Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 21. Juli 2014 - 12 A 1053/14
Gericht
Tenor
Die Berufung des Beklagten wird zugelassen, soweit er mit dem angefochtenen Urteil verpflichtet worden ist, für das Kind N. Q. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 2. September 2013 zu bewilligen.
Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten.
1
Gründe:
2Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung - der sich der Sache nach, wie aus der Begründung folgt, nur gegen die stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts betreffend das Kind N. Q. richtet - hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
3Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht, soweit das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet hat, für N. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz vom 1. April 2013 bis zum 1. September 2013 zu bewilligen. Das Zulassungsvorbringen vermag die auf einer eingehenden Befragung des Klägers und Vernehmung seiner getrennt lebenden Ehefrau K. Q. beruhende Annahme des Verwaltungsgerichts, der „qualitative Anteil“ der Erziehungsleistungen des Klägers habe von April 2013 an so wesentlich überwogen, dass der Kläger auch angesichts der Betreuungsleistungen der Kindsmutter als alleinerziehend im unterhaltsvorschussrechtlichen Sinne anzusehen gewesen sei, für den Zeitraum vor dem Zustandekommen der neuen Umgangsregelung in der Sitzung des Amtsgerichts - Familiengericht - P. am 2. September 2013 nicht hinreichend in Frage zu stellen.
4Die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Sachverhaltes fällt nämlich unter die richterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, in dessen Anwendung das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Der insoweit eröffnete Wertungsrahmen des entscheidenden Gerichtes findet seine Grenze lediglich in der Forderung, dass die aus den Entscheidungsgründen erkennbare Argumentation rational, d. h. willkürfrei sowie ohne gedankliche Brüche und Widersprüche, begründet sein muss und nicht gegen Denkgesetze (Logik), Naturgesetze oder zwingende Erfahrungssätze verstoßen darf.
5Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 C 30.05 -, NVwZ 2007, 197, juris, und Beschlüsse vom 14. Januar 2010 - 6 B 74.09 -, Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 87, juris, sowie vom 15. Februar 2010 - 2 B 126.09 -, Buchholz 232.0 § 96 BBG 2009 Nr. 1, juris; OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - 12 A 1174/11 -, Beschluss vom 21. Oktober 2011 - 12 A 1384/11 -, Beschluss vom 29. Juli 2011
6- 12 A 2237/10 -, Beschluss vom 30. Juni 2011 - 12 A 701/11 -, Beschluss vom 9. März 2011 - 12 A 1000/10 -, Beschluss vom 25. Februar 2011 - 12 A 633/10 - sowie Beschluss vom 11. Januar 2011 - 12 A 1765/09 - und Höfling/Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 108 Rn. 77 ff. und 79 ff.; Bamberger, in: Wysk, VwGO, 2011, § 108 Rn. 4; zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2010
7- 2 B 126.09 -, Buchholz 232.0 § 96 BBG 2009, juris, m. w. N.
8Im Rahmen der Geltendmachung ernstlicher Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO reicht es zur Darlegung eines „grob ungerechten" Entscheidungsergebnisses,
9vgl. BT-Drucks. 13/3993, S. 13,
10nicht aus, der Würdigung des Gerichts bloß die eigene - naturgemäß günstigere - Wertung entgegenzustellen.
11Ständige Rspr. des Senates, vgl. etwa: OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2012 - 12 A 2781/11 -.
12Hiernach erhebliche Mängel in der Überzeugungsbildung zeigt die Zulassungsbegründung nicht auf, soweit das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf die vor der Sitzung des Amtsgerichts - Familiengericht - P. am 2. September 2013 gehandhabte Umgangsregelung gestützt hat, wonach N. in jeder zweiten Woche von Donnerstag bis Sonntag von der Kindsmutter betreut wurde und zusätzlich in den jeweils anderen Wochen von Mittwoch auf Donnerstag bei ihr übernachtete.
13Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind - wie hier - regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt" als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen. Dazu bedarf es einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles.
14Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 5 C 20.11 -, BVerwGE 144, 306, juris, m. w. N. aus der obergerichtlichen Rspr.; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2012 - 12 E 327/12 -.
15Ausgehend von diesen Maßgaben legt der Beklagte nicht dar, dass das Verwaltungsgericht - bezogen auf die vorgenannte Zeitspanne vom 1. April 2013 bis zum 1. September 2013 - die Grenzen zulässiger tatrichterlicher Würdigung überschritten hat. Der in den Vordergrund gestellte Aspekt des „qualitativen Anteils“ der Erziehungsleistungen des Klägers, der - so das Verwaltungsgericht - sich im Wesentlichen allein um die elementaren Lebensbedürfnisse der Kinder gekümmert und die Verantwortung für Sorge und Erziehung nahezu vollständig getragen habe, erscheint nachvollziehbar. Auch wenn der Einwand des Beklagten, die Wochenenden seien „besonders betreuungsintensiv“, an sich berechtigt ist, wird die Tragfähigkeit und Schlüssigkeit der Argumentation des Verwaltungsgerichts allein hierdurch - unter Berücksichtigung des Umfangs der durch die Mutter geleisteten Betreuung - noch nicht durchgreifend in Frage gestellt.
16Anderes gilt indes für den nachfolgenden Zeitraum ab dem 2. September 2013, in dem eine neue, auf einer entsprechenden Vereinbarung vor dem Familiengericht beruhende Umgangsregelung praktiziert wurde. Insoweit führt das Zulassungsvorbringen des Beklagten zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Die diesbezügliche rechtliche Wertung des Verwaltungsgerichts beruht auf der logisch fehlerhaften Annahme, es bestehe mit Blick auf die neue Umgangsregelung „in quantitativer Hinsicht kein Unterschied zu der bereits zuvor seit April 2013 praktizierten Regelung“ und die alleinige Abweichung liege darin, „dass N. nunmehr zwei Wochenenden in Folge bei der Kindsmutter verbringt“ (vgl. S. 14, 2. Abs., des amtlichen Abdrucks des angefochtenen Urteils). Dass trifft so nicht zu, denn soweit sich N. nach der neuen Handhabung in zwei aufeinanderfolgenden Wochen jeweils von Donnerstag bis Sonntag bei der Mutter aufhält, schließt sich nur eine ganze Woche an, die N. vollständig bei ihrem Vater, dem Kläger, verbringt; wie in der Vereinbarung vor dem Familiengericht angelegt und vom Verwaltungsgericht auch einleitend dargestellt, basiert die neue Umgangsregelung auf einem 3-Wochen-Rhythmus. Bezogen auf einen beispielhaft gebildeten 6-Wo-chen-Zeitraum führt die geänderte Umgangsregelung somit dazu, dass N. nicht mehr nur an drei, sondern nunmehr immerhin an vier „verlängerten Wochenenden“ (von Do. bis So.) bei ihrer Mutter ist, was im Ergebnis einem Tagesanteil von 38% entspricht. Diese zusätzliche Betreuungszeit wird nicht gleichwertig dadurch kompensiert, dass die früher für jede zweite Woche vorgesehenen Übernachtungen von Mittwoch auf Donnerstag entfallen. Dabei ist auch in die Gewichtung der jeweiligen Betreuungs- und Erziehungsleistungen einzustellen, dass die Mutter infolge der Neuregelung einen erhöhten Aufwand vor allem an den Wochenenden erbringt, während derer die Kinder gerade nicht schon in größerem Umfang anderweitig, nämlich in Kindertageseinrichtungen oder Schulen, betreut werden. Vor diesem Hintergrund spricht Einiges dafür, dass die von der Mutter in Ausübung der neuen Umgangsregelung erbrachten Betreuungsleistungen schon ihrem Umfang nach durchaus zu einer wesentlichen Entlastung des Klägers führen, selbst wenn die fürsorgerische und erzieherische Hauptverantwortung weiterhin bei ihm verbleibt.
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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Beamtinnen und Beamte dürfen dem Dienst nicht ohne Genehmigung ihrer Dienstvorgesetzten fernbleiben. Dienstunfähigkeit infolge von Krankheit ist auf Verlangen nachzuweisen.
(2) Verliert die Beamtin oder der Beamte wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst nach dem Bundesbesoldungsgesetz den Anspruch auf Besoldung, wird dadurch die Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht ausgeschlossen.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.