I. Die Klägerin hatte gegen das ihre Klage abweisende Endurteil des Landgerichts Landshut vom 04.09.2014 mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 15.09.2014 Berufung eingelegt und diese in der Folgezeit mit Schriftsatz vom 09.10.2014 begründet. Die Berufungsbegründung ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 16.10.2014 zugestellt worden. Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat mit Beschluss vom 22.10.2014 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Parteien haben Gelegenheit erhalten, zu diesem Hinweis bis zum 14.11.2014 Stellung zu nehmen. Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 12.11.2014, beim Berufungsgericht eingegangen am selben Tag, ihre Berufung zurückgenommen. Dieser Schriftsatz ist den Beklagtenvertretern erst am 20.11.2014 zugestellt worden.
Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluss vom 13.11.2014 die Klägerin des Rechtsmittels der Berufung für verlustig erklärt und dieser die Kosten des Berufungsverfahrens, dessen Streitwert auf 5.355,00 € festgesetzt worden ist, auferlegt. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben mit Schriftsatz vom 14.11.2014, beim Oberlandesgericht eingegangen am selben Tag, mit einer kurzen Begründung die Zurückweisung der Berufung beantragt.
Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 20.01.2015 die von der Klagepartei an die Beklagtenpartei als Gesamtgläubiger zu erstattenden Kosten des Berufungsverfahrens antragsgemäß auf 905,00 EUR festgesetzt und dabei eine 1,6 Verfahrensgebühr zuzüglich einer 0,9 Gebührenerhöhung (wegen der Vertretung dreier weiterer Auftraggeber) berücksichtigt.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 27.01.2015. Zur Begründung wird ausgeführt, die festgesetzten Gebühren seien nicht erstattungsfähig, da der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit Sachanträgen vom 14.11.2014 datiere, während das Oberlandesgericht München bereits mit Beschluss vom 13.11.2014 festgestellt habe, dass die Klägerin des Rechtsmittels der Berufung verlustig sei. Mit diesem Beschluss sei das Verfahren beendet worden. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten seien also erst nach der Beendigung des Berufungsverfahrens tätig geworden. Zudem habe das Oberlandesgericht der Klägerin für die Rücknahme der Berufung eine Frist bis zum 14.11.2014 gesetzt. Es sei für die Rechtsverteidigung der Beklagten nicht notwendig gewesen, innerhalb dieser Frist die Zurückweisung der Berufung zu beantragen.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).
Das Rechtsmittel der Klägerin bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Die Rechtspflegerin hat für das Berufungsverfahren zutreffend eine 1,6 Verfahrensgebühr nach der Nr. 3200 VV-RVG zuzüglich einer 0,9 Gebührenerhöhung nach der Nr. 1008 VV-RVG als erstattungsfähig berücksichtigt.
1. Mit der Einreichung des Schriftsatzes vom 14.11.2014 ist für die Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine 1,6 Verfahrensgebühr nach der Nr. 3200 VV-RVG angefallen. Wie sich nämlich aus der Nr. 3201 Anm. Nr. 1 VV-RVG ergibt, erhält der Rechtsanwalt die volle Verfahrensgebühr, wenn er einen Schriftsatz eingereicht hat, der einen Sachantrag oder Sachvortrag enthält. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
a) Der Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 14.11.2014 enthält den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung der Klägerin und daneben auch eine kurze Stellungnahme zum Hinweis des Berufungsgerichts sowie zur Berufungsbegründung der Klägerin und damit auch Sachvortrag. Es war den Beklagtenvertretern nicht verwehrt, sich auf eine kurze Äußerung zu beschränken und dabei auf die zutreffende Rechtsauffassung des Erstgerichts und auf die vom Berufungsgericht erteilten Hinweise Bezug zu nehmen.
b) Im Übrigen hätte allein die Stellung des Sachantrags die volle Verfahrensgebühr ausgelöst, auch wenn die Beklagtenvertreter sich mit der Berufungsbegründung inhaltlich überhaupt nicht auseinandergesetzt hätten (BGH AnwBl. 2009, 235 = JurBüro 2009, 142).
2. Die den Prozessbevollmächtigten der Beklagten erwachsene 1,6 Verfahrensgebühr ist auch erstattungsfähig. Dass die Klägerin ihre Berufung bereits am 12.11.2014 (per Telefax), also vor Erstellung des Schriftsatzes der Beklagtenvertreter, zurückgenommen hatte, steht dem nicht entgegen. Von der Rücknahme des Rechtsmittels hatten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nämlich erst durch die Zustellung des diesbezüglichen Schriftsatzes am 20.11.2014 Kenntnis erhalten. Dazwischen könnte ihnen noch der Kostenbeschluss des Oberlandesgerichts vom 13.11.2014 zugegangen sein, auch dies aber frühestens am 18.11.2014, nachdem der genannte Beschluss vom Berufungsgericht erst am 17.11.2014 zur Post gegeben worden ist.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats und anderer Oberlandesgerichte sind die Kosten des Rechtsmittelgegners auch dann erstattungsfähig, wenn weder ihm noch seinem Prozessbevollmächtigten im Zeitpunkt der die Gebühr auslösenden Tätigkeit bekannt war oder bekannt sein musste, dass das Rechtsmittel bereits zurückgenommen worden war (Senatsbeschlüsse vom 29.01.2008 - 11 W 715/08 und vom 22.10.2010 - 11 W 1560/09 = JurBüro 2011, 90 = AGS 2011, 44 und 103; Kammergericht JurBüro 1974, 1271 und NJW 1975, 125; OLG Koblenz JurBüro 2005, 81; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 21. Auflage, VV 3201 Rn. 16 und Anhang VI Rn. 318). Der Senat sieht keinen Anlass, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Ohne Bedeutung ist dabei die im vorliegenden Fall gegebene Besonderheit, dass das Berufungsgericht zum Zeitpunkt der Erstellung und Einreichung des Schriftsatzes der Beklagten vom 14.11.2014 bereits mit Beschluss vom 13.11.2014 festgestellt hatte, dass die Klägerin des Rechtsmittels der Berufung verlustig war und die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen hatte. Dieser Beschluss hatte nämlich für die genannten Wirkungen der Berufungsrücknahme, die sich bereits aus dem Gesetz ergeben und schon durch die Rechtsmittelrücknahme eingetreten waren, lediglich deklaratorische Bedeutung (Musielak/Ball, ZPO, 11. Auflage, § 516 Rn. 20).
b) Auch bei dem vergleichbaren Fall von in Unkenntnis einer zwischenzeitlichen Rücknahme der Klage oder eines Verfügungsantrags eingereichten Schriftsätzen mit Sachanträgen wird in der Rechtsprechung überwiegend die Auffassung vertreten, dass diese bei dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten die volle Verfahrensgebühr auslösen, die dann auch erstattungsfähig ist (Senat AnwBl. 1985, 44; OLG Celle Beschluss vom 02.03.2010 - 2 W 69/10 - RVGreport 2010, 195 mit zust. Anm. von Hansens; OLG Frankfurt JurBüro 1983, 83; OLG Köln JurBüro 1991, 930; vgl. auch Hansens RVGreport 2009, 23 und 2007, 349; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a. a. O., VV 3100 Rn. 141).
c) Der Bundesgerichtshof hat zwar mit Beschluss vom 23.11.2006 - I ZB 39/06 (NJW-RR 2007, 1575 = MDR 2007, 1163 = JurBüro 2007, 430) entschieden, die durch die Einreichung einer Schutzschrift nach Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entstandenen Kosten seien auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Antragsgegner die Antragsrücknahme nicht gekannt habe oder habe kennen müssen, weil sich die Notwendigkeit von Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nach einem objektiven Maßstab beurteile. Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht ohne weiteres auf die Fälle der Klageerwiderung oder der Berufungserwiderung in Unkenntnis der zwischenzeitlich erfolgten Rücknahme der Klage oder der Berufung übertragen werden (so aber OLG Brandenburg Beschluss vom 25.08.2009 - 6 W 70/08 - nur in „Juris" veröffentlicht, für den Fall der Berufungserwiderung und OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 426 = JurBüro 2009, 37 zur Klageerwiderung). Während es sich bei einer Schutzschrift um ein in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehenes vorbeugendes Verteidigungsmittel gegen einen nur erwarteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung handelt (Senat AnwBl. 2007, 874 = OLGR 2007, 963 = AGS 2007, 557; OLG Celle a. a. O.; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Auflage, § 935 Rn. 9), ist die Erwiderung auf eine bereits zugestellte Klage oder eine Rechtsmittelbegründung innerhalb der gesetzlichen oder vom Gericht gesetzten Frist für eine sachgerechte Rechtsverteidigung unverzichtbar. Es wäre daher mit den berechtigten Interessen des (Rechtsmittel-) Beklagten nicht vereinbar, diesem die Erstattung der vollen Verfahrensgebühr zu versagen, obwohl er von der Rücknahme des Rechtsmittels bzw. der Klage zum Zeitpunkt der die Gebühr auslösenden Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten keine Kenntnis haben konnte.
d) Entgegen der Auffassung der Klägerin mussten die Beklagten mit ihrer Stellungnahme auch nicht den Ablauf der vom Oberlandesgericht für eine Rücknahme der Berufung gesetzten Frist oder gar eine Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO abwarten. Nach der Begründung des Rechtsmittels durch die Klägerin hatten die Beklagten nämlich ein berechtigtes Interesse daran, mit anwaltlicher Hilfe in der Sache frühzeitig zu erwidern und die vom Berufungsgericht angekündigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege durch eigene zusätzliche Argumente zu fördern. Der Hinweis des Gerichts gab nämlich nur dessen vorläufige Auffassung wieder, eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege war folglich bei seiner Erteilung noch nicht sicher. Die Beklagten mussten deshalb nicht abwarten, ob die Klägerin ihre Berufung tatsächlich zurücknehmen oder ob das Oberlandesgericht sie schließlich entsprechend der geäußerten Absicht zurückweisen würde (BGH, Beschluss vom 09.10.2003 - VII ZB 17/03 = NJW 2004, 73).
3. Die Beklagte hat somit einen Anspruch auf Erstattung einer vollen 1,6 Verfahrensgebühr gemäß der Nr. 3200 VV-RVG zuzüglich einer 0,9 Gebührenerhöhung wegen der Vertretung dreier weiterer Auftraggeber (Beklagter) in Höhe von 885,€ netto. Dazu kommt die Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 €, so dass sich insgesamt der von der Rechtspflegerin festgesetzte Betrag von 905,00 € errechnet.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
5. Da die Oberlandesgerichte Düsseldorf und Brandenburg eine abweichende Auffassung vertreten, war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 574 Abs. 3, Abs. 2 Nr. 2 ZPO).