Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Beschluss, 20. Okt. 2011 - 5 W 220/11 - 98

bei uns veröffentlicht am20.10.2011

Tenor

1. Das Verfahren wird dem Senat zur Entscheidung übertragen.

2. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 8.8.2011 - 12 O 384/10 - wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

4. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.011,60 EUR festgesetzt.

5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit Ansprüche auf Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.278,22 EUR für die Zeit vom August 2009 bis Dezember 2010 geltend gemacht, außerdem die Feststellung beantragt, dass ein bei der Beklagten abgeschlossener Risikolebensversicherungsvertrag nebst Berufsunfähigkeitzusatzversicherung nicht durch Anfechtung vernichtet worden sei (Bl. 1, 91 d. A.). Der Vater und der Großvater des Klägers waren Träger eines Gens für die vererbliche neurodegenerative Gehirnerkrankung Morbus Huntington. Die frühere Lebensgefährtin des Klägers hatte eine Schwangerschaft nach intrauteriner Testung des Embryos mit dem Ergebnis einer Huntington-Diagnose abgebrochen (Bl. 58 d. A.).

Am 21.1.2000 informierte der Neurologe Dr. H. L. den Kläger über das Ergebnis eines genetischen Tests, wonach er Träger des Huntington-Gens sei (Bl. 3 d. A.). Zur Klärung der genauen Hintergründe der Untersuchung kam es in erster Instanz nicht mehr. Am 31.1.2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Erhöhung der Versicherungssumme eines seit August 1999 bestehenden Risikolebensversicherungsvertrags von 100.000 DM auf 200.000 DM und eine Ergänzung des Versicherungsvertrags um eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit einer versicherten monatlichen Rente von 2.500 DM. In der "Gesundheitserklärung der zu versichernden Person" (Bl. 71 d. A.) gab er auf die Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden in den letzten 10 Jahren eine Mandelentzündung an. Zu Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten 10 Jahren trug er ein: "Zahnarzt Dr. P.". Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 17.3.2000 mit, eine Änderung des bestehenden Lebensversicherungsvertrags sei nicht möglich, der Antrag werde als Neuantrag bearbeitet und der ursprüngliche Vertrag im Fall der Annahme aufgelöst (Bl. 69 d. A.). Sie erbat ergänzende Auskünfte zu Zahnarztbehandlungen, woraufhin der Kläger erklärte, es habe sich um eine "normale Zahnbehandlung" behandelt (Bl. 54 d. A.). Der neue Vertrag wurde am 10.6.2000 policiert (Versicherungsschein Nr. 1..., Bl. 9 d. A.).

In einem Schreiben des Dr. L. vom 17.9.2003 (Bl. 105 d. A.) an das Versorgungsamt Soest ist von seit 1990 bestehenden Wesensauffälligkeiten des Klägers die Rede, ferner von einer damals im PET des Gehirns festgestellten Stoffwechselstörung und von am 17.9.1998 erstmals aufgetretenen Hyperkinesen; am 21.1.2000 habe eine Zusatzdiagnostik "Hinweise auf M. Huntington (SEP + Caudatum-Atrophie)" ergeben, und die eindeutige Diagnose sei durch einen Gentest bestätigt worden.

Der Kläger ist wegen Morbus Huntington seit dem Jahr 2006 erwerbsunfähig und bezieht eine gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente (Bl. 95 d. A.).

In einem Arztbericht des Neurochirurgischen Rehabilitationszentrums Godeshöhe vom 18.5.2006 (Bl. 79 d. A.) ist in der Anamnese unter Hinweis auf "schwierige Anamnesebedingungen bei anosognomischem [?] Patienten mit deutlicher Dysarthrophonie", ausgeführt, Symptome in Form von Hyperkinesen und generalisierter Minderbelastbarkeit bestünden "soweit eruierbar [...] erst seit etwa fünf Jahren" (Bl. 80 d. A.).

Im Juli 2009 beantragte der Kläger - vertreten durch seine Schwester - bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitzusatzversicherung. Im Rahmen der Leistungsprüfung teilte der Neurologe Dr. L. der Beklagten unter anderem mit, zu Untersuchungszeitpunkten in den Jahren 1985 und 1990 hätten keine manifesten Symptome bestanden. Für das Datum 21.1.2000 war sodann unter "Beschwerden" von einer Bewegungsunruhe und einem beginnenden hirnorganischen Psychosyndrom sowie einer Verschlechterung des SEP die Rede, unter eingeleitete Therapie" wurde eine "Neuroprotektion" erwähnt. Die Frage nach einer Information des Patienten über die Diagnosen wurde mit "ja" (im Januar 2000) beantwortet (Schreiben vom 7.10.2009, Bl. 112 d. A.).

Die Beklagte erklärte die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung mit Schreiben vom 21.12.2009 (Bl. 28 d. A.). Zur Begründung berief sie sich auf unvollständige Angaben in der Gesundheitserklärung, vor allem im Hinblick auf den im Januar 2000 diagnostizierten und vom Kläger verschwiegenen Morbus Huntington (Bl. 29 d. A.; weiteres Schreiben vom 8.3.2010, Bl. 33 d. A.).

Der Kläger hat behauptet, zum Zeitpunkt der Antragstellung (noch) nicht erkrankt und deshalb damals auch nicht in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein. Die bloße genetische Disposition hat er als mit der Krankheit nicht vergleichbar gewertet (Bl. 92 d. A.). Die Tätigkeit des Neurologen Dr. L. hat er damit erklärt, dass dieser ihn als Abkömmling an Morbus Huntington erkrankter Vorfahren gebeten habe, an einer wissenschaftlichen Langzeitstudie zur Erforschung der Krankheit teilzunehmen. Die Studie diene ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken, und eine Information der Probanden über Ergebnisse finde nicht statt (Beweis: Zeugnis Dr. L., Bl. 3 d. A.). Die Diagnose sei ihm erstmals am 21.8.2002 eröffnet worden, und erst ab dem 29.8.2002 habe man ihn wegen der Erkrankung behandelt (Bl. 3, 93 d. A.). Der Kläger hat das Ergebnis der genetischen Untersuchung vom 21.1.2000 - ihm damals unstreitig sofort bekannt gegebene - für nicht offenbarungspflichtig gehalten. Er hat diese Annahme auf die Selbstverpflichtung der Versicherungswirtschaft (siehe jetzt § 18 Abs. 1 Nr. 2 GenDG) gestützt, wonach der Versicherer weder vor noch nach Abschluss des Versicherungsvertrags die Vornahme genetischer Untersuchungen verlangen oder die Mitteilung von Ergebnissen oder Daten aus bereits vorgenommenen genetische Untersuchungen verlangen oder solche Ergebnisse oder Daten entgegennehmen oder verwenden dürfe (Bl. 3 d. A.).

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente zu verurteilen, außerdem festzustellen, dass der Risikolebensversicherungsvertrag nebst Berufsunfähigkeitzusatzversicherung nicht durch Anfechtung vernichtet worden sei.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat behauptet, Symptome der Erkrankung in Form von Hyperkinesen seien bereits 1998 aufgetreten (Bl. 57, 103 d. A.), Gehirnveränderungen 1990 festgestellt worden (Bl. 52 d. A.). Schon damals hätten erste Wesensauffälligkeiten bestanden und ein PET des Gehirns auf eine Stoffwechselstörung hingewiesen (Bl. 58, 59 d. A.). Im Übrigen führe beim Morbus Huntington die Genträgerschaft früher oder später zwingend zum Ausbruch der Krankheit (Bl. 99 d. A.). Die Beklagte hat sich auf den Inhalt der ärztlichen Auskunft des Dr. L. vom 17.9.2003 berufen mit Feststellungen zu Hyperkinesen - im Sinne äußerst seltener, für den Morbus Huntington typischer unwillkürlicher Bewegungen - im Jahr 1998 und zu einer Zusatzdiagnostik vom 21.1.2000 mit somatosensorisch evozierten Potenzialen (SEP) und einer ebenfalls Huntington-typischen Caudatum-Atrophie. Nach ihrer Einschätzung ist die vor dem Hintergrund der bekannten Familienanamnese allein damit gesicherte Diagnose durch den (diagnostischen) Gentest lediglich bestätigt worden (Bl.100, 101 d. A.).

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe all das bei Antragstellung vorsätzlich verschwiegen, und sie hätte - das bestreitet der Kläger nicht - den Versicherungsantrag bei entsprechender Kenntnis nicht angenommen (Bl. 58 d. A.).

Am 6.6.2011 hat das Landgericht Saarbrücken mündlich verhandelt. Ein persönliches Erscheinen des Klägers war wegen seines dauerhaft schwer beeinträchtigten Gesundheitszustands nicht möglich (Bl. 97 d. A.).

Das Landgericht hat am 7.7.2011 einen Beweisbeschluss erlassen zu der Frage, seit wann der Kläger Kenntnis davon gehabt habe, an Morbus Huntington zu leiden. Es sollte eine schriftliche Aussage des Zeugen Dr. L. über die Hintergründe der Konsultation vom 21.1.2000 eingeholt werden (Bl. 123 d. A.).

Sodann haben die Parteien sich auf einen Vergleich verständigt. Das Landgericht hat das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs mit Beschluss vom 22.7.2011 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt (Bl. 139 d. A.). Die Beklagte verpflichtete sich zur Zahlung von 15.000 EUR, die Parteien erklärten unter anderem, man sei sich einig über die Erledigung des Rechtsstreits und darüber, dass keine Rechte aus dem Versicherungsvertrag (Risikolebensversicherung nebst Berufsunfähigkeitzusatzversicherung) bestünden. Über die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs sollte das Landgericht gemäß § 91a ZPO entscheiden.

In dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 8.8.2011 (Bl. 142 d. A.) hat das Landgericht dem Kläger sämtliche Kosten auferlegt. Es hat dies mit dem hypothetischen voraussichtlichen Unterliegen des Klägers begründet: Trotz der für abschließende Feststellungen angeordneten Beweisaufnahme dränge sich auf, dass die Beklagte durch eine arglistige Täuschung zur uneingeschränkten Annahme des Versicherungsantrags bestimmt worden sei. Für maßgeblich hat das Landgericht die unstreitig seit dem 21.1.2000 vorhandene Kenntnis über die Genträgerschaft gehalten. Die zeitliche Nähe zum Stellen des Versicherungsantrags indiziere den Willen zur Täuschung (Bl. 143, 144 d. A.).

Der Kläger hat gegen den am 16.8.2011 zugestellten Beschluss noch am selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt. Er rügt die Begründung im Hinblick auf die vor dem Vergleich angeordnete Beweisaufnahme als nicht tragfähig und wiederholt seine Auffassung dazu, dass das Vorhandensein des Huntington-Gens als solches nicht gefahrerheblich sei (Bl. 156 d. A.). Außerdem berührte eine Verpflichtung, genetische Dispositionen offen zu legen, nach seiner Ansicht die Menschenwürde (Bl. 157 d. A.).

Die Beklagte hält die Kostenentscheidung für richtig. Unabhängig von einer Offenbarungspflicht zur Genträgerschaft macht sie erneut darauf aufmerksam, dass Symptome bereits im Jahr 1998 bestanden hätten und am 21.1.2001 ein beginnendes hirnorganisches Psychosyndrom diagnostiziert worden sei (Bl. 159 d. A.).

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. In seinem Beschluss vom 21.9.2011 hat es ergänzend begründet, es sei nicht allein um das Tragen des Gens gegangen, sondern um eine jedenfalls seit dem 21.1.2000 bestehende Kenntnis von Krankheitssymptomen (Bl. 162 d. A.).

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere nach § 91a Abs. 2 ZPO statthaft und fristgerecht erhoben (§ 569 Abs. 1 ZPO). Sie ist aber nicht begründet.

1.

Das Landgericht hat dem Kläger gemäß § 91a ZPO zu Recht die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

a.

Die Parteien haben sich zwar verglichen. Gleichwohl war eine Kostenregelung nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO zu treffen, weil der Vergleich dieses ausdrücklich vorsah (hierzu Vollkommer in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, §°91a Rdn. 58 "Vergleich").

Maßgeblich für die nach billigem Ermessen zu verteilenden Kosten ist nicht der Umfang des wechselseitigen Nachgebens. Vielmehr kommt es auch im Fall eines Prozessvergleichs - sofern die Parteien nicht anderes vereinbart oder angeregt haben - darauf an, wie der Rechtsstreit voraussichtlich geendet hätte, wenn er gerichtlich entschieden worden wäre, und wer dann nach den allgemeinen Bestimmungen der ZPO die Kosten hätte tragen müssen (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 30.5.2007 - 4 W 55/06; OLG Stuttgart, NJW-RR 1999, 147; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 91a Rdn. 58 "Vergleich").

Dafür ist eine Erfolgsprognose auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen. Zu würdigen sind nicht nur die unstreitigen Tatsachen und die zum Erledigungszeitpunkt vorliegenden Beweise. Auch die bei Weiterführung des Verfahrens möglichen Angriffs- und Verteidigungsmittel können zu berücksichtigen sein (Jaspersen/Wache in: Vorwerk/Wolf, ZPO, 2011, § 91a Rdn. 29; siehe auch BGH, Beschl. v. 18.3.2010 - I ZB 37/09 - MDR 2010, 888: es sei im Rahmen des § 91a ZPO jedenfalls nicht generell ausgeschlossen, naheliegende hypothetische Entwicklungen zu bedenken). Das Gericht darf dabei in Erwägung ziehen, wie eine Beweisaufnahme voraussichtlich geendet hätte. Denn für die Billigkeitsentscheidung des § 91a ZPO gilt das strenge Verbot der Beweisantizipation nicht (OLG Rostock, JurBüro 2010, 377; siehe auch - den Aspekt allerdings nur streifend - OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 30.5.2007 - 4 W 55/06). Da neben der Kostengerechtigkeit auch die Verfahrensökonomie von Belang ist, genügt es, die Sach- und Rechtslage auf der Grundlage des bisherigen und des zu erwartenden künftigen Prozessverlaufs summarisch zu prüfen. Gegebenenfalls kann es angezeigt sein, auf (überwiegende) Wahrscheinlichkeiten abzustellen (Jaspersen/Wache in: Vorwerk/Wolf, ZPO, 2011, § 91a Rdn. 29).

b.

Allein der Umstand, dass das Landgericht bereits einen Beweisbeschluss erlassen hatte, um die tatsächlichen Hintergründe der angenommenen arglistigen Täuschung abschließend aufzuklären, steht nach diesen Grundsätzen der Kostenbelastung des Klägers nicht entgegen. Der Senat meint mit dem Landgericht, dass die Klage voraussichtlich hätte abgewiesen werden müssen, weil die vertragliche Grundlage für die in dem Rechtsstreit gestellten Anträge durch eine mit hoher Wahrscheinlichkeit wirksame Anfechtung gemäß den §§ 123, 142 BGB weggefallen ist.

(1)

Eine arglistige Täuschung, die den Abschluss des Versicherungsvertrags bewirkt, setzt zunächst voraus, dass dem Versicherer gefahrerhebliche Umstände verschwiegen werden.

Das war objektiv der Fall.

Auf den vom Kläger in den Vordergrund gestellten Aspekt, wonach allein das Tragen eines Krankheitsgens ohne Ausbrechen der Erkrankung nicht gefahrerheblich sei und die Menschenwürde es verböte, ihm eine Offenbarungspflicht für genetische Disposition aufzuerlegen, kommt es nicht an. Er stützt sich auf die - später in § 18 des Gendiagnostikgesetzes vom 31.7.2009 inhaltlich aufgenommene - Selbstverpflichtung der Mitglieder des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft aus dem Jahr 2001, aufgrund deren es unter anderem nicht zulässig sein sollte, vom Versicherungsnehmer die Anzeige freiwillig durchgeführter (prädiktiver) Gentests zu verL.n. Ungeachtet des Umstandes, dass sowohl die zitierte Selbstverpflichtung als auch das Gendiagnostikgesetz erst nach Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrags wirksam wurden (zur Bedeutung der Selbstverpflichtung und des GenDG siehe Sauer in: Bach/Moser, PKV, 4. Aufl. 2009, Anh. nach § 2 MB/KK Rdn. 51; Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 19 Rdn. 14-16; Sauer in: Bach/Moser, PKV, 4. Aufl. 2009, Anh. nach § 2 MB/KK Rdn. 51), bezog sich die relevante Täuschung hier nicht auf das Verheimlichen des Ergebnisses eines Gentests, sondern darauf, dass sich vor Antragstellung manifestiert habende Krankheitszeichen und dadurch veranlasste Untersuchungen und Behandlungen wahrheitswidrig nicht angegeben wurden. Derartiges ist aber selbst unter Geltung des Gendiagnostikgesetzes anzuzeigen, auch wenn zur Abklärung von Beschwerden und Symptomen (diagnostische) Gentests durchgeführt worden sind. Das verstößt weder gegen die Menschenwürde, noch wird der pathologische Gene tragende Versicherungsnehmer diskriminiert, denn es ist nicht sein Genom als solches, das zum Anknüpfungspunkt (vertrags-)rechtlicher Nachteile gemacht wird, sondern eine vorhandene Krankheit, deren Ursache lediglich mit einer bestimmten Untersuchungsmethode geklärt worden ist. Er wird insoweit nicht besser und nicht schlechter gestellt als jeder andere Versicherungsnehmer, der gefahrerhebliche Beschwerden, Gesundheitsstörungen, Untersuchungen und Behandlungen offen zu legen hat (vgl. § 18 Abs. 2 GenDG; dazu dass die Selbstverpflichtungserklärung sowie § 18 GenDG nur für prädiktive Gentests gelten, die der Feststellung erblicher Veranlagungen für noch nicht klinisch manifestierte Erkrankungen dienen, nicht aber für diagnostische Tests, mit denen nach einer genetischen Ursache für ein bestehendes Beschwerdebild gesucht wird, Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, Rdn. 14; Sauer in: Bach/Moser, PKV, 4. Aufl. 2009, Anh. nach § 2 MB/KK Rdn. 51; Armbrüster, VW 2010, 1309; Neuhaus, r+s 2009, 309; OLG Hamm, VersR 2008, 773).

Der Kläger hat getäuscht. Er wurde danach gefragt, ob er in den letzten zehn Jahren an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden gelitten habe. Er bejahte die Frage allein mit der Angabe einer Mandelentzündung, legte aber Symptome und Diagnostik des seit spätestens dem 20.1.2011 bestehenden Morbus Huntington nicht offen. Soweit er Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen der letzten zehn Jahre angeben sollte, beschränkte er sich auf das Benennen seines Zahnarztes, neurologische Konsultationen des Dr. L. verschwieg er. Der Senat geht davon aus, dass die vom Landgericht im Beweisbeschluss vom 7.7.2011 gestellte Frage an den Zeugen Dr. L. unter anderem zum zeitlichen Hintergrund aufgetretener Krankheitszeichen ergeben hätte, dass die Beantwortung der Gesundheitsfragen falsch und unvollständig gewesen ist und dass der Kläger das auch wusste, zumal ihm die Familienanamnese mit der genetischen Belastung von Vater und Großvater unstreitig ebenso bekannt war wie die Tatsache, dass seine frühere Lebensgefährtin eine Schwangerschaft wegen des beim Embryo diagnostizierten Huntington-Gens abgebrochen hatte und er deshalb für neurologische Störungen sensibilisiert gewesen sein muss. Insoweit kann auf zur Akte gereichte außergerichtliche schriftliche Äußerungen des Zeugen Dr. L. zurückgegriffen werden. Der Zeuge hatte in einem Schreiben an das Versorgungsamt Soest vom 17.9.2003 unter "erhobene Befunde" für den 17.9.1998 "erste Hyperkinesen" angegeben, des Weiteren eine "Zusatzdiagnostik" mit klinischen Hinweisen auf einen Morbus Huntington, der sodann durch einen Gentest bestätigt worden sei (Bl. 105 d. A.). Im Rahmen der Leistungsprüfung hatte der Zeuge in seinem Schreiben an die Beklagte vom 7.10.2009 (Bl. 112 d. A.) zwar für Konsultationen oder Untersuchungen in den Jahren 1985 und 1990 noch das Auftreten manifester Symptome verneint. Anderes galt indessen für das Datum 21.1.2000. Für diesen Zeitpunkt war von einer Bewegungsunruhe und von einem beginnenden hirnorganischen Psychosyndrom die Rede, ferner von einem positiven diagnostischen Gentest und von der Einleitung einer Neuroprotektionstherapie (Bl. 113, 114 d. A.). Die Frage nach der Information des Patienten über die Diagnosen war bejaht. Der Hintergrund dieser Untersuchungen, der Diagnostik und der begonnenen Behandlung kann mit dem Vorbringen des Klägers, er habe als Abkömmling Chorea-Huntington-erkrankter Vorfahren an einer wissenschaftlichen Langzeitstudie teilgenommen (Bl. 3 d. A.) nicht mehr plausibel erklärt werden. Anzunehmen, dass der Neurologe die Krankheitszeichen im Januar 2000 gewissermaßen "am Patienten vorbei" wahrgenommen hätte und dass der nach vielen Jahren der Betreuung erstmals durchgeführte Gentest unabhängig von offenbar gewordenen Symptomen, mithin prädiktiv und nicht abklärend-diagnostisch, erfolgt sein sollte, erscheint dem Senat lebensfremd.

Der Senat geht - im Sinne einer gewissen Beweisantizipation, die, wie dargelegt, im Rahmen des § 91a ZPO nicht generell ausgeschlossen ist - davon aus, dass der hypothetische weitere Prozessverlauf nichts anderes im Sinne und zu Gunsten des Klägers ergeben hätte. Der Kläger selbst ist wegen seiner schweren Erkrankung leider nicht mehr in der Lage gewesen, vor dem Landgericht persönlich zum Hintergrund und Umfang seines Wissens und zu seinen Beweggründen vorzutragen. Auf der Grundlage der vom Zeugen Dr. L. schriftlich fixierten Abläufe, insbesondere der Untersuchung des unter einer Bewegungsunruhe und einem beginnenden hirnorganischen Psychosyndrom leidenden Klägers mit der Folge einer gendiagnostischen und dem Kläger offen gelegten Abklärung spricht alles dafür, dass der beginnende Ausbruch der Krankheit bewusst verheimlicht worden ist.

(2)

Es kann auch mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass das Verschweigen mit dem Willen geschah, Einfluss auf die Vertragsentscheidung der Beklagten zu nehmen.

Allerdings gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass der Versicherungsinteressent, der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen unrichtig beantwortet, stets die Absicht verfolgt, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Häufig werden unrichtige Angaben etwa aus Gleichgültigkeit, Trägheit oder in der Annahme gemacht, die erlittenen Krankheiten seien bedeutungslos. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer erkannt und gebilligt hat, der Versicherer werde bei wahrheitsgemäßen und vollständigen Antworten seinen Antrag nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen (BGH, Urt. v. 28.2.2007 - IV ZR 331/05 - VersR 2007,785; Langheid in: Römer/Langheid, WG, 2. Aufl. 2003, § 22 Rdn. 6). Da es sich dabei um eine innere Tatsache handelt, kann der Beweis in der Praxis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden (Senat, Urt. v. 9.9.2009 - 5 U 26/09 - VersR 2009, 1522; Urt. v. 12.10.2005 - 5 U 82/05 - VersR 2006,824). Liegen objektive Falschangaben vor, ist es im Grundsatz Sache des Versicherungsnehmers, substanziiert plausibel zu machen, warum und wie es zu diesen gekommen ist (Senat, Urt. v. 09.1.2005 - 5 U 50/05 - VersR 2006, 681).

Hier sind die gegebenen Indizien ohne weiteres geeignet, die Annahme von Arglist zu begründen. Eine plausible Erklärung dafür, warum beim Antrag auf Verdopplung der Lebensversicherungssumme und auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung die Untersuchung vom 21.1.2000, ihr Hintergrund und ihre Ergebnisse verschwiegen worden sind, ist nicht erkennbar. Alles deutet darauf hin, dass die falschen und unvollständigen Angaben von der Motivation getragen waren, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, und dass der Kläger sich darüber im Klaren war, dass die Beklagte, wüsste sie von der schwerwiegenden Diagnose, den Antrag auf Abschluss Vertrags nicht oder allenfalls mit ihm nachteiligen Bedingungen annehmen würde. Wenn ein Versicherungsnehmer schwere Erkrankungen nicht angibt, dann ist schon dies ein hinreichendes Indiz für die Absicht, den Versicherer zum Vertragsschluss zu bewegen oder zum Einräumen günstiger Konditionen zu veranlassen (vgl. Senat, Urt. v. 12.10.2005 - 5 U 82/05 - VersR 2006, 824).

Es kommt hinzu, dass der Kläger die Bagatelle einer Mandelentzündung erwähnte und den Versicherer damit glauben machte, er sei um vollständige Angaben bemüht. Werden, wie hier, weniger bedeutsame Erkrankungen bei gleichzeitigem Verschweigen einer gravierenden angegeben, indiziert auch ein solches Verhalten die Täuschungsabsicht (Senat, Urt. v. 9.9.2009 - 5 U 26/09 - VersR 2009, 1522).

Schließlich spricht der nur zehn Tage betragende Zeitraum zwischen der dem Kläger bekannt gegebenen Diagnose und der Stellung des Antrags auf Verdopplung der Lebensversicherungssumme und Gewährung von Versicherungsschutz gegen Berufsunfähigkeit dafür, dass der Vertrag gerade wegen des Wissens um die schlechte Gesundheitssituation abgeschlossen werden sollte.

(3)

Zwischen der Täuschung und der Willenserklärung der Beklagten bestand ein Kausalzusammenhang. Es genügt, wenn der Getäuschte Umstände dartut, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat. Das liegt hier auf der Hand.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Der Beschwerdewert beläuft sich auf den Betrag, um den der Kläger seine Kostenbelastung verringern will. Ihm wurden sämtliche Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die Beschwerdebegründung lässt keine Beschränkung auf einen Teil der Kosten - etwa mit dem Begehren, eine Kostenaufhebung zu erreichen - erkennen. Der Beschwerdewert entspricht deshalb den gesamten Kosten des Rechtsstreits. Diese betragen 12.011,60 EUR und ermitteln sich wie folgt:

Gerichtskosten:

        

3-fache Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen
gemäß Nr. 1210 Anlage 1 GKG

        

aus einem Streitwert von 70.074,24 EUR:

1.968,00 EUR

Anwaltskosten:

        

2 x 1,3-fache Gebühr gemäß Nr. 3100 Anlage 2 RVG          

        

aus einem Streitwert von 70.074,24 EUR zzgl. USt.:

2 x 1.856,40 EUR

2 x 1,2-fache Gebühr gemäß Nr. 3104 Anlage 2 RVG

        

aus einem Streitwert von 70.074,24 EUR zzgl. USt.:

2 x 1.713,60 EUR

2 x 1,0-fache Gebühr gemäß Nr. 1003 Anlage 2 RVG

        

aus einem Streitwert von 70.074,24 EUR zzgl. USt.:

2 x 1.428,00 EUR

2 x Auslagenpauschale zzgl. USt.

2 x 23,80 EUR

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 ZPO).

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die Mitteilung von Ergebnissen oder Daten aus bereits vorgenommenen genetischen Untersuchungen oder Analysen verlangen oder solche Ergebnisse oder Daten entgegennehmen oder verwenden.
Für die Lebensversicherung, die Berufsunfähigkeitsversicherung, die Erwerbsunfähigkeitsversicherung und die Pflegerentenversicherung gilt Satz 1 Nr. 2 nicht, wenn eine Leistung von mehr als 300 000 Euro oder mehr als 30 000 Euro Jahresrente vereinbart wird.

(2) Vorerkrankungen und Erkrankungen sind anzuzeigen; insoweit sind die §§ 19 bis 22 und 47 des Versicherungsvertragsgesetzes anzuwenden.

(1) Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein.

(2) Der mündlichen Verhandlung geht zum Zwecke der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits eine Güteverhandlung voraus, es sei denn, es hat bereits ein Einigungsversuch vor einer außergerichtlichen Gütestelle stattgefunden oder die Güteverhandlung erscheint erkennbar aussichtslos. Das Gericht hat in der Güteverhandlung den Sach- und Streitstand mit den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern und, soweit erforderlich, Fragen zu stellen. Die erschienenen Parteien sollen hierzu persönlich gehört werden. § 128a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(3) Für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche soll das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet werden. § 141 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.

(4) Erscheinen beide Parteien in der Güteverhandlung nicht, ist das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

(5) Das Gericht kann die Parteien für die Güteverhandlung sowie für weitere Güteversuche vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) verweisen. Der Güterichter kann alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen.

(6) Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen oder zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärten Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz oder durch Erklärung zu Protokoll der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht annehmen. Das Gericht stellt das Zustandekommen und den Inhalt eines nach Satz 1 geschlossenen Vergleichs durch Beschluss fest. § 164 gilt entsprechend.

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.

(1) Die sofortige Beschwerde ist, soweit keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Notfrist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses. Liegen die Erfordernisse der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, so kann die Beschwerde auch nach Ablauf der Notfrist innerhalb der für diese Klagen geltenden Notfristen erhoben werden.

(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt. Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde.

(3) Die Beschwerde kann auch durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn

1.
der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist oder war,
2.
die Beschwerde die Prozesskostenhilfe betrifft oder
3.
sie von einem Zeugen, Sachverständigen oder Dritten im Sinne der §§ 142, 144 erhoben wird.

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 37/09
vom
18. März 2010
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Erklären die Parteien eine vor dem unzuständigen Gericht erhobene, in der Sache
aber begründete Unterlassungsklage übereinstimmend in der Hauptsache
für erledigt, nachdem der Beklagte die Unzuständigkeit gerügt und sodann eine
strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, sind die Kosten des
Rechtsstreits dem Beklagten aufzuerlegen.
BGH, Beschluss vom 18. März 2010 - I ZB 37/09 - OLG Brandenburg
LG Neuruppin
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. März 2010 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof.
Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25. März 2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Gegenstandswert: bis zu 3.000 €

Gründe:


1
I. Die Klägerin hat die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, wegen eines nach Ansicht der Klägerin wettbewerbswidrigen Werbeschreibens abgemahnt. Der Beklagte zu 2 hat es abgelehnt, für die Beklagte zu 1 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Die gegen beide Beklagte gerichtete Unterlassungsklage wurde nicht beim zuständigen Landgericht Potsdam, sondern beim Landgericht Neuruppin eingereicht. In der Klageerwiderung haben die Beklagten dessen örtliche Zuständigkeit gerügt und gleichzeitig strafbewehrte Unterlassungserklärungen überreicht. Daraufhin ha- ben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt.
2
Das Landgericht Neuruppin hat die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Beschwerdegericht ausgesprochen, dass die Beklagten die Kosten zu tragen haben.
3
Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer (zugelassenen) Rechtsbeschwerde. Sie begehren weiterhin, die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
4
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Überprüfung der von dem Beschwerdegericht vertretenen Auslegung des § 91a ZPO, nicht diejenige der Beurteilung der Erfolgsaussichten des übereinstimmend für erledigt erklärten Anspruchs, welcher der Kostenentscheidung zugrunde liegt (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.2006 - IX ZR 66/05, NJW 2007, 1591, 1593; Urt. v. 22.11.2007 - I ZR 12/05, GRUR 2008, 357 Tz. 16 = WRP 2008, 499 - Planfreigabesystem; Urt. v. 25.11.2009 - VIII ZR 322/08, WM 2010, 156 Tz. 9).
5
Die Rechtsbeschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
6
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt :
7
Die Kostenregelung der Zivilprozessordnung beruhe auf dem Gedanken, dass diejenige Partei eines gerichtlichen Verfahrens dessen Kosten zu tragen habe, die den Grund für die Inanspruchnahme des Gerichts gesetzt habe. Dies sei im Rahmen der Ermessensentscheidung gemäß § 91a Abs. 1 ZPO zu be- rücksichtigen. Deshalb komme es dabei nicht ausschließlich auf die Erfolgsaussicht der Klage im Zeitpunkt der Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen an. Es sei nicht gerechtfertigt, dass der Kläger ohne weiteres die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe, weil der Rechtsstreit vor dem örtlich unzuständigen Gericht für erledigt erklärt worden sei. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung vor dem unzuständigen Gericht könne der Kläger die Verweisung an das zuständige Gericht nicht mehr erreichen, obwohl der Zulässigkeitsmangel bei Fortführung des Rechtsstreits ohne weiteres zu beseitigen gewesen wäre. Dies führe zu einer mit dem Grundgedanken des Kostenrechts unvereinbaren Schlechterstellung des Klägers. Es entspreche deshalb billigem Ermessen, im vorliegenden Fall die Kosten des Rechtsstreits den Beklagten aufzuerlegen. Diese hätten durch ihre Weigerung, vorgerichtlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, die Klageerhebung als angemessene Reaktion der Klägerin und damit auch die Kosten des Rechtsstreits ausgelöst. Die Anrufung des unzuständigen Gerichts habe dagegen keine Kosten verursacht.
8
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
9
a) Nach Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen hatte das örtliche unzuständige Landgericht Neuruppin gemäß § 91a Abs. 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (OLG Hamm NJW-RR 1994, 828; OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 955; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 91a Rdn. 58 "Verweisung").
10
b) In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage unterschiedlich beantwortet , ob die Kosten des Rechtsstreits ohne weiteres dem Kläger aufzuerlegen sind, wenn nach Klage vor dem unzuständigen Gericht die Parteien übereinstimmende Erledigungserklärungen abgeben, oder ob in diesem Fall für die Ko- stentragung der voraussichtliche Ausgang des Verfahrens nach Verweisung an das zuständige Gericht maßgeblich ist.
11
aa) Eine Ansicht will die Erfolgsaussicht der Klage schon deshalb verneinen , weil sie vor einem unzuständigen Gericht erhoben wurde (OLG Hamm NJW-RR 1994, 828; OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 955; OLG Dresden OLG-NL 1998, 17 f.; Becht, MDR 1990, 121). Nach § 91a ZPO sei der Sachund Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung Grundlage der zu treffenden Kostenentscheidung. Dies schließe es aus, in die Beurteilung den hypothetischen Verlauf eines Prozesses nach Erteilung eines gerichtlichen Hinweises und entsprechendem Verhalten des Klägers einzubeziehen. Die Berücksichtigung des hypothetischen Verfahrensverlaufs lasse sich nicht auf Fälle fehlender örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beschränken. Vielmehr müsse man dann auch Sachverhalte einbeziehen, in denen der Kläger eine bis dahin unschlüssige Klage nach entsprechendem Hinweis durch weiteren Vortrag hätte ergänzen können oder in denen der Beklagte weitere anspruchshemmende oder anspruchsvernichtende Tatsachen hätte vortragen können. Das sei jedoch mit dem Zweck der Regelung des § 91a ZPO - Kostenentscheidung auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands - nicht mehr zu vereinbaren.
12
bb) Nach anderer Ansicht ist auf den voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens nach Verweisung an das zuständige Gericht abzustellen (außer dem Beschwerdegericht OLG Hamburg GRUR 1984, 82 = WRP 1983, 631; OLG Stuttgart MDR 1989, 1000; MünchKomm.ZPO/Lindacher, 3. Aufl., § 91a Rdn. 57; Musielak/Wolst, ZPO, 7. Aufl., § 91a Rdn. 11; Hausherr in Prütting /Gehrlein, ZPO, § 91a Rdn. 30). Es entspreche der Lebenserfahrung, dass der Kläger auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis einen Verweisungsantrag nach § 281 Abs. 1 ZPO gestellt hätte.
13
cc) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Dabei kann dahinstehen, ob im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO allgemein davon auszugehen ist, dass vom Gericht angeregte sachdienliche Anträge gestellt worden wären (vgl. Zöller/Vollkommer aaO § 91a Rdn. 26 a.E.; Hausherr in Prütting/Gehrlein, ZPO, § 91a Rdn. 30). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es jedenfalls nicht generell ausgeschlossen, im Rahmen von § 91a ZPO naheliegende hypothetische Entwicklungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2005 - V ZR 230/04, NJW 2006, 1351 Tz. 31 zur Herbeiführung einer Eintragung als Eigentümer; Beschl. v. 10.12.2009 - I ZR 201/07, K&R 2010, 115 zur Stellung hinreichend bestimmter Anträge nach Zurückverweisung, Zöller/Vollkommer aaO). Im vorliegenden Fall ist das möglich und geboten.
14
Wird der Kläger durch das Gericht auf dessen offensichtliche örtliche Unzuständigkeit hingewiesen, ist nach der Lebenserfahrung ohne weiteres zu erwarten , dass er den Verweisungsantrag an das zuständige Gericht stellen wird. Dieses voraussehbare Verhalten ist deshalb als Teil des Sachverhalts im Zeitpunkt der Kostenentscheidung zu berücksichtigen.
15
Dieses Ergebnis ist auch im Hinblick auf die gesetzliche Wertung geboten , die in der Regelung des § 281 Abs. 3 ZPO zum Ausdruck gekommen ist. Danach ist das Kostenrisiko für eine sonst zulässige und begründete Klage vor einem unzuständigen Gericht auf die durch dessen Anrufung entstandenen Mehrkosten begrenzt. Dieses Prinzip gilt auch bei übereinstimmender Erledigung , ohne dass es darauf ankommt, ob die Erledigungserklärungen vor oder nach Verweisung an das zuständige Gericht abgegeben werden. Allein eine Kostenentscheidung, die die Wertung des § 281 Abs. 3 ZPO berücksichtigt, entspricht der Billigkeit.
16
Eine mit dem Zweck des § 91a ZPO unvereinbare Beachtung des hypothetischen Verlaufs eines Prozesses ist nicht zu befürchten. Ob eine bestimmte hypothetische Entwicklung im Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärung so naheliegend ist, dass sie bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen ist, bedarf einer kritischen Prüfung im Einzelfall. Erheblich sind allein solche hypothetischen Entwicklungen, deren Eintritt nach der Lebenserfahrung ohne weiteres zu erwarten ist. Sie sind dann aber bereits Elemente des Sachstandes im Zeitpunkt der Erledigungserklärungen, so dass ihre Berücksichtigung nach § 91a ZPO geboten ist.
17
c) Danach sind den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das Unterlassungsbegehren war nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen - vorbehaltlich des Mangels örtlicher Zuständigkeit - zulässig und begründet. Mehrkosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstanden sind und die nach dem Grundgedanken des § 281 Abs. 3 ZPO der Kläger zu tragen hat, sind im vorliegenden Fall nicht entstanden.
18
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Bornkamm Pokrant Büscher
Bergmann Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Neuruppin, Entscheidung vom 13.11.2008 - 3 O 156/08 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 25.03.2009 - 6 W 1/09 -

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.

(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.

(1) Der Versicherer darf von Versicherten weder vor noch nach Abschluss des Versicherungsvertrages

1.
die Vornahme genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen oder
2.
die Mitteilung von Ergebnissen oder Daten aus bereits vorgenommenen genetischen Untersuchungen oder Analysen verlangen oder solche Ergebnisse oder Daten entgegennehmen oder verwenden.
Für die Lebensversicherung, die Berufsunfähigkeitsversicherung, die Erwerbsunfähigkeitsversicherung und die Pflegerentenversicherung gilt Satz 1 Nr. 2 nicht, wenn eine Leistung von mehr als 300 000 Euro oder mehr als 30 000 Euro Jahresrente vereinbart wird.

(2) Vorerkrankungen und Erkrankungen sind anzuzeigen; insoweit sind die §§ 19 bis 22 und 47 des Versicherungsvertragsgesetzes anzuwenden.

(1) Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung oder durch Einreichung eines Schriftsatzes oder zu Protokoll der Geschäftsstelle den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss. Dasselbe gilt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(2) Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt. Vor der Entscheidung über die Beschwerde ist der Gegner zu hören.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 331/05 Verkündetam:
28.Februar2007
Fritz
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtin
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG §§ 6, 22; AUB 94 § 9 (II)
Zur unterlassenen Angabe eines Schutzbriefes bei Abschluss einer Unfallversicherung.
BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2007

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 14. Oktober 2005 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an den 3. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die beklagten Rechtsanwälte als Sozien seines inzwischen verstorbenen früheren Prozessbevollmächtigten wegen Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen gegen seinen Unfallversicherer auf Schadensersatz in Anspruch. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger mit einer rechtzeitigen Klage obsiegt hätte.

2
Der Kläger hatte im Mai 2001 eine Unfallversicherung genommen. Im Versicherungsantrag hatte er auf eine entsprechende Frage eine weitere , seit 1996 gehaltene Unfallversicherung angegeben, nicht jedoch einen am 1. April 2001 erworbenen ADAC-Schutzbrief, der neben einer Auslandskrankenversicherung auch eine Auslandsunfallversicherung einschloss. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 2001 erlitt er mit seinem Pkw in K. einen Verkehrsunfall, bei dem er sich schwere Kopf- und Brustverletzungen zuzog, die - nach seiner Behauptung - zu einer Invalidität von 40% führten. Auch in der Schadensmeldung gab er den Schutzbrief nicht an. Der Unfallversicherer lehnte mit Schreiben vom 24. Mai 2002 Leistungen ab und wies den Kläger auf die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung hin (§ 12 Abs. 3 VVG). Gleichzeitig focht er den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an und erklärte - unstreitig nach Ablauf der Monatsfrist des § 20 Abs. 1 VVG - den Rücktritt vom Vertrag.
3
Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von insgesamt 166.468 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch nicht zu, weil er mit seiner Klage gegen den Unfallversicherer auch bei Beachtung der Sechs-Monats-Frist des § 12 Abs. 3 VVG keinen Erfolg gehabt hätte. Er habe im Versicherungsantrag und in der Schadensanzeige zwar die anderweitige Unfallversicherung angegeben, nicht aber die Unfallversicherung, die in dem Schutzbrief enthalten war. Damit habe er seinen Unfallversicherer arglistig getäuscht. Die Behauptung des Klägers, er habe nicht gewusst, dass in dem Schutzbrief auch eine Unfallversicherung enthalten gewesen sei, sei unglaubhaft. Schon auf dem Deckblatt dieses Schutzbriefes heiße es unmissverständlich "Kranken- und Unfallschutz". Die in dem Schutzbrief enthaltene nähere Beschreibung dieses Leistungsversprechens habe der Kläger, wie die handschriftlichen Unterstreichungen zeigten, auch gelesen. Deshalb habe ihm nicht verborgen bleiben können, dass der Schutzbrief auch Unfallversicherungsschutz enthielt, zumal er angesichts der bereits abgeschlossenen (Unfall-)Versicherungen insoweit auch nicht unerfahren gewesen sei. Damit stehe fest, dass er die Angabe dieses Schutzbriefes wider besseres Wissen und damit arglistig unterlassen habe. Zwar sei die Rücktrittserklärung im Hinblick auf § 20 Abs. 1 VVG verfristet; davon unberührt bleibe aber gemäß § 22 VVG die hier wirksame Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Im Verschweigen des Schutzbriefes in der Schadensanzeige liege ferner eine Verletzung von Obliegenheiten des Klägers nach Eintritt des Versicherungsfalles; der Unfallversicherer sei deshalb leistungsfrei geworden.
6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7
1. Mit Erfolg rügt die Revision, dass sich das Berufungsgericht seine Überzeugung, in der Nichtangabe des Schutzbriefes in dem Versicherungsantrag liege eine arglistige Täuschung, nicht rechtsfehlerfrei gebildet habe.
8
a) Die arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt (Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. § 22 Anm. 14). Falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung nicht; einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, gibt es nicht (vgl. nur Senatsurteile vom 22. Februar 1984 - IVa ZR 63/82 - VersR 1984, 630 unter I 1 und vom 18. September 1991 - IV ZR 189/90 - VersR 1991, 1404 unter 3; OLG Saarbrücken VersR 1996, 488; ebenso BK/Voit, VVG § 22 Rdn. 30). In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (vgl. Senatsurteile vom 28. November 1984 - IVa ZR 81/83 - VersR 1985, 156 unter II 4 a; vom 12. November 1986 - IVa ZR 186/85 - VersR 1987, 91 unter II und vom 20. November 1990 - IV ZR 113/89 - NJW-RR 1991, 411 unter I 2; vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 22 Rdn. 4; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 22 Rdn. 6, beide jeweils m.w.N.).

9
b) Gemessen daran liegt den Ausführungen des Berufungsgerichts zum arglistigen Verhalten des Klägers ein verkürzter und deshalb rechtsfehlerhafter Maßstab zugrunde.
10
Berufungsgericht Das hat die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung schon deshalb als erfüllt angesehen, weil der Kläger nach den von ihm getroffenen Feststellungen wider besseres Wissen gehandelt habe. Das ergibt sich aus der im angefochtenen Urteil verwendeten Formulierung, der Kläger habe die Angabe des Schutzbriefes wider besseres Wissen "und damit" arglistig unterlassen. Diese Voraussetzung für eine wirksame Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer hätte das Berufungsgericht indessen nur bejahen dürfen, wenn es zuvor Feststellungen dazu getroffen hätte, dass der Kläger beim Ausfüllen des Versicherungsantrags in dem Bewusstsein handelte, nur durch ein Verschweigen der durch den Schutzbrief ebenfalls bestehenden Unfallversicherung werde er den Unfallversicherer zu einem Vertragsabschluss zu den vereinbarten Bedingungen oder zu einem Vertragsabschluss überhaupt bewegen können. Solche Feststellungen fehlen jedoch.
11
Schon im Hinblick darauf, dass der Kläger eine weitere von ihm schon 1996 genommene Unfallversicherung im Versicherungsantrag vermerkt hat, verstand sich die Annahme von Arglist hier nicht von selbst. Auch die weiteren, im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen erweisen sich für die Annahme einer arglistigen Täuschung als nicht tragfähig. Soweit das Berufungsgericht darauf abhebt, in der Leistungsbeschreibung des Schutzbriefs seien Unterstreichungen vorgenommen worden, was zeige, dass der Kläger den genauen Umfang des Leistungsversprechens auch gelesen habe, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass die Unterstreichungen gerade vom Kläger stammen und zu welchem Zeitpunkt er sie gegebenenfalls vorgenommen hat. Dass der Kläger, wie das Berufungsgericht meint, angesichts der von ihm bereits abgeschlossenen Versicherungsverträge in Versicherungsangelegenheiten durchaus nicht unerfahren war, vermag genaue Feststellungen zu seinen Vorstellungen beim Abschluss des Versicherungsvertrages mit dem Unfallversicherer ebenfalls nicht zu ersetzen. Abgesehen davon ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, dass der Kläger mit Ausnahme der hier in Rede stehenden Unfallversicherungen weitere Versicherungen abgeschlossen hat.
12
Recht Zu hebt die Revision auch hervor, dass nach herkömmlichem Verständnis ein Schutzbrief anders als ein allgemeiner Unfallversicherungsvertrag mit einer Versicherungsgesellschaft aufgefasst wird. Vor diesem Hintergrund verliert die Erwägung des Berufungsgerichts, auf dem Deckblatt des Schutzbriefs heiße es unmissverständlich (Auslands-) "Kranken- und Unfallschutz", an Gewicht. "Unfallschutz" bedeutet nicht notwendig Unfallversicherungsschutz für Personenschäden. Der Kläger hat außerdem vorgetragen, dass er abgesehen von der bereits am 1. Oktober 1996 genommenen weiteren Unfallversicherung vor dem Unfall den Auslandsschutzbrief erworben habe, ohne hierbei zu wissen, dass der versprochene Schutz auch eine Unfall- und Invaliditätsversicherung umfasste. Der Erwerb sei vor dem Hintergrund der unsicheren Versicherungslage in der U. und für etwaige Leihwagen- oder Rückholkosten erfolgt. Ihm sei nicht ansatzweise bewusst gewesen, dass er mit dem Schutzbrief einen Versicherungsvertrag abgeschlossen habe. Die- sen Vortrag hat der Kläger im Berufungsrechtszug wiederholt und vertieft und dafür Beweis angeboten. Dem hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen.
13
2.Durchgreifendenrechtlichen Bedenken begegnet ferner die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger hätte mit einer fristgerechten Klage auch deshalb keinen Erfolg haben können, weil der Unfallversicherer wegen Verletzung einer vom Kläger nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachtenden Obliegenheit - die das Berufungsgericht nur ansatzweise benennt - leistungsfrei geworden sei.
14
a) Zwar wird die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe auch in der Schadensanzeige bei der Frage nach bestehenden Vorversicherungen den Schutzbrief nicht angegeben und damit die Aufklärungsobliegenheit (§ 9 II AUB 94) objektiv verletzt, von der Revision nicht angegriffen. Das Berufungsgericht hat indessen nicht bedacht, dass dem Versicherungsnehmer bei Feststellung des objektiven Tatbestandes einer Obliegenheitsverletzung die Möglichkeit offen steht, die gesetzliche Vermutung des § 6 Abs. 3 VVG, die Verletzung sei vorsätzlich geschehen , zu widerlegen. Dabei sind im Rahmen einer umfassenden Abwägung diejenigen Umstände zu prüfen, die es nahe legen, von einem geringeren Grad des Verschuldens auszugehen (vgl. Senatsurteile vom 11. Februar 1998 - IV ZR 89/97 - VersR 1998, 577 unter 3 und vom 26. Januar 2005 - IV ZR 239/03 - VersR 2005, 493 unter 2 b). Dem Vortrag des Klägers sind, wie bereits ausgeführt, Umstände dafür zu entnehmen ; diese hätten deshalb im Rahmen der gebotenen umfassenden Abwägung geprüft werden müssen.

15
Selbst b) wenn das Berufungsgericht erneut zur Annahme einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung kommen sollte, könnte sich der Unfallversicherer nach der Relevanzrechtsprechung nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit generell geeignet war, die berechtigten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und dem Kläger als Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fiel (Senatsurteil vom 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97 - VersR 1998, 447 unter 2 b). Damit hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.
Terno Dr. Schlichting Wendt Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 13.01.2005 - 16 O 4295/03 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 14.10.2005 - 6 U 33/05 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.