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Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die von der Polizeidirektion Freiburg auf Grund der §§ 1, 2 und 4 LGebG i.V.m. Nrn. 57.2.1 und 57.2.2 des Gebührenverzeichnisses erhobenen Gebühren für den Transport des Klägers in einem Polizeifahrzeug zum Polizeirevier Müllheim und seinen Aufenthalt in der Gewahrsamseinrichtung durften dem Kläger nicht auferlegt werden, weil seine Ingewahrsamnahme einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält. Erledigt sich, wie hier, die Ingewahrsamnahme vor Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist, so gebietet es die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG, im Rahmen der Überprüfung des Gebührenbescheids auch die zugrunde liegende Amtshandlung einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.03.1986 - 1 S 2654/85 -, VBlBW 1986, 299, 302; v. 02.03.1989 - 1 S 1952/88 -, VBlBW 1989, 299, 301). Da sich im vorliegenden Fall die Ingewahrsamnahme mit der Entlassung des Klägers am Morgen des 30.01.2002 erledigt hatte und auch noch keine (amts-)richterliche Entscheidung über den Gewahrsam nach § 28 Abs. 3 PolG getroffen worden war, ist die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme somit eine vom Verwaltungsgericht inzident zu prüfende Voraussetzung für die Kostenpflicht des Klägers (zur Inzidentprüfungskompetenz vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.05.2004 - 1 S 2052/03 -).
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Im vorliegenden Fall war die Ingewahrsamnahme bzw. deren Aufrechterhaltung nicht mehr von den allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 PolG gedeckt.
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Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene erhebliche Störung nicht beseitigt werden kann. Bei der Ingewahrsamnahme handelt es sich um eine der einschneidendsten polizeilichen Standardmaßnahmen, nämlich um eine die Freiheit der Person nicht nur beschränkende, sondern aufhebende Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.05.2002 BVerfGE 105, 239). Daher ist bei der Anwendung der Vorschrift, insbesondere bei der Prüfung der Erforderlichkeit bzw. der Möglichkeit des Einsatzes anderer geeigneter, milderer Mittel, ein strenger Maßstab anzulegen. Hiernach erweist sich die Ingewahrsamnahme (als Beseitigungs- bzw. Präventivgewahrsam) als nicht erforderlich, weil andere - mildere - Mittel zur Störungsbeseitigung nicht ausgeschöpft wurden.
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Allerdings spricht nach Lage der Akten und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung Vieles dafür, dass die tätig gewordenen Polizeivollzugsbeamten das Verhalten des Klägers in der fraglichen Nacht zutreffend - insoweit in fehlerfreier Wahrnehmung ihrer Einschätzungsprärogative - als Verursachung unzulässigen Lärms (vgl. § 117 OWiG) und damit als Störung der öffentlichen Sicherheit beurteilt haben. Die Beamten haben den von der Musikanlage des Klägers ausgehenden Geräuschpegel nach den von ihnen getroffenen Feststellungen plausibel als erhebliche Belästigung der Wand an Wand wohnenden Nachbarin und deren Kind eingestuft. Die diesbezüglichen Einlassungen des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Beurteilung. Insoweit ist bezeichnend, dass der Kläger den Polizeibeamten gegenüber sinngemäß die irrige Auffassung vertreten hat, in seinem Eigentum könne er tun und lassen was er wolle und müsse nicht auf die Nachbarschaft Rücksicht nehmen. Dass das offenbar gespannte Verhältnis zwischen dem Kläger und den Mietern der benachbarten Wohnung keine Rechtfertigung für eine rücksichtslose Beschallung der Nachbarwohnung zur Nachtzeit sein kann, bedarf keiner näheren Begründung. Soweit der Kläger einzelne Vorhaltungen der Nachbarin, etwa das behauptete Hämmern gegen die Wand und das Hochfahren sämtlicher Rollläden, bestritten hat, bedarf dies indes ebenso wenig weiterer Aufklärung wie das genaue Maß der Lärmbeeinträchtigung der Nachbarn. Jedenfalls kann die Ingewahrsamnahme nicht als unerlässliches, den geringstmöglichen Eingriff darstellendes Mittel angesehen werden, um die Lärmbelästigung der Nachbarn durch den Kläger in dieser Nacht zu unterbinden.
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Zwar sind die Beamten zutreffend davon ausgegangen, dass eine Beschlagnahme der Musikanlage allein dazu wohl nicht ausgereicht hätte. Denn der Kläger kam den ersten beiden Aufforderungen der Beamten, die Musik auf Zimmerlautstärke einzustellen, nicht nach, sondern äußerte sich dahin, dass er in seinem Büro tun und lassen könne, was er wolle, und dass seine Mieter das zu dulden hätten. Die Beamten konnten daraus schließen, dass der nach ihrer Einschätzung offenbar erheblich angetrunkene Kläger gewillt war, auch weiterhin Lärm zu machen und die Nachbarn zu stören. In Anbetracht dieser Umstände konnten die Beamten davon ausgehen, dass der Kläger selbst nach einer Beschlagnahme der Musikanlage auf andere Weise die Störungen fortsetzen würde, wenn er in dem Büro bliebe.
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Den Beamten wäre es aber ohne weiteres möglich gewesen, gegenüber dem Kläger einen Platzverweis aufgrund von §§ 1, 3 PolG auszusprechen, diesen nötigenfalls im Wege des unmittelbaren Zwangs nach §§ 49 Abs. 2, 50 PolG zwangsweise durchzusetzen, auch durch Verbringung des Klägers an seine Wohnung. Eine solche Verbringung an einen anderen Ort stellt im Verhältnis zur Ingewahrsamnahme regelmäßig für den Betroffenen eine weniger belastende Maßnahme dar (vgl. Wolf/Stephan, PolG, 5. Aufl., § 28 RdNr. 6). Im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des diesen Grundsatz konkretisierenden § 5 PolG wäre eine solche Maßnahme im vorliegenden Fall vorrangig zu ergreifen gewesen, da man den Kläger ohne weiteres vor seiner Privatwohnung hätte abladen können und ihn somit vom Ort der Störung entfernt hätte. Im Hinblick auf die von den Beamten registrierte Alkoholisierung des Klägers, die Entfernung der Wohnung vom Ort der Störung von immerhin einem Kilometer sowie die im Januar üblicherweise herrschenden Witterungsverhältnisse wäre auch nicht damit zu rechnen gewesen, dass der Kläger in sein Büro zurückgekehrt wäre und weitere Störungen unternommen hätte. Die in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter des Beklagten geltend gemachten Erfahrungen mit Platzverweisen, dass die Störer häufig nach Abrücken der Polizeibeamten wieder an den Ort der Störung zurückkehrten, erübrigen nicht die gebotene Einzelfallbeurteilung.
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Im vorliegenden Fall spricht über die genannten Gründe hinaus vor allem der Umstand, dass der Kläger, nachdem ihm die Ingewahrsamnahme erklärt worden war, von sich aus einen Rückzug in seine Privatwohnung angeboten hatte, gegen die Annahme einer Rückkehrgefahr. Spätestens hiernach musste sich den Beamten die nahe liegende Handlungsalternative der Verbringung des Klägers in seine Wohnung auch aufdrängen. Die sinngemäße diesbezügliche Einlassung des Beklagten, dieses Angebot sei zu spät, weil nach dem Ausspruch der Ingewahrsamnahme, erfolgt, verkennt in rechtlicher Hinsicht, dass es sich bei der Ingewahrsamnahme um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Dies hat zur Folge, dass seine rechtlichen Voraussetzungen nicht nur beim Erlass, sondern auch während der gesamten Zeit vorliegen müssen, für die er Geltung beansprucht. Auch seine Aufrechterhaltung steht also unter dem Vorbehalt, dass auf andere Weise der Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu begegnen ist. Dies kommt auch in § 28 Abs. 3 Satz 1 PolG zum Ausdruck; nach dieser Vorschrift ist der Gewahrsam aufzuheben, sobald sein Zweck erreicht ist. Angesichts dessen, dass der Ausspruch der Ingewahrsamnahme den Kläger offenbar so beeindruckt hat, dass er nunmehr von sich aus den Rückzug in seine Wohnung anbot, spricht zudem einiges dafür, dass auch eine eindringliche Verwarnung des Klägers mit der ernsthaften Ankündigung einer Ingewahrsamnahme zum selben Ziel geführt hätte. Jedenfalls war hier ein solches gestuftes Vorgehen, das im Übrigen auch schon beim zweiten nächtlichen Einsatz der Polizeibeamten hätte in Betracht gezogen werden können, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten (vgl. dazu auch VG Freiburg, Urt. v. 05.02.1985, VBlBW 1986, 229).
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Das verständliche Bemühen der Beamten um eine definitive Beendigung des polizeiwidrigen Zustandes hilft darüber nicht hinweg. Die Nichtergreifung des vom Kläger angebotenen milderen Mittels war erkennbar durch die rechtlich nicht haltbare Vorstellung beeinflusst, dieses Angebot sei zu spät erfolgt und könne die Ingewahrsamnahme nicht mehr in Frage stellen. Das in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter des Beklagten sowie dem anwesenden, seinerzeit an dem Polizeieinsatz beteiligten Polizeikommissar S. betonte Ziel eines effektiven Schutzes der Nachbarfamilie, insbesondere des Kindes, wäre durch die Ergreifung (zunächst) der genannten Handlungsalternative nicht ernstlich in Frage gestellt worden. Der vom Beklagten-Vertreter in der mündlichen Verhandlung angeführten Befürchtung, der Kläger hätte von seiner Wohnung aus noch per Telefon die Nachbarfamilie stören können, wäre zum einem von Seiten der Familie selbst durch eine Unterbrechung der Telefonverbindung für diese Nacht (Herausziehen des Anschlusskabels) leicht zu verhindern gewesen. Zum anderen hätte der Kläger nach der schon einmal ausgesprochenen Ingewahrsamnahme und entsprechend eindringlicher Verwarnung mit Ankündigung eines erneuten Gewahrsams für den Fall weiterer Störungshandlungen wohl kaum solche erneuten Störungen riskiert, musste er doch fürchten, dass dann von der angekündigten Verbringung in den Polizeigewahrsam Gebrauch gemacht würde; jedenfalls verblieb für diesen Fall diese - gegebenenfalls dann verhältnismäßige - Möglichkeit des weiteren polizeilichen Einschreitens. Keinesfalls durfte der allein zur Gefahrenabwehr zulässige Gewahrsam etwa als darüber hinausgehende Sanktion für das störende und zunächst uneinsichtige Verhalten des Klägers eingesetzt werden; dies ist Aufgabe eines Bußgeld- oder Strafverfahrens.
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Soweit der Beklagte zur Rechtfertigung der Ingewahrsamnahme noch darauf hinweist, andernfalls wäre der Kläger trotz seiner Alkoholisierung mit seinem Auto nach Hause gefahren und hätte sich und andere gefährdet, ist dem entgegen zu halten, dass auch eine solche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch andere, mildere Mittel hätte verhindert werden können, etwa durch Beschlagnahme der Kraftfahrzeugschlüssel oder auch des Kraftfahrzeugs selbst nach § 33 PolG. Davon abgesehen hätte es sich angeboten, dem Kläger ein Taxi zu rufen oder im Fall der Verweigerung ihn auch mit dem Polizeifahrzeug zu seiner Wohnung zu fahren. Die Ergreifung einer dieser Möglichkeiten hätte die befürchtete Alkoholfahrt und gegebenenfalls auch eine Selbstgefährdung des Klägers ausgeschlossen.
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Zu keiner dem Beklagten günstigeren rechtlichen Beurteilung führt sein Hinweis auf einen ähnlich gelagerten Vorfall vom 27.03.2002, der zu einem Verfahren gegen den Kläger wegen vorsätzlicher Ruhestörung und zur Verhängung eines Bußgelds geführt hat. Die Rechtmäßigkeit der hier zu beurteilenden polizeilichen Maßnahme bestimmt sich allein nach der Gefahrenlage, wie sie sich den Beamten am 30.01.2002 bei fehlerfreier ex ante-Prognose darstellte. Insoweit können später eingetretene Umstände grundsätzlich keine Berücksichtigung finden. Selbst wenn aber spätere Ereignisse, wie hier die erneute Ruhestörung am 27.03.2002, zur „Bestätigung“ einer zu Lasten des Störers skeptischen Gefahrenprognose herangezogen werden könnten, wäre auch damit nicht die Wahl des schärfsten Mittels zur Gefahrenabwehr - die Ingewahrsamnahme - statt des hier gebotenen gestuften Vorgehens zu rechtfertigen.
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Soweit der Beklagte die Ingewahrsamnahme auch als Schutzmaßnahme zugunsten des Klägers, nämlich zur Verhinderung einer Selbstgefährdung durch eine Alkoholfahrt mit seinem Pkw, bezeichnet hat, vermag dies die Rechtsposition des Beklagten ebenfalls nicht zu stützen. Als Schutzgewahrsam nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 PolG scheidet die Maßnahme schon wegen der angeführten, weniger eingreifenden Handlungsalternativen rechtlich aus.
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Erweist sich die Ingewahrsamnahme nach allem als rechtswidrig, so sind der angefochtene Gebührenbescheid und der zugehörige Widerspruchsbescheid aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Dem Kläger als juristischen Laien war es nicht zuzumuten, seine Rechte im Widerspruchsverfahren ohne anwaltliche Vertretung zu machen.
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Gründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO, aus denen die Berufung vom Verwaltungsgericht zuzulassen wäre, sind nicht gegeben.
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