Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 23. Juli 2013 - 2 U 156/13

ECLI:ECLI:DE:OLGKOBL:2013:0723.2U156.13.0A
bei uns veröffentlicht am23.07.2013

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Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 21.12.2012 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46.939,03 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Das Landgericht hat mit dem im Tenor genannten Beschluss antragsgemäß ein Urteil des Landgerichts Venedig vom 15.07.2011 in der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärt. Zur Begründung ihrer gegen diese Entscheidung fristgerecht eingelegten Beschwerde macht die Antragsgegnerin geltend, das Urteil des Landgerichts Venedig sei fehlerhaft, weil eine Verpflichtung der Firma S. zu ihrer Freistellung dort versehentlich nicht aufgenommen worden sei - insoweit im Ursprungsstaat inzwischen berichtigt -. Außerdem erklärt sie die Aufrechnung mit einer durch Urteil des Landgerichts Venedig in einem anderen Verfahren ihr gegenüber der Antragstellerin rechtskräftig zuerkannten Kostenforderung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

2

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist nach § 11 Abs. 1 AVAG, Artikel 43 Abs. 1 EuGVVO statthaft, jedoch nicht mit im Exequaturverfahren zulässigen Einwendungen begründet. Gemäß Artikel 45 Abs. 1 EuGVVO darf die Vollstreckbarerklärung von dem mit einem Rechtsbehelf nach Artikel 43 EuGVVO befassten Gericht nur aus einem der in Artikel 34 und 35 EuGVVO aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Gründe dieser Art hat die Antragsgegnerin nicht geltend gemacht; vielmehr begehrt sie eine Überprüfung der italienischen Entscheidung in der Sache, was nach Art. 45 Abs. 2 EuGVVO generell nicht zulässig ist.

3

Die Frage, ob Ansprüche der Antragsgegnerin gegen die Firma S. in der ursprünglichen Fassung des Urteils des Landgerichts Venedig vom 15.07.2011 ordnungsgemäß tenoriert waren, ist für das Vollstreckungsverhältnis der hiesigen Parteien zueinander ohne jede Bedeutung und vom Katalog des Artikel 34, 35 EuGVVO nicht umfasst.

4

Die Aufrechnung ist im Exequaturverfahren nicht möglich. § 12 AVAG, wonach der Verpflichtete mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen kann, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind, ist gemäß § 55 Abs. 1 AVAG in der seit 26. Februar 2013 geltenden Fassung (Artikel 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23.11.2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des materiellen Unterhaltsrechts vom 20.02.2013, Bundesgesetzblatt I, 273, 275) auf das Verfahren nach dem EuGVVO nicht mehr anwendbar. Damit hat der Gesetzgeber Konsequenzen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13.10.2011 - C - 139/10 - (NJW 2011, 3506) gezogen, wonach die Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung durch das Gericht, das über einen Rechtsbehelf gemäß Artikel 43 oder 44 EuGVVO zu entscheiden hat, aus einem anderen als einem in Artikel 34 und 35 EuGVVO genannten Grund grundsätzlich unzulässig ist (entschieden für den auch hier von der Antragsgegnerin erhobenen Einwand der nachträglichen Erfüllung durch Aufrechnung). Damit ist der in der Vergangenheit in Literatur und Rechtsprechung bestehende Streit, ob § 12 AVAG als gemeinschaftswidrige Norm im Anwendungsbereich der EuGVVO nicht oder einschränkend nur bei liquiden Einwendungen greift oder diese Vorschrift auch im Rechtsbehelfsverfahren nach dem EuGVVO umfassend Anwendung finde, für die Zukunft obsolet (vgl. zu diesem Streit BGH IX ZB 267/11, Beschluss vom 12.07.2012, NJW 2012, 2663 m.w.N.). Keiner Entscheidung bedarf daher auch die Frage, ob es sich bei der von der Antragsgegnerin erklärten Aufrechnung überhaupt um eine nachträglich entstandene Einwendung im Sinne des § 12 AVAG handelt.

5

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz - AVAG 2001 | § 11 Einlegung der Beschwerde; Beschwerdefrist


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Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz - AVAG 2001 | § 12 Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch im Beschwerdeverfahren


(1) Der Verpflichtete kann mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach

Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz - AVAG 2001 | § 55 Abweichungen von Vorschriften des Allgemeinen Teils; ergänzende Regelungen


(1) Die §§ 3, 6 Absatz 1, § 7 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2, § 10 Absatz 2 und 3 Satz 2, § 11 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3 Satz 1 und 2 sowie die §§ 12, 14 und 18 finden keine Anwendung. (2) Die Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstrecku

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2012 - IX ZB 267/11

bei uns veröffentlicht am 12.07.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 267/11 vom 12. Juli 2012 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja AVAG § 12 Abs. 1; Brüssel I-VO Art. 34, 35, 45 Beruft sich der Schuldner im Verfahren der Vollstreckbarerklärun

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(1) Die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel wird bei dem Beschwerdegericht durch Einreichen einer Beschwerdeschrift oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt. Beschwerdegericht ist das Oberlandesgericht. Der Beschwerdeschrift soll die für ihre Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften beigefügt werden.

(2) Die Zulässigkeit der Beschwerde wird nicht dadurch berührt, dass sie statt bei dem Beschwerdegericht bei dem Gericht des ersten Rechtszuges eingelegt wird; die Beschwerde ist unverzüglich von Amts wegen an das Beschwerdegericht abzugeben.

(3) Die Beschwerde des Verpflichteten gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung ist innerhalb eines Monats, im Falle des § 10 Absatz 2 Satz 1 innerhalb der nach dieser Vorschrift bestimmten längeren Frist einzulegen. Die Beschwerdefrist beginnt mit der Zustellung nach § 10 Absatz 1. Sie ist eine Notfrist.

(4) Die Beschwerde ist dem Beschwerdegegner von Amts wegen zuzustellen.

(1) Der Verpflichtete kann mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind.

(2) Mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich oder einer öffentlichen Urkunde richtet, kann der Verpflichtete die Einwendungen gegen den Anspruch selbst ungeachtet der in Absatz 1 enthaltenen Beschränkung geltend machen.

(1) Die §§ 3, 6 Absatz 1, § 7 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2, § 10 Absatz 2 und 3 Satz 2, § 11 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3 Satz 1 und 2 sowie die §§ 12, 14 und 18 finden keine Anwendung.

(2) Die Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung ist einzulegen

1.
innerhalb eines Monats nach Zustellung, wenn der Verpflichtete seinen Wohnsitz im Inland hat;
2.
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung, wenn der Verpflichtete seinen Wohnsitz im Ausland hat.
Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Vollstreckbarerklärung dem Verpflichteten entweder persönlich oder in seiner Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen.

(3) In einem Verfahren, das die Vollstreckbarerklärung einer notariellen Urkunde zum Gegenstand hat, kann diese Urkunde auch von einem Notar für vollstreckbar erklärt werden. Die Vorschriften für das Verfahren der Vollstreckbarerklärung durch ein Gericht gelten sinngemäß.

(1) Der Verpflichtete kann mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind.

(2) Mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich oder einer öffentlichen Urkunde richtet, kann der Verpflichtete die Einwendungen gegen den Anspruch selbst ungeachtet der in Absatz 1 enthaltenen Beschränkung geltend machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 267/11
vom
12. Juli 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVAG § 12 Abs. 1; Brüssel I-VO Art. 34, 35, 45
Beruft sich der Schuldner im Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach der Verordnung
auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen
den titulierten Anspruch, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind,
so wird er damit nicht gehört (Anschluss an EuGH, NJW 2011, 3506).
BGH, Beschluss vom 12. Juli 2012 - IX ZB 267/11 - OLG München
LG München II
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die
Richterin Möhring
am 12. Juli 2012

beschlossen:
Dem Antragsgegner wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. September 2011 Prozesskostenhilfe ohne Eigenbeitrag bewilligt.
Ihm werden die Rechtsanwälte P. beigeordnet.
Seine Rechtsbeschwerde gegen den genannten Beschluss wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 24.300 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Die Antragstellerin erwirkte gegen den Antragsgegner ein vollstreckbares Urteil des Amtsgerichts Prag 10 vom 27. Februar 2009, durch das dieser verur- teilt wurde, an sie 600.000 Tschechische Kronen nebst Zinsen zu zahlen. Am 20. August 2010 verkaufte sie ihre Forderung an einen Dritten. In der Folge stritten die Parteien, ob die Antragstellerin noch Forderungsinhaberin ist.
2
Auf ihren Antrag hat das Landgericht München II angeordnet, dass das Urteil des Amtsgerichts Prag 10 vom 27. Februar 2009 mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Die sofortige Beschwerde des Antraggegners hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte dieser die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erreichen. Weiter begehrt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

II.


3
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 15 AVAG, Art. 44 EuGVVO statthaft, sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 55 Abs. 2 AVAG). Sie ist in der Sache jedoch unbegründet.
4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Ein nach Rechtskraft der zu vollstreckenden Entscheidung eingetretener Forderungsübergang sei gemäß § 12 Abs. 1 AVAG im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, soweit der zugrundeliegende Sachverhalt unstreitig sei. Das Verbot der "révision au fond" stehe der Berücksichtigung im Vollstreckbarkeitsverfahren nicht entgegen, weil die Berücksichtigung eines nachträglichen Forderungsübergangs die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht beträfe. Zwischen den Parteien sei jedoch streitig, ob die Antragstellerin noch oder wieder Inhaberin der streitgegenständlichen Forderung sei. Diese habe jedenfalls schlüssig vorge- tragen, dass es zu einer Rückübertragung der streitgegenständlichen Forderung gekommen sei. Damit sei die Behauptung des Antraggegners, die Antragstellerin sei nicht mehr aktiv legitimiert, nicht unstreitig und damit nicht berücksichtigungsfähig.
5
2. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Nachprüfung stand.
6
a) Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ist der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass das tschechische Zahlungsurteil auf der Grundlage von Art. 38 ff der Verordnung (EG) Nummer 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: EuGVVO oder Verordnung) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2, § 55 AVAG in Deutschland vollstreckt werden kann. Die Voraussetzungen gemäß Art. 40, 41, 53 EuGVVO liegen vor (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - XII ZB 240/05, FamRZ 2008, 586 Rn. 15); Anerkennungshindernisse nach Art. 34 und 35 EuGVVO (Art. 45 EuGVVO) macht der Antragsgegner nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich.
7
b) Gemäß § 12 Abs. 1 AVAG kann der Schuldner mit der Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung in Deutschland aus einem ausländischen Titel auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind. Nach § 14 Abs. 1 AVAG kann der Schuldner, wenn die Zwangsvollstreckung in Deutschland aus dem ausländischen Titel zugelassen ist, Einwendungen gegen den Anspruch selbst nach § 767 ZPO nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen seine Einwendungen beruhen, entweder nach Ablauf der Beschwerdefrist entstanden oder, falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens entstanden sind. Die Anwendung dieser beiden Regelungen ist durch § 55 AVAG für den Bereich der Verordnung nicht ausgeschlossen.
8
Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob § 12 AVAG im Vollstreckbarerklärungsverfahren auf der Grundlage der Verordnung bei "nicht liquiden", das heißt bei streitigen oder nicht rechtskräftig festgestellten Einwendungen anwendbar ist. Nach Auffassung des Senats ist die Frage zu verneinen.
9
aa) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem ausländischen Titel gegebenenfalls rechtskräftige oder unbestrittene ("liquide") Einwendungen geltend machen kann (BGH, Beschluss vom 14. März 2007 - XII ZB 174/04, BGHZ 171, 310 Rn. 26 ff; vom 12. Dezember 2007 – XII ZB 240/05, aaO Rn. 42). Das Verbot der Nachprüfung in der Sache (Art. 45 Abs. 2 EuGVVO) stehe nicht entgegen, weil es um die Behandlung von nachträglichen rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einwendungen gehe, die dem Gericht im Ursprungsstaat vor Erlass der Entscheidung nicht zur Überprüfung gestellt hätten werden können (Beschluss vom 14. März 2007, aaO Rn. 27). Die Annahme, dass im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung grundsätzlich auch Vollstreckungsgegeneinwände zur Überprüfung gestellt werden könnten, stehe auch im Übrigen im Einklang mit Gemeinschaftsrecht (aaO Rn. 28 ff).
10
bb) Offengelassen hat der Bundesgerichtshof die Frage, ob der Kreis der zulässigen Einwendungen nach § 12 AVAG generell auf "liquide" Einwendungen beschränkt werden müsse (Beschluss vom 14. März 2007, aaO Rn. 26).
11
Hierzu wird einerseits vertreten, dass § 12 AVAG als gemeinschaftswidrige Norm im Anwendungsbereich der Verordnung nicht anzuwenden sei, weil Art. 45 Abs. 1 EuGVVO den Prüfungsrahmen für das Exequaturgericht in einer abschließenden und keiner ergänzenden Auslegung zugänglichen Weise festlege. Die mit dem Rechtsbehelf nach Art. 43 EuGVVO befassten Gerichte dürften danach ausschließlich die Anerkennungshindernisse nach Art. 34 und 35 EuGVVO, nicht aber materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch prüfen. Diese Einwendungen könnten nur im Wege einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden (vgl. OLG Koblenz, OLGR 2005, 276, 277; OLG Oldenburg, NJW-RR 2007, 418 f; Hk-ZPO/Dörner, 4. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 33. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 3, vgl. auch Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 2011, Art. 45 EuGVVO Rn. 5 ff mwN). Nach dieser Auffassung kann der Einwand des Antraggegners keine Berücksichtigung finden. Zum gleichen Ergebnis kommt die Ansicht, die im Bereich der Verordnung § 12 AVAG einschränkend dahingehend auslegt, dass der Schuldner im Beschwerdeverfahren nur liquide Einwendungen erheben kann (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 933, 934 f; FamRZ 2006, 803, 804; OLG Köln, OLGR 2004, 359, 360; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 1; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 3. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rn. 7; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 45, Rn. 11; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht , 3. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rn. 14).
12
Im Gegensatz dazu ist eine dritte Meinung der Ansicht, dass § 12 AVAG auch im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung umfassend Anwendung finde. Zu den nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen verhalte sich die EuGVVO nicht, so dass es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleibe, wie sie mit dieser Regelungslücke umgingen und welche Rechtsbehelfe sie dem Schuldner zur Verfügung stellten (vgl. Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rn. 27 f; Art. 45 EuGVVO Rn. 6; Wagner, IPRax 2002, 75, 83; Roth, JZ 2007, 898 f).
13
cc) Jedenfalls die letztgenannte Auffassung ist überholt. Nunmehr hat der Europäische Gerichtshof entschieden (Urteil vom 13. Oktober 2011 - C-139/10, NJW 2011, 3506: Prism Investments BV gegen Jaap Arne van de Meer), Art. 45 EuGVVO sei dahin auszulegen, dass er der Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung durch ein Gericht, das über einen Rechtsbehelf gemäß Art. 43 oder 44 EuGVVO zu entscheiden habe, aus einem anderen als einem in Art. 34 und 35 EuGVVO genannten Grund entgegenstehe. Geklärt hat der Europäische Gerichtshof die Frage für den Einwand der nachträglichen Erfüllung durch Aufrechnung; für den Verlust der Aktivlegitimation durch Abtretung kann nichts Anderes gelten.
14
(1) Zur Begründung hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, das Vollstreckbarerklärungsverfahren umfasse nur eine "einfache formale Prüfung der Schriftstücke" (Rn. 28, 42), die Behörden dürften lediglich kontrollieren, ob die Förmlichkeiten zur Erteilung der Vollstreckbarerklärung des ausländischen Titels erfüllt seien (Rn. 30). Es werde kein neues Verfahren in Gang gesetzt, sondern "auf der Grundlage eines gegenseitigen Vertrauens in die Justiz der Mitgliedstaaten" die Zustimmung erteilt, eine Entscheidung durch Integration in eine fremde Rechtsordnung zu vollstrecken, damit eine in dem Urteilsmitgliedstaat erlassene Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat die Wirkungen eines vollstreckbaren nationalen Rechtstitels entfalte (Rn. 31). Die Gründe, aufgrund derer eine erfolgte Vollstreckbarerklärung angefochten werden könne, seien in Art. 34 und 35 EuGVVO, die eng auszulegen seien, abschließend aufgezählt (Rn. 32 f). Da die nachträgliche Erfüllung einer titulierten Forderung in Befolgung der gerichtlichen Entscheidung dieser in dem Urteilsland nicht den vollstreckbaren Charakter nehme, kämen ihr diese Rechtswirkungen auch nicht bei ihrer Vollstreckbarerklärung im Ausland zu (Rn. 39). Eine Erfüllung könne insoweit nur im Vollstreckungsstaat nach Integration in dessen Rechtsordnung Prüfungsgegenstand werden (Rn. 40). Auch die Tatsache, dass dadurch einem gerade vollstreckbar erklärten Titel die Vollstreckbarkeit wieder genommen werden könne, führe nicht zu einer Berücksichtigung der nachträglich entstandenen materiell-rechtlichen Einwendungen im Verfahren der Vollstreckbarerklärung , weil anderenfalls diese dessen Merkmale änderten und sich entgegen dem im 17. Erwägungsgrund der Verordnung angeführten Ziel eines raschen und effizienten Verfahrens die Verfahrensdauer verlängere (Rn. 42; vgl. auch Meller-Hannich, GPR 2012, 90, 92 ff).
15
(2) Ob aus der zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu folgern ist, dass § 12 AVAG im Anwendungsbereich der Verordnung insgesamt unanwendbar und es dem Schuldner infolge von Art. 45 EuGVVO fortan generell verwehrt ist, materiell-rechtliche Einwendungen, die nach Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung entstanden sind, im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 43, 44 EuGVVO geltend zu machen, gleichgültig, ob die Einwendungen liquide oder nicht liquide sind (so Bach, EuZW 2011, 871; Meller-Hannich, aaO S. 94; Musielak/Lackmann, ZPO, 9. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 2), muss der Senat nicht entscheiden, weil der hier geltend gemachte Einwand nicht liquide ist. Entgegen der Rechtsbeschwerdebegründung ist es unerheblich, dass die Abtretung der Forderung durch die Antragstellerin an einen Dritten außer Streit steht und nur die schlüssig vorgetragene Rückübertragung der Forderung auf die Antragstellerin vom Antragsgegner bestritten ist. In beiden Fällen ist Beweis zu erheben, um die Berechtigung der Antragstellerin zur Vollstreckung aus dem ausländischen Titel feststellen zu können. Ein solcher Streit ist nach der zitier- ten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs keinesfalls im Rechtsbehelfsverfahren nach der Verordnung zu klären. Denn die Berücksichtigung dieser Einwendung würde die Merkmale des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ebenfalls ändern und die Verfahrensdauer verlängern. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs kann aus demselben Grund auch nicht so verstanden werden, dass der Schuldner nur mit dem Erfüllungseinwand im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht zu hören ist. Vielmehr ergeben die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs mit Deutlichkeit, dass sämtliche materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Vollstreckungstitel von dieser Rechtsprechung erfasst werden. Jedenfalls soweit der Schuldner sich auf nachträglich entstandene materiell -rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch beruft, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, wird er damit in den Beschwerdeverfahren nach Art. 43 und 44 EuGVVO gemäß Art. 45 EuGVVO nicht gehört.

III.


16
Dem Rechtsbeschwerdeführer war dennoch gemäß § 114 ZPO Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu bewilligen. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren dient nicht dem Zweck, über rechtliche Grundsatzfragen vorweg zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. März 2012 - XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964 Rn. 14).
Kayser Gehrlein Fischer
Grupp Möhring

Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 16.03.2011 - 12 O 1178/11 -
OLG München, Entscheidung vom 01.09.2011 - 25 W 1212/11 -

(1) Der Verpflichtete kann mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind.

(2) Mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich oder einer öffentlichen Urkunde richtet, kann der Verpflichtete die Einwendungen gegen den Anspruch selbst ungeachtet der in Absatz 1 enthaltenen Beschränkung geltend machen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)