Gericht

Oberlandesgericht Nürnberg

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten K. wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg vom 5. September 2013 aufgehoben.

2. Die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Regensburg - Große Jugendkammer - vom 23. Mai 2006 verhängten Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird zum 30. April 2014 für erledigt erklärt.

3. Die Dauer der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht wird auf fünf Jahre bestimmt.

4. Die Ausgestaltung der Führungsaufsicht wird der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg übertragen.

5. Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Untergebrachten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Durch Urteil des Landgerichts Regensburg - Große Jugendkammer - vom 23. Mai 2006 wurde der Untergebrachte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Der Missbrauch hatte darin bestanden, dass der Untergebrachte bei einem sechsjährigen Jungen für zwei bis drei Minuten Oralverkehr ausgeübt und danach versucht hatte, mit einem Finger in den Anus des Kindes einzudringen, was nur zum Teil gelungen war; das Kind hatte dabei Schmerzen empfunden. Tatauslöser war gewesen, dass sich der Junge die Hosen heruntergezogen hatte, um sich auszuziehen. Der Untergebrachte hatte auf Bitten der Mutter, einer Bekannten, auf den Jungen aufgepasst. - Die kinderpornografischen Schriften hatten in 47 Fotos von Kindern bestanden, die Oralverkehr ausüben oder die Geschlechtsteile anderer oder die eigenen anfassen.

Am Tag nach dem Missbrauch, das heißt am 28. Januar 2006, wurde der Untergebrachte inhaftiert. Seit dem 13. Februar 2006 ist er im Bezirksklinikum R. untergebracht.

Der angefochtene Beschluss ist die jüngste Entscheidung, die es abgelehnt hat, die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären. Er stützt sich auf eine Stellungnahme des Bezirksklinikums R. vom 9. August 2013 und auf ein Gutachten der Sachverständigen Dr L. vom 8. August 2012. Die Diagnose lautet jeweils auf paranoide Schizophrenie (Bezirksklinikum: ICD-10 F 20.0; Dr. L.; ICD-10 F 20.5) und Pädophilie (ICD-10 F 65.4).

Die Stellungnahme des Bezirksklinikums kommt zu dem Ergebnis, dass der psychopathologische Zustand des Untergebrachten derzeit stabil sei und dass er „den Belastungen des Lebensalltags ausreichend Widerstand leisten kann“. Der Untergebrachte strebe eine Entlassung in eine offene Übergangseinrichtung für psychisch Kranke an und erkenne die Notwendigkeit, über einen längeren Zeitraum therapeutisch begleitet zu werden. Es könne aber nicht mit ausreichender Sicherheit prognostiziert werden, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Daraus schließt die angefochtene Entscheidung, dass eine ausreichende therapeutische Abmilderung des Rückfallrisikos noch nicht habe erreicht werden können und dass daher weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten des Untergebrachten zu erwarten seien.

Die sofortige Beschwerde rügt, dass die Strafvollstreckungskammer kein neues Sachverständigengutachten eingeholt hat. Der Stellungnahme des Bezirksklinikums sei nicht zu entnehmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Straftaten von dem Untergebrachten in Freiheit drohten. Es sei nicht ersichtlich, welche konkrete Gefahr von dem Untergebrachten ausgehe. Jedenfalls sei eine weitere Unterbringung nicht mehr vertretbar, weil der Untergebrachte schon über sieben Jahre und damit dreimal so lange im Freiheitsentzug sitze, wie seine Freiheitsstrafe gedauert hätte. Außerdem sei er erst im Alter von 35 Jahren straffällig geworden und habe es sich insgesamt um minder schwere Taten gehandelt.

Die Generalstaatsanwaltschaft schließt sich den Gründen des angefochtenen Beschlusses an und beantragt, die sofortige Beschwerde kostenfällig als unbegründet zu verwerfen. Der Untergebrachte hatte Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht, und begründet.

Der angefochtene Beschluss beruht zwar auf einer ausreichend ermittelten Tatsachengrundlage (unten 1). Auch leidet der Untergebrachte an einer psychischen Krankheit im Sinne der §§ 20, 21 StGB (unten 2 a) und können Taten von der Art der Anlasstaten erheblich sein im Sinne der §§ 63, 67d Absatz 2 StGB (unten 2 b). Jedoch ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Untergebrachte außerhalb eines psychiatrischen Krankenhauses erneut solche erheblichen Taten beginge (unten 2 c). Auch würde seine Unterbringung ohnehin ab dem 1. Mai 2014 aufgrund ihrer Dauer unverhältnismäßig sein (unten 3). Bei einer solchen Konkurrenz von Bewährungs- und Erledigungsgrund hat letzterer Vorrang (unten 4).

1. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer beruht auf einer ausreichend ermittelten Tatsachengrundlage und wird damit dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gerecht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. August 2013, 2 BvR 371/12, Rn. 42 - zitiert nach juris). Beweismittel sind eine Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses R. vom 9.8.2013, die Äußerungen des Untergebrachten und seines Verteidigers in einer Anhörung vom 3.9.2013 sowie ein nach § 463 Absatz 3 Satz 3, § 454 Absatz 2 StPO erforderliches Gutachten vom 8.8.2012. Dass dieses Gutachten mittlerweile über ein Jahr alt ist, schadet nicht, denn es ist ausführlich und entspricht den Mindestanforderungen, die an derartige Gutachten zu stellen sind (vgl. Boetticher/Kröber/Müller-Isberner/Böhm/Müller-Metz/Wolf NStZ 2006, 537 ff.). Auch ergibt sich aus der Stellungnahme des Bezirksklinikums nichts, was dafür spräche, dass die Erkenntnisse der Gutachterin durch neue Ereignisse oder Entwicklungen überholt wären (vgl. OLG Rostock NJW 2003, 1334 [f.]).

2. Zwar leidet der Untergebrachte unter einer psychischen Krankheit im Sinne der §§ 20, 21 StGB und können Taten von der Art seiner Anlasstaten erheblich sein im Sinne der §§ 63, 67d Absatz 2 StGB. Jedoch sind von dem Untergebrachten außerhalb eines psychiatrischen Krankenhauses keine solchen erheblichen Taten mehr zu erwarten.

a) Die behandelnden Ärzte im Bezirksklinikum R. sowie die Gutachterin Dr. L. diagnostizieren übereinstimmend und nachvollziehbar eine paranoide Schizophrenie (Bezirksklinikum: ICD-10 F 20.0; Dr. L.: ICD-10 F 20.5) und eine Pädophilie (ICD-10 F 65.4). Diese Diagnose erfüllt das Merkmal einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB.

b) Soweit man zu prognostizieren hat, welche Straftaten der Untergebrachte außerhalb eines psychiatrischen Krankenhauses begehen könnte, wären dies Taten von der Art der Anlasstaten. Solche Taten können erheblich sein im Sinne der §§ 63, 67d Absatz 2 StGB.

aa) Der Begriff der „rechtswidrigen Taten“ ist in § 67d Absatz 2 unstreitig so zu verstehen wie in § 63 StGB, das heißt im Sinne von erheblichen rechtswidrigen Taten (BVerfGE 70, 297 unter C I 2 b; Fischer StGB, 61. Aufl., § 67d Rn. 10 mit weiteren Nachweisen). Erforderlich ist, dass schwere Störungen des Rechtsfriedens drohen, das heißt solche, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen (BGH Beschluss vom 22. Februar 2011, 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271 [272]; Urteil vom 11. August 1998, 1 StR 305/98, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25; Urteil vom 29. November 1994, 1 StR 689/94, NStZ 1995, 228 [ebd.]; Fischer StGB, 60. Aufl., § 63 Rn. 13, 17; Schöch Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 63 Rn. 90). Ob dies der Fall ist, lässt sich nicht allein anhand der potentiell verletzten gesetzlichen Straftatbestände sagen (BGH Urteil vom 11. August 2011, 4 StR 267/11 Rn. 17; Beschluss vom 22. Februar 2011, 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271 [272]; Beschluss vom 24. November 2004, 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72 [73]; Beschluss vom 26. April 2001, 4 StR 583/00, StV 2002, 477 [f.]; Urteil vom 29. November 1994, 1 StR 689/94, NStZ 1995, 228 [ebd.]; Fischer StGB, 60. Aufl., § 63 Rn. 16 f.; Schöch Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 63 Rn. 89). Selbst Verbrechen im technischen Sinne (§ 12 StGB) können im Einzelfall nach der Art ihrer Ausführung als bloße Belästigungen einzustufen sein (BGH Urteil vom 27. November 2008, 3 StR 450/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 30; Beschluss vom 28. Juni 2005, 2 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303 [304]: versuchte Räuberische Erpressung durch einmalige schriftliche Drohung). Wichtige Gesichtspunkte sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (BGH Urteil vom 11. August 2011, 4 StR 267/11 Rn. 17 mit weiteren Nachweisen; Schöch Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 63 Rn. 90 f.).

bb) Vorliegend kommt in Betracht, dass der Untergebrachte erneut ein Kind in der Art missbraucht, wie es bei der Anlasstat geschehen ist. Ferner ist daran zu denken, dass er sich wieder kinderpornografische Schriften verschafft, vor allem aus dem Internet.

Der sexuelle Missbrauch eines Kindes gehört grundsätzlich zu den gewichtigeren Straftaten. Erst recht gilt dies für die Qualifikation des § 176a StGB (vgl. BVerfG Beschluss vom 29. Oktober 2013, 2 BvR 1119/12, Rn. 19). Da es sich um einen Verbrechenstatbestand handelt, sind nur ausnahmsweise tatbestandsmäßige Handlungen denkbar, die nicht mehr der (mindestens) mittleren Kriminalität zuzurechnen wären. Der vorliegende Fall bietet keinen hinreichenden Grund für eine solche Ausnahme. Entsprechendes gilt hinsichtlich solcher Handlungen, die als neue Taten des Untergebrachten in Betracht kämen.

Ein erneuter Besitz kinderpornografischer Schriften hingegen wäre noch nicht der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Schon der zugehörige Strafrahmen des § 184b Absatz 4 StGB reicht nur bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Für die Anlasstat wurde sogar nur eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen verhängt. Dafür dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass die Abbildungen nicht die - in dem denkbaren Spektrum - schlimmstmöglichen Motive hatten (vgl. oben I). Es gibt keine Hinweise darauf, dass neue Taten voraussichtlich unter deutlich strafschärfenden Bedingungen begangen würden. Auch sonst sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, die es rechtfertigten, die vorstellbaren Taten bei einer wertenden Betrachtung bereits der mittleren Kriminalität zuzuschlagen.

c) Für den sexuellen Missbrauch von Kindern fehlt es daran, dass einschlägige Taten im Sinne der § 63, § 67d Absatz 2 StGB zu erwarten wären.

Für dieses Erfordernis verlangt der Bundesgerichtshof eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ (BGH Beschluss vom 22. Februar 2011, 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271 [272]; Beschluss vom 31. Oktober 1989, 5 StR 496/89, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11; Beschluss vom 21. März 1989, 1 StR 120/89, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8; ebenso Fischer StGB, 61. Aufl., § 63 Rn. 15). Unstreitig reicht es nicht aus, wenn weitere Taten nur möglich erscheinen (BGH Beschluss vom 29. Mai 1991, 3 StR 148/91, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 15; Fischer StGB, 61. Aufl., § 63 Rn. 13, 15, 19; Schöch Leipziger Kommentar, 12. Aufl., Vor § 61 Rn. 58 und § 63 Rn. 71; beide mit weiteren Nachweisen). Es geht dabei um eine Rechtsfrage, deren Beantwortung Aufgabe des Richters ist, nicht eines Sachverständigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. August 2013, 2 BvR 371/12, Rn. 42).

Vorliegend bieten weder das Gutachten der Sachverständigen Dr. L. noch die Stellungnahme des Bezirksklinikums R. eine hinreichende Tatsachengrundlage dafür anzunehmen, dass von dem Untergebrachten außerhalb des Maßregelvollzugs Missbrauchstaten nach Art der Anlasstat in einem höheren Grade wahrscheinlich wären. Zwar besteht kein Zweifel daran, dass der Untergebrachte an den psychischen Krankheiten leidet, die ihm Gutachten und Stellungnahme diagnostizieren. Ebenso wenig ist zweifelhaft, dass diese Krankheiten weiterer Behandlung bedürfen. Und sehr gut möglich erscheint, dass auch wieder eine stationäre Behandlung sinnvoll wird. Das alles sieht der Untergebrachte indes genauso. Er lässt sich bereits seit zwanzig Jahren freiwillig behandeln, auch stationär: Vor seiner Unterbringung hat er sich nicht weniger als neun Mal in eine stationäre Behandlung begeben. Er nimmt seit jeher zuverlässig die ihm verordneten Psychopharmaka ein trotz der zum Teil beträchtlichen Nebenwirkungen, etwa nächtlicher Inkontinenz. Auch seine pädophilen Neigungen hat der Untergebrachte nie verleugnet. Vielmehr hat er sie seinem Therapeuten lange vor der Anlasstat gestanden in der Hoffnung, sie therapeutisch bewältigen und unter Kontrolle bekommen zu können. Insgesamt bietet der Untergebrachte das Bild eines unter sich selbst leidenden, in hohem Maße krankheitseinsichtigen und therapiemotivierten Menschen. Auch sein Verhalten nach der Anlasstat entspricht diesem Bild: Zwar hat er die Tat nicht von sich aus gestanden, sondern erst, nachdem die Mutter des Kindes Fragen gestellt hatte. Dann indes hat er sich sofort selbst der Polizei gestellt und ein umfassendes Geständnis abgelegt.

Die Tat selbst hat er in einer singulären Situation maximaler Versuchung begangen: Er war abends mit einem Jungen allein, zu dem bereits ein Vertrauens- und Näheverhältnis bestand und der sich dann selbst die Hosen herunterzog. Dass sich der Untergebrachte nie in eine solche Situation hätte begeben dürfen, liegt auf der Hand. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass er dies danach je wieder versucht hätte. Es gibt auch insgesamt keinen Hinweis darauf, dass er sich vor der Anlasstat oder danach je einem Jungen in der Absicht genähert hätte, sexuell übergriffig zu werden. Denkbar ist nach Aktenlage allenfalls, dass er sich erneut kinderpornografische Schriften von der Art verschafft hat, die er schon einmal besessen hatte. Das begründet aber noch nicht die Erwartung, dass er erneut versuchen werde, seine Phantasien in die Tat umzusetzen. Vielmehr zeigen das bisherige Leben und die Krankengeschichte des Untergebrachten, dass bei ihm zwischen Phantasie und Tat eine hohe Hemmschwelle liegt.

Soweit die Stellungnahme des Bezirksklinikums und das Gutachten der Sachverständigen in der postdeliktischen Entwicklung des Untergebrachten „deliktsrelevantes“ Verhalten ausmachen, handelt es sich um vergleichsweise geringfügige Regelverstöße im Rahmen des Behandlungsverhältnisses, die nicht die Gefahr begründen, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs erneut Kinder missbrauchen werde. Ein Beispiel ist der Ausgang auf dem Klinikgelände mit einer nicht genehmigten Begleitperson. Im Übrigen monieren das Gutachten und die Stellungnahme in der postdeliktischen Entwicklung Handlungen und Vorfälle, die im Rahmen der Therapie als Rückschläge und Schwierigkeiten einzustufen sein mögen, die aber ebenfalls nicht geeignet sind, die hinreichend große Erwartung zu begründen, der Untergebrachte werde in der Freiheit erneut Kinder missbrauchen. Auch der Wunsch, einen psychisch kranken Täter zu heilen, rechtfertigt eine Unterbringung nur dann, wenn die Erwartung erheblicher Straftaten von den Feststellungen getragen wird (BGH Beschluss vom 26. Juli 2006, 2 StR 285/06, NStZ-RR 2006, 338 [339]). Und eine Unterbringung ist nicht schon deshalb rechtens, weil eine psychische Störung fortdauert und behandlungsbedürftig ist (BGH Beschluss vom 18. März 2008, 4 StR 6/08, RuP 2008, 226 Rn. 6).

d) Soweit das Gutachten und die Stellungnahme des Bezirksklinikums Defizite des sozialen Empfangsraums zu bedenken geben, erscheinen sie mittelfristig behebbar. Jedenfalls nach solchen weiteren Bemühungen um Verbesserungen des sozialen Empfangsraums muss die Legalprognose für den Untergebrachten günstig ausfallen. Daher wäre der Maßregelvollzug zum 30. April 2014 zur Bewährung auszusetzen, wenn der weitere Vollzug bei ungünstiger Legalprognose verhältnismäßig bliebe (vgl. zur Bestimmung einer Entlassungsfrist Rissing-van Saan/Peglau Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 67d Rn. 108 mit weiteren Nachweisen). Dies ist allerdings nicht der Fall:

3. Die weitere Vollstreckung der Unterbringung wäre ohnehin ab dem 1. Mai 2014 unverhältnismäßig (§ 62, § 67d Absatz 6 Satz 1 StGB).

a) Der Grundsatz, dass alle staatlichen Maßnahmen verhältnismäßig zu sein haben, folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG vom 8. Oktober 1985, 2 BvR 1150/80 und 2 BvR 1504/82, BVerfGE 70, 297 unter C I). In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber noch einmal einfachgesetzlich festgeschrieben, um seine Bedeutung für das Maßregelrecht zu betonen (vgl. BT-Drs. V/4094, S. 17). Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG Beschluss vom 5. Juli 2013, 2 BvR 789/13, BeckRS 2013, 53753; BGH Urteil vom 31. Juli 2013, 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339 [f.]). Damit ist nicht nur gemeint, dass die Unterbringung erforderlich sein muss, um weitere krankheitsbedingte und erhebliche Taten des Untergebrachten zu verhindern. Sondern sie muss auch - wie alle staatlichen Eingriffe - im engeren Sinne verhältnismäßig sein (Übermaßverbot). Ins Verhältnis zu setzen und gegeneinander abzuwägen sind einerseits die Beeinträchtigung des Freiheitsrechts des Untergebrachten aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz und andererseits die Gefahren für die Sicherheit der Allgemeinheit, wenn der Untergebrachte auf freien Fuß gesetzt würde. Dabei sind alle Besonderheiten des Falles zu berücksichtigen (BVerfGE 70, 297 unter C I 2 a und b; BGH Urteil vom 31. Juli 2013, 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339 [340]). Es handelt sich um eine Rechtsfrage, deren Beantwortung der Richter nicht an einen Sachverständigen delegieren kann (BGH Urteil vom 11. August 2011, 4 StR 267/11, Rn. 22).

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme (BGH BGH Urteil vom 11. August 2011, 4 StR 267/11 Rn. 11; Beschluss vom 22. Februar 2011, 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271 [272]; Beschluss vom 26. Juni 2007, 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300 [301]; Beschluss vom 28. Juni 2005, 2 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303 [304]; Beschluss vom 26. April 2001, 4 StR 583/00, StV 2002, 477 [f.]; Beschluss vom 21. März 1989, 1 StR 120/89, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8). Je länger eine Unterbringung dauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs (BVerfGE 70, 297 unter C I 2 c; BVerfG vom 26. August 2013, 2 BvR 371/12 - Fall Mollath - Rn. 47). Besonders streng sind sie daher bei langdauernder Unterbringung. Für die Frage, wann eine Unterbringung als langdauernd einzustufen ist, können die einschlägigen Strafrahmen einen Anhalt geben (BVerfGE 70, 297 unter C I 2 c). In Betracht ziehen lassen sich auch die für die Anlasstat(en) verhängte Strafe (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Januar 2013, 3 Ws 717/12, Rn. 13 - zitiert nach juris) und die für künftige Taten hypothetisch zu erwartenden Strafen.

b) Hier ist der Untergebrachte seit dem 13. Februar 2006 ununterbrochen im Maßregelvollzug, das heißt seit sieben Jahren und bald elf Monaten. Diese Frist liegt so erheblich über jener der Freiheitsstrafe, die für die die Anlasstat verhängt worden ist (zwei Jahre und drei Monate), dass die Unterbringung bereits aus diesem Grund als eine langdauernde einzustufen ist. Zu berücksichtigen ist hier bei der nötigen Abwägung ferner, dass die realistisch vorstellbaren neuen Taten des Untergebrachten im breiten Spektrum der Formen des sexuellen Missbrauchs von Kindern von einem mittleren bis unteren Schweregrad wären und insbesondere gewaltfrei blieben. Ferner ist die vergleichsweise niedrige Wahrscheinlichkeit neuer Taten zu berücksichtigen. Ebenfalls zu Buche schlagen die Krankheitseinsicht und Therapiemotivation des Untergebrachten sowie sein Schuldbewusstsein bezüglich der Anlasstat. Soweit der soziale Empfangsraum noch Defizite aufweist, ist bis zum 30. April 2014 Gelegenheit, sie zu beheben.

Ergänzend ist zu bedenken: Unverhältnismäßig wird eine Unterbringung auch dann, sobald sie nicht mehr erforderlich ist, weil andere Maßnahmen ausreichten, um die Gefährlichkeit des Beschuldigten unter die Schwelle des § 63 zu drücken (Grundsatz der Subsidiarität). Als eine solche Maßnahme kommt etwa die Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB in Betracht (BGH Beschluss vom 26. Juni 2007, 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300 [301]). Entsprechendes gilt für eine Unterbringung nach Landesrecht. Strafrechtliche Maßnahmen dürfen stets nur das letzte Mittel sein (BGH Urteil vom 4. August 1998, 5 StR 223/98, NStZ-RR 1998, 359 [360]). Für den vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass solche Alternativen hinreichend bedacht worden wären.

4. Obwohl die Voraussetzungen dafür vorliegen, die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen (§ 67d Absatz 2 Satz 1 StGB), war sie für erledigt zu erklären (§ 67d Absatz 6 Satz 1 StGB).

Das Gesetz geht davon aus, dass eine Unterbringung unverhältnismäßig sein kann, obwohl ihre Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, das heißt obwohl von dem Untergebrachten in Freiheit krankheitsbedingte und erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Dies ergibt bereits der Wortlaut des § 67d Absatz 6 Satz 1 StGB. Es entspricht auch der allgemeinen Grundrechtsdogmatik. Zudem sieht das Gesetz unterschiedliche Rechtsfolgen vor je nachdem, ob von dem Untergebrachten keine erheblichen Taten mehr zu erwarten sind oder ob seine weitere Unterbringung unverhältnismäßig wäre: In dem ersten Fall ist der Vollzug der Maßregel zur Bewährung auszusetzen, im zweiten ist die Maßregel für erledigt zu erklären.

Aus dieser Systematik folgt indes auch, dass es Fälle geben kann, in denen keine erheblichen Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohten und eine weitere Unterbringung überdies unverhältnismäßig wäre, also auch unverhältnismäßig wäre, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit neue und erhebliche Taten drohten. Der vorliegende Fall ist dafür ein Beispiel. In solchen Fällen konkurrieren zwei Rechtsfolgen: die Aussetzung des Maßregelvollzuges zur Bewährung und ein Für-erledigt-Erklären der Maßregel. Vorrang haben muss dann das Für-erledigt-Erklären. Denn diese Rechtsfolge ist für den Untergebrachten die günstigere, und er kann, wenn er ungefährlich ist, nicht schlechter stehen als mit ungünstiger Legalprognose (bei der ausschließlich die Rechtsfolge des Für-erledigt-Erklärens in Betracht käme). Da vorliegend die Unterbringung ab dem 1. Mai 2014 selbst bei ungünstiger Legalprognose unverhältnismäßig wäre, kann es dem Untergebrachten nicht zum Nachteil gereichen, dass seine Legalprognose ab diesem Zeitpunkt tatsächlich günstig sein wird. Die Unterbringung war daher zum 30. April 2014 für erledigt zu erklären.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf dem Grundsatz, dass die Staatskasse die Kosten trägt, soweit das Gesetz keinen anderen Kostenschuldner benennt. Entsprechendes gilt für die notwendigen Auslagen des Untergebrachten (vgl. Meyer-Goßner StPO, 56. Aufl., § 473 Rn. 2 mit weiterem Nachweis).

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 220/13 vom 31. Juli 2013 in der Strafsache gegen wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2013, an der teilge

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2008 - 4 StR 6/08

bei uns veröffentlicht am 18.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 6/08 vom 18. März 2008 in der Strafsache gegen wegen Hausfriedensbruchs u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. März 2008 gemäß § 3

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Feb. 2011 - 4 StR 635/10

bei uns veröffentlicht am 22.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 635/10 vom 22. Februar 2011 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO

Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juli 2006 - 2 StR 285/06

bei uns veröffentlicht am 26.07.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 285/06 vom 26. Juli 2006 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Juli 2006 gemäß § 349 Abs. 4

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 26. Aug. 2013 - 2 BvR 371/12

bei uns veröffentlicht am 26.08.2013

Tenor Der Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 - StVK 559/11 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 - 1 Ws 337/11 - verletzen den Beschwerdeführer in

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

(1) Die Vorschriften über die Strafvollstreckung gelten für die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) § 453 gilt auch für die nach den §§ 68a bis 68d des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen.

(3) § 454 Abs. 1, 3 und 4 gilt auch für die nach § 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 und 3, § 67e Abs. 3, den §§ 68e, 68f Abs. 2 und § 72 Abs. 3 des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 68e des Strafgesetzbuches bedarf es einer mündlichen Anhörung des Verurteilten nicht. § 454 Abs. 2 findet in den Fällen des § 67d Absatz 2 und 3 und des § 72 Absatz 3 des Strafgesetzbuches unabhängig von den dort genannten Straftaten sowie bei Prüfung der Voraussetzungen des § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches auch unabhängig davon, ob das Gericht eine Aussetzung erwägt, entsprechende Anwendung, soweit das Gericht über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat; im Übrigen findet § 454 Abs. 2 bei den dort genannten Straftaten Anwendung. Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 des Strafgesetzbuches sowie der nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d Abs. 2 des Strafgesetzbuches hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen namentlich zu der Frage einzuholen, ob von dem Verurteilten weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Ist die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, rechtzeitig vor einer Entscheidung nach § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches einen Verteidiger.

(4) Im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 des Strafgesetzbuches) nach § 67e des Strafgesetzbuches ist eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist. Das Gericht soll nach jeweils drei Jahren, ab einer Dauer der Unterbringung von sechs Jahren nach jeweils zwei Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen. Dem Sachverständigen ist Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren. § 454 Abs. 2 gilt entsprechend. Der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, bestellt das Gericht für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach Satz 2 das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, einen Verteidiger.

(5) § 455 Abs. 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet ist. Ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden und verfällt der Verurteilte in Geisteskrankheit, so kann die Vollstreckung der Maßregel aufgeschoben werden. § 456 ist nicht anzuwenden, wenn die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet ist.

(6) § 462 gilt auch für die nach § 67 Absatz 3, 5 Satz 2 und Absatz 6, den §§ 67a und 67c Abs. 2, § 67d Abs. 5 und 6, den §§ 67g, 67h und 69a Abs. 7 sowie den §§ 70a und 70b des Strafgesetzbuches zu treffenden Entscheidungen. In den Fällen des § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches ist der Verurteilte mündlich zu hören. Das Gericht erklärt die Anordnung von Maßnahmen nach § 67h Abs. 1 Satz 1 und 2 des Strafgesetzbuchs für sofort vollziehbar, wenn erhebliche rechtswidrige Taten des Verurteilten drohen.

(7) Für die Anwendung des § 462a Abs. 1 steht die Führungsaufsicht in den Fällen des § 67c Abs. 1, des § 67d Abs. 2 bis 6 und des § 68f des Strafgesetzbuches der Aussetzung eines Strafrestes gleich.

(8) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt, bestellt das Gericht dem Verurteilten, der keinen Verteidiger hat, für die Verfahren über die auf dem Gebiet der Vollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen einen Verteidiger. Die Bestellung hat rechtzeitig vor der ersten gerichtlichen Entscheidung zu erfolgen und gilt auch für jedes weitere Verfahren, solange die Bestellung nicht aufgehoben wird.

(1) Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll (§§ 57 bis 58 des Strafgesetzbuches) sowie die Entscheidung, daß vor Ablauf einer bestimmten Frist ein solcher Antrag des Verurteilten unzulässig ist, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte und die Vollzugsanstalt sind zu hören. Der Verurteilte ist mündlich zu hören. Von der mündlichen Anhörung des Verurteilten kann abgesehen werden, wenn

1.
die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt die Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe befürworten und das Gericht die Aussetzung beabsichtigt,
2.
der Verurteilte die Aussetzung beantragt hat, zur Zeit der Antragstellung
a)
bei zeitiger Freiheitsstrafe noch nicht die Hälfte oder weniger als zwei Monate,
b)
bei lebenslanger Freiheitsstrafe weniger als dreizehn Jahre
der Strafe verbüßt hat und das Gericht den Antrag wegen verfrühter Antragstellung ablehnt oder
3.
der Antrag des Verurteilten unzulässig ist (§ 57 Abs. 7, § 57a Abs. 4 des Strafgesetzbuches).
Das Gericht entscheidet zugleich, ob eine Anrechnung nach § 43 Abs. 10 Nr. 3 des Strafvollzugsgesetzes ausgeschlossen wird.

(2) Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten ein, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes

1.
der lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen oder
2.
einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art auszusetzen und nicht auszuschließen ist, daß Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen.
Das Gutachten hat sich namentlich zu der Frage zu äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, daß dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Der Sachverständige ist mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, seinem Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Das Gericht kann von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen absehen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

(3) Gegen die Entscheidungen nach Absatz 1 ist sofortige Beschwerde zulässig. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

(4) Im Übrigen sind § 246a Absatz 2, § 268a Absatz 3, die §§ 268d, 453, 453a Absatz 1 und 3 sowie die §§ 453b und 453c entsprechend anzuwenden. Die Belehrung über die Aussetzung des Strafrestes wird mündlich erteilt; die Belehrung kann auch der Vollzugsanstalt übertragen werden. Die Belehrung soll unmittelbar vor der Entlassung erteilt werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

17
aa) Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477f.). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, R & P 2008, 226, 227; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 25 mwN.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 493/04
vom
24. November 2004
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2004 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Juli 2004 mit den Feststellungen aufgehoben ; jedoch bleiben die Feststellungen zum Geschehensablauf der rechtswidrigen Tat aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die Vollstreckung der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat im Umfang der Beschlußformel Erfolg.

I.


Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Das Landgericht hat zur Anlaßtat festgestellt, der Beschuldigte habe zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 20. Mai 1997 und Mitte September 1997 im Schulgarten einer Volksschule zwei noch
nicht 14 Jahre alten Jungen eine pornographische Karte, auf der eine nackte Frau mit gespreizten Beinen abgebildet war, für den Fall angeboten, daß sie sich vor ihm entblößen würden. Die beiden Kinder hätten ihre Hose und Unterhose heruntergezogen, so daß der Beschuldigte für einige Sekunden ihr Geschlechtsteil habe sehen können. Im Anschluß daran habe der Beschuldigte seine Hose heruntergezogen und den Kindern sein Geschlechtsteil gezeigt. Er habe sie aufgefordert, seinen Penis anzufassen. Eines der beiden Kinder sei der Aufforderung gefolgt und habe den Penis des Beschuldigten kurz angefaßt, der dabei keine Erektion gehabt habe. Er habe daraufhin den Kindern die Pornokarte übergeben.
2. Der Beschuldigte habe für diese rechtswidrige Tat jedoch nicht bestraft werden können, weil er an einer seit 1997 chronifizierten paranoidhalluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie leide. Die sachverständig beratene Strafkammer hat angenommen, die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei bei Begehung der Tat erheblich eingeschränkt gewesen; sie hat selbst die vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen können. Das Landgericht hat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet, weil der Beschuldigte nicht krankheits- und behandlungseinsichtig sei und die erforderlichen Medikamente eigenmächtig absetze. Auch wenn sich aggressive Verhaltensweisen in der Vergangenheit weitgehend auf verbale Ausbrüche beschränkt hätten, zeigten diese Vorfälle das hohe Aggressionspotential des Beschuldigten. Ohne gezielte Behandlung seien mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten. Die Maßregel könne aber gemäß § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, da der Zweck der Maßregel, die medikamentöse Behandlung des Beschuldigten zur Verhinderung weiterer erheblicher Straftaten sicherzustellen, auch durch eine Unterbringung nach § 1906 BGB gewährleistet werden könne.

II.


Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 279, 312; BGHSt 27, 246, 248; BGH NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muß aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, daß der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
1. Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich, ohne daß weitere Darlegungen erforderlich wären, aus dem Anlaßdelikt selbst ergeben, z. B. bei Verbrechenstatbeständen; auch bei Vergehen mag, ohne daß dies hier einer abschließenden Entscheidung bedürfte, eine solche Annahme vielfach naheliegen. Ergibt sich die Erheblichkeit der drohenden Taten nicht ohne weiteres aus dem Deliktscharakter als solchem, kommt es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an, da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 63 Rdn. 15).
Die Kammer hat ihre Gefährlichkeitsprognose - was hier geboten war - nicht auf die Anlaßtat gestützt, sondern sich im wesentlichen auf die "überzeugende Einschätzung der Sachverständigen K. von der Gefährlichkeit des Beschuldigten" berufen, der sie sich vollumfänglich angeschlossen hat. Die Sachverständige, die den Beschuldigten im Rahmen der Beobachtung nach § 81 StPO exploriert hat, stützt ihre Erkenntnisse auf die Krankenunterlagen sowie auf ihre Eindrücke während der Beobachtung des Beschuldigten. Eine
gutachterliche Äußerung dieser Sachverständigen zu der An laßtat ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Die Krankheit sei beim Beschuldigten im Jahre 1991 ausgebrochen; erstmals sei er 1993 aggressiv geworden. Während eines Aufenthalts im Bezirkskrankenhaus Landshut mußte er wegen fremdaggressiven Verhaltens auf eine andere Station verlegt werden. Im Zeitraum von Januar bis März 2002 habe der Beschuldigte stationär untergebracht werden müssen, weil er seine 72jährige Mutter die Treppe hinunter gestoßen habe, wodurch sich diese eine Schulterverletzung zugezogen habe. Im Mai 2002 sei er von Sanitätern zur stationären Behandlung gebracht worden, die bis August 2002 gedauert habe. Dabei habe er erneut aggressive Verhaltensweisen gezeigt, und er habe weibliches Personal mit anzüglichen Bemerkungen bedrängt.
2. Die Strafkammer hat die Anlaßtat aus dem Jahr 1997 als minder schweren Fall des sexuellen Mißbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 2. Halbsatz, Abs. 5 Nr. 3 StGB a. F. gewertet. Es ist nicht erörtert, ob zwischen der Anlaßtat und der von der Sachverständigen festgestellten Steigerung fremdaggressiven Verhaltens ein symptomatischer Zusammenhang besteht (vgl. BGH NStZ 1991, 528; 1985, 309; Stree in Schönke/Schröder aaO Rdn. 17 m. w. Nachw.). Auch das Verhalten des Beschuldigten gegenüber dem Pflegepersonal während seiner früheren Klinikaufenthalte reicht jedenfalls für sich nicht für die Erwartung aus, der Beschuldigte werde in Freiheit, also ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit erhebliche, für die Allgemeinheit gefährliche Gewaltstraftaten begehen. Hinweise auf eine sich steigernde Aggressivität und eine Gefährlichkeit im Sinne von § 63 StGB könnten sich allerdings aus den Umständen ergeben, unter denen der Beschuldigte im Jahre 2002 seine 72jährige Mutter die Treppe hinuntergestoßen haben soll. Nähere Einzelheiten zu dem Vorfall teilen die Urteilsgründe nicht mit.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus war deshalb aufzuheben. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, die Gefährlichkeitsprognose unter besonderer Berücksichtigung gerade der aktuellen Vorfälle neu zu bewerten.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Graf

(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.

(2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.

(3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 450/08
vom
27. November 2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. November
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
der Richter am Bundesgerichtshof
Hubert
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. Juli 2008 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Dem vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. a) Nach den Feststellungen stand der Beschuldigte, der seit 1998 an einer mit Verfolgungsgedanken und Halluzinationen einhergehenden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie leidet, zur Tatzeit unter dem Einfluss eines akuten Schubs seiner psychischen Erkrankung. Er hatte zudem erhebliche Mengen Alkohol konsumiert; seine Blutalkoholkonzentration betrug ca. 3 Stunden nach Begehung der Taten 2,02 ‰. In diesem Zustand erbat er von dem ihm unbekannten K. eine Zigarette. Dieser übergab ihm mit dem Bemerken, er könne sich eine Zigarette drehen, ein Päckchen Tabak im Wert von 2 Euro. Der Beschuldigte begann sich eine Zigarette zu drehen, wandte sich jedoch dann ab und entfernte sich. Als K. ihm hinterherrief und die Rückgabe seines Tabaks forderte, äußerte der Beschuldigte "Ich kann dir auch die Nase brechen" und "Das ist jetzt mein Tabak". Als zufällig in der Nähe aufhältliche und vom Tatopfer herbeigerufene Polizeibeamte den Angeklagten wegen des Vorfalles ansprachen, beleidigte der Beschuldigte die Beamten und drohte ihnen auf der anschließenden Fahrt zum Polizeirevier an, sie zu töten, eine Bombe in die Wache zu werfen, sie zu erschießen und mit einem "Truck" zu überfahren.
3
b) Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des K. als räuberischen Diebstahl (§ 252 StGB) und die Taten zum Nachteil der Polizeibeamten als Beleidigungen (§ 185 StGB) und Bedrohung (§ 241 StGB) gewertet. Es hat eine vollständige Aufhebung der Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten infolge eines psychosebedingt gestörten Realitätsbezugs zur Tatzeit nicht auszuschließen vermocht, jedenfalls aber eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten als gesichert angenommen.
4
Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat die Strafkammer abgelehnt. Sachverständig beraten hat sie sich die Überzeugung gebildet, dass vom Beschuldigten zwar auch in Zukunft krankheitsbedingt weitere, im Schweregrad mit den Anlasstaten vergleichbare Taten zu erwarten sind. Sie ist aber zu der Auffassung gelangt, dass diese Taten nicht als erheblich anzusehen sind und der Beschuldigte deshalb für die Allgemeinheit nicht gefährlich im Sinne des § 63 StGB ist.
5
2. Die Ablehnung der Maßregelanordnung hält rechtlicher Prüfung stand. Das Landgericht hat die für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderliche Gefährlichkeitsprognose mit tragfähiger Begründung verneint.
6
a) Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) können nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in dem Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 27, 246, 248; BGH NStZ 2008, 210, 212). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der Täter infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 72, 73).
7
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet.
8
aa) Es hat insbesondere nicht verkannt, dass sich die Erheblichkeit drohender Taten bereits ohne weiteres aus dem Deliktstypus der Anlasstat ergeben kann und die Erheblichkeitsschwelle deshalb bei Verwirklichung von Verbrechenstatbeständen regelmäßig überschritten ist (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 72, 73; BGH NStZ 2008, 563, 564; BGH StraFo 2008, 300).
9
Das Landgericht ist zurecht davon ausgegangen, dass es sich bei der Tat zum Nachteil des K. um ein Verbrechen, einen räuberischen Diebstahl gemäß § 252 StGB, handelt. Den Deliktscharakter dieser Tat hat das Landgericht ausdrücklich bei Erörterung der Legalprognose berücksichtigt. Soweit es dieses Tatgeschehen gleichwohl als "harmlos" gewertet und sich deshalb gehindert gesehen hat, hierauf die Gefährlichkeitsprognose zu stützen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
10
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Verbrechen in besonders gelagerten Ausnahmefällen, etwa dann, wenn sie aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Allgemeinheit als eher harmlos oder als nur belästigend wahrgenommen werden und überdies nur zu geringfügigen Beeinträchtigungen des Tatopfers geführt haben, trotz ihres Deliktscharakters die in § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht zu begründen vermögen (vgl. für den Fall eines räuberischen Diebstahls BGH, Urt. vom 14. Februar 2001 - 3 StR 455/00; für den Fall einer versuchten räuberischen Erpressung BGH NStZ-RR 2005, 303, 304). Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls hat das Landgericht mit tragfähiger Begründung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände bejaht. Es hat dabei nicht nur auf die denkbar geringe Tatbeute, die der Beschuldigte erstrebte, abgestellt, sondern insbesondere hervorgehoben , dass dieser keine Anstalten machte, seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Diese Wertung begegnet mit Blick auf das der Tat unmittelbar nachfolgende Verhalten des Beschuldigten gegenüber den Polizeibeamten, das sich ebenfalls in verbalen Aggressionen erschöpfte, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
bb) Die Ausführungen des Landgerichts lassen auch nicht besorgen, dass es bei Prüfung der Legalprognose die gegenüber den Polizeibeamten ausgesprochenen Todesdrohungen bzw. einen ähnlich gelagerten Vorfall aus dem Jahr 2002, bei welchem der Beschuldigte ebenfalls in akut psychotischem Zustand eine ihm unbekannte Person mit dem Tod bedrohte und sich - um sich schlagend und tretend - dem Zugriff der Polizei widersetzte, außer acht gelassen oder diese Delikte rechtsfehlerhaft als von vorneherein unerheblich im Sinne des § 63 StGB angesehen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 303, 304 und 2006, 338; BGH NStZ 2008, 563, 564).
12
Die Urteilsgründe lassen vielmehr hinreichend erkennen, dass die Strafkammer auch diesen Delikten keine für die Begründung einer Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 63 StGB ausreichende Bedeutung beigemessen hat, weil die Drohungen - wie bei der Tat zum Nachteil der Polizeibeamten - entweder aus Sicht der Tatopfer keinen realen Hintergrund hatten oder sich die Übergriffe des Beschuldigten in Verbalaggressionen erschöpften. Anhaltspunkte dafür, dass die naheliegende Gefahr der Verwirklichung der ausgesprochenen Drohungen bestand, hat das Landgericht nicht festgestellt. Gegen diese Wertung ist mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach § 62 StGB aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
13
cc) Das Landgericht hat schließlich unter erschöpfender Würdigung der Taten und der Persönlichkeit des Beschuldigten keine konkreten Anhaltspunkte für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit festzustellen vermocht, dass der Beschuldigte künftig schwerwiegendere Straftaten als bisher begehen wird. Rechtsfehler lässt diese Wertung nicht erkennen, zumal sich das Landgericht auch eingehend und revisionsrechtlich beanstandungsfrei mit weiteren Auffälligkeiten im Werdegang des Beschuldigten - etwa seinem zweimaligen unvorsichtigen Hantieren mit Feuer in einem Wohnhaus zur Bekämpfung von Geruchshalluzinationen - auseinandergesetzt hat. Becker Miebach Pfister Sost-Scheible Hubert

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

17
aa) Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477f.). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, R & P 2008, 226, 227; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 25 mwN.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

(1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
einen kinderpornographischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat:
a)
sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind),
b)
die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder
c)
die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes,
2.
es unternimmt, einer anderen Person einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen,
3.
einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder
4.
einen kinderpornographischen Inhalt herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 oder der Nummer 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist.
Gibt der kinderpornographische Inhalt in den Fällen von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 4 kein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt der Inhalt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen.

(3) Wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(4) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 strafbar.

(5) Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen:

1.
staatlichen Aufgaben,
2.
Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder
3.
dienstlichen oder beruflichen Pflichten.

(6) Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 und Satz 2 gilt nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn

1.
die Handlung sich auf einen kinderpornographischen Inhalt bezieht, der kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, und
2.
die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(7) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder 3 oder Absatz 3 bezieht, werden eingezogen. § 74a ist anzuwenden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 285/06
vom
26. Juli 2006
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. Juli 2006 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. März 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des wegen chronischer schizophrener Psychose schuldunfähigen Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision führt mit der allgemeinen Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
2
1. Das Landgericht hat der Anordnung die Feststellung rechtswidriger Taten der Bedrohung gemäß § 241 StGB in vier Fällen (Taten 1, 2, 3 und 8) und der Beleidigung gemäß § 185 StGB in vier Fällen (Taten 4 bis 7) zu Grunde gelegt. Die Feststellungen zu den zuletzt genannten Taten tragen aber die Annahme von mit (natürlichem) Vorsatz ausgeführten rechtswidrigen Beleidigungen nicht. Danach rief der Beschuldigte im Jahr 2003 in zahlreichen Fällen Mitarbeiter des Sozialamts der Stadt Ü. an, beschimpfte wahllos die jeweilige Person , die den Anruf entgegennahm, oder begann laut zu pfeifen. Die Mitarbeiter stellten teilweise den Lautsprecher ihres Telefons an, damit die übrigen Anwesenden mithören konnten; in anderen Fällen legten sie den Hörer neben das Telefon oder pfiffen mit einer Trillerpfeife in den Hörer, um den Beschuldigten zum Schweigen zu bewegen. In vier Fällen, als sich die Mitarbeiterin B. meldete, stöhnte der Beschuldigte in einer Weise ins Telefon, "dass der Eindruck entstand, er onaniere" (UA S. 14/15); zwischendurch äußerte er "fuck you". Die Zeugin hörte sich das Stöhnen einmal vollständig an; in den anderen Fällen legte sie den Hörer auf, als der Beschuldigte zu stöhnen begann. Das Landgericht hat angenommen, der Beschuldigte habe "bewusst zum Ausdruck (gebracht), dass er das sittliche Empfinden der Geschädigten und ihren diesbezüglichen Anerkennungsanspruch auf diesem Niveau ansiedelte" (UA S. 15).
3
Damit ist der Tatbestand der Beleidigung nicht hinreichend festgestellt. Zwar können sexuelle Äußerungen und Ansinnen im Ausnahmefall eine beleidigende Herabsetzung der Person enthalten, der gegenüber sie erfolgen. Hierfür ist aber nicht schon ausreichend, dass die betreffende Person keinen Anlass zu der Annahme gegeben hat, sie sei an solcherlei Kontakten interessiert; Voraussetzung ist vielmehr, dass der Täter selbst das der betroffenen Person angesonnene Verhalten als verwerflich oder ehrenrührig ansieht und durch die Äußerung zum Ausdruck bringen will, dass er dem Tatopfer eine entsprechende verachtenswerte Haltung zu Unrecht unterstellt (vgl. Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 185 Rdn. 11 a m.w.N.). Das Landgericht hat diese Anforderung zwar im Grundsatz nicht verkannt. Es fehlt aber an Anhaltspunkten für seine Annahme , dass die genannten Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben waren. Hiergegen konnten insbesondere die Besonderheiten der Persönlichkeit des Beschuldigten und seiner psychischen Erkrankung sprechen; aber unter Umständen auch der Umstand, dass er die Handlungen wiederholte, obgleich ihm spätestens beim zweiten Mal klar sein musste, dass die Zeugin seine Ansinnen ablehnte; ebenso der Umstand, dass er bei seinen belästigenden Anrufen mög- licherweise wahllos schimpfte, pfiff, drohte oder stöhnte. Der neue Tatrichter wird zur Motivation des Beschuldigten gegebenenfalls weitergehende Feststellungen zu treffen haben.
4
2. Übereinstimmend mit der Bundesanwaltschaft hält der Senat die Feststellungen zur Legalprognose des Beschuldigten für nicht ausreichend. Es ist bislang nicht hinreichend festgestellt, dass von dem Beschuldigten auf Grund seines Zustands die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten ausgeht. Zwar waren die Bedrohungen hier durchaus gravierend und beeinträchtigten die Opfer teilweise nachhaltig. Zu bedenken war aber andererseits, dass es noch nie zu einer Konfrontation zwischen dem Beschuldigten und von ihm bedrohten Personen gekommen ist; der Beschuldigte hat bislang nichts unternommen, um Drohungen in die Tat umzusetzen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen ausgeführt hat, es sei mit Taten wie den begangenen sowie damit zu rechnen, dass der Beschuldigte "nicht nur Drohungen ausspricht , sondern auch - wie zuletzt 2001 - mit Drohungen … Vermögensinteressen durchzusetzen sucht" (UA S. 28), geht auch diese Prognose letztlich nicht über die Annahme verbaler Aggressionen hinaus; die vom Landgericht erwähnte Tat vom Frühjahr 2001, bei welcher der Beschuldigte vielfach telefonisch von einem Priester, den er zunächst um 150,--DM gebeten hatte, 1.000 DM, 3.000 DM oder 50.000 DM mit der Drohung verlangte, ihn ansonsten "in einer Minute" zu töten, erscheint als Indiz für sich allein nicht tragfähig, da auch hier offenbar der Aspekt des wahllosen Schimpfens sowie des Aussprechens sexualbezogener Worte und Redewendungen im Vordergrund stand.
5
Angesichts des äußerst belastenden Charakters der Unterbringung gemäß § 63 StGB müssen die Anforderungen an die Prognose hoch sein. Die Wahrscheinlichkeit von Lästigkeiten oder Straftaten geringeren Gewichts reicht nicht aus. Auch das Bedürfnis oder das Erfordernis, einen schuldunfähigen Be- schuldigten zu heilen, rechtfertigt eine Unterbringung nur dann, wenn die Erwartung erheblicher Straftaten von den Feststellungen hinreichend getragen wird (vgl. dazu Tröndle/Fischer aaO § 63 Rdn. 17 f. mit Nachw. zur Rechtspr.). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil, auch im Hinblick auf die oben 1) dargelegte Fehlerhaftigkeit bei der Feststellung der Anlasstaten, nicht.
6
3. Entgegen dem Antrag der Bundesanwaltschaft sieht der Senat keinen Anlass, in der Sache selbst zu entscheiden und den Antrag auf Anordnung der Unterbringung zurückzuweisen. Konkretisierte, ernst zu nehmende Bedrohungen mit schweren Verbrechen können im Einzelfall durchaus als erheblich im Sinne von § 63 StGB angesehen werden. Hierzu erscheinen weitere Feststellungen möglich, ebenso zu der Frage, ob konkrete Anhaltspunkte für die Erwartung vorliegen, der Beschuldigte könne die Grenze nur verbaler Aggressionen überschreiten. Es ist nicht fern liegend, dass der neue Tatrichter auch bei Anwendung des zutreffenden Maßstabs zu Feststellungen gelangt, die eine Unterbringung tragen.
7
Damit ist der Antrag der Bundesanwaltschaft, die Anordnung der einstweiligen Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 126 Abs. 3 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 StPO aufzuheben, gegenstandslos. Otten Rothfuß Fischer Roggenbuck Appl
6
c) Davon abgesehen könnte der Senat den Maßregelausspruch aber auch deshalb nicht bestätigen, weil entgegen der Auffassung des Landgerichts angesichts der dem absoluten Bagatellbereich zuzuordnenden, dem Angeklagten hier angelasteten Taten die Verhältnismäßigkeit der Maßregel im Sinne des § 62 StGB nicht mehr gewahrt ist. Das könnte anders zu sehen sein, wenn der Angeklagte bei den hier abgeurteilten Taten nur durch äußere, von ihm unabhängige Umstände an gravierenden Übergriffen gegenüber der Geschädigten oder ihrer Familie gehindert worden wäre. Dafür, dass es sich so verhält, lässt sich den Feststellungen aber nichts entnehmen. Die Unverhältnismäßigkeit der Maßregelanordnung wird hier auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Angeklagte nach Auffassung der sachverständig beratenen Strafkammer einer jedenfalls mehrmonatigen stationären psychiatrischen Behandlung bedarf. Denn die strafrechtliche Unterbringung rechtfertigt sich nicht schon allein auf Grund des Bestehens einer fortdauernden psychischen Störung und deren Behandlungsbedürftigkeit (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 63 Rdn. 2).

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 220/13
vom
31. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
und der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Limburg vom 6. August 2012 wird verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) von den Vorwürfen der Verbreitung pornographischer Schriften in acht Fällen, in einem Fall tateinheitlich begangen mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften, in einem weiteren Fall mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften und Verbreitung tierpornographischer Schriften sowie des Besitzes kinderpornographischer Schriften freigesprochen. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt.
2
Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt und auf die umfassende Aufhebung des Urteils gerichtet ist. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen installierte der nicht vorbestrafte Angeklagte auf seinem Rechner ein Tauschbörsenprogramm, das es jedem Nutzer ermöglichte , Dateien von Festplatten anderer Nutzer herunterzuladen. In Kenntnis der Funktionsweise der Tauschbörse lud der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen pornographische und kinderpornographische Bilddateien auf seinen Computer und stellte sie seinerseits auch anderen Nutzern zur Verfügung.
4
Der Angeklagte leidet an einer paranoiden Schizophrenie und damit einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB. Die sachverständig beratene Kammer hat zu Gunsten des Angeklagten angenommen, dass hierdurch bei noch vorhandener Einsichtsfähigkeit seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben war. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht allerdings abgelehnt. Zwar seien infolge seines Zustandes auch in Zukunft weitere erhebliche Straftaten zu erwarten, jedoch fehle es an der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung.
5
2. Diese Bewertung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
6
a) Das Landgericht hat das Vorliegen eines Zustandes im Sinne von § 21 StGB als Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ohne Rechtsfehler angenommen. Insbesondere ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwaltes der erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen der einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallenden Erkrankung des Angeklagten und den von ihm begangenen Taten hinreichend dargelegt. Die Sachverständige, auf die die Strafkammer zur Begründung Bezug nimmt, hat dazu ausgeführt, dass die schizophrene Erkrankung des Angeklagten bezogen auf die ihm zur Last gelegten Taten auf seine Steuerungsfähigkeit einen erheblichen Einfluss habe. Der Angeklagte könne nur erheblich vermin- dert dem Tatanreiz, sich das Bildmaterial im Internet anzusehen bzw. sich dieses herunterzuladen, widerstehen. Dies sei positiv festzustellen. Es sei sogar nicht auszuschließen, dass der Angeklagte im Vergleich mit einem Durchschnittsmenschen bei der Begehung der Tat auch bei Anspannung aller Willenskräfte endgültig nicht mehr in der Lage gewesen sei, der – noch vorhandenen – Unrechtseinsicht zu folgen. Seine Möglichkeiten, dem Tatanreiz zu widerstehen , seien angesichts der leichten Zugänglichkeit des Bildmaterials im anonymen Internet "kaum vorhanden … wahrscheinlich sogar nicht vorhanden."
7
Aus diesen Darlegungen ergibt sich – wie für § 63 StGB erforderlich (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 63 Rn. 5 mN) – eine sicher erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten. Auch wird ausreichend deutlich, wie sich die Erkrankung des Angeklagten in den jeweiligen Tatsituationen auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum seine Taten auf den festgestellten psychischen Zustand zurückzuführen sind (zu diesem Erfordernis Senat NStZRR 2011, 241, 242; 2012, 306, 307). Dabei hat das Landgericht auch bedacht, dass die Erkrankung des Angeklagten ohne ausgeprägte oder akute psychotische Symptome verlaufen ist (UA 16).
8
b) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB ist rechtsfehlerfrei begründet. Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten künftig erhebliche Taten im Sinne der Vorschrift zu erwarten sind, weil der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornographie dem mittleren Bereich der Kriminalität zuzuordnen ist.
9
Dass es gleichwohl die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung verneint hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben (vgl. BT-Drucks. V/4094 S. 17). Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet , dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 789/13). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 – 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.
10
Die nach diesen Maßstäben vorzunehmende Abwägung durch das Landgericht lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat – wie bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung geboten – die von dem Angeklagten drohenden Straftaten, die konkreten Auswirkungen der Unterbringung, seine Persönlichkeit sowie seine Lebensumstände in Beziehung gesetzt. Es hat dabei insbesondere erwogen, dass eine psychiatrische stationäre Behandlung zu keiner Verbesserung seines derzeitigen – ärztlich ambulant erschöpfend behandelten – Zustandes führen könnte. Deshalb würde die Unterbringung nach § 63 StGB für ihn bedeuten, dass er für einen unbefristeten Zeitraum in einem psychiatrischen Krankenhaus seiner Freiheit entzogen wäre. Hierdurch wäre das in Freiheit geordnete Leben des psychisch erkrankten Angeklagten, der sich der zivilrechtlichen Betreuung unterstellt und sich als absprachefähig erwiesen hat, zerstört.
11
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwaltes hat das Landgericht dabei auch den Schutzzweck des Verbreitens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB nicht verkannt. Dies liegt bereits deshalb fern, weil das Landgericht bei der Erörterung der Erheblichkeit der von dem Angeklagten zu erwartenden Taten ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass jeder, der Kinderpornographie besitzt und diese verbreitet, für Nachfrage sorgt und damit mittelbar den sexuellen Missbrauch von Kindern fördert. Soweit die Strafkammer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung darauf hinweist, dass der Angeklagte durch die von ihm verwirklichten Straftatbestände den sexuellen Missbrauch von Kindern nicht unmittelbar gefördert hat, weil er weder aktiv auf die Fertigung von Bildern hingewirkt, noch unmittelbaren Kontakt zu Anderen aufgenommen habe, und eine Steigerung seiner Handlungen nicht zu erwarten sei, liegt hierin auch kein Widerspruch. Vielmehr geht es dem Landgericht insoweit ersichtlich darum, die der Allgemeinheit durch derartige Straftaten generell drohende Gefahr einer konkreten, auf die Person des Angeklagten und seine Lebensumstände bezogenen Betrachtung zu unterziehen. Dies ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur rechtlich zulässig , sondern geboten.
12
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung einer Unterbringung zur Bewährung (§ 67b StGB) nicht vorliegen, weil die im Falle des Angeklagten allein in Betracht kommende Weisung, in einer Wohngruppe zu leben, aufgrund seiner Erkrankung ungeeignet ist, künftig entsprechenden Straftaten entgegenzuwirken. Allerdings kann der Versuch erfolgversprechend sein, die von dem Angeklagten ausgehende Gefahr durch andere im Urteil erörterte Maßnahmen, insbesondere durch Leitung seines Betreuers, abzuwenden.
Fischer Appl Schmitt Ott Zeng
17
aa) Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477f.). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, R & P 2008, 226, 227; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 25 mwN.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer
5 StR 215/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2007

beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. November 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zur rechtswidrigen Tat; insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die jetzt 29-jährige Angeklagte vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen den Maßregelausspruch gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge, wie aus dem Tenor ersichtlich, weitgehend Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich die Angeklagte am 14. Juni 2004 am Backstand auf dem Bürgersteig vor einem Spar-Markt auf, obwohl ihr drei Monate zuvor ein Hausverbot für diese Filiale einschließlich der Stehtische vor dem Backstand erteilt worden war. Sie bedrängte die dort anwe- senden Kunden, ihr Geld oder Alkohol zu schenken. Da sie wiederholte Aufforderungen , sich zu entfernen, nicht befolgte, wurde schließlich die Polizei eingeschaltet, die sie des Backstands verwies. Gleichwohl kehrte die Angeklagte zurück und setzte ihr störendes Verhalten fort. Sie wurde deshalb wiederholt von einer Mitarbeiterin des Spar-Marktes, der Zeugin K. , aufgefordert , den Backstand zu verlassen. Diesen Aufforderungen kam die Angeklagte jeweils nur kurzfristig nach, um sodann erneut an den Stehtischen zu betteln. Die Zeugin ergriff nunmehr einen Eimer und begoss die Angeklagte mit Wasser. Daraufhin schlug die Angeklagte eine mitgeführte gefüllte Bierflasche gegen den Hinterkopf der Zeugin. Diese erlitt ein Schädelhirntrauma und eine blutende Platzwunde am Hinterkopf; sie war sechs Monate arbeitsunfähig krank.
3
Die Angeklagte war zuvor im Jahre 2003 wegen Vollrauschs und im Januar 2004 unter anderem wegen Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen verurteilt worden. Bei der im Januar 2004 abgeurteilten Tat ging es um mehrere Faustschläge, welche die Angeklagte einer Passantin in das Gesicht versetzt hatte. Das Verfahren wegen einer im Januar 2005 begangenen Tat hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die vorliegende Sache vorläufig eingestellt. Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte anlässlich einer vorläufigen Festnahme eine Polizeibeamtin in der Weise misshandelte, dass sie mehrfach heftig an deren Haaren zog, bis die Frau zu Boden fiel. In dem anschließenden Handgemenge erlitt die Beamtin Verletzungen im Gesicht, an der Schulter und an den Knien.
4
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft, dass die Angeklagte an einer chronischen paranoid -halluzinatorischen Psychose leidet und die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat. Aufgrund ihres Zustands sei zu befürchten, dass sie unter dem Einfluss eines weiteren Schubs ihrer seelischen Erkrankung erneut eine aggressive Handlung begehe und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
5
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert die hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn – im Blick auf § 62 StGB – die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Darüber hinaus kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur dann in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen keinen ausreichenden zuverlässigen Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters bieten. Dies ergibt sich aus dem – im gesamten Maßregelrecht geltenden und aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Übermaßverbots abgeleiteten – Subsidiaritätsprinzip (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. vor § 61 Rdn. 58 ff., § 63 Rdn. 82 ff.).
7
Dass die hier vorliegende Körperverletzung erheblich ist, steht außer Frage, wobei allerdings zu bedenken ist, dass diese etwa zweieinhalb Jahre vor der Aburteilung begangene Tat eine Reaktion auf einen überraschenden und zumindest aus Sicht der Angeklagten unberechtigten Angriff war. Die vor und nach der Anlasstat bis Anfang 2005 begangenen rechtswidrigen Handlungen bewegen sich dagegen eher im unteren bis mittleren Bereich der denkbaren Begehungsformen. Im Rahmen der Prognoseprüfung hätte weiter berücksichtigt werden müssen, dass sich die Angeklagte trotz des seit 2001 andauernden Krankheitsprozesses immer wieder für längere Zeiten beanstandungsfrei gehalten hat. Für die Frage der Prognose ist insoweit auch von Bedeutung, in welchen Rahmenbedingungen die Angeklagte in diesen straf- freien Zeiten lebte. Namentlich im Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität hätte sich die Strafkammer auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Gefährlichkeit der Beschuldigten durch andere Maßnahmen vertretbar abgemildert werden kann. Hier wäre die Möglichkeit zu erörtern gewesen, ob in einer anderweitigen Einbindung der Beschwerdeführerin, insbesondere der Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB, eine Chance liegt, die Gefährlichkeit erheblich zu verringern.
8
Die Frage der Unterbringung bedarf deshalb der nochmaligen Prüfung und Entscheidung. Dabei wird insbesondere auch zu beachten sein, wie sich die Angeklagte in der einstweiligen Unterbringung bisher verhalten hat. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wird er auch prüfen müssen, ob die Vollstreckung der Unterbringung nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Basdorf Gerhardt Raum Schaal Jäger

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 - StVK 559/11 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 - 1 Ws 337/11 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 - 1 Ws 337/11 - wird aufgehoben. Damit ist der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 9. Dezember 2011 - 1 Ws 337/11 - gegenstandslos. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

I.

2

1. a) Mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. August 2006 wurde der Beschwerdeführer von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung, der Freiheitsberaubung sowie der Sachbeschädigung freigesprochen. Zugleich wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

3

Das Landgericht sah folgende Sachverhalte als erwiesen an:

4

aa) Am 12. August 2001 habe der Beschwerdeführer seine damalige Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung grundlos mindestens 20 Mal mit den Fäusten auf den gesamten Körper geschlagen. Außerdem habe er sie derart kräftig in den Arm gebissen, dass von der blutenden Wunde eine sichtbare Narbe zurückgeblieben sei, und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Als sie wehrlos auf dem Boden gelegen habe, habe er ihr mindestens dreimal mit den Füßen, an denen er kein festes Schuhwerk, sondern Hausschuhe oder Mokassins getragen habe, gegen die untere Körperhälfte getreten.

5

bb) Nachdem die Ehefrau des Beschwerdeführers im Mai 2002 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen gewesen sei, sei sie am 31. Mai 2002 in Begleitung einer Freundin, die vor der Haustür gewartet habe, zu der Wohnung zurückgekehrt, um einige persönliche Sachen zu holen. Der dort anwesende Beschwerdeführer habe sich sofort aggressiv verhalten, indem er sie auf ein Bett geworfen und dort festgehalten habe. Sodann habe er sie für etwa eineinhalb Stunden daran gehindert, die Wohnung wieder zu verlassen. Erst als die Freundin an der Haustür geklingelt habe, sei der Ehefrau des Beschwerdeführers die Flucht gelungen.

6

cc) In der Zeit vom 31. Dezember 2004 bis 1. Februar 2005 habe der Beschwerdeführer mehrere Kraftfahrzeuge verschiedener Personen beschädigt, die in irgendeiner Weise mit seiner damals bereits von ihm geschiedenen Ehefrau befreundet oder mit dem Scheidungs-, dem Straf- oder Vollstreckungsverfahren gegen den Beschwerdeführer befasst gewesen seien. Er habe Reifen zerstochen oder Scheiben zerkratzt. Hierbei habe er dafür gesorgt, dass die Geschädigten dadurch in gefährliche Situationen geraten seien, dass sie die Schäden an den Reifen aufgrund des langsamen Entweichens der Luft nicht sofort, sondern erst nach einiger Fahrtzeit bemerkt hätten.

7

Im Rahmen der Urteilsgründe führte das Landgericht Nürnberg-Fürth aus, der Beschwerdeführer habe zwar den objektiven Tatbestand der angeklagten Straftatbestände erfüllt. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass er zu den Tatzeitpunkten schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen sei. Wie sich aus dem eingeholten Sachverständigengutachten ergebe, leide der Beschwerdeführer an einer paranoiden Wahnsymptomatik, die sein Denken und Handeln zunehmend bestimme. Auch in der Hauptverhandlung habe sich die wahnhafte Gedankenwelt des Beschwerdeführers vor allem in Bezug auf den "Schwarzgeldskandal" der HypoVereinsbank bestätigt. Unabhängig davon, ob es Schwarzgeldverschiebungen gegeben habe, sei es wahnhaft, dass der Beschwerdeführer fast alle Personen, mit denen er zu tun habe, mit diesem Skandal in Verbindung bringe und alle erdenklichen Beschuldigungen gegen diese Personen äußere.

8

Da von dem Beschwerdeführer weitere rechtswidrige Taten zu erwarten seien, sei seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB geboten. Nicht nur die Taten zum Nachteil der geschiedenen Ehefrau des Beschwerdeführers stellten erhebliche rechtswidrige Taten dar, sondern auch die Sachbeschädigungen, da durch die Tatausführung eine konkrete Gefährdung des jeweiligen Fahrzeugnutzers hervorgerufen worden sei. Der Beschwerdeführer sei für die Allgemeinheit gefährlich, da er immer mehr Personen, die in keiner persönlichen Beziehung zu ihm stünden, in seine (Wahn-)Vorstellungen einbeziehe.

9

b) Nach vorangegangener vorläufiger Unterbringung gemäß § 126a StPO seit dem 27. Februar 2006 wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers ab dem 13. Februar 2007 - zuletzt im Bezirkskrankenhaus Bayreuth - vollzogen.

10

2. Mit angegriffenem Beschluss vom 9. Juni 2011 ordnete das Landgericht Bayreuth die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an, da nicht zu erwarten sei, dass dieser außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Den Antrag auf Einholung eines "Obergutachtens" lehnte das Landgericht ab.

11

Der Sachverständige Prof. Dr. Pfäfflin komme im Rahmen des eingeholten externen Sachverständigengutachtens vom 12. Februar 2011 zu dem Ergebnis, dass die Einweisungsdiagnose einer wahnhaften Störung aktuell fortbestehe. Der Sachverständige Prof. Dr. Pfäfflin habe das Ergebnis seines Gutachtens im Rahmen einer mehrstündigen mündlichen Anhörung am 9. Mai 2011 überzeugend erläutert und ergänzt. Die Gedanken des Beschwerdeführers kreisten um einen "fernen Punkt von Unrecht", das sich in der Welt ereigne. Dieser Gedanke stelle den Kristallationspunkt der wahnhaften Störung dar. Die Gedanken des Beschwerdeführers würden sich dahingehend ausweiten, dass er gefoltert werde, dass sich alles gegen ihn verschworen habe und er sich in vielfältiger Weise verfolgt fühle. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Anlasstaten losgelöst von der sonstigen Persönlichkeit des Beschwerdeführers begangen worden seien und dass andererseits eine therapeutische Aufarbeitung der Taten bislang nicht stattgefunden habe, halte der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit künftiger - den Anlasstaten vergleichbarer - Taten, auch gegenüber bis dahin nicht beteiligten Personen, für sehr hoch. Dieser Einschätzung schließe sich die Strafvollstreckungskammer an.

12

Die behandelnde Klinik, das Bezirkskrankenhaus Bayreuth, habe sich in ihrer aktuellen Stellungnahme vom 20. April 2011 der Einschätzung des Sachverständigen angeschlossen und mitgeteilt, dass eine therapeutische Aufarbeitung nach wie vor nicht stattgefunden habe. Es sei nicht zu einer Veränderung des Krankheitsbildes bei dem Beschwerdeführer gekommen und es hätten auch keine Fortschritte in Richtung eines Einstiegs in eine adäquate psychiatrische Behandlung erzielt werden können.

13

Hinsichtlich der Diagnose einer wahnhaften Störung sei festzustellen, dass diese durchgehend in den Gutachten der Sachverständigen Dr. Leipziger (2005), Prof. Dr. Kröber (2008) und Prof. Dr. Pfäfflin (2011) wie auch durch das behandelnde Bezirkskrankenhaus Bayreuth gestellt worden sei. Die Gutachter seien dem Landgericht teilweise seit Jahren als kompetent, gewissenhaft und zuverlässig bekannt, so dass an deren Sachkunde keine Zweifel bestünden.

14

Ein durch den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger vorgelegtes Privatgutachten des Gutachters Dr. Weinberger vom 29. April 2011 führe zu keiner anderen Bewertung der Sach- und Rechtslage. Das Gutachten lasse nahezu durchgängig die gebotene objektive Distanz zu Person und Schicksal des Beschwerdeführers vermissen. Es sei auch nicht geeignet, Zweifel an den Einschätzungen des Sachverständigen Prof. Dr. Pfäfflin zu wecken mit der Folge, dass es auch der Einholung eines "Obergutachtens" nicht bedurft habe.

15

Der weitere Vollzug der Maßregel sei im Hinblick auf die Anlasstat der gefährlichen Körperverletzung (Würgen bis zur Bewusstlosigkeit) auch verhältnismäßig.

16

3. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht Bamberg mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 26. August 2011 als unbegründet.

17

a) Das Landgericht Bayreuth habe zu Recht die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, da zum jetzigen Zeitpunkt nicht davon ausgegangen werden könne, dass dieser bei einer Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.

18

Der Sachverständige Prof. Dr. Pfäfflin stelle in seinem überzeugenden Gutachten ausführlich begründet dar, dass der Beschwerdeführer bei Fortbestehen der Einweisungsdiagnose einer wahnhaften Störung keinen Zugang zu seiner eigenen Aggressivität finde und daher gefährdet sei, erneut vergleichbar gefährliche Handlungen vorzunehmen.

19

Diesen Ausführungen schließe sich die ebenfalls überzeugende, ausführliche Stellungnahme des behandelnden Bezirkskrankenhauses vom 20. April 2011 an. Der Beschwerdeführer sehe sich nach wie vor als Opfer und halte an seinen "Verschwörungstheorien" fest. Es gelinge nicht, mit dem Beschwerdeführer in einen konstruktiven Dialog über therapeutische Zielsetzungen des Aufenthalts zu treten. Er nehme nicht am therapeutischen Angebot teil und zeige sich in sozialen Kontakten kaum kompromissfähig und provozierend. Eine Deliktsaufarbeitung sei nicht möglich, da der Beschwerdeführer nach wie vor die Begehung der dem Ausgangsurteil zugrundeliegenden Straftaten bestreite. Einem medikamentösen Behandlungsversuch stehe der Beschwerdeführer, der sich psychisch für völlig gesund halte, rigoros ablehnend gegenüber.

20

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sei das Landgericht Bayreuth zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass von dem Beschwerdeführer weitere, den Anlasstaten vergleichbare Taten zu erwarten seien, wobei die insofern bestehende Gefahr - entsprechend den Ausführungen des beauftragten Sachverständigen - als sehr hoch zu beurteilen sei.

21

b) Im Hinblick darauf, dass unter den Anlasstaten auch eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der früheren Ehefrau des Beschwerdeführers zu finden sei, die mit erheblicher Aggressivität und Brutalität begangen worden sei, und ähnliche Taten erneut drohten, sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch unter Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Unterbringung weiter gewahrt. Insbesondere derartige Körperverletzungshandlungen seien Taten, die zu einer massiven Beeinträchtigung eines hochwertigen Rechtsgutes, nämlich der körperlichen Unversehrtheit, führten und gleichzeitig ein erhebliches Gefahrenpotential für das Leben des Tatopfers beinhalteten. Selbst wenn sich die Aggressivität des Beschwerdeführers nur gegen einzelne Personen richte und nur insofern Straftaten drohten, sei gleichwohl eine Gefährdung der Allgemeinheit anzunehmen, weil auch diese einzelnen Personen Teile der Allgemeinheit seien und in vollem Umfang geschützt werden müssten.

22

4. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht Bamberg mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 9. Dezember 2011 zurück. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sei nicht erfolgt. Eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers habe stattgefunden. Soweit dieses im Rahmen des angegriffenen Beschlusses nicht in Bezug genommen worden sei, sei das Vorbringen nicht maßgebend für die Entscheidung gewesen.

23

5. Mit Beschluss vom 6. August 2013 hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer angeordnet, da das die Verletzungen seiner Ehefrau ausweisende ärztliche Attest vom 3. Juni 2002 als "unechte Urkunde" im Sinne des § 359 Nr. 1 StPO anzusehen sei. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer aus dem Vollzug der Unterbringung entlassen.

II.

24

Der Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in seinen Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

25

1. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG liege vor, da die Voraussetzungen für die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht mehr vorlägen.

26

a) Der Beschwerdeführer leide nicht an einem Wahn, wie sich eindeutig aus dem durch den Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten des Dr. Weinberger vom 29. April 2011 ergebe. Ein Wahn könne nicht angenommen werden, solange die Aussagen des Beschwerdeführers nicht auf deren Wahrheitsgehalt hin überprüft worden seien. Eine solche Überprüfung habe aber nicht stattgefunden.

27

b) Zudem könnten auch die Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. Pfäfflin zu der Gefährlichkeitsprognose nicht die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung rechtfertigen. Dieser habe in seinem schriftlichen Gutachten lediglich ausgeführt, dass die Begehung weiterer Straftaten entsprechend den Anlasstaten "möglich erscheine". Erst im Anhörungstermin habe er diese Einschätzung abgeändert und ausgeführt, dass er die Wahrscheinlichkeit der Begehung vergleichbarer Taten für "sehr hoch" halte. Dieser abrupte Wechsel der Einschätzung ohne substantiierte Begründung führe dazu, dass das Gutachten nicht als Grundlage der Fortdauerentscheidung herangezogen werden könne.

28

c) Schließlich liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Das Oberlandesgericht Bamberg verkenne das Gebot der Verhältnismäßigkeit in mehrfacher Hinsicht. Der Beschwerdeführer habe bis zu seinem der Anlassverurteilung zugrundeliegenden Fehlverhalten ein tadelloses Leben geführt. Die Körperverletzungshandlung zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau sei eine Beziehungstat gewesen, die sich im Jahr 2001 ereignet habe und damit bereits zwölf Jahre zurückliege. Mit einer Wiederholung sei nicht zu rechnen, zumal die Ehe zwischenzeitlich geschieden sei. Zudem könne mit Auflagen sichergestellt werden, dass der Beschwerdeführer sich seiner Exfrau nicht mehr annähere. Allein die Sachbeschädigungen rechtfertigten nicht die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung, da diese in keinerlei Relation zu der Schwere des mit der weiteren Unterbringung verbundenen Eingriffs in die Freiheit des Beschwerdeführers stünden.

29

2. Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor, da eine zureichende Auseinandersetzung mit dem durch den Beschwerdeführer vorgelegten Gutachten des Dr. Weinberger vom 29. April 2011 sowie einem bereits älteren Gutachten aus dem Jahr 2007 nicht erfolgt sei. Zudem hätten sich weder das Landgericht Bayreuth noch das Oberlandesgericht Bamberg mit den Rügen des Beschwerdeführers im Hinblick auf das eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Pfäfflin hinreichend auseinandergesetzt.

III.

30

1. a) Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Weder das Landgericht Bayreuth noch das Oberlandesgericht Bamberg hätten im Rahmen der angegriffenen Beschlüsse Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers verkannt. Die Gerichte hätten - nach Einholung eines externen Sachverständigengutachtens - ausgeführt, dass derzeit die Wahrscheinlichkeit, dass es zu vergleichbaren Taten wie den Anlasstaten, insbesondere massiven Körperverletzungshandlungen, komme, sehr hoch sei. Es sei daher sowohl die Art der zu erwartenden Straftaten als auch der Grad der Wahrscheinlichkeit ihres erneuten Eintritts konkretisiert worden. Darüber hinaus hätten sich die Gerichte auch mit der gestellten Diagnose auseinandergesetzt und Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung getätigt. Das eingeholte externe Sachverständigengutachten entspreche den Anforderungen, die an derartige Gutachten zu stellen seien, und die Gerichte seien ihrer richterlichen Kontrollpflicht nachgekommen, indem sie die maßgeblichen Wertungen des Gutachtens aufgrund eigener Wertungen hinterfragt hätten. Obwohl die Unterbringung des Beschwerdeführers im Jahr 2011 bereits fünf Jahre angedauert habe, könne ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht festgestellt werden, da die weiterhin zu erwartenden gefährlichen Körperverletzungshandlungen zu einer massiven Beeinträchtigung eines hochwertigen Rechtsgutes, nämlich der körperlichen Unversehrtheit, führten und der Beschwerdeführer nach wie vor keinerlei Zugang zu seiner eigenen Aggressivität gefunden habe.

31

b) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für aussichtsreich. Die Begründung der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung durch den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 werde den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Darlegungs- und Begründungsanforderungen nicht gerecht.

32

Es fehle an einer hinreichenden Darlegung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr. Das Oberlandesgericht Bamberg beschränke sich in der Begründung im Wesentlichen auf die bloße Mitteilung, dass vom Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten drohten. Weder die pauschal in Bezug genommene Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses Bayreuth noch das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Pfäfflin seien jedoch für sich genommen oder in der Gesamtschau geeignet, die angenommene Gefahr der Begehung neuer erheblicher Straftaten zu qualifizieren oder zu quantifizieren. Aufgrund der unterschiedlichen Angaben des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten und in der mündlichen Anhörung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher Straftaten habe es einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Gutachten bedurft, die nicht erfolgt sei. Mit den in dem Gutachten erwähnten Anhaltspunkten, die gegen eine aktuelle erhebliche Gefährlichkeit des Beschwerdeführers sprächen, setze sich das Oberlandesgericht nicht auseinander. Schließlich fehle es auch an auf den konkreten Fall bezogenen Darlegungen, welche Art rechtswidriger Taten von dem Beschwerdeführer drohten, wie hoch das Maß der Gefährdung einzuschätzen sei (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukomme.

33

Überdies genüge der Beschluss des Oberlandesgerichts nicht den Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz habe nähere Erörterungen zur bisherigen Dauer der Freiheitsentziehung und zum zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers ebenso nahegelegt wie Erwägungen dazu, ob der Schutz der Allgemeinheit durch weniger belastende Maßnahmen erreicht werden könne. Sämtliche Gesichtspunkte seien jedoch unerwähnt geblieben.

34

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 802 VRs 4743/03 der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vorgelegen.

B.

35

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

36

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer aufgrund des Wiederaufnahmebeschlusses des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. August 2013 zwischenzeitlich aus dem Maßregelvollzug entlassen wurde. Denn die angegriffenen Entscheidungen waren Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 128, 326 <389>). Der Beschwerdeführer hat daher ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung und gegebenenfalls einer hierauf bezogenen Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Grundrechtseingriffs durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 9, 89 <92 ff.>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; 91, 125 <133>; 104, 220 <234 f.>).

II.

37

Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 und des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus ergeben, nicht genügen.

38

1. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann "die Freiheit der Person" und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

39

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen. Das gilt auch für die Regelung der Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>).

40

b) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>).

41

Erst eine hinreichende Tatsachengrundlage setzt den Richter in den Stand, darüber zu entscheiden, ob die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fortzusetzen, zur Bewährung auszusetzen (§ 67d Abs. 2 StGB) oder für erledigt zu erklären (§ 67d Abs. 6 StGB) ist. Nur auf dieser Grundlage kann er die von ihm geforderte Prognose künftiger Straffälligkeit stellen sowie die Verantwortbarkeit einer Erprobung des Untergebrachten in Freiheit und die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Unterbringung prüfen.

42

Im Rahmen des "Gebotes der bestmöglichen Sachaufklärung" besteht bei Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt in Sonderheit dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>). Dabei hat der Strafvollstreckungsrichter die Aussagen oder Gutachten des Sachverständigen selbstständig zu beurteilen. Er darf die Prognoseentscheidung nicht dem Sachverständigen überlassen, sondern hat diese selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 58, 208 <223>; 70, 297 <310>).

43

c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden (vgl. BVerfGE 70, 297 <311>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 <312 f.>).

44

Abzustellen ist auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin "erheblich" im Sinne des § 63 StGB sein.

45

Die Beurteilung hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; die Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten sind zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit der Anordnung der Maßregel veränderten Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind (vgl. BVerfGE 70, 297 <314 f.>; BVerfGK 16, 501 <506>).

46

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es zudem, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur so lange zu vollstrecken, wie der Zweck der Maßregel dies unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung den Untergebrachten weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann es daher auf die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 3 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (vgl. §§ 68a, 68b StGB), insbesondere also die Tätigkeit eines Bewährungshelfers und die Möglichkeit bestimmter Weisungen, ankommen (vgl. BVerfGE 70, 297 <313 f.>).

47

Da es sich bei der Gesamtwürdigung der für die Frage der Aussetzung (§ 67d Abs. 2 StGB) maßgeblichen Umstände um eine wertende Entscheidung unter Prognosegesichtspunkten handelt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrundegelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen, insbesondere Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkennen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges. Der im Einzelfall unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und deren Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 70, 297 <315>).

48

d) Das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wirkt sich bei langdauernden Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auch auf die an die Begründung einer Entscheidung nach § 67d Abs. 2 StGB zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem immer stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist mithin vor allem die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus. Bleibt das Bemühen des Richters um Zuverlässigkeit der Prognose trotz Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnismittel mit großen Unsicherheiten behaftet, so hat auch dies Eingang in seine Bewertung zu finden (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, NStZ-RR 2013, S. 72).

49

Genügen die Gründe einer Entscheidung über die Fortdauer einer bereits außergewöhnlich lange währenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus diesen Maßstäben nicht, so führt dies dazu, dass die Freiheit der Person des Untergebrachten auf solcher Grundlage nicht rechtmäßig eingeschränkt werden kann; sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist verletzt, weil es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage für die Unterbringung fehlt (vgl. BVerfGE 70, 297 <316 f.>).

50

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben sind die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 sowie des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 nicht zu vereinbaren. Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Es fehlt bereits an der im Rahmen des verfassungsrechtlich Gebotenen ausreichenden Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr künftiger rechtswidriger Taten (a). Den Beschwerdeführer entlastende Umstände finden im Rahmen der notwendigen Prognoseentscheidung keine erkennbare Berücksichtigung (b). Daneben wird in den angegriffenen Beschlüssen nicht ausreichend dargelegt, dass die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das angesichts der Dauer der Unterbringung zunehmende Gewicht seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag (c). Schließlich fehlt auch eine Befassung mit der Frage, ob dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit nicht auch durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen Rechnung hätte getragen werden können (d).

51

a) Die angegriffenen Beschlüsse genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine nachvollziehbare Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr nicht.

52

aa) Das Landgericht beschränkt sich im Rahmen der Gefahrenprognose auf den Hinweis, der Sachverständige habe im Termin zur mündlichen Anhörung - in Übereinstimmung mit den Vorgutachtern - ausgeführt, dass er im derzeitigen Stadium (d.h. ohne therapeutische Bearbeitung der Anlasstaten) die Wahrscheinlichkeit, dass es zu vergleichbaren Taten - auch gegenüber bis dahin nicht beteiligten Personen - kommen könnte, für sehr hoch halte. Daraus ergebe sich, dass im Falle der Entlassung die Begehung neuer rechtswidriger Taten zu erwarten sei.

53

Dem Erfordernis, die Art und den Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers eigenständig zu bestimmen und nachvollziehbar darzulegen, ist damit nicht Rechnung getragen. Das Landgericht setzt sich nicht damit auseinander, dass die Darlegungen des Sachverständigen zur Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten im schriftlichen Gutachten vom 12. Februar 2011 und in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 voneinander abweichen. In seinem schriftlichen Gutachten legt der Sachverständige dar, dass sich die Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten nicht sicher quantifizieren lasse. Da der Beschwerdeführer keinen Zugang zu seiner eigenen Aggressivität habe, sei er gefährdet, erneut vergleichbare Handlungen vorzunehmen. Es liege die Annahme nahe, dass der Beschwerdeführer "womöglich wieder den im Einweisungsurteil genannten Taten vergleichbare Taten begehen" werde. Demgegenüber erklärte der Sachverständige in der mündlichen Anhörung, er habe im Gutachten "vielleicht eine etwas zu weiche Formulierung" gewählt. Berücksichtige man, dass die Anlasstaten losgelöst von der sonstigen Persönlichkeit des Beschwerdeführers begangen worden seien und dass andererseits eine therapeutische Bearbeitung nicht stattgefunden habe, halte er die Wahrscheinlichkeit vergleichbarer Taten für sehr hoch.

54

Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Einschätzungen durfte das Landgericht sich nicht auf eine bloße Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung vom 9. Mai 2011 beschränken. Es hätte vielmehr unter Berücksichtigung weiterer Hinweise des Sachverständigen und sonstiger Umstände des vorliegenden Falles (siehe sogleich unten b) und c) diese Einschätzungen gegeneinander abwägen und eine eigenständige Prognoseentscheidung treffen müssen. Im Rahmen einer solchen eigenständigen Bewertung hätte es darlegen müssen, welche Straftaten konkret von dem Beschwerdeführer zu erwarten sind, warum der Grad der Wahrscheinlichkeit derartiger Straftaten sehr hoch ist und auf welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen sich diese Prognose gründet. Diesen zur Rechtfertigung des Eingriffs in das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers verfassungsrechtlich gebotenen Begründungsnotwendigkeiten trägt der Beschluss des Landgerichts nicht Rechnung.

55

bb) Nichts anderes gilt im Ergebnis für den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. August 2011. Dieser nimmt auf das schriftliche Sachverständigengutachten Bezug, aus dem sich gerade keine sehr hohe Wahrscheinlichkeit künftiger rechtswidriger Taten ergibt. Soweit das Oberlandesgericht ergänzend auf die Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses Bayreuth, in dem der Beschwerdeführer untergebracht war, Bezug nimmt, rechtfertigt dies keine andere Einschätzung, da diese Stellungnahme sich im Wesentlichen auf das Vollzugsverhalten, das als uneinsichtig, kaum kompromissfähig, provozierend und therapieabweisend beschrieben wird, bezieht und daher für die Annahme einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher rechtswidriger Taten des Beschwerdeführers nicht ausreicht. Auch das Oberlandesgericht legt nicht hinreichend dar, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschwerdeführer mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit künftig zu erwarten sind und worauf sich diese Prognoseentscheidung neben der - insoweit unzureichenden - Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten und die Stellungnahme des psychiatrischen Krankenhauses stützt.

56

b) Daneben bleiben im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigende Umstände außer Betracht. So wird im Sachverständigengutachten ausgeführt, dass das Verhalten des Beschwerdeführers sich inzwischen deutlich unauffälliger und angepasster darstelle, als dies zur Zeit seiner ersten Unterbringung der Fall gewesen sei. Er äußere an keiner Stelle konkrete Rachegedanken oder -absichten gegenüber seiner Frau oder anderen Personen, sondern stelle sein Bedürfnis nach Wahrheit und Gerechtigkeit als sein Hauptanliegen ins Zentrum seiner Ausführungen. Dies spreche dafür, dass die Jahre der Unterbringung nicht spurlos an ihm vorübergegangen seien. Gewährte Lockerungen seien ohne Beanstandungen verlaufen. Anhaltende wahnhafte Störungen könnten zwar, müssten aber nicht in (erneute) rechtswidrige gefährliche Handlungen münden. Empirisch abgesicherte Daten zu entsprechenden Rückfallhäufigkeiten lägen nicht vor. Zu diesen Umständen, die bei der Bestimmung des Risikos künftiger rechtswidriger Taten hätten berücksichtigt werden müssen, verhalten sich die angegriffenen Beschlüsse nicht.

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c) Die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers wird sowohl vom Landgericht als auch vom Oberlandesgericht ausschließlich mit dem Hinweis auf die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Körperverletzungsdelikte begründet. Das Landgericht verweist darauf, der Beschwerdeführer habe einen anderen Menschen bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Das Oberlandesgericht stellt darauf ab, dass sich unter den Anlasstaten auch Körperverletzungen zum Nachteil der früheren Ehefrau des Beschwerdeführers befänden, die mit erheblicher Aggressivität und Brutalität begangen worden seien. Die Gerichte setzen sich aber nicht damit auseinander, dass es sich bei den in Bezug genommenen Taten um Beziehungstaten handelt, die der Beschwerdeführer vor rund zehn Jahren begangen haben soll, als er noch verheiratet war und mit seiner Ehefrau zusammenlebte. Unerörtert bleibt, ob und gegebenenfalls wie sich die zwischenzeitliche Scheidung und langjährige Trennung des Beschwerdeführers von seiner früheren Ehefrau auf die von ihm ausgehende Gefahr ausgewirkt hat. Auch insoweit hätte es eigenständiger Darlegung bedurft, ob und in welchem Umfang aktuell die Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer im Sinne des § 63 StGB erhebliche Körperverletzungsdelikte zum Nachteil seiner früheren Ehefrau oder sonstiger Personen begehen werde. Damit fehlt es aber bereits an einer zureichenden Grundlage für die Abwägung zwischen den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers. Dass vorliegend die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das aufgrund der Dauer der Unterbringung zunehmende Gewicht seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag, kann den angegriffenen Beschlüssen nicht entnommen werden.

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d) Schließlich verhalten sich die angegriffenen Beschlüsse auch nicht zu der Frage, ob im Falle einer Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit durch Maßnahmen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (§§ 68a, 68b StGB) hinreichend hätte Rechnung getragen werden können.

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3. Ob auch in der Annahme des Fortbestehens einer relevanten psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers und deren Auswirkungen auf etwaig zu erwartende Straftaten ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG liegt, kann vor diesem Hintergrund ebenso dahinstehen wie die Beantwortung der Frage, ob die Gerichte den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt haben. Mit den entsprechenden Rügen verfolgt der Beschwerdeführer kein weitergehendes Anfechtungsziel.

III.

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1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Bamberg zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

61

2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

5 StR 215/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juni 2007

beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. November 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zur rechtswidrigen Tat; insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die jetzt 29-jährige Angeklagte vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen den Maßregelausspruch gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge, wie aus dem Tenor ersichtlich, weitgehend Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen hielt sich die Angeklagte am 14. Juni 2004 am Backstand auf dem Bürgersteig vor einem Spar-Markt auf, obwohl ihr drei Monate zuvor ein Hausverbot für diese Filiale einschließlich der Stehtische vor dem Backstand erteilt worden war. Sie bedrängte die dort anwe- senden Kunden, ihr Geld oder Alkohol zu schenken. Da sie wiederholte Aufforderungen , sich zu entfernen, nicht befolgte, wurde schließlich die Polizei eingeschaltet, die sie des Backstands verwies. Gleichwohl kehrte die Angeklagte zurück und setzte ihr störendes Verhalten fort. Sie wurde deshalb wiederholt von einer Mitarbeiterin des Spar-Marktes, der Zeugin K. , aufgefordert , den Backstand zu verlassen. Diesen Aufforderungen kam die Angeklagte jeweils nur kurzfristig nach, um sodann erneut an den Stehtischen zu betteln. Die Zeugin ergriff nunmehr einen Eimer und begoss die Angeklagte mit Wasser. Daraufhin schlug die Angeklagte eine mitgeführte gefüllte Bierflasche gegen den Hinterkopf der Zeugin. Diese erlitt ein Schädelhirntrauma und eine blutende Platzwunde am Hinterkopf; sie war sechs Monate arbeitsunfähig krank.
3
Die Angeklagte war zuvor im Jahre 2003 wegen Vollrauschs und im Januar 2004 unter anderem wegen Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen verurteilt worden. Bei der im Januar 2004 abgeurteilten Tat ging es um mehrere Faustschläge, welche die Angeklagte einer Passantin in das Gesicht versetzt hatte. Das Verfahren wegen einer im Januar 2005 begangenen Tat hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die vorliegende Sache vorläufig eingestellt. Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte anlässlich einer vorläufigen Festnahme eine Polizeibeamtin in der Weise misshandelte, dass sie mehrfach heftig an deren Haaren zog, bis die Frau zu Boden fiel. In dem anschließenden Handgemenge erlitt die Beamtin Verletzungen im Gesicht, an der Schulter und an den Knien.
4
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung verschafft, dass die Angeklagte an einer chronischen paranoid -halluzinatorischen Psychose leidet und die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat. Aufgrund ihres Zustands sei zu befürchten, dass sie unter dem Einfluss eines weiteren Schubs ihrer seelischen Erkrankung erneut eine aggressive Handlung begehe und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.
5
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert die hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHSt 27, 246, 248; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn – im Blick auf § 62 StGB – die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde. Darüber hinaus kommt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur dann in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen keinen ausreichenden zuverlässigen Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters bieten. Dies ergibt sich aus dem – im gesamten Maßregelrecht geltenden und aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Übermaßverbots abgeleiteten – Subsidiaritätsprinzip (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. vor § 61 Rdn. 58 ff., § 63 Rdn. 82 ff.).
7
Dass die hier vorliegende Körperverletzung erheblich ist, steht außer Frage, wobei allerdings zu bedenken ist, dass diese etwa zweieinhalb Jahre vor der Aburteilung begangene Tat eine Reaktion auf einen überraschenden und zumindest aus Sicht der Angeklagten unberechtigten Angriff war. Die vor und nach der Anlasstat bis Anfang 2005 begangenen rechtswidrigen Handlungen bewegen sich dagegen eher im unteren bis mittleren Bereich der denkbaren Begehungsformen. Im Rahmen der Prognoseprüfung hätte weiter berücksichtigt werden müssen, dass sich die Angeklagte trotz des seit 2001 andauernden Krankheitsprozesses immer wieder für längere Zeiten beanstandungsfrei gehalten hat. Für die Frage der Prognose ist insoweit auch von Bedeutung, in welchen Rahmenbedingungen die Angeklagte in diesen straf- freien Zeiten lebte. Namentlich im Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität hätte sich die Strafkammer auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Gefährlichkeit der Beschuldigten durch andere Maßnahmen vertretbar abgemildert werden kann. Hier wäre die Möglichkeit zu erörtern gewesen, ob in einer anderweitigen Einbindung der Beschwerdeführerin, insbesondere der Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB, eine Chance liegt, die Gefährlichkeit erheblich zu verringern.
8
Die Frage der Unterbringung bedarf deshalb der nochmaligen Prüfung und Entscheidung. Dabei wird insbesondere auch zu beachten sein, wie sich die Angeklagte in der einstweiligen Unterbringung bisher verhalten hat. Sollte der neue Tatrichter wiederum die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wird er auch prüfen müssen, ob die Vollstreckung der Unterbringung nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Basdorf Gerhardt Raum Schaal Jäger

(1) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf zwei Jahre nicht übersteigen. Die Frist läuft vom Beginn der Unterbringung an. Wird vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen, so verlängert sich die Höchstfrist um die Dauer der Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird.

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Gleiches gilt, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung feststellt, dass die weitere Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gericht bestimmten Frist von höchstens sechs Monaten ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 1 Nummer 1 angeboten worden ist; eine solche Frist hat das Gericht, wenn keine ausreichende Betreuung angeboten wird, unter Angabe der anzubietenden Maßnahmen bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung festzusetzen. Mit der Aussetzung nach Satz 1 oder 2 tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, daß der Untergebrachte erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(4) Ist die Höchstfrist abgelaufen, so wird der Untergebrachte entlassen. Die Maßregel ist damit erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(5) Das Gericht erklärt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein. Das Gericht ordnet den Nichteintritt der Führungsaufsicht an, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.