Verwaltungsgericht München Beschluss, 06. Juli 2016 - M 8 SN 16.349
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom
II.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die der Beigeladenen am
Das Grundstück der Antragsteller ...-weg 36, Fl.Nr. ..., Gemarkung ..., ist mit einem zweigeschossigen Wohnhaus bebaut und ist von den westlich gelegenen Vorhabengrundstücken ...-weg 42-44, Fl.Nr. ... und ..., durch den 12 m breiten ...-weg getrennt. Das Gebäude der Antragsteller ist im nördlichen Teil des Grundstücks situiert und schließt sich im Osten an das zweigeschossige Nachbargebäude ...-weg 34 an. Weiter östlich schließt sich weitere Wohnbebauung entlang des ...-wegs an. Im Westen ist das Wohnhaus der Antragsteller auf der Straßenbegrenzungslinie situiert, die in einem Abstand von 1 m (abgegriffen aus dem Lageplan) von der westlichen Grundstücksgrenze verläuft. Für das Grundstück der Antragsteller ist eine Baugrenze festgesetzt, die auf einer Länge von ca. 6 m parallel zu der südlichen Grundstücksgrenze verläuft und anschließend nach Norden abknickt. Sie verläuft entlang der westlichen Grundstücksgrenze in einem Abstand von ca. 5 m. Das Wohnhaus der Antragsteller überschreitet die westliche Baugrenze um ca. 4 m.
Die Vorhabengrundstücke liegen westlich des Antragstellergrundstücks. Das Vorhabengrundstück Fl.Nr. ... grenzt im Osten an den ...-weg, im Westen an den ...-weg und im Süden an den ...-weg. Im Nordosten liegt das mit einem dreigeschossigen Gebäuderiegel bebaute Grundstück Fl.Nr. ... Im Nordwesten schließt sich das zweite Vorhabengrundstück Fl.Nr. ... an.
(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht)
Mit Bauantrag vom
Im Erdgeschoss des Neubaugebäudes sind ein Lebensmittelmarkt und eine Bäckerei mit Café vorgesehen. In der Betriebsbeschreibung vom
Die Zufahrt zu den Tiefgaragen ist ebenfalls auf der Ostseite des Gebäudes vorgesehen.
Nach den Ergebnissen des im Baugenehmigungsverfahren von der Beigeladenen eingeholten Schallschutzgutachtens des Ingenieurbüros ...
Mit Bescheid vom
tagsüber 50 dB(A) (6:00 - 22:00 Uhr),
nachts 35 dB(A) (22:00 - 6:00 Uhr).
Nach Ziffer 5.1.2.7 müssen der Anlieferumfang und sonstige Rahmenbedingungen zur Verladung „den Angaben im Kapitel 3.2.2 entsprechen (1 LKW zwischen 6.00 - 7.00, 5 LKW zwischen 7.00 - 20.00 Uhr)“. Nach Ziffer 7 der Baugenehmigung ist die Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2015 Bestandteil der Baugenehmigung vom 17. August 2015. Gemäß Ziffer 8 der Baugenehmigung ist auch das Schallschutzgutachten vom 31. März 2015 Bericht Nr. ... Bestandteil der Baugenehmigung und muss bei der Nutzung des Objekts zwingend beachtet werden.
Ferner enthält die Baugenehmigung vom
Eine Zustellung der Baugenehmigung vom
Mit Schriftsatz vom
Die aufschiebende Wirkung der Klage
Zur Begründung führten die Bevollmächtigten der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Bauvorhaben in bauplanungsrechtlicher Hinsicht gegen das Rücksichtnahmegebot verstoße. Das schalltechnische Gutachten von ... gehe von falschen Immissionsansätzen aus. Die gewerblichen Pkw-Stellplätze seien akustisch gar nicht berücksichtigt worden. Die erforderliche Zahl der Stellplätze für den Supermarkt mit Backshop sei in rechtswidriger Weise auf sieben reduziert worden. Zumindest diese Stellplätze müssten mit einer entsprechenden Frequentierung angesetzt werden.
In der Begutachtung sei ferner nicht berücksichtigt worden, dass die beiden Tiefgaragenrampen eine Steigung von 25% hätten. Ein Zuschlag für Steigung sei gemäß Parkplatzlärmstudie i. V. m. RLS 90 ab einer Steigerung von 5% anzusetzen. Es sei zudem nicht ersichtlich, ob das Öffnen und Schließen des Garagentores akustisch beurteilt worden sei. Das Kühlaggregat werde lediglich mit einem Schalleistungspegel LWA = 93 dB(A) angesetzt. In Regelwerken werde von einem mittleren Schalleistungspegel für Kühlaggregate von 97 dB(A) ausgegangen. Weiter sei überraschend, dass das Kühlaggregat nur beim Backwaren-Lkw angesetzt worden sei. Gemäß der Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2015 werde der Markt aber von mehreren Lkw mit Kühlaggregat beliefert. Es sei ferner unklar, wie sichergestellt werden solle, dass das Kühlaggregat vor der Einfahrt in den Anlieferbereich ausgeschaltet werde. Weiter werde das Kühlaggregat für den Backwaren-Lkw gerade einmal mit 5 Minuten berücksichtigt.
Es sei zudem nicht davon auszugehen, dass die sechs Lkw, die in der Betriebsbeschreibung genannt seien, den „worst case“ darstellten. Zunächst sei darauf hinzuweisen, dass die Angabe der Anzahl der Lkw mit einem ca. versehen sei. Nachdem die Anzahl der Lkw-Bewegungen entscheidend sei, spreche viel dafür, dass auch ein deutlich höherer Lkw-Verkehr möglich und wahrscheinlich sei. Zudem sei nicht auszuschließen, dass auch künftig mehrere Lkw gleichzeitig anlieferten. Das sei in der Vergangenheit regelmäßig der Fall gewesen.
Der Schalleistungspegel, der für den Vorgang „Palette über Ladebordwand“ angesetzt werde, sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei für den Vorgang „Palettenhubwagen über fahrzeugeigene Ladebordwand“ gemäß dem zitierten technischen Bericht ein höherer Schallleistungspegel einzusetzen. Es fehlten weitere relevante Geräusche im Zusammenhang mit dem Be- und Entladen, zum Beispiel durch das Öffnen der Lkw-Ladebordwand sowie einem erhöhten Leerlauf des Lkw. Es seien die Lkw-Betriebsbremsen, das Lkw-Türenschlagen, das Lkw-Motoranlassen und Lkw-Rangieren nicht berücksichtigt worden. Schließlich sei die Ent- und Belüftung der Tiefgarage unberücksichtigt geblieben.
Es liege ferner eine unzumutbare Beeinträchtigung der Antragsteller aufgrund fehlender Stellplätze vor. Es müssten mindestens zwölf Stellplätze real hergestellt und sechs Stellplätze lagebedingt abgelöst werden. Zudem sei in den genehmigten Plänen eine Zuordnung der Stellplätze nicht vorgenommen worden. Nachdem beabsichtigt sei, dass gar keine Stellplätze für den Lebensmittelmarkt mit Backshop zur Verfügung gestellt würden, trete eine unzumutbare Situation für die Antragsteller ein. Bereits derzeit sei die Situation äußerst beengt. Regelmäßig werde die Grundstückszufahrt durch Pkw und Lkw versperrt. Dies werde noch in erheblichem Umfang zunehmen, wenn der Markt mit einer Verkaufsfläche von ca. 730 m² in Betrieb gehe. Das genehmigte Vorhaben verstoße gegen Abstandsflächenvorschriften. Es sei eine Abweichung zu dem Grundstück der Antragsteller hin erteilt worden. Eine erforderliche Atypik werde weder von der Antragsgegnerin dargestellt, noch sei eine solche tatsächlich gegeben. Die Begründung, die die Antragsgegnerin zur Abweichung heranziehe, erschöpfe sich in Allgemeinplätzen und zeige gerade keine grundstücksbezogene Atypik auf.
Mit Schriftsatz vom
den Antrag der Antragsteller vom
Es ergebe sich aus dem Gutachten der Firma ..., dass aufgrund der Größe und Ausgestaltung und insbesondere der Zielsetzung eines reinen Nahversorgungsbetriebes, von einem Betrieb mit einem geringen Geräuschaufkommen gerade durch die Fahrtbewegungen ausgegangen worden sei. Selbst wenn ein umfänglicheres Geräuschaufkommen unterstellt werde, würde sich rein rechnerisch nur eine Überschreitung um 1 dB(A) ergeben. Diese Überschreitung sei insbesondere aufgrund der Tatsache gerechtfertigt, dass an dieser Stelle bereits ein Lebensmittelmarkt existiert habe und insoweit die schutzwürdige Wohnnutzung durch eine Gewerbenutzung vorbelastet gewesen sei. Gerade in den Übergängen zwischen reinen und allgemeinen Wohngebieten seien derartig geringfügige Überschreitungen akzeptabel und führten nicht zu einer Rechtsbeeinträchtigung der Wohnnutzung. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Antragsteller selbst ihr Bauvorhaben außerhalb der Baulinie errichtet hätten und somit näher an das Vorhabengrundstück und den Einzelhandelsbetrieb gerückt seien. Sie hätten sich insoweit ein Sonderrecht verschafft und seien deshalb auch in diesem Umfang weniger schutzwürdig. Zudem weise die westliche Außenwand des Anwesens der Antragsteller keine Öffnungen auf. Der Anlieferbereich wirke sich aber insbesondere auf die westliche Wand und nicht auf die Süd- und Nordseite des Gebäudes der Antragsteller aus. Der Bauherr sei aufgrund der Auflage in dem Genehmigungsbescheid verpflichtet, den festgesetzten Immissionsrichtwert am Anwesen der Antragsteller einzuhalten. Die schlichte Sorge der Antragsteller, es werde zu deutlichen Überschreitungen kommen, begründe keine Verletzung von Nachbarrechten. Die Antragsteller seien ausreichend durch die zu ihren Gunsten verfügte Auflage im Genehmigungsbescheid abgesichert.
Die Stellplatzpflicht stehe im öffentlichen Interesse und diene nicht dem Schutz nachbarlicher Interessen. Ein Nachbar könne sich auf einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nur dann berufen, wenn ein Mangel an Stellplätzen geeignet sei, die bestimmungsgemäße Nutzung seines eigenen Grundstücks zu beeinträchtigen. Ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor.
Aufgrund der Konzeption des Vorhabens halte das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht vollständig ein. Diese fielen über die Straßenmitte des ...-weges. Das Grundstück der Antragsteller werde nicht von den Abstandsflächen des Vorhabens berührt, sondern lediglich die Straßenmitte überschritten. Die gesamte Verkehrsfläche des ...-weges sei lediglich 12 m breit. Die Überschreitung der erforderlichen Abstandsfläche erfolge in einem Bereich, in welchem das Grundstück der Antragsteller selbst kein Gebäude aufweise. Die Abstandsflächenüberschreitung des ...-weges sei in der Gesamtfläche untergeordnet und lasse die Schutzziele Belichtung, Besonnung und Belüftung unberührt. Für den Fall der Neubebauung des Grundstückes der Antragsteller dürfte der verbleibende Abstand zwischen der Baugrenze und der nicht beanspruchten Verkehrsfläche ausreichen, um das zulässige Maß der baulichen Nutzung, nämlich ein dreigeschossiges Gebäude zu realisieren.
Mit dem Schriftsatz vom
Mit Schreiben vom
Mit Schriftsatz vom
Der Antrag wird abgelehnt.
Der streitgegenständliche Lebensmittelmarkt sei als ein Laden, der der Versorgung des Gebiets zu dienen bestimmt sei, in einem Allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig. Der Supermarkt entspreche auch seiner geplanten Verkaufsfläche nach noch den Anforderungen, die die Rechtsprechung an einen solchen Nahversorger stelle.
Hinsichtlich der Anforderungen an den Lärmschutz sei festzustellen, dass das Bauvorhaben auch vor dem Hintergrund der in dem vorgelegten Lärmgutachten ermittelten Werte noch als verträglich einzustufen sei. Die in der Baugenehmigung enthaltenen Auflagen zum Lärmschutz seien als sogenannte Zielvorgaben jedenfalls geeignet, die Nachbarrechte und damit insbesondere auch die Rechte der Antragsteller zu wahren. Die in der Baugenehmigung festgesetzten Richtwerte entsprächen den Richtwerten, die nach der TA-Lärm für ein reines Wohngebiet gälten. Dieser strenge Maßstab lasse dabei zugunsten der Antragsteller außer Betracht, dass das Gebäude der Antragsteller unmittelbar an der Grenze zwischen einem faktischen Reinen Wohngebiet und einem faktischen Allgemeinen Wohngebiet situiert sei und sich auf dem Vorhabengrundstück zuvor schon ein Supermarkt befunden habe. Nach der Rechtsprechung seien für derartige Lagen eigentlich Mittelwerte zu bilden.
Es dürfe dabei nicht übersehen werden, dass es sich bei der TA-Lärm lediglich um Regelwerte handele. Selbst eine Überschreitung derselben führe nicht unmittelbar zu einer Unzumutbarkeit für die betroffene Umgebung. Dies ergebe sich letztlich bereits aus der Existenz der Ziffer 3.2.1 Abs. 2-5 der TA-Lärm. Hier liege die Überschreitung im Bereich von 1 dB(A) tagsüber. Dies sei aus Sicht der Antragsgegnerin vor dem Hintergrund der Ziffer 3.2.1 Abs. 3 TA-Lärm noch hinnehmbar. Die hier bestehende Diskrepanz zwischen der Zielvorgabe in der Baugenehmigung und der tatsächlich zu erwartenden Lärmbelastung wäre jedenfalls bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch eine entsprechende Abänderung der Auflage heilbar.
Hinsichtlich der Stellplatzproblematik schließe sich die Antragsgegnerin insoweit den Ausführungen der Beigeladenen an. Es sei zu erwarten, dass ein Großteil der Kunden den Nahversorger ohne Pkw aufsuchen werde und zudem eine entsprechende Verkehrssituation auch schon durch die Vornutzung eines Supermarkts indiziert gewesen sei.
Auch die erteilte Abweichung von den Abstandsflächen, die über die Straßenmitte des ...-wegs fielen, sei nicht geeignet die Antragsteller zu beeinträchtigen. Die Bebauung der Antragsteller liege auch deswegen so nahe am ...-weg, weil diese selbst unter Überschreitung der eigentlich weit vom Straßenrand zurückversetzten Baugrenze realisiert worden sei. Schon aus diesem Grund dürfte fraglich sein, ob die Antragsteller „ihre“ abstandsflächenrechtliche Straßenhälfte überhaupt mit einer Bebauung, die die Baugrenze einhalte, mit einer Abstandsfläche von ihrem Grundstück aus belegen könnten. Jedenfalls würden Belichtung, Belüftung und Besonnung des antragstellerseitigen Gebäudes nicht unzumutbar durch das Vorhaben beeinträchtigt.
Mit Schreiben vom
Mit Schreiben vom
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten sowie das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage hat auch in der Sache Erfolg, da die angefochtene Baugenehmigung vom
I.
Der Antrag ist vorliegend nicht infolge der zwischenzeitlichen Fertigstellung des streitgegenständlichen Gebäudes im Rohbau wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses der Antragsteller unzulässig geworden.
1. Zwar entfällt das Rechtschutzbedürfnis für einen Nachbarantrag auf vorläufigen Rechtschutz grundsätzlich mit der Fertigstellung der streitgegenständlichen baulichen Anlage, soweit die befürchteten Beeinträchtigungen von der Anlage als solcher ausgehen (vgl. BayVGH, B. v. 20.7.2007 - 2 CS 07.1473 - juris;
2. Ausnahmsweise kann trotz Fertigstellung des Rohbaus oder gar des gesamten angegriffenen Vorhabens das Rechtschutzbedürfnis im Hinblick auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage fortbestehen, falls sich der Nachbar durch die genehmigte Nutzung der baulichen Anlage in seinen Rechten verletzt sieht (vgl. BayVGH, B. v. 29.9.2014 - 2 CS 14.1786 - juris Rn.3). Soweit sich der Antragsteller durch die Nutzung der genehmigten baulichen Anlagen verletzt sieht, kann diese Rechtsverletzung mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs auch nach Fertigstellung noch verbessert werden mit der Folge, dass das Rechtsschutzinteresse für den einstweiligen Rechtsschutz insoweit weiterbesteht. Das Interesse des Nachbarn ist in dieser Situation darauf gerichtet, eine Nutzung der baulichen Anlagen bis zur abschließenden Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern (vgl. BayVGH, B. v. 29.09.2014 - 2 CS 14.1786 - juris Rn. 2; BayVGH, B. v. 04.03.2009 - 2 CS 08.3331 - juris Rn. 2).
Richtet sich das nachbarliche Interesse in dieser Weise auf eine - vorbeugende - Nutzungsuntersagung, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indessen auch das Interesse des Bauherrn an der einstweiligen Aufnahme bzw. Weiterführung der genehmigten Nutzung zu berücksichtigen mit der Folge, dass den Nachbarn, jedenfalls vorübergehend bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die mit der Nutzung einhergehenden Beeinträchtigungen zuzumuten sein können. Wenn diese Beeinträchtigungen erkennbar und erheblich über das Maß dessen hinausgehen, was die Nachbarn letztlich hinzunehmen haben, ist es gerechtfertigt, bereits vor einer Entscheidung in der Hauptsache die Nutzung der baulichen Anlagen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu unterbinden (vgl. BayVGH, B. v. 29.09.2014 - 2 CS 14.1786 - juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 4.3.2009 - 2 CS 08.3331 - juris Rn. 9).
Vorliegend richtet sich der Rechtsbehelf der Antragsteller primär gegen die beabsichtigte Supermarktnutzung des Neubaugebäudes. Nach summarischer Prüfung ergeben sich vorliegend mehrere Anhaltspunkte, die für eine Verletzung der nachbarschützenden Normen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts durch die streitgegenständliche Baugenehmigung sprechen. Dabei steht insbesondere eine mögliche Verletzung des Rücksichtnahmegobots durch den Betrieb des geplanten Supermarkts im Raum. In Anbetracht der Tatsache, dass es vorliegend um eine mögliche unzumutbare Beeinträchtigung der - regelmäßig besonderes sensiblen - Wohnnutzung durch die von einer gewerblichen Nutzung ausgehenden Lärmimmissionen geht, ist es aus Sicht des Gerichts geboten, dem Interesse der Antragsteller an einer vorbeugenden Unterbindung der geplanten Supermarktnutzung Vorrang einzuräumen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist auch begründet.
Nach § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind - die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage 2012, § 80 Rn. 146; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 71). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Schmidt a. a. O., § 80 Rn. 73 f.).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris RdNr. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B. v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20).
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Bauvorhaben sowohl in bauplanungsrechtlicher als auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht gegen drittschützende Rechte der Antragsteller verstößt.
Als nachbarrechtsrelevante Gesichtspunkte kommen vorliegend die geltend gemachte Verletzung der Abstandsflächenvorschriften durch das streitgegenständliche Vorhaben sowie ein möglicher Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot in Betracht.
1. Soweit sich die Antragsteller auf einen Verstoß des Vorhabens gegen die Abstandsflächenvorschriften berufen, ist zunächst festzustellen, dass das streitgegenständliche Vorhaben zwar in einem vereinfachten Verfahren gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO genehmigt wurde, da es sich keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt. Im vereinfachten Verfahren prüft die Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich nicht mehr das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht des Art. 6 BayBO. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO gehören jedoch die beantragten Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zum Prüfungsumfang. Vorliegend hat die Antragsgegnerin eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO wegen Überschreitung der Straßenmitte des...-weges durch die östliche Abstandsflächen erteilt. Da die andere Hälfte der öffentlichen Straße grundsätzlich dem gegenüberliegenden Grundstückseigentümer für die von ihm einzuhaltenden Abstandsflächen zur Verfügung stehen muss (Dhom/Franz/Rauscher, in: Simon/Busse, BayBO 112. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 72), ist das Grundstück der Antragsteller durch die erteilte Abweichung betroffen, so dass insoweit Abstandsflächen im Prüfprogramm der angefochtenen Baugenehmigung enthalten sind.
2. Nach summarischer Überprüfung der Hauptsache verstößt das Vorhaben voraussichtlich gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts.
Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO müssen die Abstandsflächen grundsätzlich auf dem Grundstück selbst liegen. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO dürfen sie auch auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen liegen, jedoch nur bis zu deren Mitte. Nach dieser Vorschrift stehen der Beigeladenen für die vor ihrer östlichen Gebäudeaußenwand einzuhaltende Abstandsfläche 6 m des 12 m breiten ...-weges zur Verfügung. Die andere Hälfte der ...straße steht grundsätzlich den Antragstellern für die von ihnen einzuhaltenden Abstandsflächen zur Verfügung, gleichsam wie wenn es ihre eigene Grundstücksfläche wäre (vgl. Dhom/Franz/Rauscher, in: Simon/Busse, BayBO 112. EL Januar 2016, Art. 6 Rn. 72). Hier überschreitet das streitgegenständliche Gebäude nach den genehmigten Plänen die Mitte der ...straße um ca. 3 m, da bei einer Tiefe der östlichen Abstandsfläche von 13,75 m bzw. 13,69 nur 4,7 m (abgegriffen) auf eigenem Grund für eine Abstandsfläche zur Verfügung stehen.
Die Antragstellerin hat vorliegend eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen in Richtung Osten zum Grundstück der Antragsteller erteilt. Die erteilte Abweichung ist rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten, da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 BayBO nicht vorliegen, so dass ein Ermessen der Antragsgegnerin nicht eröffnet ist.
2.1 Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen des Bauordnungsrechts zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlichrechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfordert die Zulassung einer Abweichung Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B. v. 13.03.2002 - 2 CS 01.1506 - juris;
2.2 Eine atypische Situation, die die Bebaubarkeit des streitgegenständlichen Grundstücks dergestalt einschränkt, dass eine angemessene bauliche Ausnutzung nur bei einer Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Abstandsflächen in Betracht kommt, liegt nicht vor. Das Vorhabengrundstück kann auch unter Einhaltung der östlichen Abstandsfläche mit einem niedrigeren Gebäude sinnvoll bebaut werden. Im Hinblick auf die nicht unerhebliche Größe des Baugrundstücks Fl.Nr. ... von 1197 m² bestünde auch die Möglichkeit das Gebäude in einem größeren Abstand zu der östlichen Grundstücksgrenze zu situieren, zumal durch das streitgegenständliche Vorhaben die östliche Baulinie überschritten wird. Bei einer Situierung auf der Baulinie würden der Beigeladenen für die östliche Abstandsfläche 12 m zur Verfügung stehen. Allein Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, begründen noch keine Atypik.
2.3 Die seitens der Antragsgegnerin und der Beigeladenen angeführten Argumente für die Erteilung einer Abweichung überzeugen nicht. Die Antragsgegnerin hat in der streitgegenständlichen Baugenehmigung ihre positive Abweichungsentscheidung damit begründet, dass durch die Nichteinhaltung der Abstandsflächen die Belichtung, Belüftung und Besonnung des Grundstücks der Antragsteller nicht negativ beeinträchtigt würden. Öffentliche Belange stünden einer Abweichung unter Berücksichtigung der vorgenannten Anforderungen nicht entgegen.
Selbst wenn vorliegend eine fehlende tatsächliche Beeinträchtigung der Belichtungs-, Belüftungs- und Besonnungsverhältnisse auf dem Grundstück der Antragsteller unterstellt wird, vermag dies das Erfordernis einer grundstücksbezogenen Atypik nicht zu suspendieren. Eine Würdigung der öffentlichrechtlich geschützten nachbarlichen Belange erfolgt nur, wenn die erforderliche Atypik als tatbestandliche Voraussetzung einer Abweichung gegeben ist.
2.4 Eine atypische Fallgestaltung in Anlehnung an Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO ist vorliegend auch nicht aufgrund einer etwaigen tatsächlichen oder rechtlichen Unüberbaubarkeit des Grundstücks der Antragsteller gegeben. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene rechtfertigen die erteilte Abweichung wegen Überschreitung der Straßenmitte im Wesentlichen damit, dass für das Grundstück der Antragsteller durch einen einfachen Bebauungsplan eine Baugrenze festgesetzt sei, die eine Bebaubarkeit des Antragstellergrundstücks im westlichen Bereich einschränke. Zudem sei das zulässige Maß der baulichen Nutzung durch die Umgebungsbebauung eingeschränkt, so dass die den Antragstellern zustehende Straßenhälfte von diesen nicht in Anspruch genommen werden könne bzw. müsse.
Zwar kann bei einer nur einseitig möglichen Bebauung eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO in Betracht kommen (vgl. Dhom/Franz/Rauscher a. a. O. Art. 6 Rn. 72). Es ist vorliegend jedoch nicht davon auszugehen, dass die östliche Straßenhälfte der ...straße seitens der Antragsteller auf Dauer nicht in Anspruch genommen werden kann. Dies würde voraussetzen, dass das Grundstück der Antragsteller auf Dauer nur in einem beschränkten Maße überbaubar ist. Rechtliche Gründe, die einer Überbauung entgegenstehen, liegen nur vor, wenn eine zivilrechtlich dingliche Sicherung besteht, wie die Übernahme der Abstandsflächen durch eine Grunddienstbarkeit und/oder eine inhaltsgleich beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Molodovsky/Famers/Kraus, Komm. zur BayBO, Art. 6 Rn. 99 und 100). Eine Unüberbaubarkeit aus Gründen des öffentlichen Rechts setzt voraus, dass das Maß einer öffentlichrechtlichen Sicherung aufgrund anderer Vorschriften dem der Sicherung durch eine - in Bayern nicht existierende - Baulast vergleichbar sein muss (vgl. OVG NRW, B. v. 17.3.1994 - 11 B 2666/93 - juris Rn. 2 und 3).
Privatrechtliche Gründe für eine dauerhafte Einschränkung der Bebaubarkeit sind hier ersichtlich nicht gegeben.
Vorliegend ist auch durch die Bauraumfestsetzung die Unüberbaubarkeit des westlichen Bereichs des Antragstellergrundstücks nicht mit der im Hinblick auf den massiven Eigentumseingriff, den die Erstreckung der Abstandsfläche auf benachbarte Grundstücke beinhaltet, notwendigen Sicherheit festgeschrieben. Zum einen können von Bauraumfestsetzungen Befreiungen erteilt werden, auch können derartige Festsetzungen obsolet oder in einem Bebauungsplanänderungsverfahren aufgehoben werden (vgl. VG München, U. v. 29.2.2016 - M 8 K 15.5673 - juris Rn. 40; Dhom/Franz/Rauscher a. a. O. Art. 6 Rn. 98). Die westliche Baugrenze ist hier bereits durch das Bestandsgebäude der Antragsteller nicht unerheblich überschritten und damit bereits jetzt nicht konsequent eingehalten. Auch können gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen nach § 14 BauNVO zugelassen werden, die nicht das Privileg des Art. 6 Abs. 9 BayBO in Anspruch nehmen können und somit abstandsflächenpflichtig sind (vgl. VG München, U. v. 29.2.2016 - M 8 K 15.5673 - juris Rn. 41).
Eine Bebauung des Grundstücks der Antragsteller außerhalb des Bauraums ist demnach rechtlich nicht ausgeschlossen.
Es sind ferner auch keine tatsächlichen Gründe ersichtlich, die - zumindest teilweise - einer Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller entgegenstehen würden. Insbesondere ist es nicht ausreichend, dass sich auf dem Grundstück der Antragsteller bereits ein Gebäude befindet, denn eine Erweiterung dieses Gebäudes oder die Errichtung eines zusätzlichen Gebäudes nicht auf Dauer ausgeschlossen ist (vgl. Dhom/Franz/Rauscher a. a. O. Art. 6 Rn. 108).
Erst Recht ist vorliegend nicht gewährleistet, dass auf dem Grundstück der Antragsteller auf Dauer nur eine maximal bis zu dreigeschossige Bebauung verwirklicht werden kann, so dass die westliche Straßenhälfte für die Abstandsfläche der Antragsteller nicht benötigt wird. Das zulässige Maß der baulichen Nutzung ergibt sich hier nach § 34 Abs. 1 BauGB aus der Umgebungsbebauung. Die tatsächlich vorhandene Bebauung in der Umgebung befindet sich stets im Wandel, so dass eine bestimmte Höhenentwicklung im unbeplanten Innenbereich nicht auf Dauer festgeschrieben ist.
Folglich ist festzuhalten, dass schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO nicht vorliegen. Da das Abstandsflächenrecht per se nachbarschützend ist, kann der betroffene Nachbar grundsätzlich - unabhängig von der Würdigung nachbarlicher Belange - das Fehlen der Tatbestandsvoraussetzung einer erteilten Abweichung mit Erfolg beanstanden.
3. Nach summarischer Prüfung verstößt die streitgegenständliche Baugenehmigung auch gegen das nachbarschützende Bauplanungsrecht. Der Genehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom
3.1 Eine Baugenehmigung ist nur dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn sie Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lässt. Der Bauherr muss die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen und Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Zu unbestimmt ist eine Baugenehmigung, wenn sie unter Einbeziehung der genehmigten Bauvorlagen das Vorhaben nicht ausreichend beschreibt und sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale bezieht, deren Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften auszuschließen (vgl. OVG NRW, U. v. 16.12.2014 - 7 A 2623/13 - juris Rn. 33).
Insbesondere muss eine Baugenehmigung sicherstellen, dass durch die beantragte Nutzung keine Lärmimmissionen hervorgerufen werden, die nach dem Gebot der Rücksichtnahme unzumutbar wären. Sie muss die mit Rücksicht auf schutzwürdige nachbarschaftliche Belange gegebenenfalls erforderlichen Beschränkungen selbst klar und im sachlich gebotenen Umfang regeln. Es ist gerade Sinn und Zweck des Baugenehmigungsverfahrens, vor Ausführung des Vorhabens Verletzungen von Nachbarrechten verbindlich und verlässlich auszuschließen und deren Behebung nicht ungewissen und unbestimmten Verfahrensweisen in der Zukunft oder einem begleitenden Verwaltungsvollzug zu überlassen (vgl. BVerwG, B. v. 14.06.2011 - 4 B 3/11 - juris Rn. 6/10). Die Sicherung von Nachbarrechten bei einem Vorhaben, dessen Immissionen die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten, erfordert, dass Nutzungsmöglichkeiten des Vorhabens unter Umständen durch konkrete Regelungen beschränkt und maßgebliche Immissionsrichtwerte oder Beurteilungspegel als Grenzwerte bereits in der Baugenehmigung festgelegt werden (vgl. BayVGH, U. v. 21.10.2010 - 14 B 08.1267 - juris Rn. 35). Nachbarrechte werden bereits dann verletzt, wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt (vgl. BayVGH, U. v. 8.8.2000 - 26 B 96.1956 - juris Rn. 42).
Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist dabei grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinn von § 3 Abs. 1 BlmSchG) und auf dessen materiellrechtliche Maßstäbe (§§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; 22 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG) zurückzugreifen (BayVGH,
3.2 Geht es um die Lösung einer Immissions-Konfliktlage, reicht es in der Regel aus, wenn dem Emittenten aufgegeben wird, beim Betrieb seiner Anlage näher bestimmte Richtwerte einzuhalten (vgl. BVerwG, U. v. 5.11.1968 - I C 29.67
Die Antragsgegnerin hat in der streitgegenständlichen Baugenehmigung die höchstzulässigen Immissionsrichtwerte für das Anwesen der Antragsteller festgelegt. Danach darf bei dem Betrieb des genehmigten Supermarkts mit Bäckerei Café der Immissionsrichtwert von 50 dB(A) tagsüber nicht überschritten werden. Das im Baugenehmigungsverfahren eingeholte Schallschutzgutachten des Ingenieurbüros ... vom 31. März 2015, Bericht Nr. ..., das ausdrücklich zum Inhalt der Baugenehmigung gemacht wurde, geht zwar davon aus, dass diese Immissionsrichtwerte am Anwesen der Antragsteller eingehalten werden. Allerdings liegt dem Gericht eine Stellungnahme des Ingenieurbüros ... vom 22. Februar 2016 vor, die zu dem Ergebnis kommt, dass der in der Baugenehmigung festgelegte maximale Immissionsrichtwert von 50 dB(A) tagsüber um 1 dB(A) überschritten wird. Diese Stellungnahme erscheint bereits deshalb plausibel, weil die ursprüngliche Untersuchung Immissionen, die von den für den Supermarkt genehmigten Stellplätzen ausgehen, vollständig unberücksichtigt gelassen hat. Mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung wurden sieben gewerbliche Stellplätze in der geplanten Tiefgarage genehmigt. Eine ausdrückliche Einschränkung der Nutzung dieser Stellplätze erfolgte nicht, weshalb sie bei der Betrachtung der von der Anlage ausgehenden Lärmimmissionen nicht außer Acht gelassen werden durften. Die Tatsache, dass eine tatsächliche Nutzung der Stellplätze für den Kundenverkehr möglicherweise nicht beabsichtigt ist, muss dagegen bereits wegen der damit verbundenen Unsicherheit für die betroffenen Nachbarn unberücksichtigt bleiben. Maßgeblich ist insoweit die erteilte Baugenehmigung in Verbindung mit der einschlägigen Betriebsbeschreibung vom 10. November 2015, die keine diesbezüglichen Einschränkungen enthält.
Es besteht vorliegend eine Diskrepanz zwischen den in der Baugenehmigung festgelegten und den tatsächlich prognostizierten Immissionsrichtwerten, weshalb eine unzumutbare Beeinträchtigung der Antragsteller durch die von der genehmigten Anlage ausgehenden Lärmimmissionen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der zugunsten der Antragsteller festgesetzte Immissionsrichtwert nicht eingehalten werden wird.
Zwar ist der seitens der Antragsgegnerin in der Klageerwiderung vertretenen Ansicht hinsichtlich einer möglichen Mittelwertbildung in Gemenge- bzw. Randlagen im Grundsatz zuzustimmen (vgl. BVerwG
3.3 Hinzu kommt, dass die im Verfahren durchgeführten Schallschutzuntersuchungen des Ingenieurbüros ... an die Betriebsbeschreibung vom
Die Nutzung eines Vorhabens wird durch eine Betriebsbeschränkung verbindlich definiert und beschränkt. Eine detaillierte und unmissverständliche Betriebsbeschreibung ist insbesondere bei lärmintensiven Anlagen im Hinblick auf den Nachbarschutz unabdingbar. Denn nur anhand einer eindeutigen Betriebsbeschreibung kann der Umfang der legalen Nutzung der Anlage bestimmt werden. Diese Transparenz ist für den Schutz des Nachbarn von erheblicher Bedeutung.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist in Verbindung mit der Betriebsbeschreibung vom
Die Betriebsbeschreibung des streitgegenständlichen Supermarkts mit Bäckerei Café geht davon aus, dass der Betrieb täglich von ca. 3 Lkw mit 12 m Länge, ca. 1-2 Lkw mit Kühlaggregat, 1 Sprinter sowie täglich 1 Lkw mit Kühlaggregat für den Backshop beliefert wird. Bereits die Angaben hinsichtlich der Zahl der täglich zu erwartenden Lieferfahrzeuge sind unbestimmt. Nach dem Wortlaut der Betriebsbeschreibung steht die maximale Zahl der Lieferfahrzeuge, die täglich den streitgegenständlichen Supermarkt anfahren, nicht fest. Durch die Angabe einer „ca.-Zahl“ sind beispielsweise auch 4 Lkw mit einer Länge von 12 m von der Betriebsbeschreibung erfasst, denn deren Wortlaut durchaus Spielraum für eine derartige Auslegung lässt. Diese Unklarheit in der Betriebsbeschreibung ist im Hinblick auf die Nachbarrechte der Antragsteller insoweit relevant, als die eingeholten Schallschutzuntersuchungen, die primär gerade zum Schutz der Nachbarn in Auftrag gegeben werden, auf der Grundlage dieser Betriebsbeschreibung erstellt wurden. Die Untersuchungen gehen von einer täglichen Frequentierung des Betriebes durch maximal 7 Lieferfahrzeuge (6 Lkw und 1 Transporter) aus, obwohl nach der Betriebsbeschreibung auch ein größerer Lieferumfang nicht ausgeschlossen ist. Im Hinblick darauf, dass bereits unter Zugrundelegung des Lieferumfangs mit maximal 7 Lieferfahrzeugen am Tag die in der Baugenehmigung festgelegten Immissionsrichtwerte um 1 dB(A) überschritten werden, liegt es nahe, dass ein größerer Umfang des Lieferverkehrs zu einer weiteren Überschreitung der Richtwerte führen würde. Diese Unklarheit der Baugenehmigung führt dazu, dass eine Verletzung der Nachbarrechte der Antragsteller durch den Betrieb des genehmigten Supermarkts mit Bäckerei Café nicht ausgeschlossen ist.
Soweit die Antragsgegnerin einwendet, dass nach der Bestimmung in Ziffer 3.2.1 Abs. 3 der TA-Lärm eine geringfügige Überschreitung der geregelten Immissionsrichtwerte möglich sei, ist diesem Einwand entgegenzuhalten, dass die Anwendung dieser Norm eine dauerhafte Sicherstellung einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte um nicht mehr als 1 dB(A) voraussetzt. Hier kann von einer auf Dauer gesicherten Beschränkung der Richtwertüberschreitung schon deshalb nicht ausgegangen werden, da die Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2015 einen größeren Lieferumfang - und die damit verbundenen Lärmimmissionen - nicht ausschließt.
3.4 Zwar enthält die streitgegenständliche Baugenehmigung unter Ziffer 5.1.2.7 eine Auflage hinsichtlich des Lieferumfangs. Diese Auflage ist allerdings nicht geeignet, den zulässigen Lieferumfang klar zu definieren. Ziffer 5.1.2.7 der Baugenehmigung legt fest, dass der Anlieferumfang und sonstige Rahmenbedingungen zu Verladung den Angaben im „Kapitel 3.2.2“ entsprechen müssten. Dabei wird in der Baugenehmigung von einem Lieferumfang von insgesamt 6 Lkw ausgegangen. Schon die Formulierung der Auflage lässt nicht klar erkennen, auf welche Quelle sich diese bezieht. Das Gericht kann insoweit nur mutmaßen, dass mit dem „Kapitel 3.2.2“ ein Kapitel der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros ... vom 31. März 2015 Bericht Nr. ... gemeint ist. Zum anderen lässt die Auflage den Transporter für Medienartikel unberücksichtigt, der sowohl in der schalltechnischen Untersuchung als auch in der Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2015 erwähnt und berücksichtigt wurde. Damit bleibt es weiterhin unklar, welcher Lieferumfang letztendlich genehmigt ist.
4. Daher ist die streitgegenständliche Baugenehmigung wegen eines Verstoßes gegen die Abstandsflächenvorschriften sowie aus Gründen des Bauplanungsrechts voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren nachbarschützenden Rechten, weshalb es auf etwaige weitere Unzulänglichkeiten der schalltechnischen Untersuchung vom 31. März 2015 nicht mehr streitentscheidend ankommt.
III.
Nach alldem war dem Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, konnten ihr gemäß § 154 Abs. 3 VwGO anteilig Kosten des Verfahrens auferlegt werden.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziff. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Beschluss, 06. Juli 2016 - M 8 SN 16.349
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht München Beschluss, 06. Juli 2016 - M 8 SN 16.349 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
I.
Die Beschwerde wird verworfen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer des Reihenendhauses ...-str. 115, Fl.Nr. ..., Gemarkung ... Das Reihenendhaus der Kläger bildet mit drei weiteren nordwestlich angrenzenden Häusern eine Reihenhauszeile.
(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
Mit Antrag vom
Der Neubau, zweigeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss, weist demgegenüber eine Grundfläche von 8,145 m x 10,355 m auf. Hierbei wird sowohl die Länge des Hauses in Ost-West-Richtung vergrößert, als auch das Reihenendhaus dergestalt verbreitert, dass die südliche Außenwand soweit vorgesetzt wird, dass sie profilgleich an die Umwehrung des überdachten Balkons des Nachbargebäudes anschließt. Sowohl das Nachbargebäude ...-str. 117 als auch die westlich daran anschließenden Gebäude ...-str. 119 und 121 verfügen über diesen überdachten, 1,20 m tiefen Balkon, der jeweils über die gesamte Südfront des 1. Obergeschosses verläuft.
Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben ist an der Südseite in der Süd-Ost-Ecke ein eingeschossiger Anbau mit den Maßen 4,49 m (Südseite) x 3 m (Ost- und Westseite) mit einer Höhe von 3,20 m (+ 3,25 m vermaßt bei einer Geländeoberkante von - 0,05 m) vorgesehen; auf diesem eingeschossigen Anbau soll eine Dachterrasse errichtet werden, deren Umwehrung im Osten und im Westen um 0,40 m und im Süden um 0,50 m (alle Maße abgegriffen) zurückgesetzt werden soll.
Das Dachgeschoss schließt zwar mit dem im westlichen Teilbereich vorgesehenen Satteldach profilgleich an das Satteldach des Nachbargebäudes ...-str. 117 an, allerdings mit der Maßgabe, dass es auf der Nordseite eine um 0,40 m (abgegriffen, da in den Plänen nicht vermaßt) höhere Traufe aufweist. Im östlichen Teil der Südseite wird das Satteldach zur Hälfte durch die auf einer Breite von 3,30 m bis auf eine Höhe von 7,96 m (+ 7,81 m vermaßt bei einem Gelände, das hier bei - 0,25 m liegt) hochgezogene Außenwand ersetzt. Die östliche Außenwand des Dachgeschosses des Vorhabens ist von der Außenwand der beiden darunter liegenden beiden Geschosse um 1,50 m zurückgesetzt und verfügt über einen horizontalen Abschluss mit einer Höhe, von 8,50 m, wobei auch der nördliche Abschluss dieser östlichen Außenwand von dem darunter liegenden Geschoss um 1,20 m zurückgesetzt ist und auf der Nordseite mit einer Breite von 1,70 m (abgegriffen) und einer Höhe von 8,50 m festgesetzt wird und auch hier insoweit den östlichen Teil des Satteldachs ersetzt.
Weiterhin wird auf der Nordseite in einem Abstand von 1 m vom Nachbargebäude die Außenwand nochmals auf einer Breite von 1,60 m (abgegriffen) und einer Höhe von 8,00 m (abgegriffen, erst ab der Traufe vermaßt) hoch- und vor das insoweit zurücktretende Satteldach vorgezogen.
An der Ostseite des streitgegenständlichen Gebäudes befindet sich auf dem 2. Obergeschoss eine Dachterrasse, deren Geländer auf der Ostseite um 0,45 m, auf der Südseite um 0,40 m und auf der Nordseite um 1,20 m von den darunter liegenden Außenwänden der unteren Geschosse zurückgesetzt ist. Die Dachterrasse verfügt nahezu über ihrer gesamten Länge über eine 1,35 m vor die östliche Außenwand des Dachgeschosses hervortretende Überdachung. In der Ostansicht ist über dieser Überdachung, circa in deren Mitte, die Spitze des zurückgesetzten Satteldaches erkennbar.
Mit Bescheid vom
Laut Aktenvermerk der Beklagten wurde am
Mit Bescheid vom
Zur Begründung wurde zunächst festgestellt, dass die Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren ohne Prüfung, ob das Vorhaben allen Bauvorschriften entspreche und auch die Abstandsflächen eingehalten würden, erteilt worden sei. Der begrenzte Prüfumfang entbinde jedoch nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung aller Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an das Bauvorhaben gestellt werden würden.
Weiterhin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nach Osten und Norden nicht einhalte, weshalb das Vorhaben nicht ausgeführt werden dürfe.
Die Baueinstellung sei daher in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens notwendig, da nur auf diese Weise ordnungsgemäße Zustände hergestellt werden könnten.
Die schriftliche Baueinstellungsverfügung wurde der Klägerin zu 2) mit Postzustellungsurkunde am
Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2015, beim Verwaltungsgericht München
den Baueinstellungsbescheid vom
Gleichzeitig stellten sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Baueinstellungsbescheid vom 8. Dezember 2015 wiederherzustellen (M 8 S 15.5671).
Zur Begründung von Klage und Antrag wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass keine Abstandsflächen anfielen, da Art. 6 Abs. 1 Satz 3 und Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO greifen würden. Im gesamten Gebiet bestehe geschlossene (Reihenhaus-) Bebauung; das klägerische Anwesen könne nur deshalb nicht vollständig an die nördliche Grundstücksgrenze gesetzt werden, da die bestehenden 4 Reihenhäuser ...-str. 115-121 etwas schräg zur Grundstücksgrenze stünden.
Die knapp 3 m breiten Garagengrundstücke im Osten könnten für sich genommen nicht bebaut werden, mit der Folge, dass hier auch Art 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO greife.
Dasselbe gelte im Norden. Die Abstandsfläche falle hier auf den vorbeiführenden Weg Fl.Nr. ..., der ebenfalls nicht bebaut werden könne, weshalb das Vorhaben die volle Breite dieses Weges in Anspruch nehmen könne. Auf den südlichen Flächen der nördlich an den Weg anstoßenden Grundstücke könne aufgrund des Baulinienplanes Nr. ... weder eine irgendwie geartete bauliche Anlage errichtet werden, noch könnten die dort bestehenden Häuser in einer Form erweitert werden, die auch nur theoretisch dazu führen könnte, dass Abstandsflächen bis auf den Weg fielen. Damit stehe nicht nur der Weg, sondern auch südlichen Flächen der nördlich anstoßenden Grundstücke für die Abstandsflächen des Vorhabens zur Verfügung.
Mit Schriftsatz vom
die Klage abzuweisen
und verwies zur Begründung auf ihre Ausführungen vom
Hier legte die Beklagte dar, dass sich die Kläger weder auf Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO noch auf Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO berufen könnten, da das Vorhaben weder an die nördliche noch an die südliche Grundstücksgrenze angebaut sei. Abgesehen davon erlaube § 22 Abs. 3 BauNVO bei geschlossener Bauweise auch nur den Anbau an seitliche Grundstücksgrenzen. Die südlichen Flächen der nördlichen Nachbargrundstücke seien nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Dauer unüberbaubar.
Das Gericht hat am
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten ihre schriftsätzlich angekündigten Anträge stellten, wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom
1. Gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung von Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden.
Eine Baueinstellung kommt sowohl bei genehmigungs- wie nicht genehmigungspflichtigen Bauvorhaben in Betracht. Bei genehmigungspflichtigen Vorhaben kann eine Baueinstellung bei formeller Baurechtswidrigkeit verfügt werden, wenn also für das Vorhaben keine Genehmigung vorliegt oder von genehmigten Plänen abgewichen wird (vgl. Art 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. Art 68 Abs. 5 BayBO). Das Gleiche gilt bei materieller Baurechtswidrigkeit, wenn ein Verstoß gegen Vorschriften im Raum steht, die im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gem. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht geprüft werden. Die Baueinstellung beinhaltet folglich auch keine Aussage über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens, sondern soll nur sicherstellen, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens aufgrund ordnungsgemäßer Bauvorlagen in dem dafür vorgesehenen Verfahren erfolgt bzw. bei einem Verstoß gegen materielle, nicht geprüfte Vorschriften durch die Errichtung keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden (st. Rspr. vgl. BayVGH, B. v. 14.11.2001 - 20 ZB 01.2648 - juris).
Im Hinblick auf die Zweckrichtung der Baueinstellung als bauaufsichtlicher Sofortmaßnahme zur Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen ist diese nicht erst dann gerechtfertigt, wenn feststeht, dass die Bauarbeiten einem rechtswidrigen Vorhaben dienen. Vielmehr reicht für den Erlass der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines formellen oder materiellen Rechtverstoßes aus. Die Bauarbeiten dürfen demgemäß schon dann unterbunden werden, wenn objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht formell oder materiell widersprechender Zustand geschaffen wird (vgl. BayVGH, U. v. 4.7.1973 - Nr. 60 II 71 - BayVBl 1974, 436 und
1.1 Die Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO lagen hier zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses vor und sind auch weiterhin gegeben.
1.1.1 Zurecht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nach Norden zu den Grundstücken ...-str. 16 und 18 (Fl.Nrn. ... und ...) nicht einhält.
Der Abstand der nördlichen Außenwand des Vorhabens zu seiner nördlichen Grundstücksgrenze beträgt zwischen 0,75 m (abgegriffen, nicht vermaßt) an der engsten Stelle im Osten und 1,25 m an der Nord-West-Ecke des Grundstücks. Der Weg (Fl.Nr. ...), der nach Westen zwischen den Reihenhausanlagen ...-str. 115 - 121 und ...-str. 12 - 20 hindurchführt, hat in diesem Bereich eine Breite von 2,40 m (abgegriffen).
Die Traufhöhe der nördlichen Außenwand beträgt 5,80 m - abgegriffen, die Nordseite ist nicht vermaßt, die Wandhöhe auf der Südseite beträgt + 5,75 m, die Geländeoberkante auf der Nordseite liegt bei - 0,05 m, so dass ein Vergleich mit der Südseite ein Maß ergibt, das dem abgegriffenen Maß von 5,80 m entspricht. Zusammen mit dem 1,65 m breiten bis auf eine Höhe von 8 m (abgegriffen, da ebenfalls nicht ab der Geländeoberkante vermaßt) hochgezogenen westlichen Außenwandteil auf der Nordseite und dem zurückgesetzten östlichen Teil der nördlichen Außenwand mit einer Wandhöhe von 8,40 m (vermaßt mit + 8,35 m, Geländeoberkante bei - 0,05 m) ergeben sich Abstandsflächentiefen von 5,80 m, 8 m und 8,40 m. Diese Abstandsflächen fallen im Bereich des Satteldaches mit einer Tiefe von 2,15 m bis 2,65 m (5,80 m Wandhöhe - 2,40 m Weg - 1,25 m/0,75 m Grundstücksbreite), im Bereich des hochgezogenen - westlichen - Wandteils mit einer Tiefe von 4,35 m (8,00 m - 2,40 m - 1,25 m - fällt nur auf die Fl.Nr. ...) und im Bereich des östlichen Außenwandteils der Nordseite mit einer Tiefe von 3,75 m (8,40 m - 2,40 m - 0,75 m - 1,20 m
Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten der Klagepartei kann das Vorhaben im Norden nicht den Wegfall der Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO für sich beanspruchen. Zum einen ist das Vorhaben in einer Entfernung von 0,75 m - 1,25 m von dieser Grundstücksgrenze situiert. Zum anderen bedingt ein Zusammenfallen von Baugrenze und Grundstücksgrenze - anders als bei einer Baulinie - nicht ohne weiteres die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Grenzanbaus im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO.
Die Abstandsflächen dürfen sich auch nicht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO auf die Nachbargrundstücke erstrecken. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO bestimmt, dass sich Abstandsflächen sowie Abstände im Sinne des Satzes 1 des Art. 6 Abs. 2 BayBO ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken dürfen, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden. Rechtliche Gründe, die einer Überbauung entgegenstehen, liegen nur vor, wenn eine zivilrechtlich dingliche Sicherung besteht, wie die Übernahme der Abstandsflächen durch eine Grunddienstbarkeit und/oder eine inhaltsgleich beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Molodovsky/Famers/Kraus, Komm. zur BayBO, Art. 6 Rn. 99 und 100). Öffentlich-rechtliche Gründe stehen der Überbaubarkeit nicht entgegen, da deren Annahme voraussetzt, dass das Maß einer öffentlich-rechtlichen Sicherung aufgrund anderer Vorschriften dem der Sicherung durch eine - in Bayern nicht existierende - Baulast vergleichbar sein muss (vgl. OVG NRW, B. v. 17.3.1994 - 11 B 2666/93 - juris Rn. 2 und 3).
Dementsprechend ist vorliegend auch durch die Bauraumfestsetzung die Unüberbaubarkeit der südlichen Bereiche der beiden Fl.Nrn. ... und ... nicht mit der im Hinblick auf den massiven Eigentumseingriff, den die Erstreckung der Abstandsfläche auf benachbarte Grundstücke beinhaltet, notwendigen Sicherheit festgeschrieben.
Zum einen können von Bauraumfestsetzungen Befreiungen erteilt werden, auch können derartige Festsetzungen obsolet oder in einem Bebauungsplanänderungsverfahren aufgehoben werden. Vorliegend weist die rückwärtige Baugrenze der Reihenhauszeile ...-str. 12 - 20 ohnehin bereits massive Überschreitungen auf. Sie wird in ihrem Geltungsbereich für fünf Grundstücke bereits bei drei Grundstücken nicht unerheblich überschritten.
Auch können gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen nach § 14 BauNVO zugelassen werden, die nicht das Privileg des Art. 6 Abs. 9 BayBO in Anspruch nehmen können und somit abstandsflächenpflichtig sind. Dementsprechend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem
Eine tatsächliche Unüberbaubarkeit ist ebenfalls nicht gegeben. Der Hauptanwendungsfall der tatsächlichen Unüberbaubarkeit liegt dann vor, wenn ein Grundstück oder ein Teilbereich hiervon als Erschließungsfläche benötigt wird; denkbar ist in Ausnahmefällen auch eine Unüberbaubarkeit aufgrund topographischer Besonderheiten. Die Voraussetzungen für eine solche tatsächliche Unüberbaubarkeit liegen bei den beiden Grundstücken Fl.Nrn. ... und ... - auf die die Abstandsflächen des Bauvorhabens mit den oben dargestellten Tiefen fallen - ersichtlich nicht vor, weshalb diese sich auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO auf diese Grundstücke erstrecken dürfen.
Die zweite Alternative des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO - Zustimmung des/der Nachbarn - ist ersichtlich ebenfalls nicht gegeben.
1.1.2 Aufgrund dieses erheblichen Abstandsflächenverstoßes durch die nördliche Außenwand des Vorhabens spielt es keine Rolle, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 8. Dezember 2015 zu Unrecht auch einen weiteren Verstoß hinsichtlich der östlichen Außenwand zu den Fl.Nrn. ..., ... und ... (Garagengrundstücke) angenommen hat, der nach Auffassung des Gerichts nicht vorliegt.
Soweit die Abstandsflächen der Ostseite des Bauvorhabens auf die, diesem nicht zugeordneten Garagengrundstücke fallen, bestehen aufgrund der Vorschrift des Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO hiergegen keine Bedenken. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO bestimmt unter anderem, dass in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen Garagen einschließlich deren Nebenräume zulässig sind. Dies kann aber im Umkehrschluss nur bedeuten, dass auch die Abstandsflächen eines Gebäudes auf die mit der/den Garage(n) bebauten Fläche(n) fallen dürfen, zumal hierdurch die Intentionen des Abstandsflächenrechts, ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung zu gewährleisten, nicht berührt werden. Vielmehr sind diese Belange bei der Zulassung von Garagen in den Abstandsflächen eines Gebäudes eher tangiert, da hier eine Verschattung des Wohngebäudes im Erdgeschossbereich durch die Garage denkbar ist. Demgegenüber lässt eine Verschattung der Garage durch das Wohngebäude diese Belange völlig unberührt, da eine Garage gerade keine Belichtung, Besonnung und Belüftung bedarf, um ihrer Funktion gerecht zu werden.
2. Die Baueinstellungsverfügung ist auch hinsichtlich der Ermessensausübung durch die Beklagte nicht zu beanstanden.
Eine Baueinstellung bezweckt - wie ausgeführt - primär sicherzustellen, dass bei berechtigten Bedenken gegen die Zulässigkeit und/oder die Rechtmäßigkeit des Vorhabens keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Es ist daher regelmäßig sachgerecht, eine entsprechende Verfügung zu erlassen, wenn festgestellt wird, dass ein Bauvorhaben ohne die erforderliche Genehmigung ausgeführt wird oder Umstände die Annahme rechtfertigen, dass gegen materiell-rechtliche Vorschriften verstoßen wird, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht geprüft werden bzw. worden sind (sog. „intendiertes Ermessen“). Die Annahme einer (ausnahmsweisen) Unverhältnismäßigkeit der Verfügung kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die Beklagte bei der östlichen Außenwand zu Unrecht einen Abstandsflächenverstoß angenommen hat. Dem Abstandsflächenverstoß im Norden hat die Beklagte das entsprechende Gewicht beigemessen, so dass dieser Verstoß - gerade auch im Hinblick auf das oben angeführte „intendierte Ermessen“, die Baueinstellungsverfügung trägt. Dieser Abstandsflächenverstoß kann auch nicht ohne Weiteres durch eine entsprechende Abweichung ausgeräumt werden, obwohl grundsätzlich ein atypischer Grundstückszuschnitt vorliegt, da der Bauraum auf dem streitgegenständlichen und den westlich benachbarten Grundstücken in nur geringer Entfernung der nördlichen, schräg verlaufenden Grundstücksgrenzen situiert ist. Allerdings scheitert die Annahme einer atypischen Situation für das Vorhaben daran, dass es sich planungsrechtlich nicht in seine maßgebliche Umgebung einfügt und insoweit auch gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt (vgl. hierzu die Urteilsgründe in dem Verfahren M 8 K 15.2294 und M 8 K 15.2295 - zwischen den Beteiligten und den hier jeweils klagenden Nachbarn). Da der Abstandsflächenverstoß somit nicht ohne Weiteres durch eine entsprechende Abweichung in Bezug auf das streitgegenständliche Bauvorhaben ausgeräumt werden kann, ist die Baueinstellung auch nicht im Hinblick auf eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit unverhältnismäßig.
Für die Begründung der Ermessensentscheidung reicht es aus, wenn darauf hingewiesen wird, dass die Verfügung im Hinblick auf die formelle und/oder materielle Baurechtswidrigkeit, also das Fehlen einer Genehmigung oder sonstigen Zulassungsentscheidung bzw. den Widerspruch zu materiellem Recht, erfolgt ist. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in den Gründen des angefochtenen Bescheides.
3. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung - deren Höhe im unteren Bereich des gesetzlich vorgegebenen Rahmens liegt (vgl. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG) - bestehen nicht. Insbesondere ist es auch nicht zu beanstanden, dass den Klägern keine Frist für die Einstellung der Arbeiten, nach deren Ablauf das Zwangsgeld fällig würde, gesetzt wurde, da das grundsätzliche Erfordernis einer Fristsetzung für die Erfüllung einer Verpflichtung (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) im Falle einer reinen Unterlassungsverpflichtung, um die es sich hier handelt, entfällt (vgl. BayVGH, B. v. 29.3.1993 - 14 CE 93.434 - juris Rn. 31).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden.
(2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut werden. Ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Im Bebauungsplan können weitere nach Art und Umfang bestimmte Ausnahmen vorgesehen werden.
(3) Ist eine Baugrenze festgesetzt, so dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten. Ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.
(4) Ist eine Bebauungstiefe festgesetzt, so gilt Absatz 3 entsprechend. Die Bebauungstiefe ist von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln, sofern im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist.
(5) Wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, können auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 zugelassen werden. Das Gleiche gilt für bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können.
(1) Außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen sind auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Soweit nicht bereits in den Baugebieten nach dieser Verordnung Einrichtungen und Anlagen für die Tierhaltung, einschließlich der Kleintiererhaltungszucht, zulässig sind, gehören zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 auch solche für die Kleintierhaltung. Zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 gehören auch Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien. Im Bebauungsplan kann die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
(1a) In den Baugebieten nach den §§ 2 bis 11 sind Nebenanlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienen, zulässig; Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.
(2) Die der Versorgung der Baugebiete mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser sowie zur Ableitung von Abwasser dienenden Nebenanlagen können in den Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind. Dies gilt auch für fernmeldetechnische Nebenanlagen sowie für Anlagen für erneuerbare Energien, soweit nicht Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 1a Anwendung findet.
(3) Soweit baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen innerhalb von Gebäuden nicht bereits nach den §§ 2 bis 13 zulässig sind, gelten sie auch dann als Anlagen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1, wenn die erzeugte Energie vollständig oder überwiegend in das öffentliche Netz eingespeist wird. In Gewerbe-, Industrie- und sonstigen Sondergebieten gilt Satz 1 auch für sonstige baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie.
(4) In einem Gebiet nach § 11 Absatz 2 für Anlagen, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dienen, sind Anlagen zur Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff zulässig, wenn die Voraussetzungen entsprechend § 249a Absatz 4 gegeben sind. In Gewerbe- und Industriegebieten gilt Satz 1 entsprechend, wenn dort eine Anlage, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient und die keine Nebenanlage im Sinne dieser Vorschrift ist, tatsächlich vorhanden ist. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger sind Eigentümer des Reihenendhauses ...-str. 115, Fl.Nr. ..., Gemarkung ... Das Reihenendhaus der Kläger bildet mit drei weiteren nordwestlich angrenzenden Häusern eine Reihenhauszeile.
(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
Mit Antrag vom
Der Neubau, zweigeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss, weist demgegenüber eine Grundfläche von 8,145 m x 10,355 m auf. Hierbei wird sowohl die Länge des Hauses in Ost-West-Richtung vergrößert, als auch das Reihenendhaus dergestalt verbreitert, dass die südliche Außenwand soweit vorgesetzt wird, dass sie profilgleich an die Umwehrung des überdachten Balkons des Nachbargebäudes anschließt. Sowohl das Nachbargebäude ...-str. 117 als auch die westlich daran anschließenden Gebäude ...-str. 119 und 121 verfügen über diesen überdachten, 1,20 m tiefen Balkon, der jeweils über die gesamte Südfront des 1. Obergeschosses verläuft.
Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben ist an der Südseite in der Süd-Ost-Ecke ein eingeschossiger Anbau mit den Maßen 4,49 m (Südseite) x 3 m (Ost- und Westseite) mit einer Höhe von 3,20 m (+ 3,25 m vermaßt bei einer Geländeoberkante von - 0,05 m) vorgesehen; auf diesem eingeschossigen Anbau soll eine Dachterrasse errichtet werden, deren Umwehrung im Osten und im Westen um 0,40 m und im Süden um 0,50 m (alle Maße abgegriffen) zurückgesetzt werden soll.
Das Dachgeschoss schließt zwar mit dem im westlichen Teilbereich vorgesehenen Satteldach profilgleich an das Satteldach des Nachbargebäudes ...-str. 117 an, allerdings mit der Maßgabe, dass es auf der Nordseite eine um 0,40 m (abgegriffen, da in den Plänen nicht vermaßt) höhere Traufe aufweist. Im östlichen Teil der Südseite wird das Satteldach zur Hälfte durch die auf einer Breite von 3,30 m bis auf eine Höhe von 7,96 m (+ 7,81 m vermaßt bei einem Gelände, das hier bei - 0,25 m liegt) hochgezogene Außenwand ersetzt. Die östliche Außenwand des Dachgeschosses des Vorhabens ist von der Außenwand der beiden darunter liegenden beiden Geschosse um 1,50 m zurückgesetzt und verfügt über einen horizontalen Abschluss mit einer Höhe, von 8,50 m, wobei auch der nördliche Abschluss dieser östlichen Außenwand von dem darunter liegenden Geschoss um 1,20 m zurückgesetzt ist und auf der Nordseite mit einer Breite von 1,70 m (abgegriffen) und einer Höhe von 8,50 m festgesetzt wird und auch hier insoweit den östlichen Teil des Satteldachs ersetzt.
Weiterhin wird auf der Nordseite in einem Abstand von 1 m vom Nachbargebäude die Außenwand nochmals auf einer Breite von 1,60 m (abgegriffen) und einer Höhe von 8,00 m (abgegriffen, erst ab der Traufe vermaßt) hoch- und vor das insoweit zurücktretende Satteldach vorgezogen.
An der Ostseite des streitgegenständlichen Gebäudes befindet sich auf dem 2. Obergeschoss eine Dachterrasse, deren Geländer auf der Ostseite um 0,45 m, auf der Südseite um 0,40 m und auf der Nordseite um 1,20 m von den darunter liegenden Außenwänden der unteren Geschosse zurückgesetzt ist. Die Dachterrasse verfügt nahezu über ihrer gesamten Länge über eine 1,35 m vor die östliche Außenwand des Dachgeschosses hervortretende Überdachung. In der Ostansicht ist über dieser Überdachung, circa in deren Mitte, die Spitze des zurückgesetzten Satteldaches erkennbar.
Mit Bescheid vom
Laut Aktenvermerk der Beklagten wurde am
Mit Bescheid vom
Zur Begründung wurde zunächst festgestellt, dass die Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren ohne Prüfung, ob das Vorhaben allen Bauvorschriften entspreche und auch die Abstandsflächen eingehalten würden, erteilt worden sei. Der begrenzte Prüfumfang entbinde jedoch nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung aller Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an das Bauvorhaben gestellt werden würden.
Weiterhin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nach Osten und Norden nicht einhalte, weshalb das Vorhaben nicht ausgeführt werden dürfe.
Die Baueinstellung sei daher in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens notwendig, da nur auf diese Weise ordnungsgemäße Zustände hergestellt werden könnten.
Die schriftliche Baueinstellungsverfügung wurde der Klägerin zu 2) mit Postzustellungsurkunde am
Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2015, beim Verwaltungsgericht München
den Baueinstellungsbescheid vom
Gleichzeitig stellten sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Baueinstellungsbescheid vom 8. Dezember 2015 wiederherzustellen (M 8 S 15.5671).
Zur Begründung von Klage und Antrag wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass keine Abstandsflächen anfielen, da Art. 6 Abs. 1 Satz 3 und Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO greifen würden. Im gesamten Gebiet bestehe geschlossene (Reihenhaus-) Bebauung; das klägerische Anwesen könne nur deshalb nicht vollständig an die nördliche Grundstücksgrenze gesetzt werden, da die bestehenden 4 Reihenhäuser ...-str. 115-121 etwas schräg zur Grundstücksgrenze stünden.
Die knapp 3 m breiten Garagengrundstücke im Osten könnten für sich genommen nicht bebaut werden, mit der Folge, dass hier auch Art 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO greife.
Dasselbe gelte im Norden. Die Abstandsfläche falle hier auf den vorbeiführenden Weg Fl.Nr. ..., der ebenfalls nicht bebaut werden könne, weshalb das Vorhaben die volle Breite dieses Weges in Anspruch nehmen könne. Auf den südlichen Flächen der nördlich an den Weg anstoßenden Grundstücke könne aufgrund des Baulinienplanes Nr. ... weder eine irgendwie geartete bauliche Anlage errichtet werden, noch könnten die dort bestehenden Häuser in einer Form erweitert werden, die auch nur theoretisch dazu führen könnte, dass Abstandsflächen bis auf den Weg fielen. Damit stehe nicht nur der Weg, sondern auch südlichen Flächen der nördlich anstoßenden Grundstücke für die Abstandsflächen des Vorhabens zur Verfügung.
Mit Schriftsatz vom
die Klage abzuweisen
und verwies zur Begründung auf ihre Ausführungen vom
Hier legte die Beklagte dar, dass sich die Kläger weder auf Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO noch auf Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO berufen könnten, da das Vorhaben weder an die nördliche noch an die südliche Grundstücksgrenze angebaut sei. Abgesehen davon erlaube § 22 Abs. 3 BauNVO bei geschlossener Bauweise auch nur den Anbau an seitliche Grundstücksgrenzen. Die südlichen Flächen der nördlichen Nachbargrundstücke seien nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Dauer unüberbaubar.
Das Gericht hat am
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten ihre schriftsätzlich angekündigten Anträge stellten, wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom
1. Gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung von Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden.
Eine Baueinstellung kommt sowohl bei genehmigungs- wie nicht genehmigungspflichtigen Bauvorhaben in Betracht. Bei genehmigungspflichtigen Vorhaben kann eine Baueinstellung bei formeller Baurechtswidrigkeit verfügt werden, wenn also für das Vorhaben keine Genehmigung vorliegt oder von genehmigten Plänen abgewichen wird (vgl. Art 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. Art 68 Abs. 5 BayBO). Das Gleiche gilt bei materieller Baurechtswidrigkeit, wenn ein Verstoß gegen Vorschriften im Raum steht, die im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gem. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht geprüft werden. Die Baueinstellung beinhaltet folglich auch keine Aussage über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens, sondern soll nur sicherstellen, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens aufgrund ordnungsgemäßer Bauvorlagen in dem dafür vorgesehenen Verfahren erfolgt bzw. bei einem Verstoß gegen materielle, nicht geprüfte Vorschriften durch die Errichtung keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden (st. Rspr. vgl. BayVGH, B. v. 14.11.2001 - 20 ZB 01.2648 - juris).
Im Hinblick auf die Zweckrichtung der Baueinstellung als bauaufsichtlicher Sofortmaßnahme zur Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen ist diese nicht erst dann gerechtfertigt, wenn feststeht, dass die Bauarbeiten einem rechtswidrigen Vorhaben dienen. Vielmehr reicht für den Erlass der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines formellen oder materiellen Rechtverstoßes aus. Die Bauarbeiten dürfen demgemäß schon dann unterbunden werden, wenn objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht formell oder materiell widersprechender Zustand geschaffen wird (vgl. BayVGH, U. v. 4.7.1973 - Nr. 60 II 71 - BayVBl 1974, 436 und
1.1 Die Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO lagen hier zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses vor und sind auch weiterhin gegeben.
1.1.1 Zurecht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nach Norden zu den Grundstücken ...-str. 16 und 18 (Fl.Nrn. ... und ...) nicht einhält.
Der Abstand der nördlichen Außenwand des Vorhabens zu seiner nördlichen Grundstücksgrenze beträgt zwischen 0,75 m (abgegriffen, nicht vermaßt) an der engsten Stelle im Osten und 1,25 m an der Nord-West-Ecke des Grundstücks. Der Weg (Fl.Nr. ...), der nach Westen zwischen den Reihenhausanlagen ...-str. 115 - 121 und ...-str. 12 - 20 hindurchführt, hat in diesem Bereich eine Breite von 2,40 m (abgegriffen).
Die Traufhöhe der nördlichen Außenwand beträgt 5,80 m - abgegriffen, die Nordseite ist nicht vermaßt, die Wandhöhe auf der Südseite beträgt + 5,75 m, die Geländeoberkante auf der Nordseite liegt bei - 0,05 m, so dass ein Vergleich mit der Südseite ein Maß ergibt, das dem abgegriffenen Maß von 5,80 m entspricht. Zusammen mit dem 1,65 m breiten bis auf eine Höhe von 8 m (abgegriffen, da ebenfalls nicht ab der Geländeoberkante vermaßt) hochgezogenen westlichen Außenwandteil auf der Nordseite und dem zurückgesetzten östlichen Teil der nördlichen Außenwand mit einer Wandhöhe von 8,40 m (vermaßt mit + 8,35 m, Geländeoberkante bei - 0,05 m) ergeben sich Abstandsflächentiefen von 5,80 m, 8 m und 8,40 m. Diese Abstandsflächen fallen im Bereich des Satteldaches mit einer Tiefe von 2,15 m bis 2,65 m (5,80 m Wandhöhe - 2,40 m Weg - 1,25 m/0,75 m Grundstücksbreite), im Bereich des hochgezogenen - westlichen - Wandteils mit einer Tiefe von 4,35 m (8,00 m - 2,40 m - 1,25 m - fällt nur auf die Fl.Nr. ...) und im Bereich des östlichen Außenwandteils der Nordseite mit einer Tiefe von 3,75 m (8,40 m - 2,40 m - 0,75 m - 1,20 m
Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten der Klagepartei kann das Vorhaben im Norden nicht den Wegfall der Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO für sich beanspruchen. Zum einen ist das Vorhaben in einer Entfernung von 0,75 m - 1,25 m von dieser Grundstücksgrenze situiert. Zum anderen bedingt ein Zusammenfallen von Baugrenze und Grundstücksgrenze - anders als bei einer Baulinie - nicht ohne weiteres die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Grenzanbaus im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO.
Die Abstandsflächen dürfen sich auch nicht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO auf die Nachbargrundstücke erstrecken. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO bestimmt, dass sich Abstandsflächen sowie Abstände im Sinne des Satzes 1 des Art. 6 Abs. 2 BayBO ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken dürfen, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden. Rechtliche Gründe, die einer Überbauung entgegenstehen, liegen nur vor, wenn eine zivilrechtlich dingliche Sicherung besteht, wie die Übernahme der Abstandsflächen durch eine Grunddienstbarkeit und/oder eine inhaltsgleich beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Molodovsky/Famers/Kraus, Komm. zur BayBO, Art. 6 Rn. 99 und 100). Öffentlich-rechtliche Gründe stehen der Überbaubarkeit nicht entgegen, da deren Annahme voraussetzt, dass das Maß einer öffentlich-rechtlichen Sicherung aufgrund anderer Vorschriften dem der Sicherung durch eine - in Bayern nicht existierende - Baulast vergleichbar sein muss (vgl. OVG NRW, B. v. 17.3.1994 - 11 B 2666/93 - juris Rn. 2 und 3).
Dementsprechend ist vorliegend auch durch die Bauraumfestsetzung die Unüberbaubarkeit der südlichen Bereiche der beiden Fl.Nrn. ... und ... nicht mit der im Hinblick auf den massiven Eigentumseingriff, den die Erstreckung der Abstandsfläche auf benachbarte Grundstücke beinhaltet, notwendigen Sicherheit festgeschrieben.
Zum einen können von Bauraumfestsetzungen Befreiungen erteilt werden, auch können derartige Festsetzungen obsolet oder in einem Bebauungsplanänderungsverfahren aufgehoben werden. Vorliegend weist die rückwärtige Baugrenze der Reihenhauszeile ...-str. 12 - 20 ohnehin bereits massive Überschreitungen auf. Sie wird in ihrem Geltungsbereich für fünf Grundstücke bereits bei drei Grundstücken nicht unerheblich überschritten.
Auch können gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen nach § 14 BauNVO zugelassen werden, die nicht das Privileg des Art. 6 Abs. 9 BayBO in Anspruch nehmen können und somit abstandsflächenpflichtig sind. Dementsprechend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem
Eine tatsächliche Unüberbaubarkeit ist ebenfalls nicht gegeben. Der Hauptanwendungsfall der tatsächlichen Unüberbaubarkeit liegt dann vor, wenn ein Grundstück oder ein Teilbereich hiervon als Erschließungsfläche benötigt wird; denkbar ist in Ausnahmefällen auch eine Unüberbaubarkeit aufgrund topographischer Besonderheiten. Die Voraussetzungen für eine solche tatsächliche Unüberbaubarkeit liegen bei den beiden Grundstücken Fl.Nrn. ... und ... - auf die die Abstandsflächen des Bauvorhabens mit den oben dargestellten Tiefen fallen - ersichtlich nicht vor, weshalb diese sich auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO auf diese Grundstücke erstrecken dürfen.
Die zweite Alternative des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO - Zustimmung des/der Nachbarn - ist ersichtlich ebenfalls nicht gegeben.
1.1.2 Aufgrund dieses erheblichen Abstandsflächenverstoßes durch die nördliche Außenwand des Vorhabens spielt es keine Rolle, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 8. Dezember 2015 zu Unrecht auch einen weiteren Verstoß hinsichtlich der östlichen Außenwand zu den Fl.Nrn. ..., ... und ... (Garagengrundstücke) angenommen hat, der nach Auffassung des Gerichts nicht vorliegt.
Soweit die Abstandsflächen der Ostseite des Bauvorhabens auf die, diesem nicht zugeordneten Garagengrundstücke fallen, bestehen aufgrund der Vorschrift des Art. 6 Abs. 9 Nr. 1 BayBO hiergegen keine Bedenken. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO bestimmt unter anderem, dass in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen Garagen einschließlich deren Nebenräume zulässig sind. Dies kann aber im Umkehrschluss nur bedeuten, dass auch die Abstandsflächen eines Gebäudes auf die mit der/den Garage(n) bebauten Fläche(n) fallen dürfen, zumal hierdurch die Intentionen des Abstandsflächenrechts, ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung zu gewährleisten, nicht berührt werden. Vielmehr sind diese Belange bei der Zulassung von Garagen in den Abstandsflächen eines Gebäudes eher tangiert, da hier eine Verschattung des Wohngebäudes im Erdgeschossbereich durch die Garage denkbar ist. Demgegenüber lässt eine Verschattung der Garage durch das Wohngebäude diese Belange völlig unberührt, da eine Garage gerade keine Belichtung, Besonnung und Belüftung bedarf, um ihrer Funktion gerecht zu werden.
2. Die Baueinstellungsverfügung ist auch hinsichtlich der Ermessensausübung durch die Beklagte nicht zu beanstanden.
Eine Baueinstellung bezweckt - wie ausgeführt - primär sicherzustellen, dass bei berechtigten Bedenken gegen die Zulässigkeit und/oder die Rechtmäßigkeit des Vorhabens keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Es ist daher regelmäßig sachgerecht, eine entsprechende Verfügung zu erlassen, wenn festgestellt wird, dass ein Bauvorhaben ohne die erforderliche Genehmigung ausgeführt wird oder Umstände die Annahme rechtfertigen, dass gegen materiell-rechtliche Vorschriften verstoßen wird, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht geprüft werden bzw. worden sind (sog. „intendiertes Ermessen“). Die Annahme einer (ausnahmsweisen) Unverhältnismäßigkeit der Verfügung kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die Beklagte bei der östlichen Außenwand zu Unrecht einen Abstandsflächenverstoß angenommen hat. Dem Abstandsflächenverstoß im Norden hat die Beklagte das entsprechende Gewicht beigemessen, so dass dieser Verstoß - gerade auch im Hinblick auf das oben angeführte „intendierte Ermessen“, die Baueinstellungsverfügung trägt. Dieser Abstandsflächenverstoß kann auch nicht ohne Weiteres durch eine entsprechende Abweichung ausgeräumt werden, obwohl grundsätzlich ein atypischer Grundstückszuschnitt vorliegt, da der Bauraum auf dem streitgegenständlichen und den westlich benachbarten Grundstücken in nur geringer Entfernung der nördlichen, schräg verlaufenden Grundstücksgrenzen situiert ist. Allerdings scheitert die Annahme einer atypischen Situation für das Vorhaben daran, dass es sich planungsrechtlich nicht in seine maßgebliche Umgebung einfügt und insoweit auch gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt (vgl. hierzu die Urteilsgründe in dem Verfahren M 8 K 15.2294 und M 8 K 15.2295 - zwischen den Beteiligten und den hier jeweils klagenden Nachbarn). Da der Abstandsflächenverstoß somit nicht ohne Weiteres durch eine entsprechende Abweichung in Bezug auf das streitgegenständliche Bauvorhaben ausgeräumt werden kann, ist die Baueinstellung auch nicht im Hinblick auf eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit unverhältnismäßig.
Für die Begründung der Ermessensentscheidung reicht es aus, wenn darauf hingewiesen wird, dass die Verfügung im Hinblick auf die formelle und/oder materielle Baurechtswidrigkeit, also das Fehlen einer Genehmigung oder sonstigen Zulassungsentscheidung bzw. den Widerspruch zu materiellem Recht, erfolgt ist. Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in den Gründen des angefochtenen Bescheides.
3. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung - deren Höhe im unteren Bereich des gesetzlich vorgegebenen Rahmens liegt (vgl. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG) - bestehen nicht. Insbesondere ist es auch nicht zu beanstanden, dass den Klägern keine Frist für die Einstellung der Arbeiten, nach deren Ablauf das Zwangsgeld fällig würde, gesetzt wurde, da das grundsätzliche Erfordernis einer Fristsetzung für die Erfüllung einer Verpflichtung (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) im Falle einer reinen Unterlassungsverpflichtung, um die es sich hier handelt, entfällt (vgl. BayVGH, B. v. 29.3.1993 - 14 CE 93.434 - juris Rn. 31).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
Tenor
Die Berufungen werden zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die im Berufungsverfahren entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Kläger jeweils zur Hälfte; ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung, die die Beklagte der Beigeladenen für eine Veranstaltungsfläche für einen Zeitraum von Juni bis September 2013 erteilt hat.
3Die Veranstaltungsfläche liegt auf der westlichen Rheinseite auf dem Grundstück Gemarkung L. Flur 1, Flurstück 1105 an der D. -de-H. -Straße in der C. S1. . Sie befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans 8020-2 der Beklagten, bekannt gemacht am 2. Juli 1976, der die Fläche als öffentliche Grünfläche (Parkanlage) festsetzt und ausnahmsweise bauliche Anlagen für Erholung und Sport für zulässig erklärt, sofern sie mit der Gesamtplanung S1. übereinstimmen.
4Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Gemarkung C1. , Flur 68, Flurstück 116 mit der Anschrift X.---------weg Nr. 9 in C2. C1. , das auf der östlichen Rheinseite, etwa 550 Meter Luftlinie von der Veranstaltungsfläche entfernt liegt. Auf den Antrag der Kläger erteilte die Beklagte im August 2011 eine Baugenehmigung für ein zweigeschossiges Dreifamilienhaus mit Tiefgarage und Staffelgeschoss, das auf der Grundlage dieser Genehmigung und weiterer Nachtragsgenehmigungen errichtet und Anfang August 2013 bezogen wurde.
5Das Grundstück der Kläger liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
6In nordwestlicher und nordöstlicher Richtung befinden sich Bereiche, in denen reine Wohngebiete ausgewiesen sind. Südöstlich grenzt der C. Teil der S1. an. Hier gilt der Bebauungsplan 8021-15, bekannt gemacht am 21. Mai 1993, der für diesen Bereich eine öffentliche Grünfläche mit der Zweckbestimmung Parkanlage festsetzt. Dort befinden sich ausgedehnte Grünflächen, Radwege und Fußwege, ein Spielplatz sowie Grillplätze, die von der Öffentlichkeit zu Freizeitzwecken genutzt werden; ferner befindet sich dort ein Parkplatz und ein Gärtnereistützpunkt der Beklagten. Etwa 600 m südöstlich des Grundstücks der Kläger verläuft eine Brücke der Bundesautobahn 562 über den Rhein. Östlich des C3. Teils der S1. liegt ein Sondergebiet, in dem ein ausgedehnter Bürokomplex der U. (zuvor U. 1) mit einem Veranstaltungsforum errichtet worden ist.
7Im Dezember 2012 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer temporären Veranstaltungsfläche für den Zeitraum vom 7. Juni bis 22. September 2013. Die geplanten Veranstaltungen sollten unter dem Titel „Kunst!Rasen“ unter anderem Konzerte unter freiem Himmel mit bis zu 10.000 Zuschauern in der genannten Zeitspanne umfassen. Ferner waren vom 16. Juli bis 19. August 2013 die Veranstaltungen „Kunst!Palast“ in einem Veranstaltungszelt Gegenstand des Vorhabens. Schließlich war während des gesamten Zeitraums der „Kunst!Garten“ als Außengastronomie am S. mit bis zu 550 Sitzplätzen Gegenstand des Vorhabens.
8Die Beklagte erteilte der Beigeladenen unter dem 5. Juni 2013 die beantragte Baugenehmigung sowie eine auf den 3. Juni 2013 datierte Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans für eine öffentliche Grünfläche. Gegenstand der Baugenehmigung war u. a. die gutachterliche Prognose der L1. Schalltechnik GmbH vom 30. Mai 2013 sowie eine Betriebsbeschreibung vom 17. Dezember 2012. Die Baugenehmigung enthielt u. a. Nebenbestimmungen zu Maßnahmen zur Schallminderung unter Bezugnahme auf das genannte Gutachten. Die Beklagte legte darin Immissionsrichtwerte gemäß der Freizeitlärmrichtlinie des Landes NRW zugrunde, die auf der Annahme einer Schutzwürdigkeit des Grundstücks der Kläger im Rahmen einer Einstufung als allgemeines – und nicht als reines – Wohngebiet beruhten (u. a. tags in den Ruhezeiten sowie an Sonntagen und Feiertagen 50 dB(A) außerhalb der seltenen Ereignisse im Sinne der Freizeitlärmrichtlinie des Landes NRW); allerdings setzte sie für das Grundstück der Kläger den Höchstwert im Rahmen der im Gutachten näher bezeichneten seltenen Ereignisse nicht nur auf einen um 10 dB(A) höheren Wert, sondern auf 62 dB (A) fest.
9Die Kläger haben am 30. Juli 2013 Klage erhoben, zunächst die Aufhebung der Baugenehmigung begehrt und hierzu vorgetragen:
10Die Bauvorlagen seien zu ihren Lasten unbestimmt. Es bleibe dem Bauherrn überlassen, zu bestimmen, welche Ereignisse seltene Ereignisse im Sinne der Freizeitlärmrichtlinie seien. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass es mehr als zehn seltene Ereignisse gebe. Die Veranstaltungsreihe führe zu unzumutbaren Beeinträchtigungen. Die Beklagte gehe unzutreffend davon aus, dass ihr Grundstück nur den Schutzanspruch eines allgemeinen Wohngebiets habe, das Grundstück liege aber in einem faktischen reinen Wohngebiet. Da im Vorfeld einer Veranstaltung überhaupt nicht absehbar sei, in welcher Intensität Lärm auftreten werde, bestehe für sie keine Ausweichmöglichkeit. Konsequenz der Genehmigung sei folglich, dass ihr Grundstück während der gesamten Sommermonate Schallimmissionen ausgesetzt sei, die die Grenze der Zumutbarkeit deutlich überschritten.
11Die Kläger haben - nach Ablauf des Veranstaltungszeitraums - beantragt,
12festzustellen, dass die Baugenehmigung vom 5. Juni 2013 zu Errichtung einer temporären Veranstaltungsfläche mit Gastronomie auf dem Grundstück D. -de-H. -Straße (Gemarkung L. , Flur 1, Flurstück 1105) einschließlich des Befreiungsbescheides vom 3. Juni 2013 rechtswidrig gewesen ist und sie in ihren Rechten verletzt hat.
13Die Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Die Beigeladene hat vorgetragen: Die Baugenehmigung sei nicht unbestimmt. Es sei sichergestellt, dass bei jedem Konzert festgestellt werden könne, ob es sich um ein seltenes Ereignis handelte. Hätten zehn seltene Ereignisse stattgefunden, seien bei den übrigen Veranstaltungen die entsprechend niedrigeren Richtwerte einzuhalten. Die Baugenehmigung verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Das Grundstück der Kläger liege zwar in einem faktischen reinen Wohngebiet, jedoch grenze der Außenbereich an, was den Schutzanspruch mindere. Wegen der Vorprägung durch den rechtsrheinischen Freizeitpark S1. , durch das Rheinufer mit Radweg und durch den Schiffsverkehr auf dem Rhein müssten die Kläger damit rechnen, dass in ihrer Umgebung Nutzungen stattfinden, die über die in einem reinen Wohngebiet übliche Nutzung hinausgehen. Zu berücksichtigen sei bei der Bewertung des Grundstücks der Kläger auch das linksrheinische Gebiet C2. -H. , das angesichts der vorhandenen Geschäftsgebäude und Bürogebäude insgesamt als Mischgebiet einzuordnen sei.
16Die Beklagte hat sich dem Vortrag der Beigeladenen im Wesentlichen angeschlossen.
17Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass die Baugenehmigung einschließlich des Befreiungsbescheids rechtswidrig gewesen ist. Es hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Baugenehmigung nebst Befreiung verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Kläger durch die von den Veranstaltungen ausgehenden Immissionen unzumutbar beeinträchtigt würden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Baugenehmigung für das Grundstück der Kläger unzutreffend den Immissionsrichtwert eines allgemeinen Wohngebietes nach Nr. 3.1 d) der Freizeitlärmrichtlinie NRW zugrundegelegt habe. Die Baugenehmigung sei auch deshalb rechtswidrig, weil die zum Bestandteil der Baugenehmigung gemachte gutachterliche Prognose vom 30. Mai 2013 nicht hinreichend belastbar sei. Die Baugenehmigung verstoße zudem gegen § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, weil sie die Zeitpunkte, an den seltene Ereignisse erlaubt seien, nicht verbindlich regele.
18Die Beklagte hat am 8. November 2013 und die Beigeladene am 16. November 2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen übereinstimmend vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht ersichtlich. Das Grundstück der Kläger befinde sich nicht inmitten eines faktischen reinen Wohngebiets, sondern am äußersten Rand des Wohngebiets an der Grenze zum Außenbereich. Für diesen Außenbereich setze der Bebauungsplan 8021-15 eine Parkanlage fest. Dabei handele es sich nicht um eine ruhige Parkanlage im Sinne eines Kurparks, vielmehr seien Nutzungen möglich und würden auch ausgeübt, die im Hinblick auf Lärmimmissionen bei weitem über das hinausgingen, was üblicherweise von der Nutzung der Gärten eines Wohngebiets zu erwarten sei. Zudem sei auch der Verkehrslärm zu berücksichtigen. Es sei deshalb sachgerecht, für das Wohngrundstück der Kläger den verminderten Schutzanspruch eines allgemeinen Wohngebiets zugrundezulegen. Die Kritik des Verwaltungsgerichts an der von der Beigeladenen vorgelegten gutachterlichen Prognose überzeuge nicht. Schließlich sei auch nicht von einem Bestimmtheitsmangel der Baugenehmigung auszugehen. Eine Regelung der Zeitpunkte der seltenen Ereignisse in der Baugenehmigung sei nicht notwendig gewesen.
19Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
20unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Köln die Klage abzuweisen.
21Die Kläger beantragen,
22die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen.
23Zur Begründung nehmen sie im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug und tragen vertiefend vor: Auf Vorbelastungen durch Verkehrsgeräusche komme es nicht an. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend das Vorliegen einer Gemengelage und eine daran anknüpfende Verminderung des Schutzanspruchs verneint. Bei dem Komplex C2. -H1. handele es sich lediglich um Bürogebäude, die keine nennenswerten Immissionen verursachten. Soweit in der Rechtsprechung anerkannt sei, dass der Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB als ein Gebiet angesehen werden könne, das für benachbarte Wohnnutzungen zu einer Minderung des Schutzanspruchs führe, sei eine solche Minderung des Schutzanspruchs des betroffenen Grundstückseigentümers nur dann geboten, wenn es um Immissionen eines im Außenbereich nach § 35 BauGB privilegierten oder sonst begünstigten Vorhabens gehe. Eine solche Konstellation sei hier nicht gegeben. Fehlerhaft sei die Genehmigung auch deshalb, weil für die seltenen Ereignisse mit 62 dB(A) ein unzutreffender Höchstwert festgesetzt worden sei. Es seien Obergrenzen gemäß 3.2a der Freizeitlärmrichtlinie anzuwenden, so dass die Immissionsrichtwerte um nicht mehr als 10 dB(A) überschritten werden dürften. Die in der Richtlinie genannten darüber hinaus gehenden Höchstwerte gälten lediglich als gesetzliche Einschränkung für seltene Ereignisse, die Gewerbegebiete beträfen, nicht jedoch für reine Wohngebiete.
24Mit Blick auf die Veranstaltungsreihe im Jahr 2014 machen die Kläger im Wesentlichen geltend, es sei nicht berücksichtigt worden, dass 5 weitere seltene Ereignisse anderer Veranstalter stattgefunden hätten, so dass die zulässige Zahl von 14 Veranstaltungen im Sinne der Freizeitlärmrichtlinie überschritten gewesen sei, zudem seien rechtswidrige Ausnahmegenehmigungen nach dem Landesimmissionsschutzgesetz NRW erteilt worden, darin sei für die seltenen Ereignisse zu Unrecht für ihr Grundstück ein Immissionsrichtwert von 63 dB(A) tags während der Ruhezeiten bzw. an Sonntagen und Feiertagen vorgegeben worden.
25Der Berichterstatter des Senats hat die Örtlichkeit am 12. Dezember 2014 in Augenschein genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten - auch zu dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren des VG Köln 8 L 1097/13 - sowie der beigezogenen Bebauungspläne und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n de :
27Die zulässigen Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Klage ist zulässig (dazu I.) und auch in der Sache begründet (dazu II.).
28I. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere mangelt es nicht an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches Interesse an der Feststellung eines erledigten Veraltungsakts setzt unter dem – hier allein in Betracht kommenden – Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 2006
30- 4 C 12.04 -, ZLW 2007, 303, = juris, m. w. N.
31Die Voraussetzungen für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse sind hier wegen einer Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der Erklärungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nach wie vor erfüllt; die tatsächlichen bzw. rechtlichen Umstände haben sich nicht in wesentlicher Hinsicht geändert.
32Aus den Vorgängen zu den Baugenehmigungen für das Jahr 2014 ergibt sich zwar, dass sich das genehmigte Lärmschutzkonzept geändert hat. Dies betrifft insbesondere den nunmehr zugrundegelegten Immissionsrichtwert von 45 dB(A) statt 50 dB(A) innerhalb der Ruhezeiten am Tag sowie an Sonntagen und Feiertagen, der sich auf das Schutzniveau eines reinen Wohngebiets und nicht mehr lediglich auf das Schutzniveau eines allgemeinen Wohngebiets bezieht. Hierzu haben die Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat indes erklärt, dass die Beklagte erwägt, zu dem Immissionsrichtwert aus der Baugenehmigung für 2013 zurückzukehren. Dass sie hinsichtlich der seltenen Ereignisse an dem Genehmigungskonzept des Jahres 2014 festhalten und gesonderte Ausnahmegenehmigungen nach § 10 Abs. 4 LImSchG NRW erteilen möchte, rechtfertigt keine andere Beurteilung; im Hinblick auf den hierzu festgesetzten - nochmals erhöhten - Höchstwert von 63 dB(A) resultiert allein aus dem Austausch der Rechtsgrundlage keine im Hinblick auf das Rechtsschutzbegehren der Kläger wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände.
33Anhaltspunkte dafür, dass die Klage aus anderen Gründen unzulässig sein könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht mit Blick auf die Aspekte, die die Beigeladene im abgeschlossenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als Gründe für ihre Zweifel an der Zulässigkeit der ursprünglichen Anfechtungsklage benannt hatte.
34II. Die Klage ist auch in der Sache begründet.
35Streitgegenstand ist die Frage, ob die Genehmigung einschließlich der Befreiung (nachbar-)rechtswidrig gewesen ist und das Verwaltungsgericht mithin der Fortsetzungsfeststellungsklage zu Recht entsprochen hat. Für einen solchen Feststellungsausspruch reicht es im Hinblick auf die Genehmigung eines einheitlichen Vorhabens - ebenso wie bei der ursprünglichen Nachbaranfechtungsklage - aus, dass die (Nachbar)-Rechtswidrigkeit unter zumindest einem Aspekt zu bejahen ist. Das ist hier im Hinblick auf die Baugenehmigung und die mit ihr verbundene planungsrechtliche Befreiung der Fall: Das Verwaltungsgericht hat zwar zu Unrecht einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz angenommen (dazu 1.), es hat aber im Ergebnis zu Recht einen Verstoß gegen das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot bejaht (dazu 2.).
361. Die angegriffene Baugenehmigung verstieß nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise gegen den Bestimmtheitsgrundsatz.
37Eine Baugenehmigung muss dem Gebot der hinreichenden Bestimmtheit von Verwaltungsakten (§ 37 VwVfG NRW) genügen. Inhalt, Reichweite und Umfang der mit der Baugenehmigung getroffenen Regelungen müssen sich eindeutig erkennen lassen, damit der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen und Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Eine solche dem Bestimmtheitsgebot genügende Aussage muss der Baugenehmigung selbst gegebenenfalls durch Auslegung entnommen werden können. Dabei müssen die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des Erklärungsinhalts herangezogen werden.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. September 2007 - 10 A 4372/05 -, BRS 71 Nr. 152 = BauR 2008, 81.
39Es kann dahin stehen, ob nach diesen Grundsätzen im Rahmen der Regelungen über Immissionsrichtwerte zum Schutz der Nachbarschaft bei „seltenen Ereignissen“ eine konkrete Festlegung der Tage für die zugelassenen seltenen Ereignisse erfolgen musste.
40Vgl. zur Bestimmtheit bei Regelungen über seltene Ereignisse: OVG NRW, Urteil vom 6. September 2011 - 2 A 2249/09 -, BRS 78 Nr. 89 = BauR 2012, 602, Urteil vom 28. Mai 2013
41- 2 A 3010/11 -, BauR 2013, 1817; Hansmann, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band IV, Anmerkung 20 zu Nr. 7 TA Lärm, Stand 1. April 2014; Feldhaus/Tegeder, TA Lärm, Kommentar, Rn. 17 zu Nr. 7 TA Lärm.
42Denn eine solche Festlegung ist hier bei zutreffender Auslegung der Genehmigung erfolgt. Die der Baugenehmigung beigefügte Nebenbestimmung Nr. 6 nimmt in Satz 2 auf seltene Ereignisse Bezug. Auch in der Nebenbestimmung Nr. 8 wird dies aufgegriffen und angeordnet, dass „die zehn seltenen Ereignisse“ an den maßgeblichen Immissionspunkten X.---------weg 9 und K. Straße 3 bis 5 messtechnisch nachweisbar zu überwachen seien. Dies korrespondiert mit dem Inhalt des Gutachtens vom 30. Mai 2013, das durch grüne Stempelung zum Gegenstand der Genehmigung gemacht ist, und die zu erwartenden zehn seltene Ereignisse datumsmäßig benennt (S. 10). Diese Bestandteile der Genehmigung sind bei einer Gesamtschau aus der Perspektive eines objektiven Adressaten
43- sei es des Bauherrn, sei es eines Nachbarn - dahin zu verstehen, dass diese aufgeführten zehn seltenen Ereignisse verbindlich festgelegt werden sollten. Die insoweit abweichende Auslegung der Genehmigung durch die Beklagte bindet den Senat ebenso wenig wie das entsprechende Verständnis der Beigeladenen und die damit übereinstimmende Sichtweise der Kläger.
442. Die angefochtene Baugenehmigung verstieß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme, das für die Prüfung der Verletzung von Nachbarrechten hier maßgeblich ist.
45Das zu beurteilende Vorhaben liegt in einem Bereich, der durch den nicht qualifizierten Bebauungsplan 8020-2 überplant und im übrigen als nicht in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil gelegen, d. h. als planungsrechtlicher Außenbereich anzusehen ist. Die Beurteilung richtet sich demgemäß nach § 30 Abs. 3 BauGB i. V. m. § 35 BauGB. Soweit für die objektivrechtliche Beurteilung gemäß § 30 Abs. 3 BauGB die Festsetzungen des einfachen Bebauungsplans S1. aus dem Jahr 1976 maßgeblich sind, kommt diesen keine nachbarschützende Wirkung zu. Im Rahmen der ansonsten maßgeblichen Beurteilung nach § 35 BauGB ergibt sich Nachbarschutz allein aus dem bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot, das u. a. in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB verankert ist, wonach eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch ein Vorhaben im Außenbereich insbesondere vorliegt, wenn es schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 -, BRS 55 Nr. 168 = BauR 1994, 354.
47Ausgehend von diesem anzulegenden rechtlichen Prüfungsmaßstab, dessen Konkretisierung in Orientierung an die sog. Freizeitlärmrichtlinie erfolgt (dazu a.), ist ein Verstoß gegen Vorgaben dieser Richtlinie festzustellen (dazu b.), der auch nicht im Rahmen einer Gesamtabwägung als unbeachtlich gewertet werden kann (dazu c.), ob weitere Mängel vorliegen, lässt der Senat offen (dazu d.).
48a. Die Konkretisierung des planungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs des Rücksichtnahmegebots erfolgt hier mit Blick auf den Gegenstand der Baugenehmigung in der Weise, dass sich die Prüfung an der Freizeitlärmrichtlinie NRW orientiert. Denn die TA Lärm ist vorliegend gemäß Nr. 1 Buchst. b) (sonstige nicht genehmigungsbedürftige Freizeitanlagen sowie Freiluft-Gaststätten) nicht unmittelbar anwendbar und die Freizeitlärmrichtlinie stellt im Übrigen in den Ausführungen unter Abschnitt 1. zum Anwendungsbereich klar, dass auch Veranstaltungen der vorliegenden Art (Musikdarbietungen und Rockmusikkonzerte im Freien, Außengastronomie) entsprechend zu beurteilen sind.
49Ein Verstoß gegen das nachbarschützende bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot liegt vor, wenn ein Vorhaben bauaufsichtlich zugelassen wird, von dem Beeinträchtigungen für einen Nachbarn ausgehen, die diesem gegenüber rücksichtslos sind. Maßstab ist, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits in der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke zuzumuten ist.
50Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Januar 2012 - 10 A 2787/09 -.
51Ob einem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten sind, ist grundsätzlich anhand der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung Lärm - TA Lärm) vom 26. August 1998, GMBl. 1998, Seite 503, zu beurteilen.
52Ist die TA Lärm - wie hier - nicht unmittelbar anwendbar und gilt für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Geräuschimmissionen auch kein anderes normatives Regelwerk bindend, bleibt die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschen, gerade von atypischen, wegen ihrer Vielgestaltigkeit in ihren Lärmauswirkungen schwer greifbaren Anlagen, weitgehend der tatrichterlichen Wertung im Einzelfall vorbehalten. Diese Einzelfallwertung richtet sich maßgeblich insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit, dabei sind wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz ebenso mitbestimmend wie eine etwaige tatsächliche oder rechtliche Vorbelastung. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die einzelnen Schallereignisse, Schallpegel und ihre Eigenart sowie ihr Zusammenwirken. Im Rahmen der solchermaßen vorzunehmenden Gesamtabwägung können technische Regelwerke, die der Erfassung der Geräuschcharakteristik und des daraus folgenden Störgrads der jeweils zur Beurteilung anstehenden Anlage am nächsten kommen, als Orientierungshilfe bzw. grober Anhalt herangezogen werden. Hat der Gesetzgeber diese Regelwerke nicht in seinen Regelungswillen aufgenommen, erzeugen sie für Behörden und Gerichte jedoch keine Bindungswirkung und dürfen nicht schematisch angewandt werden, sondern sind nur ein Parameter unter mehreren innerhalb der Gesamtabwägung.
53Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. September 2011 - 2 A 2249/09 -, BRS 78 Nr. 89 = BauR 2012, 602.
54Orientierungshilfe für die Beurteilung ist in diesem Zusammenhang die Freizeitlärmrichtlinie des Landes NRW gemäß dem Runderlass des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 23. Oktober 2006 „Messung, Beurteilung und Verminderung von Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen“ (MBl. NRW 2006, Seite 566) in der Fassung des Runderlasses vom 16. September 2009 (MBl. NRW, Seite 450). Nach diesen Grundsätzen ist hier eine Beurteilung in Orientierung an der Freizeitlärmrichtlinie i. V. m. einer einzelfallbezogenen Gesamtabwägung vorzunehmen.
55b. Die angegriffene Baugenehmigung stand mit den Vorgaben der Freizeitlärmrichtlinie nicht in Einklang; die Beklagte ist zwar von einer zutreffenden Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Grundstücks der Kläger ausgegangen und sie hat danach zutreffende Immissionsrichtwerte für den Normalbetrieb (dazu aa.) angesetzt; der für die sog. seltenen Ereignisse festgesetzte Höchstwert von 62 dB(A) stimmte indes nicht mit der Richtlinie überein (dazu bb.)
56aa. Die Beklagte hat ihrer Entscheidung zutreffend zugrundegelegt, dass die Schutzbedürftigkeit des Grundstücks der Kläger im Sinne der genannten Regelungen dem eines Grundstücks entspricht, das in einem allgemeinen Wohngebiet liegt und dementsprechend von einem Immissionsrichtwert nach Nr. 3.1 d) der Freizeitlärmrichtlinie auszugehen war.
57Nach den vorliegenden Akten ist zunächst mit den Beteiligten anzunehmen, dass sich das Grundstück der Kläger in einem faktischen reinen Wohngebiet befindet, das in dem bislang unbeplanten Viereck der Bebauung entlang des X.---------wegs bis zur F. -C4. -Straße, der S.-----allee und des S1.----------wegs liegt. Dies entspricht dem Eindruck des Berichterstatters, den er bei der Ortsbesichtigung gewonnen und dem Senat in der Beratung vermittelt hat. Unabhängig davon ergibt sich aber für das Grundstück der Kläger aufgrund seiner besonderen Randlage ein gemindertes immissionsschutzrechtliches Schutzniveau; dies führt indes, wie der Senat mit Blick auf die in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Planungsabsichten der Beklagten für die linksrheinische S1. vorsorglich anmerkt, nicht dazu, dass das Grundstück der Kläger einschließlich der oben beschriebenen unbeplanten Umgebung als faktisches allgemeines Wohngebiet im Sinne des Planungsrechts anzusehen ist.
58Nach der Rechtsprechung im Rahmen der Anwendung der TA Lärm bemisst sich die Schutzwürdigkeit nach einem Zwischenwert, wenn ein Grundstück am Rande eines Gebiets liegt, dass an ein Gebiet mit einer in wesentlicher Hinsicht anderen Schutzwürdigkeit grenzt.
59Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. November 2008 - 4 B 58.08 -, juris; Beschluss vom 12. September 2007 - 7 B 24.07 -, juris.
60Der Anwendungsbereich der insoweit angesprochenen Regelungen zur Gemengelage gemäß Nr. 6.7 TA Lärm kann auch eröffnet sein, wenn Wohngebiete an den Außenbereich grenzen.
61Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2013 - 2 B 1336/12 -, BauR 2013, 1078;
62Urteil vom 18. November 2002
63- 7 A 2127/00 -, BRS 65 Nr. 182 = BauR 2003, 517; Feldhaus/Tegeder, TA Lärm, Kommentar, Rn. 58a zu Nr. 6 TA Lärm, jeweils m. w. N.
64Diese Grundsätze sind auch für die Freizeitlärmrichtlinie von Belang, die insoweit keine ausdrücklichen Regelungen enthält, aber eingangs ihrer Nr. 3 grundsätzlich eine Bewertung nach der TA Lärm vorsieht.
65Hier grenzt das Grundstück der Kläger an den Außenbereich. Die südlich des Grundstücks gelegene Parklandschaft der C3. S1. zwischen Rheinufer, dem Bereich unter der Autobahnbrücke und dem Landgrabenweg ist mit dem Bebauungsplan 8021-15 aus dem Jahr 1993 nicht qualifiziert im Sinne von
66§ 30 Abs. 1 BauGB überplant und nach den vorliegenden Karten und Plänen sowie dem den Senatsmitgliedern vermittelten Eindruck des Berichterstatters, den er bei der Ortsbesichtigung gewonnen hat, auch nicht Teil eines Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 BauGB; die Fläche ist deshalb planungsrechtlich als Außenbereich zu werten.
67Bei der Bildung eines Zwischenwerts zwischen bestehenden Baugebieten ist methodisch so vorzugehen, dass die Immissionsrichtwerte zu ermitteln sind, die für die benachbarten Gebiete bei jeweils isolierter Betrachtung maßgeblich sind und daraus unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein Mittelwert
68zu bilden ist.
69Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 2007 - 7 B 24.07 -, juris und vom 6. November 2008 - 4 B 58.08 -, juris, jeweils m. w. N.
70Ausgehend von diesen Grundlagen ist die Annahme einer Schutzwürdigkeit im Sinne eines allgemeinen Wohngebiets mit einem entsprechenden Immissionsrichtwert von 50 dB(A) während der Ruhezeiten am Tag und entsprechenden daran anknüpfenden Werten, die dem Lärmschutzkonzept der Beklagten zu Grunde liegt, nicht zu beanstanden. Dies ergibt eine Mittelung aus dem Wert für reine Wohngebiete von 45 dB(A) und dem Wert für das angrenzende Gebiet des Rheinauenparks von 55 dB(A).
71Für den benachbarten Bereich der südlich angrenzenden S1. wäre bei isolierter Betrachtung ein entsprechender Wert von 55 dB(A) tags während der Ruhezeiten maßgeblich (Nr. 3.1 Buchstabe c) der Freizeitlärmrichtlinie), der auch einem Wert für Dorfgebiete entspräche.
72Angesichts einer Außenbereichslage eines Wohngrundstücks kann ein Kläger nicht die Schutzmaßstäbe eines allgemeinen oder reinen Wohngebiets in Anspruch nehmen. Der Außenbereich ist kein Baugebiet - auch für die im Außenbereich privilegierten baulichen Nutzungen nicht -, sondern soll tendenziell von Bebauung freigehalten werden. Das schließt es allerdings nicht aus, dass im Einzelfall dort, sei es aufgrund privilegierter Nutzung, sei es ohne Privilegierung bei fehlender Beeinträchtigung öffentlicher Belange auch gewohnt werden darf, so dass Wohnnutzungen im Außenbereich nicht schutzlos sein dürfen. Die dort zulässigerweise ausgeübten Wohnnutzungen müssen jedoch damit rechnen, dass sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft privilegierte Nutzungen ansiedeln, zu denen sowohl landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche als auch gewerbliche Nutzungen z. B. gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zählen können. Angesichts dessen kann ein Bewohner des Außenbereichs nur die Schutzmaßstäbe für sich in Anspruch nehmen, die auch für andere gemischte nutzbare Bereiche einschlägig sind, mithin Werte für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete.
73Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. November 2002
74- 7 A 2127/00 -, BRS 65 Nr. 182= BauR 2003, 517
75In Anwendung dieser Grundsätze ist für den südlich des Grundstücks der Kläger gelegenen Bereich der S1. ein entsprechender Wert maßgeblich. Dem kann nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, dass wegen des Parkcharakters dort nicht mit außenbereichstypischen lärmintensiven Nutzungen gerechnet werden müsse, wie die Kläger in Anknüpfung an die Erwägungen des Verwaltungsgerichts geltend machen. Gerade mit Blick auf die planerische Festsetzung einer öffentlichen Parkanlage ist tagsüber typischerweise mit Lärmeinwirkungen durch Freizeitnutzungen zu rechnen. Hierzu haben die Beklagte und die Beigeladene detailliert und überzeugend aufgezeigt, dass wegen der planungsrechtlich abgesicherten besonderen Nutzungsstruktur des Parks als Fläche für Freizeitnutzungen auch aufgrund der entsprechenden tatsächlichen Gestaltungen mit lärmintensiven Nutzungen gerechnet werden muss. Dem entsprach der Eindruck von der Anlage, den der Berichterstatter gewonnen und dem Senat in der Beratung vermittelt hat. Er hat einen Park vorgefunden, der mit den vorhandenen weitläufigen betretbaren Rasenflächen und verschiedenen Einrichtungen, wie etwa Grillstellen und einem überdachten Grillplatz in der Nähe des Grundstücks der Kläger, geeignet ist, insbesondere auch in den wärmeren Monaten des Jahres Besucher anzuziehen, deren verhaltensbedingte Immissionen typischerweise erheblich über das Geräuschniveau eines reinen Wohngebiets hinausgehen. Dies entspricht nach dem Vortrag der Beklagten und der bei der Ortsbesichtigung vorgefundenen Beschilderung des Bereichs auch der Intention der Beklagten. Dabei ist es unerheblich, ob diese Geräusche das Niveau der Schallimmissionen erreichen, die von den Veranstaltungen der Beigeladenen ausging, was die Kläger in der mündlichen Verhandlung in Frage stellen konnten. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang allein, dass dadurch die Schutzwürdigkeit ihres Wohngrundstücks gegenüber dem Niveau anderer Grundstücke in einem reinen Wohngebiet gemindert wird.
76Entgegen der Auffassung der Kläger ist eine Zwischenwertbildung in Bezug auf Vorhaben im Außenbereich nicht nur dann möglich, wenn es um Immissionen solcher Vorhaben geht, die im Außenbereich privilegiert zulässig sind. Insbesondere folgt dies nicht aus der von ihnen herangezogenen Rechtsprechung. Von den oben zugrundegelegten Rechtssätzen geht auch das Verwaltungsgericht Arnsberg aus, auf dessen Rechtsprechung sich die Kläger für ihre Auffassung berufen.
77Vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 6. Dezember 2012 - 7 K 218/11 -, juris.
78Diese Rechtssätze besagen aber nichts dazu, wie ein Zwischenwert zu bilden ist, wenn ein in einem Wohngebiet am Rande des Außenbereichs gelegenes Grundstück zu beurteilen ist.
79Aus den vorstehenden Gründen kann dahingestellt bleiben, ob entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für die Anwendung der Freizeitlärmrichtlinie eine Verminderung der Schutzwürdigkeit eines Wohngrundstücks auch wegen einer bestehenden Vorbelastung durch Verkehrslärm vorzunehmen ist, wie die Beklagte und die Beigeladene in der Berufungsbegründung vorgetragen haben,
80vgl. in diesem Sinne ohne nähere Begründung etwa OVG Berlin-Bbg, Beschluss vom 28. Januar 2010 - OVG 10 S 31.09 -, juris,
81oder ob eine solche Vorbelastung aus Rechtsgründen außer Betracht bleiben muss, wie die Kläger unter Bezugnahme auf die Systematik der TA Lärm dargelegen. Hiervon ausgehend sind die Festsetzungen der Immissionswerte für normale Ereignisse zutreffend erfolgt. Sie belaufen sich nach dem in Bezug genommenen Gutachten auf 50 dB(A) während der Ruhezeiten am Tag und während der Sonntage und Feiertage (vgl. Abschnitt 4.1 und 4.2 und Nebenbestimmung Nr. 6 zur Genehmigung).
82bb. Die Festsetzung eines Höchstwerts von 62 dB(A) bei den seltenen Ereignissen während der Ruhezeiten am Tag und an Sonntagen und Feiertagen, die den Immissionsrichtwert für „normale“ Ereignisse nach Nr. 3.1 der Freizeitlärmrichtlinie nicht nur auf einen um 10 dB(A), sondern um 12 dB(A) höheren Wert anhebt, steht nicht mit der Richtlinie in Einklang.
83Nach der Regelung in Nr. 3.2 der Freizeitlärmrichtlinie gelten besondere Regelungen für Immissionsrichtwerte bei seltenen Ereignissen. Verursacht eine Anlage trotz Einhaltung des Standes der Lärmminderungstechnik nur in seltenen Fällen oder über eine begrenzte Zeitdauer, aber an nicht mehr als zehn Tagen oder Nächten eines Kalenderjahres und in diesem Rahmen auch nicht an mehr als zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden einen relevanten Beitrag zur Überschreitung der Immissionsrichtwerte nach Nr. 3.1 Buchst. b bis f, soll u.a. erreicht werden, dass die Geräuschimmissionen außerhalb von Gebäuden die Immissionsrichtwerte nach Nr. 3.1 b) bis f) um nicht mehr als 10 dB(A), keinesfalls aber die folgenden Höchstwerte überschreiten: Tags außerhalb der Ruhezeiten 70 dB(A), tags innerhalb der Ruhezeiten 65 dB(A), nachts 55 dB(A) Buchstabe a).
84Es handelte sich zwar bei den in Rede stehenden Veranstaltungen, die mit der Baugenehmigung als seltene Ereignisse bestimmt waren, um seltene Ereignisse im Rechtssinne. Seltene Ereignisse im Sinne der Nr. 3.2 der Freizeitlärmrichtlinie NRW sind solche, die als Besonderheiten beim Betrieb der Anlage gelten können, die mit dem bestimmungsgemäßen Anlagenbetrieb zusammen hängen, als solche vorhersehbar und von einer gewissen Dauer sind und die zu einem lärmverursachenden Betrieb führen.
85Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. September 2011 - 2 A 2249/09 -, BRS 78 Nr. 89 = BauR 2012, 602.
86Eine Zulassung zusätzlicher Schallimmissionen über den Wert von 60 dB(A) hinaus ist für den in Rede stehenden Zeitraum nach dieser Systematik der Richtlinie entgegen der Meinung der Kläger auch nicht von vornherein zwingend ausgeschlossen. Für die Festsetzung eines höheren Immissionsrichtwerts - hier von von 62 dB(A) in Ruhezeiten am Tag und an Sonntagen und Feiertagen - hätte es aber nach der Systematik der Freizeitlärmrichtlinie atypischer Umstände, d.h. eines besonderen Grundes bedurft, der eine höhere Geräuschbelastung ausnahmsweise als zumutbar hätte erscheinen lassen können; ein solcher Grund lag hier nicht vor.
87Nach der Richtlinie darf bei seltenen Ereignissen der Immissionsrichtwert nach Nr. 3.1 für normale Ereignisse - hier aus den vorstehenden Gründen für die genannten Zeiträume 50 dB(A) - grundsätzlich nur um 10 dB(A) überschritten werden. Dies ergibt sich aus der zitierten Regelung, die den Ausdruck „soll erreicht werden“ verwendet und damit die geläufige juristische Differenzierung zwischen „Kann-Regelungen“, „Muss-Regelungen“ und „Soll-Regelungen“ in Bezug nimmt. Soll-Vorschriften sind im Regelfall für die Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das „Soll“ ein „Muss“; nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden.
88Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 275, m. w. N.
89Der danach erforderliche besondere Grund, der die Überschreitung des Immissionsrichtwerts um mehr als 10 dB(A) hätte zumutbar erscheinen lassen können, lag hier aber nicht vor.
90Die von der Beklagten herausgestellte besondere kulturelle Bedeutung der Veranstaltungen stellt der Senat nicht in Abrede. Daraus ergibt indes kein besonderer Grund, der die Zulassung der in Rede stehenden Überschreitung als ausnahmsweise für die maßgebliche Nachbarschaft zumutbar hätte erscheinen lassen können. Dagegen spricht neben dem fehlenden örtlichen Bezug der als seltene Ereignisse zugelassenen Konzerte im Rahmen der Veranstaltung auch die volle Ausschöpfung der Höchstzahl von zehn seltenen Ereignissen. Ohne dass es darauf mithin entscheidungstragend ankäme, merkt der Senat in diesem Zusammenhang an, dass sich auch die Erforderlichkeit der Zulassung einer Überschreitung nicht erschließt; aus den vorliegenden Messberichten Nr. 11 03 029/29 bzw. Nr. 11 03 029/30 der L1. Schalltechnik GmbH vom 12. bzw. 17. September 2013, deren Belastbarkeit weder die Beigeladene, die sie selbst vorgelegt hat, noch die Beklagte bezweifelt hat, ergibt sich nämlich, dass bei sämtlichen genehmigten „seltenen Ereignissen“ auf dem Grundstück der Kläger - bei kontinuierlichen Lärmüberwachungen am Immissionsort und Übertragung der Pegelwerte per Funk vom Immissionsort zur Tontechnik - Beurteilungspegel von 60 dB(A) eingehalten werden konnten.
91Aus der Möglichkeit von Ausnahmen nach Nr. 3.4 der Freizeitlärmrichtlinie ergibt sich keine andere Beurteilung. Diese betrifft ohnehin nur die - hier im Jahr 2013 nicht erfolgte - Anwendung der §§ 9, 10 Abs. 4 LImschG NRW und dürfte im Übrigen vorliegend schon deshalb nicht eröffnet sein, weil diese typischerweise auf Volksfeste und Veranstaltungen ähnlichen Charakters zugeschnitten sind, dem es der Veranstaltungsreihe der Beigeladenen offensichtlich fehlte.
92Vgl. zu Erwägungen zur Zumutbarkeit von Geräuschbelastungen bei „sehr seltenen“ z. B. einmal jährlich stattfindenden Ereignissen mit kommunaler Bedeutung: BGH, Urteil vom 26. September 2003 - V ZR 41.03 -, BRS 66 Nr. 175 = BauR 2004, 300.
93c. Eine Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls führt zu keiner anderen Beurteilung; weiterführende, bislang nicht erörterte Aspekte, die eine für die Beklagte bzw. die Beigeladene günstigere Beurteilung bewirken, sind weder nachvollziehbar aufgezeigt noch sonst ersichtlich.
94d. Ob weitere nachbarrechtsrelevante Fehler vorlagen, lässt der Senat offen. Mit Blick auf die dem Lärmschutzkonzept zugrundeliegende Prognose ist indes - wie bereits in der mündlichen Verhandlung erörtert - darauf hinzuweisen, dass die die „normalen“ Ereignisse betreffende Prognose hinsichtlich der Berücksichtigung von Zuschlägen für Impulshaltigkeit und Informationshaltigkeit über die nachgereichten Stellungnahmen vom 29. August und 28. November 2013 hinaus - weiterer Erläuterung bedurft hätte. In den Schreiben der L1. Schalltechnik GmbH wird zur Erläuterung der Prognose (anders als für die Überwachungsmessung) für beide Aspekte einheitlich - unter Bezugnahme auf Erfahrungswerte - ein Zuschlag von 3 dB(A) „in Summe“ angesetzt, ohne dass erläutert würde, wie sich dieser aus beiden Komponenten zusammensetzt. Für eine solche pauschalierende Betrachtung geben die Regelungen zu A.2.5.2 bzw. A.2.5.3 des Anhangs der TA Lärm nichts her. Sie erlauben lediglich, jeweils gesondert für den Aspekt der Impulshaltigkeit bzw. Informationshaltigkeit von 3 bzw. 6 dB(A) abweichende Zuschläge zu vergeben.
95Vgl. hierzu Feldhaus/Tegeder, TA Lärm, Kommentar, Rn. 25 f. zu Anhang Nr. 2.5.
96Offen bleiben kann danach auch, ob die Belastbarkeit der Prognose ungeachtet dessen deshalb nicht durchgreifend in Frage steht, weil die durchgeführten Überwachungsmessungen bestätigt haben, dass es für die „normalen“ Ereignisse nur zu einzelnen Überschreitungen der festgesetzten Immissionsrichtwerte gekommen ist.
97Vgl. zu der Erwägung, rechnerische Bewertungen der Schallimmissionsprognose würden durch über Messungen gewonnene - und damit hinsichtlich der tatsächlichen Lärmeinwirkungen grundsätzlich präzisere, weil realitätsnähere - Erkenntnisse zur genehmigungsbedingten Lärmbelastung überholt: OVG NRW, Urteil vom 28. Mai 2013 - 2 A 3010/11 -, BauR 2013, 1817.
98Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO.
99Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
100Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht ersichtlich sind.
Tenor
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Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
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Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
Gründe
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
- 2
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1. Als grundsätzlich klärungsbedürftig wirft die Beschwerde die Frage auf:
-
Müssen die für den Nachbarschutz notwendigen Regelungen auch dann einheitlich und abschließend in der Baugenehmigung getroffen werden, wenn sichergestellt ist, dass das Rücksichtnahmegebot in einem nachfolgenden fachaufsichtlichen Genehmigungsverfahren nochmals überprüft wird?
- 3
-
Mit dieser Rüge wendet sich die Beschwerde gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Sicherung von Nachbarrechten bei einem Vorhaben, dessen Immissionen die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten würde, erfordere, dass Nutzungsmöglichkeiten des Vorhabens unter Umständen durch konkrete Regelungen beschränkt, maßgebliche Immissionsrichtwerte oder Beurteilungspegel als Grenzwerte bereits in der Baugenehmigung festgelegt werden (UA S. 11 Rn. 35). In tatsächlicher Hinsicht hat das Berufungsgericht dazu festgestellt, es sei nicht zweifelhaft, dass die Immissionsrichtwerte zur Nachtzeit bei seltenen Ereignissen mit Bezug zum Vorhaben der Beigeladenen überschritten werden könnten; eine Überschreitung des Immissionsrichtwerts für Mischgebiete von 45 dB(A) nachts (Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. c TA Lärm) sei nach der Prognoseberechnung des Umweltamts der Beklagten schon ohne die Berücksichtigung seltener Ereignisse anzunehmen. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht von der Beklagten in die angefochtene Baugenehmigung eingefügte einschränkende Regelung Nr. 8.2 habe zur Folge, dass die Beigeladene bei größeren Veranstaltungen, die als seltene Ereignisse bezeichnet würden, die Möglichkeit habe, die Außenbewirtschaftung ohne Beachtung der dem Nachbarschutz durch die Auflagen Nr. 5 bis 8.1 dienenden Beschränkungen erheblich auszuweiten (UA S. 12 Rn. 36).
- 4
-
Es bedarf nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um die aufgeworfene Frage - soweit sie revisionsgerichtlicher Klärung zugänglich ist - zu beantworten. Soweit sie Bundesrecht betrifft, lässt sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres mit dem Berufungsgericht bejahen.
- 5
-
Wie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt ist, regelt die (positive) bauaufsichtliche Genehmigung nach dem Bauordnungsrecht der Länder nicht nur, dass ein bestimmtes Bauvorhaben ausgeführt werden darf; neben diesem gestattenden Teil (Baufreigabe) hat die Baugenehmigung vielmehr die umfassende Feststellung der Vereinbarkeit des Bauvorhabens einschließlich der ihm zugedachten Nutzung mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Inhalt, soweit sie für die baurechtliche Prüfung einschlägig sind (Urteil vom 17. Oktober 1989 - BVerwG 1 C 18.87 - BVerwGE 84, 11 <13 f.>). Des Weiteren ist geklärt, dass wenn die von einer Gaststätte typischerweise zu erwartenden Belästigungen nach der Art des Baugebiets im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO als zumutbar anzusehen sind, dies zugleich bedeutet, dass es sich dabei nicht um schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG handelt (Urteil vom 4. Oktober 1988 - BVerwG 1 C 72.86 - BVerwGE 80, 259 <262>). Soweit die Baugenehmigungsbehörde zuständig ist, entfaltet die feststellende Regelung der Baugenehmigung im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren Bindungswirkung (Urteil vom 17. Oktober 1989 a.a.O. S. 14).
- 6
-
Zur Frage, welche Behörde die insoweit maßgebliche Entscheidung zu treffen hat, hat das Bundesverwaltungsgericht den Grundsatz aufgestellt, dass diese danach zu bestimmen ist, zu welchem in die originäre Zuständigkeit der beteiligten Behörden fallenden Regelungsgegenstand der stärkere Bezug besteht (Urteile vom 4. Juli 1986 - BVerwG 4 C 31.84 - BVerwGE 74, 315 <324>; vom 4. Oktober 1988 a.a.O. S. 262 und vom 27. März 1990 - BVerwG 1 C 47.88 - Buchholz 451.20 § 33i GewO Nr. 9). Danach gilt: Soweit die typischerweise mit der bestimmungsgemäßen Nutzung einer Gaststätte in einer konkreten baulichen Umgebung verbundenen Immissionen zu beurteilen sind, besteht der stärkere Bezug zur Zuständigkeit der Baurechtsbehörde; denn diese typischen Immissionen hängen von Größe, Beschaffenheit und Standort der baulichen Anlage ab, die Gegenstand der Baugenehmigung sind, und nicht vom jeweiligen Gastwirt, dem die Gaststättenerlaubnis - wenn auch in Bezug auf bestimmte Räume - gerade für seine Person erteilt wird (Urteil vom 4. Oktober 1988 a.a.O. S. 262; vgl. auch Metzner, GastG, 6. Aufl. 2002, § 4 Rn. 358; ders. a.a.O. § 5 Rn. 45). Lärmbeeinträchtigungen, die bei so genannten seltenen Ereignissen auftreten, stellen ebenfalls typische mit der Nutzung in der konkreten baulichen Situation verbundene Immissionen dar. Dementsprechend muss bereits die angegriffene Baugenehmigung sicher stellen, dass durch die mit ihr zusätzlich zugelassene Nutzung keine Lärmimmissionen hervorgerufen werden, die nach dem Gebot der Rücksichtnahme unzumutbar wären; sie muss die mit Rücksicht auf schutzwürdige nachbarschaftliche Belange ggf. erforderlichen Beschränkungen selbst klar und im sachlich gebotenen Umfang regeln. Unabhängig davon, dass bei bestimmten Veranstaltungen, die als seltene Ereignisse einzustufen sind, eine gaststättenrechtliche oder sicherheitsrechtliche Genehmigung einzuholen ist, hat - wie das Berufungsgericht ausgeführt hat - die Baugenehmigungsbehörde daher unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall einzuschätzen, in welcher Weise bei der Festsetzung der zulässigen Art und Zahl der seltenen Ereignisse den Belangen der Anwohner unter Berücksichtigung der gebotenen gegenseitigen Rücksichtnahme Rechnung getragen werden muss. Das schließt es nicht aus, dass Einzelheiten der Nutzungsausübung im Einzelfall dem gaststättenrechtlichen Verfahren vorbehalten sein können (Beschlüsse vom 28. November 1991 - BVerwG 1 B 152.91 - Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 18 und vom 20. Oktober 1988 - BVerwG 4 B 195.88 - BRS 48 Nr. 141). Darauf hebt der Senat auch ab in dem von der Beschwerde in Bezug genommenen Urteil vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 - (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 190 - juris Rn. 34), wenn er darauf hinweist, dass allein Beeinträchtigungen, die einen unmittelbaren Bezug zu einem Gaststättenbetrieb aufweisen, als Anknüpfungspunkt für gaststättenrechtliche Anordnungen in Betracht kommen. Einen über diese Grundsätze hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
- 7
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2. Als Verfahrensrüge im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO macht die Beschwerde geltend, das Urteil stelle ein Überraschungsurteil dar, weil das Berufungsgericht die Frage der Teilbarkeit der angefochtenen Baugenehmigung nicht mit den Beteiligten erörtert, insbesondere keine entsprechende Nachfrage an die Beklagte gerichtet habe. Sie wendet sich damit gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Teilaufhebung nur der Nebenbestimmung Nr. 8.2 komme nicht in Betracht, weil das zur Folge hätte, dass die gerichtliche Entscheidung zu einer Baugenehmigung führen würde, die dem Willen der Beklagten nicht entspräche (UA S. 13 Rn. 39). Auch diese Rüge führt nicht zur Zulassung der Revision.
- 8
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Die richterliche Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 49.68 - BVerwGE 36, 264 <266 f.>). Das Berufungsgericht darf deshalb seine Entscheidung nicht auf Tatsachen oder Rechtsgründe stützen, die für einen erstinstanzlich erfolgreichen Beteiligten in Ansehung der Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils überraschend sind (Beschluss vom 4. Juli 2007 - BVerwG 7 B 18.07 - juris Rn. 5). Die Hinweispflicht bezieht sich auf die tragenden ("wesentlichen") Erwägungen des Gerichts. Ein Gericht ist aber grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr; vgl. nur Beschlüsse vom 26. Juni 1998 - BVerwG 4 B 19.98 - BRS 60 Nr. 187 und vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 310 § 137 Abs. 2 VwGO Nr. 12 - juris Rn. 25). Unzulässig sind nur Überraschungsentscheidungen, bei denen die Entscheidung auf neue Gesichtspunkte gestützt wird, ohne dass die Beteiligten damit rechnen konnten.
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Es erscheint schon zweifelhaft, ob das Berufungsgericht als verpflichtet angesehen werden könnte, die beigeladene Bauherrin auf die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit der von einer Nachbarin angefochtenen Baugenehmigung hinzuweisen und zu erörtern, ob - unter Abweisung der Klage im Übrigen - eine Teilaufhebung in Betracht käme. Dass das Berufungsgericht - anders als das Verwaltungsgericht - Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung hatte, dürfte sich der Beigeladenen im Rahmen des in der Sitzungsniederschrift dokumentierten Rechtsgesprächs ohne Weiteres erschlossen haben. Da sich die Klägerin nicht auf eine isolierte Anfechtung der nachträglich eingefügten Nr. 8.2 beschränkt hat und das Berufungsgericht der Klägerin gegenüber auch keine solche Beschränkung nahegelegt hat, musste die Beigeladene damit rechnen, dass das Gericht - wie von der Klägerin beantragt - den rechtswidrigen Verwaltungsakt insgesamt aufheben werde.
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Unabhängig davon genügt es unter dem Blickwinkel des Beruhenserfordernisses nicht, lediglich darauf zu verweisen, dass auf entsprechenden Hinweis vorgetragen worden wäre, dass auch ein Bescheid ohne die Nebenbestimmung Nr. 8.2 dem Willen der Beklagten entsprochen hätte, was sich auch daran zeige, dass die Nebenbestimmung in dem ursprünglichen Ausgangsbescheid nicht enthalten gewesen sei. Die Beigeladene beachtet insofern nicht, dass bei der Beurteilung von Verfahrensfehlern vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Gerichts auszugehen ist. Nach Auffassung des Berufungsgerichts müssen - wie dargelegt - auch im Hinblick auf so genannte seltene Ereignisse bereits in der Baugenehmigung Regelungen im Hinblick auf Lärmbeeinträchtigungen enthalten sein. Der Umstand, dass die Nebenbestimmung Nr. 8.2 nachträglich eingefügt worden war, beruhte dagegen auf der vom Berufungsgericht verworfenen Auffassung, es genüge, für solche Ereignisse gaststättenrechtliche oder sicherheitsrechtliche Genehmigungen einzuholen. Der Ausgangsbescheid enthielt also nur deswegen keine Einschränkung, weil die Beklagte der - auch vom Verwaltungsgericht vertretenen - Auffassung war, Ereignisse im Sinne der Nr. 7.2 TA Lärm seien nicht Regelungsgegenstand der Baugenehmigung. Vor diesem Hintergrund hätte es der substantiierten Darlegung bedurft, dass die Beklagte einen Betrieb genehmigen wollte, bei dem die Nebenbestimmungen Nr. 5 bis 8.1 - insbesondere die Beschränkung des Betriebs nur tagsüber bis 22.00 Uhr sowie das Verbot von Musikdarbietungen jeglicher Art - uneingeschränkt auch im Fall so genannter seltener Ereignisse gelten sollten. Dass die Beklagte bei Erlass des Bescheids einen solchen Regelungswillen hatte, zeigt die Beschwerde nicht auf.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
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Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
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Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
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Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
- 5
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Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
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Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
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Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
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Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
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1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
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a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
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b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
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2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
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3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
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a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
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b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
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c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
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aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
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Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
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bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
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cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
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Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
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Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
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Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
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Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
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dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
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4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
(1) Die Bundesregierung erlässt nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51) mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen des Bundes allgemeine Verwaltungsvorschriften, insbesondere über
- 1.
Immissionswerte, die zu dem in § 1 genannten Zweck nicht überschritten werden dürfen, - 2.
Emissionswerte, deren Überschreiten nach dem Stand der Technik vermeidbar ist, - 3.
das Verfahren zur Ermittlung der Emissionen und Immissionen, - 4.
die von der zuständigen Behörde zu treffenden Maßnahmen bei Anlagen, für die Regelungen in einer Rechtsverordnung nach § 7 Absatz 2 oder 3 vorgesehen werden können, unter Berücksichtigung insbesondere der dort genannten Voraussetzungen, - 5.
äquivalente Parameter oder äquivalente technische Maßnahmen zu Emissionswerten, - 6.
angemessene Sicherheitsabstände gemäß § 3 Absatz 5c.
(1a) Nach jeder Veröffentlichung einer BVT-Schlussfolgerung ist unverzüglich zu gewährleisten, dass für Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie bei der Festlegung von Emissionswerten nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 die Emissionen unter normalen Betriebsbedingungen die in den BVT-Schlussfolgerungen genannten Emissionsbandbreiten nicht überschreiten. Im Hinblick auf bestehende Anlagen ist innerhalb eines Jahres nach Veröffentlichung von BVT-Schlussfolgerungen zur Haupttätigkeit eine Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Verwaltungsvorschrift vorzunehmen.
(1b) Abweichend von Absatz 1a
- 1.
können in der Verwaltungsvorschrift weniger strenge Emissionswerte festgelegt werden, wenn - a)
wegen technischer Merkmale der betroffenen Anlagenart die Anwendung der in den BVT-Schlussfolgerungen genannten Emissionsbandbreiten unverhältnismäßig wäre und dies begründet wird oder - b)
in Anlagen Zukunftstechniken für einen Gesamtzeitraum von höchstens neun Monaten erprobt oder angewendet werden sollen, sofern nach dem festgelegten Zeitraum die Anwendung der betreffenden Technik beendet wird oder in der Anlage mindestens die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionsbandbreiten erreicht werden, oder
- 2.
kann in der Verwaltungsvorschrift bestimmt werden, dass die zuständige Behörde weniger strenge Emissionsbegrenzungen festlegen kann, wenn - a)
wegen technischer Merkmale der betroffenen Anlagen die Anwendung der in den BVT-Schlussfolgerungen genannten Emissionsbandbreiten unverhältnismäßig wäre oder - b)
in Anlagen Zukunftstechniken für einen Gesamtzeitraum von höchstens neun Monaten erprobt oder angewendet werden sollen, sofern nach dem festgelegten Zeitraum die Anwendung der betreffenden Technik beendet wird oder in der Anlage mindestens die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionsbandbreiten erreicht werden.
(2) (weggefallen)
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
- 2
-
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
- 3
-
Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
- 4
-
Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
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Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
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Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
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Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
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Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
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1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
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a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
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b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
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2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
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3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
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a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
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b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
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c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
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aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
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Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
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bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
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cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
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Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
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Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
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Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
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Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
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dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
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4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.