Verwaltungsgericht Köln Urteil, 20. Sept. 2016 - 7 K 3691/15
Tenor
Der Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 06.08.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger einen Aufnahmebescheid zu erteilen und eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
1
T a t b e s t a n d
2Der 1954 in Asbest/Gebiet Swerdlowsk/Russland geborene Kläger beantragte 1996 die Erteilung eines Aufnahmebescheids. Die Eltern des Klägers, C. L. und F. L. , geborene L1. , sind in seiner Geburtsurkunde beide als deutsche Volkszugehörige bezeichnet. Er selbst wird in seinem 1976 ausgestellten Inlandspass mit deutscher Nationalität geführt. Sein bevollmächtigter Bruder I. gab im Aufnahmeantrag an, der Kläger habe Deutsch seit Geburt von den Eltern sowie weiteren Verwandten erlernt und könne ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen. Im September 1997 unterzog sich der Kläger in der Botschaft der Beklagten in Moskau einem Sprachtest. Dabei erklärte er, als Kind von den Eltern Deutsch gelernt zu haben. Nach Beurteilung des Sprachtesters war eine Verständigung kaum möglich; der Kläger habe nur einzelne Wörter verstanden und gesprochen. Sein Wortschatz habe für ein einfaches Gespräch nicht ausgereicht. Eine Entscheidung über den Aufnahmeantrag unterblieb. Der Kläger wurde im November 2000 gemeinsam mit seinem Sohn F1. in den Aufnahmebescheid seiner Mutter einbezogen. Im April 2001 reisten der Kläger und seine Mutter in das Bundesgebiet ein und erhielten einen Registrierschein. Darin ist der Kläger als Person erfasst, die am Sprachtest teilgenommen habe und die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrsche. Der Kläger erhielt auf seinen Antrag im Juli 2001 eine Bescheinigung als Abkömmling eines Spätaussiedlers. In dem Antrag hatte er Deutsch als seine Muttersprache und Umgangssprache in der Familie bezeichnet.
3Der Mutter des Klägers wurde 2001 eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt. Sie hatte bei Antragstellung erklärt, Deutsch sei ihre Muttersprache und Umgangssprache in der Familie. In ihren Bescheinigungsakten ist vermerkt, die Mutter des Klägers spreche in einem guten, flüssigen Deutsch mit Dialekt. Eine aus Asbest stammende Zeugin, Frau H. , hatte angegeben, sie habe bis 1959 in einer „Kaserne“ mit der Mutter des Klägers gewohnt. Die Mutter des Klägers könne nur schlecht Russisch sprechen; zu Hause in der Familie L. habe sie mit ihr Deutsch gesprochen. Einer vorgelegten Archivbescheinigung der Innenverwaltung des Gebiets Donezk zufolge befand sich die Mutter des Klägers als deutsche, aus Thälmann/Gebiet Stalino stammende, während des Krieges in Deutschland aufhältige und anschließend in die UdSSR umgesiedelte Person mit ihrem Ehemann C. , ihrer Tochter S. und dem Kläger in der Spezialansiedlung. Die Mutter des Klägers ist 2002 verstorben.
4Die 1952 geborene Schwester S. des Klägers, die ebenfalls im April 2001 nach Deutschland übergesiedelt ist, hat einen Aufnahmebescheid und eine Spätaussiedlerbescheinigung erhalten. Bei ihrem 1997 durchgeführten Sprachtest war festgestellt worden, sie könne ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen, wobei sie einen ausgeprägten Dialekt verwende. Sie hatte angegeben, Deutsch von den Eltern und Russisch erst in der Schule gelernt zu haben. Sie habe außerdem einen Sprachkurs gemacht.
5Der 1957 geborene Bruder I. des Klägers lebt seit 1991 im Bundesgebiet. Ihm sind ein Aufnahmebescheid und ein Vertriebenenausweis erteilt worden. Im Aufnahmeantrag hatte er Deutsch als seine Muttersprache und Umgangssprache in der Familie bezeichnet.
6Der Sohn F1. des Klägers betreibt von Russland aus die Wiederaufnahme seines erfolglos durchgeführten Aufnahmeverfahrens. Er hatte mitgeteilt, seine Eltern hätten zu Hause nicht Deutsch mit ihm gesprochen. Über den Wiederaufnahmeantrag hat das Bundesverwaltungsamt noch nicht entschieden.
7Im August 2014 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. Im November 2014 beantragte er die Ausstellung eines Aufnahmebescheids, den er für sich und zum Zweck der Einbeziehung seines Sohnes F1. benötige. Sein Prozessbevollmächtigter vertrat den Standpunkt, nach der anzuwendenden Neufassung des BVFG sei die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache entbehrlich. Zugunsten des Klägers müsse Berücksichtigung finden, dass er bei seiner Ausreise ein einfaches Gespräch auf Deutsch habe führen können.
8Die Anträge hat das Bundesverwaltungsamt mit Bescheid vom 06.08.2015 abgelehnt. Der Kläger sei kein deutscher Volkszugehöriger nach § 6 Abs. 2 BVFG in der auf ihn gemäß § 100 a BVFG anzuwendenden Fassung aus dem Jahr 2001, denn er habe bei seiner Aussiedlung kein einfaches Gespräch auf Deutsch aufgrund familiärer Vermittlung führen können. Für die Erteilung eines Aufnahmebescheids fehle ihm schon das Rechtsschutzbedürfnis.
9Mit der bereits am 26.06.2015 erhobenen Klage macht der Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend, der Kläger habe seine Deutschkenntnisse nach dem Sprachtest erweitert.
10Der Kläger beantragt,
11die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamtes vom 06.08.2015 zu verpflichten, ihm einen Aufnahmebescheid und eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Über den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch werde sie im Hinblick auf das bereits anhängige Klageverfahren nicht mehr entscheiden.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten der vorgelegten Verwaltungsvorgänge und der beigezogenen BVFG-Akten der Mutter, der Geschwister S. und I. sowie des Sohnes F1. des Klägers Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die Klage ist als Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO zulässig.
18Für die Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheids besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Der in den Aufnahmebescheid seiner Mutter einbezogene und bereits übergesiedelte Kläger benötigt den Aufnahmebescheid zwar weder für seine Einreise im Wege des Aufnahmeverfahrens, noch für die Ausstellung einer eigenen Spätaussiedlerbescheinigung. Der Aufnahmebescheid ist aber erforderlich, um eine Einbeziehung seines Sohnes zu ermöglichen,
19vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.06.2016 - 11 A 2206/14 -.
20Der Sohn F1. kann seine Einbeziehung in den Aufnahmebescheid der F. L. nicht mehr ausnutzen, weil die Großmutter vor seiner Übersiedlung verstorben ist. Ein eigener Aufnahmebescheid ist ihm bislang nicht erteilt worden.
21Die Klage ist auch begründet.
22Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 06.08.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Absatz 5 Satz 1 VwGO).
231. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu.
24Nach § 15 Abs. 1 BVFG stellt das Bundesverwaltungsamt Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft eine Bescheinigung aus. Ob eine Person nach §§ 4, 6 BVFG Spätaussiedler ist, richtet sich grundsätzlich nach der Rechtslage bei Aufnahme in das Bundesgebiet,
25vgl. BVerwG, Urteile vom 16.07.2015 - 1 C 29.14 - und - 1 C 30.14 -.
26Für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft des Klägers, der im April 2001 im Wege des Aufnahmeverfahrens in das Bundesgebiet eingereist ist, kommt es daher auf §§ 4, 6 BVFG in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung vom 02.06.1993 - BVFG 1993 - an. Die mit Wirkung zum 07.09.2001 eingeführte Übergangsregelung des § 100 a BVFG, die zeitweise für Personen, die vor ihrem Inkrafttreten übergesiedelt waren, ausdrücklich eine abweichende Rechtslage vorgesehen hat, ist seit ihrer Aufhebung mit Wirkung vom 12.11.2015 nicht mehr anwendbar,
27vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.08.2016 - 1 B 83.16 -; OVG NRW, Urteil vom 09.06.2016 - 11 A 802/13 -.
28Der Kläger ist Spätaussiedler i.S.d. § 4, 6 BVFG 1993.
29Gem. § 4 Abs. 1 BVFG 1993 ist Spätaussiedler ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31.12.1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor unter den in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BVFG 1993 im Einzelnen bestimmten Voraussetzungen seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.
30Der Kläger, der die in § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG geregelten Stichtagsvoraussetzungen erfüllt, ist deutscher Volkszugehöriger i.S.d. § 6 Abs. 2 BVFG 1993.
31Er stammt i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BVFG von deutschen Volkszugehörigen ab. Die Eltern sind in seiner Geburtsurkunde als deutsche Volkszugehörige erfasst. Der Mutter, die das typische Schicksal der Ukrainedeutschen erlitten hat und in der Nachkriegszeit mit dem Vater sowie der Schwester des Klägers und dem Kläger selbst unter Kommandanturaufsicht gestanden hat, ist eine Spätaussiedlerbescheinigung erteilt worden.
32Der Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG 1993 ist ebenfalls erfüllt. Der Kläger, der in seinem 1976 ausgestellten Inlandspass mit deutscher Nationalität geführt wird, gehörte nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität.
33Dem Kläger ist auch i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 das bestätigende Merkmal der Sprache vermittelt worden. Nach der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung des BVerwG verlangt die Vorschrift bezogen auf das bestätigende Merkmal Sprache, dass sie von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten grundsätzlich vom Säuglingsalter an bis zur Selbständigkeit vermittelt worden ist. Dabei kommt der Sprache besondere Bedeutung zu, denn die Vermittlung von Erziehung und Kultur wird regelmäßig über die Sprache erfolgen. Die Sprache muss zumindest Gewicht haben. Dabei reicht es aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt hat und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen sprechen, wie sie selbst beherrschen. Die Kenntnis der deutschen Sprache ist zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu. Bei einem Rückschluss von aktuellem Sprachvermögen auf eine zurückliegende Sprachvermittlung sind beispielsweise zu berücksichtigen die Dauer des Aufenthalts im Elternhaus, die Sprachbegabung und der Bildungsstand des Betreffenden, die Dauer seit der Trennung vom Elternhaus sowie die Möglichkeit weiter Deutsch zu sprechen,
34vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.2000 - 5 C 44.99 -; OVG NRW, Urteil vom 07.04.2016 - 11 A 2336/14 -.
35Gemessen an diesem Maßstab ist dem Kläger die deutsche Sprache hinreichend vermittelt worden. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der familiäre Gebrauch der deutschen Sprache in Kindheit und Jugend des Klägers zumindest Gewicht hatte.
36Bei seiner Überzeugungsbildung hat das Gericht neben den Umständen, die sich aus den Akten des Klägers und seiner Familienangehörigen ergeben, auch die ergänzenden Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung berücksichtigt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, seine Mutter und sein 1970 verstorbener Vater hätten beide Deutsch gesprochen. Sie hätten auch Russisch gekonnt, die Mutter zusätzlich etwas Ukrainisch. Zu Hause sei immer Deutsch gesprochen worden. Er und seine beiden Geschwister hätten am Anfang nur Deutsch sprechen können. Russisch hätten sie erst ab der Schulzeit gelernt. Mit acht Jahren sei er auf die Schule gekommen. Man habe mit seiner Einschulung ein Jahr gewartet, weil er kein Russisch gekonnt habe. In der Schule habe er keinen Deutschunterricht gehabt. Als er etwa zehn Jahre alt gewesen sei, hätten sie in der Familie auch schon mal Russisch gesprochen. In Asbest sei seine Familie sie anfangs in Baracken untergebracht gewesen, wo nur deutsche Leute gelebt hätten. Anfang der sechziger Jahre hätten sie diese Siedlung verlassen und seien in richtige Häuser umgezogen. Damals seien Onkel und Tante sowie die Großmutter nach Kasachstan verzogen. Nach der Militärzeit sei er mit 22 Jahren zu Hause ausgezogen. Er habe aber weiter seine Mutter besucht und gemeinsam mit ihr sowie seinem Bruder I. einen Garten gehabt, in dem sie Gemüse und Obst gezogen hätten. Seine Ehefrau sei Russin. Mit ihr spreche er bis heute nur Russisch.
37Diese Angaben stehen mit denen seiner Geschwister und seiner Mutter sowie der Zeugin H. zum Sprachgebrauch in der Familie in Einklang. Dieses übereinstimmende Vorbringen lässt die Annahme zu, dass die deutsche Sprache in der elterlichen Familie, die sich ausschließlich aus deutschen Volkszugehörigen zusammensetzte, während Kindheit und Jugend des Klägers umgangssprachlich verwendet worden ist. Dabei hält das Gericht es für glaubhaft, dass der Kläger bis zu seiner Einschulung mit acht Jahren zu Hause ausschließlich Deutsch und anschließend Deutsch sowie Russisch gesprochen hat. Es erscheint lebensnah, dass mit dem beginnenden Schulbesuch der Kinder auch die Verwendung der Landessprache in das Elternhaus Eingang gefunden hat. In diese Phase fallen zudem der Wegzug der Familie aus der „deutschen“ Barackensiedlung und die Übersiedlung der Verwandten nach Kasachstan. Dass in der Familie während der zweiten Hälfte der bis zur Selbständigkeit des Klägers dauernden Zeitspanne neben Deutsch auch Russisch gesprochen wurde, ist nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unschädlich. Bezogen auf den gesamten Prägezeitraum kam der deutschen Sprache sogar Vorrang vor der Landessprache zu. Die vorgetragene Sprachvermittlung an den Kläger findet ihre Bestätigung dadurch, dass seine Mutter bei der Ankunft in Deutschland noch flüssig Deutsch mit Dialekt sprach und sowohl die zwei Jahre ältere Schwester des Klägers als auch sein drei Jahre jüngerer Bruder noch als Erwachsene die deutsche Sprache in einem Umfang beherrscht haben, der die Erteilung eines Aufnahmebescheids und ihre Anerkennung als (Spät-)Aussiedler zuließ. Als eindeutiger Beleg für den familiären Gebrauch der deutschen Sprache während der Kindheit des Klägers fällt dabei der ausgeprägte Dialekt ins Gewicht, den der Sprachtester bei der Schwester des Klägers ausgemacht hat. Dementsprechend geht das Gericht davon aus, dass der Kläger als mittleres von drei Geschwistern in der Familie ebenfalls mit Gewicht Deutsch gelernt hat. Dieser Annahme steht die Bewertung seines 1997 absolvierten Sprachtests nicht entgegen. Das Wortlautprotokoll des Prüfungsgesprächs weckt bereits Zweifel daran, dass die Beurteilung, der Kläger habe sich kaum auf Deutsch verständigen können, zutreffend war. Von nur acht an ihn gestellten Fragen hat er sieben oder zumindest sechs verstanden und in - wenn auch grammatikalisch fehlerhaften, knappen - Sätzen beantwortet. Jedenfalls lassen die Einschränkungen, denen der Kläger beim deutschen Sprachgebrauch im Jahr 1997 unterlag, nicht den Rückschluss zu, er habe bis zum Erreichen der Selbstständigkeit nicht hinreichend Deutsch in der Familie gelernt. Zu berücksichtigen ist die lange Zeitspanne von 25 Jahren, die zwischen dem maßgeblichen Zeitpunkt des Erreichens der Selbständigkeit und dem Sprachtest gelegen hat. Während dieses Zeitraums bestanden für den Kläger als Kraftfahrer in einer Asbestfabrik und in seiner eigenen mit einer ausschließlich russischsprachigen Ehefrau gegründeten Familie offensichtlich nur eingeschränkte Möglichkeiten, die deutsche Sprache weiter zu gebrauchen. Aus demselben Grund kommt dem zum noch späteren Zeitpunkt seiner Ausreise gefertigten Vermerk im Registrierschein, in dem eine ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache verneint wird, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Dabei ist den Akten ohnehin nicht zu entnehmen, ob dieser Vermerk auf den Test aus dem Jahr 1997 Bezug nimmt oder ob und mit welchem genauen Inhalt anlässlich der Registrierung noch ein zusätzlicher Sprachtest gemacht worden ist.
382. Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Erteilung eines nachträglichen Aufnahmebescheids gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG.
39Für den Kläger, der das Aussiedlungsgebiet bereits verlassen hat, kommt nur die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheids im Härteweg in Betracht. Gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG kann abweichend vom Erfordernis eines Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.
40Der Kläger kann sich auf eine besondere Härte im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG berufen. Ihm ist es als deutschem Staatsangehörigen nicht zuzumuten, die Erteilung eines Aufnahmebescheids im Aussiedlungsgebiet abzuwarten,
41vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.2004 - 5 C 1.03 -.
42Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass es an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Übersiedlung des Klägers im Jahr 2001 und der Stellung des Aufnahmeantrags fehlte. Abzustellen ist dabei nicht auf den im November 2014 gestellten Antrag, sondern auf den Aufnahmeantrag aus dem Jahr 1996, über den das Bundesverwaltungsamt bis zum 06.08.2015 nicht abschließend entschieden hat,
43vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 23.06.2016 - 11 A 2206/14 -.
44Der Kläger erfüllt auch die sonstigen Voraussetzungen i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Bei der Entscheidung über einen nachträglichen Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG richtet sich die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft als „sonstige Voraussetzung“ nach derselben Rechtslage, die für die Entscheidung über die Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG heranzuziehen ist,
45vgl. BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 - 1 C 29.14 -.
46Für die Feststellung, dass der Kläger die Spätaussiedlereigenschaft besitzt, kann daher auf die Ausführungen zu 1. Bezug genommen werden.
47Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
48Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 709 ZPO.
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(1) Das Bundesverwaltungsamt stellt Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft eine Bescheinigung aus. Eine Wiederholung des Gesprächs im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 findet hierbei nicht statt. Bei Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, beteiligt das Bundesverwaltungsamt vor Erteilung der Bescheinigung den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt, wenn dies zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d und e geboten ist. Die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung ist für Staatsangehörigkeitsbehörden und alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Hält eine Behörde oder Stelle die Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes über die Ausstellung der Bescheinigung nicht für gerechtfertigt, so kann sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch das Bundesverwaltungsamt beantragen.
(2) Das Bundesverwaltungsamt stellt dem in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogenen Ehegatten oder Abkömmling eine Bescheinigung zum Nachweis des Status nach Artikel 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie seiner Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 aus. Eine Bescheinigung nach Absatz 1 kann nur ausgestellt werden, wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides beantragt und nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden ist. Im Übrigen gilt Absatz 1 entsprechend.
(3) Über die Rücknahme und die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung entscheidet die Ausstellungsbehörde.
(4) Eine Bescheinigung kann mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihre Ausstellung gewesen sind, erwirkt worden ist. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit darf nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach Ausstellung der Bescheinigung erfolgen. Hat die Rücknahme einer Bescheinigung nach Absatz 1 auch Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Bescheinigungen nach Absatz 2, so ist für jeden Betroffenen eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist das Maß der Beteiligung des Ehegatten oder Abkömmlings an einer arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Spätaussiedlers gegen die schutzwürdigen Belange des Ehegatten oder Abkömmlings, insbesondere unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen. Der Widerruf einer Bescheinigung ist nicht zulässig.
(1) Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.
(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.
(1) Das Bundesverwaltungsamt stellt Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft eine Bescheinigung aus. Eine Wiederholung des Gesprächs im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 findet hierbei nicht statt. Bei Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, beteiligt das Bundesverwaltungsamt vor Erteilung der Bescheinigung den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt, wenn dies zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d und e geboten ist. Die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung ist für Staatsangehörigkeitsbehörden und alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Hält eine Behörde oder Stelle die Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes über die Ausstellung der Bescheinigung nicht für gerechtfertigt, so kann sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch das Bundesverwaltungsamt beantragen.
(2) Das Bundesverwaltungsamt stellt dem in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogenen Ehegatten oder Abkömmling eine Bescheinigung zum Nachweis des Status nach Artikel 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie seiner Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 aus. Eine Bescheinigung nach Absatz 1 kann nur ausgestellt werden, wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides beantragt und nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden ist. Im Übrigen gilt Absatz 1 entsprechend.
(3) Über die Rücknahme und die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung entscheidet die Ausstellungsbehörde.
(4) Eine Bescheinigung kann mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihre Ausstellung gewesen sind, erwirkt worden ist. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit darf nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach Ausstellung der Bescheinigung erfolgen. Hat die Rücknahme einer Bescheinigung nach Absatz 1 auch Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Bescheinigungen nach Absatz 2, so ist für jeden Betroffenen eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist das Maß der Beteiligung des Ehegatten oder Abkömmlings an einer arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Spätaussiedlers gegen die schutzwürdigen Belange des Ehegatten oder Abkömmlings, insbesondere unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen. Der Widerruf einer Bescheinigung ist nicht zulässig.
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 12. März 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2013 verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen und ihren Ehemann in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 8. Januar 1951 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin stellte am 21. Juli 1998 einen Aufnahmeantrag. Der Antrag bezog sich auch auf ihren Ehemann, Herrn T. S. , und ihre beiden Töchter sowie ein Enkelkind.
3Mit Bescheid vom 23. Juni 2004 wurden die Klägerin, ihre beiden Töchter und ihr Enkelkind in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter, Frau H. M. , einbezogen. Der Ehemann der Klägerin wurde in diesem Aufnahmebescheid als weiterer Familienangehöriger des Spätaussiedlers i. S. d. § 8 Abs. 2 BVFG aufgeführt.
4Den Aufnahmeantrag der Klägerin lehnte das Bundesverwaltungsamt durch Bescheid vom 20. August 2004 ab. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Aufnahme als Spätaussiedlerin. Es müsse davon ausgegangen werden, dass in ihrem ersten Inlandspass eine andere Nationalität als die deutsche eingetragen gewesen sei. Die Möglichkeit der Einbeziehung der Familienangehörigen in ihren Aufnahmebescheid bestehe deshalb nicht. Am 17. September 2004 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid.
5Gemeinsam mit ihrer Mutter reisten die Klägerin und ihr Ehemann sowie ihre Abkömmlinge am 1. Juni 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 28. Juni 2005 wurde der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt.
6Das Bundesverwaltungsamt teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. Juli 2005 Folgendes mit: Ihrem Ehemann könne derzeit keine Bescheinigung erteilt werden, da dieser lediglich als weiterer Familienangehöriger in ihren Einbeziehungsbescheid eingetragen und somit nicht im „Wege des Aufnahmeverfahrens“ eingereist sei. Da sie nunmehr im Bescheinigungsverfahren gemäß § 15 BVFG – abweichend von den Feststellungen im Aufnahmeverfahren – Anerkennung als Spätaussiedlerin gefunden habe, könne sie die Erteilung eines Aufnahmebescheids im Härtefallverfahren unter Einbeziehung ihres Ehemanns als nichtdeutscher Ehegatte beantragen. „Einen derartigen Höherstufungsantrag“ könne sie als maßgebliche Antragstellerin nunmehr formlos stellen und der hiesigen Außenstelle zuleiten. Eine Einbeziehung ihres Ehemanns in einen ihr zu erteilenden Aufnahmebescheid setze aber voraus, dass ihr Ehemann Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweise. Für diesen Nachweis komme die Vorlage eines Zertifikats „Start Deutsch 1“ in Betracht. Im Übrigen werde ihr Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 20. August 2004 als erledigt angesehen, da sie zwischenzeitlich antragsgemäß Anerkennung als Spätaussiedlerin gefunden habe und für ihren Ehemann unter den dargelegten Voraussetzungen eine Anerkennung im Höherstufungsverfahren in Betracht komme. Andernfalls werde um entsprechende Mitteilung gebeten.
7Die Bevollmächtigte der Klägerin, ihre Schwester Maria M. , hatte dem Bundesverwaltungsamt mit Schreiben vom 5. Juli 2005 Anmeldebestätigungen für die Klägerin und ihren Ehemann übersandt. Das Bundesverwaltungsamt teilte der Bevollmächtigten mit Schreiben vom 1. September 2005 mit: Da bisher lediglich die Anmeldebestätigung für die Klägerin und ihren Ehemann vorliege, habe bisher nur für sie eine Bescheinigung nach § 15 BVFG ausgestellt werden können. Nachdem die Bevollmächtigte Meldebescheinigungen betreffend die Töchter der Klägerin übersandt hatte, wurde diesen am 26. Oktober 2005 jeweils eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG als Abkömmling gemäß § 7 Abs. 2 BVFG ausgestellt.
8Ausweislich der Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 legte der Ehemann der Klägerin die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch gemäß § 17 Abs. 1 der Integrationskursverordnung am 5. Mai 2006 ab, bestand den Sprachtest zum Zertifikat B1 jedoch nicht. Das Bundesamt bescheinigte ihm, von den für das Bestehen erforderlichen 60 % im schriftlichen Teil 53,11 % und im mündlichen Teil die erforderlichen 60 % erreicht zu haben.
9Am 12. Februar 2013 beantragte die Klägerin die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 7 Abs. 2 BVFG für ihren Ehemann.
10Durch Bescheid vom 12. März 2013 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab: Eine nachträgliche Einbeziehung ihres Ehemanns sei nicht möglich. Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise im Jahre 2005 seien die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache für ihren Ehemann nicht nachgewiesen, obwohl sie schon vor über sieben Jahren mit Schreiben vom 13. Juli 2005 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass der Sprachnachweis eine Grundvoraussetzung für die Einbeziehung ihres Ehemanns sei. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Bundesverwaltungsamt durch Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2013 ‑ zugestellt am 31. Oktober 2013 - zurück.
11Am 2. Dezember 2013, einem Montag, hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht: Sie habe auf den Widerspruchsbescheid am 31. Oktober 2013 eine Gegenvorstellung erhoben und die Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 vorgelegt. Soweit die Beklagte darauf abstelle, diese Bescheinigung lasse keinen Rückschluss darauf zu, dass ihr Ehemann im Zeitpunkt der Begründung des Aufenthalts in der Bundesrepublik über die Fähigkeit verfügt habe, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen, könne ihr dies nicht entgegengehalten werden. Ihr Ehemann sei seinerzeit als sonstiger Angehöriger gemäß § 8 BVFG eingereist und habe schon deshalb keine Deutschkenntnisse nachweisen müssen. Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich auch nicht, dass im Falle der nachträglichen Härtefalleinbeziehung nachgewiesen werden müsse, dass bereits im Zeitpunkt der Begründung des Aufenthalts die Sprachkompetenz vorgelegen haben müsse. Dies gelte nur für den Spätaussiedler selbst. Da ihr Ehemann mit der Bescheinigung, die noch im zeitlichen Zusammenhang mit der Übersiedlung ausgestellt worden sei, entsprechende Sprachkenntnisse nachweisen könne, die sogar noch über dem geforderten Niveau A1 lägen, und er als ihr Ehemann mit ihr zusammen den ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet begründet habe, sei der zeitliche Zusammenhang mit der Aussiedlung gewahrt und damit die nachträgliche Härtefalleinbeziehung zu erteilen.
12Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
13Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. März 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2013 zu verpflichten, dem Ehemann der Klägerin, Herrn T. S. , einen Einbeziehungsbescheid zu erteilen,
15hilfsweise,
16über einen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
17Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. September 2014 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung des Ehemanns der Klägerin (in einen der Klägerin nachträglich zu erteilenden Aufnahmebescheid) lägen nicht vor. Es könne dahinstehen, ob sich aus der Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 über das Ergebnis zum Integrationskurs gemäß § 17 Abs. 1 und 2 IntV zugleich ein ausreichender Nachweis über die nach § 27 BVFG erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache ergebe. Denn weitere Voraussetzung für eine nachträgliche Härtefalleinbeziehung sei, dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Übersiedlung und der Antragstellung bestehe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin sei mit ihrem Ehemann am 1. Juni 2005 nach Deutschland übergesiedelt. Der als Antrag auf nachträgliche Einbeziehung zu wertende Antrag sei aber erst unter dem 5. Februar 2013 und damit mehr als siebeneinhalb Jahre nach der Übersiedlung gestellt worden.
20Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung führt die Klägerin aus: Soweit das Verwaltungsgericht zur Begründung der Klageabweisung auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Gerichts hingewiesen habe, übersehe es, dass zwischen den von diesen Gerichten zu entscheidenden Fällen und ihrem Fall gravierende Unterschiede bestünden. Jene Fälle hätten einen Spätaussiedler selbst und Abkömmlinge betroffen. Sie hingegen sei als Abkömmling ihrer Mutter mit ihrem Ehemann eingereist, der nur in der Anlage zum Aufnahmebescheid ihrer Mutter als Familienangehöriger nach § 8 BVFG aufgeführt gewesen sei. Außerdem stamme der Aufnahmebescheid aus dem Jahr 2004. Nach der damaligen Rechtsprechung habe sie keine Möglichkeit gehabt, einen eigenen Aufnahmebescheid zu erstreiten, weil nach der Einreise eine Höherstufung durch die zuständige Behörde möglich gewesen sei und deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheids gefehlt habe. Es sei im Übrigen nicht einzusehen, dass der derivative Status nach § 7 BVFG nicht zeitlich unbegrenzt gelte. Durch das 10. BVFG-Änderungsgesetz seien für den Fall der Einbeziehung das Wohnsitzerfordernis im Herkunftsgebiet und der zeitliche Zusammenhang ganz aufgegeben worden. Es könne nicht der Zeitpunkt der Aufenthaltsbegründung maßgeblich für die Zulässigkeit des Einbeziehungsantrags sein.
21Die Klägerin beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 12. März 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2013 zu verpflichten, ihr einen Aufnahmebescheid zu erteilen und ihren Ehemann in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
23Die Beklagte beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
27Die zulässige Berufung ist begründet.
28A. Die Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheids ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das erforderliche Rechtsinteresse. Die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheids ist für die Klägerin nicht eindeutig nutzlos.
29Personen, die als Ehegatte oder Abkömmling in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen und danach in das Bundesgebiet übergesiedelt sind, haben grundsätzlich kein Rechtsschutzinteresse an der Erteilung eines nachträglichen Aufnahmebescheids als Spätaussiedler. Diese Personen benötigen keinen Aufnahmebescheid, um im Wege des Aufnahmeverfahrens einzureisen oder um nach Einreise auf diesem Wege als Ehegatte oder Abkömmling einer Bezugsperson aus eigenem Recht eine Spätaussiedlerbescheinigung zu erlangen.
30Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (288 f., Rn. 20 ff.), und ‑ 1 C 30.14 -, juris, Rn. 17 ff.
31Anders liegt es bei der Klägerin. Diese benötigt zwar den Aufnahmebescheid weder für die Einreise im Wege des Aufnahmeverfahrens noch für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung für sich selbst. Sie ist als Abkömmling in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter einbezogen worden, gemeinsam mit dieser im Juni 2005 und deshalb „im Wege des Aufnahmeverfahrens“ in das Bundesgebiet eingereist. Ihr ist nach der Einreise eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt worden. Für die (nachträgliche) Einbeziehung ihres Ehemanns ist aber die Erteilung eines Aufnahmebescheids erforderlich. Andernfalls kann ihrem Ehemann keine Bescheinigung als Ehegatte einer Spätaussiedlerin nach § 15 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz ‑ BVFG) in der Fassung des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) ausgestellt werden. Denn nach dieser Vorschrift stellt das Bundesverwaltungsamt (nur) dem in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogenen Ehegatten oder Abkömmling eine Bescheinigung zum Nachweis des Status nach Art. 116 Abs. 1 GG sowie eine Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG aus.
32B. Die Klage ist auch begründet. Der ablehnende Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 12. März 2013 und sein Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
33Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Erteilung eines Aufnahmebescheids und Einbeziehung ihres Ehemanns in diesen Aufnahmebescheid.
34I. Dem Anspruch steht - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht entgegen, dass es an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Übersiedlung der Klägerin und ihres Ehemanns sowie der Stellung eines Antrags auf dessen Einbeziehung fehlte. Ein zeitlicher Zusammenhang bestünde zwar nicht, wenn auf den Antrag auf Erteilung eines nachträglichen Aufnahmebescheids abzustellen wäre, den die Klägerin im Februar 2013 gestellt hat. Maßgeblich ist aber der bereits am 21. Juli 1998 gestellte Antrag auf Aufnahme nach dem Bundesvertriebenengesetz, der sich gleichzeitig auf eine Aufnahme auch ihres Ehemanns bezog. Über diesen ist nicht abschließend entschieden worden. Auf den gegen den Ablehnungsbescheid vom 20. August 2004 erhobenen Widerspruch ist kein Widerspruchsbescheid ergangen, sodass das Widerspruchsverfahren noch anhängig ist. Die Beklagte hat der Klägerin nach ihrer Einreise im Juni 2005 am 28. Juni 2005 eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt, zuvor aber keinen Aufnahmebescheid erteilt. Sie hat die Klägerin auch nicht durch ihr Schreiben vom 13. Juli 2005 beschieden. Denn darin hat sie lediglich mitgeteilt, sie betrachte den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid als erledigt, da die Klägerin Anerkennung als Spätaussiedlerin gefunden habe und für ihren Ehemann eine Anerkennung im Höherstufungsverfahren in Betracht komme.
35II. Die Klägerin hat auf die Geltendmachung ihres Anspruchs auf Erteilung eines Aufnahmebescheids weder verzichtet noch ist Verwirkung eingetreten.
361. Anhaltspunkte für einen Verzicht der Klägerin auf diesen Anspruch liegen nicht vor. Solche ergeben sich jedenfalls nicht deshalb, weil die Klägerin nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 13. Juli 2005 keinen formlosen „Höherstufungsantrag“ betreffend ihren Ehemann gestellt hat. Ein Verzicht könnte nur anzunehmen sein, wenn die Klägerin eindeutig und unmissverständlich erklärt hätte, sie wolle ihren bisher nicht beschiedenen Antrag nicht weiterverfolgen.
37Vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 15. Auflage 2014, § 22 Rn. 73, m. w. N.; Rigten, in: Knack/Henneke, VwVfG, Kommentar, 10. Auflage 2014, § 22 Rn. 90.
38Eine entsprechende Erklärung hat sie aber zu keinem Zeitpunkt abgegeben.
392. Auch eine Verwirkung ist nicht anzunehmen. Ob eine Befugnis oder ein Recht verwirkt und die Ausübung bzw. Geltendmachung deshalb unzulässig geworden ist, kann immer nur angesichts der besonderen Umstände des konkreten Falls beurteilt werden. Voraussetzung für den Eintritt einer Verwirkung ist neben der Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens (Umstandselement) auch das Verstreichen eines längeren Zeitraums (Zeitelement). Das Umstandselement liegt vor, wenn der Pflichtige aufgrund des vom Inhaber des Rechts gezeigten Verhaltens unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nach Treu und Glauben die berechtigte Erwartung hegen darf, von dem Recht werde kein Gebrauch mehr gemacht. Dieser Eindruck kann nicht nur durch Erklärungen, sondern auch durch ein bestimmtes sonstiges Verhalten erweckt werden. Bloßes Untätigbleiben des Inhabers des Rechts reicht, selbst über einen langen Zeitraum, nicht aus. Anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn aufgrund des besonderen Rechtsverhältnisses (z. B. im Nachbarschaftsverhältnis) eine Rechtspflicht zum Handeln besteht oder der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen der Betroffene erwarten kann, dass Schritte zur Rechtswahrung unternommen werden.
40Vgl. in diesem Sinne Kopp/Ramsauer, a. a. O. § 53 Rn. 45 f., m. w. N.; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 8. Auflage 2014, § 53 Rn. 23 f.
41Das Vorliegen eines Umstandselements kann nicht bejaht werden. Die Klägerin ist zwar durch Schreiben der Beklagten vom 13. Juli 2005 darauf hingewiesen worden, sie könne einen „Höherstufungsantrag“ betreffend ihren Ehemann stellen. Sie hat der Beklagten daraufhin nur Anmeldebestätigungen, die u. a. ihre Töchter betrafen, zukommen lassen, nicht aber einen entsprechenden Antrag gestellt. Aus diesem Verhalten der Klägerin konnte die Beklagte aber nicht ableiten, die Klägerin wolle ihren Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheids, soweit sich dieser auf die Einbeziehung ihres Ehemanns bezog, nicht weiterverfolgen. Es bestand für die Klägerin keine Rechtspflicht, auf dieses Schreiben hin einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dieses Schreiben ist inhaltlich unzutreffend. Denn ein „Höherstufungsantrag“ für einen miteinreisenden Familienangehörigen i. S. d. § 8 Abs. 2 BVFG war nach dem Bundesvertriebenengesetz in der zum Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens geltenden Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I. S. 1950) - BVFG 2005 - nicht vorgesehen. Vielmehr stand der Klägerin - wie auch nach der heute geltenden Fassung des Bundesvertriebenengesetzes - allein die Möglichkeit offen, die Erteilung eines Aufnahmebescheids im Härteweg, in den der Ehemann hätte einbezogen werden können (vgl. § 27 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 BVFG 2005), weiter zu verfolgen. Abgesehen davon konnte das missverständlich formulierte Schreiben des Bundesverwaltungsamts vom 1. September 2005, in dem von ihm vorliegenden Anmeldebestätigungen für sie und ihren Ehemann die Rede war, zudem den Eindruck erwecken, sie habe hinsichtlich ihres Ehemanns nichts weiter mehr zu veranlassen, sondern müsse nur noch hinsichtlich der übrigen „Antragsteller“, also ihrer Töchter nebst Familienangehörigen, Anmeldebestätigungen übersenden, damit - wie es in dem Schreiben weiter wörtlich heißt - „auch den anderen Antragstellern eine Bescheinigung“ erteilt werden könne.
42III. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids sind die §§ 26, 27 BVFG in der im Entscheidungszeitpunkt des erkennenden Gerichts geltenden Fassung.
43Vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 22. April 2004 - 5 C 27.02 -, Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr. 11; auch BVerwG, Urteile vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (294 ff., Rn. 37 ff.), und - 1 C 30.14 -, juris, Rn. 33 ff., wonach (nur) bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 BVFG aus Gründen des materiellen Rechts eine andere Rechtslage maßgeblich sein kann.
44Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG kann abweichend von Satz 1 Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt oder es kann die Eintragung nach Abs. 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG sieht vor, dass der im Aussiedlungsgebiet lebende Ehegatte, sofern die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht, zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson einbezogen wird, wenn in seiner Person kein Ausschlussgrund i. S. d. § 5 BVFG vorliegt und die Bezugsperson die Einbeziehung ausdrücklich beantragt; Ehegatten und volljährige Abkömmlinge müssen auch Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen.
45Die Voraussetzungen des §§ 27 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 BVFG sind erfüllt.
46a. Für die Klägerin kommt nur die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheids bzw. Nachholung der Eintragung der Einbeziehung ihres Ehemanns in Betracht. Die Klägerin hat das Aussiedlungsgebiet im Juni 2005 verlassen und ist nicht im Besitz eines eigenen Aufnahmebescheids.
47b. Die Klägerin kann sich auf eine besondere Härte im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG berufen. Sie ist Spätaussiedlerin und deutsche Staatsangehörige. Ihr ist für die Durchführung eines Einbeziehungsverfahrens weder eine Rückkehr mit ihrem Ehemann noch ihres Ehemanns allein in die Russische Föderation zumutbar.
48c. Die Klägerin erfüllt auch die sonstigen Voraussetzungen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG.
49aa. Sie hat den Aufnahmeantrag vor der Übersiedlung zum Zwecke der gemeinsamen Ausreise mit ihrem Ehemann gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass der Ehemann einen Ausschlussgrund i. S. d. § 5 BVFG erfüllt, sind nicht ersichtlich.
50bb. Der Ehemann besitzt Grundkenntnisse der deutschen Sprache i. S. d. § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG.
51Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Einzubeziehende Sprachkenntnisse zumindest auf der untersten Stufe des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen - A1 - besitzt und entsprechend nachweisen sowie belegen kann.
52Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2011 - 12 A 2657/09 -, juris, Rn. 3, und vom 25. Februar 2009 - 12 A 3169/08 -, juris, Rn. 8, sowie Urteil vom 26. Oktober 2005 - 2 A 980/05 -, juris, Rn. 18.
53Eine spezifische Form des Nachweises sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor. Die Vorlage eines Zertifikats etwa des Goetheinstituts über die erfolgreiche Ablegung des Tests mindestens auf der Stufe A 1 ist erforderlich, aber auch ausreichend.
54Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2011 ‑ 12 A 1154/10 -, juris, Rn. 8.
55Durch die Vorlage der dem Ehemann ausgestellten Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 über das Ergebnis des Abschlusstests zum Integrationskurs gemäß § 17 Abs. 1 und 2 der Integrationskursverordnung in der Fassung vom 1. Januar 2004 (BGBl. I S. 2004, 3370) - IntV a. F. - hat die Klägerin nachgewiesen, dass ihr Ehemann ausreichende Grundkenntnisse der deutschen Sprache i. S. d. Stufe A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen besitzt. Jener Referenzrahmen sieht drei unterschiedliche Kompetenzstufen („A“ bis „C“) mit jeweils zwei Sprachniveaus vor. Die unterste Kompetenzstufe („Elementare Sprachverwendung“) umfasst die Sprachniveaus A 1 - Anfänger und A 2 - Grundlegende Kenntnisse. Das Sprachniveau B 1 („Fortgeschrittene Sprachverwendung“) zählt zur nächsthöheren Kompetenzstufe („Selbständige Sprachverwendung“).
56Zu den Sprachniveaus A 1 bis B 1 heißt es im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen:
A1 – Anfänger
57
Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z. B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.
A2 – Grundlegende Kenntnisse
58
Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von ganz unmittelbarer Bedeutung zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung). Kann sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen, in denen es um einen einfachen und direkten Austausch von Informationen über vertraute und geläufige Dinge geht. Kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunft und Ausbildung, die direkte Umgebung und Dinge im Zusammenhang mit unmittelbaren Bedürfnissen beschreiben.
B1 – Fortgeschrittene Sprachverwendung
59Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.
60Auszug aus dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER), www.europaeischer-referenzrahmen.de.
61Ausweislich der Bescheinigung vom 24. Juli 2006 erfüllt der Ehemann der Klägerin das Sprachniveau B 1 im mündlichen Bereich und hat es im schriftlichen Bereich nur um 6,89 Prozentpunkte verfehlt. Er kann danach (mündlich) „Hauptpunkte“ verstehen und „die meisten Situationen bewältigen“. Es liegt damit auf der Hand, dass der Ehemann gleichzeitig dargetan hat, er beherrsche die Sprachanwendung, die für das zwei Stufen darunter liegende Sprachniveau A 1 - Anfänger erforderlich ist. Er ist bei seinem Abschlusstest nur geringfügig und nur im schriftlichen Bereich unterhalb den Anforderungen des anspruchsvolleren Sprachniveaus B 1 geblieben und hat damit jedenfalls gezeigt, dass er „vertraute, alltägliche Ausdrücke verstehen und verwenden“ kann, „die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen“.
62cc. Nicht entscheidend ist, dass die Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über die Sprachkenntnisse des Ehemanns mehr als ein Jahr nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik ausgestellt worden ist und sich auf seine Sprachkenntnisse bezieht, die er 11 Monate nach seiner Einreise gezeigt hat.
63(1) Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Spätaussiedler den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse des Einzubeziehenden schon für den Zeitpunkt der gemeinsamen Übersiedlung erbringen muss. Die Vorschrift des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG fordert ausdrücklich (nur) „Grundkenntnisse der deutschen Sprache“. Über den Zeitpunkt des Beherrschens dieser Grundkenntnisse lässt sich aus dieser Vorschrift - anders als aus § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG, der ausdrücklich regelt, zu welchem Zeitpunkt der Spätaussiedler seine Sprachkenntnisse nachweisen muss - nichts entnehmen.
64(2) Sinn und Zweck der Regelung sprechen nicht für das Verständnis der Beklagten, für den nach § 27 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG nachträglich Einzubeziehenden müsse das Vorhandensein der Grundkenntnisse der deutschen Sprache schon für den Zeitpunkt der gemeinsamen Übersiedlung mit der Bezugsperson nachgewiesen werden.
65(a) Die durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 einfügte und am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Anspruchsvoraussetzung des Nachweises der „Grundkenntnisse der deutschen Sprache“ des Einzubeziehenden dient dem Ziel, dessen Integration durch eine bereits vor dem Zuzug erworbene Sprachkompetenz zu erleichtern. Anlass für die Regelung war ausweislich der Gesetzesbegründung, in der ausdrücklich auf einen entsprechenden Vorschlag der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ Bezug genommen worden ist,
66vgl. deren Bericht „Zuwanderung gestalten - Integration fördern“ vom 4. Juli 2001, www.bmi.bund.de, S. 183 f.,
67die Entwicklung der Zusammensetzung der aussiedelnden Familien und die daraus resultierenden integrationspolitischen Schwierigkeiten bei ihrer Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland. Die Integrationsfähigkeit der mit einem Einbeziehungsbescheid Aufgenommenen war wegen fehlender Kenntnisse der deutschen Sprache erheblich gesunken und hatte sich damit anders entwickelt, als vom Gesetzgeber ursprünglich angenommen. Durch die Neuregelung sollten die Betroffenen „dazu angeregt werden, sich bereits im Aussiedlungsgebiet ausreichende Deutschkenntnisse anzueignen und dadurch ihre Integration in Deutschland zu erleichtern“.
68Vgl. die gleichlautenden Begründungen des Entwurfs zu Art. 6 Nr. 5 b) des Zuwanderungsgesetzes der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 8. November 2001, BT-Drs. 14/7387, S. 111, und des Entwurfs der Bundesregierung zu Art. 6 Nr. 6 b) des Zuwanderungsgesetzes vom 7. Februar 2003, BT-Drs. 15/420, S. 119.
69Der Gesetzgeber bezog sich damit aber ausdrücklich (nur) auf diejenigen Familienangehörigen, die schon vor der Aussiedlung in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden und nicht auf den Fall der nachträglichen Einbeziehung im Härteweg. Denn infolge der Neuregelung war und ist eine Einbeziehung der Familienangehörigen in den Aufnahmebescheid schon im Herkunftsgebiet nur dann möglich, wenn der Nachweis der ausreichenden Sprachkenntnisse vor der Aussiedlung erbracht wird. Das wird durch die weitere Gesetzesbegründung bestätigt, in der aber auch zum Ausdruck kommt, dass für den Gesetzgeber nicht der Zeitpunkt des Nachweises der erforderlichen Kenntnisse bei dem Familienangehörigen entscheidend für die Einbeziehung ist, sondern vielmehr das Vorhandensein dieser Kenntnisse. Denn weiter heißt es: „Solange ausreichende Deutschkenntnisse nicht nachgewiesen werden, ist die Einbeziehung ausgeschlossen, eine gemeinsame Aussiedlung kommt dann nur nach Maßgabe über den Familiennachzug zu Deutschen in Betracht“.
70Vgl. die bereits oben zitierten BT-Drs. 14/7387, S. 111, und BT-Drs. 15/420, S. 119.
71Danach ist die Einbeziehung (nur) „solange“ ausgeschlossen, wie der Nachweis der ausreichenden Deutschkenntnisse nicht erbracht ist und nicht bereits dann, wenn er - anders als beim Spätaussiedler selbst, für den auch der Zeitpunkt der Erbringung des Nachweises seiner Sprachkenntnisse Anspruchsvoraussetzung ist - zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht erbracht ist.
72(b) Unabhängig davon, dass der Gesetzgeber ausdrücklich keinen bestimmten Zeitpunkt für den Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse des Familienangehörigen vorgesehen hat, kann sein Anliegen, die betreffenden Familienangehörigen bereits vor ihrer Ausreise zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse zu veranlassen, im Fall der nachträglichen Einbeziehung nicht mehr erreicht werden.
73(c) Zudem bedeutete ein anderes Verständnis des gesetzgeberischen Willens für den Härtefall, dass eine Einbeziehung bereits immer dann ausgeschlossen wäre, wenn für den Einzubeziehenden nicht schon für den Zeitpunkt der gemeinsamen Übersiedlung der Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse vorgelegt werden kann. Dass der Gesetzgeber eine solche Regelung in Bezug auf den Einzubeziehenden nicht vor Augen hatte, liegt schon deshalb nahe, weil die von ihm in § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG ausdrücklich vorgesehene nachträgliche Einbeziehung im Härtefall dann im Regelfall ausgeschlossen sein dürfte. Denn ein Spätaussiedler, der etwa in einer nicht vorhersehbaren Situation (z. B. wegen in seinem Herkunftsgebiet herrschender kriegerischer oder sonstiger politischer Auseinandersetzungen) ohne Aufnahmebescheid gemeinsam mit seinen Familienangehörigen das Aussiedlungsgebiet verlässt oder verlassen muss, wird regelmäßig nicht das seine Familienangehörige betreffende Erfordernis des vorherigen Erwerbs von Grundkenntnissen der deutschen Sprache und vor allem des entsprechenden Nachweises darüber im Blick haben oder haben können. Ein solches Verständnis der Regelung dürfte mithin regelmäßig zu den unbilligen Ergebnissen führen, die der Gesetzgeber durch die Aufnahme der Härtefallregelung (zunächst nur für den Spätaussiedler selbst) in § 27 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler (Aussiedleraufnahmegesetz – AAG) vom 28. Juni 1990, BGBl. I S. 1247, und (auch für die Einbeziehung im Härtefall) in § 27 Abs. 2 des Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz - KfbG) vom 21. Dezember 1992, BGBl. I S. 2094, gerade vermeiden wollte.
74Vgl. hierzu Begründung des Entwurfs der Bundesregierung zu Art. 1 Nr. 4 des Aussiedleraufnahmegesetzes vom 21. April 1990, BT-Drs. 11/6937, S. 6, wonach nicht ausgeschlossen werden könne, dass Fälle aufträten, in denen das Regelerfordernis der Durchführung des Aufnahmeverfahrens im Herkunftsgebiet zu unbilligen Ergebnissen führen müsste.
75(d) Abgesehen davon spricht der integrationspolitische Zweck der durch das Zuwanderungsgesetz aufgenommenen Regelung dagegen, dass der im Härtefallwege nachträglich Einzubeziehende die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache nicht auch nach seiner gemeinsamen Übersiedlung mit der Bezugsperson im Inland erwerben oder nacherwerben kann. Denn für einen solches Familienmitglied ginge, da die Härtfalleinbeziehung dann regelmäßig ausgeschlossen wäre und es damit nicht mehr in den Genuss der Privilegien eines nichtdeutschen Ehegatten oder Abkömmlings kommen könnte, von vornherein der Anreiz verloren, die deutsche Sprache möglichst schnell nach der Übersiedlung oder überhaupt zu erlernen.
76(e) Im Übrigen soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nur dem Aufnahmebewerber selbst die zeitlich unbegrenzte Möglichkeit des Nacherwerbs der deutschen Sprache im Inland verwehrt sein.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 5 C 23.11 -, BVerwGE 145, 248 (255, Rn. 20).
78Dass im Falle einer nachträglichen Härtefalleinbeziehung der Erwerb oder Nacherwerb der erforderlichen Sprachkenntnisse des Ehegatten oder Abkömmlings erst im Inland anspruchsschädlich sein könnte, lässt sich dagegen - wie dargestellt - nicht aus den gesetzgeberischen Vorstellungen ableiten.
79Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
80Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Das Bundesverwaltungsamt stellt Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft eine Bescheinigung aus. Eine Wiederholung des Gesprächs im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 findet hierbei nicht statt. Bei Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, beteiligt das Bundesverwaltungsamt vor Erteilung der Bescheinigung den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt, wenn dies zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d und e geboten ist. Die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung ist für Staatsangehörigkeitsbehörden und alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Hält eine Behörde oder Stelle die Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes über die Ausstellung der Bescheinigung nicht für gerechtfertigt, so kann sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch das Bundesverwaltungsamt beantragen.
(2) Das Bundesverwaltungsamt stellt dem in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogenen Ehegatten oder Abkömmling eine Bescheinigung zum Nachweis des Status nach Artikel 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie seiner Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 aus. Eine Bescheinigung nach Absatz 1 kann nur ausgestellt werden, wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides beantragt und nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden ist. Im Übrigen gilt Absatz 1 entsprechend.
(3) Über die Rücknahme und die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung entscheidet die Ausstellungsbehörde.
(4) Eine Bescheinigung kann mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihre Ausstellung gewesen sind, erwirkt worden ist. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit darf nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach Ausstellung der Bescheinigung erfolgen. Hat die Rücknahme einer Bescheinigung nach Absatz 1 auch Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Bescheinigungen nach Absatz 2, so ist für jeden Betroffenen eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist das Maß der Beteiligung des Ehegatten oder Abkömmlings an einer arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Spätaussiedlers gegen die schutzwürdigen Belange des Ehegatten oder Abkömmlings, insbesondere unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen. Der Widerruf einer Bescheinigung ist nicht zulässig.
(1) Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor
- 1.
seit dem 8. Mai 1945 oder - 2.
nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder - 3.
seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben,
(2) Spätaussiedler ist auch ein deutscher Volkszugehöriger aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen auf Grund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
(3) Der Spätaussiedler ist Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 in den Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, erwerben, sofern die Einbeziehung nicht unwirksam geworden ist, diese Rechtsstellung mit ihrer Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes.
(1) Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.
(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.
(1) Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor
- 1.
seit dem 8. Mai 1945 oder - 2.
nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder - 3.
seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben,
(2) Spätaussiedler ist auch ein deutscher Volkszugehöriger aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen auf Grund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
(3) Der Spätaussiedler ist Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 in den Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, erwerben, sofern die Einbeziehung nicht unwirksam geworden ist, diese Rechtsstellung mit ihrer Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes.
(1) Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.
(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 25. November 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 7. Oktober 2010 verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens ‑ soweit noch anhängig ‑ beider Instanzen und die Hälfte der Kosten des Revisionsverfahrens BVerwG 1 C 29.14.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 5. Oktober 1975 in Q. (damals: UdSSR; heute: Russische Föderation) geborene Klägerin stellte unter dem 6. November 1993 einen „Antrag auf Aufnahme als Aussiedler“, über den das Bundesverwaltungsamt nicht entschied. Die Klägerin legte u. a. eine Kopie ihres am 7. September 1993 ausgestellten Inlandspasses vor, in dem sie mit deutscher Nationalität geführt wird. Die Mutter der Klägerin, Frau O. C. , war in ihrem Inlandspass ursprünglich mit russischer Nationalität geführt worden und hatte am 24. Juli 1992 einen Inlandspass mit deutschem Nationalitätseintrag erhalten. Daraufhin war der Klägerin unter dem 31. August 1993 eine neue Geburtsurkunde ausgestellt worden, in der ihre Mutter mit deutscher und ihr Vater mit russischer Nationalität geführt werden.
3Die Bevollmächtigte der Klägerin, Frau M. N. gab unter dem 6. November 1993 an, die Klägerin verstehe wenig Deutsch und spreche nur einzelne Wörter. Sie habe die deutsche Sprache von der Mutter erlernt. Im Antragsformular wird die Muttersprache mit „Russ.Deutsch“ und die jetzige Umgangssprache in der Familie mit „Russ.“ bezeichnet. Im Folgenden ist zur Beherrschung der deutschen Sprache „verstehen“ und „schreiben“ angekreuzt, nicht jedoch „sprechen“. In der Rubrik „In der Familie wird deutsch gesprochen“ ist nur „von den Eltern/ Elternteil“ angekreuzt, nicht jedoch „vom/von der Antragsteller/in“. Im Folgenden ist noch angegeben: „Liest deutsch, schreibt deutsch, Hat deutsch in die Schule gelernt pro Woche 2 st“.
4Mit Schreiben vom 20. Juni 1996 teilte die Mutter der Klägerin dem Bundesverwaltungsamt mit: „Damals konte meine Tochter Deutsch wirklich nicht seher gut, wie unsere bevollmächtigte Person Ihnen schreibt“. In einem Vermerk des Landratsamts U. -P. vom 9. Juni 2000 über eine Anhörung der Mutter der Klägerin ist ausgeführt: „Frau C. bestätigte auch, dass sie ihren Kindern die deutsche Sprache nicht vermittelt hat. Erst ab 1996 hat sich die Tochter durch Sprachkurse mit der deutschen Sprache beschäftigt.“
5Die Klägerin erhob am 2. März 1994 Untätigkeitsklage, die das Verwaltungsgericht Köln mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 1996 ‑ 4 K 1511/94 ‑ abwies. Die Klägerin legte gegen diesen Gerichtsbescheid Berufung ein. Im Berufungsverfahren erklärten die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt, nachdem die Klägerin am 28. Oktober 1998 in den ihrer Mutter O. C. am 23. September 1998 erteilten Aufnahmebescheid einbezogen worden war; die Mutter der Klägerin ist am 16. November 2006 verstorben. Der 2. Senat des erkennenden Gerichts stellte das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 16. Dezember 1998 ‑ 2 A 4322/96 ‑ ein und erklärte den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. Juli 1996 für wirkungslos.
6Die Klägerin reiste am 28. März 1999 nach Deutschland ein und beantragte am 11. Mai 1999 sowohl eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG als Spätaussiedlerin als auch nach § 15 Abs. 2 BVFG als Abkömmling eines Spätaussiedlers. Als Ergebnis eines am 27. Mai 1999 durchgeführten Sprachtests hielt das Landratsamt U. -P. fest, dass die Klägerin Deutsch gut versteht und spricht. Die deutsche Sprache sei durch ihre Mutter (starker Akzent) gepflegt und gesprochen worden.
7Die Anträge auf Ausstellung von Bescheinigungen nach § 15 Abs. 1 und 2 BVFG lehnte das Landratsamt des Landkreises U. -P. mit Bescheid vom 7. Dezember 2001 ab. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Leipzig mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2003 zurück. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Leipzig mit Urteil vom 14. April 2005 ‑ 5 K 595/03 ‑ ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin stamme bereits nicht von deutschen Volkszugehörigen ab. Unter dem 25. September 2007 hob das Landratsamt des Landkreises U. -P. seinen Bescheid vom 7. Dezember 2001 auf, nachdem das Sächsische Oberverwaltungsgericht in einem Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren die Auffassung vertreten hatte, der Landkreis U. -P. sei für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nicht mehr zuständig, da die Klägerin bereits im Jahr 2002 nach Stuttgart umgezogen sei.
8Am 14. Februar 2008 beantragte die Klägerin beim Regierungspräsidium Karls-ruhe unter Bezugnahme auf die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 7. Dezember 2001 eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG. Sie gab u. a. an, sie habe im Passantrag die Eintragung der deutschen Nationalität eingefordert. Fehlerhafte Eintragungen im Inlandspass, die gegen ihren Willen zu Stande gekommen seien, seien baldmöglichst geändert worden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe leitete den Vorgang nach Inkrafttreten des Achten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. Juli 2009 an das nunmehr zuständig gewordene Bundesverwaltungsamt weiter.
9Mit Bescheid vom 25. November 2009 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Antrag der Klägerin auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Klägerin sei keine deutsche Volkszugehörige im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG, weil ihr erster im Jahr 1991 ausgestellter Inlandspass eine russische Nationalitätseintragung enthalten habe. Darüber hinaus fehle es an einer ausreichenden familiären Vermittlung der deutschen Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG.
10Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies das Bundesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2010, zugestellt am 11. Oktober 2010, zurück.
11Am 10. November 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG für die deutsche Volkszugehörigkeit in ihrer Person vorliegen.
12In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 26. Februar 2013 hat die Klägerin angegeben: „Wir haben nicht viel auf Deutsch gesprochen, aber trotzdem alles verstanden.“ Um ihren Pass habe sie sich mit 16 Jahren nicht gekümmert. Sie habe abgewartet, bis das Verfahren der Mutter zur Änderung ihrer Nationalität abgeschlossen gewesen sei. Ihre Großtante M. N. habe mit ihrer Familie im selben Ort gewohnt. Sie hätten sich auf Deutsch unterhalten, die Großtante habe nur schlecht Russisch gekonnt. Der Kontakt habe bis 1989 bestanden.
13Die Klägerin hat beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. November 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2010 zu verpflichten, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.
15Die Beklagte hat beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.
18Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Februar 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BVFG in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts geltenden und maßgebenden Fassung nicht, weil sie nicht deutsche Volkszugehörige und damit nicht Spätaussiedlerin sei. Es fehle eine ausreichende familiäre Vermittlung der deutschen Sprache und ein durchgängiges Bekenntnis zum deutschen Volkstum.
19Der erkennende Senat hat auf Antrag der Klägerin die Berufung zugelassen und die Beklagte mit Urteil vom 12. Mai 2014 verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen und eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG auszustellen. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundeverwaltungsgericht mit Urteil vom 16. Juli 2015 ‑ 1 C 29.14 ‑ das Urteil des Senats aufgehoben und die Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheides abgewiesen sowie den Rechtsstreit hinsichtlich des Begehrens auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
20Zur Begründung ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, sie erfülle die Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit und damit der Spätaussiedlereigenschaft. Insbesondere sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts von einer ausreichenden familiären Vermittlung der deutschen Sprache auszugehen. Sie habe von vornherein ihre deutsche Nationalität angegeben, aber keinen Pass bekommen, weil durch den Zerfall der Sowjetunion und aufgrund des Verfahrens, das die Mutter geführt habe, ein Pass nicht ausgestellt worden sei. Der 1993 ausgestellte Inlandspass sei ihr erster Pass.
21Die Klägerin beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 25. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Oktober 2010 zu verpflichten, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.
23Die Beklagte beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Sie vertritt die Auffassung, auch nach Aufhebung des § 100a Abs. 1 BVFG sei die Frage, ob die Klägerin deutsche Volkszugehörige sei, auf der Grundlage der ab dem 7. September 2001 geltenden Fassung des § 6 Abs. 2 BVFG zu beurteilen. § 100a Abs. 1 BVFG sei trotz Aufhebung als „rückwirkende Norm“ weiterhin auf den vorliegenden Fall anzuwenden. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG stehe hier der Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nicht entgegen, weil die Klägerin einen Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedlerin gestellt habe, über den nicht entschieden worden sei. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG 2001 lägen in der Person der Klägerin nicht vor.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (14 Hefter) Bezug genommen.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
28Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) in der Fassung des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010).
29I. Für die Beurteilung des Begehrens der Klägerin ist im Ausgangspunkt die Rechtslage maßgeblich, die im Entscheidungszeitpunkt des erkennenden Gerichts gilt.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 – 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (294 f., Rdnr. 37).
311. Ob eine Person nach den §§ 4, 6 BVFG Spätaussiedler ist, richtet sich jedoch grundsätzlich nach der Rechtslage bei Aufnahme in das Bundesgebiet.
32Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (295, Rdnr. 38).
33Die Klägerin ist am 28. März 1999 im Wege des Aufnahmeverfahrens ins Bundesgebiet eingereist. Sie war in den ihrer Mutter erteilten Aufnahmebescheid vom 23. September 1998 einbezogen worden. Zum Zeitpunkt ihrer Einreise in das Bundesgebiet galt das Bundesvertriebenengesetz in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829) ‑ BVFG 1993 -. Auf diese Rechtslage ist für die Beurteilung der Spätaussiedereigenschaft abzustellen,
34vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (296, Rdnr. 39), wonach diese Rechtslage in Fällen der Einreise im März 1999 maßgeblich „wäre“,
35nicht hingegen auf die nach der durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266) mit Wirkung zum 7. September 2001 eingeführten Übergangsvorschrift des § 100a Abs. 1 BVFG (im Folgenden: BVFG 2001) geltende Rechtslage.
36Vgl. zur Anwendung der seit dem 7. September 2001 geltenden Rechtslage BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (296 f., Rdnr. 39 ff.).
37Denn § 100a Abs. 1 BVFG 2001 ist durch Art. 2 Nr. 2a) des Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes vom 7. November 2015 (BGBl. I S. 1922) mit Wirkung vom 12. November 2015 aufgehoben worden.
382. Eine „Rückwirkung“ auf den Zeitpunkt der Aufenthaltnahme der Klägerin kann die Übergangsvorschrift des § 100a Abs. 1 BVFG 2001
39- vgl. dazu vor der Aufhebung der Übergangsvorschrift BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (296 f., Rdnr. 39 ff.) -
40nach ihrer Aufhebung nicht mehr entfalten. Vielmehr ist für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft in Fällen wie dem der Klägerin (wieder) die Rechtslage im Zeitpunkt der Übersiedlung dieser Personen maßgeblich. Für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft bei der Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG knüpft das Bundesverwaltungsgericht an die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Übersiedlung an, soweit nicht der Gesetzgeber – ohne Verletzung höherrangigen Rechts – eine andere Rechtslage ausdrücklich vorgesehen hat, wie dies mit Blick auf die Übergangsregelung des § 100a Abs. 1 BVFG 2001 der Fall gewesen ist.
41Vgl. Berlit, Anmerkung vom 27. Juli 2015 zum Urteil vom 28. Mai 2015 - 1 C 24.14 -, dort unter C. Kontext der Entscheidung, juris, S. 3.
42Nachdem der Gesetzgeber § 100a Abs. 1 BVFG 2001 ausdrücklich aufgehoben hat, ist für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft von vor Inkrafttreten dieser Vorschrift übergesiedelten Spätaussiedlern keine andere Rechtslage (mehr) vorgesehen, als diejenige, die zum Zeitpunkt ihrer Übersiedlung galt, mithin das BVFG 1993.
433. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass der Gesetzgeber bei der Aufhebung des § 100a Abs. 1 BVFG 2001 übersehen hat, dass in der vorliegenden Fallgestaltung auf Grund der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nunmehr wieder eine vor dem 7. September 2001 geltende Rechtslage zur Anwendung kommt, und dies von seinem Willen nicht erfasst sein sollte, ändert dies nichts daran, dass die Übergangsvorschrift des § 100a Abs. 1 BVFG 2001 ausdrücklich ersatzlos aufgehoben worden ist. Der Senat sieht sich daher gehindert, § 100a Abs. 1 BVFG 2001 weiterhin anzuwenden.
44Der Aufgabe und Befugnis zur „schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung“ durch den Richter sind mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gesetzesbindung der Rechtsprechung Grenzen gesetzt. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt. Eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung ist etwa dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder ‑ bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke ‑ stillschweigend gebilligt wird.
45Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06 u. a. -, NJW 2012, 669, Rn. 45 und 56, mit zahlreichen Nachweisen.
46Die von der Beklagten vertretene teleologische Reduktion mit dem Ziel, dass § 100a Abs. 1 BVFG 2001 trotz seiner Aufhebung in bestimmten Fallgestaltungen weiterhin Anwendung findet, scheidet danach aus. Die Bestimmung in Art. 2 Nr. 2a) des Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes vom 7. November 2015, § 100a Abs. 1 BVFG 2001 werde „aufgehoben“, ist eindeutig und einer weiteren (einschränkenden) Auslegung nicht zugänglich. Der Senat ist nicht legitimiert, diese eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers zu ignorieren mit der Begründung, der Gesetzgeber habe (möglicherweise) eine unerwünschte Folge der Aufhebung des § 100a Abs. 1 BVFG 2001 übersehen. Es überschreitet die Grenzen zulässiger Normauslegung, eine ausdrücklich aufgehobene Gesetzesvorschrift aus für zweckmäßig gehaltenen Gründen weiterhin anzuwenden. Der Senat würde sich damit an die Stelle des demokratisch legitimierten Gesetzgebers setzen.
47II. Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen Sowjetunion ist gemäß § 4 Abs. 1 BVFG 1993 in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der das Aussiedlungsgebiet nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor unter den in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BVFG 1993 im Einzelnen geregelten Voraussetzungen seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.
48Da die Klägerin, die die in § 4 Abs. 1 BVFG 1993 geregelten Stichtagsvoraus-setzungen erfüllt, d. h. nach dem 31. Dezember 1923 geboren wurde, ist sie nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG 1993 deutsche Volkszugehörige, wenn sie von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BVFG 1993), ihr die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale, wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993) und sie sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG 1993).
491. Die Klägerin stammt im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BVFG 1993 von einer deutschen Volkszugehörigen ab, weil jedenfalls ihre Großmutter Q1. C. unstreitig deutsche Volkszugehörige war. Die Beklagte hat das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der deutschen Abstammung der Klägerin mit Schriftsatz vom 20. März 2014 unstreitig gestellt.
502. Der Klägerin ist auch im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 das bestätigende Merkmal der Sprache vermittelt worden. Nach der zu § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangt die Vorschrift bezogen auf das bestätigende Merkmal Sprache, dass sie von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten grundsätzlich vom Säuglingsalter an bis zur Selbstständigkeit vermittelt worden ist. Dabei kommt der Sprache besondere Bedeutung zu, denn die Vermittlung von Erziehung und Kultur wird regelmäßig über die Sprache erfolgen. Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 ist insbesondere die Muttersprache. Die Sprache muss „zumindest Gewicht“ haben. Das bedeutet, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte ihre vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Dabei reicht es aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen so sprechen, wie sie selbst diese beherrschen. Die Kenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise ist zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu.
51Vgl. hierzu ausführlich BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2000 ‑ 5 C 44.99 ‑, BVerwGE 112, 112 (120 f.).
52Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin das bestätigende Merkmal der Sprache zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ausreichend vermittelt worden, d. h. die Vermittlung hatte hinreichendes „Gewicht“ zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
53Das Landratsamt U. -P. stellte am 27. Mai 1999 ‑ zwei Monate nach der Übersiedlung der Klägerin ‑ fest, dass diese gut Deutsch versteht und spricht. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache. Weiter ist in der Rubrik „Die Deutschkenntnisse wurden erlernt/vermittelt durch:“ vermerkt: „Durch die Mutter (starker Akzent) wurde die dt. Sprache gepflegt und gesprochen“. Dieser Zusatz bezieht sich auf die Mutter der Klägerin, meint jedoch den Sprachgebrauch in der Familie; anderenfalls würde das Wort „gepflegt“ keinen Sinn ergeben. Dementsprechend stellte der 12. Senat des erkennenden Gerichts in seinem Urteil vom 18. März 2011 ‑ 12 A 1878/09 ‑, juris, Rdnr. 59, für den am 22. September 1980 geborenen Bruder der Klägerin, Herrn P1. C. , fest, „dass er aufgrund von familiärer Vermittlung im Zeitpunkt der Aufenthaltsbegründung die Befähigung zu einem einfachen Gespräch auf Deutsch besessen hat.“
54In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Köln am 26. Februar 2013 hat die Klägerin gesagt: „Wir haben nicht viel auf Deutsch gesprochen, aber trotzdem alles verstanden.“ In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin erklärt, „wir“ (d. h. sie und ihr Bruder) haben zu Hause mit meiner Mutter immer auch deutsch gesprochen. Es sei eine „Haussprache“ benutzt worden, bei der deutsche und russische Wörter durcheinander verwendet und manches verkürzt ausgedrückt worden sei. Zudem habe man oft die Großtante M. N. besucht, wo ebenfalls deutsch gesprochen worden sei. Dies wird von den Zeugen M1. N. und B. N. (beides Kinder von Frau M. N. ) bestätigt. Nach deren Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurde untereinander russisch und deutsch gesprochen. Der Zeuge B. N. hat hierzu ergänzt, dass gerade seine Mutter M. N. stets gewollt habe, dass deutsch gesprochen werde; die Klägerin habe deutsch verstanden und auch deutsch geantwortet, „aber nicht so gut“. Der Senat hat keine Veranlassung, an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen oder an deren Glaubwürdigkeit zu zweifeln.
55Hieraus ergibt sich insgesamt, dass die Sprachvermittlung in der Familie der Klägerin „zumindest Gewicht“ hatte. Dass auch russisch gesprochen worden ist, ist unschädlich. Deutsch muss nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Die deutsche Sprachvermittlung in der Familie der Klägerin ist auch deshalb plausibel, weil der Vater der Klägerin sich bereits 1980 von der Familie getrennt hatte, so dass seitdem kein russischer Volkszugehöriger mehr in der Familie lebte, auf den beim (deutschen) Sprachgebrauch hätte Rücksicht genommen werden müssen.
56Demgegenüber haben die Angaben von Frau M. N. im Aufnahmeverfahren der Klägerin und Äußerungen der Mutter der Klägerin in den Verwaltungsverfahren keine entscheidende Bedeutung.
57Im Aufnahmeantragsformular gab Frau M. N. als Muttersprache der Klägerin „Russ.Deutsch“ an, als jetzige Umgangssprache in der Familie (nur) „Russ.“ Die Klägerin verstehe und schreibe Deutsch, spreche es aber nicht. Weiter ist angegeben: „Liest deutsch, schreibt deutsch, Hat deutsch in die Schule gelernt pro Woche 2 st.“ In einem Ergänzungsbogen kreuzte Frau M. N. an, die Klägerin verstehe Deutsch „wenig“ und spreche „nur einzelne Wörter“. In den Aufnahmeanträgen der Mutter und des Bruders der Klägerin gab Frau M. N. jeweils bessere deutsche Sprachkenntnisse an. Abgesehen davon, dass die unterschiedlichen Angaben zum Sprachgebrauch der Klägerin einerseits sowie ihrer Mutter und ihres Bruders andererseits bereits keine eindeutige Einschätzung von Frau M. N. zum Gebrauch der deutschen Sprache in der Familie erkennen lassen, lässt sich ein ausreichendes „Gewicht“ der Sprachvermittlung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch Ankreuzen von Kategorien wie „verstehen“, „schreiben“ oder „sprechen“ ohnehin nicht beschreiben.
58In einem Schreiben vom 20. Juni 1996 an das Bundesverwaltungsamt führte die Mutter der Klägerin aus: „Damals konte meine Tochter Deutsch wirklich nicht seher gut wie unsere bevollmächtige Person Ihnen schreibt.“ Diese Äußerung schließt ein, dass die Vermittlung der deutschen Sprache das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche „Gewicht“ hatte. Bei einer Anhörung beim Landratsamt U. -P. am 9. Juni 2000 gab die Mutter allerdings an, dass sie ihren Kindern die deutsche Sprache nicht vermittelt habe und dass sich ihre Tochter erst ab 1996 durch Sprachkurse mit der deutschen Sprache beschäftigt habe. Die Mutter der Klägerin hat diese Angabe jedoch später in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Leipzig in den Verfahren 5 K 1379/01 und 5 K 595/03 am 14. April 2005 ausdrücklich bestritten. Zudem kann sie bei diesen Angaben ein anderes oder höheres Sprachniveau („Hochdeutsch“) als vom Bundesverwaltungsgericht gefordert zu Grunde gelegt haben.
593. Die Klägerin erfüllt auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG 1993. Sie hat sich bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes zur deutschen Nationalität erklärt. Maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen einer Erklärung zur deutschen Nationalität sowie für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise ist der Zeitpunkt des Verlassens der Aussiedlungsgebiete.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 ‑ 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133 (145).
61Die Klägerin hat ein Bekenntnis durch Nationalitätenerklärung abgelegt. Sie wird in ihrem am 7. September 1993 ausgestellten Inlandspass mit deutscher Nationalität geführt und hat diesen Inlandspass bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebiets im März 1999 benutzt. Der Senat ist davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass der Klägerin vor dem 7. September 1993 kein weiterer Inlandspass mit russischem Nationalitätseintrag ausgestellt worden ist.
62Es gibt keinen konkreten Hinweis auf einen der Klägerin bereits im Jahr 1991 ausgestellten Inlandspass; seine Existenz lässt sich allenfalls deshalb vermuten, weil die Klägerin im Oktober 1991 16 Jahre alt wurde und nach dem damals noch geltenden sowjetischen Passrecht einen Inlandspass benötigte. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat plausibel erklärt, warum sie trotz behördlicher Aufforderung im Jahr 1991 keinen Inlandspass beantragt hat. Damals betrieb ihre Mutter O. C. eine Änderung ihres bislang russischen Nationalitätseintrags und erhielt am 24. Juli 1992 einen neuen Inlandspass mit deutschem Nationalitätseintrag. Daraufhin wurde der Klägerin am 31. August 1993 eine neue Geburtsurkunde ausgestellt, in der ihre Mutter nunmehr mit deutscher Nationalität geführt wurde, so dass die Klägerin am 7. September 1993 einen Inlandspass mit deutschem Nationalitätseintrag erhalten konnte. Dies wäre zuvor nicht möglich gewesen, weil ursprünglich kein Elternteil der Klägerin mit deutscher Nationalität geführt worden war. Der Senat hält diesen Ablauf auch deshalb für plausibel, weil die Sowjetunion Ende 1991 vor ihrer Auflösung stand und seit 1992 die Russische Föderation an ihre Stelle trat, so dass Überwiegendes dafür spricht, dass die zuständigen Behörden in Folge dieses Umbruchs nicht darauf bestanden haben, dass die Klägerin mit Vollendung ihres 16. Lebensjahres sofort einen Inlandspass beantragte.
63Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
64Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
65Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor
- 1.
seit dem 8. Mai 1945 oder - 2.
nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder - 3.
seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben,
(2) Spätaussiedler ist auch ein deutscher Volkszugehöriger aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen auf Grund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
(3) Der Spätaussiedler ist Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 in den Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, erwerben, sofern die Einbeziehung nicht unwirksam geworden ist, diese Rechtsstellung mit ihrer Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes.
(1) Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.
(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.
(1) Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor
- 1.
seit dem 8. Mai 1945 oder - 2.
nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder - 3.
seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben,
(2) Spätaussiedler ist auch ein deutscher Volkszugehöriger aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen auf Grund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
(3) Der Spätaussiedler ist Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 in den Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, erwerben, sofern die Einbeziehung nicht unwirksam geworden ist, diese Rechtsstellung mit ihrer Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes.
(1) Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.
(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.
(1) Der Aufnahmebescheid wird auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen (Bezugspersonen). Abweichend hiervon kann Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt oder es kann die Eintragung nach Absatz 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gilt als fortbestehend, wenn ein Antrag nach Satz 2 abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach Satz 1 erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat.
(2) Der im Aussiedlungsgebiet lebende Ehegatte, sofern die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht, oder der im Aussiedlungsgebiet lebende Abkömmling werden zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson einbezogen, wenn in ihrer Person kein Ausschlussgrund im Sinne des § 5 vorliegt und die Bezugsperson die Einbeziehung ausdrücklich beantragt; Ehegatten und volljährige Abkömmlinge müssen auch Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen. Die Einbeziehung wird nachgeholt, wenn ein Abkömmling einer Bezugsperson nicht mehr im Aussiedlungsgebiet, sondern während des Aussiedlungsvorganges und vor Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Absatz 1 geboren wird. Abweichend von Satz 1 kann der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die Einbeziehung von minderjährigen Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid ist nur gemeinsam mit der Einbeziehung der Eltern oder des sorgeberechtigten Elternteils zulässig. Ein Ehegatte oder volljähriger Abkömmling wird abweichend von Satz 1 einbezogen, wenn er wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch keine Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen kann. Die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid wird insbesondere dann unwirksam, wenn die Ehe aufgelöst wird, bevor beide Ehegatten die Aussiedlungsgebiete verlassen haben, oder die Bezugsperson verstirbt, bevor die einbezogenen Personen Aufnahme im Sinne von § 4 Absatz 3 Satz 2 gefunden haben.
(3) Der Antrag auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verfahrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheides oder auf Einbeziehung ist nicht an eine Frist gebunden. § 8 Absatz 2 und § 9 Absatz 4 Satz 2 gelten für Familienangehörige der nach Absatz 2 Satz 3 nachträglich einbezogenen Personen entsprechend.
(4) Für jedes Kalenderjahr dürfen so viele Aufnahmebescheide erteilt werden, dass die Zahl der aufzunehmenden Spätaussiedler, Ehegatten und Abkömmlinge die Zahl der vom Bundesverwaltungsamt im Jahre 1998 verteilten Personen im Sinne der §§ 4, 7 nicht überschreitet. Das Bundesverwaltungsamt kann hiervon um bis zu 10 vom Hundert nach oben oder unten abweichen.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 12. März 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2013 verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen und ihren Ehemann in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 8. Januar 1951 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin stellte am 21. Juli 1998 einen Aufnahmeantrag. Der Antrag bezog sich auch auf ihren Ehemann, Herrn T. S. , und ihre beiden Töchter sowie ein Enkelkind.
3Mit Bescheid vom 23. Juni 2004 wurden die Klägerin, ihre beiden Töchter und ihr Enkelkind in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter, Frau H. M. , einbezogen. Der Ehemann der Klägerin wurde in diesem Aufnahmebescheid als weiterer Familienangehöriger des Spätaussiedlers i. S. d. § 8 Abs. 2 BVFG aufgeführt.
4Den Aufnahmeantrag der Klägerin lehnte das Bundesverwaltungsamt durch Bescheid vom 20. August 2004 ab. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für eine Aufnahme als Spätaussiedlerin. Es müsse davon ausgegangen werden, dass in ihrem ersten Inlandspass eine andere Nationalität als die deutsche eingetragen gewesen sei. Die Möglichkeit der Einbeziehung der Familienangehörigen in ihren Aufnahmebescheid bestehe deshalb nicht. Am 17. September 2004 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid.
5Gemeinsam mit ihrer Mutter reisten die Klägerin und ihr Ehemann sowie ihre Abkömmlinge am 1. Juni 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 28. Juni 2005 wurde der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt.
6Das Bundesverwaltungsamt teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. Juli 2005 Folgendes mit: Ihrem Ehemann könne derzeit keine Bescheinigung erteilt werden, da dieser lediglich als weiterer Familienangehöriger in ihren Einbeziehungsbescheid eingetragen und somit nicht im „Wege des Aufnahmeverfahrens“ eingereist sei. Da sie nunmehr im Bescheinigungsverfahren gemäß § 15 BVFG – abweichend von den Feststellungen im Aufnahmeverfahren – Anerkennung als Spätaussiedlerin gefunden habe, könne sie die Erteilung eines Aufnahmebescheids im Härtefallverfahren unter Einbeziehung ihres Ehemanns als nichtdeutscher Ehegatte beantragen. „Einen derartigen Höherstufungsantrag“ könne sie als maßgebliche Antragstellerin nunmehr formlos stellen und der hiesigen Außenstelle zuleiten. Eine Einbeziehung ihres Ehemanns in einen ihr zu erteilenden Aufnahmebescheid setze aber voraus, dass ihr Ehemann Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweise. Für diesen Nachweis komme die Vorlage eines Zertifikats „Start Deutsch 1“ in Betracht. Im Übrigen werde ihr Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 20. August 2004 als erledigt angesehen, da sie zwischenzeitlich antragsgemäß Anerkennung als Spätaussiedlerin gefunden habe und für ihren Ehemann unter den dargelegten Voraussetzungen eine Anerkennung im Höherstufungsverfahren in Betracht komme. Andernfalls werde um entsprechende Mitteilung gebeten.
7Die Bevollmächtigte der Klägerin, ihre Schwester Maria M. , hatte dem Bundesverwaltungsamt mit Schreiben vom 5. Juli 2005 Anmeldebestätigungen für die Klägerin und ihren Ehemann übersandt. Das Bundesverwaltungsamt teilte der Bevollmächtigten mit Schreiben vom 1. September 2005 mit: Da bisher lediglich die Anmeldebestätigung für die Klägerin und ihren Ehemann vorliege, habe bisher nur für sie eine Bescheinigung nach § 15 BVFG ausgestellt werden können. Nachdem die Bevollmächtigte Meldebescheinigungen betreffend die Töchter der Klägerin übersandt hatte, wurde diesen am 26. Oktober 2005 jeweils eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG als Abkömmling gemäß § 7 Abs. 2 BVFG ausgestellt.
8Ausweislich der Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 legte der Ehemann der Klägerin die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch gemäß § 17 Abs. 1 der Integrationskursverordnung am 5. Mai 2006 ab, bestand den Sprachtest zum Zertifikat B1 jedoch nicht. Das Bundesamt bescheinigte ihm, von den für das Bestehen erforderlichen 60 % im schriftlichen Teil 53,11 % und im mündlichen Teil die erforderlichen 60 % erreicht zu haben.
9Am 12. Februar 2013 beantragte die Klägerin die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 7 Abs. 2 BVFG für ihren Ehemann.
10Durch Bescheid vom 12. März 2013 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab: Eine nachträgliche Einbeziehung ihres Ehemanns sei nicht möglich. Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise im Jahre 2005 seien die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache für ihren Ehemann nicht nachgewiesen, obwohl sie schon vor über sieben Jahren mit Schreiben vom 13. Juli 2005 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass der Sprachnachweis eine Grundvoraussetzung für die Einbeziehung ihres Ehemanns sei. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Bundesverwaltungsamt durch Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2013 ‑ zugestellt am 31. Oktober 2013 - zurück.
11Am 2. Dezember 2013, einem Montag, hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht: Sie habe auf den Widerspruchsbescheid am 31. Oktober 2013 eine Gegenvorstellung erhoben und die Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 vorgelegt. Soweit die Beklagte darauf abstelle, diese Bescheinigung lasse keinen Rückschluss darauf zu, dass ihr Ehemann im Zeitpunkt der Begründung des Aufenthalts in der Bundesrepublik über die Fähigkeit verfügt habe, ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache zu führen, könne ihr dies nicht entgegengehalten werden. Ihr Ehemann sei seinerzeit als sonstiger Angehöriger gemäß § 8 BVFG eingereist und habe schon deshalb keine Deutschkenntnisse nachweisen müssen. Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich auch nicht, dass im Falle der nachträglichen Härtefalleinbeziehung nachgewiesen werden müsse, dass bereits im Zeitpunkt der Begründung des Aufenthalts die Sprachkompetenz vorgelegen haben müsse. Dies gelte nur für den Spätaussiedler selbst. Da ihr Ehemann mit der Bescheinigung, die noch im zeitlichen Zusammenhang mit der Übersiedlung ausgestellt worden sei, entsprechende Sprachkenntnisse nachweisen könne, die sogar noch über dem geforderten Niveau A1 lägen, und er als ihr Ehemann mit ihr zusammen den ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet begründet habe, sei der zeitliche Zusammenhang mit der Aussiedlung gewahrt und damit die nachträgliche Härtefalleinbeziehung zu erteilen.
12Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
13Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. März 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2013 zu verpflichten, dem Ehemann der Klägerin, Herrn T. S. , einen Einbeziehungsbescheid zu erteilen,
15hilfsweise,
16über einen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
17Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. September 2014 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Einbeziehung des Ehemanns der Klägerin (in einen der Klägerin nachträglich zu erteilenden Aufnahmebescheid) lägen nicht vor. Es könne dahinstehen, ob sich aus der Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 über das Ergebnis zum Integrationskurs gemäß § 17 Abs. 1 und 2 IntV zugleich ein ausreichender Nachweis über die nach § 27 BVFG erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache ergebe. Denn weitere Voraussetzung für eine nachträgliche Härtefalleinbeziehung sei, dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Übersiedlung und der Antragstellung bestehe. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin sei mit ihrem Ehemann am 1. Juni 2005 nach Deutschland übergesiedelt. Der als Antrag auf nachträgliche Einbeziehung zu wertende Antrag sei aber erst unter dem 5. Februar 2013 und damit mehr als siebeneinhalb Jahre nach der Übersiedlung gestellt worden.
20Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung führt die Klägerin aus: Soweit das Verwaltungsgericht zur Begründung der Klageabweisung auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Gerichts hingewiesen habe, übersehe es, dass zwischen den von diesen Gerichten zu entscheidenden Fällen und ihrem Fall gravierende Unterschiede bestünden. Jene Fälle hätten einen Spätaussiedler selbst und Abkömmlinge betroffen. Sie hingegen sei als Abkömmling ihrer Mutter mit ihrem Ehemann eingereist, der nur in der Anlage zum Aufnahmebescheid ihrer Mutter als Familienangehöriger nach § 8 BVFG aufgeführt gewesen sei. Außerdem stamme der Aufnahmebescheid aus dem Jahr 2004. Nach der damaligen Rechtsprechung habe sie keine Möglichkeit gehabt, einen eigenen Aufnahmebescheid zu erstreiten, weil nach der Einreise eine Höherstufung durch die zuständige Behörde möglich gewesen sei und deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheids gefehlt habe. Es sei im Übrigen nicht einzusehen, dass der derivative Status nach § 7 BVFG nicht zeitlich unbegrenzt gelte. Durch das 10. BVFG-Änderungsgesetz seien für den Fall der Einbeziehung das Wohnsitzerfordernis im Herkunftsgebiet und der zeitliche Zusammenhang ganz aufgegeben worden. Es könne nicht der Zeitpunkt der Aufenthaltsbegründung maßgeblich für die Zulässigkeit des Einbeziehungsantrags sein.
21Die Klägerin beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 12. März 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2013 zu verpflichten, ihr einen Aufnahmebescheid zu erteilen und ihren Ehemann in diesen Aufnahmebescheid einzubeziehen.
23Die Beklagte beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
27Die zulässige Berufung ist begründet.
28A. Die Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheids ist zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das erforderliche Rechtsinteresse. Die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheids ist für die Klägerin nicht eindeutig nutzlos.
29Personen, die als Ehegatte oder Abkömmling in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen und danach in das Bundesgebiet übergesiedelt sind, haben grundsätzlich kein Rechtsschutzinteresse an der Erteilung eines nachträglichen Aufnahmebescheids als Spätaussiedler. Diese Personen benötigen keinen Aufnahmebescheid, um im Wege des Aufnahmeverfahrens einzureisen oder um nach Einreise auf diesem Wege als Ehegatte oder Abkömmling einer Bezugsperson aus eigenem Recht eine Spätaussiedlerbescheinigung zu erlangen.
30Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (288 f., Rn. 20 ff.), und ‑ 1 C 30.14 -, juris, Rn. 17 ff.
31Anders liegt es bei der Klägerin. Diese benötigt zwar den Aufnahmebescheid weder für die Einreise im Wege des Aufnahmeverfahrens noch für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung für sich selbst. Sie ist als Abkömmling in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter einbezogen worden, gemeinsam mit dieser im Juni 2005 und deshalb „im Wege des Aufnahmeverfahrens“ in das Bundesgebiet eingereist. Ihr ist nach der Einreise eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt worden. Für die (nachträgliche) Einbeziehung ihres Ehemanns ist aber die Erteilung eines Aufnahmebescheids erforderlich. Andernfalls kann ihrem Ehemann keine Bescheinigung als Ehegatte einer Spätaussiedlerin nach § 15 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz ‑ BVFG) in der Fassung des Gesetzes vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2010) ausgestellt werden. Denn nach dieser Vorschrift stellt das Bundesverwaltungsamt (nur) dem in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogenen Ehegatten oder Abkömmling eine Bescheinigung zum Nachweis des Status nach Art. 116 Abs. 1 GG sowie eine Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG aus.
32B. Die Klage ist auch begründet. Der ablehnende Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 12. März 2013 und sein Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
33Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Erteilung eines Aufnahmebescheids und Einbeziehung ihres Ehemanns in diesen Aufnahmebescheid.
34I. Dem Anspruch steht - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht entgegen, dass es an einem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Übersiedlung der Klägerin und ihres Ehemanns sowie der Stellung eines Antrags auf dessen Einbeziehung fehlte. Ein zeitlicher Zusammenhang bestünde zwar nicht, wenn auf den Antrag auf Erteilung eines nachträglichen Aufnahmebescheids abzustellen wäre, den die Klägerin im Februar 2013 gestellt hat. Maßgeblich ist aber der bereits am 21. Juli 1998 gestellte Antrag auf Aufnahme nach dem Bundesvertriebenengesetz, der sich gleichzeitig auf eine Aufnahme auch ihres Ehemanns bezog. Über diesen ist nicht abschließend entschieden worden. Auf den gegen den Ablehnungsbescheid vom 20. August 2004 erhobenen Widerspruch ist kein Widerspruchsbescheid ergangen, sodass das Widerspruchsverfahren noch anhängig ist. Die Beklagte hat der Klägerin nach ihrer Einreise im Juni 2005 am 28. Juni 2005 eine Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt, zuvor aber keinen Aufnahmebescheid erteilt. Sie hat die Klägerin auch nicht durch ihr Schreiben vom 13. Juli 2005 beschieden. Denn darin hat sie lediglich mitgeteilt, sie betrachte den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid als erledigt, da die Klägerin Anerkennung als Spätaussiedlerin gefunden habe und für ihren Ehemann eine Anerkennung im Höherstufungsverfahren in Betracht komme.
35II. Die Klägerin hat auf die Geltendmachung ihres Anspruchs auf Erteilung eines Aufnahmebescheids weder verzichtet noch ist Verwirkung eingetreten.
361. Anhaltspunkte für einen Verzicht der Klägerin auf diesen Anspruch liegen nicht vor. Solche ergeben sich jedenfalls nicht deshalb, weil die Klägerin nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 13. Juli 2005 keinen formlosen „Höherstufungsantrag“ betreffend ihren Ehemann gestellt hat. Ein Verzicht könnte nur anzunehmen sein, wenn die Klägerin eindeutig und unmissverständlich erklärt hätte, sie wolle ihren bisher nicht beschiedenen Antrag nicht weiterverfolgen.
37Vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 15. Auflage 2014, § 22 Rn. 73, m. w. N.; Rigten, in: Knack/Henneke, VwVfG, Kommentar, 10. Auflage 2014, § 22 Rn. 90.
38Eine entsprechende Erklärung hat sie aber zu keinem Zeitpunkt abgegeben.
392. Auch eine Verwirkung ist nicht anzunehmen. Ob eine Befugnis oder ein Recht verwirkt und die Ausübung bzw. Geltendmachung deshalb unzulässig geworden ist, kann immer nur angesichts der besonderen Umstände des konkreten Falls beurteilt werden. Voraussetzung für den Eintritt einer Verwirkung ist neben der Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens (Umstandselement) auch das Verstreichen eines längeren Zeitraums (Zeitelement). Das Umstandselement liegt vor, wenn der Pflichtige aufgrund des vom Inhaber des Rechts gezeigten Verhaltens unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nach Treu und Glauben die berechtigte Erwartung hegen darf, von dem Recht werde kein Gebrauch mehr gemacht. Dieser Eindruck kann nicht nur durch Erklärungen, sondern auch durch ein bestimmtes sonstiges Verhalten erweckt werden. Bloßes Untätigbleiben des Inhabers des Rechts reicht, selbst über einen langen Zeitraum, nicht aus. Anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn aufgrund des besonderen Rechtsverhältnisses (z. B. im Nachbarschaftsverhältnis) eine Rechtspflicht zum Handeln besteht oder der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen der Betroffene erwarten kann, dass Schritte zur Rechtswahrung unternommen werden.
40Vgl. in diesem Sinne Kopp/Ramsauer, a. a. O. § 53 Rn. 45 f., m. w. N.; Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 8. Auflage 2014, § 53 Rn. 23 f.
41Das Vorliegen eines Umstandselements kann nicht bejaht werden. Die Klägerin ist zwar durch Schreiben der Beklagten vom 13. Juli 2005 darauf hingewiesen worden, sie könne einen „Höherstufungsantrag“ betreffend ihren Ehemann stellen. Sie hat der Beklagten daraufhin nur Anmeldebestätigungen, die u. a. ihre Töchter betrafen, zukommen lassen, nicht aber einen entsprechenden Antrag gestellt. Aus diesem Verhalten der Klägerin konnte die Beklagte aber nicht ableiten, die Klägerin wolle ihren Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheids, soweit sich dieser auf die Einbeziehung ihres Ehemanns bezog, nicht weiterverfolgen. Es bestand für die Klägerin keine Rechtspflicht, auf dieses Schreiben hin einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dieses Schreiben ist inhaltlich unzutreffend. Denn ein „Höherstufungsantrag“ für einen miteinreisenden Familienangehörigen i. S. d. § 8 Abs. 2 BVFG war nach dem Bundesvertriebenengesetz in der zum Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens geltenden Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I. S. 1950) - BVFG 2005 - nicht vorgesehen. Vielmehr stand der Klägerin - wie auch nach der heute geltenden Fassung des Bundesvertriebenengesetzes - allein die Möglichkeit offen, die Erteilung eines Aufnahmebescheids im Härteweg, in den der Ehemann hätte einbezogen werden können (vgl. § 27 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 BVFG 2005), weiter zu verfolgen. Abgesehen davon konnte das missverständlich formulierte Schreiben des Bundesverwaltungsamts vom 1. September 2005, in dem von ihm vorliegenden Anmeldebestätigungen für sie und ihren Ehemann die Rede war, zudem den Eindruck erwecken, sie habe hinsichtlich ihres Ehemanns nichts weiter mehr zu veranlassen, sondern müsse nur noch hinsichtlich der übrigen „Antragsteller“, also ihrer Töchter nebst Familienangehörigen, Anmeldebestätigungen übersenden, damit - wie es in dem Schreiben weiter wörtlich heißt - „auch den anderen Antragstellern eine Bescheinigung“ erteilt werden könne.
42III. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids sind die §§ 26, 27 BVFG in der im Entscheidungszeitpunkt des erkennenden Gerichts geltenden Fassung.
43Vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 22. April 2004 - 5 C 27.02 -, Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr. 11; auch BVerwG, Urteile vom 16. Juli 2015 - 1 C 29.14 -, BVerwGE 152, 283 (294 ff., Rn. 37 ff.), und - 1 C 30.14 -, juris, Rn. 33 ff., wonach (nur) bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 BVFG aus Gründen des materiellen Rechts eine andere Rechtslage maßgeblich sein kann.
44Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG kann abweichend von Satz 1 Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt oder es kann die Eintragung nach Abs. 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG sieht vor, dass der im Aussiedlungsgebiet lebende Ehegatte, sofern die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht, zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson einbezogen wird, wenn in seiner Person kein Ausschlussgrund i. S. d. § 5 BVFG vorliegt und die Bezugsperson die Einbeziehung ausdrücklich beantragt; Ehegatten und volljährige Abkömmlinge müssen auch Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen.
45Die Voraussetzungen des §§ 27 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 BVFG sind erfüllt.
46a. Für die Klägerin kommt nur die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheids bzw. Nachholung der Eintragung der Einbeziehung ihres Ehemanns in Betracht. Die Klägerin hat das Aussiedlungsgebiet im Juni 2005 verlassen und ist nicht im Besitz eines eigenen Aufnahmebescheids.
47b. Die Klägerin kann sich auf eine besondere Härte im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG berufen. Sie ist Spätaussiedlerin und deutsche Staatsangehörige. Ihr ist für die Durchführung eines Einbeziehungsverfahrens weder eine Rückkehr mit ihrem Ehemann noch ihres Ehemanns allein in die Russische Föderation zumutbar.
48c. Die Klägerin erfüllt auch die sonstigen Voraussetzungen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG.
49aa. Sie hat den Aufnahmeantrag vor der Übersiedlung zum Zwecke der gemeinsamen Ausreise mit ihrem Ehemann gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass der Ehemann einen Ausschlussgrund i. S. d. § 5 BVFG erfüllt, sind nicht ersichtlich.
50bb. Der Ehemann besitzt Grundkenntnisse der deutschen Sprache i. S. d. § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG.
51Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Einzubeziehende Sprachkenntnisse zumindest auf der untersten Stufe des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen - A1 - besitzt und entsprechend nachweisen sowie belegen kann.
52Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2011 - 12 A 2657/09 -, juris, Rn. 3, und vom 25. Februar 2009 - 12 A 3169/08 -, juris, Rn. 8, sowie Urteil vom 26. Oktober 2005 - 2 A 980/05 -, juris, Rn. 18.
53Eine spezifische Form des Nachweises sieht das Gesetz nicht ausdrücklich vor. Die Vorlage eines Zertifikats etwa des Goetheinstituts über die erfolgreiche Ablegung des Tests mindestens auf der Stufe A 1 ist erforderlich, aber auch ausreichend.
54Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2011 ‑ 12 A 1154/10 -, juris, Rn. 8.
55Durch die Vorlage der dem Ehemann ausgestellten Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2006 über das Ergebnis des Abschlusstests zum Integrationskurs gemäß § 17 Abs. 1 und 2 der Integrationskursverordnung in der Fassung vom 1. Januar 2004 (BGBl. I S. 2004, 3370) - IntV a. F. - hat die Klägerin nachgewiesen, dass ihr Ehemann ausreichende Grundkenntnisse der deutschen Sprache i. S. d. Stufe A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen besitzt. Jener Referenzrahmen sieht drei unterschiedliche Kompetenzstufen („A“ bis „C“) mit jeweils zwei Sprachniveaus vor. Die unterste Kompetenzstufe („Elementare Sprachverwendung“) umfasst die Sprachniveaus A 1 - Anfänger und A 2 - Grundlegende Kenntnisse. Das Sprachniveau B 1 („Fortgeschrittene Sprachverwendung“) zählt zur nächsthöheren Kompetenzstufe („Selbständige Sprachverwendung“).
56Zu den Sprachniveaus A 1 bis B 1 heißt es im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen:
A1 – Anfänger
57
Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z. B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.
A2 – Grundlegende Kenntnisse
58
Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von ganz unmittelbarer Bedeutung zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung). Kann sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen, in denen es um einen einfachen und direkten Austausch von Informationen über vertraute und geläufige Dinge geht. Kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunft und Ausbildung, die direkte Umgebung und Dinge im Zusammenhang mit unmittelbaren Bedürfnissen beschreiben.
B1 – Fortgeschrittene Sprachverwendung
59Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.
60Auszug aus dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER), www.europaeischer-referenzrahmen.de.
61Ausweislich der Bescheinigung vom 24. Juli 2006 erfüllt der Ehemann der Klägerin das Sprachniveau B 1 im mündlichen Bereich und hat es im schriftlichen Bereich nur um 6,89 Prozentpunkte verfehlt. Er kann danach (mündlich) „Hauptpunkte“ verstehen und „die meisten Situationen bewältigen“. Es liegt damit auf der Hand, dass der Ehemann gleichzeitig dargetan hat, er beherrsche die Sprachanwendung, die für das zwei Stufen darunter liegende Sprachniveau A 1 - Anfänger erforderlich ist. Er ist bei seinem Abschlusstest nur geringfügig und nur im schriftlichen Bereich unterhalb den Anforderungen des anspruchsvolleren Sprachniveaus B 1 geblieben und hat damit jedenfalls gezeigt, dass er „vertraute, alltägliche Ausdrücke verstehen und verwenden“ kann, „die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen“.
62cc. Nicht entscheidend ist, dass die Bescheinigung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über die Sprachkenntnisse des Ehemanns mehr als ein Jahr nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik ausgestellt worden ist und sich auf seine Sprachkenntnisse bezieht, die er 11 Monate nach seiner Einreise gezeigt hat.
63(1) Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Spätaussiedler den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse des Einzubeziehenden schon für den Zeitpunkt der gemeinsamen Übersiedlung erbringen muss. Die Vorschrift des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG fordert ausdrücklich (nur) „Grundkenntnisse der deutschen Sprache“. Über den Zeitpunkt des Beherrschens dieser Grundkenntnisse lässt sich aus dieser Vorschrift - anders als aus § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG, der ausdrücklich regelt, zu welchem Zeitpunkt der Spätaussiedler seine Sprachkenntnisse nachweisen muss - nichts entnehmen.
64(2) Sinn und Zweck der Regelung sprechen nicht für das Verständnis der Beklagten, für den nach § 27 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG nachträglich Einzubeziehenden müsse das Vorhandensein der Grundkenntnisse der deutschen Sprache schon für den Zeitpunkt der gemeinsamen Übersiedlung mit der Bezugsperson nachgewiesen werden.
65(a) Die durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 einfügte und am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Anspruchsvoraussetzung des Nachweises der „Grundkenntnisse der deutschen Sprache“ des Einzubeziehenden dient dem Ziel, dessen Integration durch eine bereits vor dem Zuzug erworbene Sprachkompetenz zu erleichtern. Anlass für die Regelung war ausweislich der Gesetzesbegründung, in der ausdrücklich auf einen entsprechenden Vorschlag der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ Bezug genommen worden ist,
66vgl. deren Bericht „Zuwanderung gestalten - Integration fördern“ vom 4. Juli 2001, www.bmi.bund.de, S. 183 f.,
67die Entwicklung der Zusammensetzung der aussiedelnden Familien und die daraus resultierenden integrationspolitischen Schwierigkeiten bei ihrer Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland. Die Integrationsfähigkeit der mit einem Einbeziehungsbescheid Aufgenommenen war wegen fehlender Kenntnisse der deutschen Sprache erheblich gesunken und hatte sich damit anders entwickelt, als vom Gesetzgeber ursprünglich angenommen. Durch die Neuregelung sollten die Betroffenen „dazu angeregt werden, sich bereits im Aussiedlungsgebiet ausreichende Deutschkenntnisse anzueignen und dadurch ihre Integration in Deutschland zu erleichtern“.
68Vgl. die gleichlautenden Begründungen des Entwurfs zu Art. 6 Nr. 5 b) des Zuwanderungsgesetzes der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 8. November 2001, BT-Drs. 14/7387, S. 111, und des Entwurfs der Bundesregierung zu Art. 6 Nr. 6 b) des Zuwanderungsgesetzes vom 7. Februar 2003, BT-Drs. 15/420, S. 119.
69Der Gesetzgeber bezog sich damit aber ausdrücklich (nur) auf diejenigen Familienangehörigen, die schon vor der Aussiedlung in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden und nicht auf den Fall der nachträglichen Einbeziehung im Härteweg. Denn infolge der Neuregelung war und ist eine Einbeziehung der Familienangehörigen in den Aufnahmebescheid schon im Herkunftsgebiet nur dann möglich, wenn der Nachweis der ausreichenden Sprachkenntnisse vor der Aussiedlung erbracht wird. Das wird durch die weitere Gesetzesbegründung bestätigt, in der aber auch zum Ausdruck kommt, dass für den Gesetzgeber nicht der Zeitpunkt des Nachweises der erforderlichen Kenntnisse bei dem Familienangehörigen entscheidend für die Einbeziehung ist, sondern vielmehr das Vorhandensein dieser Kenntnisse. Denn weiter heißt es: „Solange ausreichende Deutschkenntnisse nicht nachgewiesen werden, ist die Einbeziehung ausgeschlossen, eine gemeinsame Aussiedlung kommt dann nur nach Maßgabe über den Familiennachzug zu Deutschen in Betracht“.
70Vgl. die bereits oben zitierten BT-Drs. 14/7387, S. 111, und BT-Drs. 15/420, S. 119.
71Danach ist die Einbeziehung (nur) „solange“ ausgeschlossen, wie der Nachweis der ausreichenden Deutschkenntnisse nicht erbracht ist und nicht bereits dann, wenn er - anders als beim Spätaussiedler selbst, für den auch der Zeitpunkt der Erbringung des Nachweises seiner Sprachkenntnisse Anspruchsvoraussetzung ist - zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht erbracht ist.
72(b) Unabhängig davon, dass der Gesetzgeber ausdrücklich keinen bestimmten Zeitpunkt für den Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse des Familienangehörigen vorgesehen hat, kann sein Anliegen, die betreffenden Familienangehörigen bereits vor ihrer Ausreise zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse zu veranlassen, im Fall der nachträglichen Einbeziehung nicht mehr erreicht werden.
73(c) Zudem bedeutete ein anderes Verständnis des gesetzgeberischen Willens für den Härtefall, dass eine Einbeziehung bereits immer dann ausgeschlossen wäre, wenn für den Einzubeziehenden nicht schon für den Zeitpunkt der gemeinsamen Übersiedlung der Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse vorgelegt werden kann. Dass der Gesetzgeber eine solche Regelung in Bezug auf den Einzubeziehenden nicht vor Augen hatte, liegt schon deshalb nahe, weil die von ihm in § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG ausdrücklich vorgesehene nachträgliche Einbeziehung im Härtefall dann im Regelfall ausgeschlossen sein dürfte. Denn ein Spätaussiedler, der etwa in einer nicht vorhersehbaren Situation (z. B. wegen in seinem Herkunftsgebiet herrschender kriegerischer oder sonstiger politischer Auseinandersetzungen) ohne Aufnahmebescheid gemeinsam mit seinen Familienangehörigen das Aussiedlungsgebiet verlässt oder verlassen muss, wird regelmäßig nicht das seine Familienangehörige betreffende Erfordernis des vorherigen Erwerbs von Grundkenntnissen der deutschen Sprache und vor allem des entsprechenden Nachweises darüber im Blick haben oder haben können. Ein solches Verständnis der Regelung dürfte mithin regelmäßig zu den unbilligen Ergebnissen führen, die der Gesetzgeber durch die Aufnahme der Härtefallregelung (zunächst nur für den Spätaussiedler selbst) in § 27 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung des Aufnahmeverfahrens für Aussiedler (Aussiedleraufnahmegesetz – AAG) vom 28. Juni 1990, BGBl. I S. 1247, und (auch für die Einbeziehung im Härtefall) in § 27 Abs. 2 des Gesetzes zur Bereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz - KfbG) vom 21. Dezember 1992, BGBl. I S. 2094, gerade vermeiden wollte.
74Vgl. hierzu Begründung des Entwurfs der Bundesregierung zu Art. 1 Nr. 4 des Aussiedleraufnahmegesetzes vom 21. April 1990, BT-Drs. 11/6937, S. 6, wonach nicht ausgeschlossen werden könne, dass Fälle aufträten, in denen das Regelerfordernis der Durchführung des Aufnahmeverfahrens im Herkunftsgebiet zu unbilligen Ergebnissen führen müsste.
75(d) Abgesehen davon spricht der integrationspolitische Zweck der durch das Zuwanderungsgesetz aufgenommenen Regelung dagegen, dass der im Härtefallwege nachträglich Einzubeziehende die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache nicht auch nach seiner gemeinsamen Übersiedlung mit der Bezugsperson im Inland erwerben oder nacherwerben kann. Denn für einen solches Familienmitglied ginge, da die Härtfalleinbeziehung dann regelmäßig ausgeschlossen wäre und es damit nicht mehr in den Genuss der Privilegien eines nichtdeutschen Ehegatten oder Abkömmlings kommen könnte, von vornherein der Anreiz verloren, die deutsche Sprache möglichst schnell nach der Übersiedlung oder überhaupt zu erlernen.
76(e) Im Übrigen soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nur dem Aufnahmebewerber selbst die zeitlich unbegrenzte Möglichkeit des Nacherwerbs der deutschen Sprache im Inland verwehrt sein.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 5 C 23.11 -, BVerwGE 145, 248 (255, Rn. 20).
78Dass im Falle einer nachträglichen Härtefalleinbeziehung der Erwerb oder Nacherwerb der erforderlichen Sprachkenntnisse des Ehegatten oder Abkömmlings erst im Inland anspruchsschädlich sein könnte, lässt sich dagegen - wie dargestellt - nicht aus den gesetzgeberischen Vorstellungen ableiten.
79Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
80Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Der Aufnahmebescheid wird auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen (Bezugspersonen). Abweichend hiervon kann Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt oder es kann die Eintragung nach Absatz 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gilt als fortbestehend, wenn ein Antrag nach Satz 2 abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach Satz 1 erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat.
(2) Der im Aussiedlungsgebiet lebende Ehegatte, sofern die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht, oder der im Aussiedlungsgebiet lebende Abkömmling werden zum Zweck der gemeinsamen Aussiedlung in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson einbezogen, wenn in ihrer Person kein Ausschlussgrund im Sinne des § 5 vorliegt und die Bezugsperson die Einbeziehung ausdrücklich beantragt; Ehegatten und volljährige Abkömmlinge müssen auch Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen. Die Einbeziehung wird nachgeholt, wenn ein Abkömmling einer Bezugsperson nicht mehr im Aussiedlungsgebiet, sondern während des Aussiedlungsvorganges und vor Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Absatz 1 geboren wird. Abweichend von Satz 1 kann der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Satz 1 in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Die Einbeziehung von minderjährigen Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid ist nur gemeinsam mit der Einbeziehung der Eltern oder des sorgeberechtigten Elternteils zulässig. Ein Ehegatte oder volljähriger Abkömmling wird abweichend von Satz 1 einbezogen, wenn er wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch keine Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen kann. Die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid wird insbesondere dann unwirksam, wenn die Ehe aufgelöst wird, bevor beide Ehegatten die Aussiedlungsgebiete verlassen haben, oder die Bezugsperson verstirbt, bevor die einbezogenen Personen Aufnahme im Sinne von § 4 Absatz 3 Satz 2 gefunden haben.
(3) Der Antrag auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verfahrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheides oder auf Einbeziehung ist nicht an eine Frist gebunden. § 8 Absatz 2 und § 9 Absatz 4 Satz 2 gelten für Familienangehörige der nach Absatz 2 Satz 3 nachträglich einbezogenen Personen entsprechend.
(4) Für jedes Kalenderjahr dürfen so viele Aufnahmebescheide erteilt werden, dass die Zahl der aufzunehmenden Spätaussiedler, Ehegatten und Abkömmlinge die Zahl der vom Bundesverwaltungsamt im Jahre 1998 verteilten Personen im Sinne der §§ 4, 7 nicht überschreitet. Das Bundesverwaltungsamt kann hiervon um bis zu 10 vom Hundert nach oben oder unten abweichen.
(1) Das Bundesverwaltungsamt stellt Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft eine Bescheinigung aus. Eine Wiederholung des Gesprächs im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 3 findet hierbei nicht statt. Bei Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, beteiligt das Bundesverwaltungsamt vor Erteilung der Bescheinigung den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt, wenn dies zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d und e geboten ist. Die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung ist für Staatsangehörigkeitsbehörden und alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Hält eine Behörde oder Stelle die Entscheidung des Bundesverwaltungsamtes über die Ausstellung der Bescheinigung nicht für gerechtfertigt, so kann sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch das Bundesverwaltungsamt beantragen.
(2) Das Bundesverwaltungsamt stellt dem in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogenen Ehegatten oder Abkömmling eine Bescheinigung zum Nachweis des Status nach Artikel 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie seiner Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 aus. Eine Bescheinigung nach Absatz 1 kann nur ausgestellt werden, wenn die Erteilung eines Aufnahmebescheides beantragt und nicht bestands- oder rechtskräftig abgelehnt worden ist. Im Übrigen gilt Absatz 1 entsprechend.
(3) Über die Rücknahme und die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung entscheidet die Ausstellungsbehörde.
(4) Eine Bescheinigung kann mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihre Ausstellung gewesen sind, erwirkt worden ist. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit darf nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach Ausstellung der Bescheinigung erfolgen. Hat die Rücknahme einer Bescheinigung nach Absatz 1 auch Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Bescheinigungen nach Absatz 2, so ist für jeden Betroffenen eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist das Maß der Beteiligung des Ehegatten oder Abkömmlings an einer arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Spätaussiedlers gegen die schutzwürdigen Belange des Ehegatten oder Abkömmlings, insbesondere unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen. Der Widerruf einer Bescheinigung ist nicht zulässig.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.