Verwaltungsgericht München Beschluss, 09. März 2017 - M 22 E 17.776

bei uns veröffentlicht am09.03.2017

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zur Behebung ihrer Obdachlosigkeit eine Unterkunft zuzuweisen und vorläufig zur Verfügung zu stellen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft durch die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung.

Dazu hat die Antragstellerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Die Antragstellerin war zuletzt in … gemeldet, wo sie in einer Wohnung bis Herbst 2016 lebte. Aufgrund von Arbeitslosigkeit und fehlender finanzieller Mittel musste sie ihre Wohnung aufgeben und kam anschließend bei einer Bekannten in … unter. Nachdem die Bekannte der Antragstellerin am Abend des 16. Februars 2017 gegen 19 Uhr erklärt habe, dass die Antragstellerin nicht länger bei ihr wohnen könne, habe sie die Wohnung der Bekannten verlassen. Da sie sich in … nicht hinreichend ausgekannt habe, (um sich für die bevorstehende Nacht eine Unterkunft zu organisieren) sei sie nach München zum Marian Platz gefahren und habe sich dort vom 16. bis 21. Februar 2017 ein Zimmer in einer Pension genommen. Die Kosten habe sie mit eigenen finanziellen Mitteln bestritten. Da ihr Erspartes jedoch zur Neige gegangen sei, habe sie das Pensionszimmer aufgeben und seitdem in Notschlafplätzen in München nächtigen müssen.

Am 22. Februar 2017 sprach die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin vor und beantragte eine obdachlosenrechtliche Unterbringung.

Die Antragsgegnerin lehnte die Unterbringung der Antragstellerin ab, da sie sich nicht für örtlich zuständig hielt, und verwies die Antragstellerin im Hinblick auf eine obdachlosenrechtliche Unterbringung an die Gemeinde … Die Gemeinde … hat der Antragstellerin ebenfalls erklärt, dass sie ihr nicht helfen könne, da die Antragstellerin nie in … gemeldet gewesen sei.

Die von der Antragsgegnerin als Notmaßnahme angebotene Unterbringung im Rahmen des Kälteschutzprogramms wurde von der Antragstellerin abgelehnt.

Am 24. Februar 2017 beantragte die Antragstellerin zur Niederschrift, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu verpflichten, ihr vorläufig eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen.

Mit beim Gericht am 2. März 2017 per Fax eingegangenem Schriftsatz beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt sie vor, dass sie zur obdachlosenrechtlichen Unterbringung der Antragstellerin nicht örtlich zuständig sei, da die Obdachlosigkeit der Antragstellerin bereits mit Verlassen der Wohnung der Bekannten in … eingetreten sei. Das kurzfristige viertägige Unterkommen in der Pension in München habe insbesondere aufgrund der absehbaren kurzen Zeitdauer die Obdachlosigkeit der Antragstellerin nicht behoben.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder dro-hende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl den (aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten) Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungs-grund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

2. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen hier vor, da die Antragstellerin einen gegen die Antragsgegnerin gerichteten Anordnungsanspruch auf (vorläufige) Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit sowie einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft machen konnte.

Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf der Grundlage des glaubhaft gemachten Vorbringens der Antragstellerin gebotenen Prüfung ist die Antragsgegnerin für die Unterbringung der Antragstellerin insbesondere örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit für eine sicherheitsrechtliche Anordnung zur Behebung von Obdachlosigkeit auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVGrichtet sich gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG danach, wo der entscheidende Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Zuständig für ein sicherheitsrechtliches Einschreiten zur Beseitigung der mit der Obdachlosigkeit einhergehenden Gefahr ist die Gemeinde, in der die aktuelle (streitgegenständliche) Obdachlosigkeit entstanden ist oder unmittelbar droht. Maßgeblich ist insoweit nicht, wo die Antragstellerin gemeldet ist oder war, bzw. wo sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, sondern wo sie aktuell obdachlos geworden ist (BayVGH, B.v. 26.4.1995 - 4 CE 95.1023 - BayVBl. 1995, 729). Indem ein Betroffener vom Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) Gebrauch macht, kann er in gewissem Umfang darauf Einfluss nehmen, wo die Obdachlosigkeit eintritt (BayVGH a.a.O.). Dies liegt in der Regelungsnatur des Sicherheitsrechts begründet, welches darauf gerichtet ist, die Gefahr dort zu bekämpfen, wo sie auftritt.

Das Ersuchen ist nur ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn sich der Betroffene beispielsweise allein deshalb an einen bestimmten Ort begibt, um dort Obdach zu beantragen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 30.7.2012 - 4 CE 12.1576 - juris Rn. 18; B.v. 7.1.2002 - 4 ZE 01.3176 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 26.4.1995, BayVBl 1995, 729/730; Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand Juli 2013, Art. 7 Rn. 174, 179).

Im vorliegenden Fall kann auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerin nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Antragstellerin treuwidrig nach München begeben hat, um dort rechtsmissbräuchlich Obdach zu beantragen. Unabhängig von dem Umstand, dass sich die Antragstellerin beim Verlassen der Wohnung ihrer Bekannten in … wohl auch an die dortige Gemeinde mit dem Begehren einer Obdachlosenunterbringung hätte wenden können, sind die Fahrt nach München sowie die Anmietung eines dortigen Pensionszimmers für wenige Tage jedenfalls vorliegend nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Die Antragstellerin hat glaubhaft vorgetragen, dass sie an dem Abend, als sie die Wohnung ihrer Bekannten verlassen musste, keine andere Möglichkeit sah, als sich in München ein Pensionszimmer zu nehmen. Auch der Umstand, dass die Antragstellerin wusste, dass ihre finanziellen Mittel nur wenige Tage für die Anmietung ausreichen würden, begründet keine Treuwidrigkeit. Die Antragstellerin war auf eine kurzfristige Lösung angewiesen.

3. Es sei aber darauf hingewiesen, dass diese Unterkunft nicht als Dauerlösung angesehen werden darf, sondern lediglich Überbrückungscharakter hat. Der Antragstellerin obliegt es daher gleichwohl, sich - gegebenenfalls mit Unterstützung des zuständigen Sozialleistungsträgers - im Rahmen der durch das SGB geschaffenen Möglichkeiten alsbald selbst eine geeignete Wohnmöglichkeit zu verschaffen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 123


(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ant

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 53 Einstweiliger Rechtsschutz und Verfahren nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 920 Arrestgesuch


(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. (2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. (3) Das Gesuch kann vor der

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 11


(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der

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bei uns veröffentlicht am 30.03.2017

Tenor Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zur Behebung ihrer Obdachlosigkeit eine Unterkunft zuzuweisen und vorläufig zur Verfügung zu stellen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antra

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen,
2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts,
3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung),
4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und
5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.

(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:

1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung,
2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung,
3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung,
4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und
5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.