Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 17. Juli 2014 - 1 E 708/14
Gericht
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
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G r ü n d e
2Gemäß § 75 Satz 3 VwGO setzt das Verwaltungsgericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten – verlängerbaren – Frist u. a. dann aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass über den Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt noch nicht entschieden worden ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend ungeachtet des Beschwerdevorbringens nicht gegeben.
3Ein zureichender Grund für eine Aussetzung des Verfahrens setzt voraus, dass der Verwaltungsakt, gegen den sich der Widerspruch richtet, Gegenstand des ausgesetzten Verfahrens ist. Daran fehlt es hier; der Bescheid, dessentwegen das Verfahren ausgesetzt worden ist, ist nach wie vor Gegenstand des Verfahrens 3 K 7047/13 VG Köln:
4Zu dem vorbezeichneten Aktenzeichen hat der Kläger am 15. November 2013 eine Klage erhoben. Gegenstand dieser Klage waren insgesamt sieben unterschiedliche Beihilfebescheide, die die Postbeamtenkrankenkasse im Auftrag der Deutschen Telekom AG erlassen hatte. Die stellvertretende Vorsitzende der für Beihilfestreitigkeiten der Bundesbeamten zuständigen Kammer des Verwaltungsgerichts hat unter dem 18. November 2013 Folgendes verfügt: „Es handelt sich hier um eine Klage, die insgesamt 7 Beihilfebescheide betrifft und damit unterschiedliche Streitgegenstände, die jeweils in gesonderten Verfahren zu bearbeiten sind. Es ist deshalb für jeden der in der Klageschrift aufgelisteten Leistungsanträge ein gesondertes Klageverfahren anzulegen. Die in den Betreff aufzunehmenden Daten der Leistungsanträge sind in der anliegenden Zweitschrift der Klage jeweils farblich markiert.“ Daraufhin sind sechs weitere Verfahren angelegt und zugehörige Aktenzeichen vergeben worden, denen jeweils ein Beihilfebescheid zugeordnet worden ist.
5Es ist, wie z. B. § 93 Satz 2 VwGO belegt, ohne Weiteres möglich, mehrere Ansprüche in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu erheben, d. h. zum Gegenstand einer einzigen Klage zu machen. Das Verwaltungsgericht kann allerdings anordnen, dass diese Ansprüche nicht in einem, sondern in getrennten Verfahren verhandelt und entschieden werden (§ 93 Satz 2 VwGO). Diese Anordnung darf aber nicht – wie hier geschehen – durch bloße richterliche Verfügung erfolgen, sondern verlangt ungeachtet des nicht ganz eindeutigen Wortlauts („anordnen“) ebenso wie die Trennung von Verfahren, für die § 93 Satz 1 VwGO eine Entscheidung im Beschlusswege vorschreibt, aus Gründen der Rechtssicherheit und ‑klarheit einen förmlichen Beschluss des Gerichts.
6Vgl. Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO (Stand: April 2013), § 93 Rn. 24; Schmid, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 93 Rn. 20; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 93 Rn. 8; Stuhlfauth, in: Bader, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 93 Rn. 9; Haack, in: Gärditz, VwGO, § 93 Rn. 3; Garloff, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 93 Rn. 11 f.; Redeker/v.Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 93 Rn. 4; a. A. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 93 Rn. 6; Bamberger, in: Wysk, VwGO, § 93 Rn. 8, die – allerdings ohne tragfähige Begründung – auch einen konkludenten Trennungsbeschluss für zulässig erachten, was BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 9 B 72.01 –, juris, Rn. 3, zu § 93 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 1 Nr. 2 FlurbG offen gelassen hat.
7Dieser steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und ist am Maßstab der Ordnung des Prozessstoffes im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit auszurichten.
8Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. September 2012– 7 A 22.11 –, juris, Rn. 1, m. w. N.
9An einem solchen Beschluss fehlt es vorliegend. Auch der hier angegriffene Aussetzungsbeschluss kann – abgesehen von der abzulehnenden Annahme, ein Trennungsbeschluss könne auch konkludent ergehen – nicht der Sache nach als Trennungsbeschluss angesehen werden, weil er sich auf das (faktisch) bereits „abgetrennte“ Verfahren bezieht, wie die in den „Parallelverfahren“ zusätzlich ergangenen Aussetzungsbeschlüsse belegen.
10Der ggf. im Verfahren 3 K 7047/13 VG Köln erforderliche Trennungsbeschluss kann im Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung nicht vom Verwaltungsgericht nachgeholt werden. Denn auch das Verfahren 3 K 7047/13 VG Köln ist ausgesetzt worden. Während der Aussetzung aber darf grundsätzlich keine Prozesshandlung vorgenommen werden bzw. gerichtliche Entscheidung mehr ergehen.
11Vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1965 – V ZB 12/64 –, BGHZ 43, 135 = juris, Rn. 2; Stadler, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl. 2013, § 249, Rn. 5; Greger, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 249 7, 8 ff.
12Schließlich kann das Verwaltungsgericht seinen Aussetzungsbeschluss im Verfahren 3 K 7047/13 VG Köln auch nicht mehr selber aufheben, nachdem die Sache in der Beschwerdeinstanz anhängig geworden ist.
13Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
Das Gericht kann durch Beschluß mehrere bei ihm anhängige Verfahren über den gleichen Gegenstand zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbinden und wieder trennen. Es kann anordnen, daß mehrere in einem Verfahren erhobene Ansprüche in getrennten Verfahren verhandelt und entschieden werden.
(1) In jedem Land ist bei dem obersten Verwaltungsgericht ein Senat für Flurbereinigung (Flurbereinigungsgericht) einzurichten. Für die Gerichtsverfassung und das Verfahren gelten die Vorschriften über die Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit in den §§ 139 bis 148 nichts Abweichendes bestimmt ist.
(2) Mehrere Länder können durch Staatsvertrag ein gemeinschaftliches Flurbereinigungsgericht einrichten. In den Ländern Bremen und Hamburg können die Aufgaben des Flurbereinigungsgerichts auf ein anderes Gericht übertragen werden.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.