Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 17. Aug. 2015 - 3 A 2496/07.A
Gericht
Tenor
Das angegriffene Urteil wird geändert.
Die Klage wird, soweit sie noch im Berufungsverfahren anhängig ist, abgewiesen.
Der Klägerin werden unter Einbeziehung des rechtskräftig gewordenen Teils der erstinstanzlichen Kostenentscheidung die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen auferlegt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Nach eigenen Angaben ist die Klägerin eine am 14.9.1971 in N. Q. geborene sri-lankische Staatsangehörige tamilischer Volks- und katholischer Religionszugehörigkeit und reiste am 19.10.2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
3Die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten kündigte am 30.11.2005 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) eine Asylantragstellung an. Die Klägerin habe ihr Heimatland aus Furcht vor politischer Verfolgung verlassen müssen, nachdem sie zum wiederholten Male vor ihrer Ausreise aus Sri Lanka inhaftiert worden sei. Ihre ständige Inhaftierung sei auf die politischen Aktivitäten ihres verstorbenen Ehemannes zurückzuführen, der Parlamentsmitglied gewesen und von staatlicher Seite ermordet worden sei. Weil die Klägerin auch erhebliche geschlechtsspezifische Verfolgung in der Haft habe erleiden müssen, sei es zu einem Schwangerschaftsabbruch nach wiederholter Vergewaltigung im Gefängnis gekommen. Es werde um eine Einzelentscheiderin und eine Dolmetscherin bei der Anhörung gebeten.
4Dies wurde bei ihrer persönlichen Asylantragstellung beim Bundesamt am 9.12.2005 zunächst übersehen und mit der Anhörung begonnen. Dabei erklärte die Klägerin, die Schule bis zur 12. Klasse besucht zu haben. Bis zu ihrer Hochzeit am 9. Juni 1990 sei sie in einem privaten Krankenhaus als Krankenschwester beschäftigt gewesen. Bis drei Monate vor ihrer Ausreise habe sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in ihrer Ehewohnung gelebt. Anschließend habe sie sich in D. aufgehalten. Ihr Ehemann sei am 15.9.2002 ums Leben gekommen. Sie habe einen 13-jährigen Sohn.
5Die Klägerin legte ein Attest der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie D1. Q1. vom 7.12.2005 vor, die darin eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert. Nach erheblichen Traumatisierungen in ihrem Heimatland habe die Klägerin eine PTBS mit schwergradig depressiver Symptomatik und erheblicher Beeinträchtigung durch Flashbacks der Gewalterfahrung entwickelt. Sie leide unter schwersten Schlafstörungen, Angst, Panik, Depression und tiefster Verzweiflung; die Erinnerungen an die schweren Verletzungen, Misshandlungen und Bedrohungen quälten sie durchgehend. Aus nervenärztlicher Sicht sei eine Rückkehr in ihr Heimatland aus gesundheitlichen Gründen nicht zu verantworten.
6Bei einer erneuten Anhörung am 12.12.2005 durch eine Einzelentscheiderin mit einer Dolmetscherin erklärte die Klägerin, ihr Sohn heiße O. E. T. . Er lebe jetzt in dem Internat „International School“ in W. . Ihr Ehemann sei Mitglied der EPRLF und Minister of Parliament (Verwaltungsbeamter im Ministerium) im Ministerium für Soziales gewesen. Zunächst habe sie mit ihm in D. und nach seiner Pensionierung im Jahr 1997 bis 2002 in einer Dienstwohnung in der D2. S. 23 in W. gewohnt. Ihr herzkranker Mann sei am 15.9.2002 gegen Mitternacht bei einem Brandanschlag auf ihre Wohnung an einem Herzinfarkt gestorben. Ihr Sohn sei verletzt worden und insgesamt ca. 13 Tage im Krankenhaus gewesen. Dort sei sie von der Polizei verhaftet worden. Die Polizei habe behauptet, sie habe die LTTE unterstützt, bei der auch ihr Bruder sei. Sie hätten aber nicht gesagt, sie habe den Leuten geholfen, die den Brandsatz in ihr Haus geworfen hätten. Sie habe sich geweigert, ein Polizeiprotokoll zu unterschreiben, da darin etwas Falsches gestanden habe. Auf Nachfrage, was darin gestanden habe, erklärte die Klägerin: „Ich weiß nicht, was da stand. Ich konnte es nicht lesen. Es war in Singhalesisch geschrieben.“ Die Polizisten hätten ihr die Augen verbunden und sie mit langen Stöcken geschlagen. Als sie gewollt hätten, dass sie sich ausziehe, habe sie das Protokoll doch noch unterschrieben. Am nächsten Tag sei sie ins B. -Gefängnis gebracht worden. Die Polizei habe ihr vorgeworfen, die LTTE unterstützt zu haben „mit Geldzahlungen und solchen Dingen“. Sie sei vom 28.9.2002 bis zum 30.9.2003 inhaftiert gewesen. In dem Frauengefängnis sei sie in einem Raum mit durchschnittlich zehn Personen gewesen. Manche seien nur zwei, drei Tage dort gewesen, manche länger. Man habe dreimal am Tag etwas zu essen bekommen und dort etwas arbeiten können. Da sie keinen Anwalt gehabt habe, sei sie bei den monatlichen Vorführungen vom Gericht nicht angehört worden. Sie habe dann einen Brief an Freunde ihres Mannes geschrieben, die ihr einen Anwalt besorgt hätten. Gegen eine Kaution von 50.000 Rupien sei sie entlassen worden. Sie habe sich dann einmal im Monat beim Gericht melden müssen. Nach zwei Monaten sei ihr mitgeteilt worden, dass dies künftig entbehrlich sei. Sie würde angeschrieben werden, wenn sie bei Gericht zu erscheinen habe. Sie habe nichts mehr davon gehört. Ihr Bruder sei im Jahr 2003 erschossen worden, als sie im Gefängnis gewesen sei. Sie habe es selber nur gehört, nicht gesehen.
7Vom 10.12.2003 bis zum 15.5.2005 sei sie zwangsweise bei der LTTE in L. gewesen. Diese habe wissen wollen, was im Gefängnis vorgefallen sei, ob sie geschlagen worden sei. Sie habe gesagt, „im Gefängnis, das war ganz okay. Sie haben uns dreimal am Tag zu Essen gegeben“ und, „dass ich dort genäht habe“. Am 1.7.2005 sei sie von einer Militärstreife entführt und vergewaltigt worden. Im Oktober 2005 sei eine Schwangerschaft festgestellt worden. Auf dem Rückweg sei sie von Leuten des CID entführt worden. Nach Schlägen und Tritten in den Bauch habe sie das Bewusstsein verloren. Es sei dann ein Schwangerschaftsabbruch erforderlich gewesen.
8Die Klägerin überreichte eine auf den 2.10.2005 datierte diesbezügliche handschriftliche Bescheinigung der „S1. D3. “, Dr. (Tmt) H. T1. sowie das Testergebnis eines positiven Schwangerschaftstestes desselben Arztes vom 4.10.2005. Mehrere andere Schriftstücke in ihrem Besitz, wie die Quittung eines indischen Passamtes und ein indischer Kaufbeleg aus dem März 2005, gehörten nach Angaben der Klägerin nicht ihr, sondern Indern.
9Da die Klägerin bei der Anhörung vom 12.12.2005 trotz entsprechender Bitte der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten nicht anwaltlich begleitet gewesen war, wurde am 28.12.2005 eine weitere Anhörung durchgeführt. Dabei erklärte die Klägerin auf Nachfrage, sie sei beschuldigt worden, etwas mit dem Anschlag auf ihr Haus zu tun gehabt zu haben und mitverantwortlich zu sein, dass ihr Mann ums Leben gekommen sei. Zudem schilderte sie erneut, am 1.7.2005 von Männern in Armeekleidung vergewaltigt worden zu sein. Am 4.10.2005 habe sie einen Schwangerschaftstest gemacht und sei danach von Leuten des CID entführt worden. Sie sei geschlagen und in den Unterleib getreten worden. Am nächsten Tag habe sie geblutet und sei ins Krankenhaus gegangen, wo eine Ausschabung gemacht worden sei.
10Mit Bescheid vom 7.11.2006 (am 28.11.2006 als Einschreiben zur Post gegeben) lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Ziffer 1), stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG a. F. (Ziffer 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. (Ziffer 3) nicht vorliegen, forderte die Klägerin unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte ihr für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Sri Lanka an (Ziffer 4). Zur Begründung hieß es u. a.: Einer Anerkennung als Asylberechtigte stehe entgegen, dass mangels nachvollziehbarer Angaben von einer Einreise auf dem Landweg aus einem sicheren Drittstaat auszugehen sei. Eine politische Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG a. F. habe die Klägerin nicht glaubhaft gemacht. Ihre Angaben enthielten Ungereimtheiten, die den gesamten Vortrag unglaubhaft machten. Sie habe auch nicht glaubhaft gemacht, in Sri Lanka einer konkreten und individuellen Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. ausgesetzt zu sein. Das Attest vom 7.12.2005 lege weder substantiiert und umfassend die Ursachen für die psychische Erkrankung dar noch enthalte es eine nachvollziehbare und transparente Darstellung der diagnostischen Feststellungen.
11Hiergegen hat die Klägerin am 6.12.2006 Klage erhoben. Begründet hat sie diese durch Übersenden eines Attests des Assistenzarztes C. C. vom 13.3.2007, das im Wesentlichen wortlautgleich mit demjenigen vom 7.12.2005 ist.
12Im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 21.3.2007 hat die Klägerin erklärt, sie wisse noch, was sie seinerzeit beim Bundesamt angegeben habe. Dies sei auch richtig und vollständig gewesen. Der Brandanschlag auf ihr Haus habe sich am 15.9.2002 ereignet. Wegen dieses Anschlages sei sie verhaftet worden und habe sich ca. 1 Jahr lang im Gefängnis befunden. Auf die Frage, was man ihr vorgeworfen habe, hat die Klägerin angegeben, ihr Bruder sei bei der LTTE gewesen. Daher habe man einen Verdächtigen gesucht für diesen Brandanschlag. Auch die zur Sicherheit ihres Ehemannes anwesenden Polizisten seien verhaftet worden. Sie sei seinerzeit gegen eine Kaution von 50.000 Rupien aus dem Gefängnis entlassen worden, und zwar am 30.9.2003. Die Verfahren liefen noch. Sodann hat die Klägerin erneut die zwangsweise Tätigkeit für die LTTE in L. vom 10.12.2003 bis 15.5.2005, die Vergewaltigung durch Militärangehörige am 1.7.2005 sowie die Entführung durch Mitarbeiter des CID am 4.10.2005 mit Tritten in den Bauch, die zu einer Fehlgeburt geführt haben sollen, geschildert. Zudem hat sie Kopien von Zeitungsartikeln über den Tod ihres Ehemannes überreicht.
13Die Klägerin hat beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7.11.2006 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ferner festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 AufenthG a. F. bestehen,
15hilfsweise zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. vorliegen.
16Die Beklagte hat beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Mit Urteil vom 28.6.2007 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 7.11.2006 verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 AufenthG a. F. vorliegen. Ausdrücklich aufgehoben hat es weiter die im Bescheid vom 7.11.2006 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Entscheidung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F.; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, da sie nicht habe glaubhaft machen können, auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist zu sein. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin vorverfolgt ausgereist sei. Nach der gegenwärtigen Lage sei davon auszugehen, dass ihr bei Rückkehr in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Auf Grund des Berichts des Auswärtigen Amtes vom 13.3.2007 sei beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit als Tamilin bei Rückkehr in ihr Heimatland mit einer Verhaftung und menschenrechtswidrigen Behandlungen rechnen müsse, weil sie nicht individuell, sondern generell der Nähe zur LTTE verdächtigt werden würde.
19Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 15.7.2009 die Berufung gegen das Urteil zugelassen, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt.
20Die Beklagte beantragt,
21das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
22Die Klägerin beantragt,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Nachdem die Beklagte ein anonymes Schreiben vorgelegt hat, wonach die Klägerin vor ihrer Ausreise nach Deutschland mehr als drei Jahre in Indien gelebt und dort auch geheiratet haben soll, hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 7.10.2009 vorgetragen, sich nach der Entlassung aus dem Gefängnis in B. tatsächlich nach Indien begeben und sich dort bis zum 14.10.2005 aufgehalten zu haben. Sie habe weitere Verfolgungsmaßnahmen der sri-lankischen Sicherheitsorgane konkret befürchtet. Geheiratet habe sie dort nicht. Erst kurz vor der Ausreise sei sie nach Sri Lanka zurückgekehrt und von dort am 18.10.2005 mit einem Flugzeug der Sri Lanka Airlines mit einem Zwischenstopp nach X. geflogen. Ihr Schleuser, ein Herr T2. , sei selbst dorthin gekommen. Sie sei laut Pass als seine Ehefrau am 19.10.2005 mit dem Zug nach F. gefahren. Er habe sie geschlagen, und es sei zu sexuellen Übergriffen gekommen.
25Die Klägerin hat im Rahmen einer Zeugenvernehmung gegenüber der Kreispolizeibehörde X1. am 24.11.2009 erklärt: „Ich stamme aus Sri Lanka und wurde auch dort geboren. 2002 kam ich dort für ein Jahr ins Gefängnis (28.9.2002 – 28.9.2003), weil mein Bruder und mein Cousin der ‚LTT‘ angehörten […] Nach meinem Haftaufenthalt kam ich erst einmal in die ‚Obhut‘ der ‚LTT‘, die wissen wollte, was mir während der Haft passiert war. Danach sind mir viele schlimme Sachen passiert und ich wollte unbedingt das Land verlassen. Ein Bekannter von mir nahm dann Kontakt zu einem Schleuser, dem Herrn T2. auf. Der T2. begab sich dann nach Indien und ich sollte auch dorthin kommen, was ich dann auch gemacht habe. Dort wurde dann besprochen, wie ich nach Deutschland kommen kann, zunächst bin ich aber wieder nach Sri Lanka und der T2. wieder nach Deutschland. Im Oktober 2005 bin ich dann absprachegemäß wieder nach Indien, von wo aus mich der T2. nach Deutschland bringen wollte. Das war in Madras in Indien. Aber es klappte wieder nicht mit der ‚Reise‘ nach Deutschland und ich bin am 14.10.2005 wieder zurück nach Sri Lanka (D. ). Am 18.10.2005 bin ich dann […] von D. nach X. geflogen. […] Ich bin dann mit einem gefälschten Pass (Sri Lanka) unter anderen Personalien nach X. geflogen. […] Vor meinem Flug nach X. hatte ich an den T2. 1,5 Millionen Rupien gezahlt […].“ Sodann hat die Klägerin Schläge und mehrere Vergewaltigungen durch Herrn T2. geschildert.
26Am 22.6.2010 hat die Klägerin eine auf den 12.10.2009 datierte englischsprachige Erklärung eines Rechtsanwalts und Notars M. T3. , W. , vorgelegt. Danach sei ihr Ehemann ein Mitglied des Parlaments gewesen und am 14.9.2002 gestorben. Die Klägerin sei am 28.9.2002 als des Mordes an ihrem Ehemann Verdächtige verhaftet worden. Sie sei am 17.9.2003 im noch anhängigen Verfahren auf Kaution freigelassen worden. Sie sei nun flüchtig und es bestehe ein Haftbefehl ihr gegenüber. Ihr Aufenthaltsort sei derzeit nicht bekannt. Diese Erklärung sei auf Veranlassung des F1. O1. T. abgegeben worden.
27Die Klägerin hat außerdem ein ärztliches Attest des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie G. S2. vom 7.5.2014 übersandt, der eine PTBS mit langdauernder, schwerer depressiver Störung diagnostiziert. Es bestehe eine schwerwiegende Beeinträchtigung des psychischen Gesundheitszustandes mit Dekompensation bereits bei geringeren, insbesondere angstauslösenden Belastungen oder Ereignissen. Aus nervenärztlicher Sicht sei insbesondere aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung dringend von einer Rückkehr in die Heimat abzuraten.
28Auf Einwände der Beklagten hin hat die Klägerin ein weiteres ärztliches Attest des Herrn G. S2. vom 24.11.2014 übersandt. Danach habe sie im Jahr 2002 ihren Mann verbrennen sehen. Seitdem bestehe die Symptomatik einer PTBS mit ständiger Anspannung, Ängstlichkeit, ständig wiederkehrenden Bildern (Flash Backs), Alpträumen. Weiterhin bestünden Schuldgefühle und Panikattacken. Zusätzlich bestehe ein durchgehendes schweres depressives Syndrom. Eine Weiterführung der medikamentösen Behandlung sei erforderlich. Im Falle der Rückkehr nach Sri Lanka drohe durch die Konfrontation mit traumaauslösenden oder –verstärkenden Erfahrungen eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustandes.
29Zudem hat die Klägerin eine Fachpsychologische Stellungnahme des Diplom-Psychologen Dr. B1. B2. vom 5.1.2015 vorgelegt. Dieser diagnostiziert eine komplexe PTBS nach mehrfacher sexueller Gewalt und Folter sowie eine mittelgradige depressive Episode. Die Klägerin habe berichtet, dass sie einen älteren Bruder gehabt habe, der für die LTTE aktiv gewesen und 1988 im Kampf erschossen worden sei. Bei den Kämpfen sei auch ihr Cousin getötet worden, den sie tot aufgefunden habe. Ihr Mann sei am 15.9.2002 um Mitternacht bei einem Bombenanschlag gestorben. Am 28.9.2002 sei die Polizei gekommen und habe berichtet, dass der Angriff durch die LTTE erfolgt sei und die Klägerin diese unterstützen würde. Sie sei mitgenommen und für ein Jahr im Gefängnis festgehalten worden. Sie sei allein in einem kleinen Raum untergebracht gewesen. Sie sei von mehreren Männern, die sie verhört hätten, wiederholt erniedrigt und vergewaltigt worden. Sie habe aus Scham dem Bundesamt nicht alles berichtet. Am 30.9.2003 sei sie freigekauft worden. Sie habe dann versucht, Beschäftigung zu finden, um sich von den Geschehnissen abzulenken. Ab Dezember 2003 bis Mai 2005 habe sie in einem Krankenhaus der LTTE gearbeitet. Am 1.7.2005 sei sie von Militärangehörigen entführt und vergewaltigt worden. Danach sei sie nach D. geflüchtet und habe auf die Beschaffung eines Reisepasses gewartet. Ein Arzt habe eine Schwangerschaft festgestellt. Auf dem Rückweg sei sie von CID-Leuten entführt worden. Sie sei getreten und geschlagen worden. Alle ihre Papiere seien zerrissen worden. Nach der Freilassung sei sie ins Krankenhaus gefahren und habe am 2.10.2005 eine Ausschabung vornehmen lassen. Seit etwa acht Jahren wohne sie allein in einem Heim. Man sei bei ihr eingebrochen. Sie befürchte, dass man ihr als Frau Schlimmes antun könnte. Ihr sei die Post verspätet ausgehändigt worden. Deshalb habe sie Nachteile bei Behörden bekommen.
30Dr. B2. führt weiter aus, es sei aus psychologischer Sicht nachvollziehbar, dass die Klägerin bisher aus Scham und Angst über die sexuelle Gewalt nicht berichtet habe. Eine Zwangsrückkehr würde bei der Vorgeschichte und der schweren klinischen Symptomatik eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Ihr Zustand würde sich voraussichtlich noch weiter verschlechtern und mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Retraumatisierung und so zu einer völligen psychischen Dekompensation führen. Allein der Verlust der vertrauensvollen Beziehung zu ihrem Arzt dürfte sie sehr belasten. Zudem würde sie bei einer Rückkehr ständig mit traumaassoziierten Reizen konfrontiert werden.
31In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin erklärt, Singhalesisch nur sprechen, nicht aber lesen zu können. Ihr Ehemann sei Parlamentsmitglied gewesen. Der Kontakt zu ihrem Sohn sei nach der Ausreise abgebrochen. Die auf den 12.10.2009 datierte Erklärung des Rechtsanwalts und Notars M. T3. habe, anders als darauf angegeben, nicht ihr Sohn besorgt. Den Schlepper T2. habe sie erstmals in Deutschland getroffen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Anhörung der Klägerin durch den Senat wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.8.2015 Bezug genommen. In dieser hat die Klägerin außerdem eine Geburtsurkunde vorgelegt, nach der ihr Ehemann am 14.9.2002 gestorben sein soll. Dies ergibt sich auch aus einem vorgelegten Zeitungsartikel, der in seinen Grundzügen in der mündlichen Verhandlung übersetzt worden ist.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Bundesamtes, der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Kleve in der Strafsache gegen Herrn T2. – 701 Js 65/10 – und der beigezogenen Ausländerakte des Kreises X1. Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe:
34Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
35A. Der erstinstanzlich gestellte Hauptantrag ist, soweit er auf die Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG gerichtet war, nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Insoweit ist das klageabweisende erstinstanzliche Urteil nicht angefochten und mithin rechtskräftig geworden. Gleiches gilt für die erstinstanzlich auf den Hauptantrag hin ausgesprochene Aufhebung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, weil insoweit die Beklagte schon die Zulassung der Berufung nicht beantragt hat.
36B. Für die Beurteilung der noch streitgegenständlichen Anträge ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgeblich. Rechtsgrundlagen für die Beurteilung des Begehrens der Klägerin sind daher u.a. die seit dem 1.12.2013 geltenden §§ 3 ff. AsylVfG, welche die Richtlinie (RL) 2011/95/EU ins deutsche Recht umsetzen. Eine Änderung des Streitgegenstandes ist durch diese Neufassung nicht eingetreten.
37Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.1.2014 – 9 A 2561/10.A –, juris, Rn. 23 ff.
38Die erstinstanzlich gestellten und im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Klageanträge sind mit Blick auf die aktuelle Rechtslage wie folgt zu verstehen: Soweit er ursprünglich auf die Verpflichtung zur Feststellung gerichtet war, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 AufenthG a. F. bestehen, ist der Hauptantrag nunmehr auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG gerichtet.
39Über den von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. hat das Gericht in der Berufungsinstanz – ungeachtet der insofern fehlenden Berufungszulassung – bei Erfolglosigkeit des Hauptbegehrens zu entscheiden.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.1997 – 9 C 19.96 –, juris, Rn. 13; Beschlüsse vom 20.9.2004 – 1 B 27.04 –, juris, Rn. 3, vom 27.10.2006 – 1 B 152.06 –, juris, Rn. 2, und vom 5.4.2012 – 4 B 45.11 –, juris, Rn. 11.
41Dieser ursprüngliche einheitliche Hilfsantrag entspricht hinsichtlich der geltend gemachten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG a. F. nunmehr einem ersten Hilfsantrag auf Verpflichtung zur Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nrn. 1, 2, 3 AsylVfG. In § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind die bisher in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbote gebündelt worden. Hierdurch ist Art. 15 RL 2004/83/EG umgesetzt und durch normative Verknüpfung mit § 4 Abs. 1 AsylVfG zusammengefasst worden (BT-Drucks. 17/13063, S. 25). Die Regelungen sind – von der im Zuge der Neuregelung vorgenommenen terminologischen Umbenennung des Schutzstatus abgesehen – gleichlautend und materiell-rechtlich inhaltsgleich.
42Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.1.2014 – 9 A 2564/10.A –, juris, Rn. 28 ff.
43§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 nicht geändert worden (BT-Drucks. 17/13063, S. 14).
44Da die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand darstellt, stehen diese Positionen untereinander in einem Stufenverhältnis, so dass sich bei interessengerechtem Verständnis des klägerischen Begehrens an den auf die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte gerichteten ersten Hilfsantrag ein auf die nationalen Abschiebungsverbote bezogener zweiter Hilfsantrag anschließt.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.2010 – 10 C 4.09 –, juris Rn. 16.
46C. Sämtliche hiernach im Berufungsverfahren streitgegenständlichen Verpflichtungsbegehren sind unbegründet.
47Die insoweit ablehnenden Entscheidungen im Bescheid des Bundesamtes vom 7.11.2006 sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat weder Anspruch auf die mit dem Hauptantrag verfolgte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG (I.) noch auf die mit den demzufolge im Berufungsverfahren zu bescheidenden Hilfsanträgen begehrte Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG (II.) bzw. Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots (III.).
48I. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2a) AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 – Genfer Flüchtlingskonvention (GK) –, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – vgl. zur Definition dieser Begriffe § 3b Abs. 1 AsylVfG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
49Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG gelten zunächst Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG). § 3a Abs. 2 AsylVfG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller, Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden. Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylVfG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylVfG und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
50Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren auf Grund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 – 10 C 23.12 –, juris, Rn. 19.
52Wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde, kommt ihm – auch wenn dies anders als nach bisheriger Gesetzeslage (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG a. F. i. V. m. Art. 4 Abs. 4 der RL 2004/83/EG) nicht mehr ausdrücklich geregelt ist – ggf. die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU zugute. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach dieser Vorschrift zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 der RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht.
53Vgl. zur gleichlautenden Regelung in Art. 4 Abs. 4, Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG: BVerwG, Beschluss vom 6.7.2012 – 10 B 17.12 –, juris, Rn. 5, im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. –, juris, Rn. 94.
54Danach ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Heimatland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.2010 – 10 C 5.09 –, juris, Rn. 23.
56Die Gefahr einer den Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus begründenden Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (Einzelfallverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsschutzrelevanten Merkmals verfolgt werden, das der Betreffende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt grundsätzlich eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit feststellen. Es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch auf Grundlage einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe vorgenommen werden, wobei gegebenenfalls auch eine Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe einzubeziehen ist.
57Vgl. BVerwG, Urteile vom 5.7.1994 – 9 C 158.94 –, juris, Rn. 17 ff., und vom 21.4.2009 – 10 C 11.08 –, juris, Rn. 13 ff., sowie Beschluss vom 2.2.2010 – 10 B 18.09 –, juris, Rn. 2 f.
58Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht.
59Vgl. BVerwG, Urteile vom 5.7.1994 – 9 C 158.94 –, juris, Rn. 24, und vom 21.4.2009 – 10 C 11.08 –, juris, Rn. 13, sowie Beschluss vom 2.2.2010 – 10 B 18.09 –, juris, Rn. 2.
60An diesen Anforderungen ist angesichts der unionsrechtlichen Vorgaben festzuhalten.
61Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 – 10 C 11.08 –, juris, Rn. 16; BVerwG, Beschluss vom 2.2.2010 – 10 B 18.09 –, juris, Rn. 2.
62Sie gelten auch für den Fall, dass die Verfolgung nicht von dem Staat, sondern von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht. Nach § 3c AsylVfG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, oder (3.) von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
63Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) kann nicht angenommen werden, dass sie bei einer Rückkehr nach Sri Lanka mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung im dargestellten Sinne bedroht ist.
641. Der Klägerin kommt die Beweiserleichterung nach RL 2011/95/EU nicht zugute. Es ist weder unter dem Gesichtspunkt der Gruppen- (a) noch demjenigen der Individualverfolgung (b) festzustellen, dass staatliche sri-lankische Stellen die Klägerin vor ihrer Ausreise verfolgt haben oder sie von Verfolgung durch solche unmittelbar bedroht war.
65a) Unter dem Gesichtspunkt einer damaligen Gruppenverfolgung kann auf sich beruhen, ob die Klägerin bereits Ende 2002 oder erst im Jahr 2005 Sri Lanka (endgültig) verlassen hat. Auf ersteres deutet ihre Äußerung in der ersten Anhörung beim Bundesamt vom 9.12.2005 hin, bis drei Monate vor der Ausreise habe sie gemeinsam mit ihrem am 15.9.2002 ums Leben gekommenen Ehemann in W. gelebt. Dahinstehen kann dies, da weder im Jahr 2002 noch im Jahr 2005 eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechend landesweite staatliche Gruppenverfolgung von Tamilen in Sri Lanka stattfand. Angehörigen dieser Volksgruppe oder irgendeiner Untergruppe drohte politische Verfolgung zu beiden Zeitpunkten nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
66Vgl. zum Jahr 2002: OVG NRW, Urteil vom 15.11.2002 – 21 A 1329/00.A –, UA S. 30 ff.; zum Jahr 2005: OVG NRW, Urteil vom 19.12.2005 – 21 A 259/01.A –, UA S. 67 ff., 89.
67b) Auch eine Individualverfolgung der Klägerin vor ihrer Ausreise aus Sri Lanka ist nicht festzustellen.
68Das Gericht hat sowohl auf der Grundlage der Aktenlage als auch nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht die Überzeugung gewinnen können, dass sie Sri Lanka unter dem Druck einer erlittenen oder ihr unmittelbar drohenden politischen oder sonstigen abschiebungsschutzrelevanten Verfolgung verlassen hat. Das Gericht hat bei dieser Bewertung auch die Beweisnot, in der sich die Klägerin befindet, und die daraus folgende besondere Bedeutung der eigenen Schilderung der persönlichen Verhältnisse und Erlebnisse der Klägerin vor ihrer Ausreise berücksichtigt.
69Das Vorbringen der Klägerin ist zur Überzeugung des Gerichts insgesamt unglaubhaft. Die Angaben zu ihrem angeblichen Verfolgungsschicksal sind mit erheblichen Widersprüchen behaftet und zum Teil gesteigert. Darüber hinaus geht das Vorbringen in wesentlichen Punkten nicht über eine sehr allgemein und oberflächlich gehaltene Darstellung hinaus, ist in einigen Punkten nicht nachvollziehbar und stellt sich insgesamt nicht als Wiedergabe tatsächlich (selbst) erlebter Geschehnisse dar. Zudem passte die Klägerin erkennbar ihr Aussageverhalten stets der jeweiligen Situation an. Besonders deutlich wurde dies im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. In dieser hat sie, um die unmittelbar zuvor aufgestellte Behauptung, seit ihrer Ausreise keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn gehabt zu haben, aufrechterhalten zu können, auf Vorhalt des Gerichts von der von ihr selbst beigebrachten Erklärung des Rechtsanwalts und Notars M. T3. vom 12.9.2009, die ausdrücklich auf Veranlassung des Sohnes der Klägerin ausgestellt worden sein soll, nichts mehr wissen wollen. Um den durch in diesem Zusammenhang getätigte Äußerungen entstandenen Eindruck zu zerstreuen, diese Erklärung könnte von dem als Schleuser benannten Herrn T2. beschafft worden sein, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung behauptet, diesen erstmals in Deutschland getroffen zu haben. Hiermit hat sie sich in deutlichen Widerspruch sowohl zum Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 7.10.2009 (Treffen in X. ) als auch zu ihren Angaben gegenüber der Kreispolizeibehörde X1. am 24.11.2009 (Treffen in Indien) gesetzt.
70Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Klägerin ist außerdem zu berücksichtigen, dass sie gerade mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 7.10.2009 unter dem Eindruck des vom Bundesamt im September 2009 übersandten anonymen Schreibens hatte einräumen müssen, jedenfalls teilweise – in einem zentralen Punkt ihres Vorbringens zum Geschehen vor der Anreise – die Unwahrheit gesagt zu haben.
71Im Übrigen spricht gegen jedwede begründete Angst vor individueller staatlicher Verfolgung in der Vergangenheit, dass die sich bereits in Indien in Sicherheit befindende Klägerin nach ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 7.10.2009 einmal und nach ihrer Aussage bei der Kreispolizeibehörde X1. vom 24.11.2009 sogar zweimal wieder nach Sri Lanka zurückkehrte (Rechtsgedanke des § 72 Abs. 1 Nr. 1a AsylVfG).
72aa) Sollte die Klägerin – wie im vom Bundesamt im September 2009 übersandten anonymen Schreiben behauptet – bereits im Jahr 2002 ausgereist sein, verbliebe schon kein Vortrag zu einem individuellen Verfolgungsschicksal mehr, der einer Würdigung durch den Senat zugänglich wäre. Zugunsten der Klägerin unterstellt, es habe einen für ihren Ehemann tödlichen Brandanschlag auf ihre Wohnung in W. am 14./15.9.2002 gegeben, wäre nachvollziehbar, dass sie diese Wohnung anschließend nicht mehr bewohnen konnte und nach D. ging. Wenn sie dann – wie am 9.12.2005 selbst vorgetragen – innerhalb von drei Monaten Sri Lanka verließ, bleibt kein Raum für die später behauptete einjährige Inhaftierung.
73bb) Soweit die Klägerin noch vor der Asylantragstellung durch die Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten vortragen ließ, ihr Ehemann sei Parlamentsmitglied gewesen und von staatlicher Seite ermordet worden, hält sie daran offenkundig nicht mehr fest. Persönlich hat sie dies weder bei einer ihrer drei Anhörungen durch das Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren jemals wiederholt. Dasselbe gilt für die damalige Behauptung, sie sei mehrfach wegen der politischen Aktivitäten ihres Ehemannes inhaftiert worden („zum wiederholten Male“, „ständige Inhaftierung“).
74cc) Eine dem Tod ihres Ehemannes nachfolgende rund einjährige Inhaftierung der Klägerin ab dem 28.9.2002, in deren Rahmen es einmalig zu Stockschlägen und – erstmalig in der fachpsychologischen Stellungnahme des Dr. B2. vom 5.1.2015 angesprochen – mehrfach zu Vergewaltigungen gekommen sein soll, ist nicht glaubhaft.
75Obwohl die damals anwaltlich vertretene Klägerin durch eine gerichtliche Entscheidung gegen Kaution aus der Haft entlassen worden sein will, fehlt schlüssiger Vortrag, wann dies erfolgt sein soll. Die Klägerin selbst hat mehrfach behauptet, die Haft habe am 30.9.2003 geendet. Die diesbezüglich vorgelegte angebliche Erklärung des Rechtsanwalts und Notars M. T3. vom 12.10.2009 spricht hingegen vom 17.9.2003.
76Auch zu weiteren wesentlichen Umständen der Haft ist konsistenter Vortrag ausgeblieben. Hierbei ist besonders zu berücksichtigen, dass die Klägerin durchaus in der Lage ist, auch komplexere Vorgänge zu verstehen. Sie weist nach eigenen Angaben eine Schulbildung von zwölf Jahren auf, gehörte zum privilegierten Teil der sri-lankischen Bevölkerung, wurde in Sri Lanka zuletzt anwaltlich vertreten und angeblich in einem geordneten Verfahren aus der Haft entlassen. Insofern hätte es ihr freigestanden, die darüber vorhandenen Unterlagen vorzulegen oder zu deren Verbleib vorzutragen.
77Stattdessen hat sie schon nicht nachvollziehbar dargelegt, was genau ihr vorgeworfen worden sein soll. Bei ihrer Anhörung vom 12.12.2005 beschränkte sie den angeblichen polizeilichen Vorwurf darauf, die LTTE unterstützt zu haben, bei der auch ihr Bruder sei, nicht aber am Brandanschlag beteiligt gewesen zu sein. Ihr Bruder sei 2003 erschossen worden, als sie im Gefängnis gewesen sei. Auch gegenüber der Kreispolizeibehörde X1. erklärte sie noch am 24.11.2009, ins Gefängnis gekommen zu sein, weil ihr Bruder und Cousin der LTTE angehörten, d.h. nicht etwa wegen eines Verdachts des Mordes an ihrem eigenen Ehemann.
78In der Anhörung beim Bundesamt vom 28.12.2005 behauptete sie hingegen, beschuldigt worden zu sein, etwas mit dem Anschlag auf ihr Haus zu tun gehabt zu haben und dafür mitverantwortlich zu sein, dass ihr Mann ums Leben gekommen sei. Im Gefängnis habe sie dann erfahren, dass ihr Bruder, der für die LTTE gearbeitet habe, umgebracht worden sei.
79Nach den Angaben von Dr. B2. in dessen fachpsychologischer Stellungnahme vom 5.1.2015 gab sie diesem gegenüber jedoch an, ihr Bruder, der für die LTTE aktiv gewesen sei, sei bereits 1988 im Kampf erschossen worden. Das lässt schon Anhaltspunkte der sri-lankischen Sicherheitskräfte für eine im Jahr 2002 aktive Verbindung zur LTTE als fraglich erscheinen.
80Auch in der angeblichen Erklärung des Rechtsanwalts und Notars M. T3. vom 12.9.2009 heißt es, sie sei wegen Mordverdachts inhaftiert worden. Ihr Ehemann wird darin als Member und nicht Minister of Parliament bezeichnet. Er soll bereits am 14.9.2002 gestorben sein. Allerdings hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Wahrheitsgehalt dieser Erklärung – wie bereits ausgeführt – selbst in Zweifel gezogen, indem sie die darin enthaltene Behauptung, die Ausstellung sei auf Veranlassung ihres Sohnes erfolgt, als unzutreffend bezeichnete.
81Die in dieser Erklärung enthaltene Berufsbezeichnung ihres Ehemannes hat sie allerdings auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung wiederholt. Den 14.9.2002 als angeblichen Todestag ihres Ehemannes hat sie in der mündlichen Verhandlung durch Vorlage einer Sterbeurkunde und eines Zeitungsartikels untermauert. Dies setzt sogar den Vortrag der Klägerin zu ihren persönlichen Verhältnissen vor jedweder behaupteten Verfolgung Zweifeln aus. Zunächst fällt auf, dass sie den Todestag bis dahin stets mit dem 15.9.2002 angegeben hatte. Ist nämlich in einer Sterbeurkunde offiziell als Todestag ihres Mannes der Vortag festgestellt, liegt es nahe, dass die Klägerin diesen Tag auch bei jedwedem späteren Behördenkontakt in Sri Lanka als Zeitpunkt, seit dem sie verwitwet sei, hätte angeben müssen, selbst wenn tatsächlich der Tod erst kurz nach Mitternacht – mithin am 15.9.2002 – eingetreten sein sollte. Insofern hätte es nahegelegen, gerade diesen „offiziellen“ Todestag sich zu merken bzw. gegenüber deutschen Behörden anzugeben. Weiter ist auffällig, dass bei einem ehemaligen Parlamentsmitglied dessen frühere Stellung keinen herausgehobenen Eingang in den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten und in seinen Grundzügen übersetzten Zeitungsartikel gefunden haben sollte. Nicht nachvollziehbar ist zudem, dass der Beruf des Ehemannes in der Vergangenheit mit „Minister“ of Parliament angegeben worden war. Diesbezüglich ist ein Übersetzungsfehler ausgeschlossen, da diese Position in der Anhörung vom 12.12.2005 auch näher erläutert (Verwaltungsbeamter im Ministerium) und genau zugeordnet worden ist (im Ministerium für Soziales).
82Die Angaben zur Unterbringung in der Haft sind ebenfalls widersprüchlich. Gegenüber dem Bundesamt erklärte die Klägerin am 12.12.2005, in einem Raum mit durchschnittlich 10 Personen gewesen zu sein. Dr. B2. gegenüber sprach sie hingegen davon, während der Haft alleine untergebracht gewesen zu sein. Diesem gegenüber schilderte sie auch, dort wiederholt verhört, geschlagen, erniedrigt und vergewaltigt worden zu sein. Dem Bundesamt gegenüber sprach sie stattdessen nur von einem Verhör, bei dem sie mit langen Stöcken geschlagen worden sei, weil sie das Protokoll nicht habe unterzeichnen wollen.
83Bei der Angabe, weshalb sie nicht habe unterzeichnen wollen, verstrickte sie sich schon bei der Anhörung in Widersprüche. Zunächst hieß es, es habe etwas Falsches darin gestanden. Auf Nachfrage, was dort gestanden habe, behauptete sie plötzlich, sie habe das in Singhalesisch verfasste Protokoll nicht lesen können. Überdies schilderte sie gegenüber dem Bundesamt am 12.12.2005, dass es gerade nicht zu sexuellen Übergriffen gekommen sei. Die Forderung, sich auszuziehen, habe sie dadurch abgewendet, das Protokoll doch noch zu unterschreiben. Auch hinsichtlich der weiteren Haft schilderte sie keine gravierenden Missstände, sondern ausreichende Nahrung und Beschäftigung. Der LTTE gegenüber will sie auf die ausdrückliche Frage danach, ob sie geschlagen worden sei, ebenfalls angegeben haben, „im Gefängnis, das war ganz okay.“ Die Erklärung gegenüber Dr. B2. : „Ich habe aus Scham dem Bundesamt nicht alles berichtet“, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die Klägerin begab sich nämlich schon mit der Ankündigung ihres Prozessbevollmächtigten zur Anhörung, geschlechtsspezifische Verfolgung in der Haft erlitten zu haben; es sei zu einem Schwangerschaftsabbruch nach wiederholter Vergewaltigung im Gefängnis gekommen. Gerade deshalb wurde sie dreimal angehört, davon zweimal durch eine Einzelentscheiderin sowie eine Dolmetscherin, einmal auch in Begleitung einer Rechtsanwältin. Hierbei sah sie sich auch nicht durch Scham gehindert, Vergewaltigung und Schwangerschaftsabbruch zu schildern, aber eben gerade nicht im Zusammenhang mit dem Gefängnisaufenthalt 2002/2003, sondern bei Verschleppungen durch Militär und CID 2005.
84Aufgrund der vorstehenden Ausführungen gibt es keinen Anlass, von Amts wegen hinsichtlich des Gefängnisaufenthalts bzw. eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Mordverdachts bzw. eines daraus resultierenden Haftbefehls weiter zu ermitteln. Die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts findet ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Ein solcher besteht im Asylprozess dann nicht, wenn der Kläger unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. VwGO seine guten Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht in "schlüssiger" Form vorträgt, d. h., nicht unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildert, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass er bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen,
85Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26.10.1989 – 9 B 405.89 –, juris, Rn. 8, und vom 20.7.1998 – 9 B 10.98 –, juris, Rn. 6.
86Dies hat die Klägerin nicht getan. Sie hat auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine schlüssige Schilderung von Verhaftung, Verhören, Gefängnisaufenthalt, Entlassung trotz eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Mordverdachts gegeben, bei der es gleichwohl zum Erlass eines Haftbefehls gekommen sei.
87dd) Dem Vorbringen zu ursprünglich vorgetragenen Verfolgungshandlungen nach der behaupteten Haftentlassung durch LTTE, Militär und CID in den Jahren 2003 bis 2005 ist dadurch der Boden entzogen, dass die Klägerin mit Schriftsatz vom 7.10.2009 eingeräumt hat, sich nach dem Gefängnisaufenthalt nach Indien begeben zu haben.
882. Es ist weder unter dem Gesichtspunkt der Gruppen- (a) noch demjenigen der Individualverfolgung (b) beachtlich wahrscheinlich, dass staatliche sri-lankische Stellen oder Dritte die nach dem Vorstehenden unverfolgt ausgereiste Klägerin nunmehr im Falle ihrer Rückkehr verfolgen werden.
89a) Der Klägerin droht bei der Rückkehr nach Sri Lanka angesichts der dortigen allgemeinen Menschenrechts- und Sicherheitslage (aa) weder in Anknüpfung an ihre tamilische Volkszugehörigkeit (bb) noch an zusätzliche allgemeine Merkmale (cc) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Gruppenverfolgung durch den sri-lankischen Staat oder durch Dritte (dd).
90Die Situation in Sri Lanka – insbesondere die Sicherheitslage – hat sich seit der Ausreise der Klägerin, spätestens im November 2005, zwar zunächst verschärft. Dies rechtfertigte jedoch bereits in der Vergangenheit (wie das erkennende Gericht für die Zeit bis Mai 2011 in seinen Urteilen vom 29.4.2009 – 3 A 3013/04.A – und – 3 A 627/07.A –, vom 8.7.2009 – 3 A 3295/07.A –, vom 2.9.2009 – 3 A 2840/08.A –, vom 29.10.2009 – 3 A 2275/07.A –, vom 20.1.2010 – 3 A 2234/08.A –, vom 11.6. 2010 – 3 A 3296/07.A –, vom 24.8.2010 – 3 A 1170/09.A – sowie vom 10.5.2011 – 3 A 133/10 – festgestellt hat) nicht die Annahme, dass Tamilen im allgemeinen oder Untergruppen hiervon, wie etwa zurückkehrende Asylbewerber, männliche Tamilen jüngeren bzw. mittleren Alters oder Tamilen aus dem Norden und Osten in Sri Lanka allein auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit landesweit oder regional einer staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt sind.
91An dieser Einschätzung hält der Senat auch bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) fest.
92aa) Die allgemeine Menschenrechts- und Sicherheitslage für Tamilen in Sri Lanka stellt sich nach Auswertung der dem erkennenden Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen derzeit zusammengefasst wie folgt dar:
93Auch sechs Jahre nach der militärischen Beendigung des Bürgerkriegs zwischen dem srilankischen Militär und der LTTE und Ansätzen der Normalisierung – wie die Durchführung von Kommunal-, Parlaments-, erstmaligen Provinzwahlen im Norden des Landes und mehrfachen Präsidentschaftswahlen, die von der Regierung nahezu abgeschlossene Rückführung von tamilischen Bürgerkriegsflüchtlingen in ihre Siedlungsgebiete, eine weitgehende Leerung der „Rehabilitationslager“ sowie eine Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage – ist die Menschenrechtslage in Sri Lanka weiterhin als instabil zu bezeichnen. Die Regierung unternimmt alles, um eine Neuformierung der LTTE zu unterbinden. Das Antiterrorgesetz von 1979 (Prevention of Terrorism Act – PTA) ist weiter in Kraft, wenngleich es deutliche Signale der neuen Regierung für eine Versöhnungspolitik gibt.
94(1) Für die Lage vor den Präsidentenwahlen im Januar 2015 steht eine Vielzahl von Erkenntnisquellen zur Verfügung. Aus diesen ergibt sich ein weitgehend homogenes Bild:
95(a) Aus Sicht des Auswärtigen Amtes (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka – Lagebericht – [Stand: Juni 2014] vom 15.10.2014) ergab sich ein halbes Jahr vor den Präsidentenwahlen folgende Situation. Staatspräsident Rajapaksa habe seine Machtfülle durch Verfassungsänderungen konsolidiert. Seine zweite Amtszeit habe am 19.11.2010 begonnen; er könne sich auf eine Zweidrittelmehrheit im Parlament stützen.
96Am 10.01.2011 sei es erstmals zu einem Treffen im Rahmen des schon Mitte 2010 zwischen beiden Seiten vereinbarten „strukturierten Dialogs“ der Regierung mit der TNA, einer Allianz der fünf im Parlament vertretenen tamilischen Parteien (14 Abgeordnete) gekommen. Dabei hätten sowohl kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Menschen in den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten im Osten sowie insbesondere im Norden, als auch längerfristig Vorschläge für eine politische Lösung des Konflikts erarbeitet werden sollen. Allerdings seien nach mehrfachen Gesprächsrunden keine sichtbaren Ergebnisse erzielt worden.
97Nach den erstmaligen Provinzwahlen im Norden des Landes im September 2013, hätten die Mitglieder der erstmals gewählten Provinzregierung – mit großer Mehrheit aus der TNA – eine weitgehende faktische Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten mangels finanzieller Mittel beklagt. Inzwischen sei die Zuständigkeit für die Polizei zwar aus dem Verteidigungsministerium ausgelagert worden und unterstehe dem neuen „Law and Order“-Ministerium. Allerdings bleibe eine wirkliche Trennung von Polizei und Militär unvollendet, da der Präsident selbst beide Ministerien leite.
98Rund 300.000 Zivilpersonen seien in den letzten Monaten des Bürgerkriegs in dem von der LTTE gehaltenen, kontinuierlich schrumpfenden Kampfgebiet eingeschlossen gewesen. Nach der Beendigung der Kämpfe habe sie die Armee in geschlossenen Lagern hauptsächlich nahe W. untergebracht. Nach Angaben der Regierung gegenüber dem Menschenrechtsrat sei die Rücksiedlung aller Binnenvertriebenen aus der letzten Phase des Konflikts im März 2013 abgeschlossen gewesen. An den Heimat- bzw. Siedlungsorten seien allerdings die infrastrukturellen Bedingungen noch nicht vollständig wiederhergestellt und in vielen Fällen die umliegenden Felder noch vermint. Erschwerend kämen ungeklärte Landrechte hinzu. Außerdem habe das Militär im Norden mehrere Hochsicherheitszonen ausgewiesen, in die die früheren Bewohner nicht zurückkehren dürften. Zudem seien erst wenige der rund 65.000 bereits 1990 von der LTTE von der Jaffna-Halbinsel vertriebenen Muslime zurückgekehrt.
99Einem gesonderten Regime unterlägen die geschlossenen sog. „Rehabilitationslager“, in denen 2013 noch ca. 230 mutmaßliche ehemalige LTTE-Kämpfer untergebracht gewesen seien.
100Der im August 2005 verhängte Ausnahmezustand sei im September 2011 aufgehoben worden. Der PTA sehe aber ähnliche Regelungen wie die mit dem Notstandsgesetz weggefallenen vor. Die Sicherheitskräfte hätten damit weitgehende Ausnahmerechte. Kontrollen durch Polizei und Militär hätten nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und Menschenrechtsanwälten seit Anfang 2014 im Norden deutlich zugenommen. Zeitgleich mit der Sitzung des Menschenrechtsrats im März 2014 seien etwa 65 Zivilisten unter dem Verdacht der Nähe zur LTTE festgenommen worden, darunter auch Frauen und Jugendliche sowie ein katholischer Priester. Die meisten hätten sich auch Ende Mai 2014 noch ohne Anklageerhebung in Haft befunden. Die ehemals umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen insbesondere in D. und in der Ostprovinz, einschließlich der zahlreichen Kontrollpunkte von Polizei und Militär, seien erheblich reduziert worden. Der Alltag in den restlichen Landesteilen habe sich normalisiert. In den ehemaligen Kerngebieten der LTTE im Norden (Distrikte Jaffna, L. und Mullaitivu) sei nach wie vor eine hohe Präsenz des Militärs zu verzeichnen. Hier habe das Militär auch Einfluss auf die Zivilverwaltung, die Wiederaufbau-Maßnahmen und Polizeiangelegenheiten (z.B. Genehmigung von Versammlungen). Spürbar sei nach Aussagen von Menschenrechtsaktivisten und NRO die zunehmende Kontrolle durch das Militär. Daneben werde von stärkerer Einmischung auch lokaler (TNA-) Politiker berichtet, die ebenfalls eine stärkere Teilhabe an Projektinhalten und der Auswahl der Begünstigten haben wollten.
101Die Sicherheitslage in Sri Lanka habe sich zwar inzwischen stabilisiert, die Menschenrechtslage sei aber weiter instabil: Insbesondere im Norden (mit Schwerpunkt im Vanni-Gebiet) fühlten sich die Menschen von der starken Präsenz des Militärs eingeschüchtert; die Kontrolle erstrecke sich bis hin zu Familienfeiern. Im März/April 2014 habe die sri-lankische Regierung ihre Anti-Terrormaßnahmen deutlich verschärft. Am 21.3.2014 habe die sri-lankische Regierung die LTTE und 15 tamilische Organisationen im Ausland sowie 424 zumeist im Ausland ansässige Einzelpersonen unter Terrorismusverdacht gestellt. Unter Berufung auf die VN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) würden
102die Gastländer der Organisationen und Einzelpersonen aufgerufen, mit Sri Lanka bei der Verfolgung und Klärung des Terrorismusverdachts zu kooperieren. Beweise sollten zu einem späteren Zeitpunkt vorgelegt werden. Bei den Maßnahmen gehe es in erster Linie um das Einfrieren von Konten und das Verhindern von Finanztransaktionen. In Verbindung mit dem PTA, Razzien in Dörfern und der Verhaftung von Zivilisten wegen Terrorismusverdachts führe dies zu Befürchtungen in der Bevölkerung, dass man schon bei einfacher Überweisung von Mitteln zum Lebensunterhalt an Kinder oder Verwandte im Ausland in das Visier der Terrorismusfahndung gelangen könnte. Sogar kirchliche Wohltätigkeitseinrichtungen sähen sich in ihrer Arbeit zur Armutsbekämpfung erheblich eingeschränkt. Ungeachtet der Tatsache, dass nach Kriegsende immer wieder von der Aufdeckung geheimer, zu LTTE-Zeiten versteckter Waffenlager berichtet worden sei, sei bisher niemand, auch nicht die sri-lankische Regierung, von einer ernsthaften terroristischen Gefährdung im Lande ausgegangen. Allerdings reagiere die Regierung zunehmend offensiv auf Kritik aus dem Ausland, hinter der sie grundsätzlich LTTE-Propaganda vermute.
103Nach wie vor seien in Sri Lanka bürgerliche Freiheitsrechte eingeschränkt. Straflosigkeit staatlicher Akteure sowie Korruption seien weit verbreitet. Amnesty International gehe im Jahresbericht 2013 von mindestens 20 Entführungen aus, die teilweise auch staatlichen Sicherheitskräften zugeschrieben würden. Von staatlichen repressiven Maßnahmen sei während des Bürgerkrieges überwiegend der tamilische Bevölkerungsteil betroffen gewesen, aber auch regierungskritische Singhalesen. Mit zunehmender Kritik an der Regierung verschärften sich die Hetzkampagnen gegen Menschenrechtsverteidiger, Oppositionsmitglieder und –parteien. Staatliche Medien beschuldigten diese oftmals, Vaterlandsverräter bzw. Handlanger der LTTE zu sein. Angesichts solcher emotional aufgeladenen Vorwürfe fürchteten die Angegriffenen um ihre Sicherheit.
104Eine systematische Verfolgung von Tamilen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit sei heutzutage zwar nicht mehr feststellbar. Es bestehe aber eine fortdauernde Diskriminierung auf allen Ebenen durch die singhalesische Mehrheitsgesellschaft, insbesondere in ländlichen Gebieten. Tamilen seien durch ihre Sprache und die entsprechenden Einträge in Ausweiskarten für die Sicherheitskräfte leicht identifizierbar. Diskriminierende Behandlungen von Tamilen (Beleidigungen, exzessive Durchsuchung von Fahrzeugen, Erpressung von Geldbeträgen etc.), z.B. in Ämtern und bei den seltener gewordenen Polizeikontrollen im Straßenverkehr, hätten im Vergleich zu den Bürgerkriegszeiten deutlich abgenommen. Allerdings drohe Tamilen in Polizeigewahrsam, so Human Rights Watch in einem Bericht vom März 2013, noch immer die Gefahr von Misshandlungen, insbes. von sexuellem Missbrauch durch die Sicherheitskräfte, was vor allem für den Norden und den Osten des Landes gelten dürfte. Die sichtbare Präsenz des Militärs in den ehemaligen Bürgerkriegsgebieten besonders im Norden und dessen Einfluss auch in Bereichen der zivilen Administration sowie die Kontrolle jeder öffentlichen, aber auch privaten Zusammenkunft (bis hin zu Familienfeiern und Beerdigungen), habe auf die Bevölkerung eine einschüchternde Wirkung.
105Mit dem PTA sei der Straftatbestand der Mitgliedschaft bzw. Nähe zur LTTE ab Dezember 2006 erneut eingeführt worden. Jeder, der in den Augen der Sicherheitsorgane der Nähe zur LTTE verdächtig sei, müsse auch heute noch damit rechnen, verhaftet zu werden. Aus Kreisen der Menschenrechtsaktivisten werde in letzter Zeit wieder häufiger von Befragungen bereits entlassener, rehabilitierter Ex-LTTE-Kader berichtet. Dies zeige, dass bei den Sicherheitsbehörden weiterhin die Besorgnis vorherrsche, noch nicht alle LTTE-Reste innerhalb der tamilischen Bevölkerung aufgespürt zu haben.
106Die richterliche Kontrolle der Sicherheitskräfte sei unter dem PTA nicht ausreichend gewährleistet. Die Untersuchungshaftzeiten seien lang. Auch bei Inhaftierungen unter dem PTA sei es oft zu längeren Gefängnisaufenthalten ohne Urteil oder richterliche Entscheidung gekommen. Nach Angaben von Human Rights Watch seien bis September 2013 noch ca. 230 von ehemals ca. 12.000 LTTE-Mitgliedern oder –Sympathisanten, die sich bei Kriegsende gestellt hätten, ohne Gerichtsurteil inhaftiert gewesen. Demnach seien im Vergleich zum Vorjahr ca. 370 Inhaftierte freigelassen worden. Für Familienangehörige sei es schwierig, in Erfahrung zu bringen, wer gemäß PTA inhaftiert worden sei. Untersuchungs- und Strafgefangene erhielten Dokumente, mit denen sie später ihre Haft nachweisen könnten. In Strafverfahren würden die verschiedenen strafprozessualen Handlungen bzw. Entscheidungen der am Verfahren beteiligten Stellen dem Betroffenen bzw. anderen Stellen regelmäßig schriftlich mitgeteilt bzw. schriftlich festgehalten. Dies gelte auch für Festnahmen wegen LTTE-Verdachts gemäß den Vorschriften der Notstandsbestimmungen bzw. des Antiterrorgesetzes. Die beauftragten Rechtsanwälte könnten – neben den ohnehin für ihre Mandanten bestimmten Ausfertigungen von Dokumenten wie etwa ”Detention Orders” bzw. ”Remand Orders” (Untersuchungshaftbefehle), Anklageschriften, Urteilen oder Entlassungsanordnungen – mit entsprechender Begründung beglaubigte Kopien aus den Gerichtsakten erhalten. Diese könnten bei Bedarf in Deutschland lebenden Mandanten zugesandt werden. Bei Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Verdacht einer Unterstützung der LTTE drohten auch bei relativ geringfügigen Delikten drakonische Haftstrafen. Die Haftbedingungen seien in solchen Fällen nicht anders als bei gewöhnlicher Kriminalität.
107Auch 2013/2014 habe es Todesfälle in Polizeigewahrsam gegeben, deren Untersuchungsergebnisse noch ausstünden: Zwischen Januar und Mai 2014 sei von vier Fällen berichtet worden – zwei seien Verdächtige in Mordfällen, der Dritte ein 18-Jähriger gewesen, der der illegalen Gold- oder Edelsteinsuche bezichtigt worden sei. Laut British Tamil Forum solle Ende Februar der britische Staatsangehörige Visvalingam Kobithas, der sich seit 2007 ohne Anklage in Haft befunden habe, tot im Bad des Gefängnisses aufgefunden worden sein. 2013 sollten laut Amnesty International mindestens fünf Personen nach Misshandlungen im Polizeigewahrsam ums Leben gekommen sein.
108Bis auf noch nicht entminte Gebiete und „Hochsicherheitszonen“ um Militäreinrichtungen in der Nord- und der Ostprovinz könnten sich heute Sri-Lanker im ganzen Land frei bewegen und niederlassen. Bei zivilen Verwaltungsaufgaben sei in der Nordprovinz das Militär nach wie vor eng eingebunden. Die Präsenz sei weniger sichtbar als in den Jahren nach dem Bürgerkrieg. Jedoch werde von Menschenrechtsverteidigern seit Anfang 2014 berichtet, dass die Kontrolle durch das Militär sich erneut verschärft habe. Eine Wohnsitznahme im Norden (Ausnahme Jaffna) sei angesichts der mangelhaften Infrastruktur und der Versorgungslage sehr problematisch. Auch herrschten bei der dortigen, insbesondere der rückgesiedelten Bevölkerung, die unter der LTTE erheblich zu leiden gehabt habe, Ressentiments gegenüber Mitbürgern vor, bei denen eine LTTE-Nähe vermutet werde.
109(b) Diese Einschätzung der Lage in Sri Lanka vor den Präsidentenwahlen im Januar 2015 wurde durch die Auskünfte und Stellungnahmen anderer Organisationen und Gruppen bestätigt.
110In den UNHCR-RICHTLINIEN ZUR FESTSTELLUNG DES INTERNATIONALEN SCHUTZBEDARFS SRI-LANKISCHER ASYLSUCHENDER (UNHCR-Richtlinien) vom 21.12.2012 heißt es, seit dem Ende des bewaffneten Konflikts im April 2009 seien ehemalige LTTE-Kombattanten sowie LTTE-Mitglieder und Personen mit vermuteten Verbindungen zur LTTE demobilisiert und einem „Rehabilitationsprogramm“ unterzogen worden. Im Juni 2012 habe das Ministerium für Verteidigung und Stadtentwicklung bekanntgegeben, dass sich noch 698 „ehemalige LTTE-Kader“ – von insgesamt 11.600 Personen – im Rehabilitationsprogramm befänden.
111Die Militarisierung von zivilen Angelegenheiten, zusammen mit dem empfundenen Unterlassen der Regierung, militärische und zivile Rollen adäquat zu trennen (vor allem im Norden und Osten des Landes), habe seitens der sri-lankischen Zivilbevölkerung sowie internationaler Beobachter Anlass zu Besorgnis gegeben. Einige Segmente der Zivilbevölkerung im Norden fürchteten zudem, dass die anhaltende und ausgedehnte Präsenz des Militärs eine von der Regierung bewusst verfolgte Politik der „Singhalisierung“ darstelle.
112Zivilgesellschaftliche Organisationen hätten im Zeitraum von Oktober 2011 bis zum 9.7.2012 durchschnittlich alle fünf Tage einen Fall einer versuchten Entführung oder des Verschwindenlassens verzeichnet. Gemäß Angaben von Menschenrechtsaktivisten sei zwischen Oktober 2011 und Februar 2012 von 32 ungeklärten Entführungen, hauptsächlich in D. und im Norden Sri Lankas, berichtet worden. Die Opfer seien sowohl Singhalesen als auch Tamilen und Muslime. Paramilitärische Gruppen schienen in diese Entführungen verstrickt zu sein, um Lösegeld zu erpressen. In einigen Fällen werde jedoch spekuliert, dass auch politische Motive eine Rolle spielten.
113Willkürliche Inhaftierungen seien in Sri Lanka nach dem Konflikt Berichten zufolge weit verbreitet. Es werde ebenfalls berichtet, dass Personen teilweise für längere Zeit und ohne Anklage inhaftiert würden. Misshandlungen sowie Todesfälle von Inhaftierten seien auch in den Jahren 2010, 2011 und 2012 gemeldet worden, wobei diese Fälle vor allem mit Defiziten in der Justizverwaltung in Zusammenhang gebracht würden. Die Asiatische Menschenrechtskommission berichte, dass Folter in Sri Lanka weit verbreitet sei und in sämtlichen Polizeistellen und Gefangenenlagern, einschließlich derer, die unter Aufsicht der Terrorism Investigation Division (TID) stünden, erfolge. Zudem seien sowohl gemeldete als auch nicht gemeldete Gefangene im Norden und Osten durch Personal des militärischen Nachrichtendienstes und anderes Sicherheitspersonal verhört worden, wobei häufig Folter angewandt worden sei. Berichten zufolge handele es sich bei diesen Gefangenen um Zivilpersonen mit mutmaßlichen Verbindungen zur LTTE. Es gebe zahlreiche Berichte von Geständnissen, die unter der Anwendung von Zwangsmaßnahmen erlangt worden seien. Hinsichtlich aller Vorgänge im Zusammenhang mit der Polizei scheine die tamilisch sprechende Bevölkerung (zusammengesetzt aus sri-lankischen Tamilen, Hochland- oder Indischen Tamilen und Muslimen) benachteiligt zu werden: Trotz fortlaufender Bemühungen, die Zahl der tamilisch sprechenden Polizeibeamten zu erhöhen, insbesondere in Gebieten mit tamilischer Mehrheit, bleibe deren Anzahl vergleichsweise gering.
114Berichten zufolge, die durch Interviewaufzeichnungen mit betroffenen Personen bestätigt würden, seien regierungsfreundliche, paramilitärische Gruppen (vor allem die EPDP und TMVP) weiterhin in Sri Lanka tätig. Diese Gruppen begingen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und seien in kriminelle Aktivitäten wie Erpressung, Angriffe, Entführungen und Lösegeldsammlungen involviert. Es werde berichtet, dass die EPDP in erster Linie im Norden und die TMVP im Osten von Jaffna aktiv sein solle. Allerdings gebe es auch Angaben, wonach diese und andere paramilitärische Gruppen auch in Mannar, W. und D. aktiv seien.
115Jüngste Berichte dokumentierten die Anwendung von schwerer Gewalt gegen Menschen, die teilweise unter im Einzelnen aufgezählte Risikoprofile fielen, einschließlich Missbrauch bis hin zu Folter. Hierzu gehörten eine vermutete oder tatsächliche frühere Verbindung zur LTTE, welche über den bloßen Wohnsitz in einem ehemals von der LTTE kontrollierten Gebiet hinausgehe. Während die Art dieser umfangreicheren Verbindungen zur LTTE variieren möge, könnten aber insbesondere Personen mit den folgenden Profilen betroffen sein:
116„1) Personen, welche während der Kontrolle der Nord- und Ostprovinzen Sri Lankas durch die LTTE innerhalb der LTTE-Ziviladministration eine leitende Stellung innehatten;
1172) Ehemalige Kombattanten oder Kader der LTTE;
1183) Ehemalige Kombattanten oder Kader der LTTE, welche aufgrund von Verletzungen oder aus anderen Gründen auf Posten in der Verwaltung, beim Nachrichtendienst, in der Computerbranche oder bei Medien, wie Zeitung und Radio, tätig waren;
1194) Ehemalige Anhänger der LTTE, welche zwar militärisch nie ausgebildet wurden, allerdings in andere Angelegenheiten wie Unterkunft und Transport für Mitglieder der LTTE sowie die Versorgung oder Logistik der LTTE involviert waren;
1205) Spendensammler und Propagandaaktivisten der LTTE, sowie solche mit (vermeintlichen) Verbindungen zur sri-lankischen Diaspora, welche die LTTE finanziert oder anderweitig unterstützt haben;
1216) Angehörige, abhängige oder anderweitig nahestehende Personen von Personen mit den oben genannten Profilen.“
122Es werde von Fällen berichtet, in denen Frauen und Männer in Haft (Polizeigewahrsam oder andere Formen der Inhaftierung) gefoltert oder missbraucht worden seien, da ihnen oder ihren Familienangehörigen ehemalige frühere Verbindungen zur LTTE unterstellt worden seien. Zudem würden Tötungen benannt, die politisch motiviert zu sein schienen und auf vermutete Sympathisanten der LTTE abzielten. Auch sei kürzlich von sexueller Gewalt, einschließlich Vergewaltigungen an männlichen tamilischen Häftlingen, berichtet worden, wobei einige Fälle in der Zeit nach dem Konflikt verübt worden seien. Auch sei von sexueller Belästigung von ehemaligen LTTE-Kombattanten in sog. Rehabilitationszentren die Rede gewesen.
123Ehemalige Teilnehmer von Rehabilitationsprogrammen hätten Integrationsprobleme im Anschluss an ihre Entlassung angegeben. Viele würden vom Militär oder vom Geheimdienst besucht oder dazu gezwungen, sich bei lokalen Militär- oder Polizeibehörden oder Militärlagern zu melden. Es werde vermutet, dass viele von ihnen gezwungen würden, als Informanten zu dienen. Wenn sich die Betroffenen nicht regelmäßig bei den militärischen Behörden meldeten, würden Familienangehörige vom Militär direkt nach deren Aufenthaltsort befragt. Zudem würden Angehörige von ehemaligen LTTE-Kombattanten, die sich nicht ergeben hätten, weiterhin von den Behörden befragt. Das Ausstellen von ad-hoc „Freilassungsbescheinigungen“ durch diese Behörden sowie das Vorhandensein eines Ablaufdatums auf diesen Bescheinigungen sorgten Berichten zufolge für Missverständnisse bezüglich des Status der Entlassenen. Ehemalige Teilnehmer der Rehabilitationsprogramme berichteten, dass sie ihren Bewegungsradius inner- und außerhalb ihrer unmittelbaren Gemeinschaft selbst einschränkten, was sich ebenfalls negativ auf ihre Möglichkeiten der Existenzsicherung auswirke.
124Zu den Risikopersonen gehörten unter bestimmen Umständen auch Frauen. Eine Vielzahl von Faktoren trage zu einer erhöhten Unsicherheit und Verletzlichkeit von Frauen im Norden und Osten Sri Lankas bei. Als besonders bedeutsam würden die folgenden Aspekte gelten: „a) die große Anzahl an Haushalten, denen Frauen vorstehen, in den vom Konflikt am meisten betroffenen Gebieten; b) die schwache wirtschaftliche Stellung von Frauen; c) eine hohe Militarisierung, einschließlich der Abhängigkeit von Sicherheitskräften beim Zugang zu inhaftierten Familienmitgliedern; d) Straflosigkeit und eine schwache Rechtspflege; e) Prostitution und Anfälligkeit für Menschenhandel in Situationen der Vertreibung oder Neuansiedlung; und f) die verletzliche Situation von ehemaligen weiblichen LTTE-Kadern und Kriegswitwen.“
125Auch amnesty international (ai) bestätigt in seinem Amnesty International Report 2014/15 – The State of the World's Human Rights – vom 25.2.2015 (Berichtszeitraum 2014 und wichtige Ereignisse von 2013) hinsichtlich Sri Lanka, dass Tamilen, die verdächtigt würden, Verbindungen zur LTTE zu haben, weiterhin auf Grundlage des PTA festgenommen und inhaftiert worden seien. Das Gesetz erlaube eine verlängerte Administrativhaft und verlagere die Beweislast auf die inhaftierte Person, wenn diese vorbringe, gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein. Außerdem schränke das Gesetz die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit ein und sei benutzt worden, um Kritiker zu inhaftieren. Tamilen, insbesondere aus dem Norden des Landes, seien von den Sicherheitskräften schikaniert, bedroht und festgenommen worden, weil diese sie verdächtigt hätten, Verbindungen zur LTTE oder Sympathien für die Gruppierung zu haben. Diese Verdächtigungen hätten vor allem auf der Ethnizität der Tamilen und ihrem Herkunfts- oder Wohnort beruht. Laut dem ai-Bericht vom September 2014 „Ensuring Justice: Protecting Human Rights for Sri Lanka's Future“ würden frühere LTTE-Mitglieder, die sich nicht ergeben hätten, oder Personen, die verdächtigt würden, Verbindungen zur LTTE zu haben, weiterhin über systematischen Missbrauch durch Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, darunter Folter und sexuelle Gewalt. Der Missbrauch treffe auch die Familienangehörigen der genannten Personen.
126Human Rights Watch (HRW) führt in seinem Jahresbericht vom 29.1.2015 (Berichtszeitraum 2014) an, dass die Regierung ihre langjährige Praxis fortgeführt habe, Untersuchungen oder strafrechtliche Verfolgungen bei glaubwürdigen Berichten über Folter (darunter sexuelle Gewalt) an Personen in Gewahrsam, die verdächtigt würden, LTTE-Mitglieder oder -Unterstützer zu sein, abzulehnen. HRW und andere Organisationen hätten dokumentiert, dass die Behörden Personen, die verdächtigt würden, Verbindungen zur LTTE zu haben, foltern würden. Dazu hätten auch Personen gehört, die als abgelehnte Asylwerber aus dem Vereinigten Königreich oder anderen Ländern zurückgeschickt worden seien. Im HRW-Bericht vom 26.2.2013 “We Will Teach You a Lesson” finden sich Informationen zu von Angehörigen der sri-lankischen Sicherheitskräfte im Zeitraum 2006 bis 2012 verübter sexueller Gewalt gegen Tamilen, die wegen des Verdachts, Verbindungen zur LTTE zu haben, verhaftet worden sein sollen.
127Freedom House gibt in seinem Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2013 (Freedom in the World 2014 - Sri Lanka) vom 23.1.2014 wieder, dass der PTA genutzt worden sei, um eine Reihe von als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen zu inhaftieren, darunter tamilische Zivilisten, die verdächtigt worden seien, die LTTE zu unterstützen.
128Die Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) schreibt im Artikel „Sri Lanka bans remembrance of Tamil Tigers“ vom 25.11.2013, dass Sri Lankas Militär ein Verbot von Gedenkfeiern für die besiegten Rebellen der LTTE angekündigt habe, nachdem Berichte aufgetaucht seien, wonach die ethnische tamilische Minderheit geplant habe, Veranstaltungen abzuhalten. Wie das Militär mitgeteilt habe, sei jede Veranstaltung verboten, da die LTTE vier Jahre nach deren militärischer Niederlage weiterhin verboten sei. AFP führt weiter an, dass die Behörden sehr darum bemüht gewesen seien, jedes Symbol der LTTE zu tilgen, Friedhöfe für Rebellen zu beseitigen und von den Rebellen in den früheren Kriegszonen errichtete Monumente zu entfernen. Seit 2009 habe es keinen Angriff gegeben, der den Rebellen zur Last gelegt worden sei, obwohl die Regierung wiederholt mitgeteilt habe, sie fürchte, dass übriggebliebene Rebellen versuchen könnten, sich neu zu formieren. Unter dem 10.04.2014 berichtet AFP („Sri Lanka police arrest 60 on fears of renewed conflict”), dass die sri-lankische Polizei nach eigenen Angaben 60 Personen festgenommen habe, denen der Versuch vorgeworfen werde, die LTTE wiederzubeleben.
129BBC News berichtet in dem Artikel „Suspected Tamil rebels shot dead in Sri Lanka” vom 11.4.2014, dass die Armee laut eigenen Angaben drei Männer erschossen habe, die versucht hätten, auf Anweisungen von zwei LTTE-Anführern in Europa die LTTE neu zu beleben. Zivilgesellschaftliche Aktivisten würden allerdings bezweifeln, dass es eine solche Neubelebung der separatistischen Rebellen tatsächlich gebe.
130Ein J. S. Tissainayagam erwähnt in dem Artikel „LTTE: Sri Lanka’s Scapegoat for its Own Terror” vom 23.6.2014 in der Zeitschrift Foreign Policy (FP), dass in der Darstellung der sri-lankischen Regierung die Überreste der tamilischen Rebellengruppe LTTE der einzige Verursacher internationalen Verbrechens auf sri-lankischem Boden seien. Die neueste Version dieser Darstellung sei die Behauptung, dass sich die LTTE in Sri Lanka mithilfe der tamilischen Diaspora neu formiere, um ihre terroristischen Aktivitäten wieder aufzunehmen.
131Die regierungsunabhängige Nachrichtenagentur Inter Press Service (IPS) erwähnt in dem Artikel „Ghost of the LTTE Flickers in Malaysia“ vom 12.6.2014, dass die LTTE seit 2009 als nicht mehr existent („defunct“) angesehen werde. Trotzdem nehme sie weiterhin einen wirkmächtigen Platz in der kollektiven Vorstellung der Menschen in der Region ein. In dem Artikel „From Tigers to Barbers: Tales of Sri Lanka’s Ex-Combatants” vom 14.7.2014 führt IPS aus, dass laut Regierungsangaben rund 12.000 LTTE-Kader nach dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2009 sich entweder selbst ergeben hätten oder vom Militär festgenommen worden seien. Mit Stand Juni 2014 seien mehr als 11.800 nach Rehabilitierungsprogrammen unterschiedlicher Dauer entlassen worden. 132 befänden sich weiterhin in Haft.
132Der UNO-Nachrichtendienst Integrated Regional Information Network (IRIN) bestätigt diese Zahlen in dem Artikel „Sri Lanka’s rehabilitated ex-combatants struggle to adjust” vom 4.7.2014. Es komme trotz während der Rehabilitierungsprogramme erworbener Fähigkeiten und des anhaltenden Friedens in den ehemaligen Kriegsgebieten zu bedeutenden Problemen für ehemalige Inhaftierte. So sei es im Norden Sri Lankas schwierig, eine Arbeit zu finden. Konfliktbedingte Behinderungen und die fortdauernde Stigmatisierung ehemaliger Kämpfer erschwerten es den ehemaligen Inhaftierten, ihr ziviles Leben wieder aufzunehmen.
133Laut United States Department of State erschwerten die Reintegration entlassener ehemaliger Kämpfer zudem eine intensive Überwachung durch das Militär und psychologische Traumata (“Country Report on Human Rights Practices 2013 - Sri Lanka” vom 27.2.2014). Der militärische Geheimdienst und andere Angehörige der Sicherheitskräfte im Osten und Norden des Landes seien verantwortlich für Inhaftierungen von Zivilisten, die verdächtigt worden seien, Verbindungen zur LTTE zu haben. Dabei hätten sie Mutmaßungen zufolge in einigen Fällen mit paramilitärischen Kräften zusammengearbeitet. Den Inhaftierungen seien laut Berichten Verhöre gefolgt, die manchmal Folter oder Misshandlung umfasst hätten. Es habe Berichte gegeben, wonach die Behörden inhaftierten Personen bei deren Entlassung mit einer erneuten Festnahme oder dem Tod gedroht hätten, sollten sie Informationen über die Festnahme und Inhaftierung preisgeben.
134Ein Amarnath Amarasingam bezeichnet in seinem auf der Internetseite http://groundviews.org veröffentlichten Artikel „Life in the Open-Air Panopticon: Surveillance and the Social Isolation of Ex-LTTE Combatants in Sri Lanka“ vom 20.5.2014 eine Kultur der Überwachung, die im Norden und Osten des Landes vorherrsche, als ein großes Hindernis für die Reintegration ehemaliger LTTE-Kämpfer. Viele von diesen würden ständig beobachtet, verfolgt („followed“) und zu Verhören bestellt, bei denen ihnen dieselben Fragen gestellt würden wie bereits viele Male zuvor.
135Laut Auskunft vom 11.2.2015 des kanadischen Immigration and Refugee Board (IRB) zum Thema „Sri Lanka: Treatment of suspected members or supporters of the Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), including information about how many are in detention; whether the government continues to screen Tamils in an attempt to identify LTTE suspects (2011-January 2015)“ deuteten Quellen darauf hin, dass die Behörden in Sri Lanka weiterhin die tamilische Bevölkerung überprüften, um Personen mit Verbindungen zur LTTE ausfindig zu machen.
136Die International Bar Association schreibt in ihrem Bericht vom 16.2.2015 an die Vereinten Nationen (“Human Rights abuses in Sri Lankan rehabilitation camps: arbitrary detention, surveillance and intimidation”), der auf über 50 im Jahr 2014 von sri-lankischen Menschenrechtsverteidigern geführten Interviews basieren soll, dass trotz des Endes des Bürgerkriegs im Jahr 2009 konfliktbedingte Probleme weiterhin den Schutz der Menschenrechte in Sri Lanka beeinträchtigten. Dabei gelte die Hauptsorge dem Rehabilitierungsprozess zur „Reformierung“ ehemaliger LTTE-Kader. Die willkürliche Inhaftierung in Rehabilitierungscamps werde von der sri-lankischen Regierung als ein Mittel zur Unterdrückung der tamilischen Bevölkerung verwendet. Überwachung, Einschüchterung und Schikanierung gingen auch nach der Entlassung von inhaftierten Personen weiter. Der Rehabilitierungsprozess vertiefe die Gräben in der sri-lankischen Gesellschaft und stelle eine Konfliktquelle dar.
137(2) Anhaltspunkte für eine Verschlechterung dieser ausführlich dokumentierten Situation der tamilischen Minderheit in Sri Lanka bestehen derzeit nicht. Bei den vorgezogenen Präsidentenwahlen vom 8.1.2015 erlitt der bisherige Amtsinhaber eine überraschende Niederlage (Bundesamt, Briefing Notes vom 12.1.2015). Der neue Amtsinhaber Sirisena wurde insbesondere auch von der überwiegenden Mehrheit der Tamilen gewählt (Bundesamt, Briefing Notes vom 12.1.2015 und 19.1.2015). Die neue Regierung sendet vorsichtige Entspannungssignale, sieht die LTTE aber weiterhin als Gefahr an: AFP berichtet in dem Artikel „Sri Lanka planning to lift ‘terrorist’ ban on Tamils abroad” vom 18.3.2015, Sri Lankas neue Regierung habe Pläne angekündigt, als Teil der Bemühungen um eine Versöhnung mit der größten ethnischen Minderheit des Landes 16 Gruppen und hunderte Tamilen von der Liste „ausländischer Terroristen“ zu streichen. Laut Angaben des Außenministers habe die Vorgängerregierung des „Hardliner-Präsidenten“ Mahinda Rajapakse tamilische Organisationen im Ausland mit der LTTE in Verbindung gebracht. Dies habe zum Ziel gehabt, eine Hysterie um eine mögliche Neuformierung der LTTE aufkommen zu lassen. In dem Artikel „Sri Lanka: LTTE could regroup” vom 31.3.2015 erwähnt AFP jedoch, die neue sri-lankische Regierung in Person des stellvertretenden Außenministers habe gewarnt, dass die besiegten Rebellen der LTTE sich neu formieren und einen weiteren Konflikt entfachen („orchestrate“) könnten. Zuvor hätten Mitglieder der Regierung die Europäische Union dazu gedrängt, die LTTE wieder auf die schwarze Liste zu setzen. Dem stellvertretenden Außenminister zufolge würden Mitglieder der LTTE über Millionen Dollar an ausländischen Vermögenswerten verfügen, die dazu verwendet werden könnten, einen weiteren Guerillakrieg in Sri Lanka zu finanzieren.
138Auch die Union of Catholic Asian News (UCAN) berichtet im Artikel „EU reactivates LTTE ban after Sri Lanka protest” vom 1.4.2015, dass die Europäische Union nach Intervention der sri-lankischen Regierung die LTTE erneut verboten habe. In einem weiteren Schritt habe die Regierung mitgeteilt, sie ziehe in Betracht, 16 tamilische Organisationen und hunderte Personen von ihrer eigenen „Watchlist“ zu streichen, um damit die Versöhnung voranzubringen. Laut dem stellvertretenden Außenminister sei aber noch keine abschließende Entscheidung getroffen worden.
139Das Bundesamt berichtet ebenfalls über den Plan der neuen Regierung, mehrere Gruppen und hunderte Tamilen von der Liste „ausländischer Terroristen“ zu streichen (Briefing Notes vom 30.3.2015). Präsident Sirisena habe zudem im Norden den militärischen Gouverneur durch einen zivilen Diplomaten ersetzt. Dies sähen Beobachter als ein Zeichen der Versöhnung an die Tamilen, die der Armee zutiefst misstrauten, die nach dem Ende des Bürgerkrieges vor fast sechs Jahren nahezu alle Belange des täglichen Lebens kontrolliere (Briefing Notes vom 26.1.2015). Die neue sri-lankische Regierung habe weiter erklärt, die Fälle von 275 Tamilen zu überprüfen, die wegen des bloßen Verdachts, Mitglieder der LTTE zu sein, inhaftiert worden seien. Es seien Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg angekündigt worden. Man wolle die Militärpräsenz im vorwiegend von Tamilen besiedelten Norden reduzieren und von der Armee besetztes Land den ursprünglichen Eigentümern zurückgeben (Briefing Notes vom 2.2.2015). Mehr als 400 Hektar militärisches Sperrgebiet seien am 12.2.2015 freigegeben worden (Briefing Notes vom 16.2.2015).
140In der Pressemitteilung „Release on bail of Ms. Balendran Jeyakumary after 362 days in detention without charge” vom 20.3.2015 berichtet die International Federation for Human Rights (FIDH) vom Fall einer Menschenrechtsaktivistin, die nach 362-tägiger Haft ohne Anklage gegen Kaution freigelassen worden sei. Trotzdem sei sie weiterhin mit einigen Einschränkungen konfrontiert. So müsse sie sich monatlich bei der Polizei melden, außerdem sei ihr Reisepass konfisziert worden. Sie sei auf Grundlage des PTA inhaftiert worden. Er ermögliche, eine Person bis zu 18 Monate ohne Anklage festzuhalten, wenn dieser Person „terroristische Verbindungen“ zur LTTE vorgeworfen würden. Weiterhin würden rund 300 politische Gefangene auf Grundlage des PTA festgehalten.
141BBC News berichtet in dem Artikel „Sri Lanka parliament votes to curb president's powers” vom 29.4.2015, dass das Sri-lankische Parlament eine Beschneidung der Präsidentenmacht beschlossen habe.
142bb) Die dargestellte allgemeine Menschenrechts- und Sicherheitslage in Sri Lanka begründet nicht – zudem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit – die Annahme einer staatlichen Gruppenverfolgung für alle Tamilen aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit. Sie ist vielmehr weiter in ähnlicher Weise zu beurteilen, wie sie vom Senat in seinen Urteilen vom 29.4.2009 – 3 A 3013/04.A – und – 3 A 627/07.A –, vom 8.7.2009 – 3 A 3295/07.A –, vom 2.9.2009 – 3 A 1708/07.A –, – 3 A 2000/07.A –, – 3 A 2013/07.A –, – 3 A 2840/07.A –, vom 29.10.2009 – 3 A 2275/07.A –, vom 20.1.2010 – 3 A 2234/08.A –, vom 10.3.2010 – 3 A 784/08.A –, vom 11.6.2010 – 3 A 3296/07.A –, vom 24.8.2010 – 3 A 1170/09.A – und zuletzt vom 10.5.2011 – 3 A 1380/09.A – und – 3 A 133/10.A – bewertet worden ist. Nach wie vor kann nicht festgestellt werden, dass die Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen zu einer nachhaltigen und durchgreifenden Verbesserung der Menschenrechtslage für Tamilen in Sri Lanka geführt hat. Allerdings ist festzuhalten, dass von einer Verschlechterung der Lage der Tamilen – insbesondere nach den Präsidentenwahlen im Januar 2015 – gleichermaßen keine Rede sein kann.
143Auf der Grundlage der wiedergegebenen Erkenntnisse, insbesondere in Anbetracht der Anzahl der in Sri Lanka lebenden tamilischen Volkszugehörigen und der dokumentierten Anzahl von Festnahmen und berichteten Repressalien gegenüber Tamilen, lässt sich nach wie vor nicht annehmen, dass Tamilen im allgemeinen allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit landesweit oder regional einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. Es fehlt insoweit an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte (1). Auch ist kein Anzeichen für ein allein an die Ethnie anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm erkennbar, dessen Umsetzung bereits eingeleitet wäre oder alsbald bevorstünde (2).
144(1) Eine allein ethnisch begründete und diesem Charakter entsprechende staatliche Gruppenverfolgung aller Tamilen findet in Sri Lanka nach der aktuellen Erkenntnislage nicht statt. Zwar ist danach eine fortdauernde Diskriminierung tamilischer Volkszugehöriger in Sri Lanka durch die singhalesische Mehrheitsgesellschaft auf allen Ebenen festzustellen (AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 15). Diskriminierende Äußerungen, vorurteilsbehaftete oder schikanöse Verhaltensweisen allein stellen jedoch noch keine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 1 und 2 AsylVfG dar. Schwerwiegende Eingriffe – insbesondere länger andauernde Inhaftierungen – hingegen werden in den Auskünften fast ausnahmslos nicht allein mit der tamilischen Volkszugehörigkeit, sondern einem Verdacht der Mitgliedschaft oder Nähe zur LTTE in Verbindung gebracht (AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 11, 15, 17; UNHCR, Richtlinien vom 21.12.2012, S. 19 und 29; ai, Report vom 25.2.2015, S. 1; ai, Bericht vom September 2014, S. 10 f.; HRW, Jahresbericht vom 29.1.2015, S. 1; HRW, Bericht vom 26.2.2013 “We Will Teach You a Lesson”; Freedom House, Jahresbericht vom 23.1.2014, S. 4; Asylum Research Consultancy, Sri Lanka COI Query Response vom 19.8.2014, S. 17 ff.).
145Aber selbst wenn man annähme, dass diese Verhaftungen ausschließlich oder insbesondere in Anknüpfung an die tamilische Volkszugehörigkeit erfolgten (ai, Report vom 25.2.2015, S. 5), zeigten die dokumentierten Zahlen inhaftierter Tamilen nicht auf, dass die für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte gegeben wäre. Die Feststellung zahlreicher oder häufiger Eingriffe reicht für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung nicht aus. Für die Beurteilung, ob eine entsprechende Verfolgungsdichte für die Annahme einer Gruppenverfolgung gegeben ist, ist vielmehr die Anzahl aller Verfolgungshandlungen zu der Größe der Gruppe in Relation zu setzen.
146Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.7.1994– 9 C 158.94 –, juris, Rn. 23.
147Unabhängig davon, ob, wie offiziell am 25.6.2014 dargestellt, 110 Personen unter dem Regime des PTA inhaftiert sind (Asylum Research Consultancy, Sri Lanka COI Query Response vom 19.8.2014, S. 23) oder 300 (FIDH, Pressemitteilung vom 20.3.2015) bzw. Ende 2013 sogar noch mehrere Tausend inhaftiert waren – allerdings nicht ausschließlich Tamilen, sondern auch politische Gegner, kritische Journalisten und Mitglieder der Zivilgesellschaft – (Freedom House, Jahresbericht vom 23.1.2014, S. 4), wäre bei der tatsächlichen Größe des tamilischen Bevölkerungsanteils in Sri Lanka nicht nahezu jeder Tamile aktuell von Verhaftung und Polizeigewahrsam bedroht. An dieser Bewertung änderte es auch nichts, addierte man die noch ca. 230 im Jahr 2013 in den „Rehabilitationslagern“ Verbliebenen (AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 17) hinzu. Ebenso wenig ins Gewicht fällt in diesem Zusammenhang die Zahl von ca. 20 Entführungen im Jahr (AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 14) oder auch 73 (alle fünf Tage eine, UNHCR-Richtlinien vom 21.12.2012, S. 17 f., die aber nicht ausschließlich Tamilen betroffen haben sollen). Tamilen, einschließlich sog. Indian Tamils, stellen ca. 15,4 % der Bevölkerung Sri Lankas (AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 14) von ca. 22 Mio. (https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/fields/2119.html#ce, Abruf vom 19.5.2015), mithin deutlich über 3 Mio. Einwohner. Die Zahl der o.g. Inhaftierungen bewegt sich dazu allenfalls im Promillebereich. Die Bevölkerungszahl der in Sri Lanka lebenden Tamilen ist so hoch, dass sich die aktuelle Gefahr eigener Verfolgungsbetroffenheit für quasi jeden Angehörigen dieser Gruppe aus den in den Erkenntnisquellen genannten Fallzahlen verfolgungsrelevanter Geschehnisse nicht herleiten lässt. Gegen eine derartige Gefährdungslage aller Tamilen in Sri Lanka spricht auch, dass tamilische Parteien im Parlament vertreten sind, diese in der Nordprovinz sogar die Regierung stellen und nunmehr auch der oberste Richter des Landes ein Tamile ist (Bettina Meier, Sri Lanka im Überblick, in: Südasien 1/2015, 20.3.2015).
148(2) Für ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen Tamilen ist nichts ersichtlich. Bei den Maßnahmen unter dem Regime des PTA handelt es sich zunächst um Maßnahmen der Strafverfolgung und der Terrorismusabwehr, die nicht an die Ethnie der Betroffenen anknüpfen. Es ist ureigenste Aufgabe des Staates, Verbrechen zu ahnden und sowohl präventive als auch repressive Maßnahmen gegen Personen einzuleiten, die die äußere oder innere Sicherheit des Staates in Gefahr bringen oder in Gefahr gebracht haben. Soweit jedenfalls die vorherige Regierung in diesem Zuge auch politische Gegner und kritische Journalisten verfolgte, knüpfte dies ebenfalls nicht an die Ethnie an. Eine mit diesen Maßnahmen sowie einer bisherigen hohen Militärpräsenz evtl. einhergehende Einschüchterung der tamilischen Bevölkerung insbesondere im Norden Sri Lankas stellte kein Verfolgungsprogramm im Sinne einer Gruppenverfolgung dar. Es geht bei dem aus einem solchen hergeleiteten Flüchtlingsschutz nämlich darum, nicht erst die Verwirklichung einer für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte abzuwarten, wenn bereits ersichtlich ist, dass eine solche Extremsituation,
149vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.2.2010 – 10 B 18.09 –, juris, Rn. 2,
150auf der politischen Agenda steht. Dafür, dass die sri-lankische Regierung etwa künftige Massenverhaftungen oder massenhafte andere verfolgungsrelevante Rechtsverletzungen an der tamilischen Bevölkerung, deren vollständige Vertreibung oder gar deren physische Vernichtung beabsichtigt,
151vgl. dazu, dass bloße Benachteiligungen für die Annahme eines Verfolgungsprogramms nicht genügen: BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 – 9 C 158.94 –, juris, Rn. 24 f.,
152ist jedoch nichts erkennbar.
153cc) Auch nach allgemeinen Merkmalen bestimmte Untergruppen der Tamilen, wie aus dem Ausland zurückkehrende Tamilen (1), männliche Tamilen jüngeren bzw. mittleren Alters oder Tamilen aus dem Norden und Osten in Sri Lanka (2), sind nach der aktuellen Erkenntnislage einer Gruppenverfolgung nicht ausgesetzt.
154(1) Die Einreise aus Europa zurückkehrender Tamilen nach Sri Lanka ist nur über den internationalen Flughafen von D. möglich. Dem AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 26, ist keine Diskriminierung durch die sri-lankischen Innen- oder Sicherheitsbehörden allein aufgrund des Umstandes der Rückkehr aus dem Ausland bekannt. Es sei allerdings damit zu rechnen, dass bei Einreise, etwa durch gezielte Vernehmungen, geprüft werde, ob ggf. einzelfallbedingte Erkenntnisse – wie insbesondere eine frühere LTTE-Mitgliedschaft – oder andere nach sri-lankischem Recht strafbare Vorwürfe vorlägen. Bei der Einreise am Flughafen von D. mit gültigem sri-lankischem Reisepass würden die Einreiseformalitäten zumeist zügig erledigt. Dies gelte auch für Zurückgeführte. Anders verhalte es sich jedoch, wenn Rückkehrer keinen sri-lankischen Reisepass vorlegen könnten, sondern nur ein von einer sri-lankischen Auslandsvertretung ausgestelltes Reisedokument zur einmaligen Rückkehr nach Sri Lanka (Identity Certificate Overseas Missions, ICOM, auch Emergency-Passport genannt) vorwiesen. In diesen Fällen würden die betroffenen Personen regelmäßig von der Einreisebehörde sowie von der Kriminalpolizei (CID) einer Personenüberprüfung unterzogen und zu Identität, persönlichem Hintergrund und Reiseziel befragt. Es sei nicht auszuschließen, dass von den sri-lankischen Auslandsvertretungen im Datensatz der betreffenden Personen ein entsprechender Vermerk veranlasst oder im Reisedokument angebracht werde. Fälle diskriminierender Behandlung auf diese Weise Einreisender (auch bei Tamilen) seien nicht bekannt.
155Die geschilderten Maßnahmen der Sicherheitskräfte sind vor dem Hintergrund der Terrorismusbekämpfung zu sehen. Sie dienen erkennbar der Feststellung, ob es sich bei der zurückgeführten Person um jemanden handelt, der der LTTE nahe steht oder ob von dieser Person aus sonstigen Gründen eine Gefahr für die innere Sicherheit des Staates ausgeht. Der Staat darf grundsätzlich zur Selbstverteidigung und zum Schutz von Rechtsgütern im Bereich der Terrorismusabwehr präventive und repressive Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, wenn und soweit er sich dabei auf die Terrorismusbekämpfung beschränkt und nicht unter dem Deckmantel behaupteter Terrorismusbekämpfung politische Verfolgung betreibt. Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung können allerdings dann als asylerhebliche Verfolgung zu bewerten sein, wenn zusätzliche Umstände – z.B. eine gesteigerte Verfolgungsintensität in Form einer unüblichen oder vergleichsweise härteren Bestrafung oder Behandlung – darauf schließen lassen, dass der Betroffene jedenfalls auch wegen eines asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblichen Merkmals verfolgt wird. Nicht asylbegründend sind derartige staatliche Maßnahmen nur dann, wenn sie nach Art und Intensität Abwehrcharakter haben und den Bereich der Bekämpfung des Terrorismus und der damit zusammenhängenden Straftaten nicht verlassen. Wird darüber hinaus der politische Gegner – in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal – verfolgt, kommt den dabei eingesetzten staatlichen Maßnahmen asyl- bzw. abschiebungsschutzbegründende Wirkung zu. So vermag die an sich legitime Bekämpfung des Terrorismus staatlichen Gegenterror nicht zu rechtfertigen, der etwa darauf gerichtet ist, die unbeteiligte zivile Bevölkerung in Erwiderung des Terrorismus unter den Druck brutaler staatlicher Gewalt zu setzen. Extralegale Maßnahmen und gravierende Menschenrechtsverletzungen werfen auch im Rahmen einer unnachsichtigen Bekämpfung des Terrors durch den Staat stets die Frage auf, ob damit nicht zumindest auch asylerhebliche Ziele verfolgt werden. Ein derartiges Umschlagen in eine asylerhebliche Verfolgung liegt dementsprechend dann nahe, wenn die staatlichen Maßnahmen das der reinen Terrorismusbekämpfung angemessene Maß überschreiten, insbesondere wenn sie mit erheblichen körperlichen Misshandlungen einhergehen. Auch bei einer übermäßig langen Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen sein. In diesen Fällen spricht eine Vermutung dafür, dass sie den Einzelnen zumindest auch wegen seiner asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen. Wird Folter angewandt, gilt diese Vermutung in erhöhtem Maße.
156Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.7.2000
157– 9 C 28.99 –, juris, Rn. 12 ff.
158Maßnahmen zur Identitätsfeststellung sind jedoch herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und repressiven Tätigkeit staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung. Diesen Identitätsfeststellungen fehlt es im Gegensatz zu Akten der politischen Verfolgung in der Regel schon an der erforderlichen Eingriffsintensität Das gilt auch dann noch, wenn sie in kurzzeitige Inhaftierungen münden und es dabei zu keinen anderweitigen asylerheblichen Rechtsgutverletzungen kommt.
159Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.1.2000 – 9 B 576.99 –, juris, Rn. 5 und 8.
160Sofern eine sofortige Identifizierung nicht möglich ist und Widersprüche im Rahmen der Befragung auftreten, sind auch kurzfristige Festnahmen zu diesem Zweck in der Staatenpraxis geläufig. Demgemäß fehlt in solchem Zusammenhang stehenden Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit der die politische Verfolgung ausmachende Charakter einer Ausgrenzung des Betroffenen aus der staatlichen Friedensordnung. Dies gilt auch für die Befragung von Personen zum Zwecke der Terrorismusabwehr und zwar auch dann, wenn kein konkreter Tatverdacht gegen diese Personen besteht. Ab welcher Dauer kurzfristige Inhaftierungen zum Zwecke der Identitätsfeststellung eine asyl- bzw. abschiebungsrelevante Intensität erreichen, hängt maßgeblich von den im betrachteten Staat herrschenden Verhältnissen ab, insbesondere von der Verwaltungsstruktur, den vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten und der jeweiligen Sicherheitslage. In einem Land wie Sri Lanka, in dem Jahrzehnte Bürgerkrieg herrschte und die Sicherheitskräfte landesweit mit einer Vielzahl gemeingefährlicher Terroranschläge konfrontiert waren, ist Inhaftierungen mit einer überschaubaren Dauer von jedenfalls nicht mehr als zwei Tagen ohne zusätzliche Rechtsgutverletzungen eine die Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung bewirkende Intensität und Schwere grundsätzlich abzusprechen.
161Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.1.2000 – 9 B 576.99 –, juris, Rn. 5 und 8.
162Den Auskünften ist nicht zu entnehmen, dass Rückkehrer im allgemeinen oder diejenigen, die ohne sri-lankischen Reisepass einreisen, von den Sicherheitskräften am Flughafen generell festgenommen, länger als zwei Tage festgehalten werden und in der Haft der Gefahr von schweren körperlichen Misshandlungen und Folter ausgesetzt sind. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer zum Zwecke der Überprüfung ihres Einreisegrundes und ihrer Identität im Einzelfall länger als zwei Tage festgehalten werden. Auf der Grundlage des aktuellen Erkenntnismaterials lässt sich jedoch, gemessen an dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, nicht die für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige Dichte von insofern relevanten Übergriffen auf aus dem Ausland zurückkehrende Tamilen feststellen.
163In den UNHCR-Richtlinien vom 21.12.2012 heißt es auf S. 8 denn auch, 2011 seien im Rahmen des Förderprogramms zur freiwilligen Rückkehr insgesamt 1.728 Flüchtlinge aus Indien nach Sri Lanka zurückgekehrt, im Vorjahr 2.054 Personen. Eine Handvoll Flüchtlinge sei 2011 mit Unterstützung des UNHCR aus anderen Asylländern freiwillig zurückgekehrt. Zudem hätten sich 2011 634 Flüchtlinge, die eigenständig zurückkehrten, bei UNHCR-Büros vor Ort registriert. Der Bezirk mit der höchsten Anzahl von Rückkehrern sei W. , gefolgt von Trincomalee. Im April 2012 seien vier Rückkehrer mit anderen Tamilen im Rahmen einer Sicherheitsoperation in Trincomalee festgenommen und nach wenigen Tagen wieder freigelassen worden. Alle Personen, die im Rahmen des UNHCR-Programms zur freiwilligen Rückkehr nach Sri Lanka zurückkehrten, würden nach ihrer Ankunft von Beamten der Einwanderungsbehörden für ein bis zwei Stunden befragt. Danach folgten Interviews zur Sicherheitsüberprüfung, welche vom staatlichen Nachrichtendienst (State Intelligence Service, SIS) durchgeführt würden und zwischen 30 Minuten und 5 Stunden dauern könnten. Nach diesen Interviews dürften die Betroffenen zu ihrem jeweiligen Bestimmungsort reisen. Gemäß UNHCR-Daten aus dem Monitoring nach der Rückkehr seien im Jahr 2011 75% der Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr entweder von der Armee (38%) oder der Polizei (43%) für eine zusätzliche „Registrierung“ kontaktiert worden. 26% dieser Flüchtlinge seien zusätzlich von Polizei- oder Militärbehörden für nachträgliche Befragungen zu Hause aufgesucht worden. Zudem sei das von IOM in einigen Ländern betriebene Förderprogramm zur „unterstützten freiwilligen Rückkehr“ (AVR), das in erster Linie für gestrandete Migranten gedacht sei, auch von einigen letztinstanzlich abgewiesenen Asylsuchenden oder solchen, die ihre Asylanträge zurückgezogen hätten, in Sri Lanka in Anspruch genommen worden (2011 laut Berichten von 179 Sri-Lankern).
164Danach liegt die durchschnittliche Befragungsdauer bei Einreise regelmäßig deutlich unter zwei Tagen. Auch die ggf. noch mehrfachen späteren Behördenkontakte im Rahmen von „Registrierungen“ und nachträglichen Befragungen erreichen ohne weitere Maßnahmen nicht das Maß der Asyl- bzw. Flüchtlingsschutzerheblichkeit.
165Laut UNHCR-Richtlinien vom 21.12.2012, S. 8 f., hätten zwar verschiedene Quellen von Fällen berichtet, in denen abgelehnte Asylsuchende aus Sri Lanka (insbesondere Tamilen) nach ihrer freiwilligen oder zwangsweisen Rückkehr nach Sri Lanka inhaftiert und misshandelt oder gefoltert worden seien. Es gebe jedoch kein systematisches Monitoring für die Behandlung von Sri-Lankern nach ihrer zwangsweisen Rückführung nach Sri Lanka. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit verfolgungsrelevanter Übergriffe belegen diese vagen Angaben nicht.
166Im Falle eines konkreten Terrorismusverdachts können Rückkehrer allerdings Folterhandlungen durch die sri-lankischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sein. Laut AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 11 f, komme eine im März 2014 vorgelegte Studie mit 40 Zeugenvernehmungen unter dem Titel „An Unfinished War: Torture and Sexual Violence in Sri Lanka 2009-2014“ (Yasmin Sooka, The Bar Human Rights Commission of England and Wales and The International Truth and Justice Project Sri Lanka) zu dem Schluss, dass es ein systematisches Muster von Festnahmen, Vergewaltigungen und sexueller Gewalt durch sri-lankische Sicherheitskräfte gegen LTTE-verdächtige Rückkehrer gebe. Die eine Hälfte der dokumentierten Fälle solle nach Kriegsende 2009 stattgefunden haben, die andere Hälfte in den Jahren 2013/2014. Die meisten Opfer seien freiwillig nach Sri Lanka zurückgekehrt, dort dann aber verhaftet und misshandelt und schließlich gegen Geldzahlungen freigelassen worden. Die Interviews der Opfer, die offenbar gegen Bezahlung über Schleppernetzwerke erneut ins Ausland gelangten, hätten außerhalb Sri Lankas stattgefunden und seien durch medizinische Untersuchungen untermauert.
167Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland zurückkehrende Person tamilischer Volkszugehörigkeit bei ihrer Einreise – begründet oder unbegründet – bei den dortigen Sicherheitskräften konkret in den Verdacht des Terrorismus bzw. einer Nähe zur LTTE gerät und damit rechnen muss, nicht nur kurzfristig für ein bis zwei Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit asyl- bzw. abschiebungsschutzerheblichen Misshandlungen inhaftiert zu werden, lässt sich angesichts der derzeitigen Erkenntnislage nicht generalisierend und fallübergreifend beantworten. Demgemäß fehlt ein Ansatzpunkt für die Annahme einer Gruppenverfolgung. Es bedarf insoweit vielmehr einer Würdigung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten.
168Aus Deutschland zurückgeführte Asylbewerber haben in Sri Lanka grundsätzlich auch nicht Repressionen wegen Verstoßes gegen Passbestimmungen zu befürchten. Zu Passvergehen kommt es bei der Einreise schon deshalb nicht, weil Asylbewerber aus Deutschland zumindest mit einem Emergency-Pass zurückgeführt werden (AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 26). Unbeschadet dessen wäre eine strafrechtliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen die Passbestimmungen auch nicht als politische Verfolgung einzustufen. Denn die Ahndung solcher Delikte – wie sie im Übrigen auch in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen ist – stellt keine Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an asylrelevante Merkmale dar. Die fraglichen Vorschriften gelten überdies für alle sri-lankischen Staatsangehörigen und nicht nur für tamilische Volkszugehörige.
169(2) Angesichts des bereits dargestellten Verhältnisses der Zahl der Inhaftierungen zur Größe des tamilischen Bevölkerungsanteils im Promillebereich besteht auch kein tatsächlicher Anhalt für die Annahme einer immer wieder mal vorgetragenen Gruppenverfolgung von männlichen und/oder weiblichen Tamilen jüngeren bzw. mittleren Alters oder der Tamilen aus dem Norden und Osten Sri Lankas. Männliche wie weibliche Tamilen stellen naturgemäß je etwa die Hälfte der tamilischen Bevölkerung. Angesichts des geringen Durchschnittsalters in Sri Lanka von 32,02 Jahren (Human Development Reports, http://hdr.undp.org/en/countries/profiles/LKA, abgerufen am 19.5.2015) sind auch die allermeisten Tamilen jüngeren bzw. mittleren Alters. Da Tamilen im Norden die Mehrheit und im Osten einen ganz erheblichen Teil der Bevölkerung stellen (Department of Census and Statistics, Sri Lanka, Population by ethnic group according to districts, 2012, abrufbar unter: http://www.statistics.gov.lk/PopHouSat/CPH2011/index.php?fileName=pop42&gp=Activities&tpl=3), wäre die Verfolgungsdichte auch dort nicht für die Annahme einer Gruppenverfolgung ausreichend, selbst wenn sämtliche festgestellten Repressalien sich gegen „jüngere“ Tamilen oder solche „mittleren“ Alters gerichtet hätten.
170dd) Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung der Tamilen durch eine sonstige – nichtstaatliche – Gruppierung. Nach der Zerschlagung der LTTE ist schon keine Gruppe erkennbar, die überhaupt einen eine ganze Provinz umfassenden Machtbereich hätte, geschweige denn landesweiten Einfluss. Letzteres dürfte für eine nichtstaatliche Gruppenverfolgung aber zu fordern sein, da sich heute Sri-Lanker im ganzen Land frei bewegen und niederlassen können (AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 21). § 3e Abs. 1 AsylVfG bestimmt nämlich, dass einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Davon abgesehen weist keine dem Gericht vorliegende Auskunft darauf hin, dass im Einflussbereich einer bestimmten Gruppierung die Verfolgungshandlungen gegenüber Tamilen so dicht und eng gestreut seien, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit herzuleiten sein könnte. Im Einzelnen führt hierzu das AA, im Lagebericht vom 15.10.2014, auf S. 21, aus: Sowohl die LTTE als auch die TMVP hätten während des Bürgerkriegs Repressionen ausgeübt. Aus der Ostprovinz würden noch vereinzelt repressive Aktivitäten von – auch gegeneinander aggressiven – TMVP-Einheiten berichtet. In der Nordprovinz, insbesondere in Jaffna, seien nach Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen wiederentstandene paramilitärische Fraktionen politischer Parteien wie EPDP und PLOTE in die Fußstapfen der LTTE getreten. Für einen zwischenzeitlichen Anstieg der Kriminalität im Distrikt Jaffna um die Jahreswende 2010/2011 sei neben gewöhnlichen Verbrechen auch dieser Umstand als ursächlich eingeschätzt worden. Insbesondere die EPDP, bei der auch ehemalige LTTE-Kader untergekommen seien, sei für die Entwicklung verantwortlich gemacht worden. Eine Gruppenverfolgung von Tamilen insgesamt oder einer Untergruppe ergibt sich hieraus nicht.
171b) Eine Individualverfolgung der Klägerin im Fall ihrer Rückkehr ist aktuell ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Es sind keine besonderen in ihrer Person begründeten und zu würdigenden Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung durch die sri-lankischen Sicherheitskräfte (aa) oder durch Dritte (bb) gegeben.
172aa) Bei der Rückkehr nach Sri Lanka kann sich je nach den Umständen des Einzelfalles die Gefahr einer staatlichen politischen Verfolgung eines – auch unverfolgt ausgereisten – Tamilen bis zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichten, wenn in seiner Person noch weitere individuell ausgeprägte Risikomerkmale hinzutreten (1), und diese zu Maßnahmen der sri-lankischen Sicherheitskräfte führen, die über das durch die allgemeine Terrorismusbekämpfung gerechtfertigte Maß hinausgehen (2). Hiervon ausgehend droht der nicht vorverfolgten Klägerin bei der Rückkehr nach Sri Lanka nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche politische Verfolgung (3). Auch sonstige objektive oder subjektive Nachfluchtgründe liegen in der Person der Klägerin nicht vor (4).
173(1) Der Senat geht nach der aktuellen Auskunftslage davon aus, dass die Gefahr einer Inhaftierung, die das Risiko auch längerer Inhaftierung birgt, ohne dass Rechtsschutz zu erlangen wäre, im Einzelfall grundsätzlich dann gegeben ist, wenn die zurückkehrende Person bei den Sicherheitskräften in den Verdacht gerät, der LTTE anzugehören bzw. dieser Organisation nahe zu stehen.
174(2) Die Frage, ob der einzelne Ausländer bei seiner Rückkehr nach Sri Lanka dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen i. S. d. §§ 3 Abs. 1, 3a Abs. 1 und 2 AsylVfG zu befürchten hat, lässt sich aber auch anhand des genannten Risikoprofils nicht generalisierend und fallübergreifend beantworten. Denn den aktuellen Auskünften ist auch bei einer Gesamtschau keine Information dazu zu entnehmen, dass bestimmte Risikomerkmale – allein oder in Kombination – unabhängig vom jeweiligen Einzelfall mit gewisser Zwangsläufigkeit als politische Verfolgung zu qualifizierende Repressalien gegenüber den Betroffenen auslösen. Im Rahmen der tatrichterlichen Feststellungen muss vielmehr anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles unter Würdigung der in der Person des jeweiligen Ausländers konkret verwirklichten Risikomerkmale die individuelle Gefährdungssituation bewertet werden. Hierbei können die UNHCR-Richtlinien vom 21.12.2012, S. 29 f., die sich aber ausdrücklich als nicht abschließend bezeichnen, Orientierung bieten.
175(3) Unter Würdigung aller Gesichtspunkte ist davon auszugehen, dass sich das Risiko einer politischen Verfolgung in Sri Lanka in Form einer Festnahme verbunden mit einer längeren Inhaftierung und Folter in der Person der Klägerin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Soweit bekannt verfügt die Klägerin über keinen gültigen sri-lankischen Reisepass. Von daher wird bei ihrer Einreise über den Flughafen von D. eine Personenüberprüfung stattfinden. Hierbei werden die Sicherheitskräfte feststellen, dass die Klägerin aus dem Norden stammt und (zumindest auch) tamilisch spricht, so dass sie einige Faktoren aufweist, die den Sicherheitskräften einen Anlass für die nähere Prüfung einer etwaigen Nähe zur LTTE liefern könnten. Es ist aber davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer eventuellen Befragung am Flughafen den etwaigen Verdacht einer Nähe zur LTTE ausräumen kann. Da ihr Vorbringen zu einer angeblichen Verfolgung nicht glaubhaft ist, spricht nichts dafür, dass die sri-lankischen Behörden bereits in der Vergangenheit den Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft oder –unterstützung gegen die Klägerin gehegt hätten. Ihren ursprünglichen Vortrag betreffend eine mehr als einjährige Zwangsarbeit für die LTTE hat sie mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 7.10.2009 nicht mehr aufrechterhalten. Sie wird gegenüber den sri-lankischen Behörden auch nachweisen können, Sri Lanka bereits vor dem Wiederaufflammen des bewaffneten Konflikts zwischen LTTE und sri-lankischem Staat verlassen zu haben (2002, 2003 oder spätestens 2005). Soweit die entsprechende klägerische Angabe zutreffen sollte, könnte sie gegenüber staatlichen Stellen sogar glaubhaft machen, die Ehefrau eines hohen sri-lankischen Regierungsbeamten gewesen zu sein, der gerade nicht der LTTE nahestand, sondern ihr zum Opfer fiel. Hinsichtlich ihres Bruders hat sie dessen konkrete Stellung innerhalb der Organisation der LTTE nicht nachvollziehbar dargelegt. Zudem fehlen glaubhafte Angaben dazu, wann dieser gestorben ist (1988 oder 2003).
176(4) Auch sonstige objektive oder subjektive Nachfluchtgründe liegen in der Person der Klägerin nicht vor. Insbesondere begründet das Stellen eines Asylantrags im Ausland bei den sri-lankischen Sicherheitskräften regelmäßig noch nicht den Verdacht, der LTTE nahe zu stehen. Die Durchführung eines Asylverfahrens im Ausland wird in Sri Lanka vielmehr von vielen als legitimer Versuch angesehen, sich einen Aufenthaltsstatus im Ausland zu verschaffen, ohne dass damit zwangsläufig die Äußerung einer regimekritischen Einstellung gegenüber dem sri-lankischen Staat verbunden ist (AA, Lageberichte vom 30.10.2013, S. 23, vom 1.6.2012, S. 21, vom 1.9.2011, S. 26, und vom 16.6.2010, S. 24). Grundsätzlich nicht gänzlich auszuschließende Übergriffe der Sicherheitskräfte gegenüber aus dem Ausland abgeschobenen Asylbewerbern bei ihrer Einreise (UNHCR-Richtlinien vom 21.12.2012, S. 8 f.) besäßen schon deshalb keine Aussagekraft für eine konkret drohende Verfolgung, da der Klägerin eine freiwillige Ausreise möglich ist.
177Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 2.2.2010 – 10 B 18.09 –, juris, Rn. 6.
178bb) In der Person der Klägerin sind auch keinerlei individuelle Anknüpfungspunkte gegeben, die es als beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen, dass sie in Sri Lanka durch Dritte eine politische Verfolgung zu befürchten hat. Ihren ursprünglichen Vortrag betreffend eine mehr als einjährige Zwangsarbeit für die LTTE hat sie nicht mehr aufrechterhalten. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die LTTE noch fähig sein könnte, gegen die Klägerin vorzugehen. Abgesehen davon hätte sie auch keinen Grund dafür, da sie die Klägerin auch nach dem ursprünglichen Vortrag seinerzeit auf deren Bitten ziehen ließ. Ansätze für ein irgendwie geartetes Interesse anderer Gruppierungen an der Klägerin liegen nicht vor.
179II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte, weil die Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 4 Abs. 1 AsylVfG nicht vorliegen. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylVfG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Diese Bestimmung nimmt – wie bisher § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG a. F. – die Vorgaben des Art. 15 RL 2004/83/EG bzw. des gleichlautenden Art. 15 RL 2011/95/EU auf. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, wobei nach Satz 2 als solcher gilt 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gelten für die Feststellung der darin enthaltenen Abschiebungsverbote die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über Verfolgungs- und Schutzakteure und über internen Schutz – wie bisher schon – auch auf diese Abschiebungsverbote für anwendbar erklärt. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG bzw. Art. 15 RL 2011/95/EU droht. Das ergibt sich nun unmittelbar aus dem in Art. 2 lit. f) RL 2011/95/EU – der Definition des Begriffs „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ – enthaltenen Tatbestandsmerkmal „… tatsächlich Gefahr liefe…“. Der darin zum Ausdruck kommende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) ab.
180Vgl. EGMR (GK), Urteil vom 28.2.2008 – 37201/06 (Saadi/Italien) –, deutsche Übersetzung: NVwZ 2008, 1330, Rn. 125, 128; BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13.10 –, juris, Rn. 20.
181Ein dementsprechender ernsthafter Schaden droht der Klägerin nach den obigen Ausführungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
182III. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die von der Klägerin angeführte Gefährdung durch sri-lankische Sicherheitskräfte ist nicht gegeben, weil ihr Vortrag – wie bereits ausgeführt – im Wesentlichen unglaubhaft ist. Weder ein krankheitsbedingtes, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (1.) noch ein solches auf Grund Existenzgefährdung (2.) sind anzunehmen.
1831. Eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 kann sich zwar auch aus einer im Abschiebezielstaat zu erwartenden Verschlimmerung einer Krankheit ergeben. Dabei setzt die Annahme einer erheblichen Gefahr voraus, dass sich der Gesundheitszustand des betreffenden Ausländers dort infolge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, weil keine adäquate Behandlung möglich ist oder der Betroffene mangels ausreichender finanzieller Mittel keine solche Behandlung erlangen könnte. Konkret ist eine solche Gefahr, wenn der Betroffene alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in diese Lage geriete.
184Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.7.1999 – 9 C 2.99 –, juris, Rn. 8, und vom 25.11.1997 – 9 C 58.96 –, juris, Rn. 13.
185Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs kann für die Klägerin eine derartige Gefahrenlage nicht festgestellt werden. Sie beruft sich auf das Vorliegen einer PTBS. Bezüglich dieser Erkrankung wird unter Diagnoseschlüssel F43.1 der vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegebenen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification Version 2015 – ICD-10-GM Version 2015 – Folgendes ausgeführt:
186„Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.“
187Das Gericht kann nicht feststellen, dass bei der Klägerin ein solches Krankheitsbild vorliegt. Anlass zu weiteren diesbezüglichen Ermittlungen von Amts wegen besteht nicht.
188Soweit die Klägerin sich für das Vorliegen einer PTBS auf die Fachpsychologische Stellungnahme des Diplom-Psychologen Dr. B1. B2. vom 5.1.2015 beruft, fehlt es schon an der nötigen Substanz ihres Vorbringens für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot. Es besteht zwar keine Pflicht des Abschiebungsschutz Begehrenden zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO, und auch eine Beweisführungspflicht ist regelmäßig zu verneinen. Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome ist dennoch regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests zu fordern. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu zählen etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
189Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.9.2007 – 10 C 8.07 –, juris, Rn. 13 und 15.
190Es fehlt hier schon an einem Attest, das den höchstrichterlich aufgestellten Mindestanforderungen genügt. Bereits die Grundlage, auf der Dr. B2. seine Diagnose gestellt hat, ist unzureichend. Er geht von falschen Voraussetzungen aus. Für die Annahme einer PTBS kommt es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebens und der zu Grunde liegenden äußeren Erlebnistatsachen an. Bei der PTBS handelt es sich nämlich um ein innerpsychisches Erleben, das sich einer Erhebung äußerlich-objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht.
191Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.4.2015 – 3 A 905/10.A –, UA S. 9, n. v., und vom 5.1.2005
192– 21 A 3093/04.A –, juris, Rn. 11.
193Dieses innerpsychische Erleben setzt zwingend ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde, voraus (DIMDI, ICD-10-GM Version 2015, Diagnoseschlüssel F43.1). Die von Dr. B2. seiner Diagnose einer PTBS zugrundegelegte äußere Erlebnisgrundlage entspricht indes nicht den Tatsachen, die im Streitfall nach Aktenlage und Klägervorbringen anzunehmen sind.
194Die Klägerin hat gegenüber dem Gericht eingeräumt, nach der angeblichen ca. einjährigen Haft Sri Lanka verlassen zu haben. An der früheren Darstellung einer sich an die Haft anschließenden Zwangstätigkeit für die LTTE und zweier Entführungen im Juli und Oktober 2005 mit Vergewaltigung und gewaltbedingtem Schwangerschaftsabbruch hat sie nicht mehr festgehalten. Gleichwohl hat sie diese Ereignisse Dr. B2. erneut als ihre tatsächlichen Erlebnisse geschildert, und ihm damit schon beim Erfassen des seiner Diagnose zugrundeliegenden Lebenssachverhaltes die Unwahrheit gesagt, ohne dass er dies bemerkt und entsprechend gewürdigt hätte. Auf der anderen Seite hat sie ihm nicht von mehrfachen in Deutschland erfolgten Vergewaltigungen berichtet, die sie im vorliegenden Verfahren behauptet hat. Gerade diese Geschehnisse könnten aber von Bedeutung sein, insbesondere soweit es darum geht, ob eine auf sexuelle Missbrauchserfahrungen gestützte PTBS in Sri Lanka oder Deutschland ihre Ursache hat und in welchem der beiden Länder sie adäquat behandelbar ist bzw. ob/inwieweit eine Retraumatisierung droht.
195Unabhängig davon, dass es demgemäß schon an ausreichendem Vortrag für die Annahme einer PTBS fehlt, wäre grundsätzlich auch von einer Behandelbarkeit einer PTBS der Klägerin in Sri Lanka auszugehen.
196Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.4.2005 – 21 A 2152/03.A –, UA S. 32, m. w. N.
197Die medizinische Versorgung in Sri Lanka ist auch aktuell nach den Angaben des AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 25, landesweit gut. Es gebe kostenlose staatliche Krankenhäuser und staatliche ambulante Behandlungsstellen, die Krankenbehandlungen vornähmen und notwendige Medikamente gratis zur Verfügung stellten. Dies gelte auch für die Behandlung der Insassen von Vertriebenen- und Rehabilitationslagern sowie für Haftanstalten. Daneben gebe es, vor allem in D. , einige Privatkrankenhäuser mit höchstem medizinischem Standard.
198Insofern ist davon auszugehen, dass auch die in den ärztlichen Attesten des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie G. S2. vom 7.5.2014 und vom 24.11.2014 als erforderlich angesehene Weiterführung der medikamentösen Behandlung gesichert wäre.
199Abgesehen davon sind auch diese Atteste wegen unzureichendem der Diagnose zugrundeliegenden Lebenssachverhalt nicht geeignet, Anhaltspunkte für das Vorliegen einer PTBS bei der Klägerin zu liefern. Selbst wenn insoweit zugunsten der Klägerin angenommen würde, sie habe Herrn S2. die von ihr zunächst behaupteten Ereignisse nach dem Brandanschlag 2002 bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland – wahrheitsgemäß – nicht geschildert, fehlt auch hier jede Auseinandersetzung mit den potentiell traumaauslösenden Erlebnissen in Deutschland im Zusammenhang mit Herrn T2. . Überdies ist es ohne Angabe konkreter Schlüsselreize für eine Retraumatisierung, die Herr S2. jedoch nicht benennt, auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Behandlung einer Person, die ausschließlich durch das Versterben eines nahen Angehörigen bei einem Brand traumatisiert wäre, in ihrem Heimatland nicht möglich sein sollte. Die Behandlung traumatisierter Zeugen eines derartigen furchtbaren Ereignisses in ihrem Heimatland in ihrem vertrauten Umfeld und in ihrer Muttersprache ist gemeinhin üblich, da regelmäßig kein Grund besteht, der einem Erfolg gerade der dortigen Behandlung entgegenstehen könnte. Herr S2. benennt keine Umstände, die dem hier entgegenstünden.
200Aus den Attesten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie D1. Q1. vom 7.12.2005 und des Assistenzarztes C. C. vom 13.3.2007 ergibt sich nichts anderes. Diesen Attesten fehlt schon wegen ihres Alters jede Aussagekraft für den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin. Im Übrigen sind angeblichen erheblichen Traumatisierungen nicht einmal benannt. Soweit – eigene – „Gewalterfahrung“ der Klägerin genannt wird, ist jedenfalls ein Bezug zum angeblichen Tod ihres Ehemannes durch einen Herzinfarkt während eines Wohnungsbrandes nicht ersichtlich.
201Die Ausführungen zur mangelnden Substantiierung des Vortrages zu einer PTBS mit Retraumatisierungsgefahr bei einer Rückkehr nach Sri Lanka gelten entsprechend hinsichtlich des Vorliegens und der Behandelbarkeit der vorgetragenen depressiven Erkrankung. Abgesehen davon, dass für eine Suizidalität im Zuge der Abschiebung keinerlei Anhaltspunkte bestehen, würde eine solche für sich genommen zudem allenfalls auf ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot führen, das im Asylverfahren gegenüber dem Bundesamt nicht berücksichtigungsfähig ist.
202Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.1.2015 – 13 A 1201/12.A –, juris, Rn. 45.
2032. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Klägerin deshalb eine erhebliche konkrete Gefahr drohte, weil ihr jede wirtschaftliche Existenzgrundlage in Sri Lanka fehlen würde.
204Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.9.2011 – 10 C 24.10 –, juris, Rn. 20, zum Erfordernis einer extremen Gefahrenlage, um unter diesem Gesichtspunkt Abschiebungsschutz zu gewähren.
205Zwar sind laut AA, Lagebericht vom 15.10.2014, S. 25, Rückkehrer nach Sri Lanka auf sich allein gestellt bzw. von der Unterstützung durch Verwandte oder Bekannte abhängig. Ohne solche Unterstützung sei es für Rückkehrer nach wie vor schwierig, in angemessener Zeit wirtschaftlich und sozial wieder in Sri Lanka Fuß zu fassen. Die große Beteiligung des Militärs auf dem privatwirtschaftlichen Sektor, insbesondere in der Fischerei und in Form von „Army Shops“ erschwere Heimkehrern im Norden eine Wiederaufnahme ihres Gewerbes. Eine Grundversorgung von staatlicher Seite gebe es nicht. Grundsätzlich genössen die Staatsbürger im ganzen Land Freizügigkeit. Die Klägerin wird jedoch voraussichtlich für sich selbst sorgen können. Sie weist eine zwölfjährige Schulbildung auf, hat bereits als Krankenschwester gearbeitet, kennt sich sowohl in W. als auch in D. aus und spricht nicht nur Tamilisch, sondern auch Singhalesisch. Hiervon abgesehen ist anzunehmen, dass sie im Falle ihrer Rückkehr finanziell unterstützt werden würde. Sie trägt selbst vor, aus der „besseren Gesellschaft“ zu stammen und in der Vergangenheit bereits von Freunden ihres Mannes unterstützt worden zu sein. Ihr inzwischen erwachsener Sohn konnte eine Privatschule besuchen und fühlt sich erkennbar auch für sie verantwortlich, da er nach dem Vorbringen im Berufungsverfahren die Erklärung des Rechtsanwalts und Notars M. T3. vom 12.10.2009 beschafft hat. Die Behauptung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, diese von ihr selbst vorgelegte Bescheinigung sei insoweit unrichtig, und sie habe keinerlei Kontakt mehr zu ihrem Sohn, wertet der Senat als verfahrensangepasste Schutzbehauptung.
206D. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO; das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
207Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
208Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
moreResultsText
Annotations
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.