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| Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Gestalt der Bescheidungsklage zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Gewährung weiterer Beihilfe zu den Aufwendungen für ihre vollstationäre Pflege im Jahr 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Der Bescheid des Landesamts für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg vom 03.02.2015 ist, soweit er dem entgegensteht, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). |
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| Rechtsgrundlage des Begehrens der Klägerin ist § 14 Abs. 6 BVO. Danach kann bei Anlegung eines strengen Maßstabs in besonderen Härtefällen, insbesondere wenn die Aufwendungen infolge einer Dienstbeschädigung entstanden sind, der Bemessungssatz erhöht werden. Im Fall der Klägerin bemisst sich die Beihilfe gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 BVO grundsätzlich nach einem Bemessungssatz von 80 %. Da sie jedoch gemäß § 28 Abs. 2 SGB XI gleichzeitig Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung erhält, beträgt der Bemessungssatz für die beihilfefähigen Aufwendungen nach § 9 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 bis 7, Abs. 10 und Abs. 11 BVO 50 % (§ 14 Abs. 5 Satz 1 BVO). Lediglich im Hinblick auf die den jeweiligen Höchstbetrag nach dem SGB XI übersteigenden Aufwendungen (§ 14 Abs. 5 Satz 2 BVO) sowie auf die Aufwendungen für Unterkunft einschließlich Investitionskosten und Verpflegung bei vollstationärer Pflege nach § 9 Abs. 9 BVO gilt der sonst für die Klägerin anwendbare Bemessungssatz von 80 %. |
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| Die nach § 14 Abs. 6 BVO mögliche Erhöhung dieses Bemessungssatzes trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 33 Abs. 5 GG Rechnung, indem die Vorschrift für den Fall Vorkehrungen trifft, dass der Beihilfeberechtigte aufgrund bestimmter Lebenslagen, die einen erhöhten Bedarf begründen, mit erheblichen Aufwendungen konfrontiert wird, die er aus der Regelalimentation nicht bewältigen kann und auch über eine zumutbare Eigenvorsorge nicht abzusichern vermag (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.01.2012 - 2 C 24.10 -, NVwZ-RR 2012, 899). Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben, dass ein die Bemessungssatzerhöhung rechtfertigender besonderer Ausnahmefall dann angenommen werden muss, wenn die Regelalimentation des Beamten oder Versorgungsempfängers nach Abzug der Pflegekosten nicht mehr ausreicht, um den amtsangemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Davon ausgehend erstreckt sich der Alimentationsanspruch jedenfalls dann auch auf die Erstattung der beihilferechtlich notwendigen und angemessenen Pflegekosten, die bei stationärer Unterbringung in einem Pflegeheim anfallen, wenn der Betreffende nicht darauf verwiesen werden kann, er hätte für diesen Fall Eigenfürsorge betreiben müssen (BVerwG, Urteil vom 24.01.2012, a.a.O.). Die genannte Rechtsprechung ist - entgegen der Ansicht des Beklagten - auf die baden-württembergische Rechtslage übertragbar. Zwar lagen ihr die nordrhein-westfälischen Beihilfevorschriften zugrunde. Der dortige § 12 Abs. 5 Buchst. c BVO NRW enthält jedoch eine dem § 14 Abs. 6 BVO nahezu wortgleiche Regelung. Die unterschiedliche Begrifflichkeit des „Ausnahmefalls“ einerseits und des „Härtefalls“ andererseits rechtfertigt keine voneinander abweichende Auslegung der jeweiligen Normen. |
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| Bei Anwendung dieser Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts ist im Fall der Klägerin - auch unter Anlegung eines strengen Maßstabs - nicht am Vorliegen eines besonderen Härtefalls zu zweifeln. Es liegt auf der Hand, dass ihre finanzielle Bedürftigkeit - jedenfalls zu einem erheblichen Anteil - aus der Pflegebedürftigkeit und der notwendigen Unterbringung in vollstationärer Pflege mit den damit verbundenen besonders hohen monatlichen Aufwendungen beruht. Dass ihr zur Last gelegt werden könnte, sie habe keine hinreichende Eigenvorsorge getroffen, ist dagegen nicht ersichtlich, insbesondere da die Klägerin ausweislich der vorliegenden ärztlichen Unterlagen bereits in jungen Jahren psychisch erkrankt und im Wesentlichen von ihrer zwischenzeitlich verstorbenen Mutter abhängig war. Letztlich kann dies jedoch offenbleiben, da auch der Beklagte - wenngleich seine Vertreterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung diese Thematik aufgegriffen hat - selbst vom Vorliegen eines besonderen Härtefalls im Sinne des § 14 Abs. 6 BVO ausgeht. Denn das Landesamt ist aufgrund des Antrags der Klägerin ebenso zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bemessungssatz auf Grundlage von § 14 Abs. 6 BVO anzuheben ist. Zwischen den Beteiligten ist daher der Sache nach nicht streitig, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 6 BVO für das Jahr 2014 vorliegen, sondern vielmehr in welcher Höhe aufgrund dieser Vorschrift Beihilfe nachzugewähren ist beziehungsweise welcher erhöhte Bemessungssatz der Nachberechnung der Beihilfe zugrunde zu legen ist. |
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| Der vor diesem Hintergrund ergangene Bescheid des Landesamts vom 03.02.2015 kann keinen Bestand haben. Er ist bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig. Der Bescheid ist derart unverständlich und in Teilen widersprüchlich zu den vorangegangenen, dieselben Aufwendungen betreffenden Beihilfebescheiden, dass er nicht die Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach § 37 Abs. 1 LVwVfG wahrt. Zwar mag der angegebene Rechnungsbetrag von 33.314,60 EUR sich noch hinreichend offensichtlich aus der Addition der monatlichen Rechnungen der Pflegeeinrichtung aus dem Jahr 2014 ergeben. In keiner Weise nachvollziehbar ist indes die Feststellung der beihilfefähigen Aufwendungen in Höhe von 9.995,32 EUR. Ist bereits ein normaler Beihilfebescheid für einen ungeschulten Empfänger grundsätzlich nicht leicht nachzuvollziehen, so erschließt sich vorliegend nicht einmal einem verständigen, mit der Materie und dem vorliegenden Einzelfall Vertrauten, aufgrund welcher Berechnung das Landesamt diesen Betrag zugrunde gelegt hat. Auch die Heranziehung der Begründung des Bescheids sowie des Widerspruchsbescheids und auch der Verwaltungsakte des Landesamts hilft insoweit nicht weiter. Gänzlich widersprüchlich erscheinen der Bescheid und die darin enthaltenen Angaben, wenn man ihn im Kontext mit den für das Jahr 2014 ergangenen monatlichen Bescheiden betrachtet. In diesen ist als Bemessungssatz 100 % angegeben. Eine Nachgewährung um 10 % erscheint vor diesem Hintergrund unverständlich. Auch die Gegenüberstellung der in den Bescheiden als beihilfefähig bezeichneten Aufwendungen bringt weitere Unklarheit. Soweit die Vertreterin des Beklagten diese Unklarheiten damit erklärt hat, das EDV-System des Landesamts gebe eine andere Darstellung in der Maske des Beihilfebescheids nicht her, rechtfertigt dies nicht die fehlende Bestimmtheit und bestehende Widersprüchlichkeit des angegriffenen Bescheids. Zwar konnte sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung anhand eines Beispielmonats aus dem Jahr 2015 erläutern, wie die zu gewährende Beihilfe jeweils errechnet wird und nach welchen Rechenschritten die Nachgewährung nach § 14 Abs. 6 BVO erfolgt. Dies erfüllt jedoch nicht die Anforderungen an eine nachträgliche Klarstellung und Heilung eines Bescheids im Verwaltungsprozess (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 21.06.2006 - 4 B 32.06 -, NVwZ-RR 2006, 589), zumal dies nicht den hier relevanten Zeitraum betraf. |
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| Aber auch in materieller Hinsicht entspricht der angegriffene Bescheid nicht den Vorgaben des § 14 Abs. 6 BVO. Das Landesamt ist, ohne dass dies gesetzlich vorgesehen wäre, davon ausgegangen, dass eine Bemessungssatzerhöhung nach § 14 Abs. 6 BVO hier um maximal 10 % auf 90 % erfolgen durfte, obwohl es selbst davon ausgegangen ist, dass der pflegebedingte Finanzbedarf der Klägerin höher liegt. |
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| Das Landesamt stützt die Deckelung des maximal möglichen Bemessungssatzes auf 90 % auf die Anwendungshinweise in Nr. 4.4 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Finanzen und Wirtschaft zur Beihilfeverordnung vom 24.04.2012 (VwVBVO, GABl. S. 383) zu § 14 BVO. Danach kann eine Erhöhung des Beihilfebemessungssatzes nach § 14 Abs. 6 BVO, auch im Vergleich zu der Regelung des § 14 Abs. 3 BVO, grundsätzlich nicht um mehr als 20 % erfolgen. Jedoch solle er auch in ganz außergewöhnlichen Fällen 90 % nicht übersteigen. Diese Deckelung der Bemessungssatzerhöhung, die nach § 14 Abs. 6 BVO ohnehin nur in ganz besonderen Härtefällen sowie bei Anlegung eines strengen Maßstabs erfolgen darf, findet in der Beihilfeverordnung keine gesetzliche Grundlage. § 14 Abs. 6 BVO sieht diese Deckelung nicht vor. Soweit die Verwaltungsvorschrift insoweit den Vergleich mit § 14 Abs. 3 BVO zieht und im Wesentlichen dessen entsprechende Anwendung anordnet, sieht die Kammer in dem Vergleich mit § 14 Abs. 3 BVO vielmehr den Beleg dafür, dass eine entsprechende Deckelung im Anwendungsbereich des § 14 Abs. 6 BVO nach dem gesetzgeberischen Willen des Verordnungsgebers gerade nicht erfolgen soll. Ihm kann angesichts der unmittelbaren Nähe der beiden Vorschriften, der unterschiedlichen Fallgestaltungen, die sie abdecken sollen, sowie der detaillierten Ausdifferenzierung der Wortlaute nicht unterstellt werden, lediglich versehentlich in Abs. 6 die in Abs. 3 enthaltene Deckelung unterlassen zu haben. Dies würde auch dem Sinn und Zweck des § 14 Abs. 6 BVO widersprechen, mit Blick auf die verfassungsrechtlich verankerte Fürsorgepflicht des Dienstherrn in gesetzlich nur schwer regelbaren Ausnahmefällen nicht hinnehmbare Härten abzufangen. Dem steht auch nicht der Grundsatz entgegen, dass die Beihilfe nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung lediglich die Eigenvorsorge des Beamten ergänzende Funktion hat. Eine Härtefallregelung wie der § 14 Abs. 6 BVO dient gerade dazu, im Einzelfall die aus der Anwendung der Grundsätze folgenden besonderen Härten abzumildern. Überdies verbliebe auch im Fall der Klägerin bei einer Überschreitung des Bemessungssatzes von 90 % ein im Wege der Eigenvorsorge erbrachter Anteil an den gesamten Pflegekosten in Gestalt der durch die Pflegeversicherung gewährten Leistungen. |
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| Dies zugrunde gelegt widerspricht die in Nr. 4.4 der VwVBVO zu § 14 BVO enthaltene Deckelung des maximal möglichen Bemessungssatzes auf 90 % den Vorgaben der Beihilfeverordnung und muss daher außer Betracht bleiben. Da das Landesamt trotz des auch von ihm angenommenen höheren pflegebedingten Finanzbedarfs der Klägerin davon ausgegangen ist, an diese Deckelung gebunden zu sein, hat es von dem ihm durch § 14 Abs. 6 BVO eröffneten Ermessen noch keinen Gebrauch gemacht. Es liegt ein Ermessensausfall vor (vgl. § 40 LVwVfG). |
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| Im Hinblick auf die daher zu erfolgende Neubescheidung weist die Kammer darauf hin, dass bei der Berechnung des Finanzbedarfs der Klägerin nicht nur ein Betrag für persönliche Bedürfnisse anzusetzen sein wird, den das Landesamt - soweit ersichtlich - bislang mit monatlich 120 EUR veranschlagt hat, sondern darüber hinaus auch die Kosten für den Berufsbetreuer. Hierbei handelt es sich um unausweichliche Kosten, die überdies mit der Pflegebedürftigkeit der Klägerin in wesentlichem Zusammenhang stehen. Weiterhin ist mit Blick auf die von ihr geltend gemachte Finanzlücke darauf hinzuweisen, dass die Bemessungssatzerhöhung nach § 14 Abs. 6 BVO begriffsnotwendig nur im Hinblick auf solche Aufwendungen zur höheren Beihilfegewährung führen kann, die nach den §§ 5 ff. BVO beihilfefähig sind. Soweit etwa der auf die Klägerin anwendbare § 9 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 BVO für Unterkunft (einschließlich Investitionskosten und Verpflegung) bei vollstationärer Pflege einen Eigenanteil der Beihilfeberechtigten in Höhe von 70 % ihrer Bruttobezüge vorsieht, bleibt die Bemessungssatzerhöhung im Hinblick auf diesen Eigenanteil mangels dessen Beihilfefähigkeit ohne Auswirkung. Dies folgt daraus, dass Kosten für Unterkunft und Verpflegung auch bei einer stationären Unterbringung jedenfalls zu einem gewissen Anteil den Kosten der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen sind, die unabhängig von der Pflegebedürftigkeit und der Art der Unterbringung anfallen und grundsätzlich aus den allgemeinen monatlichen Bezügen zu bestreiten sind. Diesbezügliche Defizite im Hinblick auf die Alimentationspflicht des Dienstherrn könnten indes nicht durch die Nichtanwendung des § 9 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 BVO kompensiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2011 - 2 C 51.08 -, ZBR 2011, 379). |
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| Nach alledem ist der Beklagte zur Neubescheidung des Antrags der Klägerin zu verpflichten. Da dem Beklagten nach § 14 Abs. 6 BVO ein Ermessen zusteht, ist die Sache nicht spruchreif (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin sachdienlicherweise auf richterlichen Hinweis lediglich die Verpflichtung zur Neubescheidung und nicht zur Gewährung eines bezifferten Beihilfebetrags beantragt. Selbst wenn man von einer Ermessensreduzierung ausgehen wollte, ließe sich die Sache mangels Vorliegens der Berechnungsgrundlagen nicht in zumutbarer Weise durch die Kammer spruchreif machen, sodass allein eine Neubescheidung in Betracht kommt. |
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| Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sieht keinen Anlass, die Entscheidung wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). |
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| Der Streitwert wird auf 3060,-- EUR festgesetzt. |
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| Die Festsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen in Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der Berechnung liegt die Angabe der Klägerin zugrunde, dass sie in der Sache höhere Beihilfeleistungen von monatlich etwa 510 EUR begehre. Da mit der vorliegenden Klage lediglich weitere Leistungen für das Jahr 2014 geltend gemacht werden, ist dieser Betrag multipliziert um 12 Monate in den Streitwert einzubeziehen. Da sachdienlicherweise lediglich eine Neubescheidung begehrt wird, setzt die Kammer die Hälfte des sich daraus ergebenden Betrags als Streitwert an (510 EUR x 12 Monate / 2). |
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