach der Verordnung Nr. 343/2003/EG des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO)(Die am 19.7.2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin III-VO), findet nach ihrem Art. 49 Abs. 2 erst auf ab 1.1.2014 gestellte Asylanträge Anwendung.); als irakischer Staatsangehöriger ist der Kläger Drittstaatsangehöriger im Sinne der Verordnung. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO finden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in Kapitel III genannten Rangfolge Anwendung. Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung wird bei der Bestimmung des nach den in Art. 6 bis 14 der Verordnung festgesetzten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Kläger bei Stellung seines – weiteren – Asylantrags in Deutschland noch minderjährig war. Zwar hatte er in Belgien, das er im Jahr 2008 als ersten Mitgliedstaat der EU betreten hatte, bei seiner Asylantragstellung als Geburtsjahr 1989 angegeben. Der Kläger hatte jedoch bei seiner Anhörung in Deutschland, bei der er vom Entscheider darauf angesprochen worden war, dass er einen „deutlich älteren Eindruck als das Geburtsjahr“ mache, diesen Eindruck mit seiner Größe und „sehr vielen Haaren“, weshalb er immer älter geschätzt werde, offensichtlich plausibel begründet, denn die Beklagte hat in der Folge – von einem erst in einem Schriftsatz im Berufungsverfahren enthaltenen, nur auf eben diese Anhörung hinweisenden Nebensatz („ganz unabhängig von der Frage des tatsächlichen Lebensalters des Klägers bei Antragstellung im Bundesgebiet“) abgesehen - die Richtigkeit seiner hier gemachten Angabe, er sei 1993 geboren, nicht mehr angezweifelt. Die Richtigkeit dieser Angabe wird auch durch die Tatsache, dass das Amtsgericht A-Stadt zunächst das Kreisjugendamt, das offensichtlich zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der Minderjährigkeit seines Mündels hatte, und auf dessen Hinwirken am 12.1.2011 den in Neu-B-Stadt wohnenden Bruder des Klägers zu seinem Vormund bestellt hat, bestätigt.

Art. 6 Dublin II-VO, der sich mit unbegleiteten Minderjährigen befasst, enthält das erste der in Kapitel III der Verordnung festgelegten Kriterien. In diesem Artikel finden sich, wie der Generalanwalt in der Rechtssache C-648/11 in seinen Schlussanträgen(EuGH, Schlussanträge vom 21.2.2013 – C-648/11 -, RN 58,  juris) zu Recht ausgeführt hat, die einzigen Kriterien, die auf die Bestimmung des Mitgliedstaats anwendbar sind, der für die Prüfung eines von einem unbegleiteten Minderjährigen eingereichten Antrags zuständig ist; er stellt damit eine Art „speziellen Kodex“ für unbegleitete Minderjährige dar, in dem die Antworten auf alle Situationen, in denen sie sich befinden können, enthalten sein müssen.

Nach Art. 6 Abs. 1 Dublin II-VO ist, wenn es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt. Diese Vorschrift ist im Falle des unbegleiteten minderjährigen Klägers allerdings nicht einschlägig, da sein in Deutschland lebender Bruder im nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO maßgeblichen Zeitpunkt nicht Angehöriger im Sinne von Art. 2 lit. i iii Dublin II-VO war.

Vorliegend findet indes Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO Anwendung. Nach dieser Vorschrift ist, wenn kein Familienangehöriger anwesend ist, der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige „seinen Asylantrag gestellt“ hat, zuständig. Der EuGH hat sich in seiner Entscheidung in der Rs. C-648/11(EuGH, Urteil vom 6.6.2013 – C-648/11 –, juris), in der es um die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für von unbegleiteten Minderjährigen in mehr als einem Mitgliedstaat gestellte Asylanträge ging, wobei allerdings über die zuerst gestellten Anträge noch nicht entschieden war, eingehend mit der Auslegung dieser Bestimmung befasst. Er hat insoweit ausgeführt, dass sich anhand des Wortlauts der Bestimmung nicht feststellen lasse, ob der fragliche Asylantrag der erste Asylantrag sei, den der betroffene Minderjährige in einem Mitgliedstaat gestellt habe, oder derjenige, den er zuletzt in einem anderen Mitgliedstaat gestellt habe. Er hat insofern hervorgehoben, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen seien, die mit der Regelung, zu der sie gehöre, verfolgt würden. Zum Zusammenhang von Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO hat der EuGH zum einen festgestellt, dass der in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung gebrauchte Ausdruck „seinen Antrag zum ersten Mal … stellt“ in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung nicht wiederholt worden ist. Zum andern beziehe sich die letztgenannte Vorschrift auf den Mitgliedstaat, „in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat“, während Art. 13 der Verordnung ausdrücklich darauf hinweise, dass „der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig“ sei. Daraus schließt der EuGH, dass der Unionsgesetzgeber, wenn er beabsichtigt hätte, in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung „dem ersten Mitgliedstaat“ die Zuständigkeit zuzuweisen, dies mit demselben Wortlaut wie in Art. 13 der Verordnung getan hätte. Daher könne der Ausdruck „der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat“ nicht als „der erste Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat“ verstanden werden. Zudem seien bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der Verordnung auch sein Ziel, unbegleiteten Minderjährigen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und das Hauptziel dieser Verordnung zu berücksichtigen, das nach den Erwägungsgründen 3 und 4 darin bestehe, einen effektiven Zugang zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers zu gewährleisten. Da unbegleitete Minderjährige aber eine Kategorie besonders gefährdeter Personen bildeten, sei es wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht länger als unbedingt nötig hinziehe, was bedeute, dass unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen seien. Diese Erwägungen würden auch durch die aus dem 15. Erwägungsgrund ersichtlichen Erfordernisse bestätigt, nämlich insbesondere das in Art. 24 Abs. 2 derGrCharta verankerte Grundrecht, dass bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein müsse. Daher habe, obwohl das Interesse des Minderjährigen nur in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung ausdrücklich erwähnt werde, Art. 24 Abs. 2 derGrCharta in Verbindung mit ihrem Art. 51 Abs. 1 zur Folge, dass bei jeder Entscheidung, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 2 der Verordnung erließen, das Wohl des Kindes ebenfalls eine vorrangige Erwägung sein müsse. Dies erfordere es grundsätzlich, Art. 6 Abs. 2 der Verordnung so auszulegen, dass er denjenigen Mitgliedstaat als zuständigen Staat bestimme, in dem sich der Minderjährige aufhalte, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt habe. Im Interesse unbegleiteter Minderjähriger sei es wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats nicht unsachgemäß in die Länge ziehe, sondern ihnen gemäß dem 4. Erwägungsgrund ein rascher Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft gewährleiste.

Der EuGH hat in der genannten Entscheidung auch die Fälle in den Blick genommen, in denen der Asylantrag eines unbegleiteten Minderjährigen schon im ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde. Hierzu hat er ausgeführt, dass mit der von ihm vorgenommenen Auslegung des Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO keineswegs zugelassen werde, dass ein solcher unbegleiteter Minderjähriger nach der Zurückweisung seines Asylantrags anschließend einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines – weiteren - Asylantrags zwingen könnte. Nach Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG („Verfahrens-RL“) hätten die Mitgliedstaaten „zusätzlich zu den Fällen, in denen ein Asylantrag nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht geprüft wird“, die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers nämlich nicht zu prüfen, wenn ein Antrag insbesondere deshalb als unzulässig betrachtet werde, weil der Asylbewerber nach einer gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Entscheidung einen „identischen Antrag“ gestellt habe.

Aus diesen Ausführungen des EuGH in Verbindung mit den Darlegungen zu Art. 25 Abs. 1 und 2 f der Verfahrens-RL ergibt sich zunächst, dass - jedenfalls - ein weiterer „nicht identischer“ Asylantrag – trotz der Ablehnung des früher gestellten Asylantrags – ebenfalls Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO unterfällt. Dies überzeugt in der Sache schon deshalb, weil die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht von Zufälligkeiten wie der Größe des zeitlichen Abstands zwischen den Antragstellungen und der von der erstbefassten Behörde im Einzelfall für die Entscheidung benötigten Zeit abhängen kann; zudem liegt es wie bei einem ersten Asylantrag im vorrangig zu wahrenden Interesse eines unbegleiteten Minderjährigen, dass sich auch hier das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht unsachgemäß in die Länge zieht und sein weiterer „nicht identischer“ Asylantrag möglichst rasch einer inhaltlichen Prüfung zugeführt wird. Die Interessenlage des besonders schutzbedürftigen unbegleiteten Minderjährigen entspricht auch nach einer Ablehnung des früher gestellten Asylantrags durch einen anderen Mitgliedstaat in diesen Fällen der von Minderjährigen, deren früherer Antrag noch nicht entschieden wurde. Wie der Generalanwalt in der Rechtssache C-648/11 – fallbezogen hinsichtlich der Letztgenannten - in seinen Schlussanträgen eingehend und überzeugend begründet hat, dürfen „diesen Asylbewerbern aus zeitlichen Gründen und unter Berücksichtigung der besten Behandlung, die Minderjährigen gewährt werden muss, keine Ortswechsel zugemutet werden (…), die nicht unvermeidlich sind“; dabei begegne die durch diese Auslegung eventuell entstehende Gefahr einer Art von „forum shopping“ der hinreichenden Rechtfertigung, dass dem Interesse des Minderjährigen, dem nach Art. 24 Abs. 2 derGrCharta „vorrangige Erwägung“ zukommen müsse, nur auf diese Art und Weise gebührende Aufmerksamkeit gewidmet werden könne.(EuGH, Schlussanträge vom 21.2.2013 – C-648/11 -, RN 73 ff.,  juris)

Nichts anderes kann unter Berücksichtigung der Interessenlage der minderjährigen Antragsteller für „identische Asylanträge“ im Sinne des Art. 24 derGrCharta hinsichtlich der Bestimmung des für deren Behandlung zuständigen Mitgliedstaats gelten. Insbesondere können die Ausführungen des EuGH in der vorgenannten Entscheidung zu Art. 25 Abs. 1 der Verfahrens-RL nach Überzeugung des Senats nicht als Hinweis auf eine diesbezügliche Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO verstanden werden.(So aber VG Aachen, Beschluss vom 3.4.2014 – 7 L 165/14.A -, juris; VG München, Beschluss vom 23.4.2014 – M 21 S 14.30537 -, juris) Dies ergibt sich schon daraus, dass die Bestimmung der Zuständigkeit sich ausschließlich nach der gemäß ihrem Art. 29 in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden Dublin II-VO, die das Dubliner Übereinkommen ersetzt hat (Art. 24 Abs. 1 Dublin II-VO), richtet(Vgl. Hailbronner, AuslR, § 27a AsylVfG, 2010, RN 4 ff.) und die an die Mitgliedstaaten gerichtete Verfahrens-RL (vgl. Art. 46), die im Rang unter der Verordnung steht, schon von daher keinen Einfluss auf die Zuständigkeitsbestimmung haben kann. Art. 25 Verfahrens-RL räumt den Mitgliedstaaten folglich nur bei der Ausgestaltung ihres Asylverfahrens unter Wahrung der durch die unmittelbar anwendbare Dublin II-VO vorzunehmenden Zuständigkeitsbestimmung zusätzlich u.a. die Befugnis ein, einen Antrag auf internationalen Schutz nach vorausgegangener rechtskräftiger Entscheidung über einen identischen Antrag als unzulässig zu behandeln. Insofern kann, wie der EuGH ausgeführt hat, kein unbegleiteter Minderjähriger einen (zuständigen) Mitgliedstaat zwingen, seinen erneuten identischen Asylantrag in der Sache zu prüfen.

Hiervon ausgehend ist daher festzustellen, dass Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO Deutschland zum zuständigen Mitgliedstaat bestimmt, in dem sich der – damals noch minderjährige unbegleitete - Kläger aufhält, seitdem er hier am 17.3.2010 einen Asylantrag gestellt hat.

Dass sich Belgien auf die Anfrage der Beklagten am 16.2.2011 mit der Wiederaufnahme des Klägers einverstanden erklärt hat, hat nicht zu einem Zuständigkeitsübergang auf diesen anderen Mitgliedstaat geführt.

Die Dublin II-VO, deren allgemeine Zuständigkeitskriterien jedenfalls zum überwiegenden Teil ein „Verursacherprinzip“ widerspiegeln und daran anknüpfen, welcher Mitgliedstaat der Antragstellung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gewissermaßen am Nächsten steht und welchem Staat die Antragstellung billigerweise zugerechnet werden soll,(GK-AsylVfG, § 27a, RN 64 zu Dublin III-VO) enthält über die grundlegenden Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates in Kapitel III hinaus zwar weitere Regelungen etwa in Kapitel V, das sich mit der Abwicklung von Aufnahme und Wiederaufnahme befasst. So enthalten sowohl Art. 19 Abs. 4 als auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO Regelungen, die für den Fall nicht fristgerechter Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens einen Übergang der Zuständigkeit vom ersuchten auf den ersuchenden Mitgliedstaat vorsehen und damit der „zeitnahen Abwicklung des zuvor gefundenen Konsenses“ dienen(GK-AsylVfG, § 27a, RN 171 zu Dublin III-VO). Dafür, dass die Zuständigkeit auf einen ersuchten unzuständigen Mitgliedstaat durch die bloße Annahme des Wiederaufnahmegesuchs überginge, lässt sich der Dublin II-VO indes nichts entnehmen.

Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs der Beklagten durch Belgien kann auch nicht in eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch diesen Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO umgedeutet werden.(Vgl. zu einer entsprechenden Umdeutung VG Mainz, Beschluss vom 16.4.2004 – 7 L 312/04.Mz -, juris; GK-AsylVfG, § 27a, RN 174 zu Dublin III-VO) Dabei kann dahinstehen, ob das in das Ermessen des Mitgliedstaats gestellte Selbsteintrittsrecht an keinerlei tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft ist(GK-AsylVfG, § 27a, RN 174 zu Dublin III-VO) oder – woran es vorliegend fehlte - voraussetzt, dass der zu prüfende Asylantrag bei dem eintretenden Mitgliedstaat selbst gestellt wird(Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 27a, RN 57: territorialer Kontakt zum Mitgliedstaat erforderlich). Abgesehen davon, dass beide Staaten zweifellos von der Einleitung des Wiederaufnahme-Vorgangs Abstand genommen hätten, wenn sie die originäre Zuständigkeit der Beklagten erkannt hätten, scheidet eine Umdeutung der von Belgien erteilten Zustimmung in eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts aber auch deshalb aus, weil darin eine Missachtung des gerade mit den Regelungen des Art. 6 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 3 Dublin II-VO verfolgten Interesses des unbegleiteten Minderjährigen und ein Verstoß gegen das insbesondere durch Art. 24 Abs. 2GrCharta geschützte Kindeswohl gelegen hätte. Denn der Kläger hielt sich zu diesem Zeitpunkt nicht nur schon länger als 11 Monate in Deutschland auf, sondern er hatte auch regelmäßig Kontakt mit seinem zwischenzeitlich hier aufenthaltsberechtigten und zu seinem Vormund bestellten Bruder, der ihn in den eigenen Haushalt aufnehmen wollte.

Somit ist festzustellen, dass die Beklagte für die Prüfung des weiteren Asylantrags des Klägers zuständig und der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines feststellenden Teils, des Grundverwaltungsakts, rechtswidrig ist.

Gleiches gilt auch hinsichtlich der in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids enthaltenen, einen belastenden Verwaltungsakt darstellenden Abschiebungsanordnung nach Belgien Da Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens hinsichtlich des in Deutschland gestellten weiteren Asylantrags des minderjährigen, unbegleiteten Klägers nicht zuständig war, durfte dessen Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in diesen Staat nicht angeordnet werden.

Durch die beiden angefochtenen rechtswidrigen Entscheidungen ist der Kläger auch in seinen ihm als unbegleitetem Minderjährigen zustehenden subjektiven Rechten aus Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO, Art. 24 Abs. 2GrCharta verletzt worden.

Die Berufung der Beklagten ist daher unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Gründe

Die gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zugelassene und auch ansonsten zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 29.4.2011 im Ergebnis zu Recht aufgehoben, denn er ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Dies gilt zunächst für die in Nr. 1 des angegriffenen Bescheides getroffene, auf § 27a AsylVfG gestützte Feststellung der Beklagten, dass der - am 17.3.2010 in Deutschland gestellte - Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Voraussetzungen des § 27a AsylVfG sind vorliegend indes nicht erfüllt, da die Beklagte selbst insoweit zuständig (geworden) ist. Die Bestimmung der Zuständigkeit für die Prüfung des - erneuten - Asylbegehrens des Klägers richtet sich nach der Verordnung Nr. 343/2003/EG des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO)(Die am 19.7.2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin III-VO), findet nach ihrem Art. 49 Abs. 2 erst auf ab 1.1.2014 gestellte Asylanträge Anwendung.); als irakischer Staatsangehöriger ist der Kläger Drittstaatsangehöriger im Sinne der Verordnung. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO finden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in Kapitel III genannten Rangfolge Anwendung. Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung wird bei der Bestimmung des nach den in Art. 6 bis 14 der Verordnung festgesetzten Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Kläger bei Stellung seines – weiteren – Asylantrags in Deutschland noch minderjährig war. Zwar hatte er in Belgien, das er im Jahr 2008 als ersten Mitgliedstaat der EU betreten hatte, bei seiner Asylantragstellung als Geburtsjahr 1989 angegeben. Der Kläger hatte jedoch bei seiner Anhörung in Deutschland, bei der er vom Entscheider darauf angesprochen worden war, dass er einen „deutlich älteren Eindruck als das Geburtsjahr“ mache, diesen Eindruck mit seiner Größe und „sehr vielen Haaren“, weshalb er immer älter geschätzt werde, offensichtlich plausibel begründet, denn die Beklagte hat in der Folge – von einem erst in einem Schriftsatz im Berufungsverfahren enthaltenen, nur auf eben diese Anhörung hinweisenden Nebensatz („ganz unabhängig von der Frage des tatsächlichen Lebensalters des Klägers bei Antragstellung im Bundesgebiet“) abgesehen - die Richtigkeit seiner hier gemachten Angabe, er sei 1993 geboren, nicht mehr angezweifelt. Die Richtigkeit dieser Angabe wird auch durch die Tatsache, dass das Amtsgericht A-Stadt zunächst das Kreisjugendamt, das offensichtlich zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der Minderjährigkeit seines Mündels hatte, und auf dessen Hinwirken am 12.1.2011 den in Neu-B-Stadt wohnenden Bruder des Klägers zu seinem Vormund bestellt hat, bestätigt.

Art. 6 Dublin II-VO, der sich mit unbegleiteten Minderjährigen befasst, enthält das erste der in Kapitel III der Verordnung festgelegten Kriterien. In diesem Artikel finden sich, wie der Generalanwalt in der Rechtssache C-648/11 in seinen Schlussanträgen(EuGH, Schlussanträge vom 21.2.2013 – C-648/11 -, RN 58,  juris) zu Recht ausgeführt hat, die einzigen Kriterien, die auf die Bestimmung des Mitgliedstaats anwendbar sind, der für die Prüfung eines von einem unbegleiteten Minderjährigen eingereichten Antrags zuständig ist; er stellt damit eine Art „speziellen Kodex“ für unbegleitete Minderjährige dar, in dem die Antworten auf alle Situationen, in denen sie sich befinden können, enthalten sein müssen.

Nach Art. 6 Abs. 1 Dublin II-VO ist, wenn es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt. Diese Vorschrift ist im Falle des unbegleiteten minderjährigen Klägers allerdings nicht einschlägig, da sein in Deutschland lebender Bruder im nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO maßgeblichen Zeitpunkt nicht Angehöriger im Sinne von Art. 2 lit. i iii Dublin II-VO war.

Vorliegend findet indes Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO Anwendung. Nach dieser Vorschrift ist, wenn kein Familienangehöriger anwesend ist, der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige „seinen Asylantrag gestellt“ hat, zuständig. Der EuGH hat sich in seiner Entscheidung in der Rs. C-648/11(EuGH, Urteil vom 6.6.2013 – C-648/11 –, juris), in der es um die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für von unbegleiteten Minderjährigen in mehr als einem Mitgliedstaat gestellte Asylanträge ging, wobei allerdings über die zuerst gestellten Anträge noch nicht entschieden war, eingehend mit der Auslegung dieser Bestimmung befasst. Er hat insoweit ausgeführt, dass sich anhand des Wortlauts der Bestimmung nicht feststellen lasse, ob der fragliche Asylantrag der erste Asylantrag sei, den der betroffene Minderjährige in einem Mitgliedstaat gestellt habe, oder derjenige, den er zuletzt in einem anderen Mitgliedstaat gestellt habe. Er hat insofern hervorgehoben, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen seien, die mit der Regelung, zu der sie gehöre, verfolgt würden. Zum Zusammenhang von Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO hat der EuGH zum einen festgestellt, dass der in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung gebrauchte Ausdruck „seinen Antrag zum ersten Mal … stellt“ in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung nicht wiederholt worden ist. Zum andern beziehe sich die letztgenannte Vorschrift auf den Mitgliedstaat, „in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat“, während Art. 13 der Verordnung ausdrücklich darauf hinweise, dass „der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig“ sei. Daraus schließt der EuGH, dass der Unionsgesetzgeber, wenn er beabsichtigt hätte, in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung „dem ersten Mitgliedstaat“ die Zuständigkeit zuzuweisen, dies mit demselben Wortlaut wie in Art. 13 der Verordnung getan hätte. Daher könne der Ausdruck „der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat“ nicht als „der erste Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat“ verstanden werden. Zudem seien bei der Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der Verordnung auch sein Ziel, unbegleiteten Minderjährigen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und das Hauptziel dieser Verordnung zu berücksichtigen, das nach den Erwägungsgründen 3 und 4 darin bestehe, einen effektiven Zugang zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers zu gewährleisten. Da unbegleitete Minderjährige aber eine Kategorie besonders gefährdeter Personen bildeten, sei es wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht länger als unbedingt nötig hinziehe, was bedeute, dass unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen seien. Diese Erwägungen würden auch durch die aus dem 15. Erwägungsgrund ersichtlichen Erfordernisse bestätigt, nämlich insbesondere das in Art. 24 Abs. 2 derGrCharta verankerte Grundrecht, dass bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein müsse. Daher habe, obwohl das Interesse des Minderjährigen nur in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung ausdrücklich erwähnt werde, Art. 24 Abs. 2 derGrCharta in Verbindung mit ihrem Art. 51 Abs. 1 zur Folge, dass bei jeder Entscheidung, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 2 der Verordnung erließen, das Wohl des Kindes ebenfalls eine vorrangige Erwägung sein müsse. Dies erfordere es grundsätzlich, Art. 6 Abs. 2 der Verordnung so auszulegen, dass er denjenigen Mitgliedstaat als zuständigen Staat bestimme, in dem sich der Minderjährige aufhalte, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt habe. Im Interesse unbegleiteter Minderjähriger sei es wichtig, dass sich das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats nicht unsachgemäß in die Länge ziehe, sondern ihnen gemäß dem 4. Erwägungsgrund ein rascher Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft gewährleiste.

Der EuGH hat in der genannten Entscheidung auch die Fälle in den Blick genommen, in denen der Asylantrag eines unbegleiteten Minderjährigen schon im ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde. Hierzu hat er ausgeführt, dass mit der von ihm vorgenommenen Auslegung des Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO keineswegs zugelassen werde, dass ein solcher unbegleiteter Minderjähriger nach der Zurückweisung seines Asylantrags anschließend einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines – weiteren - Asylantrags zwingen könnte. Nach Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG („Verfahrens-RL“) hätten die Mitgliedstaaten „zusätzlich zu den Fällen, in denen ein Asylantrag nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht geprüft wird“, die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers nämlich nicht zu prüfen, wenn ein Antrag insbesondere deshalb als unzulässig betrachtet werde, weil der Asylbewerber nach einer gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Entscheidung einen „identischen Antrag“ gestellt habe.

Aus diesen Ausführungen des EuGH in Verbindung mit den Darlegungen zu Art. 25 Abs. 1 und 2 f der Verfahrens-RL ergibt sich zunächst, dass - jedenfalls - ein weiterer „nicht identischer“ Asylantrag – trotz der Ablehnung des früher gestellten Asylantrags – ebenfalls Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO unterfällt. Dies überzeugt in der Sache schon deshalb, weil die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht von Zufälligkeiten wie der Größe des zeitlichen Abstands zwischen den Antragstellungen und der von der erstbefassten Behörde im Einzelfall für die Entscheidung benötigten Zeit abhängen kann; zudem liegt es wie bei einem ersten Asylantrag im vorrangig zu wahrenden Interesse eines unbegleiteten Minderjährigen, dass sich auch hier das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht unsachgemäß in die Länge zieht und sein weiterer „nicht identischer“ Asylantrag möglichst rasch einer inhaltlichen Prüfung zugeführt wird. Die Interessenlage des besonders schutzbedürftigen unbegleiteten Minderjährigen entspricht auch nach einer Ablehnung des früher gestellten Asylantrags durch einen anderen Mitgliedstaat in diesen Fällen der von Minderjährigen, deren früherer Antrag noch nicht entschieden wurde. Wie der Generalanwalt in der Rechtssache C-648/11 – fallbezogen hinsichtlich der Letztgenannten - in seinen Schlussanträgen eingehend und überzeugend begründet hat, dürfen „diesen Asylbewerbern aus zeitlichen Gründen und unter Berücksichtigung der besten Behandlung, die Minderjährigen gewährt werden muss, keine Ortswechsel zugemutet werden (…), die nicht unvermeidlich sind“; dabei begegne die durch diese Auslegung eventuell entstehende Gefahr einer Art von „forum shopping“ der hinreichenden Rechtfertigung, dass dem Interesse des Minderjährigen, dem nach Art. 24 Abs. 2 derGrCharta „vorrangige Erwägung“ zukommen müsse, nur auf diese Art und Weise gebührende Aufmerksamkeit gewidmet werden könne.(EuGH, Schlussanträge vom 21.2.2013 – C-648/11 -, RN 73 ff.,  juris)

Nichts anderes kann unter Berücksichtigung der Interessenlage der minderjährigen Antragsteller für „identische Asylanträge“ im Sinne des Art. 24 derGrCharta hinsichtlich der Bestimmung des für deren Behandlung zuständigen Mitgliedstaats gelten. Insbesondere können die Ausführungen des EuGH in der vorgenannten Entscheidung zu Art. 25 Abs. 1 der Verfahrens-RL nach Überzeugung des Senats nicht als Hinweis auf eine diesbezügliche Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO verstanden werden.(So aber VG Aachen, Beschluss vom 3.4.2014 – 7 L 165/14.A -, juris; VG München, Beschluss vom 23.4.2014 – M 21 S 14.30537 -, juris) Dies ergibt sich schon daraus, dass die Bestimmung der Zuständigkeit sich ausschließlich nach der gemäß ihrem Art. 29 in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden Dublin II-VO, die das Dubliner Übereinkommen ersetzt hat (Art. 24 Abs. 1 Dublin II-VO), richtet(Vgl. Hailbronner, AuslR, § 27a AsylVfG, 2010, RN 4 ff.) und die an die Mitgliedstaaten gerichtete Verfahrens-RL (vgl. Art. 46), die im Rang unter der Verordnung steht, schon von daher keinen Einfluss auf die Zuständigkeitsbestimmung haben kann. Art. 25 Verfahrens-RL räumt den Mitgliedstaaten folglich nur bei der Ausgestaltung ihres Asylverfahrens unter Wahrung der durch die unmittelbar anwendbare Dublin II-VO vorzunehmenden Zuständigkeitsbestimmung zusätzlich u.a. die Befugnis ein, einen Antrag auf internationalen Schutz nach vorausgegangener rechtskräftiger Entscheidung über einen identischen Antrag als unzulässig zu behandeln. Insofern kann, wie der EuGH ausgeführt hat, kein unbegleiteter Minderjähriger einen (zuständigen) Mitgliedstaat zwingen, seinen erneuten identischen Asylantrag in der Sache zu prüfen.

Hiervon ausgehend ist daher festzustellen, dass Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO Deutschland zum zuständigen Mitgliedstaat bestimmt, in dem sich der – damals noch minderjährige unbegleitete - Kläger aufhält, seitdem er hier am 17.3.2010 einen Asylantrag gestellt hat.

Dass sich Belgien auf die Anfrage der Beklagten am 16.2.2011 mit der Wiederaufnahme des Klägers einverstanden erklärt hat, hat nicht zu einem Zuständigkeitsübergang auf diesen anderen Mitgliedstaat geführt.

Die Dublin II-VO, deren allgemeine Zuständigkeitskriterien jedenfalls zum überwiegenden Teil ein „Verursacherprinzip“ widerspiegeln und daran anknüpfen, welcher Mitgliedstaat der Antragstellung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gewissermaßen am Nächsten steht und welchem Staat die Antragstellung billigerweise zugerechnet werden soll,(GK-AsylVfG, § 27a, RN 64 zu Dublin III-VO) enthält über die grundlegenden Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates in Kapitel III hinaus zwar weitere Regelungen etwa in Kapitel V, das sich mit der Abwicklung von Aufnahme und Wiederaufnahme befasst. So enthalten sowohl Art. 19 Abs. 4 als auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO Regelungen, die für den Fall nicht fristgerechter Überstellung eines Asylbewerbers im Rahmen eines Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchens einen Übergang der Zuständigkeit vom ersuchten auf den ersuchenden Mitgliedstaat vorsehen und damit der „zeitnahen Abwicklung des zuvor gefundenen Konsenses“ dienen(GK-AsylVfG, § 27a, RN 171 zu Dublin III-VO). Dafür, dass die Zuständigkeit auf einen ersuchten unzuständigen Mitgliedstaat durch die bloße Annahme des Wiederaufnahmegesuchs überginge, lässt sich der Dublin II-VO indes nichts entnehmen.

Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs der Beklagten durch Belgien kann auch nicht in eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch diesen Mitgliedstaat gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO umgedeutet werden.(Vgl. zu einer entsprechenden Umdeutung VG Mainz, Beschluss vom 16.4.2004 – 7 L 312/04.Mz -, juris; GK-AsylVfG, § 27a, RN 174 zu Dublin III-VO) Dabei kann dahinstehen, ob das in das Ermessen des Mitgliedstaats gestellte Selbsteintrittsrecht an keinerlei tatbestandliche Voraussetzungen geknüpft ist(GK-AsylVfG, § 27a, RN 174 zu Dublin III-VO) oder – woran es vorliegend fehlte - voraussetzt, dass der zu prüfende Asylantrag bei dem eintretenden Mitgliedstaat selbst gestellt wird(Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 27a, RN 57: territorialer Kontakt zum Mitgliedstaat erforderlich). Abgesehen davon, dass beide Staaten zweifellos von der Einleitung des Wiederaufnahme-Vorgangs Abstand genommen hätten, wenn sie die originäre Zuständigkeit der Beklagten erkannt hätten, scheidet eine Umdeutung der von Belgien erteilten Zustimmung in eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts aber auch deshalb aus, weil darin eine Missachtung des gerade mit den Regelungen des Art. 6 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 3 Dublin II-VO verfolgten Interesses des unbegleiteten Minderjährigen und ein Verstoß gegen das insbesondere durch Art. 24 Abs. 2GrCharta geschützte Kindeswohl gelegen hätte. Denn der Kläger hielt sich zu diesem Zeitpunkt nicht nur schon länger als 11 Monate in Deutschland auf, sondern er hatte auch regelmäßig Kontakt mit seinem zwischenzeitlich hier aufenthaltsberechtigten und zu seinem Vormund bestellten Bruder, der ihn in den eigenen Haushalt aufnehmen wollte.

Somit ist festzustellen, dass die Beklagte für die Prüfung des weiteren Asylantrags des Klägers zuständig und der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines feststellenden Teils, des Grundverwaltungsakts, rechtswidrig ist.

Gleiches gilt auch hinsichtlich der in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids enthaltenen, einen belastenden Verwaltungsakt darstellenden Abschiebungsanordnung nach Belgien Da Belgien für die Durchführung des Asylverfahrens hinsichtlich des in Deutschland gestellten weiteren Asylantrags des minderjährigen, unbegleiteten Klägers nicht zuständig war, durfte dessen Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in diesen Staat nicht angeordnet werden.

Durch die beiden angefochtenen rechtswidrigen Entscheidungen ist der Kläger auch in seinen ihm als unbegleitetem Minderjährigen zustehenden subjektiven Rechten aus Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO, Art. 24 Abs. 2GrCharta verletzt worden.

Die Berufung der Beklagten ist daher unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtsfrage gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.