Verwaltungsgericht München Beschluss, 25. Juni 2015 - M 16 S 15.50309

published on 25/06/2015 00:00
Verwaltungsgericht München Beschluss, 25. Juni 2015 - M 16 S 15.50309
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Gericht

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Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger und am 6. Dezember 2014 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 19. Dezember 2014 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.

Am 13. Februar 2015 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-Verordnung) an Ungarn. Die ungarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 26. Februar 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.

Mit Bescheid vom ... März 2015, zugestellt am 13. März 2015, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn an. Ungarn sei gemäß Art. 18 Abs. 1 b) Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Außergewöhnliche Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich.

Am 18. März 2015 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers hiergegen Klage (M 16 K 15.50308) erhoben und beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Unter Bezugnahme auf verschiedene Erkenntnismittel wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren in Ungarn leide unter Systemmängeln. Der Antragsteller sei in Ungarn drei Tage im Gefängnis gewesen und dann weitergeflohen. Er habe einen Rechtsanspruch darauf, dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch mache. Dem Antragsteller drohe aufgrund der Zustände in den ungarischen Aufnahmeeinrichtungen eine menschenunwürdige Behandlung. Art. 7 der Dublin Durchführungsverordnung Nr. 1560/2003 sehe die Möglichkeit der Ausreise auf Initiative des Asylbewerbers oder die kontrollierte Ausreise durch Begleitung des Asylbewerbers bis zum Besteigen des Beförderungsmittels vor. Beides sei dem Antragsteller nicht einmal angeboten worden. Auch deshalb sei die Abschiebungsanordnung rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin hat die einschlägigen Akten vorgelegt. Ein Antrag wurde nicht gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten auch im Verfahren M 16 K 15.50308 und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der nach § 34a Abs. 2 AsylVfG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.

An der Rechtsmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers ist gemäß Art. 18 Abs. 1 b) der Verordnung (EG) 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) Ungarn zuständig. Dementsprechend haben die ungarischen Behörden ihr Einverständnis mit der Wiederaufnahme des Antragstellers erklärt.

Eine Überstellung an Ungarn als den zuständigen Mitgliedstaat hat hier auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO zu unterbleiben. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Rücküberstellung nach Ungarn infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GR-Charta) ausgesetzt wäre. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Grundrechtecharta (GR-Charta) entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris; BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35/14 - juris).

Nach Überzeugung des Gerichts liegen - jedenfalls soweit es sich nicht um besonders schutzbedürftige Personen handelt - hinsichtlich Ungarn aus derzeitiger Sicht keine systemischen Mängel vor. Auch wenn nach aktueller Erkenntnislage die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Ungarn schwierig sind, erreichen die Missstände kein solches Ausmaß, dass sie systemische Mängel begründen könnten. Dies gilt auch in Anbetracht des im Juli 2013 in Ungarn in Kraft getretenen Gesetzes, wonach die Inhaftierung von Asylsuchenden bis zu sechs Monaten u. a. nach dessen Untertauchen oder anderweitiger Behinderung der Durchführung des Asylverfahrens möglich ist. Diese Einschätzung entspricht auch der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 12.6.15 - 13a ZB 15.50097 - m. w. N.).

Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO rechtfertigen würden, sind vom Antragsteller weder geltend gemacht noch ersichtlich.

Der Abschiebung des Antragstellers stehen auch keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse entgegen, zu deren Prüfung das Bundesamt in Fällen der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG verpflichtet ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - juris). Soweit sich der Bevollmächtigte des Antragstellers auf die Vorschrift des Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission bezieht, in der verschiedene Modalitäten der Überstellung geregelt sind, ist nicht ersichtlich, welche subjektiven Rechte sich hieraus für den Antragsteller ergeben könnten.

Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylVfG unanfechtbar.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der
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published on 12/06/2015 00:00

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung g
published on 12/03/2014 00:00

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,-- Euro festgesetzt. Gründe
published on 06/06/2014 00:00

Gründe I. 1 Der Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angab
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.