Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 11. Juli 2017 - 9 AE 3225/17


Gericht
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 13. März 2017 (9 A 3224/17) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. März 2017 wird angeordnet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
I.
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Der Antrag vom 13. März 2017, die aufschiebende Wirkung der Klage 9 A 3224/17 anzuordnen, ist zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO hinsichtlich der gemäß § 75 Satz 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG statthafte, am 13. März 2017 eingegangene Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig. Die gemäß §§ 36 Abs. 3 Satz 1, 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG geltende Antrags- und Klagefrist von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheids – hier am 8. März 2017 – wurde eingehalten.
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2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, Urt. v. 14.5.1996, 2 BvR 1516/93, juris Rn. 97 ff.). Im Fall offener Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ist auch im Rahmen des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG eine Interessenabwägung vorzunehmen (VG München, Beschl. v. 20.6.2017, M 17 S 17.41548, juris Rn. 12; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 8.3.2016, 5a L 423/16.A, juris Rn. 19).
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Gemessen an diesem Maßstab ist der Antrag vom 13. März 2017 begründet. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist offen [a)] und die deshalb anzustellende Interessenabwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus [b)].
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a) Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 27. Juni 2017 (1 C 26/16) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV u.a. die folgenden Fragen vorgelegt: Darf ein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat bereits Flüchtlingsschutz gewährt hat, in diesem Mitgliedstaat anerkannten Flüchtlingen aber
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a) keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen gewährt werden, sie insoweit aber nicht anders behandelt werden als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates?
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b) die Rechte nach Art. 20 ff. RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zwar gewährt wer-den, sie aber faktisch erschwerten Zugang zu den damit verbundenen Leistungen haben oder solchen Leistungen familiärer oder zivilgesellschaftlicher Netzwerke haben, die staatliche Leistungen ersetzen oder ergänzen?
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Bis zur Entscheidung des EuGH hat das Bundesverwaltungsgericht das Revisionsverfahren ausgesetzt. Diese zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Italien ergangene Rechtsprechung lässt sich auf die Verhältnisse in Griechenland übertragen, denn nach der bestehenden Auskunftslage ist ebenfalls nicht geklärt, ob in Griechenland die Anforderungen der Art. 20 ff. der EU-Qualifikationsrichtlinie eingehalten werden. Vor diesem Hintergrund ist derzeit offen und Bedarf einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nach Klärung der Vorlagefragen durch den EuGH, ob der Antragsteller angesichts der Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland auf europarechtskonforme Weise nach Griechenland abgeschoben werden darf.
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b) Bei der deshalb vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes das öffentliche Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung. Für den Fall, dass sich im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Antragsteller angesichts der Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland auf europarechtskonforme Weise nicht nach Griechenland abgeschoben werden darf, würde er bei einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung auf europarechtswidrige Weise diesen Lebensbedingungen und den damit einhergehenden Gefahren jedenfalls für sein Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ausgesetzt werden. Demgegenüber sind die öffentlichen Interessen an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung, insbesondere die Verhinderung des Bezuges weiterer Sozialleistungen für die Dauer des Verfahrens, geringer einzustufen.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 83b AsylG, § 154 Abs. 1 VwGO.

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(1) Die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz hat nur in den Fällen des § 38 Absatz 1 sowie des § 73b Absatz 7 Satz 1 aufschiebende Wirkung. Die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73b Absatz 5) hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Klage gegen Entscheidungen des Bundesamtes, mit denen die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft widerrufen oder zurückgenommen worden ist, hat in folgenden Fällen keine aufschiebende Wirkung:
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bei Widerruf oder Rücknahme wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2, - 2.
bei Widerruf oder Rücknahme, weil das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.
(1) In den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.
(2) Das Bundesamt übermittelt mit der Zustellung der Entscheidung den Beteiligten eine Kopie des Inhalts der Asylakte. Der Verwaltungsvorgang ist mit dem Nachweis der Zustellung unverzüglich dem zuständigen Verwaltungsgericht zu übermitteln.
(3) Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsandrohung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen; dem Antrag soll der Bescheid des Bundesamtes beigefügt werden. Der Ausländer ist hierauf hinzuweisen. § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung soll im schriftlichen Verfahren ergehen; eine mündliche Verhandlung, in der zugleich über die Klage verhandelt wird, ist unzulässig. Die Entscheidung soll innerhalb von einer Woche nach Ablauf der Frist des Absatzes 1 ergehen. Die Kammer des Verwaltungsgerichts kann die Frist nach Satz 5 um jeweils eine weitere Woche verlängern. Die zweite Verlängerung und weitere Verlängerungen sind nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe zulässig, insbesondere wenn eine außergewöhnliche Belastung des Gerichts eine frühere Entscheidung nicht möglich macht. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Die Entscheidung ist ergangen, wenn die vollständig unterschriebene Entscheidungsformel der Geschäftsstelle der Kammer vorliegt. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes und die Anordnung und Befristung nach § 11 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes sind ebenso innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung bleibt hiervon unberührt.
(4) Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Ein Vorbringen, das nach § 25 Abs. 3 im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2, die der Ausländer im Verwaltungsverfahren nicht angegeben hat, kann das Gericht unberücksichtigt lassen, wenn andernfalls die Entscheidung verzögert würde.
(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
- 1.
ein anderer Staat - a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder - b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
- 2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat, - 3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird, - 4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder - 5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.
(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.
(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.