Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 21. Mai 2015 - B 5 K 13.30395

bei uns veröffentlicht am21.05.2015

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger sind aserbaidschanische Staatsangehörige mit aserischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten eigenen Angaben zufolge von kommend auf dem Luftweg am 27. Oktober 2011 ins Bundesgebiet ein und beantragten am 3. Januar 2012 ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Bei der Anhörung zur Identitätsklärung am 14. November 2011 gab der Kläger zu 1 an, seinen Personalausweis zu Hause in gelassen zu haben. Ein ihm unbekannter Schlepper habe in einen Reisepass für ihn organisiert. Er könne eine Heiratsurkunde sowie Geburtsurkunden vorlegen. Sie hätten seit 1994 bis zu ihrer Ausreise in gelebt. Im Heimatland lebten noch drei Schwestern. Er habe als Bauarbeiter für private Auftraggeber in gearbeitet und monatlich 250,00 bis 300,00 Manat verdient. Er sei seit März 2010 Mitglied der Musavat-Partei.

Bei seiner Anhörung am 3. Januar 2012 gab der Kläger zu 1 an, dass er von 1988 bis 1989 an der Universität ein Studium als Bauingenieur begonnen habe. Er sei von der Universität verwiesen worden, weil eine Lehrerin mitbekommen habe, dass er mehrfach an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen habe. Er habe immer wieder Gelegenheitsarbeiten auf dem Bau ausgeführt, insgesamt mehr als fünf Jahre. Seine wirtschaftliche Situation bezeichne er als schlecht. Sein Cousin habe für die Ausreise insgesamt 6.000 Dollar bezahlt.

Zu seinen Asylgründen befragt, erklärte der Kläger zu 1, dass er an mehreren regimekritischen Demonstrationen teilgenommen habe, so z.B. am 12. April, 19. April und 28. Mai 2011. Er sei jedes Mal von der Polizei festgenommen worden. Die Demonstrationen seien von Musavat und der Volksfront organisiert worden. Er sei seit 2010 ein inoffizielles Mitglied der Musavat, habe aber weder einen Parteiausweis noch sei er in irgendeiner Liste der Partei als Mitglied registriert worden. Bei den Demonstrationen habe er wie viele andere Teilnehmer auch Plakate getragen und Parolen gegen das Regime in Aserbaidschan gerufen, besonders wegen der gefährlichen Situation in Karabach. Bei der ersten Demonstration habe ihn die Polizei drei Tage lang festgehalten. Er sei dann nur deswegen wieder entlassen worden, weil seine Frau an diesem Tag ein Kind bekommen habe und im Krankenhaus gewesen sei. Bei der Demonstration am 19.04.2011 sei er eine Woche, am 28. Mai 2011 fünf Tage von der Polizei festgehalten worden. Außer ihm seien auch viele andere festgenommen worden. Er habe in der Haft nur Wasser zu trinken bekommen, nichts zu essen. Er sei jedes Mal geschlagen worden. Die Polizisten hätten von ihm wissen wollen, wer ihn dazu gebracht habe, an den Demonstrationen teilzunehmen oder wer ihm Geld dafür gegeben habe. Sie hätten ihm nicht geglaubt, dass es sein eigener Entschluss gewesen sei. Am 17. Oktober 2011 habe er sich mit mehreren Freunden getroffen und sie seien zusammen zum „Platz des 20. Januar“ gegangen, wo sie sich versammelt hätten. Es seien mehr als 1.000 Leute gewesen. Sie seien von dort zu einem anderen Platz gezogen, der Fußmarsch habe etwa eine Stunde gedauert. Als sie den Platz erreicht hätten, habe er einen Anruf von einem Verwandten bekommen. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass ein anderer Verwandter in verstorben sei. Er sei dann mit seiner Familie nach zu dem Begräbnis gefahren. Dort habe er einen Anruf von einem mit ihm befreundeten Polizisten aus bekommen, der ihm gesagt habe, dass er wegen der Demonstration am 17. Oktober 2011 gesucht werde. Daraufhin habe er sich entschlossen, mit seiner Familie das Land zu verlassen. Er selbst habe bei diesem Treffen am 17. Oktober 2011 keine Probleme mit der Polizei gehabt. Er vermute aber, dass sie ihn erkannt hätten, weil er schon vorher mehrfach festgenommen worden sei. Sein Sohn, der Kläger zu 3, sei seit seiner Geburt behindert. Er sei mit ihm in Aserbaidschan mehrfach bei verschiedenen Ärzten gewesen. Keiner habe ihm helfen können. Die medizinische Versorgung in Aserbaidschan sei sehr schlecht.

Die Klägerin zu 2 gab bei ihrer Anhörung am 3. Januar 2012 ergänzend an, dass ihre Eltern im Flüchtlingslager in lebten. Sie selbst habe noch acht Geschwister und andere nahe Verwandte in Aserbaidschan. Sie habe keinen Beruf erlernt. Ihre wirtschaftliche Situation sei schlecht gewesen. Sie selbst habe keine eigenen Asylgründe und beziehe sich auf die Gründe ihres Ehemannes. Dieser sei mehrfach bei Demonstrationen von der Polizei festgenommen worden. Beim letzten Mal habe man ihn gewarnt, dass er größere Probleme bekommen könnte, wenn er nach zurückkehren würde. Als der Kläger zu 1 den Anruf erhalten habe, hätten sie sich in befunden. Danach hätten sie sich gemeinsam entschlossen, das Land zu verlassen. Der Kläger zu 3 sei in Aserbaidschan von verschiedenen Ärzten behandelt worden, diese hätten ihm Tabletten verschrieben, er habe auch verschiedene Impfungen erhalten.

In den Behördenakten befindet sich ein Bericht der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum über eine Untersuchung des Klägers zu 3 am 17. November 2011. Als Diagnosen sind aufgeführt: Pathologisches EEG, schwere psychomotorische Entwicklungsstörung, infantile Cerebralparese und Sprachentwicklungsstörung. Eine ärztliche Stellungnahme des Universitätsklinikums vom 26. Juli 2013 weist als erforderliche Behandlungen und Medikamente aus, dass regelmäßige Kontrolluntersuchungen wahrgenommen werden sollten, um bei Veränderungen des Gesundheitszustandes adäquat reagieren und Therapien am Bedarf ausrichten zu können. Der Kläger zu 3 erhalte einmal wöchentlich Ergotherapie und Physiotherapie, Logopädie sei anzuraten. Bei unbehandelter Epilepsie drohe eine Anfallshäufung sowie die Gefahr eines Status epilepticus. Ohne Logopädie, Physio- und Ergotherapie seien weniger bzw. keine Entwicklungsfortschritte möglich. Bei einem Abbruch der Behandlung müsse mit einer Verschlechterung des gesamten Gesundheitszustandes gerechnet werden.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 6. Dezember 2013 wurde die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziffer 1). Die Anträge auf Asylanerkennung wurden abgelehnt (Ziffer 2). Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Ziffer 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Ihnen wurde die Abschiebung nach Aserbaidschan oder einen sonstigen aufnahmebereiten Staat angedroht (Ziffer 5).

Auf die Ausführungen im Bundesamtsbescheid, der den Klägern ausweislich der Postzustellungsurkunde am 7. Dezember 2013 bekanntgegeben wurde, wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).

Mit einem am 19. Dezember 2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ihres Bevollmächtigten ließen die Kläger Klage erheben und beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und sie als Asylberechtigte anzuerkennen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Kläger in Bezug auf Aserbaidschan vorliegen.

Der Kläger zu 1 sei in Aserbaidschan aus politischen Gründen verfolgt worden. Bei einer erzwungenen Rückkehr drohe ihm erneut Verfolgung durch die dortigen Behörden. Für den Kläger zu 3  bestehe darüber hinaus ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auf die ärztliche Stellungnahme des Universitätsklinikums vom 26. Juli 2013 werde verwiesen. Der Kläger zu 3 sei nicht in der Lage, frei zu sitzen. Er habe keine Kopfkontrolle und sei nicht in der Lage, zu greifen. Eine Nutzung der Muskeln sei ihm nicht möglich. Durch Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Region Oberfranken, vom 20. Februar 2013 sei ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt worden mit den Merkzeichen „G“, „aG“, „B“ und „H“. Der Kläger zu 3 sei seit dem 13. September 2012 in einer schulvorbereitenden Einrichtung der Lebenshilfe untergebracht. Die für den Kläger zu 3 für seine weitere Entwicklung unabdingbare und im Hinblick auf die Epilepsie lebensnotwendige medizinische und medikamentöse Behandlung sowie eine umfassende Therapie und Betreuung sei für ihn bei einer erzwungenen Rückkehr nach Aserbaidschan nicht erreichbar. Eine kostenlose medizinische Versorgung existiere nur auf dem Papier. Dringende medizinische Hilfe werde nur in Notfällen gewährt. Die Kläger wären bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan völlig mittellos und nicht in der Lage, die lebensnotwendigen medizinischen und therapeutischen Versorgungen fortzusetzen, da sie diese nicht bezahlen könnten. Der Vater des Klägers zu 3 sei vor seiner Ausreise arbeitslos gewesen. Ein Überleben in Aserbaidschan sei ihnen vor ihrer Ausreise nur deshalb möglich gewesen, weil sie in einer leerstehenden früheren Betriebswohnung mietfrei untergekommen seien und der Kläger zu 1 durch die Tätigkeit als Tagelöhner unregelmäßige Einkünfte in Höhe von 200,00 bis 300,00 EUR monatlich habe erzielen können. Auch die entfernteren Familienangehörigen des Klägers zu 3 seien bei einer erzwungenen Rückkehr nach Aserbaidschan nicht in der Lage, die für die notwendige medizinische und therapeutische Versorgung benötigte finanzielle Unterstützung sicherzustellen. Bei den Klägern handele es sich um Binnenflüchtlinge aufgrund des Berg-Karabach-Konflikts. Keiner der Brüder oder Schwestern des Klägers zu 1 sowie der Klägerin zu 2 sei finanziell in der Lage, die Kläger finanziell zu unterstützen. Den für die Ausreise aufgebrachten Betrag habe sich der Kläger zu 1 zu einem Großteil von Freunden und Bekannten geliehen, so dass er seither zur Rückzahlung verpflichtet sei.

Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2014 hat die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2014 trug der Klägerbevollmächtigte vor, dass der Kläger zu 3 am 3. Dezember 2013 im untersucht worden sei. Er müsse zur Erreichung der Kopfkontrolle eine Korsettversorgung erhalten. Weiter benötige er eine Sitzschale mit Fahrgestell und Unterschenkelfußorthesen sowie Orthesenschuhe für den Sommer und für den Winter. Des Weiteren benötige er eine regelmäßige und intensive Fortführung der Physio- und Ergotherapie, um seine allgemeine motorische Entwicklung nicht abbrechen zu lassen. Gegenwärtig erfolge eine regelmäßige Betreuung durch das . Ein Arztbericht des vom 4. Dezember 2013 sowie ein vorläufiger Entlassungsbrief vom 12. März 2014 der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum wurden vorgelegt. Als Therapieempfehlung ist in letzterem Bericht genannt: Baclofen und Levetiracetam (Keppra). Ein weiteres Attest des Universitätsklinikums vom 24. März 2015, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, wurde vorgelegt.

Mit Beschluss der Kammer vom 16. April 2015 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7. Mai 2015 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

1. Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid vom 6. Dezember 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylVfG oder auf Anerkennung als Asylberechtigte. Es liegen auch keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 AsylVfG noch sog. nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor

a. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG.

Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylVfG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylVfG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylVfG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylVfG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft dann nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylVfG). Dabei ist sowohl bei der Prüfung des Flüchtlingsschutzes (§ 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 Abs. 1 AsylVfG n. F.) als auch des subsidiären Schutzes durch die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG) als Prognosemaßstab einheitlich der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG); (hierzu: BVerwG, U. v. 27. April 2010, Az. 10 C 5/09).

Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihnen droht bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare individuelle oder kollektive Verfolgung aufgrund einer der in § 3 AsylVfG genannten Verfolgungsgründe.

aa. Die Kläger zu 2 bis 4 haben keine individuellen Asylgründe vorgetragen. Solche sind auch nicht ersichtlich.

bb. Auch der Kläger zu 1 ist nach Überzeugung des Gerichts unverfolgt aus Aserbaidschan ausgereist. Ihm droht bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung.

Der Kläger zu 1 hat angegeben, kein offiziell registriertes Mitglied der oppositionellen Musavat-Partei zu sein. Daher kann dahingestellt bleiben, ob allein aus einer Registrierung oder offiziellen Mitgliedschaft in der Musavat-Partei eine politische Gefahr herrühren könnte. Er hat auch nicht aufgrund der von ihm geschilderten Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen im Jahr 2011 mit einer Verfolgung zu rechnen. Er gibt selbst dazu an, dass er nach den Demonstrationen im April und Mai 2011 freigelassen worden ist, ohne dass es zu einer strafrechtlichen oder sonstigen Verfolgung seitens der aserbaidschanischen Behörden gekommen ist. Dass die aserbaidschanischen Sicherheitsbehörden an dem Kläger als bloßem Mitläufer bzw. als einem „normalen“ Teilnehmer von Hunderten oder Tausenden an politischen Demonstrationen kein gesteigertes Interesse haben, zeigt auch seine Aussage, dass er wohl wegen seiner schwierigen familiären Situation wieder freigelassen worden sei. Dies zeigt, dass er nicht als politisch herausragende Person ansehen wurde, die wegen ihres politischen Engagements besonders überwacht wird und die mit Einschüchterung und Verfolgung rechnen muss, wie dies regimekritischen Journalisten oder führenden Mitgliedern von Oppositionsparteien oder anderen Gruppierungen drohen kann (vgl. hierzu die Beispiele im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. April 2015). Zum Verhalten der Sicherheitsbehörden gegenüber Demonstrationen führt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. April 2015 (S. 10) aus, dass die Polizei bei unangemeldeten regierungskritischen oder trotz Verbots durchgeführten Kundgebungen die Menschenansammlungen notfalls gewaltsam auflöst. Regelmäßig werden Teilnehmer an solchen Aktionen verhaftet, aber meist nach wenigen Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt, zuweilen kann es zu mehrtägigem Freiheitsentzug kommen. Bei Versammlungen, die nach Auffassung der Behörden die öffentliche Ordnung gefährden, greift die Polizei zu härteren Sanktionen, so auch bei den Demonstrationen im Frühjahr 2011, wo insgesamt 14 Teilnehmer zu Haftstrafen verurteilt worden sind, wobei aber keiner der Verurteilten die Haftstrafe verbüßen musste. Da der Kläger nicht diesem Personenkreis unterfällt, vielmehr nach kurzer Zeit wieder freigelassen wurde, zeigt, dass er als einfacher Teilnehmer an diesen Demonstrationen deswegen keine Verfolgung zu befürchten hat. Dies ergibt sich auch daraus, dass er in der Zeit nach den Demonstrationen vom Frühjahr 2011 nicht weiter von der Polizei belangt worden ist. Dies gilt insbesondere auch für die Demonstration vom 17. Oktober 2011, die der Kläger zu 1 als den Ausreiseentschluss prägend bezeichnet hat. Das Gericht ist nicht der Überzeugung, dass der Kläger zu 1 wegen der Teilnahme an dieser Demonstration von den aserbaidschanischen Sicherheitsbehörden gesucht worden ist und er sich deshalb zur Ausreise entschlossen hat. Er selbst hat ausgesagt, dass er während der Demonstration und auch noch danach von den Sicherheitsbehörden nicht kontrolliert oder festgehalten worden ist. Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass seine Teilnahme an der Demonstration für die Sicherheitsbehörden kein Anlass zu einem Tätigwerden ihm gegenüber war. Das Gericht hat aufgrund der Aussagen der Kläger zu 1 und 2 in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass es eine Warnung durch einen Polizisten nicht gegeben hat. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass sich der Kläger zu 1 in Widersprüche darüber verstrickt hat, ob ihn der Polizist in aufgesucht oder angerufen hat. Es ist nicht überzeugend, dass er auf Nachfrage des Gerichts bezüglich dieses Widerspruchs zunächst angab, sich nicht erinnern zu können und dann erst von einem Telefonat berichtet. Angesichts der Entfernung zwischen und wäre ein Aufsuchen auch unwahrscheinlich gewesen (in der Anhörung am 3. Januar 2012 hat er angegeben, ein Polizist aus habe ihn angerufen). Dass die Klägerin zu 2 bereits bei ihrer Abreise aus nach die Heiratsurkunde und die Geburtsurkunden in ihrer Tasche hatte, obwohl nach dem angegebenen Begräbnis des Verwandten von einer Rückkehr nach auszugehen gewesen wäre, spricht dafür, dass die Kläger bereits in ohne besonderen Anlass den Ausreiseentschluss gefasst hatten und der Warnanruf nicht stattgefunden hat. Die Kläger haben sich in Widersprüche verstrickt, weshalb und auf wessen Veranlassung hin sich gerade diese Personaldokumente in der Handtasche der Klägerin zu 2 befunden haben. Dass sie statt der Personalausweise, die man herkömmlicherweise bei sich führt, die Heiratsurkunde und die Geburtsurkunden der Kinder bei sich hatte, spricht dafür, dass man den Ausreiseentschluss unabhängig von einer befürchteten Verhaftung getroffen hat. Ob es die sich unmittelbar an die Demonstration anschließende Fahrt nach zu einer Beerdigung überhaupt gegeben hat, erscheint zweifelhaft. Denn auch wenn die Klägerin zu 2 angibt, sich an wenig erinnern zu können, ist es nicht nachvollziehbar, wenn sie nicht einmal angeben kann, mit welchem Verkehrsmittel sie die ca. 300 km lange Fahrt zu der Beerdigung, die schließlich zu ihrer Ausreise geführt hat, durchgeführt haben. Gerade die Umstände einer Ausreise aus dem Heimatland sind prägend und müssten damit auch in wesentlichen Zügen erinnerlich sein.

Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass die Kläger bei ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan keine politische Verfolgung zu befürchten haben.

b. Die Kläger können darüber hinaus auch nicht die Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG beanspruchen. Da bereits die weiter gefassten Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG nicht vorliegen, scheidet eine Asylanerkennung ebenfalls aus. Darüber hinaus scheitert der Anspruch auch an der Regelung des Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG. Zwar wollen die Kläger nach ihren eigenen Angaben von auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein, konnten jedoch keinerlei Belege für den geschilderten Reiseweg vorlegen, so dass die Nichterweislichkeit ihrer Einreise auf dem Luftweg zu ihren Lasten geht. Es ist daher davon auszugehen, dass sie über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist sind.

c. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen.

d. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 liegen nicht vor. Hierfür ist nichts ersichtlich.

e. Ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist insbesondere auch nicht wegen der Behinderung des Klägers zu 3 oder der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin zu 2 gegeben.

Gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen setzt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG voraus, dass sich eine vorhandene Erkrankung bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer individuellen, erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt. Dies kann auch dann gegeben sein, wenn die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten zwar gegeben sind, für den betroffenen Ausländer aber im speziellen Fall aus finanziellen oder persönlichen Gründen nicht erreichbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 25. November 1997 – 9 C 58/96; BayVGH, U.v. 9. Februar 2007 – 9 B 06.30021 m.w.N.). Liegen körperliche oder geistige Behinderungen vor, kommt es nicht lediglich darauf an, ob im Heimatland grundsätzlich eine adäquate medizinische Versorgung zur Verfügung steht. Hier kann sich die schwerwiegende Gefährdung auch daraus ergeben, dass die Behinderung den Betroffenen weitgehend von fremder Hilfe abhängig macht, im Heimatland aber weder betreuungsbereite Verwandte noch entsprechende Pflegeheime zur Verfügung stehen, was zu einer lebensbedrohlichen Gefährdung des Existenzminimums führen oder aber eine schwerwiegende Gesundheitsgefahr bewirken kann, weil der Betroffene aus eigener Kraft nicht fähig ist, die erforderliche Behandlung zu organisieren (so auch Theresia Wolff, Krankheit als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, ASYLMAGAZIN 11/2004, S. 16, abrufbar unter http://www.asyl.net/fileadmin/ user_upload/beitraege_asylmagazin/AM-2004-11-16-Wolff.pdf m.w.N.). Fehlt es an einer angemessenen Betreuung und Versorgung und wird der Ausländer dadurch einem menschenunwürdigen Zustand der Verelendung und Verwahrlosung ausgesetzt, der wegen seiner Behinderung und sonstiger Erkrankungen alsbald zu einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde, so begründet dies ein entsprechendes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis (vgl. VG München, U.v. 22. März 2007 – M 16 K 05.51677 – juris Rn. 25).

aa. Aus den vorgelegten medizinischen und sozialpädagogischen Bestätigungen ergibt sich, dass der Kläger zu 3 an einer schweren Behinderung in Form einer schweren dystonalen bilateralen Cerebralparese und einer Epilepsie leidet. Er ist nach dem Attest des Dr. N. vom 30. Januar 2015 zwar in der Lage, mit seiner Umgebung zu kommunizieren, hat aber großen Betreuungs- und Pflegebedarf. Dementsprechend wurde ihm eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, aG und H attestiert. Er wird in der schulvorbereitenden Einrichtung der Heilpädagogischen Tagesstätte der Lebenshilfe in tagsüber betreut. Nach der dortigen Stellungnahme wird die Betreuung des Klägers zu 3 außerhalb dieser Einrichtung vor allem dadurch erschwert, dass seine Mutter mit der Situation überfordert ist und insbesondere Kommunikationsprobleme wegen nur eingeschränkter Deutschkenntnisse bestünden. Im Rahmen der Betreuung in dieser Einrichtung erhält der Kläger zu 3 Ergotherapie und Logopädie. Auf die im therapeutischen Kurzbericht vom Juli 2014 genannten Handlungsziele und –maßnahmen wird verwiesen.

Die Familie des Klägers zu 3 erhält des weiteren Hilfeleistungen in Form der sozialpädagogischen Familienhilfe durch das Landratsamt mit den im Hilfeplan vom April 2015 genannten Unterstützungsmaßnahmen (u.a. pädagogische Hilfestellungen für die Kinder, Erziehungsverhalten, Strukturierung des Tagesablaufs, Hilfe bei Behördengängen und Anträgen, Erlernen eines behindertengerechten Umgangs). An Medikation erhält der Kläger zu 3 laut Attest des Universitätsklinikums vom 24. März 2015 ein Muskelrelaxantium (Baclofen) sowie ein Antiepileptikum (Levetiracetam). Eine Botulinumtoxininjektion zur Entkrampfung wurde am 28. Januar 2015 gegeben.

bb. In Aserbaidschan sind alle einschlägigen Erkrankungen behandelbar, wobei das staatliche Gesundheitswesen trotz erheblicher staatlicher Investitionen nach wie vor unterfinanziert ist. Die größten staatlichen Krankenhäuser und auch Spezialkliniken (darunter auch Kinderkrankenhäuser) befinden sich in Baku (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. April 2015, S. 22f.). Epilepsie und psychische Erkrankungen sind behandelbar. (Botschaft Baku an das BAMF vom 18. April 2013; IOM Länderinformationsblatt 2014 und Botschaft Baku vom 1. Juni und 17. Januar 2011 an das VG Minden zur generellen Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen).

Grundsätzlich ist es so, dass die Behandlung in den Polikliniken, medizinischen ambulanten Einrichtungen, kostenlos ist. Insbesondere die ärztliche Behandlung von Epilepsie wie auch die Medikamentengabe sind kostenlos (Botschaft Baku an das BAMF vom 18. April 2013 und an das VG Minden vom 17. Januar 2011). Die Behandlung in öffentlichen medizinischen Einrichtungen wegen psychischer Erkrankungen ist offiziell ebenfalls kostenlos (Auskunft IOM ZC195/03.12.2013). Das meist von den behandelnden Personen verlangte obligatorische Entgelt (Ausgleich für Dienstleistungen) kann bei wirklich bedürftigen Personen entfallen (Botschaft Baku an das BAMF vom 18. April 2013; Botschaft Baku an das VG Minden vom 1. Juni 2011). Bei Notfällen ist eine kostenlose Behandlung in Notfallzentren sichergestellt, die sich aber lediglich auf das Notwendigste beschränkt. Staatliche Beihilfen werden u.a. gewährt an Behinderte (auch solche unter 16 Jahren) sowie an Frauen, die drei oder mehr Kinder geboren und aufgezogen haben oder ein behindertes Kind bis zum Alter von 8 Jahre betreut haben. Darüber hinaus gibt es Hilfsangebote auf psychologischem, rechtlichem und medizinischem Gebiet speziell für Frauen, die von lokalen NGOs angeboten werden (IOM Länderinformationsblatt Aserbaidschan 2014, S. 8 f., S. 19).

Damit ist eine zwar unter dem deutschen Standard liegende, aber ausreichende medizinische Behandlung sichergestellt. Es kommt nicht darauf an, dass in Aserbaidschan genau die gleichen Medikamente bzw. die gleiche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die die Kläger zu 2 und 3 in Deutschland erhalten. Zur Frage des medizinischen Standards im Herkunftsland im Hinblick auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird auf die Entscheidung des BayVGHvom 4. Oktober 2004 (21 B 03.31150) verwiesen. Danach genügen auch einfachere, aber dennoch wenigstens einigermaßen wirksame Behandlungen, um den Schutzanforderungen gerecht zu werden und die Erforderlichkeit der Gewährung eines Abschiebungsverbots entfallen zu lassen. Denn nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG muss eine erhebliche Gefahr vorliegen. Die Schutzgewährung erfordert eine Situation, in der eine vom Durchschnitt des medizinischen Standards aller entwickelten Länder nicht mehr hinnehmbare Behandlung in personeller und sachlicher Hinsicht vorliegt und deshalb eine als wesentlich anzusehende Verschlechterung des Gesundheitszustands des Ausländers im Heimatland droht. Nicht davon umfasst ist aber eine Bewahrung des besonders hohen deutschen medizinischen Standards.

cc. Die vorgelegten Atteste verweisen auf einen Förderbedarf des Klägers zu 3) wegen seiner Behinderung. Eine konkrete individuelle Gefahr im Sinne der obigen Darstellung ist jedoch nicht erkennbar, sollte der Kläger zu 3 nur eine Betreuung auf einem niedrigeren Niveau als in Deutschland erhalten. Er ist bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan nicht auf sich allein gestellt, sondern muss in erster Linie die Betreuung durch seine Familie, insbesondere seine Eltern, in Anspruch nehmen. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zustand des Klägers zu 3) nach seiner Rückkehr alsbald in einer Weise verschlechtert, sollte er keine Ergotherapie, Physiotherapie oder logopädische Behandlung erhalten, die zu einer schweren Gesundheitsgefahr oder gar zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen würde, sind für das Gericht nicht ersichtlich.

dd. Die Kläger haben für ihre Ausreise auf die finanzielle Hilfe der Großfamilie zurückgegriffen und nach eigenen Angaben insgesamt die erhebliche Summe von 6000 $ erhalten. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb sie diese Hilfe und Unterstützung bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan nicht mehr in Anspruch nehmen könnten. Der Kläger zu 1 hat zudem angegeben, dass er mit dem Kläger zu 3 in Aserbaidschan in medizinischer Behandlung war, die Ärzte ihm jedoch nicht hätten helfen können. Auch die Klägerin zu 2 hat von Behandlungen und Impfungen durch aserbaidschanische Ärzte berichtet. Aufgrund des Krankheitsbildes des Klägers zu 3 wird auch in Deutschland eine Heilung nicht möglich sein, allenfalls eine Förderung der vorhandenen Fähigkeiten. Der Kläger zu 3 wurde bis zu seiner Ausreise in seiner Familie betreut. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb dies nicht auch weiterhin möglich sein sollte. Die Kläger profitierten bisher und profitieren weiterhin von den Hilfsmaßnahmen und Schulungen durch die sozialpädagogische Familienhilfe, so dass sie zukünftig besser mit der Behinderung des Klägers zu 3 und den alltäglichen Familienproblemen umgehen können. Insbesondere haben die Kläger zu 1 und 2 auch vorgetragen, dass viele nahe Verwandte von ihnen in Aserbaidschan leben. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger zu 3 bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan aufgrund der dort nicht in der Qualität und dem Umfang vorhandenen Fördermöglichkeiten durch staatliche Stellen einer erheblichen konkreten Gefahr einer Beeinträchtigung von Leib und Leben ausgesetzt sein würde. Es ist für das Gericht durchaus nachvollziehbar, wenn die Eltern versuchen, für ihr behindertes Kind die bestmögliche Förderung und Betreuung zu finden, weil sie diesbezüglich in Aserbaidschan in weiten Bereichen auf sich gestellt sein werden. Zwar mag es sein, dass eine Förderung im Heimatland des Klägers nicht in gleicher Art und Weise wie in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist, Zweck des in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geregelten Abschiebungsverbots ist es indes nicht, den hier geltenden hohen medizinischen Standard und damit eine optimale Förderung und Behandlung des Klägers zu 3) zu garantieren. Soweit der Klägerbevollmächtigte auf Entscheidungen anderer Gerichte verweist, ist hierzu auszuführen, dass es sich immer um Einzelfallentscheidungen handelt, die von vielfältigen Faktoren abhängen. Im vorliegenden Fall kann keinesfalls außer Acht gelassen werden, dass der Kläger – wie schon vor seiner Ausreise – durch seine Familie betreut werden kann.

d. Der Bescheid vom 6. Dezember 2013 gibt auch hinsichtlich seiner Ziffer 5, wonach die Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert worden sind, keinerlei Anlass zu Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber den Klägern entgegenstünden, nicht ersichtlich, denn sie sind, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtlinge anzuerkennen noch stehen ihnen subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu; sie besitzen auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 AsylVfG).

Die gegen die Beklagte gerichteten Klageansprüche sind daher insgesamt als unbegründet abzuweisen.

2. Die Kläger haben gemäß §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO die Kosten des nach § 83 b AsylVfG gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.

3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf

§ 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

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Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 21. Mai 2015 - B 5 K 13.30395 zitiert 9 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 16a


(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 159


Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so gilt § 100 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Kann das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber nur einheitlich entschieden werden, so können die Kosten den mehreren

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 5/09

bei uns veröffentlicht am 27.04.2010

Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so gilt § 100 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Kann das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber nur einheitlich entschieden werden, so können die Kosten den mehreren Personen als Gesamtschuldnern auferlegt werden.