Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 11. Jan. 2016 - 9a L 2570/15.A
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 9a K 5582/15.A wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Antragstellerin ist am 17. Juni 2015 in Deutschland geboren. Sie ist nigerianische Staatsangehörige. Ihr Vater ist der nigerianischen Staatsangehörige K. E. N. , geboren 10. April 1986, wohnhaft in L. . Er hat dort Asyl beantragt. Nach Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt L. ist er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bisher nicht angehört worden. Er hat gegenüber dem Jugendamt der Stadt F. am 2. Oktober 2015 die Vaterschaft anerkannt.
4Die Mutter der Antragstellerin ist ebenfalls nigerianische Staatsangehörige. Sie will nach eigenen Angaben am 26. September 2009 nach Spanien eingereist sein und sich zunächst dort aufgehalten haben.
5Seitens des Norwegian Directorate of Immigration wurde mitgeteilt: Die Mutter reiste im Jahr 2010 nach Norwegen in das Gebiet der Dublin III–Staaten ein. Ihr dort gestellter Schutzantrag wurde abgelehnt. Danach tauchte sie unter. Am 25. Februar 2011 stellte Spanien ein Übernahmeersuchen an Norwegen. Norwegen stimmte dem zu. Spanien gelang es allerdings nicht, die Mutter der Antragstellerin zu überstellen, da diese erneut untergetaucht war.
6Nach eigenen Angaben will sich die Mutter der Antragstellerin nachfolgend in Italien aufgehalten haben. Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 25. Januar 2015 wurde sie der Stadt F. zugewiesen. Sie beantragte nach der Geburt ihrer Tochter am 25. August 2015 Asyl. Im Rahmen des Asylverfahrens erwähnte die Mutter der Antragstellerin deren Vater und dessen Aufenthaltsort nicht. Auf die Frage „Haben Sie Familienangehörige (Ehegatten, Kinder, Geschwister) und Verwandte (Onkel, Tante, Großeltern) in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat?“, antwortete sie mit „Nein“.
7Der Vater der Klägerin stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag und wurde nach L. verteilt. Nach Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt L. hatte er noch keinen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), bei dem er sein Asylgesuch hätte anbringen können. Nach der Geburt der Antragstellerin erkannte er die Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter der Antragstellerin am 2. Oktober 2015 an. Am selben Tag gaben Mutter und Vater eine Sorgeerklärung gemäß § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB ab, nach der sie die elterliche Sorge für die Antragstellerin gemeinsam übernehmen.
8Am 10. September 2015 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III–VO) betreffend die Mutter der Antragstellerin an Spanien. Nachdem Spanien die Übernahme der Mutter der Antragstellerin abgelehnt hatte, stellte das Bundesamt am 21. September 2015 ein Übernahmeersuchen betreffend die Mutter der Antragstellerin an Norwegen. Auch Norwegen lehnt die Übernahme der Mutter der Antragstellerin ab. Auf eine Remonstration des Bundesamtes gegenüber der ablehnenden Haltung Spaniens hin, erklärte Spanien sich unter dem 9. Oktober 2015 zur Übernahme der Mutter der Antragstellerin bereit.
9Unter dem 21. Oktober 2015 lud das Bundesamt die Mutter der Antragstellerin zum persönlichen Gespräch im Dublin–Verfahren (Zweitbefragung). Zum angesetzten Termin am 18. November 2015, 8.30 Uhr, erschien die Mutter der Antragstellerin ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht.
10Mit Bescheid vom 3. Dezember 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag der Antragstellerin als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung nach Spanien an. Außerdem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise– und Ausreiseverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Spanien aufgrund der bereits für die Mutter der Antragstellerin erklärten Zuständigkeit auch für die Durchführung des Asylverfahrens des minderjährigen Kindes gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III–Verordnung zuständig sei. Die Situation eines in Deutschland geborenen Kindes sei untrennbar mit der Situation seiner Eltern verbunden und falle deshalb in die Zuständigkeit des Mitgliedstaates, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der Eltern zuständig sei, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für das Kind eingeleitet werden müsse. Diese Regelung sei ebenso auf Alleinerziehende anzuwenden. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III–Verordnung auszuüben, seien nicht ersichtlich.Die Anordnung der Abschiebung nach Spanien beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG. Gründe für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen, insbesondere eine Beeinträchtigung der Reisefähigkeit aus medizinischen Gründen, seien nicht substantiiert vorgetragen. Da die Mutter der Antragstellerin der Ladung zum diesbezüglich terminierten Gespräch ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht gefolgt sei, sei von der Reisefähigkeit der Antragstellerin für eine gemeinsame Überstellung zusammen mit der Mutter auf dem Land- oder Luftweg nach Spanien auszugehen.Die Abschiebung habe zur Folge, dass die Antragstellerin nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten dürfe. Das Einreiseverbot gemäß § 70 Nr. 12 AufenthG konnte auf zwölf Monate festgesetzt werden.
11Die Antragstellerin, vertreten durch ihre Mutter, erhob am 24. Dezember 2015 gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 3. Dezember 2015 Klage und hat am selben Tag um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass ihre Überstellung nach Spanien für sie eine besondere Härte bedeuten würde. Ihr Vater befinde sich noch im Asylverfahren beim Bundesamt. Sie wollten als Familie zusammenbleiben. Sie habe ein Anrecht darauf, sowohl zusammen mit ihrem Vater als auch ihrer Mutter aufzuwachsen.
12Die Antragstellerin beantragt sinngemäß
13die aufschiebende Wirkung der Klage 9a K 5582/15.A gegen Ziffer 2 des Bescheides vom 3. Dezember 2015 anzuordnen.
14Die Antragsgegnerin hat die Verwaltungsvorgänge der Mutter der Antragstellerin im Verfahren der Mutter vorgelegt. Im vorliegenden Verfahren wurde bisher kein Antrag gestellt.
15II.
16Das diesbezüglich allein zulässige vorläufige Rechtsschutzbegehren,
17die aufschiebende Wirkung der Klage 9a K 1120/15.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 3. Dezember 2015 anzuordnen,
18zu dessen Entscheidung der Einzelrichter gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG berufen ist, hat in der Sache Erfolg.
19Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hängt von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen an der Suspendierung der angefochtenen Maßnahme einerseits und der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits ab. Bei der Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Ergibt die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass der sofort vollziehbare Verwaltungsakt rechtswidrig ist, überwiegt das private Aufschubinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung einer rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme kann kein öffentliches Interesse bestehen. Ist hingegen der angegriffene Bescheid rechtmäßig überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Bestand der sofortigen Vollziehbarkeit.
20Vorliegend ergibt die Abwägung des Interesses der Antragstellerin einerseits ‑ vorläufig im Bundesgebiet verbleiben zu können – mit dem widerstreitenden öffentlichen Interesse andererseits – die Abschiebung der Antragstellerin nach Spanien zeitnah umzusetzen –, dass dem öffentlichen Interesse der Vorrang zu versagen ist. Die in der Hauptsache angefochtene Abschiebungsandrohung erweist sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand als rechtswidrig.
21Der Antragstellerin steht nach derzeitigem Sach- und Streitstand ein subjektives Recht auf Verbleib im Bundesgebiet zu, da über die Zulässigkeit des in Deutschland gestellten Asylbegehrens ihres Vaters noch nicht entschieden ist. Zutreffend weist das Bundesamt darauf hin, dass die Situation eines in Deutschland geborenen Kindes untrennbar mit der Situation seiner Eltern verbunden ist und deshalb in die Zuständigkeit des Mitgliedstaates fällt, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der Eltern zuständig ist, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für das Kind eingeleitet werden muss. Nach Art. 11 Dublin III–Verordnung gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates, wenn mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in dem selben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und wenn die Anwendung der in der Dublin III–Verordnung genannten Kriterien die Trennung der Familienangehörigen zur Folge hat, Folgendes: Zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Annahme des größten Teils von ihnen zuständig ist; andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist. Familienangehörige sind bei einem minderjährigen und unverheirateten Antragsteller, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem der Erwachsenen sich aufhält für die Minderjährigen verantwortlich ist (Art. 2 Buchst. g Spiegelstrich 3 Dublin III–Verordnung).
22Das Schicksal der Antragstellerin ist untrennbar mit dem Schicksal ihrer Eltern verbunden. Solange über das Asylgesuch des Vaters der Antragstellerin noch nicht entschieden ist, kann aus der zuvor zitierten Rechtslage nicht der zuständige Mitgliedstaat ermittelt werden. Es spricht alles dafür, dass die Mutter und der Vater der Antragstellerin in Deutschland gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam hätten durchgeführt werden können, Ob die Familie in Form von Vater und Mutter als Partnerschaft bereits im Herkunftsland bestanden hat, – eine Ehe scheidet aus, weil die Mutter der Antragstellerin angegeben hat, dass sie ledig sei – ist bisher nicht geklärt. Dies kann im Hinblick auf den Schutz der Antragstellerin aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7, 24Abs. 3 EuGrdRCh aber auch dahinstehen. In Fällen, in denen das Kind erst nach jahrelangem Aufenthalt der Eltern im Schengenraum geboren wird, kann sein Grund- und Menschenrecht auf Zusammenleben mit seinen außerhalb ihres Herkunftsstaates eine Ehe oder eine sonstige dauerhafte Beziehung eingegangenen Eltern nicht schwächer ausgeprägt sein, als in den Fällen des § 2 Buchst. g Spiegelstriche 1 und 3. ln einem Fall wie dem vorliegenden ist daher auf das faktische Bestehen familiärer Bande abzustellen. Ob diese bestehen, ist ungeklärt. So ist nicht ersichtlich, dass der Vater der Antragstellerin einen Umverteilungsantrag gestellt hat, was im Hinblick auf die Schwangerschaft der Mutter der Antragstellerin auch schon vor deren Geburt nahegelegen hätte.
23Das Bundesamt hat es versäumt, die Mutter der Antragstellerin nach dem Vater der Antragstellerin und dem Sorgerecht für die Antragstellerin zu befragen. Jedenfalls ist dergleichen im Rahmen der Erstbefragung der Mutter der Antragstellerin nicht protokolliert. Stattdessen hat sich das Bundesamt im Rahmen der Protokollierung des Gesprächs an die Formblätter gehalten und nicht erkannt, dass es vorliegend um eine Fallgestaltung ging, die die Formblätter nicht erfassen. Dass die Mutter der Antragstellerin zur Zweitbefragung nicht erschienen, kann der Antragstellerin nicht entgegengehalten werden. Das vorstehende Aufklärungserfordernis bestand nämlich nicht erst im Rahmen der Zweitbefragung, sondern schon bei der Erstbefragung. Bereits bei ihr ging es um die Ermittlung des für die Familie zuständigen und damit des um Aufnahme zu ersuchenden Mitgliedstaats. Dieser Verfahrensfehler wirkt sich auch noch aus, da vor einer Entscheidung des Bundesamtes über das Asylverfahren des Vaters der Antragstellerin nicht gesagt werden kann, ob ihre Abschiebung nach Spanien möglich bleibt oder ob die Antragstellerin zusammen mit ihren Eltern gemäß Art 11 Buchst. b Dublin III–Verordnung in einen anderen Schengen–Staat abgeschoben werden kann.
24Die Antragstellerin kann sich auf diesen Verfahrensverstoß berufen. Die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen, wie etwa Art. 9 bis 11 Dublin III-Verordnung zugunsten von Familienangehörigen.
25vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 57 f.
26Der nach den vorstehenden Ausführungen nicht auszuschließenden Beeinträchtigung der Rechte der Antragstellerin durch die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung kann nicht dadurch Rechnung getragen werden, dass ihr Antrag mit der Maßgabe abgelehnt wird, dass die Antragsgegnerin sicherzustellen hat, dass der Antragstellerin nur zusammen mit beiden Elternteilen nach Spanien abgeschoben werden darf.
27Derartige gerichtliche Vorgaben, die sich der Sache nach als Auflage i.S.d. § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO darstellen, sind von § 80 Abs. 5 VwGO nicht gedeckt. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung oder einer Auflage kommt gemäß der eindeutigen Regelung in § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO nur gegenüber dem Antragsteller im Falle der Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung, nicht aber im Falle der Ablehnung der Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber einer Behörde als Antragsgegner in Betracht.
28Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27. Oktober 1997 - 7 M 4238/97 -, NVwZ-RR 1998, 337 (juris Rn. 9); Hessischer VGH, Beschluss vom 10. Mai 1982 - 4 TH 7/82 -, BRS 39 Nr. 225, S. 439, 440; OVG Münster, Beschluss vom 24. Februar 1970 - 8 B 924/69 -, DÖV 1971, 103, 104; Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Auflage 2012, § 80 VwGO Rn. 168; Gersdorf, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Auflage 2014, § 80 Rn. 193; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 80 Rn. 168.; M. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 16. Auflage 2014, § 80 Rn. 59; Schoch, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Band I, Stand: März 2014, § 80 Rn. 438 ff.; a.A. Sächsisches OVG, Beschluss vom 12. November 2007 - 5 BS 336/07 -, NuR 2007, 831 (juris Rn. 28); Bayerischer VGH, Beschluss vom 6. September 1990 - 22 B 90.500 -, NVwZ-RR 1991, 159, 159 f.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Mai 1987 - Z 10 S 1/87 -, NJW 1987, 1717, 1719; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 169; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Auflage 2011, Rn. 1004; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014 § 80 Rn. 90.
29Die Gerichte sind nicht befugt, sich über diese eindeutige gesetzliche Regelung hinwegzusetzen.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
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Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Mutter der Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Die nicht durch amtliche Dokumente ausgewiesene Mutter der Klägerin gibt an, am 00.00.0000 geboren zu sein und aus Nigeria zu stammen. Sie will nach eigenen Angaben am 26. September 2009 nach Spanien eingereist sein und sich zunächst dort aufgehalten haben.
2Seitens des Norwegian Directorate of Immigration wurde mitgeteilt: Die Mutter der Klägerin reiste im Jahr 2010 nach Norwegen in das Gebiet der Dublin III–Staaten ein. Ihr dort gestellter Schutzantrag wurde abgelehnt. Danach tauchte sie unter. Am 25. Februar 2011 stellte Spanien ein Übernahmeersuchen an Norwegen. Norwegen stimmte dem zu. Spanien gelang es allerdings nicht, die Mutter der Klägerin zu überstellen, da diese erneut untergetaucht war.
3Nach eigenen Angaben hat sich die Mutter der Klägerin ab 2011 in Italien aufgehalten. Dort hat sie im Dezember 2013 den Vater der Klägerin, der ebenfalls aus Nigeria stammt, kennen gelernt und die Klägerin gezeugt.
4Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 25. Januar 2015 wurde die Mutter der Klägerin der Stadt F. zugewiesen. Sie beantragte nach der Geburt der Klägerin am 25. August 2015 Asyl. Im Rahmen des Asylverfahrens erwähnte die Mutter der Klägerin weder den Kindesvater noch dessen Aufenthaltsort. Auf die Frage „Haben Sie Familienangehörige (Ehegatten, Kinder, Geschwister) und Verwandte (Onkel, Tante, Großeltern) in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat?“, antwortete sie mit „Nein“.
5Der Vater der Klägerin reiste ebenfalls 2009 aus Nigeria aus, allerdings über Niger, Mali und Libyen nach Italien, wo er sich seither in Bari aufhielt. Nachdem die Mutter der Klägerin schwanger war, beschlossen beide Italien zu verlassen. Da die finanziellen Mittel für eine gemeinsam Ausreise nicht reichten, beschlossen beide, dass ihre Mutter vorfahre und ihr Vater nachkomme. Dies war diesem dann drei Monate später möglich. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet stellte auch er einen Asylantrag und wurde, obgleich der bei der Erstaufnahme in E. angab, dass sich ihre Mutter in F. aufhalte, nach L. verteilt. Nach Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt L. hatte er noch keinen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), bei dem er sein Asylgesuch hätte anbringen können. Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes erkannte er die Vaterschaft mit Zustimmung ihrer Mutter am 2. Oktober 2015 an. Am selben Tag gaben ihre Mutter und ihr Vater eine Sorgeerklärung gemäß § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB ab, nach der beide die elterliche Sorge für sie gemeinsam übernahmen.
6Am 10. September 2015 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III–VO) betreffend die Mutter der Klägerin an Spanien. Nachdem Spanien die Übernahme der Mutter der Klägerin abgelehnt hatte, stellte das Bundesamt am 21. September 2015 ein Übernahmeersuchen an Norwegen. Auch Norwegen lehnte die Übernahme der Mutter der Klägerin ab. Auf eine Remonstration des Bundesamtes gegenüber der ablehnenden Haltung Spaniens hin, erklärte Spanien sich unter dem 9. Oktober 2015 zur Übernahme der Mutter der Klägerin bereit.
7Unter dem 21. Oktober 2015 lud das Bundesamt die Mutter der Klägerin zum persönlichen Gespräch im Dublin-Verfahren (Zweitbefragung). Zum angesetzten Termin am 18. November 2015, 8.30 Uhr, erschien die Mutter der Klägerin ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht.
8Mit Bescheid vom 3. Dezember 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin als unzulässig ab und drohte ihr die Abschiebung nach Spanien an. Außerdem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Ausreiseverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Der Asylantrag sei unzulässig, da Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Die Anordnung der Abschiebung nach Spanien beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG. Gründe für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen, insbesondere eine Beeinträchtigung der Reisefähigkeit aus medizinischen Gründen, seien nicht substantiiert vorgetragen. Da die Mutter der Klägerin der Ladung zum diesbezüglich terminierten Gespräch ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht gefolgt sei, sei von ihrer Reisefähigkeit auf dem Land- oder Luftweg nach Spanien auszugehen.Die Abschiebung habe zur Folge, dass sie nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und dort aufhalten dürfe. Das Einreiseverbot gemäß § 70 Nr. 12 AufenthG habe auf 12 Monate festgesetzt werden dürfen.
9Die Klägerin hat am 24. Dezember 2015 gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 3. Dezember 2015 Klage erhoben. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass ihre Überstellung nach Spanien für sie eine besondere Härte bedeuten würde. Ihr Vater befinde sich noch im Asylverfahren beim Bundesamt. Sie wollten als Familie zusammenbleiben. Sie habe ein Anrecht darauf, dass sie sowohl zusammen mit ihrem Vater als auch bei ihrer Mutter aufwachse.
10Die Klägerin beantragt,
11den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2015 aufzuheben.
12Die Beklagte hat bisher keinen Antrag gestellt.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Bundesamtes im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten über dies Möglichkeit vorab informiert wurden.
15Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16Der Klägerin steht ein subjektives Recht auf Verbleib im Bundesgebiet zu, da über die Zulässigkeit des in Deutschland gestellten Asylbegehrens ihres Vaters noch nicht entschieden ist und dieser – wie seine Befragung im Termin zur mündlichen Verhandlung ergeben hat – allenfalls nach Italien rücküberstellt werden könnte, mit der Folge, dass die Familie auseinandergerissen würde.
17Zutreffend weist das Bundesamt darauf hin, dass die Situation eines in Deutschland geborenen Kindes untrennbar mit der Situation seiner Eltern verbunden ist und deshalb in die Zuständigkeit des Mitgliedstaates fällt, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der Eltern zuständig ist, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für das Kind eingeleitet werden muss. Nach Art. 11 Dublin III–Verordnung gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates, wenn mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in dem selben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und wenn die Anwendung der in der Dublin III–Verordnung genannten Kriterien die Trennung der Familienangehörigen zur Folge hat, Folgendes: Zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Annahme des größten Teils von ihnen zuständig ist; andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist. Familienangehörige sind bei einem minderjährigen und unverheirateten Antragsteller, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem der Erwachsenen sich aufhält für die Minderjährigen verantwortlich ist (Art. 2 Buchst. g Spiegelstrich 3 Dublin III–Verordnung).
18Das Schicksal der Klägerin ist untrennbar mit dem Schicksal ihrer Eltern verbunden. Solange über das Asylgesuch des Vaters noch nicht entschieden ist, kann aus der zuvor zitierten Rechtslage nicht der zuständige Mitgliedstaat ermittelt werden. Es spricht alles dafür, dass die Mutter der Klägerin und der Vater ihres Kindes in Deutschland gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam hätten durchgeführt werden können. Nach der Befragung ihrer Eltern im Termin zur mündlichen Verhandlung sind sie weder Eheleute noch eingetragene Lebenspartner. Im Hinblick auf ihren Schutzanspruch aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7, 24 Abs. 3 EuGrdRCh ist dies aber auch nicht relevant. In Fällen, in denen ein Kind – wie die Klägerin – erst nach jahrelangem Aufenthalt der Eltern im Schengenraum geboren wird, kann sein Grund- und Menschenrecht auf Zusammenleben mit seinen außerhalb ihres Herkunftsstaates eine Ehe oder eine sonstige dauerhafte Beziehung eingegangenen Eltern nicht schwächer ausgeprägt sein, als in den Fällen des § 2 Buchst. g Spiegelstriche 1 und 3 Dublin III–Verordnung. ln einem Fall wie dem vorliegenden ist daher auf das faktische Bestehen familiärer Bande abzustellen. Dass diese bestehen, konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung zweifelsfrei geklärt werden. Der Vater der Klägerin hat gleich bei seiner Einreise einen Antrag auf Zuweisung zum Aufenthaltsort ihrer Mutter gestellt, der aber unbeachtet blieb. Im Hinblick auf die Schwangerschaft der Mutter hätte auch schon vor ihrer Geburt eine Umverteilung an den Aufenthaltsort der Mutter nahegelegen.
19Das Bundesamt hat es versäumt, die Mutter der Klägerin nach dem Vater ihres Kindes und dem Sorgerecht für ihr Kind zu befragen. Jedenfalls ist dergleichen im Rahmen der Erstbefragung der Mutter der Klägerin nicht protokolliert. Stattdessen hat sich das Bundesamt im Rahmen der Protokollierung des Gesprächs an die Formblätter gehalten und nicht erkannt, dass es vorliegend um eine Fallgestaltung ging, die die Formblätter nicht erfassen. Dass die Mutter der Klägerin zur Zweitbefragung nicht erschienen ist, kann ihr nicht entgegengehalten werden. Das vorstehende Aufklärungserfordernis bestand nämlich nicht erst im Rahmen der Zweitbefragung, sondern schon bei der Erstbefragung. Bereits bei ihr ging es um die Ermittlung des für die Familie zuständigen und damit des um Aufnahme zu ersuchenden Mitgliedstaats. Dieser Verfahrensfehler wirkt sich auch noch aus, da vor einer Entscheidung des Bundesamtes über das Asylverfahren ihres Vaters nicht gesagt werden kann, ob ihre Abschiebung nach Spanien möglich bleibt oder ob die Familie im Bundesgebiet verbleiben kann.
20Die Klägerin kann sich auf diesen Verfahrensverstoß berufen. Die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen, wie etwa Art. 9 bis 11 Dublin III-Verordnung zugunsten von Familienangehörigen.
21vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 57 f.
22Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Sind die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet, so steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu,
- 1.
wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen), - 2.
wenn sie einander heiraten oder - 3.
soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt.
(2) Das Familiengericht überträgt gemäß Absatz 1 Nummer 3 auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht.
(3) Im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge.
(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.
(1) Die Ansprüche auf die in § 67 Abs. 1 und 2 genannten Kosten verjähren sechs Jahre nach Eintritt der Fälligkeit.
(2) Die Verjährung von Ansprüchen nach den §§ 66 und 69 wird auch unterbrochen, solange sich der Schuldner nicht im Bundesgebiet aufhält oder sein Aufenthalt im Bundesgebiet deshalb nicht festgestellt werden kann, weil er einer gesetzlichen Meldepflicht oder Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Mutter der Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Die nicht durch amtliche Dokumente ausgewiesene Mutter der Klägerin gibt an, am 00.00.0000 geboren zu sein und aus Nigeria zu stammen. Sie will nach eigenen Angaben am 26. September 2009 nach Spanien eingereist sein und sich zunächst dort aufgehalten haben.
2Seitens des Norwegian Directorate of Immigration wurde mitgeteilt: Die Mutter der Klägerin reiste im Jahr 2010 nach Norwegen in das Gebiet der Dublin III–Staaten ein. Ihr dort gestellter Schutzantrag wurde abgelehnt. Danach tauchte sie unter. Am 25. Februar 2011 stellte Spanien ein Übernahmeersuchen an Norwegen. Norwegen stimmte dem zu. Spanien gelang es allerdings nicht, die Mutter der Klägerin zu überstellen, da diese erneut untergetaucht war.
3Nach eigenen Angaben hat sich die Mutter der Klägerin ab 2011 in Italien aufgehalten. Dort hat sie im Dezember 2013 den Vater der Klägerin, der ebenfalls aus Nigeria stammt, kennen gelernt und die Klägerin gezeugt.
4Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 25. Januar 2015 wurde die Mutter der Klägerin der Stadt F. zugewiesen. Sie beantragte nach der Geburt der Klägerin am 25. August 2015 Asyl. Im Rahmen des Asylverfahrens erwähnte die Mutter der Klägerin weder den Kindesvater noch dessen Aufenthaltsort. Auf die Frage „Haben Sie Familienangehörige (Ehegatten, Kinder, Geschwister) und Verwandte (Onkel, Tante, Großeltern) in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat?“, antwortete sie mit „Nein“.
5Der Vater der Klägerin reiste ebenfalls 2009 aus Nigeria aus, allerdings über Niger, Mali und Libyen nach Italien, wo er sich seither in Bari aufhielt. Nachdem die Mutter der Klägerin schwanger war, beschlossen beide Italien zu verlassen. Da die finanziellen Mittel für eine gemeinsam Ausreise nicht reichten, beschlossen beide, dass ihre Mutter vorfahre und ihr Vater nachkomme. Dies war diesem dann drei Monate später möglich. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet stellte auch er einen Asylantrag und wurde, obgleich der bei der Erstaufnahme in E. angab, dass sich ihre Mutter in F. aufhalte, nach L. verteilt. Nach Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt L. hatte er noch keinen Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), bei dem er sein Asylgesuch hätte anbringen können. Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes erkannte er die Vaterschaft mit Zustimmung ihrer Mutter am 2. Oktober 2015 an. Am selben Tag gaben ihre Mutter und ihr Vater eine Sorgeerklärung gemäß § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB ab, nach der beide die elterliche Sorge für sie gemeinsam übernahmen.
6Am 10. September 2015 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III–VO) betreffend die Mutter der Klägerin an Spanien. Nachdem Spanien die Übernahme der Mutter der Klägerin abgelehnt hatte, stellte das Bundesamt am 21. September 2015 ein Übernahmeersuchen an Norwegen. Auch Norwegen lehnte die Übernahme der Mutter der Klägerin ab. Auf eine Remonstration des Bundesamtes gegenüber der ablehnenden Haltung Spaniens hin, erklärte Spanien sich unter dem 9. Oktober 2015 zur Übernahme der Mutter der Klägerin bereit.
7Unter dem 21. Oktober 2015 lud das Bundesamt die Mutter der Klägerin zum persönlichen Gespräch im Dublin-Verfahren (Zweitbefragung). Zum angesetzten Termin am 18. November 2015, 8.30 Uhr, erschien die Mutter der Klägerin ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht.
8Mit Bescheid vom 3. Dezember 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin als unzulässig ab und drohte ihr die Abschiebung nach Spanien an. Außerdem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Ausreiseverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Der Asylantrag sei unzulässig, da Spanien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Die Anordnung der Abschiebung nach Spanien beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG. Gründe für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen, insbesondere eine Beeinträchtigung der Reisefähigkeit aus medizinischen Gründen, seien nicht substantiiert vorgetragen. Da die Mutter der Klägerin der Ladung zum diesbezüglich terminierten Gespräch ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht gefolgt sei, sei von ihrer Reisefähigkeit auf dem Land- oder Luftweg nach Spanien auszugehen.Die Abschiebung habe zur Folge, dass sie nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und dort aufhalten dürfe. Das Einreiseverbot gemäß § 70 Nr. 12 AufenthG habe auf 12 Monate festgesetzt werden dürfen.
9Die Klägerin hat am 24. Dezember 2015 gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 3. Dezember 2015 Klage erhoben. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass ihre Überstellung nach Spanien für sie eine besondere Härte bedeuten würde. Ihr Vater befinde sich noch im Asylverfahren beim Bundesamt. Sie wollten als Familie zusammenbleiben. Sie habe ein Anrecht darauf, dass sie sowohl zusammen mit ihrem Vater als auch bei ihrer Mutter aufwachse.
10Die Klägerin beantragt,
11den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Dezember 2015 aufzuheben.
12Die Beklagte hat bisher keinen Antrag gestellt.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Bundesamtes im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten über dies Möglichkeit vorab informiert wurden.
15Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16Der Klägerin steht ein subjektives Recht auf Verbleib im Bundesgebiet zu, da über die Zulässigkeit des in Deutschland gestellten Asylbegehrens ihres Vaters noch nicht entschieden ist und dieser – wie seine Befragung im Termin zur mündlichen Verhandlung ergeben hat – allenfalls nach Italien rücküberstellt werden könnte, mit der Folge, dass die Familie auseinandergerissen würde.
17Zutreffend weist das Bundesamt darauf hin, dass die Situation eines in Deutschland geborenen Kindes untrennbar mit der Situation seiner Eltern verbunden ist und deshalb in die Zuständigkeit des Mitgliedstaates fällt, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der Eltern zuständig ist, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für das Kind eingeleitet werden muss. Nach Art. 11 Dublin III–Verordnung gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates, wenn mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in dem selben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und wenn die Anwendung der in der Dublin III–Verordnung genannten Kriterien die Trennung der Familienangehörigen zur Folge hat, Folgendes: Zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Annahme des größten Teils von ihnen zuständig ist; andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist. Familienangehörige sind bei einem minderjährigen und unverheirateten Antragsteller, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem der Erwachsenen sich aufhält für die Minderjährigen verantwortlich ist (Art. 2 Buchst. g Spiegelstrich 3 Dublin III–Verordnung).
18Das Schicksal der Klägerin ist untrennbar mit dem Schicksal ihrer Eltern verbunden. Solange über das Asylgesuch des Vaters noch nicht entschieden ist, kann aus der zuvor zitierten Rechtslage nicht der zuständige Mitgliedstaat ermittelt werden. Es spricht alles dafür, dass die Mutter der Klägerin und der Vater ihres Kindes in Deutschland gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam hätten durchgeführt werden können. Nach der Befragung ihrer Eltern im Termin zur mündlichen Verhandlung sind sie weder Eheleute noch eingetragene Lebenspartner. Im Hinblick auf ihren Schutzanspruch aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7, 24 Abs. 3 EuGrdRCh ist dies aber auch nicht relevant. In Fällen, in denen ein Kind – wie die Klägerin – erst nach jahrelangem Aufenthalt der Eltern im Schengenraum geboren wird, kann sein Grund- und Menschenrecht auf Zusammenleben mit seinen außerhalb ihres Herkunftsstaates eine Ehe oder eine sonstige dauerhafte Beziehung eingegangenen Eltern nicht schwächer ausgeprägt sein, als in den Fällen des § 2 Buchst. g Spiegelstriche 1 und 3 Dublin III–Verordnung. ln einem Fall wie dem vorliegenden ist daher auf das faktische Bestehen familiärer Bande abzustellen. Dass diese bestehen, konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung zweifelsfrei geklärt werden. Der Vater der Klägerin hat gleich bei seiner Einreise einen Antrag auf Zuweisung zum Aufenthaltsort ihrer Mutter gestellt, der aber unbeachtet blieb. Im Hinblick auf die Schwangerschaft der Mutter hätte auch schon vor ihrer Geburt eine Umverteilung an den Aufenthaltsort der Mutter nahegelegen.
19Das Bundesamt hat es versäumt, die Mutter der Klägerin nach dem Vater ihres Kindes und dem Sorgerecht für ihr Kind zu befragen. Jedenfalls ist dergleichen im Rahmen der Erstbefragung der Mutter der Klägerin nicht protokolliert. Stattdessen hat sich das Bundesamt im Rahmen der Protokollierung des Gesprächs an die Formblätter gehalten und nicht erkannt, dass es vorliegend um eine Fallgestaltung ging, die die Formblätter nicht erfassen. Dass die Mutter der Klägerin zur Zweitbefragung nicht erschienen ist, kann ihr nicht entgegengehalten werden. Das vorstehende Aufklärungserfordernis bestand nämlich nicht erst im Rahmen der Zweitbefragung, sondern schon bei der Erstbefragung. Bereits bei ihr ging es um die Ermittlung des für die Familie zuständigen und damit des um Aufnahme zu ersuchenden Mitgliedstaats. Dieser Verfahrensfehler wirkt sich auch noch aus, da vor einer Entscheidung des Bundesamtes über das Asylverfahren ihres Vaters nicht gesagt werden kann, ob ihre Abschiebung nach Spanien möglich bleibt oder ob die Familie im Bundesgebiet verbleiben kann.
20Die Klägerin kann sich auf diesen Verfahrensverstoß berufen. Die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen, wie etwa Art. 9 bis 11 Dublin III-Verordnung zugunsten von Familienangehörigen.
21vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 57 f.
22Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.
(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.