Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 04. Aug. 2014 - 13 A 1084/14.A
Gericht
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 29. April 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG) in Form der Verletzung eines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
4Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können, und verpflichtet das Gericht, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Entscheidungserwägungen einzustellen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Ausführungen eines Beteiligten in der Sache zu folgen. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist von vornherein nicht geeignet, eine - vermeintlich - fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden.
5Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 4. August 2004 - 1 BvR 1557/01 -, juris, Rn. 17; OVG NRW, Beschlüsse vom 28. März 2013 - 13 A 412/12.A -, juris, Rn. 3 und vom 7. Februar 2013 - 13 A 2871/12.A -, juris, Rn. 12 ff.
6Allenfalls bei von Willkür geprägter oder handgreiflich unrichtiger, offensichtlich nicht mit dem Gesetz und seiner Zielsetzung zu vereinbarender fehlerhafter Rechtsanwendung kann ein Gehörsverstoß - abhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls - in Betracht zu ziehen sein.
7Vgl. insoweit bezogen auf die Beweiswürdigung: BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2005 - 1 B 185.04 ‑, juris, Rn. 3; VGH Kassel, Beschlüsse vom 1. März 1996 - 13 ZU 4039/95 -, juris, Rn. 12 und 11. Juli 1996 - 13 ZU 2400/96.A. -, juris, Rn. 9 ff.
8Das Gebot rechtlichen Gehörs beschränkt und bezieht sich auf den entscheidungserheblichen Tatsachenstoff. Seine Verletzung scheidet deswegen aus, wenn nach Maßgabe der Rechtsmeinung des erkennenden Ausgangsgerichts auszuschließen ist, dass bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung ergangen wäre. Deswegen sind die Voraussetzungen einer Gehörsverletzung beispielsweise dann nicht erfüllt, wenn das Ausgangsgericht eine Asylklage zu Unrecht - aber willkürfrei - wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abweist und aus diesem Grund nicht sachlich auf das Verfolgungsschicksal des Klägers eingeht.
9Vgl. GK-Asylrecht, Loseblatt, Stand: April 1998, § 78 Rn. 272; VGH Kassel, Beschluss vom 11. Juli 1996 ‑13 UZ 2400/96. A -, juris, Rn. 13.
10Zudem korrespondiert der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs mit der Obliegenheit, sich dies zu verschaffen. Der Einzelne muss daher alle ihm nach Lage der Dinge zumutbaren und tauglichen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um sein Anliegen zu Gehör zu bringen. Für das Berufungszulassungsverfahren bedeutet dies, dass ein Verfahrensbeteiligter, der ihm zumutbare und nach Lage der Dinge abzuverlangende Anstrengungen unterlassen hat, sich durch Gebrauch der ihm eröffneten, tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen oder einen drohenden Gehörsverstoß abzuwenden, sich im Berufungszulassungsverfahren nicht auf einen solchen berufen kann.
11Vgl. GK-Asylrecht, a.a.O., § 78 Rn. 276 ff. m.w.N.
12Gemessen daran begründet das Zulassungsvorbringen weder mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe den Wiedereinsetzungsantrag mit unzutreffenden Gründen zurückgewiesen, noch mit dem - sinngemäßen - Einwand, der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter seien dem Verhandlungstermin aufgrund eines im Vorfeld mündlich erteilten richterlichen Hinweises ferngeblieben, einen Gehörsverstoß im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG.
13Soweit der Kläger seinen Zulassungsantrag in der Art einer Berufungsschrift auf einen Auslegungs- bzw. Subsumtionsfehler bei der Anwendung der Fristbestimmung des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO stützt, rügt er damit einen zulassungsrechtlich unerheblichen Rechtsanwendungsfehler.
14Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Klage wegen Versäumung der Klagefrist und in Ermangelung der formellen Voraussetzung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig abzuweisen, ist nicht von Willkür geprägt oder handgreiflich unrichtig. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Pflicht eines Rechtsanwalts zur Prüfung der Eingangsbestätigung der Klage ist weder zu beanstanden,
15vgl. dazu Czybulka, in: Sodan/Ziekow, 4. Auflage 2014, § 60 Rn. 112,
16noch hat der Kläger sie in Abrede gestellt. Er erachtet es vielmehr als willkürlich, dass das Verwaltungsgericht die Entstehung dieser Prüfpflicht nach Ablauf von vier Wochen angenommen hat. Diese Bewertung ist unzutreffend. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Grundsätzlich gilt das Hindernis als behoben, sobald das Fortbestehen der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist. Das ist in dem Zeitpunkt der Fall, in dem ein verantwortlicher Anwalt bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können.
17Vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 30. Dezember 1994 - 1 S 3532/94 -, juris, Rn. 4.; BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1992 - VIII ZB 30/92 - mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BGH, juris, Rn. 4.
18Dementsprechend beginnt die Wiedereinsetzungsfrist bezogen auf die Frist zur Prüfung einer Eingangsbestätigung mit dem Zeitpunkt, in dem der Kläger oder sein Bevollmächtigter von der Eingangsmitteilung Kenntnis nehmen konnte.
19Vgl. Czybulka in : Sodan/Ziekow, a.a.O., § 60 Rn. 112.
20Bei deren Ausbleiben ist für den Fristbeginn maßgebend, ab welchem Zeitpunkt einem Anwalt nach Aufgabe des Schriftstücks zur Post Zweifel an seinem rechtzeitigen Eingang bei Gericht gekommen sein müssen.
21Vgl. BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1992 - VIII ZB 30/92 -, juris, Rn. 8.
22Dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, dies sei nach Ablauf eines Zeitraums von vier Wochen nach Absendung der Klageschrift der Fall, willkürlich oder handgreiflich unrichtig ist, ist nicht feststellbar. Bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang wird die Bestätigung des Eingangs der Klageschrift binnen weniger Tage versandt. Sofern es durch die besondere Situation der Weihnachtsfeiertage überhaupt zu Verzögerungen kommt, bewegen sich diese üblicherweise ebenfalls im Bereich weniger Tage. Umstände, die für eine hiervon abweichende Praxis des Verwaltungsgerichts Köln sprechen, hat der Kläger nicht vorgetragen. Angesichts dessen hätten sich seinem Prozessbevollmächtigten schon vor Ablauf von vier Wochen Zweifel am Eingang der Klageschrift bei Gericht aufdrängen müssen. Soweit der Kläger „die genaue Bestimmung des Fristbeginns auf den 18. Dezember 2012“ beanstandet, weil das Verwaltungsgericht unzutreffend unterstellt habe, dass die Klage an diesem Tag zugestellt worden sein müsste, greift auch dieser Einwand nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat weder für den Beginn der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags noch für den Zeitpunkt des Entstehens der Rückfrageobliegenheit auf den Zeitpunkt der Klagezustellung abgestellt, sondern vielmehr auf den der Absendung der Klageschrift. Darüber hinaus hat es auch nicht angenommen, dass die Klage am 18. Dezember 2012 zugestellt worden ist.
23Der Anspruch des Klägers auf die Gewährung rechtlichen Gehörs ist auch nicht dadurch verletzt worden, dass der erkennende Einzelrichter im Vorfeld zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung geäußert haben soll, dass „eine Erörterung über die Begründetheit der Klage im Hinblick auf die geäußerten Bedenken zur Zulässigkeit nicht beabsichtigt sei“ und der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter sich durch diese Äußerungen - ihre Richtigkeit zugunsten des Klägers unterstellt - veranlasst gesehen haben, dem Termin fernzubleiben. Soweit der Kläger daraus, dass das Urteil Ausführungen zur Begründetheit der Klage enthält, den Rückschluss zieht, dass sein Verfolgungsschicksal im Termin erörtert worden wäre und deswegen meint, die zitierte Äußerung sei unrichtig gewesen, ist dies weder zwingend noch naheliegend. Denn die in dem Urteil enthaltenen Ausführungen zur Begründetheit beruhen erkennbar auf einer Entscheidung nach Aktenlage und können deswegen nicht als Hinweis darauf gewertet werden, dass das Verwaltungsgericht den Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal angehört hätte, wenn er zum Verhandlungstermin erschienen wäre. Hinzu kommt, dass der Kläger - ungeachtet des Hinweises des Einzelrichters zum beabsichtigten Verhandlungsinhalt - nicht gehindert war, an dem Verhandlungstermin teilzunehmen und sich Gehör zu verschaffen. Dass er von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch gemacht hat, führt dazu, dass ihm die Berufung darauf im Zulassungsverfahren verwehrt ist. Unabhängig davon ist der für eine Gehörsverletzung allein in Betracht kommende Anknüpfungspunkt, durch diesen Hinweis fehlgeleitet worden zu sein, nicht entscheidungserheblich. Da das Verwaltungsgericht selbstständig tragend auf die Unzulässigkeit der Klage abgestellt hat, hätte es für den Kläger zu keiner günstigeren Entscheidung geführt, wenn er sein Verfolgungsschicksal im Verhandlungstermin dargelegt hätte.
24Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.
25Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Annotations
Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn
- 1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, - 2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, - 3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, - 4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, - 5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder - 6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung, des Antrags auf Zulassung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Beschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.
(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.
(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.