Verwaltungsgericht Arnsberg Urteil, 24. Okt. 2014 - 12 K 1874/13.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wurde im Ort I, der zum Verwaltungsbereich der äthiopischen Hauptstadt B gehört, geboren. Sie reiste eigenen Angaben zufolge im Juli 2010 auf dem Luftweg von L über L1 und S nachG . Am 28. Juli 2010 beantragte sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Anlässlich dreier Anhörungen durch das Bundesamt gab die Klägerin im Wesentlichen an: Ihre Eltern und sie selbst hätten schon immer in Äthiopien gelebt, sie seien aber alle Eritreer. Sie habe die Schule bis zur 11. Klasse besucht. 1995 sei ihre Tochter zur Welt gekommen. Wegen familiärer Probleme habe sie ihre Tochter 6 Monate nach der Geburt weggegeben. Im Mai 2000 seien ihre Eltern und ihre Geschwister – drei Brüder und zwei Schwestern – nach Eritrea deportiert worden, da man ihrem Vater vorgeworfen habe, er sei ein Spion. Sie selbst sei nicht deportiert worden, da sie sich zu diesem Zeitpunkt in B befunden habe. Als sie zurückgekehrt sei, seien ihre Eltern schon nicht mehr in ihrem Haus gewesen und sie habe von Nachbarn von der Deportation erfahren. Daraufhin sei sie zu einem Freund ihres Vaters nach Addis Abeba gegangen. Dieser habe sie jedoch mehrfach vergewaltigt. Im Jahre 2003 habe sie Äthiopien verlassen und sei in den Sudan gegangen. Sie habe dort bei einer Familie als Hausmädchen gearbeitet. Ein Sohn dieser Familie habe sie nachts ebenfalls mehrfach vergewaltigt. Im Jahre 2010 sei sie dann mit Hilfe eines Schleppers aus dem Sudan ausgereist.
3Mit Bescheid vom 16. April 2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zudem forderte es die Klägerin unter Fristsetzung von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihr für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Äthiopien oder in einen anderen Staat an, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist.
4Zur Begründung führte das Bundesamt aus, eine Anerkennung als Asylberechtigte scheide aus, da die Klägerin eine Einreise auf dem Luftweg nicht nachweisen könne. Eine Ausnahme nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG liege nicht vor. Es bestehe ebenfalls kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zunächst sei davon auszugehen, dass die Klägerin nicht – wie von ihr behauptet – eritreische Staatsangehörige sei. Vielmehr besitze sie die äthiopische Staatsangehörigkeit. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihre einmal erworbene äthiopische Staatsangehörigkeit wieder verloren habe. In Äthiopien drohe der Klägerin keine Verfolgung. Allein der Hinweis darauf, als Eritreerin in Äthiopien nicht leben zu können, genüge nicht. Das Vorbringen, sie werde in Äthiopien gesucht, sei zu unsubstantiiert. Zudem drohe ihr heute keine Deportation nach Eritrea mehr. Bei der angegebenen Vergewaltigung handele es sich um kriminelles Unrecht, dass nicht die Verletzung der Antragstellerin als Trägerin eines asylerheblichen Merkmals bezwecke. Eine Wiederholung der Vergewaltigung sei bei einer Rückkehr nicht zu befürchten. Die exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin seien auf Grund der äthiopischen Staatsangehörigkeit der Klägerin ohne Belang. Die Asylantragstellung selbst führe in Äthiopien nicht zu politischer Verfolgung. Abschiebungsverbote, insbesondere ein solches nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien schließlich nicht festzustellen, insbesondere werde der Klägerin in Äthiopien eine Existenzsicherung gelingen.
5Die Klägerin hat daraufhin am 2. Mai 2013 die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung sie auf ihr Vorbringen beim Bundesamt verweist und ergänzend vorträgt: Nach der Deportation ihrer Eltern und Geschwister habe sie selbst wegen ihrer Religionszugehörigkeit zu den Pfingstlern nicht nach Eritrea reisen können. Während ihres Aufenthaltes bei dem Freund ihres Vaters habe sie eine Kebele-Karte besessen, in der ihre eritreische Staatsangehörigkeit vermerkt gewesen sei. In Deutschland engagiere sie sich als Mitglied in der EPDP. Sie nehme an Versammlungen teil, diskutiere dort und helfe bei Veranstaltungen. Zudem leide sie an einer ausgeprägten chronischen depressiven Erkrankung.
6Eine Einreise über einen sicheren Drittstaat steht dem Asylgesuch nicht entgegen, denn die Beklagte sei nach der Dublin-VO für die Bearbeitung des Asylgesuches zuständig.
7Daneben habe die Klägerin ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren und sei allein eritreische Staatsangehörige. Zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit habe zunächst der Kebele-Ausweis der Klägerin, der diese als Eritreerin ausweise, geführt. Zudem habe sie auf Grund ihrer Ausreise aus Äthiopien die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren. Schließlich stelle die Direktive vom Januar 2004 klar, dass nur solche eritreisch-stämmigen Personen, die zu diesem Zeitpunkt in Äthiopien lebten, die Möglichkeit eröffnet worden sei, die äthiopische Staatsangehörigkeit zu erwerben.
8Auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der EPDP befürchte die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Eritrea, dort politisch verfolgt zu werden.
9Selbst wenn sie noch äthiopische Staatsangehörige sei, werde der äthiopische Staat sie nicht mehr aufnehmen, denn der äthiopische Staat behandele im Ausland lebende Äthiopier (teil-) eritreischer Herkunft als Ausländer.
10Außerdem sei es für sie als alleinstehende Frau in Äthiopien wegen der dortigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nicht möglich, eine das Überleben sichernde Existenz aufzubauen. Darüber hinaus sei das Gewaltpotential in Äthiopien deutlich angewachsen. Kriminelle Übergriffe seien an der Tagesordnung. Sie könne sich auf Grund ihrer Stellung auch nicht selbständig machen, da ihr der familiäre Rückhalt fehle.
11Zudem litten Frauen in Äthiopien an einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung, da Gewalt gegen Frauen in Äthiopien an der Tagesordnung sei. Die Zwangslage führe dazu, dass sich Frauen in Äthiopien häufig in Arbeitsverhältnisse begäben, die einer Leibeigenschaft ähnelten.
12Im Übrigen sei sie auf Grund ihrer Erkrankung auf eine kontinuierliche fachärztliche Behandlung angewiesen, die in Äthiopien nicht gewährleistet werden könne. Zum einen gebe es dort viel zu wenige Fachärzte, zum anderen müsste sie die Kosten einer Behandlung selbst tragen. Da sie ein unterstützendes familiäres Umfeld in Äthiopien nicht mehr habe, könne sie die Behandlungskosten nicht aufbringen. Bei Unterbrechungen der Behandlung bestehe ein hohes Risiko, für eine Selbstgefährdung.
13Die Klägerin beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 16. April 2013 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen,
15hilfsweise ihr den subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG zuzuerkennen,
16weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die Verfahrensakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes.
21Entscheidungsgründe:
22Das Gericht konnte über den Rechtsstreit entscheiden, obwohl ein Vertreter der Beklagten nicht zur mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2014 erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beteiligten sind form- und fristgerecht geladen worden.
23Die Klage hat keinen Erfolg.
24Sie ist zulässig, aber unbegründet.
25Denn die Klägerin hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch einen solchen auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylVfG noch – wie hilfsweise begehrt – auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylVfG sowie auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 16. April 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
26Die Klägerin hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Eine Berufung auf das Asylgrundrecht ist gemäß Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG und § 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ausgeschlossen. Danach kann sich auf das Asylgrundrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG nicht berufen, wer aus einem Drittstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. der Anlage I zu dieser Vorschrift (sog. sicherer Drittstaat) eingereist ist. Da die Bundesrepublik von sicheren Drittstaaten umgeben ist, steht bei einer Einreise auf dem Landweg fest, dass sie über einen sicheren Drittstaat erfolgte. Dabei muss nicht geklärt werden, um welchen sicheren Drittstaat es sich gehandelt hat.
27Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris.
28Eine Anerkennung als Asylberechtigter scheidet danach aus, wenn das Gericht die Überzeugung gewonnen hat, dass der Asylbewerber auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist ist. Gleiches gilt aber auch dann, wenn das Gericht nicht davon überzeugt ist, dass der Asylbewerber – wie von ihm behauptet – auf dem Luftweg eingereist ist, und es keinen Ansatzpunkt für eine weitere Aufklärung des Reisewegs sieht. Für diesen Fall hat es die Nichterweislichkeit der behaupteten Einreise auf dem Luftweg („non liquet“) festzustellen und eine Beweislastentscheidung zu treffen. Bleibt der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates nach Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein.
29Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C36/98 -, juris.
30Letzteres ist vorliegend der Fall. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung der hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze aus folgenden Umständen: Die Klägerin selbst kann sich nicht an den Namen, auf den das von ihr für die Einreise benutzte Ausweispapier ausgestellt gewesen ist, erinnern. Sie hat angegeben, der Schleuser habe die Ausweispapiere nach der Passkontrolle jeweils wieder direkt an sich genommen. Reiseunterlagen, wie zum Beispiel eine Boardkarte, konnte die Klägerin nicht vorlegen. Ebenfalls hat die Klägerin nicht unmittelbar nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt, sondern erst ca. 1 Woche später. Diese Angaben geben keinen weiteren Ansatzpunkt für die Aufklärung des Reiseweges.
31Etwas anderes folgt vorliegend auch nicht daraus, dass die Klägerin sowohl im Rahmen der Befragung vor dem Bundesamt als auch vor Gericht angegeben hat, sie sei von L aus über L1 und S nach G geflogen. Zu den Flugzeiten hat die Klägerin bei Gericht angegeben, sie sei am 21. Juli 2010 um ca. 21:00 Uhr in L gestartet und um ca. 23:00 Uhr in L1 gelandet. Von L1 aus sei sie am nächsten Tag um 11:30 Uhr gestartet und um ca. 13:00 Uhr in S gelandet. Von S aus sei sie dann schließlich um ca. 15:15 Uhr abgeflogen und um 17:55 Uhr in G gelandet. Vor dem Bundesamt hat die Klägerin am 3. August 2010 ausgesagt, sie sei um 13:25 Uhr in S gelandet und um 15:45 Uhr weiter nach G geflogen. Zwar hat die Klägerin mithin relativ genaue Abflugs- und Ankunftszeiten angegeben, jedoch sind die Tagesangaben in sich widersprüchlich. So hat die Klägerin auf Befragen des Gerichts den 21. Juli 2010 als Ausreisedatum angegeben, während sie im Rahmen der Befragung durch das Bundesamt am 3. August 2010 zunächst angegeben hat, sie sei am 19. Juli 2010 ausgereist, im weiteren Verlauf der Befragung jedoch berichtete hat, ihre Ausreise habe am 20. Juli 2010 in L begonnen und sie sei am 21. Juli in G gelandet.
32Inkonsistenzen des Aussageverhaltens bestehen auch hinsichtlich der benutzten Fluglinien. Vor dem Bundesamt hat die Klägerin während ihrer ersten Befragung ausgesagt, sie sei mit der Fluglinie Kenia Air von L über L1 und S nach G geflogen. Im Rahmen der Befragung am 3. August 2010 gab die Klägerin an, sie sei mit der ägyptischen Fluglinie Egypt Air in Rom gelandet. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ausgesagt, sie sei mit der Kenia Air von L nach L1 geflogen, mit der Fluglinie Egypt Air von L1 nach S und schließlich mit der Fluglinie Alitalia von S nach G. Wenn die zuletzt genannte Benutzung dreier Fluglinien stattgefunden hätte, wäre zu erwarten gewesen, dass die Klägerin dies auch unmittelbar dem Bundesamt mitteilt.
33Auf Grund des Aussageverhaltens der Klägerin ist das Gericht vorliegend nicht davon überzeugt, dass diese - wie von ihr behauptet - auf dem Luftweg eingereist ist, es kann aber gleichzeitig auch nicht die Überzeugung gewonnen werden, dass die Klägerin auf dem Landweg eingereist ist. Mangels Angaben darüber, mit auf welchen Namen ausgestellten Reisepapieren die Klägerin eingereist ist und unter Berücksichtigung der widersprüchlichen Angaben hinsichtlich des Ausreise- bzw. Einreisedatums sieht das erkennende Gericht keinen Ansatzpunkt für die weitere Aufklärung des Reiseweges.
34Die Ausnahme des § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylVfG greift vorliegend ebenfalls nicht ein. Denn diese Vorschrift findet nur dann Anwendung, wenn feststeht, über welchen sicheren Drittstaat der Schutzsuchende eingereist ist. Hierfür trägt der Ausländer die materielle Beweislast.
35Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 18. April 2008 – 19 A 1861/07.A -.
36Insofern gilt das oben Gesagte. Aufgrund der Nichterweislichkeit des Reiseweges kann auch nicht festgestellt werden, über welchen konkreten Drittstaat die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist.
37Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).
38Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftslandes) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (b). Ausnahmsweise ausgeschlossen ist dieser Flüchtlingsschutz in den Fällen des § 3 Abs. 2 bis 4 AsylVfG und des § 60 Abs. 8 AufenthG.
39Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die auf Grund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
40Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylVfG unter anderem die folgenden Handlungen gelten: die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3), Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (Nr. 4), Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylVfG fallen (Nr. 5), Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind (Nr. 6).
41Die Verfolgung nach § 3c AsylVfG kann ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmachtvorhanden ist oder nicht.
42Schutz vor Verfolgung kann nach § 3d Abs. 1 AsylVfG nur geboten werden vom Staat (Nr. 1) oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten. Gemäß § 3d Abs. 2 muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein (Satz 1). Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (Satz 2).
43Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG muss darüber hinaus zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylVfG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
44Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris.
46Bei der Prüfung der Frage, auf welchen Staat als (potentiellen) Verfolgerstaat abzustellen ist, ist davon auszugehen, dass Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, nur dann als politisch Verfolgte anzusehen sind, wenn sie des Schutzes desjenigen Staates entbehren, dem sie angehören.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996 – 9 C 172/95 -, juris.
48Aus diesem auch der Genfer Flüchtlingskonvention zugrunde liegendem Subsidiaritätsprinzip folgt zugleich, dass bei Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, eine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. als Flüchtling nicht in Betracht kommt, wenn sie den Schutz eines dieser Staaten in Anspruch nehmen können.
49Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2005 – 1 B 142/04 -.
50Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
51Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990 - 9 B 45.90 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 225 = juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38 = juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 - 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349 = juris, Rn. 3 f.; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A -, juris.
52Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
53Denn die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin auch (noch) die Staatsangehörigkeit Äthiopiens besitzt und dort vor politischer Verfolgung sicher ist.
54Mithin kommt es vorliegend auf die von der Klägerin unter anderem problematisierte Frage, ob ihr in Eritrea wegen der von ihr geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten eine politische Verfolgung droht, nicht an.
55Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin jedenfalls auch äthiopische Staatsangehörige ist. Der Heimatstaat eines Asylbewerbers ist grundsätzlich nach dem jeweiligen Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates zu bestimmen, da Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit im Allgemeinen durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden. Mit der im Jahre 1976 erfolgten Geburt in I in Äthiopien und der insofern nach der damaligen Rechtslage entsprechenden Abstammung von äthiopischen Eltern hat die Klägerin nach dem seinerzeit geltenden äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1930 unzweifelhaft zunächst die äthiopische Staatsangehörigkeit erworben.
56Denn zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin im Jahre 1976 existierte der Staat Eritrea noch nicht. Daher waren nach internationalem und äthiopischem Recht alle Personen äthiopischer, eritreischer oder gemischt äthiopisch-eritreischer Herkunft, die in Eritrea, Äthiopien und Drittländern lebten und die vor der Unabhängigkeit Eritreas im Jahre 1993 geboren worden sind, äthiopische Staatsbürger.
57Vgl. Schröder, Gutachten vom 22. März 2011, S. 6.
58Diese Staatsangehörigkeit hat die Klägerin auch später nicht auf Grund der Entstehung des neuen, selbständigen Staates Eritrea bzw. wegen ihrer (behaupteten) eritreischen Abstammung verloren. Dies gilt unabhängig davon, ob sie nach der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 (Pro. Nr. 21/1992),
59vgl. Abdruck in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Eritrea, 162. Egl., Stand: 23. August 2004,
60(zusätzlich) die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat.
61Denn nach dem erwähnten, bis Dezember 2003 gültigen äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahre 1930 verlor ein äthiopischer Staatsangehöriger seine Staatsbürgerschaft nur, wenn er diese auf eigenen Antrag hin wechselte und eine fremde Staatsangehörigkeit erwarb.
62Vgl. Schröder, Gutachten vom 22. März 2011, S. 6; Auswärtiges Amt (AA), amtliche Auskunft vom 21. Juli 2003 an VG München – 508-516.80/41240 -.
63Einen solchen, zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit führenden Antragserwerb einer fremden Staatsangehörigkeit nahm die äthiopische Regierung bei solchen Personen, deren Eltern vor der Unabhängigkeit Eritreas auf dem nunmehr zu Eritrea gehörenden Staatsgebiet geboren wurden, nicht etwa generell an.
64Vielmehr bezog die äthiopische Anwendungspraxis hinsichtlich der maßgeblichen Regelungen des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1930 voluntative Elemente mit ein.
65Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2010 – 8 A 72/08.A -.
66So erfolgte eine entsprechende Bewertung regelmäßig dann, wenn der Betreffende eine Beziehung zum eritreischen Staat durch entsprechende Handlungen, insbesondere durch die Teilnahme am Unabhängigkeitsreferendum, zum Ausdruck gebracht hatte.
67Vgl. Schröder, Gutachten vom 22. März 2011, S. 13; Auswärtiges Amt (AA); Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Migration (BFM), Focus Äthiopien / Eritrea, 19. Februar 2010, S. 5; amtliche Auskunft vom 21. Juli 2003 an VG München – 508-516.80/41240 -.
68Der äthiopische Staat nahm eine Beziehung zum eritreischen Staat mit der Folge des Verlusts der äthiopischen Staatsangehörigkeit auch dann an, wenn die Person eine eritreische ID-Karte, die allein zur Teilnahme am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum berechtigte, beantragte und erwarb,
69vgl. Schröder, Gutachten vom 22. März 2011, S. 13,
70oder wenn die betreffende Person Geldzahlungen an den eritreischen Staat geleistet hatte.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Februar 2010 – 8 A 72/08.A -.
72Für ein solches im Zeitraum bis Ende 2003 relevantes Verhalten der Klägerin ist indessen nichts dargetan oder ersichtlich. Die Klägerin hat nicht davon berichtet, am Unabhängigkeitsreferendum teilgenommen zu haben. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin jemals die Ausstellung einer eritreische ID-Karte oder die Feststellung der eritreischen Staatsangehörigkeit beantragt, dem eritreischen Staat Geld gespendet oder sonstige vergleichbare Handlungen vorgenommen hätte. Hinsichtlich des Vorhandenseins einer eritreischen ID-Karte hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vielmehr im Rahmen der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Klägerin eine solche – entgegen der Angabe in der Klagebegründung – nie besessen habe. Es habe sich insoweit um ein Missverständnis gehandelt.
73Die Klägerin hat auch nicht aus weiteren Gründen ihre äthiopische Staatsangehörigkeit bis zum Dezember 2003 verloren.
74Die Klägerin wurde zunächst nicht aufgrund der Herkunft von eritreischen Eltern, die ihrerseits abgeschoben wurden, allein eritreische Staatsangehörige - was mithin den Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit implizieren würde.
75Dies folgt aus den nachstehenden Erwägungen.
76Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Eltern der Klägerin nicht nach Eritrea deportiert worden sind. Denn das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich der vermeintlichen Deportation ihrer Eltern ist unauflöslich widersprüchlich und damit insgesamt unglaubhaft.
77Zunächst hat die Klägerin bereits während der Befragungen durch das Bundesamt unterschiedliche Zeitpunkte angegeben, zu denen die Deportation stattgefunden haben soll. So hat sie am 3. August 2010 berichtet, die Deportation habe sich im Mai 2000 (nach dem gregorianischen Kalender) ereignet, während sie am 7. Juli 2011 angab, ihr Vater selbst habe ihr ca. im September 2000 (nach dem gregorianischen Kalender) erzählt, dass Polizisten ihm vorgeworfen hätten, er sei ein Spion. Mithin kann die Deportation erst im Anschluss stattgefunden haben, denn ansonsten hätte der Vater der Klägerin ihr dies nicht selbst erzählen können. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung schließlich hat die Klägerin angegeben, die Deportation sei im Januar bzw. Februar des Jahres 2000 (nach dem gregorianischen Kalender) durchgeführt worden. Zudem hat die Klägerin während der gerichtlichen Befragung ausgesagt, es hätten insofern Anzeichen für eine drohende Deportation vorgelegen, als bereits vorher andere Personen aus Eritrea deportiert worden seien, wohingegen die Klägerin am 7. Juli 2011 – wie oben schon ausgeführt - vor dem Bundesamt angegeben hat, Polizisten hätten ihrem Vater vorgeworfen, er sei ein Spion. Dies habe ihr Vater ihr selbst erzählt. Da diese Verdächtigungen mithin bereits vor der Deportation ausgesprochen worden sein müssen, gab es sehr wohl konkrete Anzeichen für eine drohende Deportation. Schließlich hat die Klägerin am 7. Juli 2011 beim Bundesamt berichtet, sie wisse von Leuten, denen sie im Sudan begegnet sei, dass ihre Eltern zum jetzigen Zeitpunkt in E in Eritrea lebten. Im Gegensatz dazu hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt, sie wisse lediglich, dass Vorfahren ihrer Eltern in E gewohnt hätten, sie selbst habe aber nie gewusst, wo ihre Eltern nach der Deportation gelebt hätten. Auf den Vorhalt des Gerichts, die Klägerin habe beim Bundesamt andere Angaben gemacht, führte die Klägerin aus, sie habe damals nur gesagt, dass sie sich das jedenfalls so denke.
78Diese völlige Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Angaben zur vermeintlichen Deportation wird zudem begleitet von Schilderungen der Klägerin, die derart stereotyp, arm an Details und allgemein gehalten geblieben sind, dass diese nicht den Schluss zulassen, die Klägerin habe hier von tatsächlich Erlebtem berichtet. Auf die Bitte des Gerichts, die Klägerin möge den Tag der Deportation genau beschreiben, hat diese lediglich angegeben, sie sei für ihren kranken Vater Medikamente und Wasser einkaufen gegangen. Als sie zurückgekehrt sei, habe in dem Gebiet, in dem sie gewohnt habe große Unruhe geherrscht, es sei alles durcheinander gewesen und es habe viele Probleme gegeben. Nachbarn hätten ihr dann erzählt, dass Polizisten und Soldaten gekommen seien. Das Haus sei gesperrt gewesen, weshalb sie es nicht mehr habe betreten können. Die äthiopischen Nachbarn hätten geweint, als sie dies erzählt hätten.
79Dass die Deportation der Eltern der Klägerin tatsächlich stattgefunden hat, ergibt sich auch nicht aus der Vorlage einer Bescheinigung der Stadtverwaltung von I – Bezirksbüro von Goro Qerensa - die folgenden Wortlaut hat:
80„Da es sich herausstellte, dass Herr C, der ein Einwohner in unserem Bezirk war, ein Eritreer ist, bestätigen wir hiermit, dass er im Jahre 2000 (1992 nach dem äthiopischen Kalender) nach seinem Heimatland Eritrea gegangen ist.“
81Denn dieser Bescheinigung kommt bereits deshalb kein Beweiswert zu, da nach den Erkenntnissen des Gerichts,
82vgl. insoweit AA, Lagebericht Äthiopien vom 8. April 2014, S. 17,
83Gefälligkeitsbescheinigungen in Äthiopien relativ leicht erhältlich sind.
84Aufgrund der völligen Widersprüchlichkeit des klägerischen Vorbringens musste das Gericht auch dem Beweisantrag Nr. 4 des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, durch Einholung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes Beweis zu erheben über die Behauptung der Klägerin, ihre Familie (Eltern und Geschwister) sei im September 2000 aus Holeta nach Eritrea abgeschoben worden, nicht nachgehen.
85Die Ablehnung des Beweisantrages folgt im Übrigen auch – wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt - daraus, dass weder ersichtlich noch dargelegt ist, inwiefern das Auswärtige Amt in der Lage sein sollte, die unter Beweis gestellte Frage zu beantworten.
86Da mithin die Tatsache – Deportation der Eltern der Klägerin – nach der Ansicht des erkennenden Gerichts bereits nicht vorliegt, musste dem Beweisantrag Nr. 1 des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Beweis zu erheben über die Behauptung derselben, sie sei aufgrund der Herkunft von eritreischen Eltern, die ihrerseits abgeschoben wurden, alleine eritreische Staatsangehörige und habe ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren, nicht nachgegangen werden. Es kam mithin auf die unter Beweis gestellte Frage nicht an.
87Selbst wenn man jedoch annähme, dass die Eltern der Klägerin eritreischer Herkunft sind und im Jahre 2000 deportiert wurden, folgt daraus nicht, dass die Klägerin ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren hätte.
88Denn nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe,
89vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Eritreische Herkunft – Auskunft der SFH-Länderanalyse, 11. Mai 2009, S. 3,
90haben zwar alle von Äthiopien nach Eritrea deportierte Personen rein eritreischer oder gemischt äthiopisch-eritreischer Herkunft, die bis dahin zweifelsfrei äthiopische Staatsbürger waren, nach Auffassung der äthiopischen Behörden ihre äthiopische Staatsbürgerschaft verloren, da sie zwischen 1992 und Mai 1998 die durch das eritreische Staatsbürgerschaftsgesetz zuerkannte eritreische Staatsbürgerschaft ausgeübt hätten.
91Unbeschadet weiterer Erwägungen trifft dies auf die Klägerin schon deshalb nicht zu, da sie nicht deportiert worden ist und damit auch nach Ansicht des äthiopischen Staates ihre vermeintliche eritreische Staatsbürgerschaft nicht ausüben konnte.
92Die Klägerin hat auch nicht durch die Ausreise aus Äthiopien im Juni 2003 zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit angesetzt. Dies folgt aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln.
93So stellt das Institut für Afrika-Studien fest, dass Personen eritreischer Abstammung, denen die Staatsangehörigkeit während der Kriegsjahre nicht entzogen wurde, heute keinen Verlust ihrer Staatsangehörigkeit mehr zu befürchten haben.
94Vgl. GIGA, Institut für Afrika-Studien, Auskunft an das Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 18. August 2009, S. 2.
95Etwas anderes gilt für Personen, die auf Grund der Deportation nach Eritrea Äthiopien zwangsweise verlassen haben.
96Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Eritreische Herkunft – Auskunft der SFH-Länderanalyse, 11. Mai 2009, S. 3.
97Die Klägerin ist jedoch, wie oben bereits ausgeführt, nicht deportiert worden.
98Auch Personen, die Äthiopien während des eritreisch-äthiopischen Krieges verlassen haben, entzog der äthiopische Staat de facto die Staatsbürgerschaft.
99Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 29. Januar 2013, S. 2 f.
100Die Klägerin selbst hat sich jedoch nicht während des eritreisch-äthiopischen Krieges in einem Drittland aufgehalten, sondern ist erst im Juni 2003 und damit lange Zeit nach Kriegsende aus Äthiopien in den Sudan gereist.
101Aufgrund dieser Erkenntnislage war das Gericht nicht gehalten, dem Beweisantrag Nr. 1 des Prozessbevollmächtigten der Klägerin über die Behauptung derselben Beweis zu erheben, sie habe aufgrund ihrer damaligen Ausreise aus Äthiopien als eritreisch-stämmige Person in der Praxis der äthiopischen Behörden einen weiteren Tatbestand zum Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit gesetzt, nachzugehen.
102Weiterhin ist nicht feststellbar, dass die Klägerin im Zeitraum ab Dezember 2003 die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren haben könnte.
103Dies folgt zunächst nicht aus der Proklamation Nr. 378/2003 über die äthiopische Staatsangehörigkeit vom 23. Dezember 2003 – nachfolgend: Pro. Nr. 378/2003 -,
104vgl. Abdruck in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien, 159. Egl., Stand: 1. November 2004,
105die seit dem 23. Dezember 2003 Regelungen zur Staatsangehörigkeit Äthiopiens normiert und die gemäß deren Artikel 27 zu dem besagten Termin in Kraft getreten ist.
106In den Artikeln 19 ff., insbesondere dem Art. 20 Abs. 2 und 3 der Pro. Nr. 378/2003 sind zwar diverse Verlusttatbestände bezüglich der äthiopischen Staatsangehörigkeit aufgeführt. Es ist indes davon auszugehen, dass hiervon nur solche Tatbestände erfasst werden, die nach Inkrafttreten der besagten Bestimmungen eingetreten sind. Das folgt schon daraus, dass sich die erwähnte Proklamation keine Rückwirkung beimisst und ohne Übergangsregelung gilt. Die vorbezeichnete Auslegung erschließt sich ferner auch deshalb, da Art. 26 der Pro. Nr. 378/2003 bestimmt, dass derjenige, der bis zum Inkrafttreten dieser Proklamation gemäß dem bisherigen Staatsangehörigkeitsgesetz die äthiopische Staatsangehörigkeit innehatte, auch weiterhin äthiopischer Staatsangehöriger bleibt. Weiterhin überzeugt diese Auslegung, da ansonsten etwa die Verlustregelung in Art. 20 Abs. 2 Pro. Nr. 378/2003 eine Vielzahl von Fällen betreffen würde, in denen von der darin vorgesehenen Möglichkeit der ausnahmsweisen Beibehaltung der äthiopischen Staatsangehörigkeit durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Volljährigkeit wegen des bereits vor dem 23. Dezember 2003 eingetretenen Fristablaufs gar kein Gebrauch hätte gemacht werden können.
107Damit können Verlusttatbestände hinsichtlich der äthiopischen Staatsangehörigkeit nur auf solche Tatsachen und Vorgänge gestützt werden, die nach dem 23. Dezember 2003 eingetreten sind.
108Folglich ist auch nach dem seit dem 23. Dezember 2003 geltenden äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes ein Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit der Klägerin nicht eingetreten. Sie ist weder nach dem Inkrafttreten der Pro. Nr. 378/2003 als Kind eines ausländischen Elternteils geboren worden (Art. 20 Abs. 2 Pro. Nr. 378/2003) noch hat sie hiernach aus einem anderen Grund ohne eigene Initiative kraft Gesetzes die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes erworben und die aus einer solchen fremden Staatsangehörigkeit herrührenden Rechte ausgeübt (Art. 20 Abs. 3 Pro. Nr. 378/2003). Schließlich ist auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Klägerin nach dem 23. Dezember 2003 eine fremde Staatsangehörigkeit auf entsprechenden Antrag hin freiwillig erworben hätte (Art. 20 Abs. 1 Pro. Nr. 378/2003).
109Nach den vorstehenden Erwägungen kommt es somit auf den Beweisantrag Nr. 1 des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Beweis zu erheben über die Behauptung derselben, als im Jahre 2004 nicht mehr in Äthiopien lebende Person könne sie die äthiopische Staatsangehörigkeit auch nicht wieder erwerben, nicht an. Denn die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit eines solchen Wiedererwerbs der äthiopischen Staatsangehörigkeit ist für die Klägerin ohne Belang, da sie ihre äthiopische Staatsangehörigkeit nicht verloren hat.
110Schließlich ergibt sich zur Frage der Staatsangehörigkeit der Klägerin nichts Substantielles daraus, dass diese eine einfache Kopie der eritreischen ID-Karte ihres Cousins vorgelegt hat. Denn – die Echtheit des Dokumentes und dessen Wahrheitsgehalt einmal unterstellt – aus der eritreischen Staatsangehörigkeit des Cousins der Klägerin lassen sich keine Rückschlüsse auf die Staatsangehörigkeit der Klägerin selbst ziehen.
111Der Klägerin als somit äthiopischer Staatsangehöriger droht im Falle der Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
112Dies gilt zunächst, soweit die Klägerin angegeben hat, sie als eritreische Volkszugehörige könne in Äthiopien nicht leben. Denn nach der aktuellen Auskunftslage haben Personen eritreischer Herkunft in Äthiopien weder Deportationen noch andere Formen von Diskriminierungen zu befürchten,
113vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Migration (BFM), Focus Äthiopien / Eritrea – Personen eritreischer Herkunft in Äthiopien, 19. Februar 2010, S.4, 9,
114so dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine diesbezügliche Verfolgung bei einer Rückkehr nach Äthiopien festgestellt werden kann.
115Hinsichtlich der (Vor-)Verfolgung in Äthiopien in Form von Vergewaltigungen durch einen Freund des Vaters der Klägerin stellt sich das Vorbringen der Klägerin nach der Überzeugung des Gerichts als unglaubhaft dar.
116Die Schilderungen der Klägerin zu den behaupteten Vergewaltigungen sind gänzlich stereotyp und detailarm geblieben. So konnte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht ansatzweise lebensnah beschreiben, wie eine solche Vergewaltigung abgelaufen sei. Ihre Schilderungen ließen jede Anschaulichkeit vermissen und erschöpften sich darin, anzugeben, dass sie Kleider für den Freund ihres Vaters gebügelt habe. Dann habe sie dieser gebeten, ihm in das Schlafzimmer zu folgen, habe die Tür geschlossen und sie dann vergewaltigt.
117Zudem sind die Schilderungen der Klägerin auch von Inkonsistenzen und Widersprüchen geprägt. So hat die Klägerin am 7. Juli 2011 im Rahmen der Befragung vor dem Bundesamt angegeben, der Freund ihres Vaters habe sie direkt nach einem Monat, nachdem sie zu ihm gezogen sei, vergewaltigt. Dagegen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, die erste Vergewaltigung habe sechs Monate nach ihrem Einzug dort stattgefunden. Im Übrigen hat die Klägerin am 3. August 2010 während der Befragung beim Bundesamt berichtet, sie habe drei Mal eine Abtreibung durchführen lassen, wohingegen in der mündlichen Verhandlung nur von einer Abtreibung die Rede war.
118Weiterhin ist der Vortrag der Klägerin zu den Begleitumständen des Aufenthaltes bei dem Freund ihres Vaters detailarm und völlig allgemein gehalten. So konnte die Klägerin auf die Bitte des Gerichts, sie möge doch die Umgebung beschreiben, wo der Freund ihres Vaters gewohnt habe, lediglich ausführen, dass sich in der Nähe eine größere Polizeistation befunden und dass es sich um die Verwaltungseinheit Ziffer 09 gehandelt habe. Die weiteren Schilderungen sind zudem teilweise widersprüchlich und nicht plausibel. So hat die Klägerin am 7. Juli 2011 beim Bundesamt angegeben, die genaue Adresse des Freundes des Vaters wisse sie nicht mehr. Auf Befragen des Gerichts erklärte die Klägerin hingegen, die genaue Adresse könne sie nicht sagen, denn die Straßen in dem genannten Viertel hätten keine Straßennamen, nur Hausnummern. An die Hausnummer könne sie sich nicht erinnern.
119In das vorbezeichnete Bild fügt sich nahtlos ein, dass die Klägerin im Laufe des Anerkennungsverfahrens völlig lebensfremde Angaben gemacht hat. So hat sie auf die Frage, wieso sie denn den Freund ihres Vaters nicht eher verlassen habe, wenn doch bei diesem die Lebensumstände derart schrecklich gewesen seien, lediglich geantwortet, sie habe täglich Fluchtgedanken gehabt, aber nicht gewusst, wohin sie gehen solle. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin sich insgesamt ca. 3 Jahre bei dem Freund ihres Vaters aufgehalten haben will und während dieser Zeit wiederholt Vergewaltigungen erleben musste, wäre es lebensnah gewesen, sich möglichst schnell eine neue Bleibe zu suchen. Die Angabe der Klägerin, sie habe nicht gewusst, wohin sie gehen solle, erweist sich in diesem Zusammenhang als völlig unglaubhaft, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin dann an dem Tag ihrer Ausreise aus Äthiopien gedacht haben will, dass sie sich in die Stadt H begeben müsse. Schließlich ist es auch lebensfremd, dass die Klägerin überhaupt zu dem Freund ihres Vaters in das von ihrem Wohnort I nur ca. 40 km entfernte Addis Abeba gegangen ist, wenn sie doch – so ihr eigener Vortrag – Angst vor einer Deportation hatte. Wenn diese Gefahr wirklich bestanden hätte, wäre es lebensnah gewesen, Äthiopien direkt zu verlassen. Die von der Klägerin genannten Gründe, sie hätte zu dieser Zeit keinerlei Informationen gehabt und nicht gewusst, wie bzw. wohin sie hätte gehen sollen, kann dieses Verhalten nicht glaubhaft erklären.
120Auf Grund der fehlenden Vorverfolgung in Form der Vergewaltigung und der in der Folge nicht eingreifenden Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin in Äthiopien nach ihrer Rückkehr in der diesbezüglichen Form verfolgt werden wird. Dies beruht auf den obigen - die Unglaubhaftigkeit der klägerischen Schilderungen aufzeigenden - Ausführungen.
121Der Klägerin droht in Äthiopien auch keine Gruppenverfolgung als Frau.
122Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 Abs. 1 AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
123Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 – 10 C 11/08 –, juris.
124Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann
125Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 – 10 C 11/08 –, juris.
126Wegen der erforderlichen Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal kommt bei der Prüfung, ob der Klägerin eine Gruppenverfolgung als Frau droht, allein die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe in Betracht, vgl. §§ 3 Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG. Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4, 4. Hs. AsylVfG kann insofern eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft.
127In Anwendung dieser Grundsätze kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien eine Gruppenverfolgung droht.
128Zwar sind Frauen in Äthiopien in besonderem Maße dem Risiko von Übergriffen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter ausgesetzt.
129So kommen traditionelle Praktiken zum Nachteil von Frauen, wie Beschneidung, Kinderehe und Brautraub mit Zwangsverheiratung insbesondere in ländlichen Gegenden weiter vor.
130Vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 8. April 2014, S. 11.
131Allgemein erleben äthiopische Frauen und Mädchen „täglich“ Gewalt in Form von Vergewaltigungen oder häuslicher Gewalt. Diese Taten werden jedoch aus Scham, Angst und auch aus Unwissenheit über die rechtlichen Möglichkeiten nicht angezeigt.
132Vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gewalt gegen Frauen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 20. Oktober 2010, S. 2.
133Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind 60% der äthiopischen Frauen von häuslicher Gewalt betroffen.
134Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 21.
135Auch außerhalb der Ehe kommen Vergewaltigungen in Äthiopien häufig vor, mit der Folge, dass Eltern ihre Töchter aus Angst vor sexueller Gewalt nicht in die Schule schicken. Jedoch ist in Äthiopien die genaue Zahl der Vergewaltigungen nicht bekannt.
136Vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gewalt gegen Frauen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 20. Oktober 2010, S. 2.
137Diese Feststellungen reichen jedoch zur Annahme einer Gruppenverfolgung nicht aus. Nach Würdigung der Erkenntnismittel ist nicht festzustellen, dass für jede Frau in Äthiopien ohne weiteres die aktuelle Gefahr eines Übergriffes in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter besteht.
138Vgl. VG Würzburg, Urteil vom 7. April 2014 – W 3 K 14.30023 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 K 7333/12.A -, juris.
139Denn es ist nicht erkennbar, dass Frauen in Äthiopien generell eine derart untergeordnete Stellung hätten, dass sie von der übrigen männlichen Gesellschaft als andersartige Gruppe mit deutlich ab- bzw. ausgegrenzter Identität wahrgenommen würden und generell diskriminierende Unterdrückung in erheblichem Maße zu erleiden hätten.
140Vgl. VG Würzburg, Urteil vom 7. April 2014 – W 3 K 14.30023 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 K 7333/12.A -, juris.
141Dies ergibt sich bereits daraus, dass das politische Bewusstsein in Äthiopien für das Erfordernis der Gleichstellung der Frauen im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten durch die Beteiligung der Frauen am Befreiungskampf weit ausgebildet ist. Der äthiopische Staat ist auch bemüht, die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu stärken. So hat die Regierung zur Förderung der Gleichberechtigung der Frau eine Abteilung für Frauenbelange im Ministerium des Premierministers eingerichtet.
142Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 21.
143Daneben schützen die geltenden gesetzlichen Regelungen die äthiopischen Frauen, auch wenn die Polizei diese Gesetze insbesondere in ländlichen Regionen nicht immer durchsetzt,
144vgl. Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Äthiopien/Somaliland, Mai 2010, S. 16,
145wobei insofern berücksichtigt werden muss, dass die äthiopische Regierung Anstrengungen unternimmt, Praktiken der geschlechtsspezifischen Verfolgung zurückzudrängen.
146Vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 18. Dezember 2012, S. 18.
147So bestimmt Artikel 35 der äthiopischen Verfassung, dass Frauen und Männer gleichgestellt sind. Zudem sind Genitalverstümmelungen, Entführungen und Vergewaltigungen per Gesetz verboten.
148Vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gewalt gegen Frauen, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 20. Oktober 2010, S. 1.
149Im Übrigen nehmen Frauen in Äthiopien am gesellschaftlichen Leben teil, sie haben Zugang zu Arbeit und medizinischer Versorgung.
150Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 K 7333/12.A -, juris.
151Vor allem im Bildungsbereich steigt die Einschulungsquote für Mädchen und auch die Quote der Frauen, die studiert, wächst.
152Vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 8. April 2014, S. 11.
153Vor diesem Hintergrund ist es ferner nicht ersichtlich, dass Akte sexueller Gewalt gegen Frauen in Äthiopien stets in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Merkmale erfolgen. Können aber die Gewalttaten gegen Frauen nicht durchweg eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung aufweisen, dass sie gerade wegen eines der in § 3 Abs. 1 AsylVfG genannten Merkmale erfolgen, sind sie ihrem Charakter jedenfalls zum Teil der allgemeinen Kriminalität zuzuordnen und stellen insoweit keine gezielte Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar.
154Vgl. VG Würzburg, Urteil vom 7. April 2014 – W 3 K 14.30023 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 K 7333/12.A -, juris.
155Der Klägerin droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung wegen einer drohenden Aussperrung durch den äthiopischen Staat.
156In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch der Entzug der Staatsangehörigkeit eine asylerhebliche Verfolgung darstellen und zur Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 1 AsylVfG führen kann. Abzustellen ist dabei immer auf den Staat, dessen Staatsangehörigkeit der von einem Entzug Betroffene bis zu dem Entzugsakt besaß. Denn ein anderer Akteur - etwa ein Drittstaat oder ein privater Widersacher - kommt für diese spezifische Ausgrenzungshandlung nicht in Betracht. Eine staatliche Verfolgungsmaßnahme kann nicht nur in Eingriffen in Leib, Leben und Freiheit bestehen. Auch Verletzungen anderer Schutz- und Freiheitsrechte können je nach den Umständen des Falles den Tatbestand einer Verfolgung erfüllen. Von der Eingriffsintensität her ist Verfolgung grundsätzlich auch darin zu sehen, dass der Staat einem Bürger die wesentlichen staatsbürgerlichen Rechte entzieht und ihn so aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzt
157Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 – 10 C 50/07 –, juris.
158Unerheblich ist insofern, dass die zuvor genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG erging, denn die maßgebliche Regelung des Art. 9 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2004/83/EG, der die Anforderungen an eine Verfolgungshandlung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, findet sich inhaltsgleich in Art. 9 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2011/95/EU.
159Danach gelten als asylerhebliche Verfolgung solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässt.
160Bei der Beurteilung der Schwere der durch eine Ausbürgerung bewirkten Rechtsverletzung sind nach Art. 4 Abs. 3 lit. c) Richtlinie 2004/83/EG (bzw. Art. 4 Abs. 3 lit. c) Richtlinie 2011/95/EU) auch die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Betroffenen zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass er auch persönlich schwer von der Ausbürgerung betroffen sein muss. Für die Beurteilung der Schwere der Rechtsverletzung im Einzelfall kann auch von Bedeutung sein, ob und in welchem Maße sich der Betroffene um die Aufhebung der Ausbürgerung und die Wiedererlangung der ihm entzogenen Staatsangehörigkeit bemüht hat, gegebenenfalls auch welche Gründe ihn hiervon abgehalten haben.
161Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 – 10 C 50/07 –, juris.
162Asylerheblich können auch De-facto-Ausbürgerungen sein, bei denen der Staat dem betroffenen Bürger die formale Rechtsposition belässt, ihm aber tatsächlich die daraus abzuleitenden staatsbürgerlichen Rechte und insbesondere den staatlichen Schutz nicht gewährt. Denn für die flüchtlingsrechtliche Beurteilung von Ausgrenzungsmaßnahmen kommt es auf die damit bezweckten tatsächlichen Folgen an.
163Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 – 10 C 50/07 –, juris.
164In dem Fall, dass ein Schutzsuchender nicht de jure ausgebürgert worden ist, sondern ihm nur de facto zentrale Rechte aus der Staatsbürgerschaft verweigert werden (z.B. Recht auf Einreise), kommt eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht, wenn das behördliche Verhalten auf asylerheblichen Gründen beruht. Allerdings setzt dies voraus, dass der Schutzsuchende Bemühungen nachweist, er habe sich ernsthaft und erfolglos um die Wiedererlangung der verweigerten Rechte bemüht.
165Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 – 10 C 50/07 –, juris.
166Solche Bemühungen der Klägerin sind vorliegend weder ersichtlich noch dargetan.
167Auf diese Bemühungen könnte im Übrigen nur dann verzichtet werden, wenn von vornherein feststünde, dass diese völlig aussichtslos bzw. unzumutbar wären. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall.
168Zwar bestehen nach der gegenwärtigen Auskunftslage für Personen eritreischer Abstammung durchaus ganz erhebliche Schwierigkeiten, äthiopische Reisepapiere zu erlangen.
169Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 29. Januar 2013, S. 3 f.
170Jedoch ist es nach der derzeitigen Erkenntnislage nicht ausgeschlossen, in einem Fall wie dem vorliegenden äthiopische Reisepapiere zu erlangen.
171So stellt das Schweizer Bundesamt für Migration fest, dass Personen, die die äthiopische Staatsangehörigkeit nie aufgegeben haben und nie eine andere Staatsangehörigkeit angenommen haben, für die Rückkehr nach Äthiopien auf der äthiopischen Vertretung ihre Papiere erneuern lassen können.
172Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Migration (BFM), Focus Äthiopien / Eritrea – Personen eritreischer Herkunft in Äthiopien, 19. Februar 2010, S. 4.
173Ebenfalls führt das Institut für Afrika-Studien aus, dass Personen eritreischer Abstammung, denen die Staatsangehörigkeit während der Kriegsjahre nicht entzogen wurde, heute keinen Verlust ihrer Staatsangehörigkeit mehr zu befürchten haben und auch davon auszugehen sei, dass diesen Personen Pässe für eine Rückkehr nach Äthiopien ausgestellt werden.
174Vgl. GIGA, Institut für Afrika-Studien, Auskunft an das Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 18. August 2009, S. 2.
175Weiterhin besteht grundsätzlich – zumindest in der äthiopischen Botschaft der Schweiz - die Möglichkeit, sich ein „Laissez-Passer“ ausstellen zulassen.
176Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Migration (BFM), Focus Äthiopien / Eritrea – Personen eritreischer Herkunft in Äthiopien, 19. Februar 2010, S.11.
177Außerdem hat das Auswärtige Amt festgestellt, dass die eritreische Abstammung allein kein Grund für die Verweigerung der Einreise nach Eritrea ist und sich die Bereitschaft der äthiopischen Auslandsvertretungen in Deutschland, Reisedokumente für äthiopische Staatsangehörige auszustellen, zum Besseren gewendet hat.
178Vgl. AA, Auskunft an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom4. Dezember 2006.
179Schließlich verlangt die äthiopische Botschaft in Deutschland für die Ausstellung eines Nationalpasses für – aus ihrer Sicht – vermeintliche Äthiopier, die nicht über entsprechende Dokumente verfügen, die Vorlage einer Geburtsurkunde.
180Vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 18. Dezember 2012, S. 26.
181Die Klägerin hat jedoch im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Juli 2011 berichtet, früher eine Geburtsurkunde besessen zu haben. Da die Klägerin nach den obenstehenden Ausführungen von Geburt an äthiopische Staatsangehörige ist, wird es sich diesbezüglich um eine äthiopische Geburtsurkunde handeln.
182Da nicht davon auszugehen ist, dass die Klägerin in Deutschland unter einer falschen Identität lebt,
183vgl. zu den dann bestehenden Problemlagen AA, Lagebericht Äthiopien vom 18. Dezember 2012, S. 26,
184sprechen keine gewichtigen Gründe dagegen, dass es der Klägerin nicht gelingen könnte, eine Abschrift ihrer äthiopischen Geburtsurkunde zu erlangen, um mit dieser zwecks Erlangung von Reisepapieren bei der äthiopischen Botschaft vorzusprechen.
185Dass es für die Klägerin vollständig ausgeschlossen sein sollte, äthiopische Reisepapiere zu erhalten, folgt hier auch nicht aus der obergerichtlichen Entscheidung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes vom 18. August 2006 – 9 B 05.30682 -. Denn dieser konnte die oben aufgeführten neueren Erkenntnisse noch nicht in die Entscheidungsfindung mit einbeziehen.
186Daher war dem Beweisantrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin Beweis zu erheben über die Behauptung derselben, sie werde aufgrund ihrer eritreischen Herkunft sowie der Tatsache, dass sie 2003 Äthiopien verlassen hat, aus Äthiopien ausgesperrt und werde keinen Pass sowie keine Rückreisepapiere von den äthiopischen Behörden erhalten, da diese sie als eritreische Staatsangehörige einstuften, nicht nachzukommen.
187Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die – hilfsweise beantragte - Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 AsylVfG.
188Der Antrag auf Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nrn.1, 2, 3 AsylVfG entspricht den nach altem Recht geltend zu machenden Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (a.F.). In § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind die bisher in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbote, mit denen Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes umgesetzt und durch normative Verknüpfung mit § 4 Abs. 1 AsylVfG zusammengefasst worden war (BT-Drucks. 17/13063, S. 25). Die Regelungen sind ‑ von der im Zuge der Neuregelung vorgenommenen terminologischen Umbenennung des Schutzstatus abgesehen - gleichlautend und materiell-rechtlich inhaltsgleich.
189Vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. August 2014 – 13 A 2998/11.A –, juris.
190Nach § 4 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (Satz 1). Als ernsthafter Schaden gilt: die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3) (Satz 2).
191Auf Grund der unglaubhaften Schilderungen der Klägerin hinsichtlich ihrer Vorverfolgung in Äthiopien in Form der vermeintlich erlittenen Vergewaltigung sind keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, ihr drohe in Äthiopien ein ernsthafter, im genannten Sinne im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung stehender Schaden, ersichtlich. Zudem droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen weder eine Deportation nach Eritrea noch überhaupt eine sonstige Form der Diskriminierung.
192Die Voraussetzungen für ein nationales Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich seine Abschiebung in Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention als unzulässig erweist. Anhaltspunkte hierfür sind nach dem oben Gesagten in Bezug auf Äthiopien vorliegend jedoch nicht ersichtlich.
193Schließlich liegt ein nationalen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
194Nach dieser Bestimmung steht einem Ausländer Abschiebungsschutz zu, wenn für ihn im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Entscheidend ist allein, ob unter Berücksichtigung auch des zum Asylbegehren oder zum Begehren nach § 3 Abs. 1 AsylVfG erfolglos vorgetragenen Sachverhaltes eine erhebliche konkrete Gefahr für die in der Vorschrift genannten Rechtsgüter besteht. Allerdings erfasst § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Eine solchermaßen allgemeine Gefahr unterfällt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen droht. Denn bei allgemeinen Gefahren entfaltet Satz 2 der Vorschrift eine „Sperrwirkung“ dahin, dass über die Gewährung von Abschiebungsschutz allein im Wege politischer Leitentscheidung befunden werden soll.
195Die verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung des Satzes 2 setzt voraus, dass dem Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohen. Die hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts der allgemeinen Gefahr für den jeweiligen Ausländer markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde".
196Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. November 2007 – 10 B 47/07, 10 B 47/07 (bisher: 1 B 218/06) –, juris.
197Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
198Zunächst droht der Klägerin im Zielstaat keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit auf Grund der behaupteten Erkrankung.
199Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin keine behandlungsbedürftige Erkrankung hat.
200Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrages, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests notwendig ist.
201Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8/07 -, juris.
202Der Grund für diese Anforderungen ist in der Unschärfe des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome zu sehen.
203Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8/07 -, juris.
204In concreto muss das fachärztliche Attest folgenden Anforderungen genügen:
205Es muss sich aus dem Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
206Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 8/07 –, juris.
207Die gleichen Anforderungen sind auch bei der Diagnose einer schweren Depression bzw. einer Dysthymia (ICD-10: F34.1) in Verbindung mit einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptomatik (ICD-10: F32.2) im Sinne einer Double-depression zu stellen.
208Die beiden von der Klägerin eingereichten ärztlichen bzw. psychotherapeutischen Bescheinigungen genügen diesen grundsätzlichen Anforderungen nicht.
209Dies gilt zunächst für die ärztliche Bescheinigung von Dr. E und L, Ärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 16. Juli 2013. Denn es fehlt bereits an der Darstellung der Grundlage, auf der die gestellte Diagnose aufbaut. Die Ausführung, es bestünden „vielfältige somatische Beschwerden (v.a. Kopfschmerzen) v.a. eine aus fachärztlicher Sicht schwergradige Depression möglicherweise auf dem Boden traumatisierender Erfahrungen“ lässt in keiner Weise erkennen, auf welcher tatsächlichen bzw. fachlich-medizinischen Grundlage der behandelnde Arzt eine „schwergradige Depression“ diagnostiziert hat. Zudem fehlen konkrete Angaben zu Verlauf und Häufigkeit der Behandlung. Hierzu wird lediglich ausgeführt, die Klägerin sei seit dem 4. September 2012 „in wiederholter Behandlung“.
210Ebenfalls nicht den gestellten Mindestanforderungen genügt die psychotherapeutische Bescheinigung vom 17. Juni 2013, ausgestellt durch den Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten I.
211Denn aus der psychotherapeutischen Bescheinigung ergibt sich zunächst nicht, seit wann die Klägerin überhaupt in Behandlung ist und wie oft diese Behandlungen erfolgten. So wird in der Bescheinigung lediglich ausgeführt, die Klägerin habe im Vorfeld der Untersuchung durch Herrn I an einzelnen supportiv-stabilisierenden Gesprächen bei Dipl.-Soz.-Päd. S teilgenommen.
212Weiterhin fehlen auch Angaben zum Behandlungsverlauf. Soweit in der Bescheinigung ausgeführt wird, die bestehende ambulante psychiatrische Behandlung im Sinne der bestehenden regelmäßigen antidepressiven medikamentösen engmaschigen Betreuung durch eine/n Fachärztin/Facharzt für Psychiatrie, Neurologie oder Psychosomatische Medizin sei weiterzuführen, ist bereits nicht ersichtlich, welche Behandlung dies sein sollte. Soweit damit auf die in der ärztlichen Bescheinigung von Dr. E und L angesprochene Behandlung Bezug genommen werden sollte, führt dies nicht weiter. Denn aus dieser ergibt sich nach den obigen Ausführungen ebenfalls nicht, welche Behandlung überhaupt durchgeführt wird bzw. worden ist. Darüber hinaus fehlen insbesondere auch Angaben zur bisher erfolgten Medikation, mithin Ausführungen zur Frage, um welche Medikamente es sich handelt und wann bzw. in welcher Dosis diese eingenommen wurden bzw. werden.
213Aufgrund der unsubstantiierten ärztlichen Bescheinigungen musste sich dem Gericht keine weitere Sachaufklärung aufdrängen.
214Damit war auch dem Beweisantrag Nr. 3 des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Beweis zu erheben über die Behauptung derselben, sie leide an einer ausgeoprägten depressiven Erkrankung verbunden mit Antriebsarmut, starken Selbstzweifeln, Gedächtnisstörungen und Angstattacken, die Erkrankung sei chronisch mit immer wieder auftretenden Phasen, in denen die Beschwerden besonders ausgeprägt auftreten und in Belastungssituationen komme es zur Verschlimmerung der Erkrankung bis zum völligen Verlust der Kontroll- und Handlungsfähigkeit, so nicht sofortige fachärztliche Versorgung gewährleistet sei, nicht nachzugehen.
215Gleichlaufend war dem weiteren Beweisantrag Nr. 7 des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Beweis zu erheben über die Behauptung derselben, ihre psychische Erkrankung erfordere kontinuierliche fachärztliche Kontrolle und Behandlung, insbesondere in Belastungssituationen sei eine sofortige fachärztliche Behandlung notwendig, um ansonsten lebensbedrohliche Zuspitzungen zu vermeiden, diese Kontrolle, Behandlung und Krisenintervention sei der Klägerin in Äthiopien nicht zugänglich und diese müsste von der Betroffenen selbst finanziert werden, im Übrigen kosteten fachärztliche Behandlungen vergleichbarer Art, so sie überhaupt durchzuführen seien, bereits im Monat ein Vielfaches des Jahresverdienstes eines Lehrers, nicht nachzukommen.
216Schließlich kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch nicht wegen der schwierigen Existenzbedingungen in Äthiopien in Betracht. Insofern ist zu berücksichtigen, dass schwierige Existenzbedingungen nicht allein die Klägerin treffen, sondern die gesamte Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe, der die Klägerin angehört. Nach den obigen Grundsätzen greift in einem solchen Falle § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann ein, wenn die Klägerin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde".
217Eine solche extreme Gefahrenlage ist vorliegend nicht ersichtlich.
218Den vorliegenden Erkenntnissen ist zwar zu entnehmen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht in allen Landesteilen und nicht zu jeder Zeit gesichert ist.
219Vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 18. Dezember 2012, S. 23 f.
220Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer von Nahrungsmittelhilfen, so diese denn notwendig sind, ausgeschlossen werden.
221Vgl. VG München, Urteil vom 15. September 2010 – M 12 K 10.30588 -, juris.
222Für Rückkehrer bieten sich jedoch schon mit einem geringem Startkapital (bei einer nachgewiesenen Summe von umgerechnet 500,00 € kann eine Gewerbelizenz erworben werden) Möglichkeiten zur Existenzgründung. Die begrenzte Liberalisierung bietet jedenfalls Rückkehrern, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen.
223Vgl. AA, Lagebericht Äthiopien vom 18. Dezember 2012, S. 23 f.
224Davon ausgehend steht für die Kammer fest, dass der Klägerin die eigene Existenzsicherung in Äthiopien in hinreichendem Maße gelingen wird. Sie hat in Äthiopien 11 Jahre lang die Schule besucht, so dass ein gewisses Bildungsniveau, das sich im Übrigen auch während der mündlichen Verhandlung gezeigt hat, bei ihr vorhanden ist. Zudem besitzt die Klägerin Kenntnisse der arabischen Sprache.
225Insofern verkennt die Kammer nicht, dass sich gerade die wirtschaftliche und soziale Lage von jungen, alleinstehenden Frauen, die über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfügen, als äußerst schwierig darstellt.
226Vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Rückkehr einer jungen, alleinstehenden Frau, Auskunft der SFH-Länderanalyse,13. Oktober 2009.
227Diese Schwierigkeiten werden auch von der Rechtsprechung anerkannt.
228Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2007 – 19 E 269/07 -, juris; VG Würzburg, Urteil vom 17. März 2014 – W 3 K 13.30129 -, juris.
229Die Klägerin fällt jedoch aus zwei Gründen nicht unter diesen besonderen Personenkreis. Zum einen ist die am 13. Mai 1976 geborene Klägerin mittlerweile 38 Jahre alt und daher keine junge Frau mehr.
230Zum anderen ist das erkennende Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin in Äthiopien über familiären bzw. sozialen Rückhalt verfügt. Dies folgt bereits daraus, dass der Vortrag der Klägerin zur Deportation ihrer Eltern und Geschwister nach Eritrea unglaubhaft – da vollständig widersprüchlich – ist, mithin die Familie noch in Äthiopien lebt. Weiterhin lebt die Tochter der Klägerin in Äthiopien, genauso wie der Kindsvater und dessen Familie. Die Klägerin hat zwar angegeben, mit der Familie des Kindsvaters keinen Kontakt zu haben. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso die Klägerin diesen Kontakt nicht aufbauen kann. So hat die Klägerin selbst angegeben, dass es zu Differenzen mit ihrer Familie wegen der Geburt der unehelichen Tochter gekommen sei, woraufhin eine Tante des Kindsvaters die Tochter aufgenommen habe. Mithin hat die Familie des Kindsvaters das uneheliche Kind ohne Probleme in ihre Obhut genommen und aufgezogen. Daher ist davon auszugehen, dass die Familie des Kindsvaters auch der Klägerin beisteht. Eine Kontaktaufnahme ist im Übrigen dadurch erleichtert, dass, wie die Klägerin selbst angegeben hat, diese Familie mitsamt der Tochter der Klägerin in derselben Gemeinde wohnt und die Klägerin sogar die genaue Adresse ihrer Tochter kennt. Schließlich ist der Vortrag der Klägerin, die Familie des Kindsvaters hätte ihr auch in einer Notlage nicht geholfen, unglaubhaft, da die Klägerin nach eigenen Angaben schon keinen Kontakt zu dieser Familie hatte und deshalb gar nicht wissen konnte, ob diese Personen ihr helfen oder nicht.
231Die Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. den §§ 59 AufenthG, 38 Abs. 1 AsylVfG.
232Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
233Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylVfG.
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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 18. März 2013 – 23 K 6544/10.A – wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 17. August 1990 geborene Klägerin ist angolanische Staatsangehörige katholischen Glaubens. Sie reiste nach ihren Angaben auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und meldete sich am 29. Februar 2008 als Asylsuchende.
3In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) trug sie im Wesentlichen vor: Ihre Mutter sei bei ihrer Geburt gestorben, ihr Vater neun Jahre später. Seitdem habe sie bei ihrem Onkel, einem einfachen Berufssoldaten, in M. gelebt. Ihre Ausbildung an einer Fachhochschule für Gesundheit habe sie im Jahre 2006 abbrechen müssen, weil ihr Onkel diese nicht weiter habe finanzieren können. Zu ihrem 16. Geburtstag habe ihr Onkel ihre Verlobung mit dem General P. I. arrangiert. Da sie damit nicht einverstanden gewesen sei, sei sie im Juni oder Juli 2007 in die Sekte „D. F. “ geschickt worden, um ihren Widerstand zu brechen und ihre Beschneidung vorzubereiten. In einem unbeobachteten Moment habe sie durch eine geöffnete Tür fliehen können. Sie sei weglaufen und später von Unbekannten zu einer Mission gebracht worden. In katholischen Missionen sei sie versteckt mit Auto und Flugzeug über I1. nach M1. gebracht worden. Von dort sei sie nach Deutschland geflogen.
4Das Bundesamt lehnte es mit Bescheid vom 18. Januar 2010 ab, der Klägerin Asyl zu gewähren sowie die Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festzustellen. Außerdem forderte es die Klägerin auf auszureisen und drohte ihr die Abschiebung nach Angola an. Der Bescheid wurde der Klägerin am 20. September 2010 zugestellt.
5Am 1. Oktober 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat ergänzend vorgetragen, sie habe vergeblich von Deutschland aus versucht, Kontakt zu ihrem Zwillingsbruder aufzunehmen. In Angola habe sie niemanden mehr.
6Die Klägerin hat beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Januar 2010 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen,
8hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 Aufenthaltsgesetz besteht,
9weiter hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz besteht.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Senat hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 3. Juli 2013 zugelassen. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen auf ihren bisherigen Vortrag Bezug genommen und ergänzt, die Zwangsverlobung habe von vornherein nicht in eine Ehe münden sollen. Ziel sei nur gewesen, sie dem General zur Verfügung zu stellen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie ihre Angaben weiter vertieft.
13Die Klägerin beantragt,
14das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Januar 2010 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen,
15hilfsweise, ihr subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
16weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheiden.
22Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte sie als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG anerkennt (dazu I.) und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuerkennt (dazu II.). Daher kann auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides keinen Bestand haben.
23Maßgebliche Rechtslage für die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltende. Dies sind u. a. die seit dem 1. Dezember 2013 geltenden §§ 3 ff. AsylVfG, welche die Richtlinie 2011/95/EU ins deutsche Recht umsetzen.
24I. Die Klägerin ist als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG anzuerkennen.
251. Nach dieser Vorschrift genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde.
26Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, NVwZ 2013, 500 = juris, Rn. 24, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 38 ff., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 u. a. –, BVerfGE 54, 341 = NJW 1980, 2641 = juris, Rn. 46.
27Zu den unverfügbaren Merkmalen im eben genannten Sinne zählt auch die Geschlechtszugehörigkeit.
28Vgl. VG Kassel, Urteil vom 26. März 2012 – 4 K 782/10.KS.A –, juris (Zwangsverheiratung); VG Stuttgart, Urteil vom 9. März 2006 – A 11 K 11112/04 –, juris, Rn. 26 f. (Verfolgung durch einen gewalttätigen Ehemann); VG Frankfurt, Urteil vom 23. August 2005 – 12 E 194/05.A –, juris, Rn. 12 (drohender Ehrenmord); VG Berlin, Urteil vom 3. September 2003 – 1 X 23.03 –, juris, Rn. 22 f. (Genitalverstümmelung); VG Aachen, Urteil vom 12. August 2003 – 2 K 1924/00.A –, juris, Rn. 49 (Genitalverstümmelung); VG Frankfurt, Urteil vom 29. August 2001 – 3 E 30495/98.A (2) –, NVwZ-RR 2002, 460 = juris, Rn. 41 (Genitalverstümmelung); VG München, Urteil vom 20. Juni 2001 – M 21 K 98.50394 –, juris, Rn. 92 ff. (Genitalverstümmelung).
29Die Rechtsverletzung, aus der der Asylbewerber seine Asylberechtigung herleitet, muss ihm gezielt, d. h. gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugefügt worden sein. Hieran fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen. Die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt, so dass der davon Betroffene gezwungen war, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.
30Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 43 ff. m. w. N.
31Politische Verfolgung gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. "Private" Handlungen können jedoch dann als "politische" Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG anzusehen sein, wenn der Staat Einzelne oder Gruppen zu Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit dem Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage ist. Anders liegt es, wenn die Schutzgewährung die Kräfte eines konkreten Staates übersteigt; jenseits der ihm an sich zur Verfügung stehenden Mittel endet seine asylrechtliche Verantwortlichkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass keine staatliche Ordnungsmacht einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren vermag.
32Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 1991 – 2 BvR 902/85 u. a. – BVerfGE 83, 216 = NVwZ 1991, 768 = juris, Rn. 44, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 40, 46 f., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 u.a. –, BVerfGE 54, 341 = NJW 1980, 2641 = juris, Rn. 48.
33Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schutzsuchender asylberechtigt ist, gelten unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl schon dann zu gewähren, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann. Hat der Ausländer sein Heimatland jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von Nachfluchttatbeständen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
34Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 67 ff.; BVerwG, Urteil vom 22. November 2011 – 10 C 29.10 –, BVerwGE 141, 161 = NVwZ 2012, 1042 = juris, Rn. 24.
35Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG wird nicht gewährt, wenn für den Betroffenen eine inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen existiert. Dies setzt voraus, dass er in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen und am Herkunftsort so nicht bestünden. Der Asylsuchende kann auch dann auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, wenn er dort in anderer Weise als durch politische Verfolgung existenziell gefährdet wäre und eine gleichartige existenzielle Gefährdung auch am Herkunftsort bestände. In einem solchen Fall liegt nämlich nicht in einer am Herkunftsort drohenden politischen Verfolgung, sondern in der auch in anderen Landesteilen drohenden sonstigen existenziellen Gefährdung der eigentliche Grund dafür, dass außerhalb des für die Schutzgewährung in erster Linie zuständigen Herkunftsstaates Schutz gesucht wird. Das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums am Ort einer inländischen Fluchtalternative ist also nur asylerheblich, wenn es verfolgungsbedingt ist.
36Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003 – 2 BvR 32/03 –, DVBl. 2004, 111 = juris, Rn. 2 f.; BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 – 9 C 43.96 –, BVerwGE 105, 204 = DVBl. 1998, 274 = juris, Rn. 26.
37Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
38Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990– 9 B 45.90 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 225 = juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989– 9 B 405.89 –, InfAuslR 1990, 38 = juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, InfAuslR 1989, 349 = juris, Rn. 3 f.
392. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Klägerin aufgrund der besonderen Umstände ihres Einzelfalls als Asylberechtigte anzuerkennen. Das Gericht glaubt der Klägerin ihr Vorbringen (dazu a)). Sie ist wegen ihres Geschlechts von Privaten verfolgt worden und ihr droht bei einer Rückkehr erneut politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG (dazu b)). Diese Verfolgung ist dem angolanischen Staat zuzurechnen (dazu c)). Der Klägerin stand keine inländische Fluchtalternative in Angola zur Verfügung (dazu d)). Art. 16 a Abs. 2 GG steht dem Asylanspruch nicht entgegen (dazu e)).
40a) Das Gericht hält den Vortrag der Klägerin für insgesamt glaubhaft. Diese hat in der mündlichen Verhandlung detailliert, in sich schlüssig und sichtlich emotional berührt ihr Schicksal geschildert. Ihre Aussagen passen in den wesentlichen Punkten zu ihren bisherigen Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sowie zu den Erkenntnissen des Senats über Angola.
41Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus: Zunächst wurde die Klägerin an ihrem 16. Geburtstag ohne ihre Zustimmung von ihrem Onkel, einem einfachen Berufssoldaten, nach einer sogenannten Verlobungsfeier dem General P. I. , dem Vorgesetzten des Onkels, der Sache nach überlassen, blieb aber weiter bei ihrem Onkel wohnen. Der General wollte die Klägerin nicht heiraten. Die angebliche Verlobung diente ihm vielmehr als Vorwand, sie gegen ihren Willen immer wieder, auch über Nacht, mitzunehmen und nach Belieben über sie zu verfügen.
42Die Angaben der Klägerin über ihre sogenannte Verlobung decken sich mit den Erkenntnissen des Senats zu Angola. Dort werden innerhalb des Landes Frauen und Mädchen zum Zwecke der gewerbsmäßigen sexuellen Ausbeutung gehandelt.
43Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 52.
44Die Klägerin sollte zwar keiner gewerbsmäßigen Prostitution nachgehen, aber dem General persönlich zu sexuellen Zwecken zur Verfügung stehen. Unabhängig davon, ob das Ansinnen, die Klägerin dem General zu überlassen, vom General oder vom Onkel der Klägerin ausging, erscheint plausibel, dass ein einfacher Berufssoldat mit Geldnöten sich seinem Vorgesetzten insoweit nicht widersetzt, zumal es nicht um seine eigene Tochter ging und er offenbar keine Skrupel hatte, seine Nichte zu verkaufen.
45Die Klägerin, die regelmäßig den katholischen Gottesdienst besuchte, erzählte dem Priester ihrer Gemeinde von den Vorfällen. Nachdem dieser ihren Onkel zur Rede gestellt hatte, verbot der Onkel der Klägerin, weiter zur Kirche zu gehen. Als der General die Abneigung der Klägerin gegen ihn bemerkte, ließ er sie in eine geschlossene Sekte außerhalb der Stadt verbringen. Die Klägerin sollte dort zunächst durch „Beten“ gefügig gemacht werden. Außerdem war geplant, sie nach Ablauf einiger Monate zu beschneiden. Berücksichtigt man, dass eine Heirat ohnehin nicht beabsichtigt war, der General sie immer wieder abgeholt hat, wenn er in M. war, und sie dann einige Zeit, auch über Nacht, mit ihm verbringen musste, erklärt sich auch ihre Aussage in der Anhörung vor dem Bundesamt (Seite 5 des Protokolls), die Beschneidung habe verhindern sollen, dass sie mit einem anderen Mann schlafe, wenn der General nicht in M. gewesen sei: Der General wollte die Klägerin wie einen persönlichen Besitz für sich allein beanspruchen und drohte mit einer Genitalverstümmelung, um dieses Ziel durchzusetzen. Außerdem bedrohte er sie mit dem Tod, sollte sie sich weigern, sich auf ihn einzulassen.
46Die Aussagen der Klägerin zur geplanten Genitalverstümmelung stimmen mit den Berichten überein, nach denen in seltenen Fällen weibliche Genitalverstümmelung in den östlichen Provinzen von Angola bzw. in abgelegenen Gegenden praktiziert wird.
47Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 30; United Kingdom Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 50.
48M. , der Wohnsitz des Onkels der Klägerin und der Ort der Sekte, liegt im Osten von Angola.
49Die Klägerin wurde während des Aufenthaltes bei der Sekte krank. Da sie geschwächt war, wurde sie nicht mehr so streng bewacht wie vorher. Dabei gelang ihr in einem unbeobachteten Moment die Flucht. Da sie einen speziellen Kittel der Sekte trug, war sie ohne Weiteres als Sektenangehörige erkennbar. Menschen, die der Klägerin außerhalb des Areals der Sekte begegneten, brachten sie auf ihren Wunsch zu einer katholischen Gemeinde. Dort traf sie den Priester ihrer Heimatgemeinde, der bereits nach ihr gesucht hatte, nachdem sie nicht mehr zur Kirche gekommen war. Er organisierte eine Fahrt mit dem Auto und Begleitern nach I1. , von wo aus die Klägerin nach M1. flog. Dort wurde sie von den dortigen katholischen Missionen aufgenommen, die schließlich den Flug der Klägerin nach Deutschland organisierten. Auf diesem Flug begleitete sie eine angolanische Familie.
50Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin sprechen insbesondere nicht ihre Aussagen zum Zeitablauf ihres Schulbesuchs. Die Klägerin hat in der Anhörung erklärt, sie sei mit 6 Jahren eingeschult worden. Da die Schule nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Januar beginnt und da die Klägerin im August 1996 6 Jahre alt geworden ist, muss ihr Schulbesuch im Januar 1997 begonnen haben. Sie hat in der Anhörung vor dem Bundesamt, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und in der mündlichen Verhandlung des Senats angegeben, sie sei 8 Jahre lang zur Schule gegangen. Dies muss etwa bis zum Januar 2006 gewesen sein. Damals war die Klägerin 15 Jahre alt. Anschließend hat sie die gesundheitstechnische Schule in M. etwa drei Monate lang besucht, bis ihr Onkel nicht mehr gezahlt hat. Dies kann zeitlich ohne Weiteres vor ihrem 16. Geburtstag am 17. August 2006 erfolgt sein, an dem ihr Onkel sie aus finanziellen Gründen verkauft hat. Soweit im Erstgespräch beim Jugendamt der Stadt E. am 7. März 2008 protokolliert wurde, die Klägerin habe 11 Jahre lang eine Schule besucht, hat die Klägerin dies mit einem Missverständnis erklärt. Im Hinblick darauf, dass ihre Angaben glaubhaft sind und die Klägerin damals erst kurz in Deutschland war, so dass sie die deutschen Angaben mangels Sprachkenntnissen nicht selbst überprüfen konnte, ist dies plausibel, zumal damals ausweislich des Protokolls keine Rückübersetzung erfolgte.
51b) Die Klägerin ist wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit verfolgt worden. Ihre Menschenwürde ist grob missachtet worden, indem sie als Frau zum Handelsobjekt herabgewürdigt worden ist. Außerdem ist mit der angekündigten Genitalverstümmelung auch ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit bedroht worden. Beides erfolgte in Anknüpfung an ihre Geschlechtszugehörigkeit. Der General, der nach den Angaben der Klägerin immer junge Frauen suchte, nur eine Zeitlang mit einer Frau zusammen war und ihrer dann wohl überdrüssig wurde, war an der Klägerin nur interessiert, weil sie eine Frau war und weil sie jung war. Auf diese Weise wurde die Klägerin als sozial minderwertiges Wesen ohne eigene Rechte behandelt und aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgegrenzt. Indem der General ihr die Genitalverstümmelung ankündigte und diese plante, um zu verhindern, dass sie mit anderen Männern als mit ihm schläft, reduzierte er sie auf ein bloßes Sexualobjekt.
52Vgl. zur drohenden Beschneidung bei Männern als asylrelevanter Verfolgung BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 –, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992, 582 = juris, Rn. 10: „…ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, dass der Kläger politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist, weil ihm bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, während des Wehrdienstes zwangsbeschnitten zu werden.“ und Rn. 13: „Es kann weiterhin auch nicht zweifelhaft sein, dass eine gegen den Willen des Betroffenen durchgeführte Beschneidung ihrer Intensität nach einen asylrechtlich erheblichen Eingriff in seine physische und psychische Integrität darstellt. Das Berufungsgericht führt in dieser Hinsicht zu Recht aus, dass - abgesehen von dem körperlichen Eingriff - der von einer Zwangsbeschneidung Betroffene unter Missachtung seines religiösen und personalen Selbstbestimmungsrechts zum bloßen Objekt erniedrigt wird.“
53Durch die Bedrohung mit dem Tod war auch das Recht der Klägerin auf Leben gefährdet. Auch dies hängt unmittelbar mit ihrer Verfolgung als Frau zusammen. Der General nahm es der Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben persönlich übel, dass sie ihn ablehnte, und drohte ihr deshalb mit dem Tod. Dabei handelte es sich nicht nur um einen privaten kriminellen Racheakt ohne politische Motive. Die Todesdrohung ist hier vielmehr vor dem Hintergrund der sie begleitenden politischen Verfolgung wegen des Geschlechts zu sehen. Ohne diese hätte der General die Klägerin nicht mit dem Tod bedroht. Bei lebensnaher Betrachtung ist davon auszugehen, dass die Todesdrohung sich nicht durch die Ausreise der Klägerin und eine mehrjährige Abwesenheit im Ausland erledigt hat. Denn der General hatte bereits nach der Klägerin suchen lassen, nachdem sie aus der Sekte entkommen war. Er hatte für sie bezahlt und wollte sich die Gegenleistung nicht entgehen lassen. Außerdem dürfte er es in seiner Stellung als hoher Vertreter des Militärs gewohnt sein, seine Interessen und Ziele durchzusetzen, und war beleidigt wegen der Flucht der Klägerin. Es erscheint plausibel, dass er seine Rache auch aus Gründen der Machtdemonstration in jedem Fall durchzusetzen versucht. Die vorverfolgt ausgereiste Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach Angola aus diesen Gründen nicht hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung wegen ihres Geschlechts, zumindest in Form der Bedrohung mit dem Tod.
54c) Diese Verfolgung ist dem angolanischen Staat zuzurechnen. Dieser ist entweder nicht in der Lage oder nicht willens, der Klägerin Schutz zu bieten. Wenn die Klägerin sich an die Polizei oder Gerichte gewandt hätte, wäre nicht zu erwarten gewesen, dass sie als Waise von dort effektive Hilfe gegen ihren Onkel als ihren Betreuer und gegen den General als einen hohen Vertreter des Militärs, dem als solchen wesentlich mehr gesellschaftliche und finanzielle Einflussmöglichkeiten zustehen dürften als der Klägerin, erhält. Dies ergibt sich aus Folgendem:
55Kindesmissbrauch („child abuse“) ist weit verbreitet und von den angolanischen Behörden weitgehend toleriert. Insbesondere schutzbedürftige Kinder („vulnerable children“) wie Waisen laufen Gefahr, von ihren Betreuern missbraucht zu werden. Die angolanische Regierung verfügt über keine Strategie, um solche Kinder zu schützen. Sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern zwischen 12 und 18 Jahren sind zwar als sexueller Missbrauch strafbewehrt. Eingeschränkte Ermittlungsmöglichkeiten und ein unzureichendes Justizsystem verhindern jedoch in den meisten Fällen eine Strafverfolgung.
56Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 32 f.; Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51.
57Häusliche Gewalt gegenüber Frauen ist verbreitet und allgegenwärtig. Sie ist nicht illegal. Trotzdem wird sie gelegentlich als Vergewaltigung, Beleidigung oder Körperverletzung verfolgt.
58Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51; UK Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 49.
59Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden von den betroffenen Frauen jedoch nicht angezeigt. Dies geschieht wegen des den Behörden grundsätzlich entgegengebrachten starken Misstrauens und der unangemessenen Einstellung der Polizei zu Fällen häuslicher Gewalt. Die Anzeige eines solchen Falles würde für die betreffende Frau einen sie frustrierenden, beschämenden und zeitraubenden Vorgang darstellen. Zudem sind Richter häufig nachsichtig, wenn es um die Verurteilung eines Mannes geht, der sich der Gewalt gegenüber einer Frau schuldig gemacht hat.
60Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51 f.
61Verfahrensrechte laufen aufgrund des materiell schlecht ausgestatteten, langsam arbeitenden und korruptionsanfälligen Justizsystems vielfach leer. Der Justizweg ist allenfalls eingeschränkt gewährleistet. Ermittlungsbehörden und Polizei sind überlastet, unterbezahlt, ineffektiv und korruptionsanfällig.
62Vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Angola vom 26. Juni 2007, S. 6; United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 9; United Kingdom Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 28; nach den Informationen von Dalichau, Angola: Ungelöste innenpolitische Herausforderungen, Juni 2011, S. 4, gehört der Perzeptionsindex für Korruption zu den höchsten der Welt.
63Da der angolanische Staat nach diesen Auskünften schon für den Regelfall einer Misshandlung einer jungen Frau durch ihre Familie bzw. einen hohen Militärangehörigen keinen wirksamen Schutz zur Verfügung stellt, entlastet es ihn nicht, dass kein Staat der Welt lückenlosen Schutz vor politischer Verfolgung durch Private bieten kann.
64d) Der Klägerin stand keine inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen von Angola zur Verfügung. Es ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass der General als hoher Vertreter des Militärs im Hinblick auf seine gesellschaftliche Stellung und die allgegenwärtige Korruption im Land die Möglichkeit hat und diese nutzen würde, die Klägerin mit Hilfe des Militärs oder anderer Beziehungen auch in anderen Teilen von Angola ausfindig zu machen, um sich an ihr zu rächen. Er hatte bereits nach ihr suchen lassen, während sie in M1. bei den katholischen Missionen versteckt war.
65Unabhängig davon könnte die Klägerin als alleinstehende Frau ohne Unterstützung einer Familie ihren Lebensunterhalt nicht in zumutbarer Weise sichern. Der größere Teil der angolanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.
66Vgl. Die Zeit: „Auf nach Afrika!“ vom 18. April 2013: über die Hälfte; taz: „Je reicher das Land, desto mächtiger der Chef“ vom 5. April 2012: Zwei Drittel leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze von 2 Dollar am Tag; ebenso Dalichau: „Angola: Ungelöste innenpolitische Herausforderungen“ von Juni 2011, S. 3; Der Spiegel: „Die Revolution ist beerdigt“ vom 15. Juni 2009; Spiegel online: „Mit Hühnern gegen Raubtierkapitalismus“ vom 29. März 2009; Le Monde diplomatique: „Reiches Land mit armen Leuten“ vom 9. Mai 2008.
67Die Lebenshaltungskosten in Angola und insbesondere in der Hauptstadt M1. sind extrem hoch. Insbesondere, wenn kein familiärer Rückhalt besteht, der zumindest für den Beginn Unterstützung gewährt, ist es zum Teil äußerst schwierig, wenn nicht sogar ausgeschlossen (abhängig von den persönlichen Fähigkeiten/Verhältnissen), „Fuß zu fassen“.
68So die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 22. September 2009.
69Das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums in anderen Landesteilen von Angola ist hier auch asylerheblich, weil es verfolgungsbedingt ist. Die asylrechtlich relevante Verfolgung der Klägerin hatte ihren Ursprung darin, dass ihr Onkel sie dem General zur Verfügung stellte, u. a. zur sexuellen Ausbeutung. Daher ist es ihr unzumutbar, zu ihrem Onkel zurückzukehren. Zu dem einzigen anderen Familienangehörigen der Klägerin in Angola, ihrem Zwillingsbruder, hat sie keinen Kontakt mehr, weil sie seinen Aufenthalt nicht mehr kennt. Die Klägerin verfügt zwar über eine 8-jährige angolanische Schulbildung und ist nach ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dabei, ihren Realschulabschluss zu erwerben. Auch spricht sie ziemlich gut Deutsch. Allerdings verfügt sie nicht über eine Berufsausbildung. Wenn sie nach Angola zurückkehrte, ist ohne familiäre Unterstützung und ohne gesicherte Anlaufstelle nicht ersichtlich, wie sie in ihrem besonderen Einzelfall ihren Lebensunterhalt, gerade in der ersten Zeit nach der Rückkehr, in zumutbarer Weise sichern könnte.
70e) Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG stehen dem Asylanspruch der Klägerin nicht entgegen. Danach erhält kein Asyl, wer aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist. Dazu zählen alle an Deutschland angrenzenden Staaten, so dass Asyl für diejenigen ausgeschlossen ist, die auf dem Landweg einreisen.
71Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin auf dem Luftweg nach Deutschland gekommen ist. Sie hat glaubhaft geschildert, wie sie von M1. mit einer südafrikanischen Fluglinie und einem Zwischenstopp in Afrika nach Deutschland geflogen ist. Dass der Zwischenstopp in Afrika stattfand, ergibt sich für das Gericht aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin, dass die Menschen auf diesem Flughafen afrikanisch gewesen seien. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Umstände des Einzelfalles macht es ihr Vorbringen nicht unglaubhaft, dass sie ihren Pass, den Namen, auf den dieser Pass ausgestellt war, und die Sitznummer im Flugzeug nicht kannte. Ebenso wenig ist ihr vorzuhalten, dass sie nicht bereits auf dem deutschen Ankunftsflughafen Asyl beantragt hat. Denn die Klägerin war wegen ihrer persönlichen Situation damals kaum in der Lage, die konkrete Ausgestaltung der Flucht nach Deutschland selbst in die Hand zu nehmen. Sie verließ sich vielmehr auf ihre erwachsenen Reisebegleiter: Die Klägerin war bei der Ausreise aus Angola 17 Jahre alt. Sie hatte bis zu ihrer Flucht nie ohne ihre Familie gelebt und ihr Leben nie völlig selbstständig organisiert. Sie reiste zum ersten Mal aus Angola aus. Sie war ganz auf sich allein gestellt, nachdem ihr Onkel sie verkauft und sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Zwillingsbruder hatte. Sie war von den vorangegangenen Ereignissen emotional beeinträchtigt. Die katholische Mission hatte ihre Ausreise zusammen mit einer Familie organisiert, an die sie sich halten sollte. Ihren Pass hatte der Vater dieser Familie, der sie sich angeschlossen hatte. Sie folgte daher deren Anweisungen, als sie am Flughafen von einem Mann mit einem Auto abgeholt wurden und als sie sich in C. in einem bestimmten Büro melden sollte. Dabei ging sie davon aus, dass die Familie, wie angekündigt, folgen würde, und wartete vergeblich auf diese. In einer solchen Situation ist es nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht alle Einzelheiten ihrer Ausreise wiedergeben konnte.
72II. Der Klägerin steht auch Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zu.
731. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
74Gemäß § 3 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3 a Abs. 2 AsylVfG können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 u. a. folgende Handlungen gelten: die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1) sowie Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen (Nr. 6). Nach § 3 b Abs. 1 Nr. 4 Teilsatz 1 AsylVfG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe u. a. angeborene Merkmale gemein haben und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der die umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft (§ 3 b Abs. 1 Nr. 4 Teilsatz 4 AsylVfG).
75Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3 c AsylVfG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Schutz vor Verfolgung kann nach § 3 d Abs. 1 AsylVfG nur geboten werden vom Staat (Nr. 1) oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten (Nr. 2). Nach Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (§ 3 d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).
76Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylVfG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
77Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
78Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2011– 10 C 29.10 –, BVerwGE 141, 161 = NVwZ 2012, 1042 = juris, Rn. 23 ff.; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 35 ff. m. w. N. (jeweils zur entsprechenden Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
792. Die Klägerin ist aus den unter I. 2. genannten Gründen aufgrund der Besonderheiten ihres Einzelfalls als junge, unverheiratete und elternlose Minderjährige wegen ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht verfolgt worden. Ihr „Verkauf“ an den General ist unauflöslich mit sexueller Gewalt und Ausbeutung verbunden. Er zielt auf den Genderstatus der Frau, ihr Alter, Geschlecht, ihre wirtschaftliche und soziale Stellung wie auch ihre sexuelle Verwertbarkeit zu wirtschaftlichen Zwecken.
80Vgl. Marx, Furcht vor Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Art. 10 I Bst. d RL 2004/83/EG), ZAR 2005, 177 (184); zur geschlechtsspezifischen Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG; Hess. VGH, Urteil vom 23. März 2005 – 3 UE 3457/04.A –, NVwZ-RR 2006, 504 = juris, Rn. 38 ff., 43 ff. (Genitalverstümmelung); VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18. Juli 2013 – 5a K 4418/11.A –, juris, Rn. 62 ff. (Zwangsverheiratung); VG Magdeburg, Urteil vom 18. September 2012 – 5 A 182/11 MD –, juris (Zwangsverheiratung); VG Kassel, Urteil vom 26. März 2012 – 4 K 782/10.KS.A –, juris, (Zwangsverheiratung); VG Würzburg, Urteil vom 19. September 2005 – W 8 K 04.30919 –, juris, Rn. 13 (Zwangsprostitution); Ziffer 60.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 nennt als Beispiele für an das Geschlecht anknüpfende Verfolgungshandlungen drohende Genitalverstümmelung und Fälle schwerer häuslicher Gewalt; siehe auch Treiber, in: GK-AufenthG, Stand: Jan. 2014, § 60 Rn. 187, nach dem die Gruppe der minderjährigen oder der unverheirateten Frauen eine soziale Gruppe darstellen kann.
81Unter Berücksichtigung der oben angeführten Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für Vorverfolgte droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Angola mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneute Verfolgung, zumindest in Form der Bedrohung mit dem Tod durch den General. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass der General von seiner angekündigten Rache gegenüber der Klägerin Abstand nehmen könnte, sind nicht ersichtlich.
82Schutz vor dieser Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylVfG ist vom angolanischen Staat nicht zu erwarten. Aus den oben genannten Gründen bietet der angolanische Staat keinen wirksamen und dauerhaften Schutz vor der Verfolgung im Sinne des § 3 d AsylVfG. Ein interner Schutz in anderen Teilen von Angola im Sinne von § 3 e AsylVfG besteht ebenfalls nicht, weil der General die Klägerin dort finden würde und – unabhängig davon – weil die Klägerin als alleinstehende Frau ohne Familienangehörige ihren Lebensunterhalt nicht in zumutbarer Weise sichern könnte.
83III. Die Feststellung in Nr. 3 des angefochtenen Bescheides, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, ist aufzuheben. Einer Entscheidung über die mit den Hilfsanträgen geltend gemachten Abschiebungsverbote bedarf es nach der Asylanerkennung und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG).
84Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010– 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 117 ff.
85IV. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides war aufzuheben. Da die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen ist und ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, darf eine Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht ergehen.
86Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
87Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.
(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.
(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 18. März 2013 – 23 K 6544/10.A – wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 17. August 1990 geborene Klägerin ist angolanische Staatsangehörige katholischen Glaubens. Sie reiste nach ihren Angaben auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und meldete sich am 29. Februar 2008 als Asylsuchende.
3In der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) trug sie im Wesentlichen vor: Ihre Mutter sei bei ihrer Geburt gestorben, ihr Vater neun Jahre später. Seitdem habe sie bei ihrem Onkel, einem einfachen Berufssoldaten, in M. gelebt. Ihre Ausbildung an einer Fachhochschule für Gesundheit habe sie im Jahre 2006 abbrechen müssen, weil ihr Onkel diese nicht weiter habe finanzieren können. Zu ihrem 16. Geburtstag habe ihr Onkel ihre Verlobung mit dem General P. I. arrangiert. Da sie damit nicht einverstanden gewesen sei, sei sie im Juni oder Juli 2007 in die Sekte „D. F. “ geschickt worden, um ihren Widerstand zu brechen und ihre Beschneidung vorzubereiten. In einem unbeobachteten Moment habe sie durch eine geöffnete Tür fliehen können. Sie sei weglaufen und später von Unbekannten zu einer Mission gebracht worden. In katholischen Missionen sei sie versteckt mit Auto und Flugzeug über I1. nach M1. gebracht worden. Von dort sei sie nach Deutschland geflogen.
4Das Bundesamt lehnte es mit Bescheid vom 18. Januar 2010 ab, der Klägerin Asyl zu gewähren sowie die Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) festzustellen. Außerdem forderte es die Klägerin auf auszureisen und drohte ihr die Abschiebung nach Angola an. Der Bescheid wurde der Klägerin am 20. September 2010 zugestellt.
5Am 1. Oktober 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat ergänzend vorgetragen, sie habe vergeblich von Deutschland aus versucht, Kontakt zu ihrem Zwillingsbruder aufzunehmen. In Angola habe sie niemanden mehr.
6Die Klägerin hat beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Januar 2010 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen,
8hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 Aufenthaltsgesetz besteht,
9weiter hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz besteht.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Senat hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 3. Juli 2013 zugelassen. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen auf ihren bisherigen Vortrag Bezug genommen und ergänzt, die Zwangsverlobung habe von vornherein nicht in eine Ehe münden sollen. Ziel sei nur gewesen, sie dem General zur Verfügung zu stellen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sie ihre Angaben weiter vertieft.
13Die Klägerin beantragt,
14das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Januar 2010 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen,
15hilfsweise, ihr subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
16weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheiden.
22Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte sie als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1 GG anerkennt (dazu I.) und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuerkennt (dazu II.). Daher kann auch die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides keinen Bestand haben.
23Maßgebliche Rechtslage für die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltende. Dies sind u. a. die seit dem 1. Dezember 2013 geltenden §§ 3 ff. AsylVfG, welche die Richtlinie 2011/95/EU ins deutsche Recht umsetzen.
24I. Die Klägerin ist als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG anzuerkennen.
251. Nach dieser Vorschrift genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde.
26Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, NVwZ 2013, 500 = juris, Rn. 24, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 38 ff., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 u. a. –, BVerfGE 54, 341 = NJW 1980, 2641 = juris, Rn. 46.
27Zu den unverfügbaren Merkmalen im eben genannten Sinne zählt auch die Geschlechtszugehörigkeit.
28Vgl. VG Kassel, Urteil vom 26. März 2012 – 4 K 782/10.KS.A –, juris (Zwangsverheiratung); VG Stuttgart, Urteil vom 9. März 2006 – A 11 K 11112/04 –, juris, Rn. 26 f. (Verfolgung durch einen gewalttätigen Ehemann); VG Frankfurt, Urteil vom 23. August 2005 – 12 E 194/05.A –, juris, Rn. 12 (drohender Ehrenmord); VG Berlin, Urteil vom 3. September 2003 – 1 X 23.03 –, juris, Rn. 22 f. (Genitalverstümmelung); VG Aachen, Urteil vom 12. August 2003 – 2 K 1924/00.A –, juris, Rn. 49 (Genitalverstümmelung); VG Frankfurt, Urteil vom 29. August 2001 – 3 E 30495/98.A (2) –, NVwZ-RR 2002, 460 = juris, Rn. 41 (Genitalverstümmelung); VG München, Urteil vom 20. Juni 2001 – M 21 K 98.50394 –, juris, Rn. 92 ff. (Genitalverstümmelung).
29Die Rechtsverletzung, aus der der Asylbewerber seine Asylberechtigung herleitet, muss ihm gezielt, d. h. gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugefügt worden sein. Hieran fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsstaat zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen. Die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt, so dass der davon Betroffene gezwungen war, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.
30Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 43 ff. m. w. N.
31Politische Verfolgung gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. "Private" Handlungen können jedoch dann als "politische" Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG anzusehen sein, wenn der Staat Einzelne oder Gruppen zu Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit dem Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage ist. Anders liegt es, wenn die Schutzgewährung die Kräfte eines konkreten Staates übersteigt; jenseits der ihm an sich zur Verfügung stehenden Mittel endet seine asylrechtliche Verantwortlichkeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass keine staatliche Ordnungsmacht einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantieren vermag.
32Vgl. BVerfG, Urteile vom 23. Januar 1991 – 2 BvR 902/85 u. a. – BVerfGE 83, 216 = NVwZ 1991, 768 = juris, Rn. 44, vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 40, 46 f., und vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 u.a. –, BVerfGE 54, 341 = NJW 1980, 2641 = juris, Rn. 48.
33Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schutzsuchender asylberechtigt ist, gelten unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl schon dann zu gewähren, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann. Hat der Ausländer sein Heimatland jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von Nachfluchttatbeständen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
34Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315 = DVBl. 1990, 102 = juris, Rn. 67 ff.; BVerwG, Urteil vom 22. November 2011 – 10 C 29.10 –, BVerwGE 141, 161 = NVwZ 2012, 1042 = juris, Rn. 24.
35Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG wird nicht gewährt, wenn für den Betroffenen eine inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen existiert. Dies setzt voraus, dass er in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen und am Herkunftsort so nicht bestünden. Der Asylsuchende kann auch dann auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, wenn er dort in anderer Weise als durch politische Verfolgung existenziell gefährdet wäre und eine gleichartige existenzielle Gefährdung auch am Herkunftsort bestände. In einem solchen Fall liegt nämlich nicht in einer am Herkunftsort drohenden politischen Verfolgung, sondern in der auch in anderen Landesteilen drohenden sonstigen existenziellen Gefährdung der eigentliche Grund dafür, dass außerhalb des für die Schutzgewährung in erster Linie zuständigen Herkunftsstaates Schutz gesucht wird. Das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums am Ort einer inländischen Fluchtalternative ist also nur asylerheblich, wenn es verfolgungsbedingt ist.
36Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2003 – 2 BvR 32/03 –, DVBl. 2004, 111 = juris, Rn. 2 f.; BVerwG, Urteil vom 9. September 1997 – 9 C 43.96 –, BVerwGE 105, 204 = DVBl. 1998, 274 = juris, Rn. 26.
37Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Asylanspruch davon lückenlos getragen wird. Das Gericht muss beurteilen, ob eine solche Aussage des Asylbewerbers glaubhaft ist. Dies gehört zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu berücksichtigen.
38Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. August 1990– 9 B 45.90 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 225 = juris, Rn. 2, vom 26. Oktober 1989– 9 B 405.89 –, InfAuslR 1990, 38 = juris, Rn. 8, und vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, InfAuslR 1989, 349 = juris, Rn. 3 f.
392. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Klägerin aufgrund der besonderen Umstände ihres Einzelfalls als Asylberechtigte anzuerkennen. Das Gericht glaubt der Klägerin ihr Vorbringen (dazu a)). Sie ist wegen ihres Geschlechts von Privaten verfolgt worden und ihr droht bei einer Rückkehr erneut politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG (dazu b)). Diese Verfolgung ist dem angolanischen Staat zuzurechnen (dazu c)). Der Klägerin stand keine inländische Fluchtalternative in Angola zur Verfügung (dazu d)). Art. 16 a Abs. 2 GG steht dem Asylanspruch nicht entgegen (dazu e)).
40a) Das Gericht hält den Vortrag der Klägerin für insgesamt glaubhaft. Diese hat in der mündlichen Verhandlung detailliert, in sich schlüssig und sichtlich emotional berührt ihr Schicksal geschildert. Ihre Aussagen passen in den wesentlichen Punkten zu ihren bisherigen Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sowie zu den Erkenntnissen des Senats über Angola.
41Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus: Zunächst wurde die Klägerin an ihrem 16. Geburtstag ohne ihre Zustimmung von ihrem Onkel, einem einfachen Berufssoldaten, nach einer sogenannten Verlobungsfeier dem General P. I. , dem Vorgesetzten des Onkels, der Sache nach überlassen, blieb aber weiter bei ihrem Onkel wohnen. Der General wollte die Klägerin nicht heiraten. Die angebliche Verlobung diente ihm vielmehr als Vorwand, sie gegen ihren Willen immer wieder, auch über Nacht, mitzunehmen und nach Belieben über sie zu verfügen.
42Die Angaben der Klägerin über ihre sogenannte Verlobung decken sich mit den Erkenntnissen des Senats zu Angola. Dort werden innerhalb des Landes Frauen und Mädchen zum Zwecke der gewerbsmäßigen sexuellen Ausbeutung gehandelt.
43Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 52.
44Die Klägerin sollte zwar keiner gewerbsmäßigen Prostitution nachgehen, aber dem General persönlich zu sexuellen Zwecken zur Verfügung stehen. Unabhängig davon, ob das Ansinnen, die Klägerin dem General zu überlassen, vom General oder vom Onkel der Klägerin ausging, erscheint plausibel, dass ein einfacher Berufssoldat mit Geldnöten sich seinem Vorgesetzten insoweit nicht widersetzt, zumal es nicht um seine eigene Tochter ging und er offenbar keine Skrupel hatte, seine Nichte zu verkaufen.
45Die Klägerin, die regelmäßig den katholischen Gottesdienst besuchte, erzählte dem Priester ihrer Gemeinde von den Vorfällen. Nachdem dieser ihren Onkel zur Rede gestellt hatte, verbot der Onkel der Klägerin, weiter zur Kirche zu gehen. Als der General die Abneigung der Klägerin gegen ihn bemerkte, ließ er sie in eine geschlossene Sekte außerhalb der Stadt verbringen. Die Klägerin sollte dort zunächst durch „Beten“ gefügig gemacht werden. Außerdem war geplant, sie nach Ablauf einiger Monate zu beschneiden. Berücksichtigt man, dass eine Heirat ohnehin nicht beabsichtigt war, der General sie immer wieder abgeholt hat, wenn er in M. war, und sie dann einige Zeit, auch über Nacht, mit ihm verbringen musste, erklärt sich auch ihre Aussage in der Anhörung vor dem Bundesamt (Seite 5 des Protokolls), die Beschneidung habe verhindern sollen, dass sie mit einem anderen Mann schlafe, wenn der General nicht in M. gewesen sei: Der General wollte die Klägerin wie einen persönlichen Besitz für sich allein beanspruchen und drohte mit einer Genitalverstümmelung, um dieses Ziel durchzusetzen. Außerdem bedrohte er sie mit dem Tod, sollte sie sich weigern, sich auf ihn einzulassen.
46Die Aussagen der Klägerin zur geplanten Genitalverstümmelung stimmen mit den Berichten überein, nach denen in seltenen Fällen weibliche Genitalverstümmelung in den östlichen Provinzen von Angola bzw. in abgelegenen Gegenden praktiziert wird.
47Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 30; United Kingdom Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 50.
48M. , der Wohnsitz des Onkels der Klägerin und der Ort der Sekte, liegt im Osten von Angola.
49Die Klägerin wurde während des Aufenthaltes bei der Sekte krank. Da sie geschwächt war, wurde sie nicht mehr so streng bewacht wie vorher. Dabei gelang ihr in einem unbeobachteten Moment die Flucht. Da sie einen speziellen Kittel der Sekte trug, war sie ohne Weiteres als Sektenangehörige erkennbar. Menschen, die der Klägerin außerhalb des Areals der Sekte begegneten, brachten sie auf ihren Wunsch zu einer katholischen Gemeinde. Dort traf sie den Priester ihrer Heimatgemeinde, der bereits nach ihr gesucht hatte, nachdem sie nicht mehr zur Kirche gekommen war. Er organisierte eine Fahrt mit dem Auto und Begleitern nach I1. , von wo aus die Klägerin nach M1. flog. Dort wurde sie von den dortigen katholischen Missionen aufgenommen, die schließlich den Flug der Klägerin nach Deutschland organisierten. Auf diesem Flug begleitete sie eine angolanische Familie.
50Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin sprechen insbesondere nicht ihre Aussagen zum Zeitablauf ihres Schulbesuchs. Die Klägerin hat in der Anhörung erklärt, sie sei mit 6 Jahren eingeschult worden. Da die Schule nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im Januar beginnt und da die Klägerin im August 1996 6 Jahre alt geworden ist, muss ihr Schulbesuch im Januar 1997 begonnen haben. Sie hat in der Anhörung vor dem Bundesamt, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und in der mündlichen Verhandlung des Senats angegeben, sie sei 8 Jahre lang zur Schule gegangen. Dies muss etwa bis zum Januar 2006 gewesen sein. Damals war die Klägerin 15 Jahre alt. Anschließend hat sie die gesundheitstechnische Schule in M. etwa drei Monate lang besucht, bis ihr Onkel nicht mehr gezahlt hat. Dies kann zeitlich ohne Weiteres vor ihrem 16. Geburtstag am 17. August 2006 erfolgt sein, an dem ihr Onkel sie aus finanziellen Gründen verkauft hat. Soweit im Erstgespräch beim Jugendamt der Stadt E. am 7. März 2008 protokolliert wurde, die Klägerin habe 11 Jahre lang eine Schule besucht, hat die Klägerin dies mit einem Missverständnis erklärt. Im Hinblick darauf, dass ihre Angaben glaubhaft sind und die Klägerin damals erst kurz in Deutschland war, so dass sie die deutschen Angaben mangels Sprachkenntnissen nicht selbst überprüfen konnte, ist dies plausibel, zumal damals ausweislich des Protokolls keine Rückübersetzung erfolgte.
51b) Die Klägerin ist wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit verfolgt worden. Ihre Menschenwürde ist grob missachtet worden, indem sie als Frau zum Handelsobjekt herabgewürdigt worden ist. Außerdem ist mit der angekündigten Genitalverstümmelung auch ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit bedroht worden. Beides erfolgte in Anknüpfung an ihre Geschlechtszugehörigkeit. Der General, der nach den Angaben der Klägerin immer junge Frauen suchte, nur eine Zeitlang mit einer Frau zusammen war und ihrer dann wohl überdrüssig wurde, war an der Klägerin nur interessiert, weil sie eine Frau war und weil sie jung war. Auf diese Weise wurde die Klägerin als sozial minderwertiges Wesen ohne eigene Rechte behandelt und aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgegrenzt. Indem der General ihr die Genitalverstümmelung ankündigte und diese plante, um zu verhindern, dass sie mit anderen Männern als mit ihm schläft, reduzierte er sie auf ein bloßes Sexualobjekt.
52Vgl. zur drohenden Beschneidung bei Männern als asylrelevanter Verfolgung BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 –, BVerwGE 89, 162 = NVwZ 1992, 582 = juris, Rn. 10: „…ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, dass der Kläger politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist, weil ihm bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, während des Wehrdienstes zwangsbeschnitten zu werden.“ und Rn. 13: „Es kann weiterhin auch nicht zweifelhaft sein, dass eine gegen den Willen des Betroffenen durchgeführte Beschneidung ihrer Intensität nach einen asylrechtlich erheblichen Eingriff in seine physische und psychische Integrität darstellt. Das Berufungsgericht führt in dieser Hinsicht zu Recht aus, dass - abgesehen von dem körperlichen Eingriff - der von einer Zwangsbeschneidung Betroffene unter Missachtung seines religiösen und personalen Selbstbestimmungsrechts zum bloßen Objekt erniedrigt wird.“
53Durch die Bedrohung mit dem Tod war auch das Recht der Klägerin auf Leben gefährdet. Auch dies hängt unmittelbar mit ihrer Verfolgung als Frau zusammen. Der General nahm es der Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben persönlich übel, dass sie ihn ablehnte, und drohte ihr deshalb mit dem Tod. Dabei handelte es sich nicht nur um einen privaten kriminellen Racheakt ohne politische Motive. Die Todesdrohung ist hier vielmehr vor dem Hintergrund der sie begleitenden politischen Verfolgung wegen des Geschlechts zu sehen. Ohne diese hätte der General die Klägerin nicht mit dem Tod bedroht. Bei lebensnaher Betrachtung ist davon auszugehen, dass die Todesdrohung sich nicht durch die Ausreise der Klägerin und eine mehrjährige Abwesenheit im Ausland erledigt hat. Denn der General hatte bereits nach der Klägerin suchen lassen, nachdem sie aus der Sekte entkommen war. Er hatte für sie bezahlt und wollte sich die Gegenleistung nicht entgehen lassen. Außerdem dürfte er es in seiner Stellung als hoher Vertreter des Militärs gewohnt sein, seine Interessen und Ziele durchzusetzen, und war beleidigt wegen der Flucht der Klägerin. Es erscheint plausibel, dass er seine Rache auch aus Gründen der Machtdemonstration in jedem Fall durchzusetzen versucht. Die vorverfolgt ausgereiste Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach Angola aus diesen Gründen nicht hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung wegen ihres Geschlechts, zumindest in Form der Bedrohung mit dem Tod.
54c) Diese Verfolgung ist dem angolanischen Staat zuzurechnen. Dieser ist entweder nicht in der Lage oder nicht willens, der Klägerin Schutz zu bieten. Wenn die Klägerin sich an die Polizei oder Gerichte gewandt hätte, wäre nicht zu erwarten gewesen, dass sie als Waise von dort effektive Hilfe gegen ihren Onkel als ihren Betreuer und gegen den General als einen hohen Vertreter des Militärs, dem als solchen wesentlich mehr gesellschaftliche und finanzielle Einflussmöglichkeiten zustehen dürften als der Klägerin, erhält. Dies ergibt sich aus Folgendem:
55Kindesmissbrauch („child abuse“) ist weit verbreitet und von den angolanischen Behörden weitgehend toleriert. Insbesondere schutzbedürftige Kinder („vulnerable children“) wie Waisen laufen Gefahr, von ihren Betreuern missbraucht zu werden. Die angolanische Regierung verfügt über keine Strategie, um solche Kinder zu schützen. Sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern zwischen 12 und 18 Jahren sind zwar als sexueller Missbrauch strafbewehrt. Eingeschränkte Ermittlungsmöglichkeiten und ein unzureichendes Justizsystem verhindern jedoch in den meisten Fällen eine Strafverfolgung.
56Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 32 f.; Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51.
57Häusliche Gewalt gegenüber Frauen ist verbreitet und allgegenwärtig. Sie ist nicht illegal. Trotzdem wird sie gelegentlich als Vergewaltigung, Beleidigung oder Körperverletzung verfolgt.
58Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51; UK Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 49.
59Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden von den betroffenen Frauen jedoch nicht angezeigt. Dies geschieht wegen des den Behörden grundsätzlich entgegengebrachten starken Misstrauens und der unangemessenen Einstellung der Polizei zu Fällen häuslicher Gewalt. Die Anzeige eines solchen Falles würde für die betreffende Frau einen sie frustrierenden, beschämenden und zeitraubenden Vorgang darstellen. Zudem sind Richter häufig nachsichtig, wenn es um die Verurteilung eines Mannes geht, der sich der Gewalt gegenüber einer Frau schuldig gemacht hat.
60Vgl. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 51 f.
61Verfahrensrechte laufen aufgrund des materiell schlecht ausgestatteten, langsam arbeitenden und korruptionsanfälligen Justizsystems vielfach leer. Der Justizweg ist allenfalls eingeschränkt gewährleistet. Ermittlungsbehörden und Polizei sind überlastet, unterbezahlt, ineffektiv und korruptionsanfällig.
62Vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Angola vom 26. Juni 2007, S. 6; United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2012, zu Angola, S. 9; United Kingdom Border Agency, Country of Origin Information Report, Angola, 1. September 2010, S. 28; nach den Informationen von Dalichau, Angola: Ungelöste innenpolitische Herausforderungen, Juni 2011, S. 4, gehört der Perzeptionsindex für Korruption zu den höchsten der Welt.
63Da der angolanische Staat nach diesen Auskünften schon für den Regelfall einer Misshandlung einer jungen Frau durch ihre Familie bzw. einen hohen Militärangehörigen keinen wirksamen Schutz zur Verfügung stellt, entlastet es ihn nicht, dass kein Staat der Welt lückenlosen Schutz vor politischer Verfolgung durch Private bieten kann.
64d) Der Klägerin stand keine inländische Fluchtalternative in anderen Landesteilen von Angola zur Verfügung. Es ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass der General als hoher Vertreter des Militärs im Hinblick auf seine gesellschaftliche Stellung und die allgegenwärtige Korruption im Land die Möglichkeit hat und diese nutzen würde, die Klägerin mit Hilfe des Militärs oder anderer Beziehungen auch in anderen Teilen von Angola ausfindig zu machen, um sich an ihr zu rächen. Er hatte bereits nach ihr suchen lassen, während sie in M1. bei den katholischen Missionen versteckt war.
65Unabhängig davon könnte die Klägerin als alleinstehende Frau ohne Unterstützung einer Familie ihren Lebensunterhalt nicht in zumutbarer Weise sichern. Der größere Teil der angolanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.
66Vgl. Die Zeit: „Auf nach Afrika!“ vom 18. April 2013: über die Hälfte; taz: „Je reicher das Land, desto mächtiger der Chef“ vom 5. April 2012: Zwei Drittel leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze von 2 Dollar am Tag; ebenso Dalichau: „Angola: Ungelöste innenpolitische Herausforderungen“ von Juni 2011, S. 3; Der Spiegel: „Die Revolution ist beerdigt“ vom 15. Juni 2009; Spiegel online: „Mit Hühnern gegen Raubtierkapitalismus“ vom 29. März 2009; Le Monde diplomatique: „Reiches Land mit armen Leuten“ vom 9. Mai 2008.
67Die Lebenshaltungskosten in Angola und insbesondere in der Hauptstadt M1. sind extrem hoch. Insbesondere, wenn kein familiärer Rückhalt besteht, der zumindest für den Beginn Unterstützung gewährt, ist es zum Teil äußerst schwierig, wenn nicht sogar ausgeschlossen (abhängig von den persönlichen Fähigkeiten/Verhältnissen), „Fuß zu fassen“.
68So die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 22. September 2009.
69Das Fehlen des wirtschaftlichen Existenzminimums in anderen Landesteilen von Angola ist hier auch asylerheblich, weil es verfolgungsbedingt ist. Die asylrechtlich relevante Verfolgung der Klägerin hatte ihren Ursprung darin, dass ihr Onkel sie dem General zur Verfügung stellte, u. a. zur sexuellen Ausbeutung. Daher ist es ihr unzumutbar, zu ihrem Onkel zurückzukehren. Zu dem einzigen anderen Familienangehörigen der Klägerin in Angola, ihrem Zwillingsbruder, hat sie keinen Kontakt mehr, weil sie seinen Aufenthalt nicht mehr kennt. Die Klägerin verfügt zwar über eine 8-jährige angolanische Schulbildung und ist nach ihren Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dabei, ihren Realschulabschluss zu erwerben. Auch spricht sie ziemlich gut Deutsch. Allerdings verfügt sie nicht über eine Berufsausbildung. Wenn sie nach Angola zurückkehrte, ist ohne familiäre Unterstützung und ohne gesicherte Anlaufstelle nicht ersichtlich, wie sie in ihrem besonderen Einzelfall ihren Lebensunterhalt, gerade in der ersten Zeit nach der Rückkehr, in zumutbarer Weise sichern könnte.
70e) Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG stehen dem Asylanspruch der Klägerin nicht entgegen. Danach erhält kein Asyl, wer aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist. Dazu zählen alle an Deutschland angrenzenden Staaten, so dass Asyl für diejenigen ausgeschlossen ist, die auf dem Landweg einreisen.
71Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin auf dem Luftweg nach Deutschland gekommen ist. Sie hat glaubhaft geschildert, wie sie von M1. mit einer südafrikanischen Fluglinie und einem Zwischenstopp in Afrika nach Deutschland geflogen ist. Dass der Zwischenstopp in Afrika stattfand, ergibt sich für das Gericht aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin, dass die Menschen auf diesem Flughafen afrikanisch gewesen seien. Aufgrund der hier vorliegenden besonderen Umstände des Einzelfalles macht es ihr Vorbringen nicht unglaubhaft, dass sie ihren Pass, den Namen, auf den dieser Pass ausgestellt war, und die Sitznummer im Flugzeug nicht kannte. Ebenso wenig ist ihr vorzuhalten, dass sie nicht bereits auf dem deutschen Ankunftsflughafen Asyl beantragt hat. Denn die Klägerin war wegen ihrer persönlichen Situation damals kaum in der Lage, die konkrete Ausgestaltung der Flucht nach Deutschland selbst in die Hand zu nehmen. Sie verließ sich vielmehr auf ihre erwachsenen Reisebegleiter: Die Klägerin war bei der Ausreise aus Angola 17 Jahre alt. Sie hatte bis zu ihrer Flucht nie ohne ihre Familie gelebt und ihr Leben nie völlig selbstständig organisiert. Sie reiste zum ersten Mal aus Angola aus. Sie war ganz auf sich allein gestellt, nachdem ihr Onkel sie verkauft und sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Zwillingsbruder hatte. Sie war von den vorangegangenen Ereignissen emotional beeinträchtigt. Die katholische Mission hatte ihre Ausreise zusammen mit einer Familie organisiert, an die sie sich halten sollte. Ihren Pass hatte der Vater dieser Familie, der sie sich angeschlossen hatte. Sie folgte daher deren Anweisungen, als sie am Flughafen von einem Mann mit einem Auto abgeholt wurden und als sie sich in C. in einem bestimmten Büro melden sollte. Dabei ging sie davon aus, dass die Familie, wie angekündigt, folgen würde, und wartete vergeblich auf diese. In einer solchen Situation ist es nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht alle Einzelheiten ihrer Ausreise wiedergeben konnte.
72II. Der Klägerin steht auch Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zu.
731. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
74Gemäß § 3 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3 a Abs. 2 AsylVfG können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 u. a. folgende Handlungen gelten: die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1) sowie Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen (Nr. 6). Nach § 3 b Abs. 1 Nr. 4 Teilsatz 1 AsylVfG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe u. a. angeborene Merkmale gemein haben und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der die umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft (§ 3 b Abs. 1 Nr. 4 Teilsatz 4 AsylVfG).
75Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3 c AsylVfG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylVfG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Schutz vor Verfolgung kann nach § 3 d Abs. 1 AsylVfG nur geboten werden vom Staat (Nr. 1) oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten (Nr. 2). Nach Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (§ 3 d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).
76Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylVfG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
77Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
78Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2011– 10 C 29.10 –, BVerwGE 141, 161 = NVwZ 2012, 1042 = juris, Rn. 23 ff.; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 35 ff. m. w. N. (jeweils zur entsprechenden Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG).
792. Die Klägerin ist aus den unter I. 2. genannten Gründen aufgrund der Besonderheiten ihres Einzelfalls als junge, unverheiratete und elternlose Minderjährige wegen ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht verfolgt worden. Ihr „Verkauf“ an den General ist unauflöslich mit sexueller Gewalt und Ausbeutung verbunden. Er zielt auf den Genderstatus der Frau, ihr Alter, Geschlecht, ihre wirtschaftliche und soziale Stellung wie auch ihre sexuelle Verwertbarkeit zu wirtschaftlichen Zwecken.
80Vgl. Marx, Furcht vor Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Art. 10 I Bst. d RL 2004/83/EG), ZAR 2005, 177 (184); zur geschlechtsspezifischen Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG; Hess. VGH, Urteil vom 23. März 2005 – 3 UE 3457/04.A –, NVwZ-RR 2006, 504 = juris, Rn. 38 ff., 43 ff. (Genitalverstümmelung); VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18. Juli 2013 – 5a K 4418/11.A –, juris, Rn. 62 ff. (Zwangsverheiratung); VG Magdeburg, Urteil vom 18. September 2012 – 5 A 182/11 MD –, juris (Zwangsverheiratung); VG Kassel, Urteil vom 26. März 2012 – 4 K 782/10.KS.A –, juris, (Zwangsverheiratung); VG Würzburg, Urteil vom 19. September 2005 – W 8 K 04.30919 –, juris, Rn. 13 (Zwangsprostitution); Ziffer 60.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 nennt als Beispiele für an das Geschlecht anknüpfende Verfolgungshandlungen drohende Genitalverstümmelung und Fälle schwerer häuslicher Gewalt; siehe auch Treiber, in: GK-AufenthG, Stand: Jan. 2014, § 60 Rn. 187, nach dem die Gruppe der minderjährigen oder der unverheirateten Frauen eine soziale Gruppe darstellen kann.
81Unter Berücksichtigung der oben angeführten Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für Vorverfolgte droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Angola mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneute Verfolgung, zumindest in Form der Bedrohung mit dem Tod durch den General. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass der General von seiner angekündigten Rache gegenüber der Klägerin Abstand nehmen könnte, sind nicht ersichtlich.
82Schutz vor dieser Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylVfG ist vom angolanischen Staat nicht zu erwarten. Aus den oben genannten Gründen bietet der angolanische Staat keinen wirksamen und dauerhaften Schutz vor der Verfolgung im Sinne des § 3 d AsylVfG. Ein interner Schutz in anderen Teilen von Angola im Sinne von § 3 e AsylVfG besteht ebenfalls nicht, weil der General die Klägerin dort finden würde und – unabhängig davon – weil die Klägerin als alleinstehende Frau ohne Familienangehörige ihren Lebensunterhalt nicht in zumutbarer Weise sichern könnte.
83III. Die Feststellung in Nr. 3 des angefochtenen Bescheides, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, ist aufzuheben. Einer Entscheidung über die mit den Hilfsanträgen geltend gemachten Abschiebungsverbote bedarf es nach der Asylanerkennung und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG).
84Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010– 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 117 ff.
85IV. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides war aufzuheben. Da die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen ist und ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, darf eine Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht ergehen.
86Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
87Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der am 5. November 1980 in der afghanischen Provinz Logar geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, tadschikischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Bis zu seiner - eigenen Angabe zufolge - im Mai 2010 erfolgten Ausreise aus Afghanistan lebte der Kläger ledig in dem Dorf Shah Mazar nahe der Stadt Baraki Rajan im Bezirk Baraki Barak in der Provinz Logar. Dort bewirtschaftete er nach Abschluss seiner Schullaufbahn nach der zehnten Klasse der Mittelschule ein eigenes Landstück, auf dem er Getreide und Gemüse anbaute. Diese Erzeugnisse verkaufte er in einem eigenen Geschäft und bestritt von dem Erlös seinen Lebensunterhalt.
3Der Kläger ist am 8. August 2010 nach dreimonatiger Reise auf dem Landweg nach Deutschland eingereist. Hier beantragte er noch am 8. August 2010 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
4Am 13. August 2010 und am 23. August 2010 wurde der Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angehört, wo er u.a. folgende Angaben machte: Nach dem Tod seiner Eltern habe er gemeinsam mit seinem Bruder bei einer Schwester seines Vaters gelebt. Vor eineinhalb Jahren seien die Taliban in sein Dorf gekommen. Darunter sei auch sein Onkel gewesen, der eine Art Gruppenführer bei den Taliban sei. Sie hätten ihn und seinen Bruder aufgefordert, sich ihnen anzuschließen und in den Jihad zu ziehen. Dem sei seine Tante erfolgreich entgegengetreten. Nach deren Tod vor ungefähr sechs Monaten habe sein Onkel ihn und seinen Bruder gewaltsam mitgenommen. Beide hätten zwei Monate bei den Taliban verbracht. Von dort aus hätten sowohl er als auch sein Bruder die Polizei verständigt, die ihnen ihre Hilfe versagt hätte. Gleichwohl habe der Anruf seines Bruders dazu geführt, dass eine Gruppe Taliban festgenommen worden sei. In der Folgezeit hätten die Taliban ihn und seinen Bruder als Reaktion auf den mutmaßlichen Verrat geschlagen und in unterschiedliche Räume eingesperrt. Sein Bruder sei hingerichtet worden. Er selber sei - nach drei Tagen im Gefängnis - freigekommen, als es ihm gelungen sei, einen befreundeten Wärter zu bestechen.
5Mit Bescheid vom 24. August 2010 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, weil dieser auf dem Landweg und damit zwangsläufig über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereist sei. Gleichzeitig stellte es unter Hinweis auf die fehlende Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen. Ferner enthält der Bescheid die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a.F.) nicht gegeben sind (Ziffer 3). Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, die Todesstrafe oder eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines bestehenden internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts drohe. Ebenso wenig sei erkennbar, dass der Kläger in Afghanistan einer erheblichen individuellen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sei. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls er nach Afghanistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werde.
6Der Kläger hat am 9. September 2010 Klage erhoben, zu deren Begründung er sein Vorbringen vor dem Bundesamt wiederholt und vertieft und ergänzend u.a. Folgendes vorgetragen hat: In seiner Heimatprovinz Logar finde ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zwischen der afghanischen Regierung/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen aufständischen Kräften andererseits statt. Die hiervon gegen die Zivilbevölkerung ausgehenden Akte willkürlicher Gewalt erreichten ein so hohes Niveau, dass alle Zivilpersonen, die sich in der Provinz aufhielten, ernsthaft und konkret an Leib und Leben bedroht seien. Die Taliban führten in Logar einen Partisanenkrieg. Er befürchte, von ihnen zwangsrekrutiert zu werden. Effektiver Schutz gegen die Taliban sei in Afghanistan landesweit nicht gewährleistet. Da er die Taliban verraten habe, müsse er damit rechnen, an jedem Ort Afghanistans von ihnen ausfindig gemacht zu werden. Zudem habe er dort keine Verwandten und könne deswegen nicht auf die Unterstützung eines funktionsfähigen Familienverbandes zählen. Er verfüge auch über keinerlei Geldmittel, Besitz oder Eigentum, mit deren Hilfe er sich unterhalten könnte. Für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Staatsangehörige, die unfreiwillig aus Deutschland nach Afghanistan zurückkehrten, seien - auch in Kabul - kaum legale Erwerbsmöglichkeiten gegeben. Deswegen komme weder Kabul noch ein anderer Ort in Afghanistan für ihn als interne Schutzalternative in Betracht.
7Der Kläger hat - sinngemäß - beantragt,
8den Bescheid des Bundesamts vom 24. August 2010 aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG (a.F.) i.V.m. Art. 13 RL 2004/83/EG zuzuerkennen,
9hilfsweise
10die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 24. August 2010 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG (a.F.) i.V.m. den Voraussetzungen von Art. 15 lit. a), b) und c) RL 2004/83/EG hinsichtlich Afghanistan vorliegen,
11äußerst hilfsweise
12die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 24. August 2010 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) hinsichtlich Afghanistan vorliegen.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. November 2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter scheide aus, weil dieser über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik eingereist sei. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil er keine Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal befürchten müsse. Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht gegeben. Dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2, Abs. 2, 3 und 5 AufenthG nicht erfüllt seien, liege auf der Hand. Eben so wenig liege ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, denn die Schilderungen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal seien unglaubhaft.
16Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 25. März 2013 zugelassenen Berufung, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend weist er darauf hin, dass in seiner Heimatprovinz Logar, die für die Taliban das Einfallstor in die Hauptstadt Kabul sei, weiterhin ein innerstaatlicher Konflikt herrsche, der durch intensivierte Aktivitäten gegen Aufständische, einschließlich Bombenangriffe durch ISAF/NATO aus der Luft, wahllose Anschläge regierungsfeindlicher Elemente und regionaler Kriegsherren sowie illegale Landbesetzungen, Enteignungen, religiöse Konflikte, Konflikte über die Benutzung von Weideland zwischen bewaffneten afghanischen Gruppierungen sowie unzureichende Reaktionen der Zentralregierung gekennzeichnet sei. In den südlichen und östlichen Provinzen gebe es mittlerweise offenen Krieg zwischen ISAF/NATO und den Taliban. Dabei werde die große Zahl ziviler Kollateralschäden billigend in Kauf genommen. Die Gefahrenlage betreffe praktisch die gesamte Bevölkerung von Logar. Die Provinz sei schon seit Jahren in den Händen der Taliban und der Hezb-e-Islami, die in weiten Teilen faktisch die Macht ausübten. Auch das Haqqani-Netzwerk habe großen Einfluss. Dementsprechend handele es sich um eine religiös sehr konservative, von Paschtunen dominierte Provinz. Verstöße gegen die von den Taliban definierten „islamischen Sitten“ würden nach Maßgabe der Scharia hart bestraft. Junge Männer müssten damit rechnen, zwangsrekrutiert zu werden. Jeder, der in Verdacht gerate, mit den staatlichen afghanischen Stellen, den NATO-Truppen oder der CIA zusammenzuarbeiten, werde liquidiert. Die Taliban und die Gruppe Hezb-e-Islami hätten illegale Checkpoints an den Straßen eingerichtet. Dort komme es immer wieder zu Übergriffen wie Sprengstoffanschlägen und Entführungen.
17Die Lebensverhältnisse in Afghanistan seien inzwischen so verheerend, dass ein alleinstehender Rückkehrer, der nicht mit der Aufnahme in eine funktionierende Familien- oder Stammesstruktur rechnen könne, keinerlei Aussicht hätte, sich aus eigener Kraft eine Existenz zu schaffen. Amnesty International habe in einem Gutachten vom 20. Dezember 2010 festgestellt, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan erneut dramatisch verschlechtert habe.
18Zudem lägen in seiner Person gefahrerhöhende Umstände vor, die sich aus seiner tadschikischen Volkszugehörigkeit, der stattgefundenen Verfolgung durch seinen Onkel und der Hinrichtung seines Bruders ergäben.
19Der Kläger beantragt, die Frage, ob die Definition des Grades willkürlicher Gewalt bzw. der notwendigen Gefährdungsdichte seitens des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - mit Art. 15 lit. c) RL 2004/83/EG bzw. Art. 15 lit. c) RL 2011/95/EU vereinbar ist, dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) zur Entscheidung vorzulegen. Weiterhin beantragt er, den Rechtsstreit dem EuGH zur Klärung der Rechtsfrage vorzulegen, ob bei der Feststellung des Niveaus der willkürlichen Gewalt ohne gefahrerhöhende persönliche Umstände nur die Zahl der Todesfälle und Verletzungen bei der Zivilbevölkerung zugrunde gelegt werden dürfe bzw. müsse oder darüber hinaus auch die Zahl seelisch verletzter Personen mit ernsthaften seelischen Traumata, die Zahl der Vergewaltigungen oder sexuellen Gewaltakte gegen Frauen und Männer bzw. Kinder, die Zahl willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen, die Zahl der (auch drohenden) Zwangsrekrutierungen, die Anzahl der Binnenvertriebenen im Land, die erhebliche Dunkelziffer betreffend alle Zahlen und die humanitäre Situation zu berücksichtigen seien. Der Maßstab, den das Bundesverwaltungsgericht für die Gefährdungsdichte anlege, sei zu eng und nicht mit dem großzügigeren Maßstab, den der EuGH für die Annahme einer individuellen Bedrohung zugrunde lege, zu vereinbaren. Das gelte auch deswegen, weil durch dieses Erfordernis keine zusätzliche Hürde errichtet und keine Verschärfung der Beweislast habe eingeführt werden sollen. Es sei umstritten, ob die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte statistische Ermittlung eines Gefährdungsquotienten mit der Qualifikationsrichtlinie vereinbar sei. Ungeachtet dessen, dass die verfügbaren Statistiken nicht aussagekräftig seien, müssten bei der Feststellung des Grades willkürlicher Gewalt neben der Zahl der Getöteten und Verletzten weitere Zahlen in den Blick genommen werden. Ferner beantragt er, den Rechtsstreit dem EuGH zur Klärung der Frage vorzulegen, ob die inländische Schutzalternative des Art. 8 RL 2004/83/EG bzw. nach Art. 8 RL 2011/95/EU voraussetzt, dass am Ort der inländischen Schutzalternative ein normales Leben mit Zugang zu Nahrung, Wasser, Unterkunft und medizinischer Versorgung unter Beachtung der individuellen Bedürfnisse und ein normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum ohne ein Leben in Not und mit Entbehrungen auf Dauer gewährleistet, also sichergestellt ist, und die Garantie der Achtung der grundlegenden Menschenrechte des Betroffenen ein ausreichendes Maß an Stabilität und effektiven staatlichen und zivilen Schutzstrukturen, die auf Dauer effektiven Schutz vermitteln, gewährleistet.
20Die Kläger beantragt,
21das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. November 2011 teilweise zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts vom 24. August 2010 zu verpflichten, ihn gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG als subsidiär Schutzberechtigten anzuerkennen,
22hilfsweise,
23festzustellen, dass hinsichtlich seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Die Beteiligten sind mit der Ladung auf die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel hingewiesen worden. Der Senat hat den Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise angehört und den Beteiligten eine aktualisierte Erkenntnismittelliste ausgehändigt.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
28Entscheidungsgründe:
29Die nur hinsichtlich der Anerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 AsylVfG) und der Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses gemäß
30§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eingelegte Berufung hat keinen Erfolg.
31Sie ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der ablehnende Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er hat weder einen Anspruch auf die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nrn. 1, 2, 3 AsylVfG (1) noch auf die Feststellung eines in seiner Person begründeten nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (2).
32Für die Entscheidung über die Berufung ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Sach- und Rechtslage maßgebend. Das ist hier die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9; im Folgenden: QRL II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) am 1. Dezember 2013 geltende Fassung des Aufenthalts- und des Asylverfahrensgesetzes. Eine Änderung des Streitgegenstandes ist durch diese Neufassung nicht eingetreten.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Januar 2014 - 9 A 2561/10.A -, juris, Rn. 26 ff.; Sächsisches OVG, Urteil vom 29. April 2014 A - 4 A 104/14 -, juris, Rn. 16.
34Die erstinstanzlich geltend gemachten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (a.F.) entsprechen dem nunmehrigen Antrag auf die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nrn.1, 2, 3 AsylVfG. In § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind die bisher in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbote, mit denen Art. 15 der Richtline 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304/12; im Folgenden: QRL I) umgesetzt und durch normative Verknüpfung mit § 4 Abs. 1 AsylVfG zusammengefasst worden war (BT-Drucks. 17/13063, S. 25). Die Regelungen sind - von der im Zuge der Neuregelung vorgenommenen terminologischen Umbenennung des Schutzstatus abgesehen - gleichlautend und materiell-rechtlich inhaltsgleich.
35Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Januar 2014 - 9 A 2564/10.A -, juris, Rn. 28 ff.
36§ 60 Abs. 7 Satz 1 AsylVfG ist durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 nicht geändert worden (BT-Drucks. 17/13063, S.14).
37(1) Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter, weil die Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 4 Abs. 1 AsylVfG nicht vorliegen. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylVfG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Diese Bestimmung nimmt - wie bisher § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (a.F.) - die Vorgaben des Art. 15 QRL I bzw. des gleichlautenden Art. 15 QRL II auf. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, wobei nach Satz 2 als solcher gilt 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Für die Feststellung der darin enthaltenen Abschiebungsverbote gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über Verfolgungs- und Schutzakteure und über internen Schutz auch auf diese Abschiebungsverbote - wie bisher schon - für anwendbar erklärt. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG bzw. Art. 15 QRL II droht. Das ergibt sich nun unmittelbar aus dem in Art. 2 lit. f) QRL II - der Definition des Begriffs „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ - enthaltenen Tatbestandsmerkmal „… tatsächlich Gefahr liefe…“. Der darin zum Ausdruck kommende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) ab.
38Vgl. EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06 (Saadi/Italien) -, NVwZ 2008, 1330 (1331), Rn. 125, 128; BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris, Rn. 20.
39(a) Der Kläger begründet sein auf die Gewährung subsidiären Schutzes gerichtetes Begehren - im Ergebnis ohne Erfolg - schwerpunktmäßig damit, dass ihm in Afghanistan ein ernsthafter Schaden in Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts drohe. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG - auf den dieses Vorbringen abzielt - ist die gleichlautende Umsetzung von Art. 15 lit. c) QRL II.
40(aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Art. 15 lit. c) QRL I, die aufgrund der unveränderten Übernahme der Regelung in Art. 15 lit. c) QRL II übertragbar ist, ist der Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ein der Richtlinie eigener, autonomer Begriff, der im humanitären Völkerrecht keine unmittelbare Entsprechung findet. Denn anders als im humanitären Völkerrecht habe der Unionsgesetzgeber den Betroffenen nicht nur bei internationalen bewaffneten Konflikten und bewaffneten Konflikten, die keinen internationalen Charakter aufweisen, subsidiären Schutz gewähren wollen, sondern auch bei innerstaatlichen bewaffneten Konflikten, wenn bei diesen Konflikten willkürliche Gewalt eingesetzt werde. Das humanitäre Völkerrecht und die Regelung des subsidiären Schutzes verfolgten unterschiedliche Ziele und führten klar voneinander getrennte Schutzmechanismen ein. Mangels einer in der Richtlinie enthaltenen Begriffsbestimmung sei der Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen sei, in welchem Zusammenhang er verwendet werde und welche Ziele mit der Regelung verfolgt würden, zu der er gehöre.
41Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - Rs. C 285/12 (Diakité) -, juris, Rn. 20 ff. m.w.N.
42Nach diesen Grundsätzen interpretiert der EuGH den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts als eine Situation, in der die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder in der zwei oder mehrere bewaffnete Truppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzung, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist.
43Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - Rs. C 285/12 (Diakité) -, juris, Rn. 35.
44Abweichend davon legt das Bundesverwaltungsgericht den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung seiner Bedeutung im humanitären Völkerrecht aus, die sich insbesondere aus den vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 (GFK) einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 ZP II - zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - ergibt, und zieht ergänzend das Völkerstrafrecht, insbesondere die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs heran. Jedenfalls dann, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Ziffer 2 ZP II erfüllt seien, also bei inneren Unruhen und Spannungen, zu denen Tumulte, vereinzelt auftretenden Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen zählten, scheide die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c) QRL I aus. Der Konflikt müsse ein bestimmtes Maß an Dauerhaftigkeit und Intensität aufweisen. Damit würde den unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes andererseits hinreichend Rechnung getragen.
45Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, 22 f. und vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, juris, Rn. 22 ff.
46Zur Anwendung dieses Auslegungsmaßstabs hat das Bundesverwaltungsgericht einschränkend angemerkt, dass die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze finde, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht seien, entgegenstehe. Mit Blick auf diesen Zweck setze das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c) der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssten, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach GFK und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich sei. Vielmehr könne es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage seien, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen werde. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben müsse, was andererseits nicht bedeute, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein könne. Damit würde den unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes andererseits hinreichend Rechnung getragen.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 23 f.
48Beide Auslegungsmaßstäbe dürften überwiegend zu gleichen Ergebnissen führen. Hier spricht nach der aktuellen Erkenntnislage Vieles dafür, dass in der insoweit maßgebenden Heimatregion des Klägers, der Provinz Logar, nach beiden Interpretationen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG herrscht.
49Vgl. einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Provinz Logar bejahend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 25. August 2011 - 8 A 1657/10.A -, juris, Rn. 70.
50Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben. Sie ist nicht entscheidungserheblich, weil der Kläger im Rahmen dieses Konflikts jedenfalls keiner ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist.
51(bb) Nach der Interpretation des Senats der zu diesem Tatbestandsmerkmal ergangenen Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die individuelle Bedrohung - ungeachtet des Umstandes, der sie ausgelöst hat - im Ausgangspunkt nach dem in dem betreffenden Gebiet feststellbaren Niveau willkürlicher Gewalt, während die jeweiligen Ursachen der individuellen Bedrohung (nur) im Zusammenhang mit dessen graduellen Abstufungen maßgebend sind.
52Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - juris, Rn. 33; EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - Rs. C 285/12 (Diakité) -, juris, Rn. 30 ff.
53Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann in erster Linie auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen. Im Ausnahmefall kann sie durch eine allgemeine Gefahr hervorgerufen sein, die sich in besonderer Weise zugespitzt hat.
54Gefahrerhöhende persönliche Umstände sind solche, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Hierzu zählen auch persönliche Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen und ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 33.
56Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes "allgemein" ausgesetzt ist, stellen demgegenüber normalerweise keine individuelle Bedrohung dar (vgl. insoweit auch Erwägungsgrund 26 QRL I und Erwägungsgrund 35 QRL II). Eine Ausnahme davon gilt nur bei besonderer Verdichtung einer allgemeinen Gefahr, die unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen zu deren Individualisierung führt. Davon ist auszugehen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein.
57Vgl. EuGH, Urteile vom 17. Februar 2009 - Rs. C 465/07 (Elgafaji) -, juris, Rn. 35 und 39, und vom 30. Januar 2014 - Rs. C 285/12 (Diakité) -, juris, Rn. 30; BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 32 und vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris, Rn. 19.
58Erforderlich ist eine Situation mit Ausnahmecharakter,
59vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C- 465/07 (Elgafaji) -, juris, Rn. 38; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 32,
60und damit eine individuell besonders exponierte Gefahrenlage.
61Diese unterscheidet sich von einer durch persönliche gefahrerhöhende Umstände begründeten ernsthaften individuellen Bedrohung, die gleichermaßen die Feststellung eines hohen Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung erfordert,
62vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 33,
63lediglich in gradueller Hinsicht.
64Dies hat der EuGH dahin präzisiert, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit ein Ausländer Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei.
65Vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C- 465/07 (Elgafaji) -, juris, Rn. 39; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 -10 C 4.09 -, juris, Rn. 33.
66Ausgehend hiervon sind, unabhängig davon, ob die individuelle Bedrohungssituation auf persönliche Umstände oder ausnahmsweise auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurückgeht, Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet zu treffen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. In beiden Konstellationen ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, erforderlich.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 33.
68Dabei sind neben völkerrechtswidrigen auch andere nicht zielgerichtete Gewaltakte zu berücksichtigen, weil eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßende Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht mit dem Sinn und Zweck des Art. 15 lit. c) der Richtlinie vereinbar wäre.
69Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 -10 C 4.09 - juris, Rn. 34.
70Neben der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte ist eine wertende Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Anzahl der Opfer und der Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) vorzunehmen, bei der auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden können.
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 -10 C 4.09 -, juris, Rn. 33.
72Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann.
73Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 -10 C 13.10 -, juris, Rn. 23.
74Der Senat sieht davon ab, die Fragen,
75ob die Definition des Grades willkürlicher Gewalt bzw. der notwendigen Gefährdungsdichte seitens des BVerwG in seinem Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - mit Art. 15 lit. c) QRL I und QRL II vereinbar ist
76und
77ob bei der Feststellung des Niveaus der willkürlichen Gewalt ohne gefahrerhöhende persönliche Umstände nur die Zahl der Todesfälle und Verletzten bei der Zivilbevölkerung zugrunde gelegt werden darf bzw.muss oder darüber hinaus auch die Zahl seelisch verletzter Personen mit ernsthaften Traumata, die Zahl der Vergewaltigungen oder sexuellen Gewalt gegen Frauen und Männer bzw. Kinder, die Zahl der willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, die Zahl der (auch drohenden) Zwangsrekrutierungen, die Anzahl der Binnenvertriebenen im Land, die erhebliche Dunkelziffer und die humanitäre Situation zu berücksichtigen sind,
78entsprechend der Anregung des Klägers dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV vorzulegen. Eine Verpflichtung zur Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht, weil die Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die Rechtsmittel im Sinne des Art. 267 Abs. 3 AEUV ist,
79vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11-, juris, Rn. 32 m.w.N.,
80angefochten werden kann. Der Senat sieht auch keinen weiteren Klärungsbedarf, insbesondere keinen Anhalt dafür, dass das für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach der Entscheidung des BVerwG vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - erforderliche Niveau willkürlicher Gewalt nicht mit Art. 15 lit. c) QRL I vereinbar ist, zumal sich das BVerwG auf die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des EuGH bezieht. Hinsichtlich der weiteren Frage sieht der Senat bereits deswegen keinen Klärungsbedarf, weil auch nach der Rechtsprechung des BVerwG neben der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist,
81vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 33, und vom 17. November 2011 -10 C 13.10 -, juris, Rn. 23,
82mit der die Berücksichtigung qualitativer Gesichtspunkte einhergeht.
83Für die Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird.
84Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, juris, Rn. 17, unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 (Elgafaji) -.
85Ein Abweichen von der Regel kann jedenfalls nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ihm Schutz gewähren soll. Kommt die Herkunftsregion des Ausländers als Zielort einer Rückführung wegen der ihm dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 QRL II bzw. § 3e AsylVfG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden.
86Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. November 2012 -10 B 22.12 -, juris, Rn. 7.
87Gemessen daran fehlt es an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Klägers. Gefahrerhöhende Umstände, die ihn wegen persönlicher Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko aussetzen könnten, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der geltend gemachten Möglichkeit einer Zwangsrekrutierung. Ausgehend von den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen zu Zwangsrekrutierungen in Afghanistan,
88vgl. EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungsstrategien der Taliban, Juli 2012; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 45 f., Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014 vom 31. März 2014, S. 12; UNHCR, UNHCR-Stellungnahme zu Fragen der potentiellen Rückkehrgefährdung von jungen männlichen afghanischen Staatsangehörigen vom 31. August 2013, S. 3; Dr. Mostafa Danesch, Auskunft an den Hess.VGH vom 3. September 2013, S. 3 f., und an das Nds.OVG vom 30. April 2013; ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Zwangsrekrutierung junger Afghanen durch die Taliban,
89besteht im Falle des Klägers keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass er dort ernsthaft befürchten müsste - insbesondere durch die Taliban -, zwangsrekrutiert zu werden. Den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013 lässt sich insoweit entnehmen, dass regierungsfeindliche Kräfte in Gebieten, die ihrer tatsächlichen Kontrolle unterliegen, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern nutzten, einschließlich Rekrutierungsmaßnahmen auf der Grundlage von Zwang. Traditionell habe in Kriegszeiten die Mobilisierung in Form von „lashkar" stattgefunden, ein Brauch, bei dem jeder Haushalt einen Mann im wehrfähigen Alter beisteuerte. Regierungsfeindliche Kräfte wendeten in Gebieten, die sie tatsächlich kontrollierten, sowie in Siedlungen von Binnenvertriebenen Drohungen und Einschüchterung an, um auf diese Weise Kämpfer für
90ihren Aufstand zu rekrutieren. Personen, die sich einer Rekrutierung widersetzten, seien danach gefährdet, der Spionage für die Regierung angeklagt
91und getötet oder bestraft zu werden.
92vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 45 f.
93Der Bericht enthält weder Informationen zur Häufigkeit solcher Zwangsrekrutierungen noch zu deren regionaler Verteilung und zum Profil bevorzugter Rekruten innerhalb der unüberschaubar großen Gruppe wehrfähiger Männer. Auch in den übrigen Auskünften und Berichten wird hierüber keine Aussage getroffen.
94Der Sachverständige Dr. Mostafa Danesch hat sich in seinen Stellungnahmen vom 30. April 2013 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht und vom 3. September 2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof dahin geäußert, dass die Taliban „nicht selten" junge Männer zwangsrekrutiert hätten. In den drei Fällen, in denen ihm bekannte, nach Kabul abgeschobene oder als sog. Binnenflüchtlinge von Taliban „behelligte" Männer hätten zwangsrekrutiert werden sollen, hätten diese aber jeweils Gelegenheit gehabt, sich den befürchteten Zwangsmaßnahmen zu entziehen. Von der Tötung junger Männer durch Taliban im Zusammenhang mit geplanten Zwangsrekrutierungen in Kabul habe er nur gerüchteweise Kenntnis erlangt. Aus diesen Angaben lässt sich kein tragfähiger Erkenntnisgewinn ziehen. Sie sind vage und beruhen erkennbar nicht auf einer gesicherten Tatsachengrundlage.
95Andererseits ist der Umstand, dass weder der Sachverständige noch der UNHCR über weitergehende spezifische Informationen verfügen, als Hinweis darauf zu werten, dass es sich bei der Zwangsrekrutierung erwachsener Männer nicht um ein hervorstechendes Merkmal des in Afghanistan herrschenden Konflikts, sondern eher um ein Randphänomen handelt. Hierfür spricht auch der im Juli 2012 veröffentlichte Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office - EASO -), in dem die Rekrutierungsstrategien der Taliban unter Auswertung unterschiedlicher UN-, NGO-, Regierungs- und Medienquellen sowie Aussagen der Taliban beleuchtet werden. Aus deren Gesamtschau ergibt sich, dass Zwangsrekrutierungen durch die Taliban - entgegen dem Vorbringen des Klägers - in Afghanistan nicht an der Tagesordnung sind, sondern gegenwärtig allenfalls in Einzelfällen vorkommen. Für die Taliban besteht keine Notwendigkeit, auf diese Praxis zurückzugreifen, weil sie über eine ausreichende Zahl von Freiwilligen verfügen. Ursächlich hierfür sind einerseits die demographische Situation in Afghanistan, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung nicht älter als 19 Jahre ist und andererseits die wirtschaftliche und berufliche Perspektivlosigkeit, der junge Menschen dort ausgesetzt sind. Daneben werden die hohe Akzeptanz und der für die Taliban unverzichtbare Rückhalt in der lokalen Bevölkerung als Ursachen dafür genannt, weshalb es nur selten zu Zwangsrekrutierungen kommt. Soweit nach dem Bericht des EASO verschiedene Quellen von Zwangsrekrutierungen berichten, haben sich diese in Flüchtlingscamps bzw. in Regionen, die sich unter vollständiger Kontrolle der Taliban befunden haben, ereignet. Aus dem Bericht ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass es dazu häufig gekommen ist bzw. dass davon eine große Zahl von Personen betroffen war. In der Provinz Logar, in der der Kläger beheimatet ist, sind nach den Recherchen des EASO keine Fälle bekannt geworden, in denen bei der Rekrutierung Zwang oder Gewalt ausgeübt worden sind.
96Vgl. EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungsstrategien der Taliban, Juli 2012, S. 26 ff., 44.
97Überdies dürften Zwangsrekrutierungen mit Blick auf die vorhersehbar eingeschränkte Motivation und Zuverlässigkeit der Rekruten vielfach wenig zielführend sein. Dafür, dass die fehlende Dokumentation der Häufigkeit von Zwangsrekrutierungen Erwachsener gleichzeitig ein Indiz für die Seltenheit solcher Vorfälle ist, spricht außerdem, dass es entsprechende Erhebungen über die Zahl von Zwangsrekrutierungen bei Kindern gibt.
98Vgl. United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA), Annual Report 2013, Protection of civilians in armed conflict, S. 59; AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014 vom 31. März 2014, S. 12; ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Zwangsrekrutierung junger Afghanen durch die Taliban.
99Das verbleibende Restrisiko, als wehrfähiger Mann zwangsweise von einer Konfliktpartei - hier den Taliban - rekrutiert zu werden, ist insbesondere im Falle des Klägers als gering zu bewerten und begründet deswegen keinen seiner Person innewohnenden gefahrerhöhenden Umstand. Denn der Kläger gilt mit fast 34 Jahren - gemessen an afghanischen Verhältnissen - nicht mehr als junger Mann. Deswegen und aufgrund seiner tadschikischen Volkszugehörigkeit gehört er für die Taliban, die ihre Kämpfer in einer von Paschtunen dominierten Provinz wie Logar bevorzugt aus dem paschtunischen Teil der Bevölkerung rekrutieren dürften,
100vgl. zur Rekrutierung unterschiedlicher Ethnien EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungsstrategien der Taliban, Juli 2012, S. 37 f,
101für die Nachwuchsgewinnung wenig interessanten Personenkreis.
102Der Senat lehnt die in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisanträge zu Ziffern 6, 7, 9, 10, 11, 12 aus dem Schriftsatz vom 25. August 2014, die auf eine Beweiserhebung zum Umfang und zur Häufigkeit von Zwangsrekrutierungen in Afghanistan bzw. Logar durch Beiziehung weiterer Berichte und Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. Mostafa Danesch abzielen, ab. Die Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Gutachten und Auskünfte steht im Ermessen des Gerichts.
103Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juni 1999 - 9 B 81.99 -, juris, Rn. 13.
104Die Notwendigkeit der beantragten Beweiserhebung drängt sich nicht auf. Die dem Senat vorliegenden und dem Kläger mit der Ladung bekannt gemachten Erkenntnisse und die weiteren zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisse genügen zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage unter den verfahrensrelevanten Gesichtspunkten, insbesondere zu in Afghanistan stattfindenden Zwangsrekrutierungen. Von der u.a. beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Herrn Dr. Mostafa Danesch verspricht sich der Senat im Übrigen angesichts des Inhalts von dessen Stellungnahmen vom 30. April 2013 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht und vom 3. September 2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zu diesem Thema keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.
105Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang gleichzeitig dessen Vernehmung als sachverständiger Zeuge beantragt hat, braucht der Senat diesem Antrag nicht nachgehen, weil er unsubstantiiert ist.
106Vgl. zur Ablehnung von Beweisanträge wegen fehlender Substantiiertheit Lang, in: Sodann/Ziekow, 4. Auflage, § 98, Rn. 32 m.w.N.
107Die Beweiserhebung durch sachverständigen Zeugen richtet sich nach den Vorschriften über den Zeugenbeweis (§ 98 VwGO i. V. m. § 414 ZPO). Der sachverständige Zeuge ist danach (auch) ein Zeuge, der sein Wissen von bestimmten vergangenen Tatsachen oder Zuständen bekundet, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich war und die er nur kraft dieser besonderen Sachkunde ohne Zusammenhang mit einem gerichtlichen Gutachtensauftrag wahrgenommen hat.
108Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 -, juris, Rn.15.
109Ein zulässiger Antrag auf Vernehmung eines sachverständigen Zeugen setzt einerseits die Darlegung von dessen besonderer Sachkunde sowie derjenigen Tatsachen voraus, die er kraft dieser Sachkunde wahrgenommen haben soll.
110Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 - 9 B 519.99 -, juris, Rn. 11,18.
111Daran fehlt es hier. Der Kläger hat weder dargelegt, worin die besondere Sachkunde von Dr. Mostafa Danesch in Bezug auf das Beweisthema konkret besteht, noch, welche eigenen Wahrnehmungen dieser zu Zwangsrekrutierungen in Afghanistan bzw. Logar oder im Hinblick die behauptete Rekrutierungspraxis der Taliban gemacht hat. Aus den dem Senat vorliegenden Gutachten von Dr. Mostafa Danesch geht im Übrigen hervor, dass dieser hierzu jedenfalls nicht in der empirischen Ausdehnung, wie sie durch die Beweisanträge vorgegeben ist, über eigene Wahrnehmungen verfügt.
112Eine von der Einschätzung einer allenfalls geringfügigen Zwangsrekrutierungsgefahr abweichende Risikobewertung für den Kläger ergibt sich auch nicht aus den von ihm geschilderten Vorfluchtereignissen. Das Vorbringen zu seinem Verfolgungsschicksal, das in erster Linie darauf abzielt, zu vermitteln, dass er in besonderer Weise ins Visier in Logar ansässiger Taliban geraten ist, ist unglaubhaft. Die Angaben, die er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt dazu gemacht hat, sind in hohem Maße detailarm und unplausibel und können von daher nicht als erlebnisbasiert bewertet werden. Nichts anderes gilt für die Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. In ihrer Zusammenschau ergeben sämtliche seiner Angaben das Bild eines nur fragmentarischen Berichts, der keinen ausreichenden Bezug zu einem realen Geschehen zulässt. Hinzu kommen zahlreiche Widersprüche, Unstimmigkeiten und Auffälligkeiten im Aussageverhalten des Klägers, die dafür sprechen, dass er sein Verfolgungsschicksal frei erfunden hat.
113Das gilt zunächst mit Bezug auf die Hintergründe und Umstände seiner angeblichen Entführung durch seinen Onkel. Hierzu hat der Kläger beim Bundesamt zunächst angegeben, seine Tante, die ihn großgezogen habe, habe zu Lebzeiten Übergriffe des Onkels, der ihr jüngerer Bruder gewesen sei, verhindern können. In diesem Zusammenhang hat der Kläger sinngemäß beantragt, Beweis über die mitunter starke Position afghanischer Frauen innerhalb der Familie zu erheben. Unvereinbar damit hat er bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, sein Onkel habe ihn und seinen Bruder zunächst nicht mitnehmen können, weil beide der altersbedingt kranken Tante hätten helfen müssen. Dass diese sich dem Bemühen des Onkels, den Kläger und seinen Bruder für die Taliban zu gewinnen, aktiv entgegen gesetzt habe, hat er demgegenüber mit keinem Wort erwähnt.
114Im Zusammenhang mit seiner angeblich anschließenden Entführung ist der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt - obgleich es sich dabei um ein besonders einschneidendes und von daher einprägsames Ereignis gehandelt haben dürfte – auf keinerlei situationstypische Details eingegangen. Seine Schilderungen beschränken sich im Wesentlichen darauf, dass sein Onkel ihn und seinen Bruder nach dem Tod der Tante mit Gewalt mitgenommen habe, sie in den folgenden zwei Monaten bei den Taliban geblieben seien und dort Gewalt geherrscht habe. Dabei bleiben sämtliche die Situation prägenden Begleitumstände offen. So ist beispielsweise unklar geblieben, wie sich die Entführungssituation konkret abgespielt hat. Der Kläger hat auch nicht erwähnt, wohin sein Bruder und er von den Taliban verbracht worden sind, wie sie dort gelebt und mit was sie sich während ihres zweimonatigen Aufenthalts bei den Taliban beschäftigt haben.
115In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger aufgefordert worden, seine Erlebnisse im Zusammenhang mit der vermeintlichen Entführung möglichst detailliert zu schildern. Dabei ist es ihm nicht gelungen, das mit seinen bisherigen Schilderungen nur rudimentär skizzierte Handlungsgerüst anzureichern. Er war nicht nur nicht in der Lage, die Entführungssituation anschaulich im Zusammenhang darzustellen, sondern hat auch auf gezielte Nachfrage zu Einzelaspekten nahezu keine Details preisgegeben. Seine Darstellung dieses Handlungsabschnitts beschränkte sich trotz mehrfacher Nachfrage und ausreichender Gelegenheit zur Stellungnahme darauf, dass sein Onkel eine Woche nach dem Tod seiner Tante bewaffnet und mit einer Gruppe Taliban gekommen sei und ihn und seinen Bruder mitgenommen habe.
116Ebenso einsilbig und detailarm waren die Ausführungen des Klägers zu seinem Aufenthalt bei den Taliban. Erst auf Nachfrage, wie er und sein Bruder die Zeit dort verbracht hätten, hat er - erneut ohne dabei auf irgendwelche Einzelheiten dazu einzugehen - erklärt, sie seien an der Waffe ausgebildet worden. Sein Hinweis darauf, dass an diesem Ort Menschen getötet und Kinder zu Selbstmordattentätern gemacht worden seien, fügte sich demgegenüber nicht nahtlos in den Kontext seiner übrigen Schilderungen ein und war angesichts fehlender Begleitinformationen, insbesondere zum Aufenthaltsort, auch nicht zuzuordnen. Der Senat betrachtet es - auch angesichts der gleichbleibenden Stimmungslage des Klägers - als näherliegend, dass er das Geschilderte nicht erlebt, sondern erfunden hat, um die Situation aus asyltaktischen Gründen besonderes dramatisch erscheinen zu lassen. Ein vergleichbares Aussageverhalten hat der Kläger gezeigt, als er nach Abschluss seiner Befragung - ebenfalls außerhalb des Kontextes und ohne erkennbare Veranlassung - auf Narben in seinem Gesicht und an seinem rechten Bein hingewiesen hat, die von Schlägen mit einem Gewehrkolben bzw. nach kurz darauf korrigierter Darstellung von Bajonettstichen während der Zeit seiner Gefangenschaft herrühren sollen. Abgesehen davon, dass dieses Vorbringen gegenüber seiner Aussage vor dem Bundesamt gesteigert und schon deswegen unglaubhaft ist, zielt es ebenfalls darauf ab, durch Hervorhebung besonderer Brutalität Aufmerksamkeit zu erregen, um so von der Detailarmut und Widersprüchlichkeit des restlichen Vorbringens abzulenken.
117Letztere spiegelt sich auch in der Schilderung des Klägers zu seinem angeblichen Verrat an den Taliban wieder. Während er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch erklärt hatte, er selbst habe mit seinem Mobiltelefon die Polizei angerufen, hat er bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, sein Bruder habe in seiner Gegenwart die Polizei verständigt. Sofern er diese Angabe an anderer Stelle erneut modifiziert hat, liegt darin ein weiteres Indiz für ihre fehlende Glaubhaftigkeit. Das gilt auch bezogen auf die Angaben des Klägers zur Hinrichtung seines Bruders. Diese hat er beim Bundesamt und bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eher beiläufig erwähnt, während er die Schilderung jeglicher Details zu den Begleitumständen oder seiner eigenen emotionalen Verfassung unter Hinweis darauf, diese nicht schildern zu können, vermieden hat. Im Kontext seines weiteren Aussageverhaltens wertet der Senat dies - zumal es in seinem Fall für den Befund einer Traumatisierung weder substantiierten Vortrag noch greifbaren Anhalt gibt - als Hinweis darauf, dass die Schilderungen des Klägers, der unverständlicherweise die Erinnerung an das Geburtsdatum seines Bruders verloren hat, auch insoweit nicht der Wahrheit entsprechen. Zwar hat sich der Kläger bei Erwähnung der Hinrichtung seines Bruders für einen kurzen Moment die Augen gerieben. Dies konnte aber angesichts seiner darauf innerhalb kürzester Zeit wieder völlig unverändert und gleichmütig wirkenden Stimmungslage nicht als Geste authentischer Ergriffenheit gewertet werden.
118Dem Kläger ist es zudem nicht gelungen, seine emotionale Verfassung während seiner Zeit bei den Taliban nachvollziehbar darzulegen. Bezeichnenderweise hat er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt auf die Frage, wie sich die Zeit im Gewahrsam für ihn angefühlt habe, kein Gefühl, sondern eine Erwartung benannt. Angesichts der Einprägsamkeit der geschilderten Situation gibt es für einen derartigen emotionalen Gedächnisverlust keine plausible Erklärung. Vielmehr dürfte die Situation plötzlichen Eingesperrtseins heftige Angstgefühle oder Fluchtreflexe auslösen, die auch nach längerer Zeit zumindest kognitiv noch reproduzierbar sind. Deren Ausprägung mag zwar je nach Persönlichkeitsstruktur unterschiedlich sein, ihr Fehlen ist aber angesichts der vom Kläger geschilderten besonderen Bedrohungssituation nicht nachzuempfinden und spricht deshalb dafür, dass seine Schilderungen nicht zutreffen. Ein weiteres Indiz dafür ist seine ebenfalls spärliche Erinnerung an die tatsächlichen Umstände des Gewahrsams. Hierzu hat er lediglich erklärt, er habe Hunger gehabt und sei auch geschlagen worden. Ein derartiges Abflachen des Erinnerungsniveaus ist weder mit dem Bildungsstand des Klägers noch anders als damit zu erklären, dass er auch insoweit gelogen hat. Hierzu passt, dass er in der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht mehr auf diesen Gesichtspunkt eingegangen ist.
119Unabhängig davon ist seine Aussage unter zahlreichen weiteren Aspekten nicht stimmig und lebensfremd. Seine angebliche Flucht aus der Gefangenschaft der Taliban und das Gelingen seiner anschließenden Ausreise aus Afghanistan beruhen auf einer höchst unwahrscheinlichen Häufung und Verkettung von Zufällen, die zudem jeweils genau zum passenden Zeitpunkt eingetreten sind. Diese Aneinanderreihung von Zufällen nimmt ihren Lauf mit der angeblichen Freundschaft zu seinem Wächter. Dass dieser Wächter dem Kläger - ungeachtet der damit für ihn selbst verbundenen Gefahren - zur Flucht verholfen haben soll, ist realitätsfern. Weder die angebliche Freundschaft, zu deren Entstehung und Tiefe die Angaben des Klägers noch nicht einmal Rückschlüsse zulassen, noch die erwähnte Gegenleistung sind ein nachvollziehbares Motiv dafür, dass der Wärter sich den mit der Freilassung des Klägers einhergehenden, im Zweifel für ihn selbst lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt haben soll.
120Dass es dem Kläger unmittelbar im Anschluss an seine Flucht - nach seinen Angaben beim Bundesamt praktisch über Nacht und nach denen in der mündlichen Verhandlung innerhalb von zwei Tagen - gelungen ist, unentdeckt von seinem Onkel, verwandte oder befreundete Käufer zu finden, die ihm für die Übertragung eines Bruchteils seines Landstücks ohne zeitliche Verzögerung passend die für die Ausreise erforderliche Summe von 9.000 Dollar zur Verfügung gestellt haben sollen, überschreitet ebenfalls ein Maß an zufälligen Fügungen, das der Senat noch zu glauben bereit ist.
121Da der Vortrag des Klägers danach in wesentlichen Punkten unzutreffend und in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich ist, lehnt der Senat seine hilfsweise gestellten Beweisanträge zu Ziffern 1 bis 5 aus dem Schriftsatz vom 25. August 2014 ab.
122Vgl. zur Möglichkeit der Ablehnung von Beweisanträgen aus diesem Grund BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1994 - 2 BvR 1183/92 -, juris, Rn. 18; BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 1998 - 9 B 10.98 -, juris, Rn. 6.
123Es besteht auch kein durch die Erkenntnislage begründeter Anhalt oder substantiierter Vortrag dafür, dass sich die tadschikische Volkszugehörigkeit des Klägers gefahrerhöhend auswirkt. In der Provinz Logar leben mehrheitlich Paschtunen (60 %) und Tadschiken sowie eine kleine Minderheit schiitischer Hazara.
124vgl. Dr. Mostafa Danesch, Stellungnahme vom 7. Oktober 2010 an den Hess.VGH zur Situation in der Provinz Logar, S. 4.
125Wenngleich die Paschtunen dieses Gebiet traditionell dominiert haben, ist nichts dafür bekannt, dass Tadschiken dort häufiger als andere Volksgruppen Opfer von sicherheitsrelevanten Vorfällen werden, die in Zusammenhang mit konfliktbedingten Kampfhandlungen oder Attentaten stehen. Hierzu passt, dass es nach dem Sturz der Taliban nur noch sehr wenige Fälle ethnisch motivierter Gewalt gab.
126Vgl. Congressional Research Service, Afghanistan: Politics, Elections and Government Performance, vom 28. Juli 2014, S. 2.
127Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe - Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage - vom 30. September 2013 enthält eine umfangreiche Auflistung der speziell durch staatliche, nicht staatliche und internationale Akteure gefährdeten Personengruppen (S. 15 ff.). Der Kläger gehört keiner dieser Personengruppen an.
128Ebenso wenig besteht in Logar eine exponierte allgemeine Gefahrenlage, die durch ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des EuGH gekennzeichnet ist. Dies ergibt sich im Einzelnen aus der Auswertung folgender Erkenntnisse:
129Logar ist eine der 34 Provinzen im östlichen Teil Afghanistans, deren Hauptstadt Pul-i-Alam ist. Logar grenzt südlich an die Provinz Kabul, ist zudem den Provinzen Nangarhar, Paktia, Kabul, Wardak und Ghazni benachbart und verfügt im Osten über eine schmale Grenze zu Pakistan. Die Provinz umfasst ein Gebiet von knapp 4.000 Quadratkilometern. Die Einwohnerzahl liegt aktuellen Schätzungen der Zentralen Organisation für Statistik der Islamischen Republik Afghanistan zufolge bei 379.400.
130Vgl. Central Statistics Organization, Afghanistan Statistical Yearbook 2013/2014, S. 3 und 5 f.,
131abrufbar unter http://cso.gov.af/en.
132Logar ist in sieben Bezirke unterteilt. Der Bezirk Baraki Barak, dem der Kläger entstammt, liegt angrenzend an Wardak im Westen der Provinz. Dort leben variierenden Schätzungen zufolge ungefähr 85.200 Menschen.
133Vgl. Ministry of Rural Rehabilitation and Development (MRRD), National Area Based Development, Logar Provincial Profile, abrufbar unter: "Logar Provincial Profile". MRRD. 2013-07-27. Retrieved 2013-08-17.
134Logar gilt als Einfallstor aufständischer Oppositioneller in die Hauptstadt Kabul.
135Vgl. FAZ vom 15. Oktober 2013 „Gouverneur von Logar getötet“; Dr. Mostafa Danesch, Stellungnahme vom 7. Oktober 2010 an den Hess.VGH zur Situation in der Provinz Logar, S. 4.
136Seit etwa 2008 liegt die Provinz im Wesentlichen in den Händen der Taliban und der Hezb-e-Islami, deren Anführer Gulbuddin Hekmatyar ist und die ungeachtet gelegentlicher Konfrontationen mit den Taliban ideologisch und politisch verbunden sind. Auch das von Jalaluddin Haqqani gegründete Haqqani-Netzwerk, von dem davon ausgegangen wird, das es al-Quaida näher steht, hat großen Einfluss in der Provinz. Bedingt durch diese Machtverteilung wurden in der Vergangenheit in Logar weniger Anschläge durch oppositionelle Gruppierungen verübt, als in den südlichen und östlichen Grenzprovinzen.
137Vgl. Auskunft von Amnesty International vom 20. Dezember 2010 an den Hess.VGH, S. 2; mit Hintergrundinformationen zu den einzelnen Gruppierungen, ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation:ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, letzte Aktualisierung 24. Juli 2014
138http://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm.
139Den genannten extremistischen regierungsfeindlichen Gruppierungen dient die Provinz als strategisches Aufmarschgebiet, von dem aus sie ihre Anschläge auf bedeutsame Ziele in Kabul vorbereiten und starten. Den Feststellungen des Gutachters Dr. Mostafa Danesch vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zufolge fanden zu dieser Zeit in Logar täglich Partisanenkämpfe der Taliban gegen die afghanische Armee und die NATO-Truppen statt, die umgekehrt massiv die Stellungen der Taliban angriffen (S. 5). Aktuellere Erkenntnisse sprechen nicht dafür, dass sich diese Situation in der Zwischenzeit grundlegend verbessert bzw. beruhigt hat. Nach den Feststellungen der Organisation Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) haben sich die südliche, die südöstliche und die östliche Region zunehmend zu einem zusammenhängenden Kampfgebiet entwickelt.
140Vgl. ANSO, Quaterly Data Report, Q. 2 2012, S. 1.
141In den Fortschrittsberichten der Bundesregierung für Afghanistan ist seit Dezember 2011 fortlaufend eine erhebliche Bedrohungslage für Logar ausgewiesen.
142Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages (im Folgenden: Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht), jeweils Stand: Dezember 2011, Juni 2012, November 2012, Januar 2014 (S. 9) und zuletzt Juni 2014 (S. 17).
143Im aktuellsten Bericht wird dies - wie bereits in dem vorangegangenen Bericht -dahingehend ausgeführt, dass in den ländlichen - vorwiegend paschtunisch geprägten - Gebieten im Osten und Süden eine „überwiegend nicht“ oder in einigen wenigen Distrikten sogar eine „nicht kontrollierbare“ Sicherheitslage herrsche (S. 16). An der in dem Bericht ebenfalls enthaltenen graphischen Darstellung anhand einer Karte des Staatsgebiets von Afghanistan (S. 17), auf der die regionale Bedrohungslage nach den jedenfalls nicht grundlegend davon abweichenden Einstufungen der NATO unterschiedlich farblich markiert ist, wird deutlich, dass letzteres nicht die Provinz Logar, sondern die Provinzen Kunar, Khowat sowie Teile der Provinzen Ghazni, Paktika und Paktia betrifft.
144Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang eingewendet hat, die in den Berichten der Bundesregierung ausgewiesenen Zahlen sicherheitsrelevanter Zwischenfälle seien fehlerhaft und nachträglich um 10 % nach oben korrigiert worden, trifft dieser Einwand zu, greift aber nicht durch. Denn die getroffene Bewertung der Sicherheitslage berücksichtigt diesen Aspekt. Die Bundesregierung hat in ihrem Fortschrittsbericht von Juni 2013 auf das Erfordernis nachträglicher Korrekturen der statistisch erfassten sicherheitsrelevanten Zwischenfälle hingewiesen. Da deren Erfassung mittlerweise durch die ANSF erfolge, könne sie nicht auf Verlässlichkeit überprüft werden. Infolgedessen bestehe eine nur eingeschränkte Verifizierbarkeit und Verlässlichkeit, was dazu führe, dass diesem Zahlenwert bei der Bewertung der Sicherheitslage nur geringe Aussagekraft beigemessen werde.
145Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsberichte Juni 2013, S. 7 f.; Januar 2014, S. 9; Juni 2014, S. 16.
146Das kommt auch in der der vorgenommenen Kategorisierung der Sicherheitslage zugrunde liegende Bewertungsmethodik zum Ausdruck. Diese orientiert sich an einer Reihe von quantitativen und qualitativen Indikatoren. Hierzu wurden für eine variable Bewertungsmatrix drei Kategorien (Bedrohung, Schutz und Perzeption der Sicherheitslage) festgelegt und zusätzlich mehrere nachgeordnete Einflüsse definiert (politische Institutionen, Sozioökonomie oder externe Einflüsse), die je nach Verfügbarkeit der Erkenntnisse und Ausprägung der Wirkung auf die Sicherheitslage berücksichtigt worden sind. Als „überwiegend nicht kontrollierbar“ - wie für Logar festgestellt - gilt die Sicherheitslage eines Raumes nach diesen Bewertungsmaßstäben dann, wenn bestehende Bedrohungen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungs- und Handlungsfreiheit der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und der Vertreter der internationalen Gemeinschaft darstellen, kurzfristig keine Verbesserung der Sicherheitslage zu erwarten ist und die Autorität der afghanischen Verwaltungs- und Regierungsstrukturen in Frage steht.
147Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Juni 2014, Anhang, S. 28.
148Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Organisation ANSO die Sicherheitslage in Logar nicht gleichermaßen prekär einzuschätzen scheint. In ihrem Bericht für das erste Quartal 2013 ordnet sie Logar bezogen auf die dortige Sicherheitslage (nur) der mittleren von insgesamt fünf Kategorien zu, deren Bezeichnung „moderately insecure“ lautet.
149Vgl. ANSO, Quaterly Data Report, Q. 1 2013 vom 30. April 2013, S. 11.
150Diese Bewertung steht unter anderem in Verbindung mit der in diesem Bericht für die einzelnen Provinzen Afghanistans für das jeweils erste Quartal der Jahre 2011 bis 2013 aufgeführten Dichte von Vorfällen, an denen bewaffnete oppositionelle Gruppierungen beteiligt waren. Danach haben sich derartige Vorfälle in Logar in diesem Zeitraum um 25 % reduziert. Logar gehörte damit zu den insgesamt acht Provinzen, in denen Vorfälle dieser Art abgenommen haben, während die Vorfallsdichte in sechs weiteren Provinzen weitgehend gleichbleibend war und in den verbleibenden zwanzig Provinzen - zum Teil erheblich - angestiegen ist. Nach einem Bericht des Institute for the Study of War (ISW) gelten innerhalb Logars der Hauptstadtbezirk Pul-i-Alam als der Unruhigste und die Bezirke Kharwar und Muhammad Agha ebenfalls als problematisch. Der Bezirk Baraki Barak, dem der Kläger entstammt, ist dort nicht aufgeführt.
151Vgl. ISW, Regional Command East, Overview, Province Logar, abrufbar unter: https://www.understandingwar.org/region/regional-command-east.
152Das quantitative Kernkriterium für die zu treffende Gefahrenprognose ist die in der maßgebenden Region - hier Logar - zu verzeichnende Zahl ziviler Opfer. Diese dokumentiert die Politische Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan UNAMA (United Nations Assistence Mission in Afghanistan), die hierzu im Auftrag des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in halbjährlichem Turnus aktualisierte Berichte erstellt. Dabei ist die Methodik, der Ermittlung und Auswertung folgen, zu Beginn der jeweiligen Berichte beschrieben. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.
153Vgl. UNAMA, Afghanistan, Midyear Report 2014, Protection of Civilians in Armed Conflict vom 1. Juli 2014, S. 1.
154Aus einer Zusammenschau des Jahresberichts für das Jahr 2013 und des aktuellen Zwischenberichts von Juli 2014 ergibt sich, dass im Zeitraum von Januar 2009 bis Juni 2014 im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan 42.024 Zivilisten konfliktbedingt zu Schaden gekommen sind, von denen 15.628 getötet und 26.396 verletzt worden sind. Davon entfallen 1.564 getötete und 3.289 verletzte zivile Opfer auf den Zeitraum zwischen Januar 2014 und Juni 2014. Weder die Berichte von UNAMA noch die übrigen dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen enthalten eine weitere (vollständige) Aufschlüsselung nach Provinzen. Deren statistische Aussagekraft wäre auch fragwürdig. Denn Vieles spricht dafür, dass die damit einhergehende Maßstabsverkleinerung nicht auf eine Präzisierung, sondern - jedenfalls im Kontext einer längeren zeitlichen Entwicklung betrachtet - auf eine Verzerrung der abgebildeten Realität hinauslaufen würde. Aus diesem Grund bedarf es auch insoweit keiner weiteren Sachverhaltsermittlung.
155Ungeachtet dessen steht das Fehlen einer derartigen Aufschlüsselung der Bewertung, dass der Kläger bei Rückkehr nach Logar als Zivilperson keiner aus einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt resultierenden besonders exponierten Gefahrensituation ausgesetzt sein würde, nicht entgegen. Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel erlauben eine - wenngleich nicht mathematisch genaue - annähernde Zuordnung der von UNAMA ermittelten Opferzahlen für die Provinz Logar, die jedenfalls die Feststellung trägt, dass das dortige Niveau willkürlicher Gewalt für den Kläger keine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG, Art. 15 lit. c QRL II begründet.
156Hierfür sind folgende Überlegungen maßgebend: Dem aktuellsten Fortschrittsbericht der Bundesregierung zufolge, dessen Ergebnis insoweit im Wesentlichen den vorangehenden Berichten entspricht, ist die Sicherheitslage in weiteren 13 der insgesamt 34 afghanischen Provinzen vergleichbar mit der in der Provinz Logar bzw. brisanter als dort. Dies sind die Provinz Farah mit 490.600 Einwohnern, die Provinz Ghazni mit 1.188.600 Einwohnern, die Provinz Helmand mit 894.200 Einwohnern, die Provinz Kandahar mit 1.175.800 Einwohnern, die Provinz Khost mit 556.000 Einwohnern, die Provinz Kunar mit 436.000 Einwohnern, die Provinz Laghman mit 431.200 Einwohnern, die Provinz Nangarhar mit 1.462.600 Einwohnern, die Provinz Nuristan mit 143.200 Einwohnern, die Provinz Paktia mit 534.000 Einwohnern, die Provinz Paktika mit 420.700 Einwohnern, die Provinz Uruzgan mit 374.100 und die Provinz Zabul mit 294.100 Einwohnern. Diese Zahlen sind dem Jahrbuch 2013/2014 der Zentralen Organisation für Statistik der Islamischen Republik Afghanistan entnommen.
157Vgl. Central Statistics Organization, Afghanistan Statistical Yearbook 2013-2014, S. 3 und 5 f.
158abrufbar unter http://cso.gov.af/en.
159Sie beruhen, da die letzte Volkszählung in Afghanistan im Jahr 1979 stattgefunden hat, auf Schätzungen, denen die Annahme eines jährlichen Bevölkerungswachstums von 2,03 % seit 1979 zugrunde liegt.
160Vgl. National Risk and Vulnerability Assessment 2011-2012, Afghanistan Living Conditions Survey, S. 8.
161Insgesamt leben in den aufgeführten dreizehn Provinzen danach rund 8,4 Millionen Menschen. Ausgehend von der entsprechenden Übersicht in dem letzten Bericht von ANSO ist darüber hinaus für die Provinzen Badghis (479.800 Einwohner), Faryab (964.600 Einwohner), Herat (1.816.100 Einwohner), Kunduz (972.200 Einwohner), Nimroz (159.300 Einwohner) und Wardak (577.100 Einwohner) und von einer Sicherheitslage auszugehen, die der in Logar entspricht. Diese Provinzen hinzugerechnet, ergibt sich eine Einwohnerzahl von rund 13,4 Millionen.
162Vgl. ANSO, Quaterly Data Report, Q. 1 2013, S. 11.
163Selbst dann, wenn man die zuletzt genannten Provinzen vollständig außer Betracht lässt und die Einwohnerzahl von Logar (379.400) nur ins Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl der zuerst genannten 13 Provinzen setzt, die sich zuzüglich der Einwohner von Logar auf 8.780.500 beläuft, macht der auf Logar entfallende Anteil ziviler Opfer rund 4,3 % aus. Angesichts der vergleichbaren, zum Teil sogar problematischeren Sicherheitslage in jenen Provinzen bildet dieser Anteil einen Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Anzahl der zivilen Opfer in Logar. Hervorzuheben ist, dass dieser Berechnung, deren Ergebnis die tatsächliche Situation nur annähernd im Sinne einer Eingrenzung wiedergibt, die für den Kläger günstigste Betrachtungsweise zugrunde liegt. Denn dabei wird unterstellt, dass sich die Zahl der zivilen Opfer ausschließlich auf 14 Provinzen Afghanistans verteilt, in denen lediglich gut 1/4 der Gesamtbevölkerung beheimatet ist. Dass der Anteil ziviler Opfer für Logar mit 4,3 % tatsächlich zu hoch liegen dürfte, ergibt sich daneben aus der Verteilung der von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen verursachten Vorfälle. Diese ist zwar nicht deckungsgleich mit der Verteilung der zivilen Opfer. Wegen der jedenfalls in Teilbereichen bestehenden Korrelation lässt sie aber zumindest gewisse Rückschlüsse darauf zu. Den Ermittlungen von ANSO zufolge haben sich im jeweils ersten Quartal der Jahre 2011, 2012 und 2013 in ganz Afghanistan 6.886 Vorfälle dieser Art ereignet. Davon entfallen nur 58 Vorfälle und damit ein die angenommene Opferquote von 4,3 % deutlich unterschreitender Bruchteil von 0,84 % auf die Provinz Logar. Andererseits ist dieser Aufstellung zu entnehmen, dass diejenigen Provinzen, die dem aktuellsten Update-Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe für Afghanistan zufolge am meisten umkämpft waren, nämlich Kandahar, Nangarhar, Helmand, Khost, Kunar und Ghazni durchgehend die höchste Vorfallsdichte aufgewiesen haben.
164Vgl. ANSO, Quaterly Data Report Q. 1 2013, S. 10; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage vom 30. September 2013, S. 10.
165Daran wird deutlich, dass der ermittelte Anteil von 4,3 % den tatsächlichen Gefährdungsquotienten zwar nur annäherungsweise wiederspiegeln mag, jedoch angesichts der zugunsten des Klägers einbezogenen Sicherheitsüberlegungen zumindest nicht darüber hinausgeht.
166Bezogen auf die von UNAMA für den Zeitraum von Januar 2009 bis Juni 2014 ermittelte Gesamtzahl von 42.024 Toten und Verletzten zivilen Opfer ergibt sich für Logar - bei Annahme dieses Anteils - die Zahl von 1.807 getöteten und verwundeten Zivilisten. Selbst wenn man diese Zahl zur angemessenen Berücksichtigung der insoweit hohen Dunkelziffer mit drei multipliziert,
167so Auskunft Dr. Mostafa Danesch an den Hess. VGH vom 3. September 2013, S. 11,
168ergibt sich daraus, in Bezug zur Einwohnerzahl von Logar (379.400) gesetzt, für einen Zeitraum von einem Jahr lediglich eine Opferquote von 0,26 % (1807: 5,5 Jahre x 3 x 100 : 379.400) bzw. von 0,33 % (4853 x 2 = 9706; davon 4,3 % entspricht 417; 417 x 3 x 100 : 379.400), wenn man isoliert die Opferzahlen für Afghanistan aus dem Jahr 2014 hochrechnet.
169Vgl. dazu Hess.VGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - 8 A 119/12.A -, juris, Rn. 40, 43 und VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26. Februar 2014 - A 11 S 2519/12 -, juris, wo für die Berechnungen im Ausgangspunkt ebenfalls von einem Jahreszeitraum ausgegangen wird.
170Beides sind bereits für sich genommen zu geringe Werte, um für den Kläger, bei dem keine gefahrerhöhenden persönlichen Merkmale vorliegen, ausnahmsweise die Individualisierung einer allgemeinen konfliktbedingten Gefahr annehmen zu können. Hinzu kommt, dass dieser Prozentsatz - neben den bereits genannten Aspekten - noch aus anderen Gründen nach unten zu korrigieren ist. Die von UNAMA ermittelte Gesamtzahl der zivilen Opfer dürfte zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen betroffen haben. Das liegt für den von UNAMA mit 9 % ermittelten Anteil gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Organisationen nahe. Hinzu kommen dürfte ein nicht näher quantifizierbarer Anteil der durch Selbstmordattentate, komplexe Angriffe und provisorische Sprengsätze hervorgerufenen Opfer, die im Zeitraum von Januar bis Juni 2014 insgesamt einen Anteil von 42 % ausgemacht haben.
171Vgl. UNAMA, Afghanistan, Midyear Report 2014, Protection of Civilians in Armed Conflict vom 1. Juli 2014, S. 6.
172Dies hängt damit zusammen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach - bedingt durch die strategische Auswahl der Anschlagsziele - bestimmte Berufsgruppen, wie z.B. die Mitarbeiter staatlicher Organisationen, in besonderer Weise betroffen waren. Dass die deswegen vorzunehmende Korrektur auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse nicht exakt bezifferbar ist, ist angesichts des Umstandes, dass der ermittelte Gefährdungswert schon als solcher nicht ausreicht, um eine individuelle Bedrohung zu begründen, nicht entscheidend.
173Dieser Bewertung stehen auch nicht bereits gegenwärtig absehbare zukünftige Entwicklungen entgegen. Der Umstand, dass die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2013 und in der ersten Hälfte des Jahres 2014 im Vergleich zum Jahr 2012 gestiegen ist, ist angesichts der Kürze dieses Zeitraums und vergleichbar hoher Opferzahlen im Jahr 2011 (noch) kein aussagekräftiges Indiz für eine Fortentwicklung des Anstiegs der Opferzahlen. Ebenso wenig kann diese Prognose anhand der diesem Anstieg zugrunde liegenden Ursachen getroffen werden. Diese liegen einerseits in der vermehrten Nutzung provisorischer Brand- und Sprengvorrichtungen (sogenannte IEDs) und ergeben sich andererseits daraus, dass eine größere Zahl von Zivilsten den Folgen von Bodengefechten zum Opfer gefallen ist. Insgesamt sind auf diese beiden Ursachen nach den Feststellungen von UNAMA im Zeitraum von Januar 2014 bis Juni 2014 69 % der zivilen Opfer zurückzuführen.
174Vgl. UNAMA, Afghanistan Midyear Report 2014, Protection of Civilians in Armed Conflict vom 1. Juli 2014, S. 6.
175In diesem Zusammenhang hat UNAMA darauf hingewiesen, dass der Anstieg
176der zivilen Opfer durch Kreuzfeuer und Bodengefechte einer veränderten Dynamik des Konflikts geschuldet sei, in dem nun Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und den Afghan National Security Forces (ANSF) vermehrt in Wohngebieten stattfänden. Als Ursache hierfür vermutet UNAMA die Schließung von 86 ISAF-Militärstützpunkten in der zweiten Hälfte des Jahres 2013. Für die erste Jahreshälfte 2014 ergebe sich daraus ein direkter Zusammenhang zum Anstieg der zivilen Opfer, insbesondere zu solchen, die bei Bodengefechten zu Schaden gekommen seien. In der Vergangenheit hätte die Präsenz der ISAF-Truppen regierungsfeindliche Gruppierungen häufig davon abgehalten, in dichter besiedelte Gebiete vorzudringen. Dieser Zusammenhang ist zwar plausibel, er erlaubt aber keine auch nur annähernd zuverlässige Prognose dahin, wie sich die Zahl der zivilen Opfer zukünftig nach Beendigung des ISAF-Einsatzes Ende des Jahres 2014 entwickeln wird. Insbesondere besteht gegenwärtig keine tragfähige Tatsachengrundlage für die Prognose, dass die Anzahl der zivilen Opfer in der hier maßgebenden Region in einem Umfang ansteigen könnte, der - unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen - für jede Zivilperson zu einer Individualisierung der allgemeinen konfliktbedingten Gefahrenlage führen würde. Zwar ist mit dem Ende des ISAF-Einsatzes die Gefahr des Erstarkens regierungsfeindlicher extremistischer Gruppierungen und einer damit einhergehenden Ausweitung der Kampfhandlungen verbunden. Es ist aber weder sicher noch überwiegend wahrscheinlich, sondern offen, ob und vor allem in welcher Form und in welchem Umfang sich diese Gefahr realisieren wird. Das gilt insbesondere angesichts der zugesagten Finanzierungshilfen zur Unterstützung der Funktionsfähigkeit der ANSF und der ins Auge gefassten ISAF-Folgemission „Resolute Support Mission“ mit einem personellen Gesamtumfang von 8.000 bis 12.000 Soldaten, deren Aufgabe schwerpunktmäßig in der Ausbildung, Beratung und Unterstützung der ANSF liegen soll.
177Vgl. dazu im Einzelnen: Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Juni 2014, S. 18 f.
178Ein sprunghafter Anstieg der Opferzahlen aufgrund des gesteigerten Einsatzes von improvisierten Spreng- und Brandvorrichtungen ist derzeit ebenfalls nicht absehbar. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zudem, dass von Anschlägen dieser Art in besonderem Maße die südlichen und südöstlichen Provinzen Afghanistans betroffen waren und weniger die Region, der der Kläger entstammt.
179Vgl. UNAMA, Afghanistan, Midyear Report 2014, Protection of Civilians in Armed Conflict, vom 1. Juli 2014, S. 14.
180Hinzu kommt, dass der Anstieg der zivilen Opfer zuletzt auch auf eine vermehrte Betroffenheit von Frauen und Kindern - und damit einer Risikogruppe, der der Kläger nicht angehört - zurückgeht.
181Vgl. UNAMA, Afghanistan, Midyear Report 2014, Protection of Civilians in Armed Conflict, vom 1. Juli 2014, S. 3; ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, letzte Aktualisierung 24. Juli 2014 http://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm.
182Daneben geben weder die medizinische Versorgungslage in Logar noch Binnenflüchtlingsbewegungen Veranlassung zu einer anderen Bewertung. Die medizinische Versorgung in Afghanistan hat sich in den letzten zehn Jahren, insbesondere im Bereich der Grundversorgung, erheblich verbessert, fällt jedoch im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Lebenserwartung in Afghanistan um 18 Jahre angestiegen. Defizite in der medizinischen Versorgung ergeben sich trotz der erkennbaren und erheblichen Verbesserungen landesweit weiterhin aus der unzureichenden Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber dem Mangel an Ärzten und gut qualifiziertem Personal (insbesondere Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine Person qualifizierten medizinischen Personals gegenüber. Die regionalen Unterschiede sind auch hier erheblich, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen.
183Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, vom 31. März 2014, S. 20 f.; umfassend zu den Entwicklungen des Gesundheitssystems: National Risk and Vulnerability Assessment 2011-2012, Afghanistan Living Conditions Survey, S. 83 ff.
184Diese Mängel sind - ohne die sich daraus ergebenden Folgeprobleme bagatellisieren zu wollen - schwerwiegend; sie erreichen aber gerade unter Berücksichtigung der im letzten Jahrzehnt kontinuierlich stattgefundenen Verbesserung der Gesundheitsversorgung nicht den Grad an Brisanz, der erforderlich wäre, um die getroffene Gefährdungsprognose in Frage zu stellen.
185Das gilt auch mit Bezug auf die Situation in der Provinz Logar, in der die gesundheitliche Grundversorgung gewährleistet ist. Im Jahr 2011 gab es dort 43 Gesundheitseinrichtungen, darunter sechs mobile Kliniken, 25 Grundversorgungszentren, zwei Bezirkskrankenhäuser und ein Provinzkrankenhaus mit 150 Betten. Die Gesundheitsversorgung wird durch vom afghanischen Gesundheitsministerium angestellte Ärzte und Krankenschwestern sichergestellt. Deren - jeweils erheblich gestiegene - Zahl lag im Jahr 2011 bei 57 Ärzten und 127 Krankenschwestern. Daneben gibt es in Logar 199 Apotheken.
186Vgl. MRRD, National Area Based Development Program, 1.2 Current state of Development in the Province E. Health; einige der mobile Gesundheitsstationen sind von der Bundesregierung finanziert worden, Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Juni 2014, S. 26.
187Angesichts dessen bestehen keine Anzeichen dafür, dass die medizinische Versorgung in Logar hinter dem landesweiten Durchschnitt zurückbleibt.
188Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse bieten desweiteren keinen Ansatz für eine hervorzuhebende Anzahl von Binnenflüchtlingen aus Logar, die erheblich von den die dortige Sicherheitslage prägenden Faktoren abweicht und deswegen Hinweis auf eine besonders exponierte Gefahrenlage sein könnte. Der landesweite Anstieg der konfliktbedingt Binnenvertriebenen im Zeitraum von Ende 2012 bis Ende Juni 2013 von 486.000 auf 574.327 kann zwar allgemein als Ausdruck einer Verschärfung des Konflikts bezogen auf das gesamte Staatsgebiet Afghanistans angesehen werden.
189Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, vom 30. September 2013, S. 22; UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013, S. 30 f.
190Daraus lässt sich aber weder etwas über die regionale Verteilung der Flüchtlingsströme herleiten noch über die fluchtauslösenden Ursachen, die bei Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vielfältiger Natur - etwa religiöser Art sein können und nicht zwingend damit in Zusammenhang stehen müssen. Die Dimension des Anstiegs der landesweit Binnenvertriebenen erreicht auch für sich genommen keinen Grad, der es rechtfertigt, für die Provinz Logar von einer besonders exponierten Gefahrenlage auszugehen. Relativierend ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass das internationale Engagement für Entwicklung und Wiederaufbau fortgesetzt wird und zudem - zeitweise umfangreiche - gegenläufige Migrationsbewegungen stattfinden. Trotz schlechter wirtschaftlicher Perspektiven sind allein im Jahr 2012 98.609 Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt.
191Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, vom 30. September 2013, S. 21 f.
192Die vorliegenden Erkenntnisse zur Sicherheitslage in Logar sind aktuell. Sie beruhen auf zuverlässigen Quellen und beinhalten hinreichende Informationen zur Beurteilung der verfahrensrelevanten Gesichtspunkte. Der Senat lehnt deswegen die auf Einholung bzw. Beiziehung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. Mostafa Danesch gerichteten Hilfsbeweisanträge des Klägers (Ziffern 7, 8, 13) ab. Sollte der Kläger mit dem Antrag unter Ziffer 8 - was daraus bereits nicht hinreichend deutlich hervorgeht - darüber hinaus unter Beweis gestellt haben wollen, dass die Taliban in der Lage sind, in Kabul Mordaktionen durchzuführen, kann dies als wahr unterstellt werden, so dass auch diesem Antrag nicht nachgegangen werden muss.
193Soweit der Kläger hinsichtlich der Hilfsbeweisanträge zu Ziffern 7, 8 und 13 gleichzeitig die Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. Mostafa Danesch beantragt hat, ist dieser Antrag bereits deswegen abzulehnen , weil er unsubstantiiert ist. Der Kläger hat weder dargelegt, worin die besondere Sachkunde von Dr. Mostafa Danesch in Bezug auf das Beweisthema konkret besteht, noch, welche eigenen Wahrnehmungen dieser zur Binnenflüchtlingssituation in Afghanistan und zur Sicherheitslage in Logar gemacht hat. Dass er als Einzelperson eigene Wahrnehmungen, in dem durch das Beweisthema vorgegebenen Umfang gemacht haben soll, erscheint abgesehen davon auch ausgeschlossen.
194Der Beweisantrag unter Ziffer 14 wird ebenfalls abgelehnt. Die darin unter Beweis gestellte Tatsache kann in dieser Undifferenziertheit als wahr unterstellt werden, ohne dass sich dadurch etwas an der Bewertung ändert, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Logar nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder seiner Unversehrtheit droht. Die Feststellung, dass 40 % der Bevölkerung in Afghanistan aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen schwer traumatisiert ist, ist für die im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylVfG zu treffende Gefahrenprognose nicht entscheidend. Sie besagt für sich genommen nichts darüber, wie sich die Situation in der insoweit maßgebenden Heimatprovinz des Klägers darstellt. Insbesondere fehlt ihr aber jegliche Aussagekraft dazu, zu welchem Zeitpunkt die jeweiligen Traumata ausgelöst worden sind. Angesichts der bereits jahrzehntelang andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen in Afghanistan lässt die Annahme, dass dadurch 40 % der Bevölkerung traumatisiert worden sind, nicht den Rückschluss zu, dass die aktuelle Gewaltsituation, die für die Gefährdungsprognose vorrangig in den Blick zu nehmen ist, für diese Traumatisierungsquote ursächlich ist. Angesichts dessen hat der Senat auch erhebliche Zweifel, ob die Traumatisierungsdichte in der Bevölkerung hierfür ein eigenständiges und taugliches Kriterium sein kann. Als Ausdruck einer langjährigen Entwicklung mag daraus für Vergangenheit etwas abzuleiten sein. Die gegenwärtige Gefährdungssituation lässt sich anhand dieses Kriteriums indes nicht zuverlässig abbilden. Das gilt auch deswegen, weil der Anteil traumatisierter Menschen - anders als bei den übrigen Bewertungsparametern - keinem ständigen Wechsel unterliegt, anhand dessen sich aktuelle Entwicklungen genau ablesen lassen. Problematisch erscheint außerdem, dass mit der Zugrundelegung bestimmter Traumatisierungsquoten eine Nivellierung unterschiedlicher Risikoprofile einhergeht. So dürfte etwa das Risiko von Frauen, in Zeiten bewaffneter Auseinandersetzungen Opfer sexuell motivierter Gewalt zu werden und infolgedessen ein Trauma zu erleiden, höher sein als das von Männern. Mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit der Einzelne bei Rückkehr in sein Heimatland befürchten muss, künftig seelisch verletzt zu werden, lässt sich deswegen zuverlässiger anhand der übrigen, die objektiven Gefährdungslage bestimmenden Faktoren abschätzen.
195(b) Subsidiären Schutz kann der Kläger auch nicht auf der Grundlage von § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG beanspruchen, der Art. 15 lit. b) QRL II entspricht, und wonach ein ernsthafter Schaden auch dann droht, wenn die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung droht. Der Wortlaut der Vorschrift ist an Art. 3 EMRK angelehnt. Die Rechtsprechung des EGMR zu diesem Konventionsgrundrecht ist daher bei der Auslegung dieser Bestimmung zu berücksichtigen.
196Vgl. noch zu § 60 Abs. 2 AufenthG BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 22.
197Im Fall des Klägers bestehen mit Blick auf die fehlende Glaubhaftigkeit der Schilderungen zu seinem Verfolgungsschicksal keine stichhaltigen Gründe dafür, dass ihm in Afghanistan Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne der Rechtsprechung des EGMR droht.
198Dass der Kläger ungeachtet des von ihm geschilderten Verfolgungsschicksals in Afghanistan in erheblicher Weise Gefahr läuft, zwangsrekrutiert zu werden, ist aus den vorstehenden Gründen, auf die insoweit verwiesen wird, ebenfalls nicht ersichtlich.
199Soweit unzureichende Lebensbedingungen, eine mangelhafte medizinische Versorgung oder eine allgemeine Gewaltsituation wie Bürgerkriegslagen, innere Unruhen und bewaffnete Konflikte im Heimatland des Ausländers einen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG begründen können, gilt dies nur unter exzeptionellen Umständen. Nach der Rechtsprechung des EGMR erstreckt sich der Schutz nach Art. 3 EMRK nicht auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen. Andererseits erfordert die grundlegende Bedeutung dieses Konventionsgrundrechts seiner Auffassung nach eine gewisse Flexibilität. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind.
200Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 25.
201Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts ist dies bezogen auf die allgemeine Lage in Afghanistan nicht der Fall.
202Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 23 ff., EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09 (Husseini) -, juris, Rn. 84.
203Der Senat sieht - auch auf der Grundlage seiner eigenen tatrichterlichen Feststellungen - keine Veranlassung, hiervon abzuweichen.
204(c) Ebenso wenig steht § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG, durch den Art. 15 lit. a) QRL II gleichlautend umgesetzt worden ist, einer Abschiebung des Klägers entgegen. Danach ist einem Ausländer subsidiärer Schutz zu gewähren, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden wegen der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht. Hierfür ist nach dem Vorbringen des Klägers nichts ersichtlich. Insbesondere ergibt sich eine solche Gefahr nicht aus möglichen Vergeltungsschlägen der Taliban anlässlich des mutmaßlichen Verrats durch den Kläger. Denn insoweit ist sein Vorbringen, wie oben ausgeführt, bereits unglaubhaft. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG nur die staatliche Todesstrafe erfasst oder darüber hinaus auch die durch nichtstaatliche Gruppierungen verhängte Todesstrafe, kann daher offen bleiben.
205(d) Unabhängig davon, dass bereits die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylVfG nicht erfüllt sind, schließt Kabul als interne Schutzalternative gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylVfG einen Anspruch des Klägers auf die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter aus. Hierbei handelt es sich um die - früher in § 60 Abs. 11 AufenthG a.F. enthaltene - Umsetzung des Art. 8 QRL I bzw. jetzt Art. 8 QRL II. Nach § 3e Abs. 1 AsylVfG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylVfG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2). Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind nach Absatz 2 die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 QRL II zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf der Grundlage genauer und aktueller Informationen aus relevanten Quellen zu berücksichtigen.
206Die Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, hat das Bundesverwaltungsgericht dahin präzisiert, dass dieser Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinausgehe.
207Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Mai 2008 - 10 C 11.07 -, juris, Rn. 35, und vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 20.
208Dem schließt sich der Senat an,
209Vgl. ebenso Hess.VGH, Urteil vom 25. August 2011 - 8 A 1657/10.A -, juris, Rn. 91; VGH Bad.Württ., Urteil vom 6. März 2012 - A 11 S 3177/11 -, juris, Rn. 30.
210und sieht angesichts dessen von einer Vorlage an den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV hinsichtlich der Frage zu den für eine interne Schutzalternative im Sinne des Art. 8 QRL I bzw. QRL II zugrunde zu legenden Anforderungen ab, zumal keine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht.
211Nach den vorstehend genannten Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine zumutbare Schutzalternative etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, bietet keinen internen Schutz.
212Vgl. VGH Bad.Württ., Urteil vom 6. März 2012 - A 11 S 3177/11 -, juris, Rn. 30.
213Gemessen daran kann der Kläger auf Kabul als interne Schutzalternative verwiesen werden.
214Das gilt mit Blick auf die dortige Sicherheits- und Versorgungslage gleichermaßen. Eine Zusammenschau der dem Senat vorliegenden Erkenntnisse lässt diese Bewertung zu. Das gilt ungeachtet dessen, dass es für Teilaspekte der Tatsachengrundlage, auf der sie basiert, keine statistischen Erhebungen gibt.
215Vgl. zum Fehlen genauer Zahlen für Kabul, Auskunft Dr. Danesch an den Hess.VGH vom 8. Januar 2014; Auskunft des Auswärtigen Amtes an den Hess.VGH vom 2. Juli 2014.
216Die vorliegenden Erkenntnisse stimmen darin überein, dass die Sicherheitslage in Kabul im gesamtafghanischen Vergleich relativ stabil ist. In der Hauptstadt leben Schätzungen der Central Statistics Organization im statistischen Jahrbuch 2013/2014 zufolge 3.435.000 Menschen.
217Vgl. Central Statistics Organization, Afghanistan Statistical Yearbook 2013-2014, S. 3 und 5 f.
218abrufbar unter http://cso.gov.af/en.
219Andere Quellen gehen sogar von 4,5 Millionen Einwohnern aus.
220Daisuke Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul, ASYLMAGAZIN 12/2011, S. 408.
221In den Fortschrittsberichten der Bundesregierung ist die Bedrohungslage in Kabul seit Juli 2011 unter Zugrundelegung der Kriterien der NATO,
222vgl. zu diesen Kriterien: Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Dezember 2010, S. 12,
223- mit Ausnahme eines vergleichsweise geringen Gebietsanteils in der Westprovinz, in dem sie zeitweise als „erheblich“ eingestuft worden ist - als „mittel“ bewertet.
224Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsberichte Afghanistan Juli 2011, S. 7, Dezember 2011, S.16, Juni 2012, S. 8, November 2012, S. 10, Januar 2014, S. 9 und Juni 2014, S. 17.
225Hiermit korrespondierend wird die Sicherheitslage in Kabul trotz einiger medienwirksamer Anschläge und häufiger Hinweise auf Anschlagsplanungen als „überwiegend kontrollierbar“ eingeschätzt, wobei darunter eine Situation verstanden wird, in der bestehende Bedrohungen eine nur geringe Beeinträchtigung der Bewegungs- und Handlungsfreiheit der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und der Vertreter der internationalen Gemeinschaft darstellen. Dies kann eine räumlich und zeitlich eng begrenzte Verschlechterung der Sicherheitslage einschließen. Ferner ist diese Situation dadurch gekennzeichnet, dass die Autorität der afghanischen Verwaltungs- und Regierungsstrukturen nicht nachhaltig in Frage steht.
226Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Juni 2014, S. 16, 28.
227Diese Einschätzung der Sicherheitslage steht in Einklang mit der Anzahl der für Kabul dokumentierten Vorfälle, die durch bewaffnete oppositionelle Gruppierungen veranlasst wurden. Nach den Feststellungen von ANSO hat es in den jeweils ersten Quartalen der Jahre 2011, 2012, 2013 in Kabul insgesamt 36 derartige Vorfälle gegeben. Bei 6.886 für diese Zeiträume für das gesamte Staatsgebiet von Afghanistan registrierten Vorfällen entspricht das einem Anteil von 0,52 %. Die Bundesregierung hat unabhängig davon im Jahr 2011 eine entsprechend geringe Quote sicherheitsrelevanter Zwischenfälle von ebenfalls 0,5 % für Kabul festgestellt.
228Vgl. ANSO, Quaterly Data Report Q. 1 2013, S. 10; Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht Juli 2011, S. 6.
229Besonderes Gewicht gewinnt dies in Relation dazu betrachtet, dass in der Hauptstadt Kabul rund 10 % der Gesamtbevölkerung Afghanistans leben. Soweit die dortige Sicherheitslage in dem aktuellsten Bericht von ANSO im Gegensatz zu Vorberichten als „Deteriorating“ eingestuft worden ist, kann dies nicht als Anknüpfungspunkt dafür genommen werden, dass sich die Situation dort allmählich zuspitzen würde. Einerseits handelt es sich dabei um die zweitniedrigste von fünf Gefährdungsstufen, andererseits ist diese Bewertung offenbar dem Umstand geschuldet, dass für das erste Quartal 2012 lediglich zwei Vorfälle dokumentiert sind, für das erste Quartal 2013 hingegen zwölf und hieraus eine 500 %ige Steigerung resultiert, die angesichts der vergleichsweise geringen Ausgangsbasis und vor dem Hintergrund, dass für das vorangegangene, bei dem prozentualen Vergleich nicht betrachtete erste Quartal 2011 22 Vorfälle verzeichnet worden sind, wenig Aussagekraft hat.
230Auch aktuellste Erkenntnisse sprechen nicht für eine grundlegende Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul. Der am 24. Juli 2014 aktualisierte Bericht der Organisation ACCORD,
231vgl. ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, letzte Aktualisierung 24. Juli 2014 http://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm,
232enthält hierzu unter Bezugnahme auf unterschiedliche Quellen folgende Informationen: In Kabul hätten sich eine Reihe von Selbstmordanschlägen ereignet, die das Leben der Bevölkerung beeinträchtigten. Abgesehen von Selbstmordanschlägen und einer steigenden Kriminalitätsrate sei Kabul allerdings sicherer und mehr unter Kontrolle als andere Orte in Afghanistan. Die Taliban-Zellen agierten dort weiterhin, wobei ihre Netzwerke anscheinend immer stärker würden. Abgesehen von sporadischen Raketenangriffen auf die Hauptstadt liege ihr Fokus auf Angriffen, die möglichst nah am Zentrum der Macht verübt werden sollten. Die Taliban bevorzugten daher sporadische, öffentlichkeitswirksame Angriffe, sogenannte „highprofile attacks“, durch die ein Gefühl von Unsicherheit hervorgerufen werden solle.
233In dem aktuellsten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ist dies dahin präzisiert, dass sich die Angriffe der Taliban primär gegen Personen mit einem „hohen Profil“ wie Dolmetscher, Auftragnehmer und Lieferanten des Militärs und hochrangige Regierungsbeamte richteten. Bedingt dadurch komme es in Kabul häufiger zu gezielten Tötungen als in vollständig von den Taliban kontrollierten Gebieten. Für bekannte Personen bestehe dort ein größeres Risiko, angegriffen zu werden als in anderen Städten. Ziel der Taliban sei nicht die physische Kontrolle über Kabul; im Fokus stehe vielmehr die Ausübung psychologischen Einflusses.
234Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Sicherheit in Kabul, vom 22. Juli 2014, S. 5 ff.
235Nach den Feststellungen von ACCORD scheint es, als seien die Taliban demgegenüber nicht daran interessiert, relativ machtlose Personen zu verletzen. Ihre Taktik sei vielmehr zu zeigen, dass die Aufständischen überall im Land zuschlagen und selbst den „Stahlring“ der afghanischen Sicherheitskräfte um die Zentren großer Städte überwinden könnten. Dies ziele anscheinend darauf ab, die Aufmerksamkeit internationaler Medien und möglicher „Geldgeber“ zu erregen und Unsicherheit in der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und den afghanischen Streitkräften zu verbreiten. Es sei eine Zunahme großer Angriffe in der afghanischen Hauptstadt prognostiziert worden. Gleichwohl seien sich - einem Bericht des norwegischen Herkunftsländerinformationszentrums Landinfo aus Januar 2014 zufolge - verschiedene Quellen bei Gesprächen in Kabul im Oktober 2013 einig gewesen, dass die Regierung, die afghanische Nationalarmee und die afghanische Nationalpolizei die Lage in Kabul relativ gut unter Kontrolle hätten. Entwicklungen, auf Basis derer die Situation in Kabul als instabil bezeichnet werden könnte, seien nicht erkennbar. Sie sei allerdings hinsichtlich des Risikos konfliktbezogener, gewalttätiger Vorfälle durch Unvorhersehbarkeit geprägt.
236Soweit sich danach bei einer aktuell als stabil eingeschätzten Sicherheitslage in Kabul die besorgniserregende Entwicklung eines Erstarkens der Taliban abzuzeichnen scheint, ist einerseits zu sehen, dass die Aussagekraft dieser Prognose durch die tatsächliche Entwicklung bestimmt wird, in deren Licht sie zu sehen ist. Andererseits ist von Bedeutung, dass nicht die erhöhte mediale Aufmerksamkeit, die einzelnen Anschlägen zu Teil wird, das ausschlaggebende Kriterium für die Bewertung der Sicherheitslage in Kabul ist. Vielmehr ist dies in erster Linie die Wahrscheinlichkeit, die für eine Zivilpersonen besteht, einem solchen Anschlag zum Opfer zu fallen. Das gilt jedenfalls dann, wenn deren Sicherheit - wie derzeit in Kabul - durch einzelne gezielte Anschläge und nicht durch flächendeckendere und vielgestaltigere Destabilisierungsmaßnahmen gefährdet ist. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch die Exponiertheit des Anschlagsziels nur insoweit mitbestimmt, als dort üblicherweise auch Zivilisten anzutreffen sind und richtet sich - den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts zufolge - maßgebend nach dem Verhältnis von Einwohnerzahl und zivilen Opfern.
237Sie ist auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse für Kabul zu geringfügig, um auch jenseits einer Extremgefahr annehmen zu können, dass es dem Kläger nicht zumutbar sei, sich dort niederzulassen. Für den Zeitraum zwischen 2007 und 2013 sind von der NGO iMMAP Sicherheitsvorfälle in der Provinz Kabul dokumentiert, bei denen über 1.200 afghanische Zivilisten getötet oder verletzt wurden.
238Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Sicherheit in Kabul; vom 22. Juli 2014, S. 7 unter Hinweis auf den Bericht von iMMAP vom 16. April 2014.
239Das entspricht bezogen auf einen Jahreszeitraum rund 200 zivilen Opfern provinzweit. Anhand dessen und der Ergebnisse des zitierten Berichts von ACCORD, in dem die sicherheitsrelevanten Ereignisse, die sich zwischen Januar 2013 und Juli 2014 in Kabul ereignet haben, insbesondere auf der Grundlage der Artikel von Radio Free Europe/Radio Liberty, BBC und Agence France Press chronologisch aufgeführt sind, lässt sich der Umfang, in dem die Zivilbevölkerung im Zusammenhang mit Anschlägen in Kabul Schaden genommen hat, jedenfalls für die hier zu treffende Zumutbarkeitsprognose hinreichend genau abschätzen.
240Für das erste Quartal 2013 sind sieben - zum Teil vereitelte - Anschläge dokumentiert, bei denen insgesamt 34 Zivilisten und weitere 38 Personen verletzt und - abgesehen von mehreren getöteten Wachleuten, Polizisten und Soldaten - neun Personen getötet wurden. Angriffsziele waren u.a. das Gebäude des afghanischen Geheimdienstes, die Zentrale der Verkehrspolizei und das afghanische Verteidigungsministerium.
241Für das zweite Quartal sind acht Angriffe, u.a. auf den Kabuler Flughafen und den Obersten Gerichtshof, mit insgesamt rund 46 Todesopfern - darunter drei Sicherheitsleute und zwei US-Soldaten - und 59 Verletzten zuzüglich mehrerer Dutzend Verletzter bei einem am 16. Mai 2013 von der Hezb-e-Islami verübten Anschlag genannt, wobei aus dem Bericht nicht hervorgeht, dass diese Zahlen nur Zivilpersonen einschließen.
242Im dritten Quartal 2013 waren drei - überwiegend durch die Taliban verübte -Anschläge zu verzeichnen. Dabei kamen mindestens sieben Personen zu Tode, weitere drei Zivilisten wurden verletzt.
243Für das vierte Quartal 2013 sind neun Angriffe, darunter ein mittels Raketen bzw. Granaten verübter Anschlag auf die amerikanische Botschaft, aufgeführt, bei denen sieben Zivilisten und 13 weitere Personen - darunter drei Soldaten - getötet und sechs Zivilisten, weitere 23 Personen und mehrere Soldaten und Polizisten verletzt worden sein sollen.
244Für das erste Quartal 2014 sind zwölf Anschläge dokumentiert, die bereits zum Teil in Zusammenhang mit den am 5. April 2014 stattgefundenen Präsidentschaftswahlen gebracht werden können. 46 Personen wurden getötet - wobei unklar ist, in welchem Umfang es sich dabei um Zivilpersonen gehandelt hat. Es wurden 58 Personen, zwei Polizisten und vier Wachmänner verletzt.
245Im zweiten Quartal 2014 - vermutlich im Zusammenhang mit den Stichwahlen am 14. Juni 2014 - kam es vor allem zu gezielten Angriffen, u.a. auf den Präsidentschaftskandidaten Abdullah Abdullah und ein weibliches Parlamentsmitglied. Außerdem ereigneten sich am Morgen der Wahl einige Raketenangriffe, u.a. in der Nähe des Kabuler Flughafens, bei denen niemand zu Schaden gekommen sein soll. Dem Bericht lässt sich entnehmen, dass im zweiten Quartal siebzehn Personen - darunter sechs Polizisten und ein Soldat - getötet und 25 Personen - zuzüglich „mehrerer“ weiterer Personen bei dem Anschlag am 21. Juni 2014 - verletzt worden sind. Im Juli 2014 kam es erneut zu Angriffen auf den Kabuler Flughafen, bei denen jeweils niemand getötet oder verletzt wurde. Insgesamt waren im Juli 2014 vier Tote und mehr als 15 Verletzte zu verzeichnen.
246Aus der Zusammenschau dieser Vorfälle geht zwar hervor, dass die Taliban und vergleichbare extremistische Gruppierungen weiterhin in der Lage sind, in den Hochsicherheitszonen Kabuls komplexe Anschläge durchzuführen,
247vgl. ebenso: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, vom 30. September 2013, S. 11,
248ihr Erstarken lässt sich indes nicht daran ablesen. Das ergibt sich aus dem Vergleich mit der von ANSO für Kabul registrierten Anschlagsdichte in den jeweils ersten Quartalen der Jahre 2011, 2012 und 2013, die bei durchschnittlich 12 Anschlägen pro Quartal lag. Der Umstand, dass der Sachverständige Dr. Mostafa Danesch in seinem Gutachten an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 3. September 2013 im Wesentlichen die gleichen Vorfälle benennt, spricht dafür, dass die Aufstellung von ACCORD überwiegend vollständig ist. Nach den Ergebnissen dieser Aufstellung sind von den - zumindest - rund 3,4 Millionen Einwohnern Kabuls in den vergangenen anderthalb Jahren ungefähr 400 Zivilpersonen durch Anschläge zu Schaden gekommen. Dabei erscheinen diese Zahlen angesichts der Feststellung von ANSO, dass auf Kabul nur rund 0,5 % der registrierten Anschläge entfallen, bei 42.024 von UNAMA für den gesamten Zeitraum von Januar 2009 bis Juni 2014 dokumentierten zivilen Opfern eher zu hoch.
249Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass sich gerade in Kabul aufgrund der dort vermehrt eingesetzten Taktik von „high profile attacks“ unter den Opfern eine Vielzahl von Personen mit - insbesondere berufsbedingt - gefahrerhöhenden Umständen finden dürfte. Aber selbst dann, wenn man im Ausgangspunkt eine Zahl von rund 267 zivilen Opfern im Jahr (2/3 von 400 in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Juli 2014) zugrundelegt und diese zum Ausgleich statistischer Ungenauigkeiten bzw. Unvollständigkeiten und zur angemessenen Berücksichtigung von Dunkelziffern aus Sicherheitsgründen mit drei multipliziert ergibt sich eine nur 0,023 %ige (267 x 3 x 100 : 3.435.000) und damit im Promillebereich liegende Wahrscheinlichkeit, in Kabul als Zivilperson Opfer eines Anschlages zu werden. Diese ist zu gering, um die Feststellung zu rechtfertigen, dass es dem Kläger nicht zumutbar wäre, sich in Kabul niederzulassen. Dabei ist dem Senat klar, dass dieser Anteil den tatsächlichen Gefährdungsquotienten nicht exakt abbildet. Er ist aber insoweit aussagekräftig, als, soweit der Berechnung fiktionale Faktoren zugrunde liegen, jeweils die für den Kläger günstigste Betrachtungsweise gewählt worden ist.
250Auch mit Blick auf die humanitäre Lage kann der Kläger auf Kabul als interne Schutzalternative verwiesen werden, wenngleich diese in wesentlichen Teilbereichen nach wie vor stark defizitär ist. Die Hauptursachen dafür sind Wohnraumknappheit, eine nur begrenzt funktionsfähige Trinkwasserversorgung, der Anstieg der Lebenshaltungskosten und eine problematische Arbeitsmarktsituation.
251Die Wohnraumsituation ist von steigenden Immobilienpreisen, demographischem Druck und einer allgemeinen „Knappheit an Wohnraum in gutem Zustand“ geprägt. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum hat sich daher in Kabul zu einem der gravierendsten sozialen Probleme entwickelt. Geschätzte 70 % der Bevölkerung leben innerhalb Kabuls bzw. in der Umgebung in sogenannten informellen Siedlungen. Darunter findet sich ein Großteil ehemaliger Kriegsflüchtlinge, die aus Pakistan und dem Iran zurückgekehrt sind, sowie Binnen- und Wirtschaftsflüchtlinge aus anderen Provinzen Afghanistans. Bei diesen Siedlungen handelt es sich um prekäre Unterkünfte wie Lehmhütten, Zelte oder alte beschädigte Gebäude. Das Leben dort ist häufig von schlechten hygienischen Verhältnissen und Trinkwassermangel gekennzeichnet. Die Bewohner dieser Siedlungen erhalten keine staatliche Unterstützung.
252Vgl. Daisuke Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul, ASYLMAGAZIN 12/2011, 408 ff.
253Nach dem zuletzt zitierten Bericht sind die Lebenshaltungskosten in Kabul in den vergangenen Jahren um 30 % bis 50 % gestiegen. In der gesamten Provinz Kabul leben laut Weltbank und afghanischem Wirtschaftsministerium 23,1 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.
254Vgl. Daisuke Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul, ASYLMAGAZIN 12/2011, 408 ff.
255Insofern stellt sich die Situation dort verglichen mit dem gesamtafghanischen Durchschnitt (36 %) etwas günstiger dar. Ähnliches gilt für grundlegende Infrastruktureinrichtungen.
256Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, vom 31. März 2013, S. 19.
257Über die genaue Arbeitslosenquote in Kabul liegen keine Erkenntnisse vor. Aufgrund der strukturellen Prägung des dortigen Arbeitsmarkts dürften hierüber auch keine zuverlässigen Erhebungen zu erreichen sein, weshalb der Senat von weiteren Ermittlungen hierzu absieht. Grundsätzlich ist es so, dass urbane Gebiete wie Kabul im Vergleich zum ländlichen Raum von einer niedrigeren Partizipation am Arbeitsmarkt und höherer Arbeitslosigkeit geprägt sind, da in der Stadt, anders als in der Landwirtschaft, die Teilnahme von Frauen, Jugendlichen und älteren Personen an Erwerbstätigkeiten geringer ausfällt. Mit rund 80 % machen in urbanen Gebieten selbstständige Beschäftigungsformen - wobei hierunter dem Einzelhandel die wichtigste Rolle zufällt - den weitaus größten Teil der Erwerbsaktivitäten aus.
258Vgl. Daisuke Yoshimura, Sicherheitslage in Afghanistan und humanitäre Lage in Kabul, ASYLMAGAZIN 12/2011, 409 ff.
259Es ist nicht davon auszugehen, dass sich diese Situation zwischenzeitlich durchgreifend verändert hat. Insbesondere bei einer dramatischen Verschlechterung der Situation für erhebliche Teile der Bevölkerung wäre davon auszugehen, dass dies durch die hierzu berufenen Stellen dokumentiert wäre. Zwar wird in den aktuellsten Berichten auf Schwierigkeiten hingewiesen, die sich aus der demographischen Entwicklung, dem gegenwärtig zu verzeichnenden Einbruch des Wirtschaftswachstums und infrastrukturellen Defiziten in Teilbereichen ergeben.
260Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, vom 31. März 2014, S. 19; Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Juni 2014, S. 23 f.
261Andererseits weist die Bundesregierung in ihrem aktuellsten Bericht auf die deutlichen Fortschritte beim Wiederaufbau des Landes, etwa die Verdoppelung des Bruttoinlandsprodukts und allgemeine Verbesserungen der Versorgungslage, der Schaffung einer Infrastruktur und rechtsstaatlicher Strukturen hin, ohne Kabul von dieser Entwicklung auszunehmen. Aus dem Bericht geht im Übrigen hervor, dass das internationale Engagement für Entwicklung und Wiederaufbau fortgesetzt wird. Speziell im Bereich Kabul plant bzw. unterstützt die Bundesregierung Projekte im Zusammenhang mit der Abwasserentsorgung und der Wiederherstellung bzw. des Neubaus des Wasserversorgungssystems.
262Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Juni 2014, S. 26.
263Dass sich die humanitäre Situation in Kabul zuletzt verschlechtert hat, geht auch nicht aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Mostafa Danesch an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 3. September 2013 hervor. Dies enthält nur ausschnittsweise Feststellungen zur humanitären Lage in Kabul, nämlich zu den Lebensumständen in den dortigen Flüchtlingslagern, in denen seinen Feststellungen zufolge 35.000 Menschen leben. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die desolaten Verhältnisse, die dort herrschen, repräsentativ für das gesamte Stadtgebiet von Kabul sind.
264Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die humanitäre Lage in Kabul weiterhin äußerst schwierig ist. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Verelendungsrisiko einzelner Bevölkerungsgruppen stark voneinander abweicht. Jedenfalls für den Kläger als gesunden, arbeitsfähigen, alleinstehenden Mann besteht es allenfalls in geringfügigem Maße, denn es ist davon auszugehen, dass er seinen Lebensunterhalt nach einer Wiedereingliederungsphase auch ohne familiären Rückhalt zumindest auf einem - nach westlichen Maßstäben - niedrigen Niveau wird sicherstellen können.
265Der Kläger trägt keine Unterhaltslasten, muss nur für sich selbst sorgen und ist im Ausgangspunkt schon deswegen einem geringeren Armutsrisiko ausgesetzt.
266Die Beziehung zwischen Haushaltsgröße und Armutsrisiko ist für Afghanistan statistisch belegt. Danach steigt das Armutsrisiko ab einer Haushaltsgröße von drei Personen (11 %) bis zu einer Haushaltsgröße von neun Personen (über 40 %) kontinuierlich und liegt bei einer Haushaltsgröße von 15 Personen sogar bei über 45 %. Für eine alleinstehende Person bewegt es sich demgegenüber nur im Bereich zwischen 10 % und 15 %.
267Vgl. Summary of the national risk and vulnerability assessment, 2007/8, A profile of Afghanistan, Main Report, S. 59.
268Hinzu kommt, dass der Kläger über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die in Afghanistan nicht selbstverständlich sind und es ihm dort erleichtern dürften, eine Erwerbsgrundlage zu finden. Er hat eine abgeschlossene Schulausbildung und kann - anders als 70 % aller Afghanen - lesen und schreiben. Der Kläger spricht dari, paschtu, urdu, persisch und etwas deutsch. Dass die in Deutschland gemachten Erfahrungen und erworbenen Sprachkenntnisse seine Erwerbsperspektive in seiner Heimat begünstigen, ist wahrscheinlich. Außerdem ist aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Landwirt davon auszugehen, dass er über Kenntnisse und Fertigkeiten im Zusammenhang mit dem Anbau und der selbstständigen Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte verfügt. Vor dem Hintergrund, dass der selbstständige Einzelhandel als Erwerbssektor in Kabul eine bedeutende Rolle spielt, spricht Vieles dafür, dass der Kläger eine Erwerbstätigkeit in diesem Bereich finden und an seine früheren Erfahrungen anknüpfen können wird.
269Vgl. dazu Dr. Karin Lutze, Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 8. Juni 2011, wonach das Existenzminimum für eine Person durch Aushilfsjobs ermöglicht werden kann, S. 9.
270(2) Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht dem Kläger nicht zu. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für die Annahme einer "konkreten Gefahr" im Sinne dieser Vorschrift genügt nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit wie im Asylrecht der Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Zudem ergibt sich aus dem Element der "Konkretheit" der Gefahr für "diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefährdungssituation. Schließlich muss es sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
271Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 (330), sowie Beschlüsse vom 18. Juli 2001 - 1 B 71.01 -, Buchholz 402. 240 § 53 AuslG Nr. 46, und vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 75.
272Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
273Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
274Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 24/10 -, juris, Rn. 20.
275Ausgehend davon ist nicht feststellbar, dass für den Kläger in Afghanistan bei Rückkehr eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG besteht.
276Dass ihm individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - vor allem gezielte Angriffe durch die Taliban - drohen, ist mit Blick auf die fehlende Glaubhaftigkeit des von ihm geschilderten Verfolgungsschicksals nicht feststellbar. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zu § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG Bezug genommen.
277Es besteht auch keine hohe oder auch nur beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Logar mit einer extremen Gefahrenlage, die ihrer Dimension nach geeignet wäre, die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AsylVfG zu durchbrechen, konfrontiert wäre.
278Von einer derartigen Gefahr kann zunächst nicht unter dem Gesichtspunkt eines besonders zugespitzten Sicherheitsrisikos in Logar ausgegangen werden. Dies ergibt sich aus den Ausführungen zu § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG zur konfliktbedingten Gefährdungsprognose für den Kläger, die an dieser Stelle übertragbar sind.
279Dass der Kläger in Logar aus anderen, nicht konfliktbedingten Gründen - etwa wegen einer dort herrschender ausufernder Kriminalität - einem besonderen Sicherheitsrisiko ausgesetzt sein könnte, ist nicht substantiiert vorgetragen und ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen.
280Ebenso wenig lässt sich eine Extremgefahr aus der allgemeinen Versorgungslage in Logar herleiten. Davon, dass der Kläger dort alsbald nach Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit insbesondere infolge von Mangelernährung oder Obdachlosigkeit dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, kann nach aktueller Erkenntnislage nicht ausgegangen werden. Ausgangspunkt dieser Bewertung sind zunächst allgemeine Aspekte der Entwicklung der humanitären Situation in Afghanistan.
281Die Bewertung Afghanistans im Human Development Index (HDI) hat sich aufgrund der erheblichen und anhaltenden Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft kontinuierlich verbessert. Gleichwohl ist Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt und belegt mit 175 von 187 einen sehr niedrigen Rang im Index. Obwohl sich Afghanistan in fast allen Bereichen positiv entwickelt hat, besteht weiterhin beträchtlicher Entwicklungsbedarf. Rund 36 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Im Winter 2012/13 waren über zwei Millionen Menschen durch Unterernährung, Krankheit und Kälte gefährdet. Die Analphabetenrate in Afghanistan liegt bei 70 %. 90 % der Frauen und 70 % der Männer haben keinen Schulabschluss. Während nur 15,7 % der über 15- jährigen Frauen in Afghanistan berufstätig sind, sind es bei den Männern 80,3 %. Die wichtigste Einkommensquelle für die Bevölkerung bleibt die Landwirtschaft. Afghanistan verfügt über eine geringe, aber wachsende Anzahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte. Nach aktueller Erkenntnislage leiden 34 % der afghanischen Gesamtbevölkerung unter Lebensmittelknappheit und 43 % haben keinen gesicherten Zugang zu Trinkwasser. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Angesichts zahlreicher Naturkatastrophen reagiert das World Food Programme das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen und extremen Kälteeinbruch. Außerhalb der Provinzhauptstädte fehlt es vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Transport, Energie und Trinkwasser. Die Möglichkeiten des afghanischen Staates, die Bedürfnisse seiner Bevölkerung zu erfüllen, geraten zusätzlich durch ein starkes Bevölkerungswachstum unter Druck. Infolge dessen ist absehbar, dass künftig jährlich 400.000 junge Afghanen auf den Arbeitsmarkt strömen. Im Jahr 2013 ist die Wirtschaft - nach einer Dekade starken Wachstums - nur um vergleichsweise schwache 3 % gewachsen. Die zukünftige Entwicklung ist nicht sicher vorhersehbar. Denkbar ist einerseits, dass das - durch die starke Präsenz internationaler Truppen aufgeblähte - Preis- und Lohniveau und eine stärkere Abwertung der afghanischen Währung zu einer gestärkten Wettbewerbsfähigkeit afghanischer Produkte im Exportgeschäft führen könnten, andererseits besteht die Gefahr, dass sich eine Destabilisierung des Landes und seiner Institutionen volkswirtschaftlich ungünstig auswirkt. Die medizinische Versorgung in Afghanistan hat sich, wie bereits ausgeführt, ungeachtet fortbestehender Defizite insbesondere im Bereich der Grundversorgung in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert.
282Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan vom 31. März 2014, Stand: Februar 2014, S. 19 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, 30. September 2013, S. 20; UNHCR, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, vom 6. August 2013, S. 29 f.
283Daran wird deutlich, dass große Teile der afghanischen Zivilbevölkerung immer noch unter schwierigsten Bedingungen leben und in vielfältiger Weise mit ständigem Mangel konfrontiert sind. Trotz der fortbestehenden schwerwiegenden Defizite der humanitären Situation, deren Leidtragende in erster Linie Kinder und erst an letzter Stelle gesunde arbeitsfähige Männer sein dürften, fallen bei der zu treffenden Bewertung auch die zwischenzeitlich insoweit erzielten Fortschritte ins Gewicht.
284Vgl. dazu Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht, Juni 2014, S. 23 f.
285Aussagekräftig ist dabei vor allem der Umstand, dass die Lebenserwartung im letzten Jahrzehnt um 18 Jahre gestiegen ist.
286Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, vom 31. März 2014, S. 20 f.
287Dabei handelt es sich neben dem Bruttoinlandsprodukt und der Erwerbstätigen- und Analphabetenrate um einen Entwicklungsindikator, der Auskunft über den wirtschaftlichen und sozialen Stand eines Landes gibt. Aus der Lebenserwartung lassen sich Anhaltspunkte zu Ernährungssituation, Gesundheitswesen, hygienischen Verhältnissen und körperlicher Arbeit gewinnen.
288Vgl.http://de.wikipedia.org/wiki/
289Entwicklungsindikator.
290Ihr deutlicher Anstieg in Afghanistan kann daher zumindest als Indiz für eine Verbesserung der humanitären Gesamtsituation gewertet werden.
291Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Versorgungslage in Logar schlechter als im gesamtafghanischen Durchschnitt ist. Sie stellt sich den hierzu vorliegenden Erkenntnissen zufolge wie folgt dar: Logar ist eine vorwiegend ländlich geprägte Region. Nach den statistischen Angaben des Ministry of Rural Rehabilitation and Development (MRRD) können dort 40 % aller Haushalte ihre Grundversorgung mit Nahrungsmitteln durchgehend sicherstellen, bei 23 % der Haushalte treten insoweit selten (1 bis 3 Mal im Jahr) und bei 22 % der Haushalte manchmal (3 bis 6 Mal im Jahr) Schwierigkeiten auf. Für 15 % der Haushalte handelt es sich dabei um ein häufiges oder ständiges Problem. Die Versorgung mit Trinkwasser ist in Logar überwiegend gewährleistet. 69 % aller Haushalte haben innerhalb ihres Dorfes Zugang zu Trinkwasser. Für 29 % der Haushalte ist Trinkwasser in weniger als einer Stunde erreichbar. Durchschnittlich 32,3 % der Haushalte haben Zugang zu Elektrizität. Die Verkehrsinfrastruktur in Logar ist vergleichsweise gut; 78 % der Straßen sind alljährlich befahrbar. Eine medizinische Grundversorgung ist dort ebenfalls gewährleistet. Insoweit wird Bezug auf die vorangehenden Ausführungen genommen. Die Provinz profitiert in unterschiedlicher Weise von Entwicklungshilfemaßnahmen. Insgesamt fünf UN-Organisationen sind vor Ort in Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte eingebunden. In den Bezirken Muhammad Agha und Pul-i-Alam ist beispielsweise das World Food Programme stationiert. Im Jahr 2011 wurden 20 % der Bevölkerung Logars mit Lebensmitteln unterstützt.
292Vgl. MRRD, National Area Based Development Program, Logar Province Profile.
293Überdies wurden in Logar 52 unterschiedliche Infrastrukturprojekte im Rahmen des National Data Based Development Program - einer gemeinsamen Initiative des United Nations Development Program und des MRRD - initiiert, von denen bereits große Teil der Bevölkerung Logars profitiert haben.
294Vgl. MRRD, National Area Based Development Program; UNDP, Project summary, Reducing rural poverty and building access to basic services, Updated: April 2014.
295Für die Annahme, dass der Kläger in Logar einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt sein würde, besteht angesichts dieser Gesamtsituation keine tragfähige Tatsachengrundlage. Dafür, dass er nach mittlerweile fünfjähriger Abwesenheit als Rückkehrer einem gegenüber dem Rest der Zivilbevölkerung besonders hohen Verelendungsrisiko ausgesetzt sein könnte, spricht jedenfalls (schon) keine beachtliche und damit erst recht keine hohe Wahrscheinlichkeit. Daraus mögen zwar zunächst erhebliche Wiedereingliederungsschwierigkeiten resultieren, von denen der Kläger - das Fehlen eines Familienverbandes zu seinen Gunsten unterstellt - verstärkt betroffen ist. Diese relativieren sich aber dadurch, dass er ihnen als alleinstehender gesunder Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen mit abgeschlossener Schulbildung und Berufserfahrung in den Bereichen Einzelhandel und Landwirtschaft ein vergleichsweise günstiges Risikoprofil entgegenzusetzen hat, durch das ihm die Erwirtschaftung eines Existenzminimums erleichtert ist.
296Vgl. dazu Dr. Karin Lutze, Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 8. Juni 2011, S. 9.
297Hierzu wird auf die vorstehenden Ausführungen zur internen Schutzalternative im Zusammenhang mit einem Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes verwiesen. Danach ist davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne Vermögen und familiären Rückhalt zumindest sein Existenzminimum wird sicherstellen können, indem er sich in Logar beispielsweise (zunächst) als Tagelöhner in der Landwirtschaft verdingt.
298Vgl. dazu Dr. Karin Lutze, Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 8. Juni 2011, wonach das Existenzminimum für eine Person durch Aushilfsjobs ermöglicht werden kann, S. 9.
299Ergänzend wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. Karin Lutze vom 8. Juni 2011 unter den registrierten 3.000 Rückkehrern im Zeitraum der vorangegangenen zehn Jahre keine Todesfälle infolge von Hunger oder Unterernährung bekannt geworden sind.
300Vgl. Dr. Karin Lutze, Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 8. Juni 2011, S. 12.
301Unabhängig davon kann der Kläger auch deswegen keinen nationalen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, weil er sich auf Kabul als inländische Fluchtalternative verweisen lassen muss. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zu Kabul als interner Schutzalternative (§ 3e AsylVfG) im Zusammenhang mit der Zuerkennung subsidiären Schutzes verwiesen, die die Feststellung, dass dem Kläger in Kabul keine Extremgefahr droht, mittragen.
302Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
303Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
304Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn
- 1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder - 2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
- 1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder - 2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.
(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.
(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.
(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.
(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.
(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn
- 1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder - 2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.