Verwaltungsgericht Minden Beschluss, 18. Feb. 2015 - 10 L 107/15.A
Gericht
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin U. , C. , wird abgelehnt.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin im Verfahren 10 K 289/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. November 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen, wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragstellerin.
1
G r ü n d e :
2I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin U. , C. , wird abgelehnt, weil die Antragstellerin trotz Aufforderung durch gerichtliche Verfügung vom 5. Februar 2015 keine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat (§§ 166 VwGO, 117 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 ZPO). Darüber hinaus bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung - wie sich aus den Ausführungen unter II. ergibt - auch nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.
3Zu diesem Begriff vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 u.a. -, BVerfGE 81, 347 (juris Rn. 26 ff.), sowie vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, NJW 2008, 1060 (juris Rn. 20 ff.).
4II. Der Antrag,
5die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin im Verfahren 10 K 289/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. November 2014 enthaltene Abschiebungsanordnung anzuordnen,
6ist jedenfalls unbegründet. Die im Verfahren nach § 34a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus, da sich die Abschiebungsanordnung als rechtmäßig erweist.
71. Für die vorzunehmende Interessenabwägung gelten die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anwendbaren allgemeinen Grundsätze. Dementsprechend ist das Interesse der Antragstellerin an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung gegen das öffentliche Interesse an deren alsbaldiger Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen.
8Dagegen setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage anders als in Fällen der Unbeachtlichkeit oder der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags (§ 36 Abs. 1 und 4 Satz 1 AsylVfG) nicht voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Im Gegensatz zu § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG enthält § 34a Abs. 2 AsylVfG keine entsprechende Einschränkung. Ein Antrag, § 34a Abs. 2 AsylVfG entsprechend zu fassen, fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit.
9Vgl. VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013 - 5 L 1234/13.TR -, juris Rn. 5 ff. mit ausführlicher Darstellung des Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens; VG Darmstadt, Beschluss vom 9. Mai 2014 - 4 L 491/14.DA.A -, juris Rn. 2.
102. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig. Nach dieser Norm ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
11a) Dass § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG keine Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise vorsieht, ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann offen bleiben, ob das Unionsrecht es dem nationalen Gesetzgeber freistellt, ob er betroffenen Ausländern eine Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise einräumt
12- so z.B. OVG Bremen, Beschluss vom 3. November 2009 - 2 A 460/06 -, AuAS 2010, 7 (juris Rn. 8 f.); Hessischer VGH, Beschluss vom 31. August 2006 - 9 UE 1464/06.A -, ZAR 2007, 28 (juris Rn. 32 ff.) -
13oder ob es dem nationalen Gesetzgeber zwingend vorgibt, neben der Abschiebung als milderes Mittel auch eine freiwillige Ausreise sowie eine kontrollierte Ausreise vorzusehen.
14So VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014- A 11 S 1285/14 -, NVwZ 2015, 92 (juris Rn. 31 ff.).
15Auch wenn von Letzterem auszugehen wäre, lässt sich den unionsrechtlichen Vorgaben jedenfalls nicht entnehmen, dass den betroffenen Ausländern zunächst generell die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise in der Weise eingeräumt werden muss, dass ihnen die Abschiebung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise anzudrohen ist. Vielmehr genügt es den unionsrechtlichen Vorgaben, wenn die für den Vollzug der Abschiebungsanordnung zuständigen Ausländerbehörden betroffenen Ausländern die Gelegenheit bieten freiwillig auszureisen, sofern sie zu der Auffassung gelangen, dass eine Abschiebung (zunächst) nicht erforderlich ist und unverhältnismäßig wäre, insbesondere die Voraussetzungen gemäß § 58 Abs. 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen.
16Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014- A 11 S 1285/14 -, NVwZ 2015, 92 (juris Rn. 33 ff.).
17b) Das Bundesamt ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass Bulgarien für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin zuständig ist.
18aa) Welcher Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, richtet sich nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen. Dies ergibt sich aus § 27a AsylVfG, auf den § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch insoweit verweist. Hier bestimmt sich die Zuständigkeit für die Durchführung des Verfahrens der Antragstellerin nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180, S. 31, sog. Dublin III-VO). Diese Verordnung und nicht deren Vorgängerverordnung, die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. L 50, S. 1, sog. Dublin II-VO) ist hier einschlägig, weil die Antragstellerin ihren Antrag auf internationalen Schutz i.S.d. Art. 2 lit. b) VO 604/2013, am 21. Juli 2014 und damit nach dem 1. Januar 2014 als dem gemäß Art. 49 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VO 604/2013 für die Eröffnung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung maßgeblichen Zeitpunkt gestellt hat.
19Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden. Welcher Mitgliedstaat dies ist, bestimmt sich nach den Kriterien der Art. 8 bis 15 VO 604/2013 und zwar in der Rangfolge ihrer Nummerierung (Art. 7 Abs. 1 VO 604/2013). Lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedsstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013).
20bb) Bei Anwendung dieser Kriterien ist Bulgarien für die Durchführung des Verfahrens der Antragstellerin zuständig. Diese Zuständigkeit ist auch nicht zwischenzeitlich auf einen anderen Staat übergegangen.
21(1) Die primäre Zuständigkeit Bulgariens folgt mangels Vorliegens vorrangiger Kriterien gemäß Art. 8 bis 12 VO 604/2013 aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO 604/2013. Danach ist der Mitgliedstaat zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn zum einen hat die Antragstellerin anlässlich ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 21. Juli 2014 selbst angegeben, sie sei, ohne im Besitz eines Visums für die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen Staat gewesen zu sein, über Bulgarien gereist. Und zum anderen wird dieser Vortrag durch den von der Antragsgegnerin erzielten Eurodac-Treffer der Kategorie "2" für Bulgarien bestätigt. Dieser Treffer besteht aus der Länderkennung BG für Bulgarien und einer 17-stelligen Zahlen- und Buchstabenkombination. Die Ziffer unmittelbar nach der Länderkennung - im vorliegenden Fall eine 2 - gibt den Grund für die Abnahme von Fingerabdrücken an, wobei eine 1 für „Asylbewerber“ und damit für die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz und eine 2 für "illegale Einreise" steht.
22Vgl. Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) 2725/2000 über die Einrichtung von Eurodac für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens (ABl. L 62, S. 1); Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 1/2012, S. 1.
23(2) Art. 13 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 steht der so begründeten Zuständigkeit Bulgariens nicht entgegen. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Norm die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Verfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 VO 604/2013, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es etwa unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Antrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob die zwölfmonatige Frist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
24Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, DVBl. 2014, 790 (juris Rn. 46 ff.) zu den im Wesentlichen gleichlau-tenden Bestimmungen der Art. 10 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 VO 604/2013.
25Danach steht Art. 13 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 einer Zuständigkeit Bulgariens nicht entgegen. Die Antragstellerin ist ihren eigenen Angaben zufolge im September 2013 nach Bulgarien eingereist. Zwar ergibt sich - wie bereits dargelegt - aus dem Eurodac-Treffer der Kategorie "2", dass die Antragstellerin in Bulgarien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Sie hat einen solchen Antrag jedoch am 21. Juli 2014 und damit innerhalb von zwölf Monaten ab ihrer Einreise nach Bulgarien in Deutschland gestellt.
26(3) Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit für die Durchführung des Verfahrens der Antragstellerin zwischenzeitlich auf einen anderen Staat übergegangen ist, liegen nicht vor. Insbesondere ist weder die zweimonatige Frist für die Aufnahme der Antragstellerin (Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 VO 604/2013) noch die sechsmonatige Frist für ihre Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013) mit der Folge überschritten, dass die Zuständigkeit für die Durchführung ihres Verfahrens gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 bzw. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO 604/2013 auf die Antragsgegnerin übergegangen ist.
27Da die Antragstellerin ausweislich des Eurodac-Treffers in Bulgarien keinen Antrag auf internationalen Schutz, sondern einen solchen Antrag erst in Deutschland gestellt hat, fällt sie unter Art. 18 Abs. 1 lit. a) und Art. 21 VO 604/2013. Art. 21 Abs. 1 Unter-abs. 2 VO 604/2013 sieht vor, dass ein Aufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung zu stellen ist. Diese Frist ist eingehalten. Das Bundesamt hatte ausweislich des Verwaltungsvorgangs am 26. August 2014 Kenntnis vom Eurodac-Treffer, der Aufnahmeantrag wurde bereits am 31. August 2014 gestellt.
28Gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013 erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald sie praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat. Bulgarien hat den Aufnahmeantrag mit Schreiben vom 27. Oktober 2014 und damit innerhalb der zweimonatigen Frist des Art. 22 Abs. 1 VO 604/2013 angenommen, so dass die Überstellungsfrist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 AsylVfG) selbst dann noch nicht abgelaufen ist, wenn die bisherige Dauer des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auf die Überstellungsfrist anzurechnen sein sollte.
29So OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A -, juris Rn. 5 ff.; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2014 - A 11 S 1285/14 -, juris Rn. 58 (Hemmung der Überstellungsfrist für die Dauer des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes).
30cc) Die Zuständigkeit Bulgariens entfällt auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013.
31(1) Gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013 setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Art. 8 bis 15 VO 604/2013 vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) mit sich bringen (Unterabs. 2); kann eine Überstellung an einen aufgrund der Kriterien der Art. 8 bis 15 VO 604/2013 bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, nicht vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat (Unterabs. 3).
32Der Regelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013 liegt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zugrunde. Dieses gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll zu dieser Konvention von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden. Es gilt daher die Vermutung, dass Antragstellern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskommission zukommt. Diese Vermutung ist allerdings nicht unwiderleglich. Wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist die Widerlegung der Vermutung aber an hohe Hürden geknüpft, so dass nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts geeignet sind, die Vermutung zu widerlegen.
33Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417 Rn. 75 bis 86, und juris, sowie vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi) -, NVwZ 2014, 208 Rn. 52 bis 60 und juris.
34Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013 liegen vor, wenn das erkennende Gericht zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gelangt, dass ein Antragsteller wegen systemischer Schwachstellen, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.
35Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 (juris Rn. 9) zur Rechtslage nach der Verordnung 343/2003.
36Antragsteller auf Gewährung internationalen Schutzes, die in der Regel vollständig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, sind einer solchen Behandlung ausgesetzt, wenn sie sich in einer mit der menschlichen Würde unvereinbaren Situation ernsthafter Entbehrungen und Not behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber sehen.
37Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarak-hel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; s.a. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12 (juris Rn. 24); United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19. Febru-ar 2014 - EM (Eritrea) and others v the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 -, Rn. 62.
38Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob staatliche Stellen es durch ihr vorsätzliches Handeln oder Unterlassen betroffenen Personen praktisch verwehren, von ihren gesetzlich verankerten Rechten auf eine Unterkunft und annehmbare materielle Bedingungen Gebrauch zu machen.
39Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarak-hel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 96.
40Sind Kinder betroffen, ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist.
41Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarak-hel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99.
42Im Rahmen der Prognose, ob betroffene Personen im Falle ihrer Überstellung in einen anderen Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein werden, ist nicht allein auf die Rechtslage in diesem Staat abzustellen; maßgeblich ist vielmehr deren Umsetzung in die Praxis.
43Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413 und HUDOC Rn. 359; Hailbronner, Ausländerrecht, Band 3, Stand: Juni 2014, § 34a AsylVfG Rn. 21.
44Der vorstehend dargelegte Maßstab gilt auch für Personen, die sich bereits in dem Mitgliedstaat, in den die Überstellung erfolgen soll, aufgehalten und dabei eine relevante Schlechtbehandlung erfahren haben. Auch bei diesen Personen kommt es allein auf die Prognose an, ob sie im Falle ihrer Überstellung in diesen Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein werden; die dort bereits erlittene Behandlung führt nicht dazu, dass geringere Anforderungen an die Zumutbarkeit der Rückkehr zu stellen oder eine niedrigere Beachtlichkeitsschwelle zugrunde zu legen sind.
45Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, juris Rn. 38
46(2) Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass in Bulgarien systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, die gerade die Antragstellerin der konkreten Gefahr aussetzen würden, im Falle ihrer Überstellung nach Bulgarien eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung erfahren zu müssen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Antragstellerin entsprechend ihrer Angaben anlässlich ihrer Anhörung vor dem Bundesamt in Bulgarien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat oder - wie der Eurodac-Treffer der Kategorie "2" nahelegt - nicht. Denn jedenfalls ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass über einen etwa gestellten Antrag auf internationalen Schutz bereits entschieden oder dass die Antragstellerin in Bulgarien bereits zu ihrem Verfolgungsschicksal angehört worden wäre. Folglich wird nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien ein Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes erstmals eingeleitet bzw. ein ggf. bereits eingeleitetes Verfahren fortgeführt; beides hat zur Folge, dass die Antragstellerin in das bulgarische Aufnahmesystem integriert wird.
47Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, juris Rn. 58; VG Minden, Urteil vom 10. Februar 2015 - 10 K 1660/14.A -, Abdruck S. 18 f.; UNHCR, Auskunft an VG Minden vom 23. Dezember 2014, S. 3 f. der auszugsweisen Übersetzung aus dem Englischen.
48Einer Überstellung nach Bulgarien zur Durchführung des Asylverfahrens stehen keine systemischen Schwachstellen des Asylsystems oder der Aufnahmebedingungen entgegen, soweit es sich um nicht ernsthaft erkrankte alleinstehende Personen bzw. Ehepaare oder Partner ohne kleine Kinder handelt.
49Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014- A 11 S 1778/14 -, juris Rn. 61; VG Minden, Urteil vom 10. Februar 2015 - 10 K 1660/14.A -, Abdruck S. 27 f.
50Inwieweit für besonders schutzbedürftige Personen, insbesondere ernsthaft erkrankte Personen, Familien oder alleinerziehende Personen mit kleinen Kindern oder unbegleitete Minderjährige, sowie für Personen, denen in Bulgarien bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt oder denen dort subsidiärer Schutz gewährt wurde, etwas anderes gilt, lässt das Gericht offen. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin zu diesem Personenkreis gehört, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
51Soweit sich die Antragstellerin auf einen ungenügenden Zugang zum Asylverfahren und unzureichende Aufnahmebedingungen beruft, sind die Erkenntnisse, auf die sie sich beruft, insbesondere die UNHCR-Berichte vom 2. Januar und vom April 2014 sowie der Bericht von Pro Asyl vom 15. April 2014, durch zwischenzeitliche Entwicklungen überholt. Aufgrund der Auskunft des UNHCR an das erkennende Gericht vom 23. Dezember 2014 steht zur Überzeugung des Gerichts fest (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass Bulgarien inzwischen insbesondere auch Dublin-Rückkehrern einen ausreichenden Zugang zum Asylverfahren gewährt und die Aufnahmebedingungen jedenfalls für nicht ernsthaft erkrankte alleinstehende Personen bzw. Ehepaare oder Partner ohne kleine Kinder keine gravierenden systemischen Schwachstellen mehr aufweisen.
52Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014- A 11 S 1778/14 -, juris Rn. 61; VG Minden, Urteil vom 10. Februar 2015 - 10 K 1660/14.A -, Abdruck S. 16 ff. und 26 ff.; auf die umfangreichen Ausführungen in diesen beiden Entscheidungen, die sich das erkennende Gericht nach eigenständiger Überprüfung zu eigen macht, wird verwiesen.
53Insbesondere steht nicht zu befürchten, dass die Antragstellerin in Bulgarien ohne Unterkunft bleibt, da die bulgarischen Aufnahmeeinrichtungen Anfang November 2014 nur zu etwa zwei Dritteln belegt waren.
54Vgl. UNHCR, Auskunft an VG Minden vom 23. Dezember 2014, S. 1 der auszugsweisen Übersetzung aus dem Englischen.
55Die Bulgarien vorgeworfenen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot durch Zurückschiebungen an der bulgarisch-türkischen Grenze
56- vgl. VGH Baden Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, juris Rn. 47 -
57betreffen die Antragstellerin nicht, weil sie sich bereits auf Unionsgebiet befindet. Hinweise darauf, dass Bulgarien in Bezug auf Dublin-Rückkehrer gegen das Refoule-ment-Verbot verstößt, lassen sich den zahlreichen dem Gericht vorliegenden Auskünften und Berichten nicht entnehmen.
58Schließlich lässt sich auch nicht feststellen, dass die Antragstellerin in Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit inhaftiert werden wird. Dublin-Rückkehr genießen grundsätzlich die gleichen Rechte wie andere Antragsteller im Erstverfahren, d.h. sie werden im Anschluss an die Rückkehr üblicherweise in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht. Nur im Dublin-Verfahren überstellte Personen, deren Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes durch eine bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidung abgelehnt worden ist und die keinen Folgeantrag stellen, können in einer Haftanstalt festgehalten werden, aus der heraus dann die Abschiebung durchgeführt wird. Dies betraf im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Oktober 2014 nur 7 von 143 Dublin-Rückkehrern.
59Vgl. UNHCR, Auskunft an VG Minden vom 23. Dezember 2014, S. 4 der auszugsweisen Übersetzung aus dem Englischen.
60Im Übrigen begründet die Möglichkeit, dass Personen nach bestandskräftiger Ablehnung ihres Antrags auf internationalen Schutz in Abschiebungshaft genommen werden, für sich genommen noch keine systemische Schwachstelle eines Asylsystems.
61Vgl. VG Minden, Urteil vom 10. Februar 2015 - 10 K 1660/14.A -, Abdruck S. 24 mit ausführlicher Begründung.
62c) Anhaltspunkte dafür, dass der Überstellung nach Bulgarien tatsächliche oder sonstige rechtliche Hindernisse entgegen stehen, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, sondern auch in Bezug auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (§ 60a Abs. 2 AufenthG) einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.
63Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, 310 (juris Rn. 3).
64Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.
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Annotations
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.
(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.
(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.
(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer
- 1.
unerlaubt eingereist ist, - 2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder - 3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer
- 1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet, - 2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist, - 3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist, - 4.
mittellos ist, - 5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt, - 6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder - 7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.
(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.
(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.
(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.
(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.
(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.
(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.
(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.