Oberlandesgericht München
Az.: 20 U 1738/15
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am 21.10.2015
74 O 1110/14 LG Landshut
… Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
1) …
- Klägerin und Berufungsklägerin -
2) …
- Klägerin und Berufungsklägerin -
3) …
- Klägerin und Berufungsklägerin -
4) …
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte zu 1 - 4: Rechtsanwälte …
gegen
…
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
wegen Auskunft u. a.
erlässt das Oberlandesgericht München - 20. Zivilsenat - durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht …, die Richterin am Oberlandesgericht … und die Richterin am Oberlandesgericht … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2015 folgendes
Endurteil
1. Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 16. April 2015, Az. 74 O 1110/14, in Ziffer II dahingehend abgeändert, dass
a) festgestellt wird, dass der geltend gemachte Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerinnen in Bezug auf die Schenkungen im notariellen Vertrag vom 27.12.1995 nicht aufgrund des zwischen den Parteien vor dem Landgericht Landshut im Verfahren 72 O 244/13 geschlossenen Vergleichs abgegolten ist.
b) Im Übrigen wird die Klageabweisung zur Leistungsstufe aufgehoben und das Verfahren zur Verhandlung und Entscheidung über die Leistungsstufe gemäß Antrag Ziffer 3 aus der Klageschrift und über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.500,00 € festgesetzt.
Gründe:
I. Die Parteien sind sämtlich Abkömmlinge des am 21. April 2011 verstorbenen Anton G. sen. Dieser wurde von den Klägerinnen zu je 1/4 beerbt. Die übrigen drei Abkömmlinge des Erblassers haben das Erbe ausgeschlagen.
Der Beklagte hat mit seinen in Gütergemeinschaft lebenden Eltern, dem Erblasser und dessen im Jahr 2005 verstorbener Ehefrau, mit notariellem Vertrag des Notars V. vom 27. Dezember 1995 (UrNr. V …43) einen Übergabevertrag (K 1, B 2) geschlossen. Mit diesem haben die Übergeber dem Beklagten das landwirtschaftliche Anwesen Hausnummer 5, J. , gegen in der Urkunde im Einzelnen bestimmte Leistungen überlassen. Mit weiterem notariellem Vertrag vom 21. März 2006 (K 2) hat der Erblasser dem Beklagten das Grundstück Flurnummer …69, Blatt …41, Grundbuch des Amtsgerichts Landshut von J. , übertragen.
In dem zwischen den hiesigen Parteien wegen behauptet vom Beklagten nicht erbrachter Austragsleistungen aus dem Übergabevertrag vom 27. Dezember 1995 geführten Verfahren 72 O 244/13, Landgericht Landshut, haben die Parteien am 14. März 2013 einen Vergleich mit folgendem Inhalt geschlossen:
„1. Der Beklagte zahlt an die Klägerinnen gemeinschaftlich € 9.500,00 ...
2. Mit Zahlung dieses Betrages sind sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche sowie sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem notariellen Vertrag vom 27.12.1995, UrNr. V …43 abgegolten, gleich ob bekannt oder unbekannt.“
Die Klägerinnen haben vor dem Landgericht die Auffassung vertreten, dass ihnen wegen dieser Zuwendungen Auskunfts-, Wertermittlungs- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Beklagten gemäß § 2329 i. V. m. § 2314 Abs. 1 S. 1, S. 2 BGB analog zustehen würden und haben diese - ausdrücklich im Wege der Stufenklage - geltend gemacht. Nach Erhalt der Klageerwiderungsschrift haben sie die Klage hinsichtlich der Auskunftsstufe für erledigt erklärt und die Klage hinsichtlich der Verpflichtung des Beklagten zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und durch Erhebung einer Zwischenfeststellungsklage, dass der behauptete Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht durch Abschluss des Vergleichs im Verfahren 72 O 244/13 abgegolten sei, erweitert.
Der Beklagte hat die gegen ihn gerichtete Klage wegen der von ihm angenommenen Abgeltungswirkung des gerichtlichen Vergleichs und angesichts des von ihm behaupteten geringen Werts des ihm im Jahr 2006 zugewendeten Grundstücks sowie der von den Klägerinnen selbst vom Erblasser erhaltenen Schenkungen für unbegründet erachtet.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.
Mit Endurteil vom 16. April 2015 hat das Landgericht den Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch für erledigt erklärt und die Klage hinsichtlich der beantragten Verurteilung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, der Zwischenfeststellungsklage und der Leistungsstufe abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich angesichts des Wortlauts des Vergleichs eindeutig ergebe, dass die Parteien sämtliche Ansprüche aus dem Übergabevertrag regeln wollten, damit auch die gesetzlichen Pflichtteilsergänzungsansprüche, deren Grundlage die Übergabe war. Da die Klägerinnen den vom Beklagten genannten Wert des im Jahr 2006 übergebenen Grundstücks nicht bestritten hätten ebensowenig wie die von ihm vorgetragenen Zuwendungen an sie, ergebe sich rechnerisch kein Zahlungsanspruch mehr.
Die Klägerinnen haben zunächst gegen die Feststellung der Erledigung des Wertermittlungsanspruchs und gegen die Klageabweisung Berufung eingelegt. Auf Hinweis des Senats vom 11. August 2015 (Bl. 129) wurde die Berufung auf die Klageabweisung hinsichtlich der Zwischenfeststellungsklage und der Leistungsstufe beschränkt und im Übrigen zurückgenommen.
Die Klägerinnen beantragen, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts im Wege der Zwischenfeststellungsklage festzustellen, dass der Anspruch der Klägerinnen aus § 2329 BGB in Bezug auf die Schenkungen im notariellen Vertrag vom 27. Dezember 1995 nicht aufgrund des zwischen den Parteien vor dem Landgericht Landshut im Verfahren 72 O 244/13 geschlossenen Vergleichs abgegolten ist sowie die Verurteilung des Beklagten, wegen einer Forderung in Höhe von jeweils 1/14 des sich anhand der Auskunft errechnenden Betrags nebst Zinsen die Vollstreckung in die Gegenstände der Auskunft zu dulden, hilfsweise, das Verfahren hinsichtlich der Leistungsstufe an das Landgericht zurückzuverweisen. Sie weisen insbesondere darauf hin, dass sie erstinstanzlich noch nicht in die Leistungsstufe übergegangen seien, weshalb ein Urteil hierüber nicht habe ergehen dürfen.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2015 Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerinnen hat in dem Umfang, in dem sie noch zur Entscheidung steht, auch in der Sache Erfolg.
1. Die Zwischenfeststellungsklage ist zulässig und begründet.
a) Die Zulässigkeit der erhobenen Zwischenfeststellungsklage ergibt sich aus ihrer Vorgreiflichkeit für die Entscheidung über Auskunft und Leistung, § 256 Abs. 2 ZPO, was das Vorliegen des sonst für die Feststellungsklage erforderlichen Feststellungsinteresses entbehrlich macht (Zöller, ZPO, § 256 Rn. 25). Zwar ist - worauf der Beklagte in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat - in der Rechtsprechung anerkannt, dass für die Zwischenfeststellungsklage dann kein Raum ist, wenn durch die Entscheidung über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen, die sich aus dem streitigen Rechtsverhältnis ergeben können, mit Rechtskraftwirkung erschöpfend klargestellt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine Zwischenfeststellungsklage schon dann zulässig ist, wenn mit der Klage mehrere selbstständige Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis verfolgt werden, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus ihm überhaupt ergeben können (BGH, Urteil vom 27. November 1998, V ZR 180/97, BeckRS 1998 30036256 m. w. N.). So verhält es sich bei der Stufenklage. Sie ist ein besonders geregelter Fall der objektiven Klagenhäufung, bei dem die auf der ersten Stufe stattgebende Entscheidung über den Auskunftsanspruch in Bezug auf das zugrundeliegende Rechtsverhältnis für den auf der letzten Stufe verfolgten Zahlungsanspruch noch keine materielle Rechtskraft oder innerprozessuale Bindungswirkung erzeugt (BGH, Urteil vom 27. November 1998, V ZR 180/97, BeckRS 1998 30036256 m. w. N.). Wird aber durch die Entscheidung über den Auskunftsanspruch das Rechtsverhältnis nicht erschöpfend klargestellt, ist ein Zwischenfeststellungsantrag zulässig (BGH, Urteil vom 27. November 1998, V ZR 180/97, BeckRS 1998 30036256 m. w. N.). So liegt der Fall hier.
b) Die Zwischenfeststellungsklage ist auch begründet. Nach Überzeugung des Senats ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Vergleichs vom 14. März 2013 nicht eindeutig, dass damit sämtliche Ansprüche der Parteien aus der Übergabe abgegolten sein sollten, denn der Vergleichstext beschränkt die Abgeltung auf „gegenseitige Ansprüche aus dem notariellen Vertrag vom 27.12.1995“. Auch ist bei der Feststellung, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, eine alle Umstände - auch die Regelungssystematik der Vergleichsvereinbarung - berücksichtigende Auslegung vorzunehmen (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2014, XII ZR 111/12, juris LS 1). Insoweit ist hier zu bedenken, dass die Klägerinnen das mit dem Vergleichsschluss endende Verfahren als Rechtsnachfolgerinnen des Erblassers geführt und Ansprüche geltend gemacht haben, die zu dessen Lebzeiten direkt „aus dem notariellen Vertrag vom 27.12.1995“ gegen den Beklagten entstanden waren. Dass bei Abgeltung der auf die Klägerinnen übergegangenen originären Erblasseransprüche gegen den Beklagten aus dem Übergabevertrag gleichzeitig eigene Pflichtteilsergänzungsansprüche abgegolten werden sollten, liegt eher fern. Hinzu kommt, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung an die Auslegung einer Willenserklärung, die zum Verlust einer Rechtsposition führt, strenge Anforderungen zu stellen sind und in der Regel eine insoweit eindeutige Willenserklärung erforderlich ist, weil ein Rechtsverzicht niemals zu vermuten ist (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2014, XII ZR 111/12, juris LS 2). Ein eindeutiger Verzicht aber liegt nach Vorstehendem nicht vor.
Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, sämtliche Parteien seien von einer jegliche Ansprüche aus der Übergabe umfassenden Abgeltung ausgegangen, ihm seien deshalb auch mündlich die Einrichtungsgegenstände des Erblassers überlassen worden, ist dieses Vorbringen nicht nur streitig und vom Beklagten nicht unter Beweis gestellt worden. Er hat durch seine gegen die hiesigen Klägerinnen gerichtete Klage auf Räumung der Wohnung des Erblassers (Amtsgericht Landshut, 10 C 242/14), darüber hinaus selbst die nun behauptete Einigung negiert. In der Klageerwiderung (Schriftsatz vom 16. Mai 2014, S. 2, Bl. 11) hat er vorgetragen, dass die Klägerinnen „sich seit dem Erbfall geweigert haben, die Räume des Vaters zu räumen“, sie dazu aber wegen des Eigentumsübergangs durch den Erbfall verpflichtet wären.
2. Hinsichtlich der Leistungsstufe war das Verfahren auf den Hilfsantrag der Klägerinnen hin zur Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückzuverweisen. Eine Entscheidung in der Sache kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerinnen die Leistungsstufe bisher noch nicht aufgerufen haben, weshalb bereits das Landgericht aufgrund der Besonderheiten einer Stufenklage insoweit noch nicht hätte entscheiden dürfen (vgl. BGH, Urteile vom 28. November 2001, VIII ZR 37/01, juris Rn. 20 und vom 16. Juni 2010, VIII ZR 62/09, juris Rn. 24). Schon mangels Vortrags der Klägerinnen zum Wert der Schenkungen hat die Prüfung bislang nicht ergeben, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2010, VIII ZR 62/09, juris Rn. 24), weshalb der tatsächliche Erfolg des Rechtsmittels offen ist.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.