Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 07. Feb. 2017 - 8 B 735/16
Gründe
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Die aus Eritrea stammende Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.11.2016, mit welchem die Abänderung des Dublin-Bescheides vom 18.02.2016 abgelehnt wurde. Letzterer ist seit dem 02.03.2016 bestandskräftig. Bevor die Abschiebungsanordnung nach Italien vollzogen werden konnte, beantrage die Antragstellerin am 07.11.2016 erneut die Durchführung eines Asylverfahrens, welches mit dem streitbefangenen Bescheid abgelehnt wurde. Die Antragstellerin leidet unter ärztlich attestierten psychischen Problemen mit Suizidgefahr und befindet sich zuletzt im Kirchenasyl.
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Der Eilantrag hat Erfolg. Dabei ist es nicht entscheidend, ob hier Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO beantragt ist. Entscheidend ist, dass die Antragstellerin nicht nach Italien abgeschoben werden möchte und dahingehend der Antrag nach § 88 VwGO auszulegen ist. Die Abschiebungsanordnung aus dem bestandskräftigen Dublin-Bescheid vom 18.02.2016 ist weiter vollziehbar, wobei der dagegen vorgesehene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen Ablaufs der Wochenfrist unzulässig wäre. Gleichwohl muss in diesen Fällen nach dem Gebot effektiven Rechtsschutzes eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO rechtlich zulässig sein. Dies gerade dann, wenn sich die Gründe eines Abschiebungshindernisses erst nachträglich herausstellen. Dies ist vorliegend der Fall. Denn nach dem Sachverhaltsvortrag der Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 14.11.2016 ist der Dublin-Bescheid unter dem 18.02.2016 ergangen und seit dem 02.03.2016 unanfechtbar. Zwar mag die 6-monatige Überstellungsfrist nach den Dublin-Vorschriften aufgrund des von der Antragstellerin selbst eingeräumten ungenehmigten Verlassens des zugewiesenen Wohnortes und eines Überstellungsversuches im Mai 2016 bis August 2017 verlängert sein, sodass gegenwärtig noch kein Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen wäre. Jedoch gilt, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer diagnostizierten und nachgewiesenen psychischen Erkrankung zu einen besonders schützenswerten Personenkreis gehört, die ohne vorherigen Nachweis der italienischen Behörden zur Unterbringungs- und Versorgungssituation nicht nach Italien verbracht werden dürfen. Dieser Nachweis liegt indes nicht vor.
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Das Gericht geht mit der herrschen Meinung in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur: Urteil v. 17.02.2016, 8 A 51/16; juris) davon aus, dass in Italien nur die Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, wenn sie, weil ausschließlich auf staatliche Hilfe angewiesen, sich in einer besonderen Situation befinden (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris; s. a. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 – juris, United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) and others of the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 - Rn. 62.). Dies gilt insbesondere im Fall der Betroffenheit von Kindern. Hierbei ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist (EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99).
- 4
Dies gilt auch für die Antragstellerin. Denn nach der bereits im behördlichen Verfahren vorgelegten aussagekräftigen ärztlichen Stellungnahme (v. 09.05.2016) und im gerichtlichen Verfahren bekräftigten (v. 16.12.2016) psychologischen Stellungnahme leidet die Antragstellerin an einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome (F33) mit Verdacht auf einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1). Ihr psychischer Gesundheitszustand sei äußerst fragil. Aufgrund der Vorgeschichte mit einem Suizidversuch bestehe dauerhaft die Tendenz einer Eigengefährdung, besonders im Falle einer Abschiebung. Extreme Belastungen wie ein potentielle Abschiebung könnten zu einer dramatischen Zuspitzung der suizidalen Tendenzen sowie zu einer psychischen Dekompensation und daraus folgenden Impulshandlungen führen. Im Falle einer unfreiwilligen Rückführung würden die erarbeiteten Fortschritte hinsichtlich einer leichten Stabilisierung der psychischen Befindlichkeit hinfällig.
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Zur Überzeugung des Gerichts gebieten diese glaubhaften, ärztlich bescheinigten und nachvollziehbaren Besonderheiten hinsichtlich des Gesundheitszustands der Antragstellerin die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Das Gericht folgt im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung nicht der Auffassung des Bundesamtes, dass im vorliegenden Fall die italienischen Behörden auf die individuelle gesundheitliche Situation der Antragstellerin angemessen reagieren können.
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Demnach hat der Eilantrag Erfolg. Die Antragstellerin muss die Sicherheit haben, nicht mit ihrer Abschiebung rechnen zu müssen, was auch den Antragsgrund - die Eilbedürftigkeit - begründet. Auch wenn das Bundesamt in dem Schriftsatz vom 01.02.2017 ausführt, dass das Kirchenasyl akzeptiert und von Überstellungsmaßnahmen bis zur Entscheidung über das Selbsteintrittsrecht abgesehen werde, ändert dies nichts an der Notwendigkeit des Erlasses der einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Lebensumstände der Antragstellerin im Sinne effektiven Rechtsschutzes. Dementsprechend dürfte auch im anhängigen Hauptsache-Klageverfahren ((8 A 736/16 MD) positiv für die Antragstellerin zu entscheiden sein. Demnach erlaubt sich das Gericht zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten den richterlichen Hinweis, dass das von der Beklagten beabsichtigte Prüfverfahren zum Selbsteintrittsrecht nicht erst nach Ablauf der bis August 2017 verlängerten Überstellungsfrist eingeleitet wird, sondern jetzt aufgrund dieser gerichtlichen Entscheidung und des bereits eingereichten Dossiers. Dabei sollte es auch nicht auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich bewertete Problematik des Kirchenasyls als Abschiebungshindernis und der zurechenbaren Verantwortlichkeit der Schaffung dieser Gründe als Begründung zur Verlängerung der Überstellungsfrist oder zum Ausschluss des Rechtsschutzbedürfnisses ankommen (vgl. dazu: VG Köln, Urteil v. 12.11.2014, 3 K 7539/13.A; VG München, Urteil v. 11.2015, M 16 K 15.50306; VG Cottbus, Urteil v. 16.06.2016, 5 K 273/16.A; VG Ansbach, Urteil v. 14.04.2016, AN 6 K 15.311132; alle juris). Zudem verliert der Asylbewerber nicht seinen gesetzlichen Verfahrensanspruch (VG München, Urteil v. 11.2015, M 16 K 15.50306; juris).
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 03.07.2015, mit welchem der Asylantrag wegen der Zuständigkeit Italiens als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet wurde. Er beantragt
- 2
den Bescheid vom 03.07.2015 aufzuheben.
- 3
Die Beklagte beantragt,
- 4
die Klage abzuweisen
- 5
und verweist auf den streitbefangenen Bescheid.
- 6
Im Eilverfahren (5 B 370/15) wurde mit Beschluss vom 22.07.2015 vorläufiger Rechtsschutz abgelehnt.
- 7
Mit Schriftsatz vom 21.01.2016 teilte die Beklagte mit, dass ein Überstellungsversuch am 09.12.2015 wegen Untertauchens des Klägers gescheitert sei. Den italienischen Behörden sei daher mitgeteilt worden, dass sich die Überstellungsfrist verlängert habe.
- 8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
- 9
Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des sogenannten Selbsteintrittsrechts.
- 10
1.) Rechtsgrundlage für die Ablehnung des in Deutschland gestellten Asylantrages ist § 27a AsylG. Danach ist Italien für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig.
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2.) Eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für die Entscheidung über den Asylantrag im Wege des sogenannten Selbsteintritts besteht nicht. Es gibt keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem anderen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen. Die Voraussetzungen liegen vor, wenn ein Asylbewerber wegen systemischer Mängel, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – HUDOC Rdnr. 98;. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris Rdnr. 24).
- 12
Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Asylsystem in Italien derzeit an solchen systemischen Mängeln leidet, die gerade auch den hier um Abschiebungsschutz nachsuchenden Asylbewerber der konkreten Gefahr aussetzen würden, im Fall einer Rücküberstellung nach Italien eine menschenunwürdige entwürdigende Behandlung zu erfahren. Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt.
- 13
Mittlerweile ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in Italien nur die Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, wenn sie, weil ausschließlich auf staatliche Hilfe angewiesen, sich in einer besonderen Situation befinden (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris; s. a. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 – juris, United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) and others of the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 - Rn. 62.). Dies gilt insbesondere im Fall der Betroffenheit von Kindern. Hierbei ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist (EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99).
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Unzweifelhaft gehört der Kläger gehört keiner solchen schutzbedürftigen Personengruppe an. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht ebenfalls in seiner Entscheidung (Urteil 51428/10 vom 13.01.2015 - A.M.E. vs. The Netherlands) davon aus, dass systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien für den Kreis der Personen, die nicht zu einem besonders schützenswerten Personenkreis ("underprivileged and vulnerable population group in need of special protection", s. EGMR, Urteil vom 13.01.2015, a.a.O.) i. S. der Genfer Konvention und der ihr folgenden Richtlinien zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten - Aufnahmerichtlinien - (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013) gehören, nicht den Schweregrad einer Verletzung von Art. 3 EMRK erreichen. D.h., gesunde Männer ohne Familienangehörige, die den Weg aus ihrer Heimat nach Italien allein geschafft haben, sind den dort vorzufindenden Schwierigkeiten und Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung regelmäßig weit eher gewachsenen als dies für Familien mit Kindern oder für Minderjährige zutrifft. Sie sind grundsätzlich in der Lage, auch eine Übergangsfrist unter schwierigen Bedingungen auszuhalten, ohne dass dies zu einer Rechtsverletzung im oben dargelegten Sinne führt. Dieser Auffassung folgend, scheidet ein Selbsteintritt der Beklagten aus.
- 15
Nichts anderes ergibt sich aus aktuellen Erkenntnissen. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind keine tagespolitischen Meldungen bekannt, wonach Italien – wie früher – im besonderen Focus der Berichterstattung hinsichtlich systemischer Mängel im Asyl- oder Unterbringungsverfahren steht.
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Auch soweit einige Gerichte (VG Düsseldorf, Urteil v. 15.12.2015, 12 K 7303/15.A; juris; VG Darmstadt, Urteil v. 07.01.2016, 3 K 392/14.DA.A; VG Potsdam, Beschluss v. 19.10.2015, VG 12 L 816/15.A) in neuerer Rechtsprechung aufgrund eines erneuten Anstieges der Flüchtlingszahlen und der schlechten Witterung im Herbst/Winter Mängel im Unterbringungssystem annehmen, vermag dies nicht die erniedrigende unmenschliche Behandlung aufgrund eines Zusammenbruchs des italienischen Asyl- und Unterbringungssystems zu begründen. Denn auch diese Entscheidungen stellen nur eine temporäre Momentaufnahme dar und angesichts der bevorstehenden wärmeren Jahreszeit mag die Witterung nunmehr anders zu beurteilen sein.
- 17
Ohne Zweifel verlangt die hohe Zahl von Flüchtlingen nach wie vor enorme Anstrengungen von Italien. Es liegen jedoch keine verlässlichen Informationen darüber vor, dass Italien nicht auch unter diesen Bedingungen in der Lage wäre, darauf angemessen zu reagieren, zumal Italien mehrfach Unterstützung durch die EU und Hilfsorganisationen erfahren hat; noch im Februar 2015 erhielt Italien einen Notkredit der EU, um die Versorgung der Flüchtlinge sicherzustellen (http//www.tagesschau.de, 19.02.2015). Damit die ohne Zweifel in den bisherigen Aufnahmeeinrichtungen bestehende prekäre Situation nicht zu menschenunwürdigen Zuständen führt, bezieht Italien nunmehr im Zuge der Lösung des bislang bestehenden innerstaatlichen Verteilungsproblems alle Regionen in die Aufnahme von Flüchtlingen ein. Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Flüchtlinge in Italien auf sich alleine gestellt sind und besondere persönliche Anstrengungen zur Bewerkstelligung des täglichen Lebensalltags unternehmen müssen. Trotzdem bestehen funktionierende Strukturen zur Aufnahme, Behandlung und Unterbringung der Flüchtlinge in Italien. Neben den staatlichen Strukturen gibt es kirchliche und private Trägerschaften. Die Einbeziehung solcher nichtstaatlicher Träger kann und darf dem italienischen Staat auch zugerechnet werden, da sie in das Gesamtsystem eingebettet sind (vgl. OVG NRW, Urteil v. 07.03.2014, 1 A 21/12.A; juris). Eine Untätigkeit bzw. die willentliche, systemimmanente Zusteuerung auf einen Kollaps kann nicht angenommen werden.
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Demnach ist davon auszugehen, dass in Italien vieles hinsichtlich der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen nicht optimal läuft. Selbiges ist aber auch in Deutschland zu verzeichnen, wie die hiesigen Verhältnisse am LaGeSo in Berlin beweisen. Trotzdem wird man diese - aufgrund der hohen Zahl der Flüchtlinge bedingten - Probleme nicht mit systemischen Mängeln in Verbindung bringen können.
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Das Gericht schließt sich somit der entsprechenden Rechtsprechung der vormals zuständigen Kammer (vgl. Eilverfahren) und weiterer Gerichte an (vgl. zuletzt: VG Ansbach, Urteil v. 11.12.2015, AN 14 K 15.50316; juris).
- 20
3.) Die auf §§ 27a, 34a AsylG basierende Abschiebungsanordnung begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Überstellungsfrist hat sich nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO weiter verlängert. Der Kläger entzog sich der am 09.12.2015 angesetzten Abschiebung durch Flucht. Denn die Abschiebung konnte mangels Habhaftmachung seiner Person nicht durchgeführt werden. Ein Asylbewerber ist nicht erst dann im Sinne der Dublin-Vorschriften flüchtig, wenn er seine Wohnung dauerhaft verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch den Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung „flüchtig“ im Sinne der Dublin-Vorschriften knüpft an die geplante Überstellung des Asylbewerbers aufgrund der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates an. Kann diese nicht durchgeführt werden, weil sich der Asylbewerber derselben etwa durch Nichterscheinen entzieht, vereitelt gerade er die Überstellung. Dabei ist nicht entscheidend, ob die gescheiterte Überstellung vom Asylbewerber verschuldet ist. Entscheidend ist, dass die Nichtdurchführung durch ihn verursacht, also in seiner Sphäre liegt und jedenfalls nicht von der der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten ist. Denn der Ablauf der Überstellungsfrist soll nicht den Asylbewerber schützen, sondern die Zuständigkeit des anderen Mitgliedstaats begründen; nur wenn es dieser aufgrund seiner fehlerhaften organisatorischen Maßnahmen nicht schafft, den Flüchtling in den zuständigen Mitgliedstaat zu verbringen, geht die Zuständigkeit über. Davon kann vorliegend keine Rede sein, wenn der Asylbewerber zu seiner geplanten Abschiebung nicht erscheint (vgl.: VG Magdeburg, Beschluss v. 11.12.2014, 1 B 1196/14; VG Berlin, Beschluss v.13.02.2011, 323 L 550/10.A; VG Potsdam, Urteil v. 04.06.2014; 6 K 2414/13.A; alle juris). Daher wird es auch nicht darauf ankommen, ob der Kläger etwa aufgrund Krankheit oder sonstiger nicht zu vertretender Gründe nicht erschien; entscheidend ist allein, dass die Bundesrepublik Deutschland den Fristablauf nicht zu vertreten hat.
- 21
4.) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 13.11.2013 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.0000 in Hamdanja, Karakosh geborene Kläger ist irakischer Staatsange-höriger syrischer Volkszugehörigkeit und katholischen Glaubens.
3Er reiste zunächst mit einem von den französischen Behörden am 30.05.2013 ausgestellten und bis zum 14.07.2013 gültigen Visum nach Frankreich ein und flog von dort nach eigenen Angaben am 01.07.2013 in die Bundesrepublik Deutschland.
4Am 05.07.2013 beantragte er hier seine Anerkennung als Asylberechtigter und wurde am 08.07.2013 zu seinen Asylgründen angehört. Am 27.08.2013 wurde seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II Verordnung (VO) an Frankreich gerichtet. Mit Schreiben vom 21.10.2013 erklärten die französischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II VO. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 13.11.2013 den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Frankreich an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Frankreich aufgrund des erteilten Visums gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
5Gegen diesen Bescheid hat der Kläger durch seinen früheren Prozessbevollmächtigten am 02.12.2013 die vorliegende Klage erhoben. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wurde nicht gestellt.
6Ausweislich eines in den beigezogenen Ausländerakten befindlichen Vermerks vom 11.04.2014 wurde an diesem Tage Monsignore C. , der Leitende Pfarrer der Katholischen Pfarrgemeinde Altenberger Dom über die für den 17.04.2014 geplante Abschiebung des Klägers informiert. Daraufhin teilte Herr C. mit, dass nicht nur er selbst, sondern auch der Arbeitskreis Asyl in Odenthal sowie die evangelische Domgemeinde Altenberg sich für den Kläger engagieren würden. Die evangelische Domgemeinde habe, ohne den genauen Rückführungstermin zu kennen, bereits geplant, dem Betroffenen Kirchenasyl im Martin-Luther-Haus in Odenthal zu gewähren.
7In einem weiteren Vermerk vom 17.04.2014 heißt es unter anderem: Man habe am heutigen Tag gegen 8.30 Uhr die Unterkunft des Klägers aufgesucht, ihn dort aber nicht angetroffen. Für die für den heutigen Tag angekündigte Abschiebung habe der Kläger nicht zur Verfügung gestanden. Der aktuelle Aufenthaltsort des Klägers sei unbekannt.
8Daraufhin wurde die Abschiebung storniert und die Ausländerbehörde teilte dem Bundesamt mit, der Kläger sei untergetaucht. Darüber hinaus beantragte sie beim zu-ständigen Landeskriminalamt NW die Ausschreibung des Klägers zur Festnahme.
9In einem weiteren Vermerk vom 23.04.2014 heißt es: Man habe beim Bundesamt - Frau Heinsius, BAMF Dortmund - im Hinblick auf das Untertauchen des Betroffenen erneut um Mitteilung des Überstellungsfristendes gebeten. Frau Heinsius habe daraufhin mitge-teilt, dass die Überstellungsfrist für den Betroffenen am 21.04. abgelaufen sei. Die Schreiben der Ausländerbehörde vom 17.04., in welchen mitgeteilt worden sei, dass der Betroffene untergetaucht sei, habe man zwar erhalten, aber aufgrund der Feiertage seien die französischen Behörden hierüber nicht mehr rechtzeitig informiert worden. Falls der Kläger nochmals auftauche, müsse daher eine Entscheidung nach nationalem Recht ergehen.
10Mit Schreiben vom 08.05.2014 teilte die Katholische Kirchengemeinde und Evangelische Kirchengemeinde am Dom zu Altenberg der Ausländerbehörde mit, dass sich der Kläger seit der Karwoche in den Räumen des Martin-Luther-Hauses in Odenthal befinde.
11Zur Begründung der vorliegenden Klage macht der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend: Die Überstellungsfrist nach Frankreich betrage nach Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO 6 Monate ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch den anderen Mitgliedsstaat. Die Beklagte habe das Ende der Rücküberstellungsfrist auf den 21.04.2014 berechnet. Nach Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO bzw. Art. 29 Abs. 1 und 2 Satz 1 Dublin III VO gehe die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedsstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der 6 Monatsfrist durchgeführt werde. Damit sei die Bundesrepublik Deutschland inzwischen zuständig. Die Frist sei im vorliegenden Fall auch nicht geändert worden, weil kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung, also ein Eilantrag gestellt worden sei. Die Beklagte habe die Zuständigkeit Frankreichs mit Art. 9 Abs. 2 Dublin II VO begründet, da Frankreich dem Kläger ein Visum erteilt habe. Das Visum sei jedoch inzwischen seit mehr als 6 Monaten abgelaufen. Der Kläger habe das Hoheitsgebiet der EU auch nicht seit seinem Asylantrag verlassen, sondern lebe weiterhin in Deutschland. Deshalb sei nach Art. 9 Abs. 4 Satz 2 Dublin II VO bzw. nach Art. 12 Abs. 4 Satz 2 Dublin III VO die Bundesrepublik für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden. Ausweislich der am 29.07.2014 übersandten Aktenkopie sei die Überstellungsfrist auch nicht durch Ermessens-entscheidung der Beklagten verlängert worden und Frankreich sei auch nicht innerhalb der 6-Monatsfrist darüber informiert worden, dass die beabsichtigte Überstellung nicht innerhalb der Frist erfolgen könne. Eine Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II VO sei daher nicht erfolgt. Ausweislich des Vermerks vom 23.04.2014 sei die Beklagte selbst davon ausgegangen, dass die Überstellungs-frist am 21.04.2014 abgelaufen sei. Es widerspreche Treu und Glauben, wenn die Beklagte jetzt ihre Meinung ändere. Es liege ein Fall des sogenannten „offenen Kirchenasyls“ vor, da die abschiebende Ausländerbehörde bereits vor der Abschiebung am 11.04.2014 über das Kirchenasyl mit ganz konkreter Adresse informiert worden sei. Soweit die Beklagte sich trotz Fristablaufs der Rücküberstellungsfrist weigere, abzuhelfen, scheine dies der neueren rechtswidrigen Praxis des Bundesamtes geschul-det zu sein. Nach einer Mitteilung des Fachmagazins MiGAZIN drohe das Bundesamt den Kirchen wegen ihrer Praxis des Kirchenasyls und weigere sich auch nach Ablauf der 6-Monatsfrist die Asylverfahren europarechtskonform im nationalen Verfahren zu bearbeiten. Die Strategie des BAMF sehe so aus, dass Kirchenasyl als „Untertauchen“ zu bewerten. Diese Ansicht sei juristisch nicht haltbar. Das BMI habe selbst in Beantwortung einer Bundestagsanfrage bestätigt, dass Kirchenasyl kein Untertauchen darstelle, wenn die Mitteilung über das Kirchenasyl vor dem Abschiebungstermin die Ausländerbehörde erreiche. Auch das niedersächsische Innenministerium habe dies ausdrücklich bekräftigt. Der Kläger könne auch schon deshalb nicht untergetaucht bzw. flüchtig gewesen sein, weil die Ausländerbehörde die Adresse seines Aufenthaltes gewusst habe und ihn jederzeit dort habe erreichen können.
12Die Überstellungfrist sei auch nicht wirksam auf 18 Monate verlängert worden, denn dies erfordere entsprechend dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin II VO eine ausdrückliche Ermessensentscheidung. Selbst eine Mitteilung an den Überstellungs-staat, der Transfer sei storniert worden, reiche nicht aus. Erforderlich seien eine aus-drückliche Entscheidung der Behörde vor Ablauf der Frist, dass die Frist überhaupt verlängert werden solle und auch eine Entscheidung hinsichtlich der Dauer der Ver-längerung. Der angefochtene Dublin-Bescheid sei auch deshalb rechtswidrig, weil er nicht ausreichend begründet sei. Beginn und Ende der Überstellungsfrist müssten mitgeteilt werden. Dies sei hier nicht erfolgt.
13Der Kläger beantragt,
14den Bescheid des Bundesamtes vom 13.11.2013 aufzuheben.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie tritt den Ausführungen des Klägers wie folgt entgegen: Zwar sei richtig, dass die reguläre Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III VO am 21.04.2014 abgelaufen wäre. Auch sei richtig, dass die Mitteilung an Frankreich über das Untertauchen des Klägers erst am 30.04.2014 und somit nicht innerhalb der regulären Überstellungsfrist erfolgt sei. Da die fehlende Mitteilung an den Mitgliedsstaat jedoch grundsätzlich nicht schädlich sei (die Dublin III VO sehe keine Pflicht zur Mitteilung vor) und Frankreich gegen das sich aus dem Untertauchen ergebende neue Fristende am 21.04.2015 nicht remonstriert habe, sei davon auszugehen, dass Frankreich die Verlängerung gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO akzeptiert habe. Dementsprechend sei die Überstellungsfrist nicht abgelaufen und ende erst am 21.04.2015.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerakten Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Das Gericht konnte im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
21Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig und begründet.
22Die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung ist gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig. Die Kammer schließt sich der in der Rechtsprechung zwischenzeitlich ganz überwiegend vertretenen Auffassung an, dass der Kläger gegen die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes nach § 27a AsylVfG mittels einer „isolierten“ Anfechtungsklage vorgehen kann und nicht gehalten ist, eine Verpflichtungsklage auf Anerkennung als Asylberechtigter zu erheben,
23vgl. statt vieler Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014 – 1 A 21/12.A – juris Rz. 29 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2013 – 17 K 1775/12.A – juris Rz. 15 ff.
24Zwar gilt auch im Asylverfahren der Grundsatz, dass bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung einer Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakt das Gericht grundsätzlich die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf die Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsakts beschränken kann,
25BVerwG, Urteil vom 07.03.1995 – 9 C 264/94 –, Rn. 12, 14.
26Dieser Grundsatz kann jedoch keine Geltung für die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 27a AsylVfG beanspruchen. Denn dadurch würden die speziellen Verfahrensgarantien des Asylverfahrensgesetzes, insbesondere die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung gem. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, umgangen und das Gericht der Sache nach zur erstentscheidenden Behörde gemacht, was mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung schwerlich in Einklang zu bringen ist. Darüber hinaus müsste das Gericht dann die Zuständigkeit weiterer Mitgliedstaaten prüfen, was mangels Anschluss an die entsprechenden Informationssysteme kaum möglich wäre. Auch der Erlass einer neuen Abschiebungsanordnung in einen weiteren, vorrangig zuständigen Mitgliedstaat wäre kaum möglich.
27Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13.11.2013 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylVfG, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten,§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
28Zwar war der Bescheid im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, da der Kläger zunächst mit einem gültigen Visum nach Frankreich gereist war,
29vgl. Art. 9 Abs. 2 Dublin II VO.
30und Frankreich mit Schreiben vom 21.10.2103 seine Zuständigkeit auch bejaht hat.
31Zwischenzeitlich ist jedoch die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO) abgelaufen und damit die Zuständigkeit auf die Bundesrepublik übergegangen. Die 6-Monatsfrist ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung verstrichen; die Frist lief am 21.04.2014 ab.
32Die Frist hat sich auch nicht bis zum 21.04.2015 verlängert, wie das Bundesamt meint. Zwar kann die Frist gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II VO höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Diese Voraussetzungen liegen indes nicht vor. Denn der Kläger ist weder flüchtig im Sinne der Vorschrift noch untergetaucht. Vielmehr befindet sich der Kläger im sogenannten offenen Kirchenasyl, was der zuständigen Ausländerbehörde seit dem 11.04.2014 ausweislich eines entsprechenden Vermerks in der beigezogenen Ausländerakte bekannt ist. Ein dem Untertauchen vergleichbarer Sachverhalt liegt in diesen Fällen nicht vor, wie auch im übrigen das Bundesamt ausweislich der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegten Bundestagsdrucksache – BT – Drs 17/13724, S. 11 – Antwort der Bundesregierung vom 25.06.2013 auf eine Anfrage verschiedener Abgeordneter, zu Frage 9 – selbst vertreten hat. Denn die Einräumung des sog. Kirchenasyls als solches stellt kein rechtliches Hindernis für eine Abschiebung dar. Vielmehr haben die zuständigen Behörden insoweit in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob sie den Vollzug fortsetzen. Sehen sie hiervon ab, hemmt dies den Ablauf der Überstellungsfrist gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO nicht und auch die Verlängerungsmöglichkeiten des Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II VO scheiden aus.
33Vor diesem Hintergrund kam es nicht mehr auf die Frage an, ob die Verlängerungsmöglichkeit bereits schon deshalb nicht mehr besteht, weil das Bundesamt die französischen Behörden vor Ablauf der Überstellungsfrist am 21.04.2014 nicht informiert hat,
34vgl. hierzu z. B. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 08.10.2014 – Au7 K 14.30121 -.
35Ist der Bescheid der Beklagten damit im entscheidungserheblichen Zeitpunkt rechtswidrig, so verletzt er den Kläger auch in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Denn der Ablauf der Frist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO führt zum Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Mitgliedstaat. Damit verletzt eine Entscheidung, die die Durchführung eines Asylverfahrens ablehnt, das Recht des Asylbewerbers auf Durchführung eines Asylverfahrens.
36Dieser Auffassung steht die Rechtsprechung des EuGH nicht entgegen. Der EuGH hat insbesondere in seinem Urteil
37vom 10.12.2013 – C-394/12 – Abdullahi,
38entschieden, dass bei einer Zustimmung des Mitgliedstaats der ersten Einreise zur Aufnahme gemäß der Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 der Dublin-II-VO, der Asylbewerber einer darauf beruhenden Abschiebungsandrohung nur mit der Darlegung systemischer Mängel im Asylverfahren in diesem Mitgliedstaat entgegen treten kann,
39vgl. EuGH, aaO, juris Rz. 60.
40Die Kammer folgt nicht der in der Rechtsprechung wohl überwiegend vertretenen Auffassung, mit dieser Entscheidung sei auch klargestellt, dass auch der Ablauf der Überstellungsfrist die subjektive Rechtsposition des Asylbewerbers nicht berühre.
41So etwa VG Würzburg, Beschluss vom 11.06.2014 – W 6 S 14.50065 – juris Rz. 18 f. m.w.N.; VG Stuttgart, Urteil vom 28.02.2014 – A 12 K 383/14 – juris Rz. 23; VG Berlin, Beschluss vom 19.03.2014 – 33 L 90.14 A – juris Rz. 8; letztlich offen gelassen von OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 – 1 A 21/12.A – juris Rz. 42 ff. und VGH BW, Urteil vom 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rz. 33; dagegen aber VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 08.10.2014 – Au 7 K 14.30121 – juris Rz. 30, m.w. N., VG Oldenburg, Urteil vom 07.07.2014 – 3 A 416/14 – juris Rz. 38 ff., VG Göttingen, Beschluss vom 30.06.2014 – 2 B 86/14 – juris Rz. 16 ff. und VG Magdeburg, Urteil vom 28.02.2014 – 1 A 413/13 – juris Rz.21.
42Denn der EuGH hat in der Entscheidung ausdrücklich klargestellt, sich nur zu Normen des dritten Kapitels der Dublin-II-VO, die die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates enthalten, zu äußern,
43vgl. EuGH, aaO, Rz. 49.
44Diese Bestimmungen verhalten sich jedoch nur zur erstmaligen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und betreffen gerade nicht die Folgen eines späteren Zuständigkeitswechsels,
45vgl. im einzelnen mit weiterer ausführlicher Begründung VG Köln, Urteil vom 27.08.2014 – 3 K 411/14.A zu Art. 29 Abs. 1 Dublin III VO.
46Nach Auffassung der Kammer muss auch in Fällen der vorliegenden Art sichergestellt sein, dass das Ziel der Gewährleistung eines umfassenden Rechtsschutzes, vgl. Art. 19 Abs. 4 GG, nicht reduziert wird. Denn Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO soll gerade auch dem schutzwürdigen Interesse des Flüchtlings dienen, dass sein Schutzgesuch – nach Ablauf eines gewissen Zeitraums, welcher der Klärung von Zuständigkeitsfragen vorbehalten ist – in angemessener Zeit geprüft wird,
47so auch, VG Arnsberg, Gerichtsbescheid vom 08.10.2014 – Au 7 K 14.30121; VG Magdeburg, Urteil vom 28.02.2014 – 1 A 413/13 – jeweils mit weiteren Nachweisen.
48Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... März 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der nach eigenen Angaben am ... 1989 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger.
Am
Weiterhin wurde dem Kläger mit Schreiben vom
Mit Bescheid vom ... März 2015, zugestellt mit Schreiben vom
Am 18. März 2015 erhoben die Bevollmächtigten des Klägers Klage und stellten einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung trugen sie im Wesentlichen vor, der Kläger habe in Italien keinen Asylantrag gestellt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestünden im Asylsystem Italiens gegenwärtig (Stand 12/2014) systemische Mängel, aufgrund derer eine Verletzung der Rechte des Betroffenen aus Art. 3 EMRK drohe. Dies könnte allenfalls dadurch ausgeschlossen werden, dass die italienischen Behörden eine individuelle Garantieerklärung abgeben würden, dass der Betroffene eine Unterkunft erhalte und seine elementaren Bedürfnisse gedeckt seien. Eine solche Garantieerklärung liege nicht vor, so dass der Kläger befürchte, in Italien erneut obdachlos zu sein. Aufgrund gestiegener Flüchtlingszahlen sei von einer Überstellung nach Italien abzusehen, nachdem es den italienischen Behörden nicht möglich sei, die Flut an Flüchtlingen mit der gleichen Intensität zu bewältigen wie die Beklagte.
Der Kläger beantragt:
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...03.2015, dem Kläger am
Das Bundesamt legte mit Schreiben vom
Mit unanfechtbarem Beschluss des Gerichts vom
Mit Schriftsatz vom
Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 10. November 2015
Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren M 16 S 15.50307 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Gründe
Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom ... März 2015 ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, auf den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG - vormals AsylVfG, vgl. Art. 1 Nr. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015, BGBl. I S. 1722, in Kraft getreten am
Der streitgegenständliche Bescheid, mit dem der Asylantrag des Klägers wegen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats auf der Grundlage von § 27a AsylG für unzulässig erklärt und auf der Grundlage von § 34a Abs. 1 AsylG die Abschiebung nach Italien angeordnet wurde, ist wegen Ablaufs der Überstellungsfrist (vgl. Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO) gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG gegenstandslos geworden (vgl. u. a. BayVGH, B. v. 16.7.2015 - 21 ZB 15.50137 - juris Rn. 2 m. w. N.).
Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO durchgeführt, geht die Zuständigkeit ohne weitere Entscheidung gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf den Mitgliedstaat - hier die Beklagte - über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Mit der Unwirksamkeit der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wird auch die in Abhängigkeit dazu erlassene Abschiebungsanordnung gegenstandslos (vgl. BayVGH, B. v. 16.7.2015 - 21 ZB 15-50137 - juris Rn. 3).
Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist im Fall des Klägers abgelaufen. Nach dieser Bestimmung erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist, spätestens aber innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat. Somit ist die sechsmonatige Überstellungsfrist im Fall des Klägers auch dann abgelaufen, wenn das durchgeführte Eilverfahren zu einer Hemmung, Unterbrechung oder einem Neubeginn der Frist geführt hätte.
Zwar kann die Frist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO auf (höchstens) achtzehn Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist, jedoch erfolgt dies nicht automatisch. Im Fall des Klägers sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine solche Verlängerung der Frist erfolgt wäre. Eine entsprechende Mitteilung des Bundesamts ist trotz gerichtlicher Anfrage nicht eingegangen. Nach Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 1560/2003) muss der ersuchende Mitgliedstaat den zuständigen Mitgliedstaat über die Gründe, weshalb die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten vorgenommen werden kann, vor Ablauf dieser Frist unterrichten. Ansonsten fallen die Zuständigkeit für die Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der Dublin-III-Verordnung gemäß Artikel 29 Absatz 2 Dublin-III-VO dem ersuchenden Mitgliedstaat zu. Eine solche Unterrichtung hätte damit im Fall des Klägers bereits erfolgen müssen. Da hierfür jedoch keine Anhaltspunkte bestehen, ist auch davon auszugehen, dass eine (evtl. künftige) Verlängerung der Überstellungsfrist ausgeschlossen und der Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte bereits erfolgt ist.
Im Übrigen ist zweifelhaft, ob im Fall des Klägers überhaupt das Merkmal „flüchtig“ im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO vorliegt. So hat das Bundesamt im Rahmen einer Bundestags-Anfrage erklärt, dass in Fällen, in denen das Kirchenasyl den zuständigen Behörden rechtzeitig noch vor dem Zeitpunkt der geplanten Überstellung mitgeteilt werde, kein Untertauchen vorliege, so dass die Frist unverändert bleibe (vgl. BT- Drs. 17/13724, S. 11) Denn die Einräumung des sog. Kirchenasyls als solches stellt kein rechtliches Hindernis für eine Abschiebung dar. Vielmehr haben die zuständigen Behörden insoweit in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob sie den Vollzug fortsetzen (vgl. VG Köln, U. v. 12.11.2014 - 3 K 7539/13.A - juris Rn. 30).
Die Fristenregelungen der Dublin-III-Verordnung begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers. Der Kläger hat aber aus dem materiellen Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO zuständige Beklagte das Asylverfahren durchführt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird (vgl. OVG NW, U. v. 16.9.2015 - 13 A 2159/14.A - juris Rn. 67, 82 ff. zur Dublin-II-Verordnung). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Auch der Umstand, dass sich der Kläger mittlerweile im Kirchenasyl befindet, führt nicht dazu, dass er seinen gesetzlichen Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens verlieren würde, da sich aus dem materiellen Asylrecht kein derartiger Ausschluss ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.