Verwaltungsgericht Köln Urteil, 06. Okt. 2015 - 7 K 5219/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die am 00.00.1961 geborene Klägerin begehrt die Anerkennung als Contergangeschädigte und die Gewährung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStifG).
3Die Klägerin beantragte am 13.09.2009 die Bewilligung von Rente nach dem ContStifG. Zur Begründung gab sie an, ihre Mutter habe am 21. oder 22. Dezember 1960, mithin zwischen dem 25. und 27. Schwangerschaftstag, wegen Reiseübelkeit eine Contergantablette eingenommen. Die Tablette habe ihre Mutter von ihrem Vater erhalten, der die Tabletten zuvor von seinem Hausarzt verschrieben bekommen habe. Entsprechende Schreiben der Eltern wurden vorgelegt.
4Als Conterganschäden gab die Klägerin eine deformierte Ohrmuschel links, Taubheit links durch fehlende Gehörgänge und eine Anomalie des Kiefers an. Orthopädische Schäden wurden nicht dargetan.
5Die Gutachterin Frau Dr. X. empfahl mit Schreiben vom 07.12.2010 (Bl. 14 med. Akte) die Anerkennung folgender Conterganschäden: entstellende Deformierung der Ohrmuschel einseitig, Facialisschädigung einseitig, Gehörgangsenge einseitig und starke Schwerhörigkeit einseitig und normale andererseits.
6Auf Anraten der Gutachterin Frau Dr. X. stellte sich die Klägerin bei der Augenärztin Frau Dr. med. F. vor, die zusätzlich ein Retraktionssyndrom feststellte. Herr Prof. Dr. K. führte unter dem 21.03.2011 (Bl. 16 med. Akte) aus, dies sei ein typischer Conterganschaden.
7Herr Prof. Dr. A. kam unter dem 18.07.2011 (Bl. 17 med. Akte) zu dem Ergebnis, dass die Kieferfehlbildung der Klägerin bei dem sogenannten Goldenhar-Syndrom und im Rahmen von Conterganschädigungen auftreten könne. Aufgrund der vorliegenden Conterganschädigungen anderer anatomischer Strukturen gehe er davon aus, dass die schwere Kieferfehlbildung auf eine Conterganschädigung zurückzuführen sei.
8Die Gutachterin Frau Prof. Dr. L. führte in ihrer Stellungnahme vom 10.09.2011 (Bl. 23 med. Akte) aus, dass der von der Klägerin und deren Eltern angegebene Zeitpunkt der Einnahme der Tablette nicht in die sensible Phase falle, in der durch Einnahme von Thalidomid Fehlbildungen entstehen könnten. Die sensible Phase beginne allgemein erst ab dem 34. Schwangerschaftstag. Die sensible Phase für Ohrmuschelfehlbildungen liege sogar erst im Zeitraum des 39. bis 43. Schwangerschaftstages. Weiterhin führte sie aus, dass die fazialen Fehlbildungen der Klägerin aufgrund des streng einseitigen Schädigungsmusters völlig untypisch für eine Thalidomidembryopathie seien. Eine streng einseitige Ohrmuschelfehlbildung ohne Extremitätenfehlbildung gebe es bei der Thalidomidembryopathie nicht. Auch die Kombination von einseitiger Ohrmuschelfehlbildung mit ipsilateraler Unterkieferfehlbildung gebe es nicht bei der Thalidomidembryopathie. Das Schädigungsmuster spreche vielmehr für ein Goldenhar- Syndrom.
9Mit Bescheid vom 14.11.2011 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf die Ausführungen der Frau Prof. Dr. L. ab.
10Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 02.12.2011 Widerspruch, den sie unter dem 23.02.2012 ausführlich begründete.
11Die Klägerin trug vor, die Einnahme der Tablette durch ihre Mutter am 21. oder 22.12.1960 könne auf den 34. Zyklustag und somit in die sensible Phase fallen. Ihre Mutter habe nicht gewusst, ab welchem Tag die Schwangerschaft berechnet werde. Zudem sei ihr Geburtstermin für Ende August berechnet worden, so dass sie einige Tage später zur Welt gekommen sei. Weiterhin gehe sie davon aus, dass ihre Mutter die Tabletteneinnahme über den 22.12.1960 fortgesetzt habe. Die Klägerin legte eine eidesstattliche Erklärung ihrer Tante F1. F2. vom 28.01.2012 vor. Diese bestätigte, die Mutter der Klägerin habe eine Contergan-Tablette eingenommen.
12Zudem trug die Klägerin vor, sie habe keine streng einseitige Fehlbildung. Zusätzlich zu den fazialen Fehlbildungen würden eine leichte s-förmige Thorakolumbalskoliose und beidseits eine Hüftdysplasie vorliegen. Hierzu legte sie einen Befundbericht von Prof. Dr. med. Q. vom 26.01.2012 (Bl. 43 med. Akte) vor.
13Außerdem legte die Klägerin einen Befundbericht von Frau Prof. Dr. med. X1. vom 27.01.2012 (Bl. 45 med. Akte) vor. Hierin führte Frau Prof. Dr. med. X1. aus, dass die Fehlbildungen möglicherweise auf eine Thalidomideinnahme zurückgeführt werden könnten, entsprechende Fehlbildungen jedoch in der Regel bilateral aufträten. Eine streng einseitige Beteiligung sei denkbar, jedoch nicht sehr wahrscheinlich.
14Die Gutachterin Frau Prof. Dr. L. führte in einer zweiten Stellungnahme unter dem 09.07.2012 (Bl. 55 med. Akte) aus, dass die leichte s-förmige Thorakolumbalskoliose wahrscheinlich durch eine jahrelang bestehende Körperschiefhaltung entstanden sei und Hüftdysplasien ein nicht seltener Befund in der Allgemeinbevölkerung seien. In der Medizinischen Punktetabelle sei eine Unterkieferhypoplasie nicht aufgelistet. Dies spreche dafür, dass eine solche Fehlbildung in Kombination mit ipsilateraler Ohrschädigung nicht vorgekommen sei. Eine solche Kombination sei auch in der internationalen Literatur nicht erwähnt. Vor allem die strenge Einseitigkeit der Fehlbildung spreche gegen eine Thalidomidembryopathie.
15Unter Hinweis auf diese Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 21.08.2012 zurück.
16Die Klägerin hat am 04.09.2012 Klage erhoben.
17Sie trägt unter Vorlage weiterer Unterlagen vor, ihre Fehlbildungen seien durch die Einnahme von Thalidomid verursacht.
18Frau Prof. Dr. med. X1. sehe zwei mögliche Ursachen ihrer Fehlbildung, nämlich eine Thalidomidembryopathie oder ein Goldenhar-Syndrom. Eine eindeutige Diagnose eines Goldenhar-Syndroms könne nicht getroffen werden, so dass die Annahme der Frau Prof. Dr. L. , es handele sich um das Goldenhar-Syndrom, nicht nachvollzogen werden könne.
19Eine Einseitigkeit des Schädigungsmusters schließe die Annahme eines Conterganschadens nicht aus. Hierzu legte sie ein Schreiben der Frau Prof. Dr. T. vom 29.08.2014 vor, bei der sie sich zur genetischen Beratung vorgestellt hatte. Frau Prof. Dr. T. habe nach Auswertung der Literatur von E. Nowack gefolgert, dass die Tatsache einer streng einseitigen Fehlbildung eine Thalidomid-Schädigung keinesfalls ausschließe.
20Auch Herr PD Dr. H. halte einen Conterganschaden für wahrscheinlich.
21Aus der medizinischen Tabelle unter Punkt 4.2 ergebe sich ebenfalls, dass einseitige Schäden möglich seien. Dort sei das „Fehlen der äußeren Ohren oder Rudimente, die keine zusammenhängende Muschel bilden – einseitig“ aufgelistet.
22Eine strenge Einseitigkeit liege zudem aufgrund der durch Herrn Prof. Dr. med. Q. festgestellten und von Herrn PD Dr. H. bestätigten orthopädischen Schäden nicht vor.
23Hinsichtlich des Zeitpunktes der Einnahme der Tablette trägt die Klägerin vor, bei einem Geburtstermin Ende August falle die Einnahme der Tablette in einen Zeitraum zwischen dem 34. bis 36. Schwangerschaftstag. Es sei auch nicht auszuschließen, dass ihre Mutter nach dem 22.12.1960 weitere Tabletten eingenommen habe. Um ihre Mutter zu schonen, habe sie sie jedoch nicht darauf angesprochen. Sie halte es jedoch für möglich, dass ihre Mutter die Einnahme weiterer Tabletten zugeben würde.
24Zudem könne, wie von Frau Prof. Dr. T. ausgeführt, ohne Mutterpass oder Ultraschallaufnahmen nicht sicher der Schwangerschaftstag zum Zeitpunkt der Tabletteneinnahme berechnet werden.
25Die Klägerin beantragt,
26die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 14.11.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2012 zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
27Die Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Sie wiederholt ihre bisherigen Ausführungen und bezieht sich auf die weiteren Stellungnahmen von Frau Prof. Dr. L. vom 21.11.2012 und 06.10.2014.
30Die einseitige faziale Fehlbildung spreche gegen eine Thalidomidschädigung. Die von Frau Prof. Dr. T. aufgezählten Fälle aus der Literatur von Nowack aus dem Jahr 1965 seien nicht mit dem Krankheitsbild der Klägerin zu vergleichen, da in den Fällen einer einseitigen Ohrmuschelsymptomatik zusätzliche Schäden an beiden oberen Extremitäten bestünden, was bei der Klägerin gerade nicht der Fall sei. In keinem der Fälle sei eine einseitige Unterkieferhypoplasie oder einseitige hemifaziale Microsomie beschrieben.
31Die orthopädischen Schäden seien zur Annahme einer beidseitigen Fehlbildung nicht geeignet. Bei einer leicht s-förmigen Thorakolumbalskoliose handele es sich nicht um eine Fehlbildung, sondern um eine Deformation, die sich im Verlauf des Lebens entwickle. Das Vorliegen dieser Deformation führe daher nicht zu einem beidseitigen Schädigungsmuster. Der Hüftbefund stehe in keinen Zusammenhang mit der fazialen Fehlbildung und sei häufig in der Allgemeinbevölkerung zu beobachten.Unter dem 22.09.2015 hat die Klägerin um Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gebeten. Dem hat die Beklagte unter dem 24.09.2015 zugestimmt.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe
34Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO übereinstimmend ihr Einverständnis hierzu erklärt haben.
35Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
36Der Bescheid der Beklagten vom 14.11.2011 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 21.08.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.06.2009 (BGBl. I S. 1537), zuletzt geändert durch das dritte Gesetz zur Änderung des ConstifG (BGBl. I S. 1847).
37Die Gewährung von Leistungen nach § 13 ContStifG – Kapitalentschädigung, Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und Conterganrente – setzt gemäß § 12 Abs. 1 ContStifG Fehlbildungen voraus, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werdenkönnen. Mit der durch den Gesetzgeber gewählten Formulierung ist der Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist.
38Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
39Mit dieser Beweiserleichterung ist darauf Rücksicht genommen, dass sowohl die Aufklärung der Thalidomideinnahme durch die Mutter als solche nach mehr als 50 Jahren, als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung an Grenzen stoßen. Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass nur theoretische Kausalzusammenhänge in dem Sinne ausreichen, dass Thalidomid als Ursache für die Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Hiermit ließe sich angesichts der Vielfalt anderer möglicher Ursachen der Kreis der anspruchsberechtigten Personen nicht verlässlich eingrenzen. Denn einer Thalidomidembryopathie vom Erscheinungsbild her ähnliche Fehlbildungen treten auch in der Allgemeinbevölkerung auf. Es muss daher mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit gerade die Einwirkung von Thalidomid während der embryonalen Entwicklung sein, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Fehlbildungen gebracht werden kann. Bloße Behauptungen oder Vermutungen reichen hierfür nicht aus.
40Es bestehen bereits nicht ausgeräumte Zweifel an der Darstellung der Klägerin, ihre Mutter habe während der sensiblen Phase der Schwangerschaft eine oder mehrere Contergantabletten eingenommen. Diese Zweifel resultieren in erster Linie aus den im Laufe des Verfahrens geänderten Angaben zu der Einnahme. In ihrem Antrag vom 13.09.2009 gab die Klägerin an, ihre Mutter habe während einer kurvenreichen Fahrt nach Mayen am 21. oder 22. Dezember 1960 zur Beruhigung gegen Reiseübelkeit einmalig eine Contergantablette eingenommen. Dies wurde so auch detailliert von beiden Elternteilen schriftlich bestätigt. In der entsprechenden Versicherung vom 03.08.2011 gab die Mutter der Klägerin an, die Einnahme sei zwischen dem 25. und 27. Schwangerschaftstag erfolgt. Unsicherheiten hinsichtlich des Einnahmezeitpunktes oder eine Einnahme weiterer Tabletten in der Folgezeit wurden nicht erklärt. Dies hätte sich aber aufgedrängt, da die Mutter der Klägerin die Bedeutung ihrer Angaben für das Conterganverfahren kannte. Sie hätte Unsicherheiten aufgeführt oder eine so eindeutige zeitliche Festlegung unterlassen. Erst nachdem Frau Prof. Dr. L. die sensible Phase, in der durch die Einnahme von Thalidomid Fehlbildungen entstehen können, auf Anfang Januar 1961 errechnete, wurde der Vortrag seitens der Klägerin und nicht seitens der Mutter geändert. Nunmehr trägt die Klägerin vor, ihre Mutter habe die Schwangerschaftstage falsch berechnet, ihr Geburtsdatum sei bereits für Ende August 1961 berechnet gewesen und sie könne sich vorstellen, dass ihre Mutter weitere Tabletten eingenommen habe. Diese Angaben sind mit den eindeutigen und detaillierten Angaben im Antrag vom 13.09.2009 nur schwer in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund ist das Vertrauen in die Glaubhaftigkeit des Vorbringens erschüttert. Auch in der eidesstattlichen Versicherung der Tante der Klägerin vom 28.01.2012 wird nur ausgeführt, dass die Mutter, nicht von ihrer Schwangerschaft wissend, auf einer Fahrt in die Eifel eine Tablette eingenommen habe.
41Der Frage des Zeitpunktes und der Häufigkeit der Tabletteneinnahme muss jedoch nicht weiter nachgegangen werden. Jedenfalls sind die von der Klägerin geltend gemachten Fehlbildungen von ihrem Erscheinungsbild bei Gesamtbetrachtung nicht so beschaffen, dass sie zumindest mit Wahrscheinlichkeit mit einer Thalidomideinnahme der Mutter in Verbindung gebracht werden können.
42Vgl. zur Bedeutung des Erscheinungsbildes für die Annahme eines Kausalzusammenhangs: Begründung des Gesetzentwurfs über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“, BT-Drs. VI/926, S. 8, ferner OVG NRW, Beschluss vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -.
43Hiervon hat sich die Kammer nach Auswertung sämtlicher ärztlicher Befunde und Stellungnahmen überzeugt.
44Die einseitige Ohrmuschelfehlbildung der Klägerin mit einer ipsilateralen Unterkieferhypoplasie und einem Fehlbiss sprechen gegen eine Thalidomidembryopathie.
45Bei der Klägerin liegt eine deformierte Ohrmuschel links mit Taubheit links, eine Duane-Retraktionsanomalie und eine Unterkieferfehlbildung ohne Extremitätenfehlbildung vor.
46Hierzu führt Frau Prof. Dr. L. aus, dass die fazialen Fehlbildungen der Klägerin aufgrund des streng einseitigen Schädigungsmusters völlig untypisch für eine Thalidomidembryopathie sind und eine einseitige Ohrfehlbildung mit begleitender, schwerer ipsilateraler Unterkieferhypoplasie und schwerer Malocclusion nicht in der internationalen Literatur zu finden ist,
47vgl. Newman, Teratogen update: Clinical aspects of thalodomide embryopathy – a continuing preoccupation, 1985; Smithells/Newman, Recognition of thalidomide effects, 1992.
48In der von Prof. W. Lenz aufgestellten Medizinischen Punktetabelle ist eine Unterkieferhypoplasie zudem nicht gelistet, was ebenfalls dafür spricht, dass diese in Kombination mit einer Ohrmuschelfehlbildung bei der Thalidomidembryopathie nicht vorgekommen ist. Angesichts dessen ist es nachvollziehbar, dass Frau Prof. Dr. L. zu dem Ergebnis kommt, dass eine Thalidomidembryopathie mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorliegt.
49Auch Frau Prof. Dr. X1. führt aus, dass thalidomidbedingte Fehlbildungen aufgrund der Wirkweise von Thalidomid in der Regel bilateral auftreten. Daher hält sie eine streng einseitige Beteiligung zwar für denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich.
50Der Umstand, dass in der Medizinischen Punktetabelle unter Punkt 4.2 eine einseitige Ohrschädigung aufgelistet ist, beruht auf der Tatsache, dass beidseitige Schädigungen nicht absolut symmetrisch sein müssen und eine Körperseite durchaus mehr betroffen sein kann als die andere.
51Die Diagnose des Herrn Dr. C. (leichte s-förmige Thorakolumbalskoliose und geringgradige Hüftdysplasie beidseits) führt nicht zu einer Wahrscheinlichkeit eines Conterganschadens. Herr Dr. C. führt zwar aus, dass die Thorakolumbalskoliose und Hüftdysplasie orthopädischerseits mit einer Conterganschädigung in Einklang zu bringen sind. Er nimmt jedoch keine Gesamtbetrachtung aller bestehenden Fehlbildungen vor. Auch setzt er die Hüftdysplasie nicht in einen Bezug zu den fazialen Fehlbildungen und thematisiert nicht, ob die Thorakolumbalskoliose möglicherweise durch eine Körperschiefhaltung entstanden sein könnte. Wie von Frau Prof. Dr. L. ausgeführt, handelt es sich bei Hüftdysplasien um einen weit verbreiteten Befund in der Allgemeinheit. Weiterhin führt sie aus, dass es sich bei einer Thorakolumbalskoliose nicht um eine Fehlbildung handelt, sondern um eine Deformation, die sich im Laufe des Lebens entwickelt. In dieser Weise äußert sich auch Herr Dr. H. , nach dessen Ansicht das Vorliegen einer Skoliose und Hüftdysplasie alleine zur Stellung der Diagnose Thalidomidschädigung nicht ausreichen.
52Soweit einzelne Fehlbildungen wie eine Ohrmuschelfehlbildung oder eine Duane-Retraktionsanomalie bei einer Thalidomidembryopathie vorkommen, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass diese auch thalidomidunabhängig auftreten,
53vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 - .
54Die von Thalidomid hervorgerufenen angeborenen Fehlbildungen können für sich genommen auch andere Ursachen haben. In dieser Weise äußert sich Frau Prof. Dr. L. , die ausführt, dass das vorliegende Schädigungsmuster einem Goldenhar-Syndrom entspricht. Auch Frau Prof. Dr. X1. hält das Vorliegen eines Goldenhar-Syndroms für möglich.
55Ob die Diagnose Goldenhar-Syndrom tatsächlich zutrifft, bedarf keiner Entscheidung. Es genügt vielmehr, dass nach den überzeugenden Ausführungen der Frau Prof. Dr. L. ein Conterganschaden nicht wahrscheinlich ist.
56Die vorliegenden sachverständigen Stellungnahmen der Frau Prof. Dr. L. sind auch hinreichend geeignet, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Sie weisen keine auch für den Nichtsachkundigen erkennbaren (groben) Mängel auf, beruhen vielmehr auf dem anerkannten Wissensstand. Sie gehen von zutreffenden tatsächlichen Verhältnissen aus, enthalten keine unlösbaren Widersprüche und geben keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Sachverständigen.
57Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.02.2012 - 1 A 1337/10 -; BVerwG, Beschluss vom 09.08.1983 - 9 B 1024/83 -.
58Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch die von Frau Dr. X. empfohlene Anerkennung vom 07.12.2010. Frau Dr. X. betrachtete lediglich die Fehlbildung der Klägerin auf dem Hals-Nasen-Ohren-Gebiet. Dabei stellte sie darauf ab, dass das Mittelohr links in Ordnung ist, aber keine Töne dorthin gelangen und dies bei Thalidomidembryopathie beschrieben ist. Sie würdigt jedoch nicht die Unterkieferhypoplasie oder Einseitigkeit der Fehlbildungen im Gesicht. Bei der Bewertung, ob ein Conterganschaden wahrscheinlich ist, ist nicht nur auf einzelne Fehlbildungen abzustellen, sondern immer das Gesamtbild des Schädigungsmusters zu betrachten.
59Die Ausführungen des Herrn Prof. Dr. A. unter dem 18.07.2011 führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Er kommt zu dem Schluss, dass die Fehlbildungen der Klägerin bei dem Goldenhar-Syndrom und im Rahmen von Conterganschädigungen auftreten. Seine Annahme des Vorliegens eines Conterganschadens wird nicht detailliert begründet. Es fehlen Angaben zu der Problematik der Kombination einseitige Ohrfehlbildung mit begleitender, schwerer ipsilateraler Unterkieferhypoplasie und schwerer Malocclusion sowie der Einseitigkeit der fazialen Fehlbildungen, die geeignet wären, die Ausführungen der Frau Prof. Dr. L. zu erschüttern oder durchgreifend in Zweifel zu ziehen.
60Auch die Einschätzungen der Frau Prof. Dr. T. und des Herrn PD Dr. H. führen nicht zu einer Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Conterganschadens. Herr Dr. H. begründet seine Ansicht, einseitige Fehlbildungen seien möglich, mit dem Vorliegen von Asymmetrien im orthopädischen Bereich. Die fazialen Fehlbildungen der Klägerin sind aber gerade nicht asymmetrisch, sondern einseitig. Frau Prof. Dr. T. wertete Literatur von E. Nowack aus und kam zu dem Ergebnis, dass das Vorliegen einer streng einseitigen Fehlbildung eine Thalidomidschädigung nicht ausschließe. Nach Auswertung dieser Literatur durch Frau Prof. Dr. L. kam diese hingegen zu dem Ergebnis, dass die bei E. Nowack aufgezählten Fälle nicht mit der Klägerin vergleichbar seien. Es bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, ob das Vorliegen einer streng einseitigen fazialen Fehlbildung ohne Extremitätenfehlbildung einen Conterganschaden ausschließt. Denn bereits die Kombination einseitige Ohrfehlbildung mit begleitender, schwerer ipsilateraler Unterkieferhypoplasie und schwerer Malocclusion macht das Vorliegen eines Conterganschadens unwahrscheinlich.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.11, 711 VwGO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 06. Okt. 2015 - 7 K 5219/12
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 06. Okt. 2015 - 7 K 5219/12 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Den in § 12 genannten leistungsberechtigten Personen stehen als Leistungen zu:
- 1.
eine einmalige Kapitalentschädigung, - 2.
eine lebenslängliche Conterganrente vorbehaltlich des Absatzes 2 Satz 3, - 3.
jährliche Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und - 4.
eine jährliche Sonderzahlung, die erstmals für das Jahr 2009 und letztmalig für das Jahr 2022 gewährt wird.
(2) Die Höhe der in Absatz 1 genannten Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen und liegt
- 1.
bei der einmaligen Kapitalentschädigung zwischen 1 278 Euro und 12 782 Euro, - 2.
bei der monatlichen Conterganrente zwischen 662 Euro und 7 480 Euro, - 3.
bei den jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe zwischen 876 Euro und 9 900 Euro. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4 800 Euro.
(3) Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird. Die §§ 72, 73, 74 Abs. 3 Satz 1, §§ 75, 76 und 77 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes finden entsprechende Anwendung. § 75 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Veräußerung und Belastung des mit der Kapitalabfindung erworbenen oder wirtschaftlich gestärkten Grundstücks, Erbbaurechts, Wohnungseigentums oder Wohnungserbbaurechts innerhalb der Frist, für die die Conterganrente kapitalisiert wurde, nur mit Genehmigung der Stiftung zulässig sind. Die Kosten der Eintragung einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 75 Abs. 1 Satz 2 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes in das Grundbuch trägt die leistungsberechtigte Person. Darüber hinaus ist die Conterganrente auf Antrag zu kapitalisieren, wenn dies im berechtigten wirtschaftlichen Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Im Übrigen kann die Conterganrente auf Antrag teilweise kapitalisiert werden, wenn dies im Interesse der leistungsberechtigten Person liegt. Die Kapitalisierung ist auf die für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren zustehende Conterganrente beschränkt. Der Anspruch auf Conterganrente, an deren Stelle die Kapitalabfindung tritt, erlischt für die Dauer des Zeitraumes, für den die Kapitalabfindung gewährt wird, mit Ablauf des Monats, der auf den Monat der Auszahlung der Abfindung folgt.
(4) Die Zahlungen der Conterganrente beginnen frühestens mit dem Antragsmonat. Wird der Antrag innerhalb von drei Monaten nach dem Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes gestellt, so wird die Conterganrente vom Zeitpunkt des Inkrafttretens an gewährt. Die jährlichen Sonderzahlungen beginnen nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 mit dem Jahr, in dem der Antrag auf Conterganrente gestellt worden ist. Für die Auszahlung der Mittel für die jährlichen Sonderzahlungen nach Absatz 1 Satz 3 werden Anträge auf Leistungen nach diesem Gesetz oder Anträge auf Erhöhung der Leistungen nach diesem Gesetz berücksichtigt, die bis einschließlich 31. Dezember 2021 gestellt worden sind. Die Zahlung der jährlichen Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 beginnt ab dem 1. Januar 2017.
(5) Die Ansprüche auf die in Absatz 1 genannten Leistungen können nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Vererblich sind lediglich Ansprüche auf Kapitalentschädigung, auf Conterganrente und auf die jährliche Sonderzahlung, die im Zeitpunkt des Todes der leistungsberechtigten Person bereits fällig geworden sind, und zwar nur dann, wenn die Person von ihrem Ehegatten, ihrer Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner, ihren Kindern oder ihren Eltern beerbt wird.
(6) Das Nähere regeln die Satzung und die Richtlinien. Die Satzung trifft insbesondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang der Kapitalisierung der Conterganrente nach Absatz 3 Satz 5 und 6 sowie über die Art der Berechnung des Kapitalbetrages. In den Richtlinien ist insbesondere zu regeln, nach welchen Maßstäben auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Mittel Leistungen nach diesem Abschnitt zu bemessen sind und wie das Verfahren zur Gewährung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe auszugestalten ist; diese Richtlinien erlässt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(7) An Erhöhungen der Conterganrente nehmen auch leistungsberechtigte Personen teil, deren Conterganrente nach Absatz 3 kapitalisiert worden ist.
(8) Für die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes entsprechend. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ist entsprechend anwendbar.
(1) Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH, Aachen, durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, werden an die Leistungsberechtigten gewährt, die bei Inkrafttreten des Errichtungsgesetzes lebten, und nach Maßgabe des § 13 Abs. 5 Satz 2 an deren Erbinnen und Erben.
(2) Wurden Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht, können die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. März 2013 geändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q. U. aus X. beigeordnet.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe
2Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger, der nach den von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens die Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich der Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1, Satz 1, den §§ 115 und 117, § 119 Abs. 1 und § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Denn es kommt nach summarischer Prüfung in Betracht, dass seine Klage mit dem Antrag,
3die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27. Februar 2012 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2012 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Contergangeschädigten anzuerkennen,
4entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg hat.
5Das Begehren des Klägers dürfte nicht an Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anerkennungsbegehrens scheitern. Die vormalige Bestimmung des § 13 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2018; im folgenden: Errichtungsgesetz) in der zuletzt geltenden Fassung ist für das Begehren des Klägers nicht mehr maßgeblich. Nach dieser Bestimmung konnten Leistungen wegen Fehlbildungen, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma D. H. GmbH in T. durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, (nur) gewährt werden, wenn die Leistungen bis zum 31. Dezember 1983 bei der Stiftung geltend gemacht worden sind, was in Bezug auf den Kläger offensichtlich nicht der Fall gewesen ist. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 2 des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) in der nunmehr geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des ContStifG vom 25. Juni 2009 vor, dass die Conterganrente und eine Kapitalentschädigung für die Zeit ab 1. Juli 2009 beantragt werden können, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemacht wurden. Das trifft, wie schon erwähnt, auf den Kläger zu, dessen Eltern zwar frühzeitig Ansprüche wegen einer möglichen Conterganschädigung erhoben haben, aber nicht (mehr) tätig geworden sind, nachdem die o. g. Stiftung gegründet worden ist. Diesen Fall regelt § 12 Abs. 2 ContStifG. Das Normverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach § 12 Abs. 2 ContStifG nur dann die Möglichkeit der Leistungsbeantragung mit Wirkung für die Zeit ab dem 1. Juli 2009 ermöglicht, wenn Leistungen nach § 13 des Errichtungsgesetzes nicht innerhalb der dort vorgesehenen Frist geltend gemachtwerden konnten, findet im Wortlaut dieser Bestimmung keinen Niederschlag und ergibt sich auch nicht bei der zusätzlichen Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Zweiten Gesetz zur Änderung des ContStifG. Soweit es etwa im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24. März 2009 (BT‑Drucks. 16/12413) heißt, die "bisher von der Ausschlussfrist betroffenen" contergangeschädigten Menschen sollten die Möglichkeit erhalten, künftig Leistungen geltend zu machen, zwingt das nicht zu der vom Verwaltungsgericht für zutreffend gehaltenen Wertung, nur solche Personen seien von der Ausschlussfrist betroffen, die bisher keinen Antrag stellen konnten. Vielmehr sind alle diejenigen von der bisherigen Ausschlussfrist betroffen, die einen Leistungsantrag ‑ warum auch immer ‑ nicht gestellt haben. Abgesehen davon gab es auch im Fall des Klägers Gründe für die Nichtantragstellung vor dem Stichtag des 31. Dezember 1983, die zwar nicht zwingend eine rechtzeitige Antragstellung ausgeschlossen haben, dies aber doch als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dazu gehört insbesondere, dass den Eltern des Klägers schon im zeitlichen Vorfeld der Schaffung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" bedeutet worden war, eine Anerkennung der Behinderungen des Klägers als Conterganschädigung komme aus medizinischen Gründen nicht in Betracht, sie also, möglicherweise sachlich zu Unrecht, mit der Aussichtslosigkeit einer Antragstellung bei der Stiftung konfrontiert worden sind und deshalb resigniert haben.
6Dem Anerkennungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er bzw. sein Vater im Jahr 1989 die Wiederaufnahme eines vor Jahren abgelehnten Anerkennungsverfahrens beantragt hat und die Stiftung seinerzeit ‑ durch erneute Befragung des schon zuvor in Erscheinung getretenen Gutachters Prof. Dr. Dr. X1. M. ‑ aus Sachgründen mit Bescheiden vom 20. August 1990 sowie vom 7. Mai 1992 bzw. mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992 die Anerkennung des Klägers abgelehnt hat. Denn in dem sich anschließenden (zivil‑)gerichtlichen Verfahren ist die sachliche Frage, worauf die multiplen Körperschäden des Klägers zurückzuführen sind, nicht abschließend gewürdigt worden. Vielmehr beruhen die Urteile des Landgerichts Bonn vom 13. Juli 1993 sowie des OLG Köln vom 25. Oktober 1994 auf der Einschätzung, dass der als "unstreitig erstmalige" bezeichnete Leistungsantrag "des Jahres 1990" mit Blick auf die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes und auf die Unmöglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Ausschlussfrist keiner sachlichen Entscheidung zugänglich gewesen sei. Damit fehlt es an einer abschließenden ‑ die gerichtliche Überprüfung umfassenden ‑ sachlichen Würdigung der bis damals vorliegenden medizinischen Befunde, und dies im Ergebnis mit der Begründung, dass die Ausschlussfrist des § 13 des Errichtungsgesetzes diese Überprüfung ausschließe. Das ist gerade der Sachverhalt, der nunmehr durch § 12 Abs. 2 ContStifG in dem Sinne geregelt wird, dass für die Zukunft unabhängig von der Versäumung einer Antragstellung vor dem 1. Januar 1984 Ansprüche auf Hilfen für Contergangeschädigte geprüft und gegebenenfalls zuerkannt werden.
7Schließlich ist auch die Frage der sachlichen Berechtigung des Anerkennungsbegehrens des Klägers als Contergangeschädigter nicht mit einer Eindeutigkeit zu verneinen, die schon eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausschließt. Sowohl in § 2 ContStifG (Stiftungszweck) als auch in § 12 Abs. 1 ContStifG (Leistungsberechtigte Personen) ist der Kreis der anspruchsberechtigten Personen weit gefasst (behinderte Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der H. GmbH, B. , durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können), um zugunsten etwaiger Betroffener der Unmöglichkeit einer über jeden Zweifel erhabenen Kausalitätsfeststellung Rechnung zu tragen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2011 ‑ 16 E 723/11 ‑, juris, Rn. 2, und vom 25. März 2013 ‑ 16 E 1139/12 ‑, juris, Rn. 2.
9Eine Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft hat nach ihren glaubhaften, auch eidesstattlich versicherten Einlassungen stattgefunden. So hat bereits kurz nach der Geburt des Klägers am 18. April 1962, nämlich am 28. April 1962, ein namentlich nicht bekannter Arzt des Krankenhauses, in dem die Geburt stattgefunden hatte, dem Hausarzt der Familie des Klägers mitgeteilt, wie die Geburt vonstattengegangen ist und welche Missbildungen beim Kläger vorliegen. Er hat insoweit ausgeführt: "Interessanterweise hat Pat. in den ersten Schwangerschaftsmonaten Contergan forte eingenommen; ein ursächlicher Faktor, der ja heute viel diskutiert wird." Da erst im November 1961 erstmals in der Presse über den Conterganverdacht berichtet worden war und nachfolgend die strafrechtlichen Ermittlungen aufgenommen wurden,
10vgl. im Einzelnen Kirk, Der Contergan‑Fall: eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe? Zur Geschichte des Arzneistoffs Thalidomid (1999), S. 85 ff.,
11handelte es sich seinerzeit noch um eine neue und ungesicherte Verdachtslage. Daher liegt es fern, dass die frühzeitige und offensichtlich spontane Angabe der Mutter des Klägers über den Tablettenkonsum im Sinne einer Förderung oder Sicherung etwaiger Regressansprüche zielgerichtet gewesen sein könnte. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. an das Treuhändergremium vom 23. September 1971 geht überdies hervor, dass auf der Grundlage der ‑ nach seiner Einschätzung allerdings unbelegten ‑ Angaben der Mutter des Klägers die Einnahme von Contergan bei normaler Dauer der Schwangerschaft zum Teil in die "sensible Phase" gefallen sei.
12Nach den Gutachten, die seit 1967 über die mögliche Ursache der Missbildungen beim Kläger erstellt worden sind, kann mit hinlänglicher Sicherheit nur ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen an den Gliedmaßen des Klägers, insbesondere des linken Unterschenkels, mit der Einnahme von Thalidomid in Verbindung gebracht werden können. Dagegen spricht vor allem das Vorhandensein von Abschnürungsfurchen, die für amniotische (von sich ablösenden Bändern der Fruchtblase, die sich um den Fötus legen können, herrührende) Schädigungen, nicht aber für thalidomidbedingte Missbildungen charakteristisch sind. Allerdings gehört zu den Missbildungen des Klägers auch eine doppelseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (sog. Wolfsrachen), die zumindest vereinzelt auch im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid während der Schwangerschaft der Mutter festgestellt worden ist; das folgt etwa aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 4. Dezember 1967, wobei dieser aber zugleich betont, das könne "keinesfalls als typisch angesehen werden". Soweit Prof. Dr. Dr. M. , der gemeinhin als der "Entdecker" des Zusammenhangs zwischen den um das Jahr 1960 gehäuft aufgetretenen spezifischen Missbildungsfällen und der Einnahme von Thalidomid durch die Mütter der geschädigten Kinder während der Schwangerschaft gilt und wesentlichen Anteil an der wissenschaftlichen Erforschung der Contergan‑Problematik hatte, in dem genannten Gutachten darauf hinweist, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig zusammen mit den übrigen ‑ nicht thalidomidbedingten ‑ Schädigungen, wie sie beim Kläger vorliegen, auftreten und sich daher "für die Gesamtheit der [beim Kläger festgestellten] Mißbildungen … eindeutig feststellen [lasse], daß sie in keiner Weise typisch für Mißbildungen nach Thalidomideinnahme sind", liegt dem offenkundig eine monokausale Betrachtung zugrunde, die sich an typischen Erscheinungsformen multipler Missbildungen orientiert, aber nicht erkennbar der Frage nachgeht, ob sich im Einzelfall ausnahmsweise mehrere ursächliche Faktoren ‑ amniogene und thalidomid-bedingte Schädigungen ‑ nebeneinander ausgewirkt haben könnten bzw. was dagegen sprechen könnte, dass es sich beim Kläger ausnahmsweise so verhalten hat. In seiner weiteren Stellungnahme vom 28. Mai 1990 verweist Prof. Dr. Dr. M. auf seine früheren Gutachten und benennt Literaturstellen, die sich mit amniogenen Fehlbildungen vor allem der Lippen und des Gaumens befassen; auf seine vormalige Einschätzung, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten auch als Thalidomid-Schädigungsfolge aufgetreten seien, geht der Gutachter indessen ebenso wenig ein wie auf die Möglichkeit einer "doppelten Kausalkette".
13Das Gutachten von Prof. Dr. X2. , Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität C. , vom 20. April 1971 beschreibt die einzelnen Fehlbildungen beim Kläger, wobei er auch noch die Möglichkeit eines linksseitigen Enophthalmus (Einsinken des Augapfels in die Augenhöhle) erwähnt, und kommt abschließend zu der Einschätzung, dass es eine derartige Fehlbildungskombination im Rahmen einer Thalidomid-Embryopathie nicht gebe. Er erörtert demgegenüber nicht die Frage, ob die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ gegebenenfalls auch der Enophthalmus ‑ isoliert betrachtet auf Thalidomid zurückzuführen sein könnte und nimmt folglich auch die Möglichkeit einer Doppelkausalität nicht in den Blick.
14Auch das im laufenden Anerkennungsverfahren erstattete Gutachten von Frau Prof. Dr. L. , Universität N. , vom 1. August 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass an der schon in der Vergangenheit gestellten Diagnose einer ‑ von ihr so bezeichneten ‑ "Amnionbänder Sequenz" auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln sei. Die amniotischen Abschnürungen (Schnürfurchen) an den Fingern, Unterschenkeln und Füßen seien auf vorliegenden Fotos gut zu erkennen; auch die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte gehöre zu diesem Fehlbildungskomplex. In der humangenetischen Literatur seien unzählige Patienten dokumentiert, die dem Phänotyp des Klägers ähnelten. Hingegen handele es sich nicht um ein teratogenes (u.a. durch Chemikalien hervorgerufene Einwirkungen auf den Embryo) Krankheitsbild, schon gar nicht um einen thalidomidbedingten Fehlbildungskomplex. Im Zusammenhang mit Thalidomidschädigungen seien die beim Kläger vorzufindenden Hand‑ und Fußfehlbildungen mit Syndaktylien (Verwachsungen bzw. Nichttrennung von Finger‑ oder Zehengliedern) und Schnürfurchen nie aufgetreten. Vielmehr seien für eine Conterganschädigung je nach dem Zeitpunkt der Einnahme spezifische und relativ symmetrisch angelegte Missbildungen an Händen, Füßen und Unterschenkeln charakteristisch, wie sie beim Kläger gerade nicht vorlägen. Aus diesen gutachterlichen Äußerungen geht mithin hervor, dass ‑ wie schon oben festgehalten ‑ die Schädigungen an den äußeren Extremitäten des Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der Conterganeinnahme durch seine Mutter während der Schwangerschaft zusammenhängen. Indessen beschränken sich die Angaben der Gutachterin zu der seit der Geburt des Klägers vorliegenden Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte darauf, dass auch diese zu dem Fehlbildungskomplex "Amnionbänder Sequenz" gehöre. Eine klare Abgrenzung zu einer möglichen teratogenen Schädigung wird ‑ anders als in Bezug auf die Missbildungen an den Gliedmaßen ‑ mit Blick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte hingegen nicht gezogen. Nach Auffassung des Senats bleibt damit im Anschluss an die Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. , dass eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte ‑ wenngleich wohl eher selten ‑ auch in Conterganfällen angetroffen worden sei, die Frage einer "doppelten Kausalität" offen. Allein der von Frau Prof. Dr. L. erneut hervorgehobene Umstand, dass Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalten häufig ‑ und ohne Anhaltspunkte für teratogene Ursachen ‑ im Zusammenhang mit amniogenen Schädigungsbildern auftrete, widerlegt nicht die aufgrund der sicheren Conterganeinnahme durch die Mutter des Klägers mehr als nur rein theoretische Möglichkeit, dass im Fall des Klägers eine Kombination aus einer teratogenen und einer amniogenen Schädigung gegeben ist. Eine solche Möglichkeit könnte nur dann ausgeschlossen werden, wenn entweder auch in Hinblick auf die Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers Spezifika vorlägen, die eindeutig auf eine amniotische Verursachung hinweisen, oder aber wenn verdeutlicht worden wäre, dass im Zusammenhang mit der Einnahme von Thalidomid nie ausschließlich eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte festgestellt worden wäre. Daran fehlt es aber auch mit Blick auf das Gutachten von Frau Prof. Dr. L. nach wie vor.
15Die Stellungnahme von Privatdozent Dr. H1. aus O. ‑ Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie/Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sportmedizin/Kinder-orthopädie ‑ vom 29. Dezember 2011 verhält sich ausschließlich zu den Missbildungen des Klägers an den Händen bzw. am linken Bein und kommt wie die vorherigen Gutachter und nachfolgend Frau Prof. Dr. L. zu der Einschätzung, dass diese Befunde nicht typisch für einen Conterganschaden seien und daher insgesamt der Antrag des Klägers abzulehnen sei. Eine spezielle Auseinandersetzung mit der Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte des Klägers bzw. mit den insoweit in Frage kommenden Ursachen findet sich in dieser Stellungnahme nicht. Frau Dr. X3. aus L1. kommt schließlich in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2010 ‑ wie schon Prof. Dr. Dr. M. ‑ zu der Einschätzung, dass die beim Kläger bestehende beiderseitige Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (jedenfalls für sich betrachtet) mit einem Conterganschaden vereinbar sei und mit 25 Punkten veranschlagt werden sollte.
16Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass die diversen Diagnosen von den Kläger behandelnden Ärzten, die fast durchweg (insgesamt) von einer thalidomidbe-dingten Schädigung des Klägers berichten, neben den oben wiedergegebenen Fachgutachten nicht ins Gewicht fallen. Es spricht weit Überwiegendes dafür, dass diese Mediziner keine genaue und abschließende Beurteilung der Schädigungsursache abgeben wollten und mussten und sich daher auf die anamnestischen Angaben des Klägers bzw. auf einen "ersten Eindruck" verlassen haben. Erwähnenswert erscheint dem Senat in diesem Zusammenhang aber die Diagnose von Dr. M1. und Dr. X4. von der Westfälischen Wilhelms‑Universität N1. ‑ Klinik und Poliklinik für Technische Orthopädie und Rehabilitation ‑ im Arztbrief vom 19. März 1990, in dem neben der Angabe "Angeborene Fehlbildung an den Extremitäten durch Amnionabschnürungen" weiter von "Verdacht auf Thalidomidschaden" und (beziehungslos dahinterstehend) "Lippen‑, Kiefer‑, Gaumenspalte" die Rede ist. Nachfolgend wird ausgeführt, neben den Fehlbildungen an den äußeren Extremitäten, die klinisch eher einer Amnion-Abschnürung entsprächen, seien in der Folge auch Fehlbildungen am Schädel wie eine Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte, eine Fehlstellung der Zähne, eine einseitige Schwerhörigkeit sowie eine Zwerchfellhernie aufgefallen; alle diese Schäden sprächen "eher wieder für einen Conterganschaden". Damit schließen diese Mediziner die Möglichkeit von Schädigungen unterschiedlicher Genese offensichtlich nicht aus. In eine ähnliche Richtung könnte auch die ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. S. , Städtische Krankenanstalten C1. ‑ Chirurgische Abteilung der Kinderklinik ‑, vom 13. Februar 1965 weisen, in der die Diagnose einer doppelseitigen Lippen‑, Kiefer‑ und Gaumenspalte (und auch die bis in die Stirn hinein klaffende Sagittalnaht) den "multiplen Amnionabschnürungen" zur Seite gestellt ‑ und gerade nicht in das Bild einer insgesamt amniogenen Schädigung einbezogen ‑ werden; entsprechend verhält es sich auch in der Stellungnahme der Stationsärztin Dr. G. , Städtische Krankenanstalten C1. , vom 3. Oktober 1962 ("Es handelte sich um eine doppelseitige Lippen‑Kiefer‑Gaumenspalte; gleichzeitig bestehen multiple Amnionabschnürungen").
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.