Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. Nov. 2010 - 4 Ws 213/10

published on 22/11/2010 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. Nov. 2010 - 4 Ws 213/10
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Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten werden der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Tübingen vom 13. Oktober 2010 und die Verfügung der Staatsanwaltschaft Tübingen vom 12. Juli 2010

a u f g e h o b e n .

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die Staatsanwaltschaft Tübingen

z u r ü c k g e g e b e n .

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I.
Durch Urteil des Landgerichts Tübingen vom 27. Februar 2002 (1 KLs 42 Js 7745/01) wurde der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, die er zur Hälfte verbüßte. Von der weiteren Vollstreckung sah die Staatsanwaltschaft Tübingen mit Bescheid vom 13. November 2002 gem. § 456 a StPO ab und ordnete die Nachholung der Vollstreckung nach § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO für den Fall der Wiedereinreise des Verurteilten an. Am 25. November 2003 wurde der Verurteilte aus der Strafhaft entlassen und nach … abgeschoben. Am 02. Dezember 2003 erließ die Staatsanwaltschaft einen Vollstreckungshaftbefehl gem. § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO. Das Regierungspräsidium … befristete die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung am 26. Januar 2004 auf sechs Jahre ab dem Ausreisezeitpunkt, demnach bis 24. November 2009, unter den Voraussetzungen, dass der Verurteilte die Abschiebungskosten bezahlt, einen Nachweis über seine Drogenfreiheit und ein Führungszeugnis beibringt.
Die Strafvollstreckungskammer ordnete mit Beschluss vom 09. Juni 2010 gem. § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO die Einholung eines psychiatrischen und psychologischen Gutachtens an. Hierauf beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 09. Juli 2010 unter Vorlage eines Auszugs aus dem Strafregister des Innenministeriums der Republik …, einer Bestätigung über die Ausübung einer landwirtschaftlichen Tätigkeit und der Ankündigung einer Teilzahlung bezüglich der Abschiebungskosten die Aussetzung der Vollstreckung des Haftbefehls für die Dauer der Exploration. Mit Verfügung vom 12. Juli 2010 lehnte die Strafvollstreckungsbehörde diesen Antrag ab. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Einwendungen. Die Vollstreckungsbehörde sah hierin eine Beschwerde nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVollstrO und legte die Sache der Generalstaatsanwaltschaft vor. Diese gab die Akten an die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis zurück, dass der Rechtsweg nach §§ 21 StVollstrO, 23 ff. EGGVG nicht gegeben sei. Der Antrag sei dahingehend auszulegen, dass sich der Verurteilte gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde wende, auch für die Dauer der Exploration durch den Sachverständigen und die mündliche Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer nicht von der bereits angeordneten Nachholung der Strafvollstreckung abzusehen. Deshalb sei die Strafvollstreckungskammer gem. §§ 458 Abs. 2, 462, 462 a StPO zuständig. Das Landgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 13. Oktober 2010 die Einwendungen des Verurteilten gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Tübingen als unbegründet zurückgewiesen.
II.
1. Die hiergegen vom Verurteilten erhobene sofortige Beschwerde ist zulässig.
a) Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft können nach §§ 458 Abs. 2, 462 StPO Einwendungen erhoben werden, über die die Strafvollstreckungskammer entscheidet (§ 462 a StPO Abs. 1 Satz 1 StPO). Dem steht nicht entgegen, dass gegen den Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls nach § 457 Abs. 2 StPO Beschwerde nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVollstrO erhoben werden kann und danach der Rechtsweg nach § 23 ff. EGGVG eröffnet ist (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1989, 1016; Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, § 457 Rn. 16).
Zwar hat die Vollstreckungsbehörde vorliegend „nur“ über die zeitlich befristete Aussetzung des Vollstreckungshaftbefehls entschieden. Jedoch hat sie den Vollstreckungshaftbefehl auf der Grundlage des § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO erlassen. Er beruht auf der Anordnung der Nachholung der Vollstreckung für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers ins Inland (die für die Wirksamkeit erforderliche Belehrung gem. § 456 a Abs. 2 Satz 4 StPO wurde erteilt) und stellt deshalb einen Annex zur Entscheidung über die Nachholung der Vollstreckung dar. Damit hat es die Vollstreckungsbehörde inzident abgelehnt, auch die Nachholung der Vollstreckung einstweilen auszusetzen.
Vorliegend kann der Beschwerdeführer sein Ziel, für einen kurzen Zeitraum nach Deutschland einreisen zu dürfen und sich hier aufzuhalten, ohne festgenommen zu werden, nur mit einer einstweiligen Aufhebung der Nachholung der Strafvollstreckung nach § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO erreichen, weshalb sein Antrag entsprechend auszulegen ist. Bei bloßer Außervollzugsetzung des Vollstreckungshaftbefehls bestünden die Nachholungsanordnung und die rechtliche Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Vollstreckung der Strafe unbeschränkt fort. Sie müsste die Strafvollstreckung weiter betreiben, nur dürfte sie sich hierzu nicht eines Vollstreckungshaftbefehls bedienen. Nicht möglich ist es, im Rahmen der Überprüfung der Rechtsmäßigkeit des Vollstreckungshaftbefehls auch die Statthaftigkeit der Nachholung der Strafvollstreckung zu überprüfen, denn hierfür ist ausdrücklich das Verfahren nach § 458 Abs. 2 StPO vorgesehen; der - subsidiäre (§ 23 Abs. 3 EGGVG) - Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG kann insoweit nicht zur Geltung kommen.
Damit hat der Verurteilte Einwendungen nach §§ 458 Abs. 2, 462, 462 a StPO gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erhoben, auch für die Dauer der Exploration durch den Sachverständigen und die mündliche Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer nicht von der bereits angeordneten Nachholung der Strafvollstreckung abzusehen (s. aber OLG Karlsruhe Justiz 2005, 360 [361], wonach der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG gegeben ist).
b) Der Zulässigkeit einer einstweiligen Aussetzung der Nachholungsanordnung und des Vollstreckungshaftbefehls kann nicht entgegengehalten werden, dass für sie kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, weil nach einer Entscheidung nach § 456 a StPO eine Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB grundsätzlich nicht mehr in Betracht käme, denn die Abschiebung hindert eine solche Entscheidung nicht (vgl. OLG Stuttgart StV 1999, 276; OLG Düsseldorf StV 2003, 679; OLG Karlsruhe Justiz 2005, 360; KG, Beschluss vom 22.05.2005, 5 Ws 233/01, - zitiert nach juris).
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
10 
Die Strafvollstreckungskammer und die Vollstreckungsbehörde haben die einstweilige Aussetzung des Vollstreckungshaftbefehls und damit verbunden die einstweilige Aussetzung der Nachholungsanordnung abgelehnt, weil der Beschwerdeführer durch das Absehen von der weiteren Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO gegenüber anderen Gefangenen eine erhebliche Besserstellung erfahren habe. Dieser Vorteil müsse bei einer Rückkehr nach Deutschland entfallen. Sinn des § 456 a StPO sei es, den Strafvollzug dadurch zu entlasten, dass bei solchen Gefangenen, die infolge ihrer Abschiebung keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellten, auf Resozialisierungs- und Sicherungsbemühungen verzichtet werde. Kehrten sie nach Deutschland zurück, erlange die Strafe ihre Funktion der Sicherung und Resozialisierung wieder.
11 
Sinn und Zweck des § 456 a StPO, den die Vollstreckungsbehörde zutreffend dargelegt hat (s. BVerfG NJW 2004, 356; KK-Appl, StPO, 6. Aufl., § 456 a Rn. 1), gebieten es nicht, die einstweilige Aussetzung abzulehnen. Der Beschwerdeführer will nicht auf Dauer, sondern nur für kurze Zeit in Deutschland bleiben, um seine Exploration durch einen Sachverständigen und die mündliche Anhörung zu ermöglichen. Es ist nur dann geboten, zur Verfolgung der o.a. Zwecke auf ihn im Wege des Strafvollzuges einzuwirken, wenn er beabsichtigt, sich für längere Zeit im Inland aufzuhalten, es sei denn, dem steht das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit entgegen.
12 
Darüber hinaus kann der Beschwerdeführer wegen der nach § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO gebotenen Einholung eines Sachverständigengutachtens nur mit einer Einreise eine Entscheidung über eine bedingte Strafaussetzung erreichen. Würde der Vollstreckungshaftbefehl vollzogen und er bei seiner Einreise festgenommen werden, wäre er gezwungen, sich in Haft zu begeben, um das Verfahren nach § 57 StGB durchzuführen. Dies kann schon deshalb nicht rechtens sein, weil er einen Anspruch auf eine Entscheidung über eine bedingte Entlassung hat, die - wie dargelegt - nicht durch eine ergangene Verfügung nach § 456 a StPO ausgeschlossen ist. Zur Durchsetzung dieses Rechts muss es ihm gestattet sein, nach Deutschland einzureisen, ohne festgenommen zu werden.
13 
Auch hätte er im Fall der Ablehnung einer bedingten Entlassung keine Möglichkeit mehr, im Ausland in Freiheit zu leben. Dies schränkte seinen Anspruch auf Entscheidung nach § 57 StGB in unzulässiger Weise ein.
14 
3. Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache nicht möglich.
15 
Die Entscheidung, ob die Aussetzung des Vollzuges des Vollstreckungshaftbefehls und der Nachholung der Strafvollstreckung geboten sind, steht im pflichtgemäßen Ermessen der Vollstreckungsbehörde. Dies ergibt sich aus § 456 a Abs. 2 Satz 3 StPO, wonach sie die Nachholung der Vollstreckung anordnen und einen Vollstreckungshaftbefehl erlassenkann . Dann muss auch die Aussetzung des Vollzuges dieser Maßnahmen in ihrem Ermessen stehen.
16 
Die Sache ist nicht spruchreif, weil zuvor beim Regierungspräsidium in Erfahrung zu bringen ist, ob die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung noch fortbestehen. Es muss sichergestellt sein, dass sich der Verurteilte durch eine Einreise nicht nach dem Aufenthaltsgesetz strafbar macht. Auch ist zu prüfen, ob einer Aussetzung der Vollziehung das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit entgegen steht. Bedenken dürften insoweit nicht bestehen, da die Aussetzung des Vollzuges im Dezember 2006 beanstandungsfrei verlief. Der Beschwerdeführer reiste nach dem ihm gewährten Zeitraum von zwei Wochen vom 24. Dezember 2006 bis zum 8. Januar 2007 freiwillig wieder aus. Anhaltspunkte dafür, dass er nunmehr insoweit unzuverlässig ist, liegen nicht vor.
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(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der

(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten un

(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

Annotations

(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten unzulässig ist, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt sind zu hören. Der Verurteilte ist mündlich zu hören. Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten kann abgesehen werden, wenn

1.
die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe befürworten und das Gericht die Aussetzung beabsichtigt,
2.
der Verurteilte die Aussetzung beantragt hat, zur Zeit der Antragstellung
a)
bei zeitiger Freiheitsstrafe noch nicht die Hälfte oder weniger als zwei Monate,
b)
bei lebenslanger Freiheitsstrafe weniger als dreizehn Jahre
der Strafe verbüßt hat und das Gericht den Antrag wegen verfrühter Antragstellung ablehnt oder
3.
der Antrag des Verurteilten unzulässig ist (§ 57 Abs. 7, § 57a Abs. 4 des Strafgesetzbuches).
Das Gericht entscheidet zugleich, ob eine Anrechnung nach § 43 Abs. 10 Nr. 3 des Strafvollzugsgesetzes ausgeschlossen wird.

(2) Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes

1.
der lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen oder
2.
einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art auszusetzen und nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen.
Das Gutachten hat sich namentlich zu der Frage zu äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, daß dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Der Sachverständige ist mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Das Gericht kann von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen absehen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

(3) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist sofortige Beschwerde zulässig. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

(4) Im Übrigen sind § 246a Absatz 2, § 268a Absatz 3, die §§ 268d, 453, 453a Absatz 1 und 3 sowie die §§ 453b und 453c entsprechend anzuwenden. Die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes wird mündlich erteilt; die Belehrung kann auch der Vollzugsanstalt übertragen werden. Die Belehrung soll unmittelbar vor der Entlassung erteilt werden.

(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

(2) Das Gericht entscheidet ferner, wenn in den Fällen des § 454b Absatz 1 bis 3 sowie der §§ 455, 456 und 456c Abs. 2 Einwendungen gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erhoben werden oder wenn die Vollstreckungsbehörde anordnet, daß an einem Ausgelieferten, Abgeschobenen, Zurückgeschobenen oder Zurückgewiesenen die Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung nachgeholt werden soll, und Einwendungen gegen diese Anordnung erhoben werden.

(3) Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch nicht gehemmt; das Gericht kann jedoch einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. In den Fällen des § 456c Abs. 2 kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen.

(1) § 161 gilt sinngemäß für die in diesem Abschnitt bezeichneten Zwecke.

(2) Die Vollstreckungsbehörde ist befugt, zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe einen Vorführungs- oder Haftbefehl zu erlassen, wenn der Verurteilte auf die an ihn ergangene Ladung zum Antritt der Strafe sich nicht gestellt hat oder der Flucht verdächtig ist. Sie kann einen Vorführungs- oder Haftbefehl auch erlassen, wenn ein Strafgefangener entweicht oder sich sonst dem Vollzug entzieht.

(3) Im übrigen hat in den Fällen des Absatzes 2 die Vollstreckungsbehörde die gleichen Befugnisse wie die Strafverfolgungsbehörde, soweit die Maßnahmen bestimmt und geeignet sind, den Verurteilten festzunehmen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist auf die Dauer der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe besonders Bedacht zu nehmen. Die notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht des ersten Rechtszuges.

(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

(2) Das Gericht entscheidet ferner, wenn in den Fällen des § 454b Absatz 1 bis 3 sowie der §§ 455, 456 und 456c Abs. 2 Einwendungen gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erhoben werden oder wenn die Vollstreckungsbehörde anordnet, daß an einem Ausgelieferten, Abgeschobenen, Zurückgeschobenen oder Zurückgewiesenen die Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung nachgeholt werden soll, und Einwendungen gegen diese Anordnung erhoben werden.

(3) Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch nicht gehemmt; das Gericht kann jedoch einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. In den Fällen des § 456c Abs. 2 kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten unzulässig ist, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt sind zu hören. Der Verurteilte ist mündlich zu hören. Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten kann abgesehen werden, wenn

1.
die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe befürworten und das Gericht die Aussetzung beabsichtigt,
2.
der Verurteilte die Aussetzung beantragt hat, zur Zeit der Antragstellung
a)
bei zeitiger Freiheitsstrafe noch nicht die Hälfte oder weniger als zwei Monate,
b)
bei lebenslanger Freiheitsstrafe weniger als dreizehn Jahre
der Strafe verbüßt hat und das Gericht den Antrag wegen verfrühter Antragstellung ablehnt oder
3.
der Antrag des Verurteilten unzulässig ist (§ 57 Abs. 7, § 57a Abs. 4 des Strafgesetzbuches).
Das Gericht entscheidet zugleich, ob eine Anrechnung nach § 43 Abs. 10 Nr. 3 des Strafvollzugsgesetzes ausgeschlossen wird.

(2) Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes

1.
der lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen oder
2.
einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art auszusetzen und nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen.
Das Gutachten hat sich namentlich zu der Frage zu äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, daß dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Der Sachverständige ist mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Das Gericht kann von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen absehen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

(3) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist sofortige Beschwerde zulässig. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

(4) Im Übrigen sind § 246a Absatz 2, § 268a Absatz 3, die §§ 268d, 453, 453a Absatz 1 und 3 sowie die §§ 453b und 453c entsprechend anzuwenden. Die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes wird mündlich erteilt; die Belehrung kann auch der Vollzugsanstalt übertragen werden. Die Belehrung soll unmittelbar vor der Entlassung erteilt werden.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.